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102 HMD 271 Michael Reiss, Dirk Steffens Augmented und Blended Learning: Potenzial hybrider Lernumgebungen Elektronische Infrastrukturen eröffnen neue Möglichkeiten für Geschäftsmodelle, Manage- ment und Teamarbeit sowie für Lernprozesse. Das Management des Lernens von Individuen und Gruppen profitiert von der durch eLearning ermöglichten organisatorischen Virtualisierung vor allem in Form erhöhter Personalisierung, grö- ßerer Reichweite und Reduktion von variablen Kosten. Elektronische Infrastrukturen ermögli- chen durch Computeranimationen, Simulatio- nen, Educational Games und Virtual-Reality-Sys- teme ferner eine Repräsentationsvirtualisierung, deren Potenzial vor allem in einer hochgradigen Gestaltbarkeit und hohen Bereitstellungsquali- tät von Bausteinen des Lernprozesses besteht und die dadurch für eine verbesserte Lernmotiva- tion sorgt. So wie die organisatorische Virtualität nicht als reines eLearning, sondern als hybrides Blended Learning genutzt wird, geht es auch in Bezug auf die Repräsentationsvirtualität nicht um eine radikale Substitution realer durch virtu- elle Bausteine, sondern vielmehr um eine Ergän- zung, d.h. eine hybride Mischung aus realer und virtueller Repräsentation in Form des Augmen- ted Learning. Der Beitrag liefert eine kritische Be- wertung des Effektivitäts- und Effizienzpotenzi- als von Blended Learning und von Augmented Learning sowie von deren Kombination. Inhaltsübersicht 1 Elektronische Infrastrukturen für Lernen in virtuellen Lernumgebungen: eLearning und Virtual Learning 1.1 Organisatorische Virtualität: eLearning 1.2 Repräsentationsvirtualität: Virtual Learning 2 Hybride Lernformen: Blended und Augmented Learning 2.1 Gestaltungslogik der Hybridkonzepte 2.2 Blended Learning 2.3 Augmented Learning 3 Potenzial einer Kombination von Blended Learning und Augmented Learning 4 Literatur 1 Elektronische Infrastrukturen für Lernen in virtuellen Lernumgebungen: eLearning und Virtual Learning Das Management der Lernprozesse von Indivi- duen und Gruppen ist aktuell einem hohen Vir- tualisierungsdruck ausgesetzt. Er äußert sich in der Notwendigkeit, Restriktionen und Barrieren herkömmlicher Lern- und Lehrsysteme zu über- winden. Durch elektronische Infrastrukturen er- möglichte Virtualisierungspotenziale werden in Qualifikationssystemen zur Deckung dieser Vir- tualisierungsbedarfe eingesetzt. Das Potenzial setzt sich aus zwei unabhängig voneinander va- riierbaren Komponenten zusammen: einerseits der organisatorischen Virtualität und anderseits der Repräsentationsvirtualität. 1.1 Organisatorische Virtualität: eLearning Organisatorische Virtualität steht für die Über- windung von zeitlichen, räumlichen und inter- organisationalen Grenzen [Reiss et al. 2006]. Der Druck zur organisatorischen Virtualisierung entsteht z.B. infolge von Formen des verteilten Arbeitens in global operierenden Unternehmen und in unternehmensübergreifenden Koopera- tionen und Netzwerken. Bei geografisch verteil- ten Mitarbeitern müssen Wege gefunden wer- den, möglichst ortsunabhängig (»anyplace«, »mobil« [Sharples et al. 2009]) und in Leerzei- ten zu lernen, um Reise- und Opportunitätskos- ten zu reduzieren. Angesichts der interorganisa-

Augmented und Blended Learning: Potenzial hybrider Lernumgebungen

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Michael Reiss, Dirk Steffens

Augmented und Blended Learning: Potenzial hybrider Lernumgebungen

Elektronische Infrastrukturen eröffnen neueMöglichkeiten für Geschäftsmodelle, Manage-ment und Teamarbeit sowie für Lernprozesse.Das Management des Lernens von Individuenund Gruppen profitiert von der durch eLearningermöglichten organisatorischen Virtualisierungvor allem in Form erhöhter Personalisierung, grö-ßerer Reichweite und Reduktion von variablenKosten. Elektronische Infrastrukturen ermögli-chen durch Computeranimationen, Simulatio-nen, Educational Games und Virtual-Reality-Sys-teme ferner eine Repräsentationsvirtualisierung,deren Potenzial vor allem in einer hochgradigenGestaltbarkeit und hohen Bereitstellungsquali-tät von Bausteinen des Lernprozesses bestehtund die dadurch für eine verbesserte Lernmotiva-tion sorgt. So wie die organisatorische Virtualitätnicht als reines eLearning, sondern als hybridesBlended Learning genutzt wird, geht es auch inBezug auf die Repräsentationsvirtualität nichtum eine radikale Substitution realer durch virtu-elle Bausteine, sondern vielmehr um eine Ergän-zung, d.h. eine hybride Mischung aus realer undvirtueller Repräsentation in Form des Augmen-ted Learning. Der Beitrag liefert eine kritische Be-wertung des Effektivitäts- und Effizienzpotenzi-als von Blended Learning und von AugmentedLearning sowie von deren Kombination.

Inhaltsübersicht1 Elektronische Infrastrukturen für Lernen in

virtuellen Lernumgebungen: eLearning und Virtual Learning1.1 Organisatorische Virtualität: eLearning1.2 Repräsentationsvirtualität: Virtual

Learning2 Hybride Lernformen: Blended und

Augmented Learning

2.1 Gestaltungslogik der Hybridkonzepte2.2 Blended Learning2.3 Augmented Learning

3 Potenzial einer Kombination von Blended Learning und Augmented Learning

4 Literatur

1 Elektronische Infrastrukturen für Lernen in virtuellen Lernumgebungen: eLearning und Virtual Learning

Das Management der Lernprozesse von Indivi-duen und Gruppen ist aktuell einem hohen Vir-tualisierungsdruck ausgesetzt. Er äußert sich inder Notwendigkeit, Restriktionen und Barrierenherkömmlicher Lern- und Lehrsysteme zu über-winden. Durch elektronische Infrastrukturen er-möglichte Virtualisierungspotenziale werden inQualifikationssystemen zur Deckung dieser Vir-tualisierungsbedarfe eingesetzt. Das Potenzialsetzt sich aus zwei unabhängig voneinander va-riierbaren Komponenten zusammen: einerseitsder organisatorischen Virtualität und anderseitsder Repräsentationsvirtualität.

1.1 Organisatorische Virtualität: eLearningOrganisatorische Virtualität steht für die Über-windung von zeitlichen, räumlichen und inter-organisationalen Grenzen [Reiss et al. 2006].Der Druck zur organisatorischen Virtualisierungentsteht z.B. infolge von Formen des verteiltenArbeitens in global operierenden Unternehmenund in unternehmensübergreifenden Koopera-tionen und Netzwerken. Bei geografisch verteil-ten Mitarbeitern müssen Wege gefunden wer-den, möglichst ortsunabhängig (»anyplace«,»mobil« [Sharples et al. 2009]) und in Leerzei-ten zu lernen, um Reise- und Opportunitätskos-ten zu reduzieren. Angesichts der interorganisa-

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tionalen Vernetzung muss ferner das gemein-same Lernen über Unternehmensgrenzenhinweg unterstützt werden, z.B. zusammen mitMitarbeitern von Kunden, Lieferanten und Kom-plementoren, etwa nach dem Vorbild von Wis-sens- oder Open Source Communities.

Als Antwort auf den bestehenden Druck zurorganisatorischen Virtualisierung wurden Vir-tualisierungspotenziale aufgebaut, die vor allemauf eLearning basieren [Bryant et al. 2005]. Inder Lerndomäne ist die Informationstechnolo-gie zum einen relevant in Gestalt von Software-tools mit spezifischem Lern-Content, zum ande-ren als Content-unabhängige Plattformtechno-logie. Die immer wieder betonten Vorteileelektronischer Lernformen wie z.B. Compu-ter-based Trainings (CBT), Web-based Trainings(WBT) oder Diskussionsforen bestehen in derErmöglichung asynchronen und ortsunabhän-gigen Lernens, wodurch zum einen auf den Effi-zienzdruck reagiert werden kann, zum anderenaber auch eine Effektivitätssteigerung in Formeiner höheren Individualisierung des Lernenserreicht wird. Darüber hinaus besitzt eLearningauch ein Potenzial für interorganisationales Ler-nen. Gerade Instrumente des Web 2.0 (wie z.B.Weblogs, Wikis oder Virtual Communities) sindauf offene interorganisationale Kommunika-tion ausgelegt und unterstützen dabei auch in-formelle Lernprozesse zwischen Akteuren un-terschiedlichster organisatorischer Provenienz.Internetbasierte Communities bilden sich meistthemenspezifisch. Das Lernen in solchen Netz-werken folgt somit den Paradigmen des Kon-nektivismus [Siemens 2004]. Diese aktuelle undpragmatische Lernkonzeption greift einerseitsdie Prinzipien des Konstruktivismus auf, indemLernen als weitgehend selbst gesteuert model-liert wird (z.B. durch die Gestaltung von Perso-nal Learning Environments); andererseits betontder Konnektivismus noch stärker den sozialenAspekt des Lernens – nämlich in Form von Netz-werkbildung und (zunehmend informellem)Austausch mit Netzwerkpartnern [Kuhlmann &Sauter 2008]. Den Lehrenden kommt bei diesen

Community-basierten Lernformen immer mehrdie Rolle eines Mentors zu. Dieser Form der in-terorganisationalen Virtualisierung des Ler-nens, die durch die Nutzung von Web-2.0-In-strumenten unterstützt wird, wird mittlerweileeine hohe Bedeutung für die Kompetenzent-wicklung beigemessen, und zwar für die Perso-nalentwicklung ebenso wie für die Hochschul-ausbildung.

1.2 Repräsentationsvirtualität: Virtual Learning

Die Ausgestaltung oder Repräsentation einerLernumgebung (z.B. zur Schulung von Team-fähigkeit oder Verkaufstaktiken) kann mit mehroder weniger natürlichen Mitteln (z.B. mit realenPersonen, Räumen, Arbeitsmitteln und Produk-ten) oder artifiziellen Mitteln (z.B. mit virtuellenAvataren oder simulierten Räumen, Arbeitsmit-teln und Produkten) erfolgen. In Anlehnung andas Konzept der Virtual Reality kann man bei dervirtuellen Repräsentation von »Virtual WorldLearning« oder kurz »Virtual Learning« spre-chen. Es existieren auch hier mehrere Treiber ei-ner virtuellen Repräsentation. Folgt man etwadem Leitbild der Employability, muss die Perso-nalentwicklung Szenarien potenzieller Arbeitsin-halte und Arbeitsumgebungen antizipieren. Fürdie Erfüllung dieser Anforderungen bieten vorallem Formen des Virtual Learning ein hohes Po-tenzial, weil diese auf einer »High-Tech«-Basiseine bessere Repräsentation der Lernumgebun-gen generieren können als herkömmliche praxis-nahe Fallstudien, Plan- und Rollenspiele. Um dasVerständnis für komplexe Probleme zu schulenund die Modellierung von Ursache-Wir-kungs-Zusammenhängen zu unterstützen, exis-tiert eine Reihe von softwarebasierten Lösungenmit hoher Repräsentationsqualität. Hierzu zäh-len etwa das Mindmapping (Mindmanager;www.mindjet.de) und Simulationssoftware, z.B.auf der Basis von System-Dynamics-Modellen(Consideo, www.consideo-modeler.de; iThink/Stella,www.iseesystems.com). Auch Serious Games (alsMischform zwischen Spielen und Lernen) basie-

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ren zum Teil auf der Informationstechnologie alsEnabler, indem erst durch deren Nutzung z.B. in-teraktives Spielen mit anderen Akteuren und da-mit ein intensiveres Spielerlebnis ermöglichtwird [de Freitas 2008]. Hier werden Konzeptevon Computer- bzw. Konsolenspielen, die zu-nächst der reinen Unterhaltung dienen, auf An-wendungen übertragen, die neben dem Spielenauch einen Lernaspekt enthalten (Edutainment).Solche Educational oder Serious Games existie-ren z.B. für die Simulation von Zukunftsszenari-en (World without Oil, http://worldwithoutoil.org),für das Lernen politischer Zusammenhänge(informationinplace, www.informationinplace.com)oder für die Ausbildung von Feuerwehrleuten (NSFForest Fire, www.mcl.ucf.edu/applications/nsffire).

Unterstützung hat das Lernen in künstli-chen Lernumgebungen auch durch Entwicklun-gen auf dem Gebiet der virtuellen Realität er-fahren. So ermöglichen z.B. die virtuellen Wel-ten Second Life, Active Worlds, OLIVE undDotsoul Cyberpark die Repräsentation von Ler-nenden und Lehrenden durch Avatare (vgl.Abb. 1). Mit der Open-Source-Anwendung Open

Simulator besteht sogar die Möglichkeit, eige-ne, auf die individuellen Bedürfnisse zuge-schnittene virtuelle Welten zu entwickeln, diedann z.B. auf spezifische Lernzwecke ausgerich-tet werden können. Die Stärken des VirtualLearning sind in der Tatsache begründet, dasses vier Anforderungen besser erfüllt als her-kömmliche No-Tech- und Low-Tech-Lernwelten[Reiss & Steffens 2009]:

1. Gestaltbarkeit: High-Tech-Lernumgebungenerlauben eine bessere Repräsentation bzw.Simulation nicht existenter Situationen (z.B.in Form zukünftiger Szenarien), mehr Gestal-tungsoptionen sowie ein intensiveres Erle-ben der generierten Lernumgebungen (Im-mersion), wodurch das Lernen wenigerabstrakt wird und sich zu einem tätigkeits-orientierten Lernen entwickelt.

2. Anschaulichkeit: Hier werden zum einenzweidimensionale Repräsentationen (z.B. ty-pische Charts, Fact Sheets, Organigramme)durch dreidimensionale Darstellungsformen(z.B. virtueller Rundgang durch das Unter-nehmen, Webcams, 3D-Visualisierung, z.B.

Abb. 1: Katastrophentraining mit virtueller Realität (OLIVE) [de Freitas 2008]

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Unisys 3D Blue Printing, www.unisys.de/pro-ducts/mainframes/3d__blueprinting.htm) er-setzt. Zum anderen kann die Anschaulichkeitdurch den Übergang von statischen Reprä-sentationen (z.B. Momentaufnahmen, Zeit-reihen) zu dynamischen Darstellungen (z.B.Computeranimationen der Entwicklungsdy-namik von Kennzahlen, Baufortschritt beiStandorten; zur Softwareunterstützung:http://animation.about.com/od/referencema-terials/a/freesoftware.htm) verbessert werden.

3. Lernmotivation: Auch motivationsseitig kanndie High-Tech-Repräsentation von Lernwel-ten mit bedeutenden Vorteilen gegenübernatürlichen und herkömmlichen künstlichenLernumgebungen aufwarten. Sie ermöglichtnämlich in besonderer Weise die Nutzungvon intrinsischer Motivation in Form vonspielerischem Lernen. Der Spaß am Spielenkann im Rahmen von Serious Games als Mo-tivator genutzt werden [Kirkley & Kirkley2005]. Das intrinsische Motivationspotenzialvon Lernprozessen in Lernumgebungen, diemithilfe von virtueller Realität repräsentiertwerden, lässt sich vor allem auf drei typischeEigenschaften von virtueller Realität zurück-führen: auf die bereits angesprocheneImmersion (durch Eintauchen in die virtuelleWelt und Erleben der Umgebung), auf Inter-aktion (durch den Austausch mit anderenLernenden) und auf Imagination (Förderungvon Vorstellungskraft der Lernenden) [Bur-dea & Coiffet 2003].

4. Bereitstellungsqualität: Reale Lernumgebun-gen sind bezüglich der Qualitätsaspekte Ser-vicegrad, Verfügbarkeit und Geschwindig-keit gegenüber virtuellen High-Tech-Lern-welten oftmals im Nachteil. MenschlichenTutoren, Trainern oder Referenten mangeltes nicht selten an Zeit und Geduld für denLerner. In virtuellen Welten kann ein VirtualInstructor [Doswell et al. 2008] eingesetztwerden, dessen Fachwissen von den Lernen-den immer bei gleichbleibend hohemServicegrad abgerufen werden kann, ohne

dass der Lehrende konditionellen Schwan-kungen unterliegt oder Unterschiede imUmgang mit einzelnen Lernenden bestehen(z.B. aufgrund von Sympathien). Ein VirtualInstructor steht überdies zu jeder Tages- undNachtzeit, an Wochenenden und Feiertagensowie über das ganze Jahr hinweg zur Verfü-gung und kann von mehreren Lernern paral-lel genutzt werden (Verfügbarkeit). Des Wei-teren steht ein Virtual Instructor sozusagenimmer »auf Abruf« bereit, sodass ohne jegli-che Zeitverzögerung (für mentales Umrüs-ten und Einarbeiten) auf Lerneinheiten zuge-griffen werden kann (Geschwindigkeit). Han-delt es sich beim Lehrenden jedoch um einenVideo Instructor – also um einen menschli-chen Trainer, der sich lediglich elektronischerKommunikationsmedien bedient –, dann istfür das Lernen einerseits eine vorhergehen-de Terminabsprache mit dem Trainer not-wendig. Andererseits besteht eine Bindungan Arbeits- und Urlaubszeiten. Außerdemmüssen bereits verplante Kapazitäten desVideo Instructor berücksichtigt werden.

2 Hybride Lernformen: Blended und Augmented Learning

2.1 Gestaltungslogik der HybridkonzepteBei der anwendungsorientierten Erfassung desEignungspotenzials von IT-enabelten Formendes eLearning und des Virtual Learning müssenneben deren Stärken auch einige Schwächenberücksichtigt werden. Schwächen des eLear-ning bestehen dabei einerseits in einer oftmalsanzutreffenden Reduzierung der Medienreich-haltigkeit auf wenige elektronische Medien(wie z.B. E-Mail, WBT), wodurch einige Lerner-gruppen eventuell nicht ausreichend miteinbe-zogen werden können. Wie erläutert, unter-stützt bzw. fordert eLearning grundsätzlich inhohem Maße selbst gesteuerte Lernprozesse,was den Lernenden somit eine bestimmte Ei-genmotivation – im Sinne von Teilnahme- undDurchhaltemotivation – abverlangt. Diese

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kommt allerdings dann nicht zustande, wennes den Lernenden bereits an einer generellenAkzeptanz gegenüber den immer noch »neu-en« elektronischen Lernformen mangelt. Damitverbunden ist ein weiteres Defizit des eLearningim Vergleich zum konventionellen Präsenz-lernen. Die Teilnahme an herkömmlichen Wei-terbildungen kann auch eine Incentive-Funkti-on erfüllen, weil Mitarbeiter die Reise zum Wei-terbildungsort außerhalb des Arbeitsplatzes alsextrinsischen Anreiz betrachten.

Auch das virtuelle Lernen in künstlichenHigh-Tech-basierten Umgebungen weist einigeSchwächen auf, hauptsächlich durch mangeln-de Realistik, teilweise auch durch begrenzteUmsetzbarkeit [Abawi 2007].

Vor dem Hintergrund dieser Stär-ken-Schwächen-Profile setzen sich in derPraxis zunehmend Personalentwicklungskon-zepte durch, die auf der Kombination von virtu-ellen und realen Lernumgebungen basieren.Dies gilt sowohl für die organisatorische Di-mension der Virtualität, wo sich Blended Lear-ning als die Mischung aus eLearning und Prä-senzlernen etabliert hat, als auch für die Reprä-sentationsvirtualität, wo die Mischung aus vir-tuellen High-Tech-Lernkonzepten und konventi-onellen Low-Tech- oder No-Tech-Lernkonzeptenunter der Bezeichnung Augmented Learning fir-miert. Da es sich bei diesen Kombinationsfor-men um eine Mischung von sehr gegensätzli-chen Komponenten handelt, ist hier – wie auchin anderen Bereichen des Managements (z.B.hybride Strategien, hybride Organisationsfor-men) – von »Hybridkonzepten« die Rede.

Es ist erforderlich, diese beiden Hybridkon-zepte für das Lernen konzeptionell und termi-nologisch voneinander klar abzugrenzen undsie nicht etwa pauschal als »gemischtes Ler-nen« zu behandeln. Die Eigenständigkeit derbeiden Virtualitätsdimensionen äußert sich un-ter anderem in einem potenziellen Konflikt zwi-schen diesen beiden Formen von Virtualität: Diesynchrone Anwesenheit mehrerer Teilnehmerin virtuellen Welten wie z.B. bei virtuellen Kon-

ferenzen, Meetings oder Virtual Classrooms er-höht zwar den Grad der Immersion und damitden Nutzen der Repräsentationsvirtualität, diesgeht jedoch insofern auf Kosten der organisato-rischen Virtualität, als dadurch der Nutzen derzeitlichen Virtualität, etwa die individuelle Sou-veränität bei der Bestimmung von Lernzeit-punkten, verringert wird.

2.2 Blended Learning Die systematische Nutzung von hybriden Medien-mixen findet z.B. im Marketing, im Change Ma-nagement oder in der internen Unternehmens-kommunikation [Reiss et al. 2006] statt. InQualifikationsprozessen kommt der Kombina-tion gegensätzlicher Medien dabei eine be-sondere Bedeutung zu, weshalb die hybrideMischung hier seit geraumer Zeit auch eineneigenen Namen trägt (z.B. [Reinmann-Roth-meier 2003]). In den letzten Jahren wurdenmehrere empirische Studien durchgeführt, mitdenen der Entwicklungsstand von und die Er-fahrungen mit Blended Learning und eLear-ning untersucht wurden. Aktuelle Erhebungenbeziehen sich dabei sowohl auf den (ursprüng-lichen) Anwendungsbereich der betrieblichenWeiterbildung (z.B. [BiBB 2007], [MMB 2008])als auch auf die Hochschullehre (z.B. [BlendedLearning@University 2008], [Kleimann et al.2008]). Die Ergebnisse der Studien deuten da-bei auf zwei generelle Entwicklungstrends hin:Einerseits ist der kombinierte Einsatz voneLearning und Präsenzlernen mittlerweile alsStandard zu betrachten, andererseits fehlt esoft noch an einer systematischen Kopplung dergegensätzlichen Lernformen, die den Hybrid-charakter von Blended Learning zur Steigerungder Performance gezielt nutzt [Steffens & Reiss2009].

Grundsätzlich lässt sich die Performancehybrider Lernkonzepte wie z.B. Blended Lear-ning derivativ anhand der Kombinationen vonStärken und Schwächen der originären Lern-konzepte (bei Blended Learning also eLearningund Präsenzlernen) bewerten. Das hierfür ein-

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gesetzte Evaluationsschema (vgl. Abb. 2) orien-tiert sich an dem Anspruch der Praxisorientie-rung, ohne jedoch die Komplexität von Hybrid-konzepten zu vernachlässigen. Einerseits gehtes über eine einfache Argumentenbilanz hin-aus, indem auch Wechselwirkungen zwischenden Komponenten berücksichtigt werden. An-dererseits trägt es aber auch den Messproble-men einer quantitativen Evaluation derLern-Performance dadurch Rechnung, dass kei-ne quantitative Erfassung über Kennzahlen(wie bei Nutzwertanalysen oder BalancedScorecards), sondern nur eine qualitative Be-wertung vorgenommen wird. Als Vorteile bzw.Stärken des Hybridkonzepts ergeben sich derStärken-Schwächen-Ausgleich (Kompensationvon Schwächen eines Konzeptes durch die Stär-ken des anderen) sowie die Stärkenbündelung(Synergieeffekte). Gleichzeitig ist jedoch zu be-achten, dass bei solchen Kombinationen gegen-sätzlicher Elemente auch unerwünschte Effekteauftreten können. Zu diesen Nachteilen bzw.Schwachstellen zählen Konflikte infolge von In-kompatibilitäten sowie die Schwächenbünde-

lung (»Chaos«) bei grundsätzlicher Unverträg-lichkeit.

Ein Kompensationseffekt beim Blended Lear-ning besteht z.B. darin, dass durch eine partielleSubstitution von Seminarlernen oder Work-shops durch orts- und zeitunabhängige eLear-ning-Formen die Personal- und Reisekosten, diebei den Präsenzlernkomponenten anfallen, teil-weise eingespart werden können. Darüber hin-aus sind es vor allem die Opportunitätskosten(durch den Arbeitsausfall), die für die Kosten-ineffizienzen des Präsenzlernens verantwort-lich sind. Diese könen z.B. durch eine webbasier-te Vor- und Nachbereitung von Seminarveran-staltungen und die damit einhergehendeVerringerung der Präsenzzeit deutlich gesenktwerden. Ein Synergieeffekt besteht vor allemaufseiten der didaktischen Effektivität desMischkonzepts. Die Individualisierung deseLearning, die auf viele Lernende (aufgrund dergrößeren Freiheit und Autonomie im Lernpro-zess) eine motivationssteigernde Wirkung aus-übt, stellt umgekehrt für andere Lernende, de-nen es schwer fällt, sich selbst zu motivieren

-

Learning

Präsenzlernen

+

--

+

+

-+

KONFLIKT

KONFLIKT

CHAOS

KOMPENSATION

KOMPENSATION

SYNERGIE

STÄRKEN

ReichweiteIndividualisierungKosteneffizienz Konstruktivistisches Lernen Konnektivistisches Lernen

SCHWÄCHEN

Geringe Reichhaltigkeit AkzeptanzbarrierenIsolationsgefahrMotivationsdefizite

MotivationIncentive-CharakterSoziale Motive Geringe Akzeptanzbarrieren

SCHWÄCHEN

PersonalkostenReisekostenOpportunitätskostenGeringe Individualisierung Instruktionsorientiert

STÄRKEN

Abb. 2: Stärken-Schwächen-Evaluation des Blended Learning

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und zu disziplinieren, eine Barriere dar. Durchdie Kombination von eLearning mit gruppen-basiertem Präsenzlernen, das auf direkter, per-sönlicher Interaktion beruht, können auch hete-rogene Lernergruppen motiviert werden, so-dass sich die motivationalen Einzelwirkungenzu einem superadditiven Gesamtmotivations-effekt verbinden. Die Gefahr einer Schwächen-bündelung beim Blended Learning entsteht z.B.durch Menükopplung, bei der sich die Lernen-den ihre Präsenz- und eLearning-Einheiten auseinem Parallelangebot nach ihren eigenen Prä-ferenzen frei zusammenstellen können, wasmöglicherweise vorgegebene Personalentwick-lungsbudgets sprengt, weil hier identische In-halte sowohl in Form von Präsenzangeboten alsauch in elektronischer Form vorgehalten wer-den müssen.

2.3 Augmented Learning Analog zum Übergang vom eLearning zumBlended Learning ist auch eine Kombinationaus natürlichen und artifiziellen High-Tech-Lernwelten aufgrund der erzielbaren Stärken-kopplung und des Schwächenausgleichs vor-zugswürdig. Für diese Mischung bürgert sichdie Bezeichnung Augmented Learning [Kondo2006; Klopfer 2008] ein, die sich an den Termi-nus Augmented Reality anlehnt. Augmented

Reality stellt eine mittlere Ausprägung imVirtuality Continuum dar [Milgram & Kishino1994]. Dabei handelt es sich um ein Spektrumvon real-virtuell gemischten Welten (Mixed Re-ality). Als Vorbilder für Augmented-Lear-ning-Konzepte dienen Anwendungen von Aug-mented Reality bzw. Mixed Reality außerhalbdes Bereichs Lernen. Frühe Anwendungen vonAugmented Reality in der Lerndomäne findensich z.B. in der Medizin, der Pilotenausbildung(Flugsimulatoren, Head-up-Displays) und imTraining von komplexen Reparatur- und War-tungsprozessen (vgl. Abb. 3). Dabei dienen allediese Anwendungen dem Erwerb und dem Aus-bau fachlicher Skills.

Im Folgenden soll das Potenzial von Aug-mented-Learning-Konzepten anhand ausge-wählter Modelle mit unterschiedlichen Imple-mentierungsgraden vorgestellt werden, wobeidie für die Personalentwicklung immer wichti-ger werdenden methodischen und sozialenKompetenzen im Fokus stehen.

Augmented Learning mit Mobile Educational GamesEin dediziertes Augmented-Learning-Konzeptrepräsentieren die am MIT entwickelten MobileEducational Games [Klopfer 2008], die sich inzweierlei Hinsicht das Potenzial hybrider Lern-

Abb. 3: Training fachlicher Skills mit Augmented Reality (www.upsidelearning.com/blog/?p=614)

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umgebungen zunutze machen. Zum einen han-delt es sich hierbei um gemischte real-virtuelleLernwelten unter Nutzung von High-Tech-Repräsentationen (Augmented Reality), zumanderen wird mit dem Konzept der EducationalGames eine hybride Kombination aus Lernenund Spielen (Edutainment) eingesetzt. Die so-genannten Participatory Simulations sind Spie-le, die von den Lernenden in einem Klassen-raum miteinander und gegeneinander gespieltwerden. Der Aspekt real-virtueller Mischungenbesteht dabei in der präsenzbasierten Interakti-on der Spieler, die sich in einem Raum befindenund daher ihre Kooperations- und Spielstrate-gien in direkter Face-to-Face-Interaktion ab-stimmen können, um sie dann in eine virtuelleSimulation einzuspeisen.

Interkulturelle Kompetenzen: Contrast-Culture-Methodik mit Augmented Reality Zur Vorbereitung von Auslandsentsendungen,zunehmend aber auch für die Zusammenarbeitin interkulturell zusammengesetzten Teams, istdie Entwicklung von interkulturellen Kompe-tenzen ein wichtiger Erfolgsfaktor. Eine auf Rol-lenspielen basierende Methode zur Entwick-lung solcher Kompetenzen ist die sogenannteContrast-Culture-Methodik [IFIM 2008]. MitAugmented Reality kann der »instruierteActor«, der in natürlichen Rollenspielen idealer-weise aus einem Angehörigen der jeweiligen»Kontrast-Kultur« besteht, als Avatar realisiertwerden. Dabei lässt sich ein Avatar so program-mieren, dass er diese Verhaltensarchetypen ver-innerlicht und als Kulturvertreter in spezifi-schen Standardsituationen (z.B. Smalltalk, Ken-nenlernen, Diskussionsverhalten) bzw. beiCritical Incidents agieren kann. Die Realisierungdes Actor als Avatar bietet spezifische Vorteilegegenüber natürlichen Darstellern in interkul-turellen Rollenspielen: einerseits Kostendegres-sionseffekte bei steigender Lernerzahl sowieandererseits die bessere – konstante und zeit-

gleich für mehrere Lerner bestehende – Verfüg-barkeit des Avatars. Ferner ermöglicht Augmen-ted Reality nicht nur die Repräsentation von Per-sonen als Kulturvertreter auf effizientere Weise,es können auch andere Aspekte der Kultur-umgebung (Büroarchitektur, Arbeitsplätze, Ar-beitszeitmuster wie z.B. Siesta) multimedialdargestellt werden.

»Reality« Training mit Augmented LearningDas sogenannte Reality Training (www.reali-tytraining.de) stellt ein Trainingskonzept dar, mitdem das Arbeiten in einem Unternehmen simu-liert wird, um so ganzheitlich ein authentischesAbbild der Realität zu schaffen und die Lernen-den in diese Realität eintauchen zu lassen, an-statt einzelne Aspekte der täglichen Arbeit iso-liert zu erlernen und zu üben. Dabei werden dieArbeitsumgebung und die Arbeitsmittel (Büros,Computer etc.) real aufgebaut, andere Akteure(Chefs, Kollegen, Kunden, Lieferanten etc.) wer-den von Schauspielern dargestellt. Es handeltbei dieser konventionellen Form des Reality Trai-ning also im Kern um eine künstlicheLow-Tech-Lernumgebung, deren Umsetzungmit hohen Kosten verbunden ist, einerseits fürdie physische Modellierung einer Arbeitsumge-bung, andererseits aber vor allem in Form vonReisekosten der Lerner, Personalkosten für dieSchauspieler sowie Opportunitätskosten beimehrtätigen Trainings.

Bei einer Umsetzung von Reality Trainingmit Augmented Learning würden die Lernen-den als physische Personen in einer künstlichen(elektronisch simulierten) Arbeitsumgebungnicht mehr (nur) mit menschlichen Schauspie-lern interagieren, sondern vor allem mit Avata-ren, die – ähnlich wie bei der Contrast-Culture-Methodik – unterschiedliche Rollen im alltägli-chen Arbeitsumfeld repräsentieren. Dabei kanndie Lernumgebung so gestaltet sein, dass nurein Lerner mit Avataren interagiert, aber auchso, dass sich mehrere Lernende in derselben(virtuellen) Lernumgebung befinden und so-

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wohl mit anderen physischen Personen als auchmit künstlichen Avataren interagieren. Vorteileeiner Augmented-Reality-Umsetzung des Reali-ty Training sind dabei zum einen die weitausbessere Kosteneffizienz durch Kostendegres-sionseffekte, zum anderen aber wäre die virtuel-le Lernumgebung auch sehr viel adaptiver alsdie natürliche, indem sie leicht mit einem ande-ren Design versehen oder in einen anderen Kul-turkreis transferiert werden kann, während einenatürliche Lernumgebung örtlich gebunden istund physische Objekte wie Möbel, Büroausstat-tung oder neue Maschinen und Anlagen nichtohne Weiteres ersetzt werden können.

Performance von Augmented LearningWie beim Blended Learning liefert eine Evalua-tion anhand der kombinierten Stärken undSchwächen der beiden originären Lernformenein ausgewogenes Eignungsbild des Augmen-ted Learning (vgl. Abb. 4). Ein Kompensations-effekt entsteht durch die Anreicherung von rein

virtuellem Lernen mit realen Elementen. Da-durch wird der Bezug der Lernerfahrung zur ei-genen Arbeitswelt erhöht, das Lernen wird be-züglich der sozialen Motive (z.B. Wir-Gefühl, Ver-trauen, Anerkennung durch Kollegen undVorgesetzte) motivierender, z.B. durch Einbin-dung real existierender Personen in eine Projekt-managementsimulation (etwa in Simultrain,www.sts.ch/g/simultrain_g.htm). Ein Synergieef-fekt lässt sich durch die Kombination der hohenGestaltbarkeit von Virtual Learning mit der Rea-listik des Real World Learning erreichen. Auf die-se Weise können – im Rahmen von situiertemLernen – z.B. gezielt Soft Skills erlernt und trai-niert werden, weil die Lernumgebung hochgra-dig gestaltbar ist. So kann die Situation (z.B. derinterkulturelle Kontext) bewusst auf die Lernzie-le ausgerichtet werden, etwa durch kontrollierteExperimente, in denen nur eine Variable verän-dert wird, was bei natürlicher Repräsentationder Lernumgebung aufgrund der »Störfaktoren«in einer realen Umgebung meist nicht oder nur

-

Virtual WorldLearning

Real WorldLearning

+

--

+

+

-+

KONFLIKT

KONFLIKT

CHAOS

KOMPENSATION

KOMPENSATION

SYNERGIE

STÄRKENGestaltbarkeitAnschaulichkeitLernmotivationBereitstellungsqualitätSituiertes Lernen

SCHWÄCHENFehlende Realistik(technische) UmsetzbarkeitVorstellungskraft alsBarriereErstellungskostenImplementierungskosten

RealistikSoziale MotiveGeringeAkzeptanzbarrieren

SCHWÄCHEN

PersonalkostenReisekostenOpportunitätskostenInstruktionsorientiert

STÄRKEN

Abb. 4: Stärken-Schwächen-Evaluation des Augmented Learning

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unter sehr großem Aufwand möglich ist. Die Ge-fahr einer Schwächenkopplung besteht vor allemim Bereich der Kosteneffizienz, weil sowohl RealWorld Learning als auch Virtual Learning jeweilshohe Investitionsvolumina erfordern, wennauch bei jeweils anderen Kostenarten. Werdendie realen Elemente im Augmented Learningpersonalintensiv realisiert (z.B. durch viele realeMitspieler, Tutoren, Instruktoren), bleibt das ty-pische Problem der hohen Personalkosten desReal World Learning bestehen. Noch negativerwirkt sich eine mangelnde Content-Kompatibili-tät aus, etwa wenn es an der eindeutigen Kor-respondenz von realen Personen und ihren vir-tuellen Pendants mangelt.

3 Potenzial einer Kombination von Blended Learning und Augmented Learning

Wie dargelegt, haben die hybriden Lernkonzep-te des Blended und des Augmented Learningselbst Schwachstellen. Vor diesem Hintergrundist zu prüfen, ob diese Schwachstellen durcheine Kombination der beiden Hybridkonzeptezu einem Hybrid 2. Ordnung – Augmented BlendedLearning – behoben oder zumindest verringertwerden können. Ein Augmented-Blended-Lear-ning-Konzept nutzt also sowohl institutionelle,zeitliche und örtliche Distanz-Nähe-Kombinati-onen als auch kombinierte reale und künstlicheRepräsentation, d.h., es vereint hybride Mi-schungen auf beiden Dimensionen innerhalbeines Lernsystems. Konkret bedeutet dies, dassz.B. in einem mit Augmented-Reality-Technolo-gie realisierten Rollenspiel zum einen künstli-che und reale Spieler miteinander interagieren,dieses Spiel ferner sowohl asynchron und vonglobal verteilt positionierten physischen Spie-lern aus unterschiedlichen Organisationen ge-spielt werden kann, aber auch (z.B. in einem Se-minarraum) gemeinsam und gleichzeitig mitanderen realen Akteuren (z.B. mit Kollegen)stattfinden kann. Hybride 2. Ordnung erfordernnicht nur eine Kombination, sondern zusätzli-

che Integrationsarbeit: Im Zusammenhang mitden IT-Komponenten des Augmented BlendedLearning ist zu beachten, dass unterschiedlicheKategorien von Anwendungssoftware zur An-wendung gelangen, etwa Web-2.0-Technologi-en und VR-Technologien, die zu harmonisierensind. Auch die Akteurskonfigurationen sindnicht von vornherein identisch, sondern müs-sen erst aufeinander abgestimmt werden: EinVirtual Instructor beispielsweise benötigt in derRegel ein natürliches Pendant und umgekehrt.

Zur Ermittlung des Performance-Potenzialseiner Hybridkombination 2. Ordnung sind diedargelegten Stärken-Schwächen-Profile derbeiden Mischkonzepte »Blended Learning«(Abb. 2) und »Augmented Learning« (Abb. 4) zukombinieren. Ein spezifischer Kompensationsef-fekt bei einem Hybridkonzept 2. Ordnung kannhinsichtlich der Lernmotivation erzielt werden.eLearning und Blended Learning erfordern eine(oft nicht vorhandene) starke intrinsische Moti-vation, vor allem für die notwendige Selbststeu-erung der Lernprozesse. Augmented-Lear-ning-Anwendungen erlauben es durch einenEdutainment-Ansatz, die Stärken von (aus derFreizeit bekannten) Computer- und Konsolen-spielen auch für Personalentwicklung undHochschullernen zu nutzen, indem z.B. Rollen-spiele als real-virtuell-gemischte Konzepte dieVorteile von Spielen (intrinsische Motivation,Spaß) mit einem realistischen Anwendungs-kontext verbinden. Ein Synergieeffekt lässt sichbei der Überwindung des Spannungsfelds zwi-schen Reichweite und Reichhaltigkeit erzeugen.Hier sorgt bereits Blended Learning für eine Re-duzierung des Konflikts, indem einerseits dieReichweite durch organisatorische Virtualität(asynchrones, ortsunabhängiges und organisa-tionsübergreifendes Lernen) erhöht, anderer-seits durch die Mischung mit Präsenzlernenauch eine höhere Medienreichhaltigkeit ge-währleistet wird. Die mediale Reichhaltigkeitlässt sich durch den hohen Grad der Gestaltbar-keit von Augmented Learning (vgl. Abschnitt 1.2)noch weiter verbessern.

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Ein weiterer synergetischer Effekt der Kopp-lung von Blended und Augmented Learning re-sultiert aus der Verbindung der beiden Stärken»organisatorische Reichweite« (durch BlendedLearning) und »Bereitstellungsqualität« (durchAugmented Learning). Im oben vorgestelltenBeispiel des Reality Training mit AugmentedLearning stehen die virtuell repräsentierten Ar-beitsumgebungen mit einem höheren Service-grad, im 24/7-Modus und in der Regel auch miteiner höheren Geschwindigkeit zur Verfügung,als dies bei realen Umgebungen der Fall ist.Auch die Kombination einer spezifischen Kom-ponente der organisatorischen Virtualität –nämlich räumliche Verteiltheit – mit der hohenGestaltbarkeit von Augmented Learning er-zeugt Synergie. Die Portabilität von Handheldsermöglicht beispielsweise die räumliche Ent-kopplung der Lerner.

Konflikte im Gefolge hybrider Mischungen2. Ordnung ergeben sich einerseits, wenn esnicht gelingt, die beiden Softwareinfrastruktu-ren (für eLearning und Virtual Learning) kompa-tibel zu integrieren. Aufgrund der Neuartigkeitvon Augmented-Learning-Konzepten muss da-von ausgegangen werden, dass noch keine inte-grierte Software für eLearning und Virtual Lear-ning existiert, sondern Medienbrüche auftreten.Ein solcher Konflikt kann auch durch nicht tech-nische Inkompatibilitäten zwischen den beidengemischten Lernumgebungen induziert werden,z.B. wenn bei Präsenzmeetings nicht dieselbenPersonen versammelt sind, die auch in der virtu-ellen Lernumgebung (z.B. als Avatare in Rollen-spielen) auftreten. Eine Schwächenbündelung er-gibt sich z.B. dann, wenn einseitig konservativeMedienpräferenzen vorhanden sind, wenn alsoeine Aversion sowohl gegenüber eLearning (z.B.gegen vom Lernenden zu steuerndes WBT) alsauch gegenüber Virtual Learning (z.B. gegenübervirtuellen Rollenspielen) besteht.

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Prof. Dr. Michael ReissDirk Steffens M.A.Universität StuttgartLehrstuhl für Allgemeine Betriebs-wirtschaftslehre und OrganisationKeplerstr. 1770174 Stuttgart{michael.reiss, dirk.steffens}@bwi.uni-stuttgart.dewww.bwi.uni-stuttgart.de/lfo