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INDUSTRIE & MÄRKTE 9 AUGUST 2011 WirtschaftsKurier VON DR. STEFAN SÖHN* I n der jüngeren Vergangenheit ver- geht kaum ein Monat, in dem nicht neue Rekorde und Spitzenergeb- nisse aus China gemeldet werden: China ist Exportweltmeister geworden, China hat die USA als größten Auto- mobilmarkt abgelöst, China hat die größten Devisenreserven der Welt, das Land strotzt seit Jahren mit der höchs- ten Wachstumsrate des Bruttoinlands- produkts (BIP), China hat mittlerweile das am weitesten ausgebaute Hochge- schwindigkeits-Schienennetz der Welt. Leider haben diese Erfolge auch eine Kehrseite; die Dynamik der wirtschaft- lichen Entwicklung brachte es nahezu zwangsläufig mit sich, dass der Schutz der natürlichen Ressourcen und der Umwelt auf der Strecke blieben: Zwar hatte bereits der letzte Fünf-Jahres- Plan anspruchsvolle Umweltschutz- Ziele formuliert, die auch weitgehend erreicht worden sind. Diese Erfolge verdecken jedoch den Umstand, dass die Ziele fast alle relativ formuliert wa- ren, in absoluten Dimensionen aber leider nach wie vor von Rekord zu Re- kord eilten. China hatte im Jahr 2010 den höchsten Energieverbrauch welt- weit und verbuchte damit 20 % des globalen Energiebedarfs für sich; in den ersten vier Monaten des Jahres 2011 ist der Energieverbrauch um wei- tere 12,4 % angestiegen. 91,3 % des Pri- märenergiebedarfs wird durch fossile Energieträger gedeckt. Vor diesem Hin- tergrund ist es nicht überraschend, dass der chinesische Delegierte am Rande der letzten Klimakonferenz in Cancún im Dezember 2010 bekennen musste, dass sein Land mittlerweile auch der größte CO 2 -Emittent der Welt ist; nach Angaben der Weltbank liegen 16 der 20 Städte mit der schlechtesten Luft weltweit in China. Auch mit der Wasserqualität ist es in weiten Berei- chen Chinas sehr schlecht bestellt. Die gesamte umweltrelevante private und kommunale Infrastruktur hat sowohl quantitativ als auch qualitativ erheb- lichen Nachrüstungsbedarf. Doch China wäre nicht China, wie wir es heute erleben, wenn es die Miss- stände in vielen Bereichen nicht auch als Chance verstehen würde; nicht nur politisch steht das Thema mittlerweile ganz oben auf der Agenda – das Land sieht auch die ökonomischen Chan- cen, Umweltthemen zu besetzen und sich an die Spitze des Fortschritts zu stellen. Dazu gehörte als Erstes die Be- reitschaft, sich die Umweltprobleme auch einzugestehen: Eine offene Be- standsaufnahme findet mittlerweile jährlich im „Report on the State oft the Environment in China“ statt, der auf der Website des Umweltschutzministe- riums abrufbar ist. Ausbau zur umweltfreundlichen Gesellschaft Der zwölfte Fünf-Jahres-Plan postuliert das Ziel eines beschleunigten Ausbaus einer ressourcenschonenden und um- weltfreundlichen Gesellschaft, und zwar sehr konkret: Die Energieintensi- tät – also die Energiemenge, die benö- tigt wird, um einen Wert zu schaffen, der einem Yuan entspricht – soll um 16 % verringert werden. Der Anteil nichtfossiler Brennstoffe soll bis 2015 von 8,3 % auf 11,4 % gesteigert werden. Die CO 2 -Emissionen sollen „als Beitrag zur Bekämpfung des Klimawandels“ um 17 %, die Schwefeldioxid-Emissio- nen um 8 % je BIP-Einheit vermindert werden. Der Gesamtenergieverbrauch wird bis 2015 auf 4 Mrd. Tonnen Kohle- äquivalente begrenzt, was einem jähr- lichen Anstieg von „nur“ 4,24 % ent- spricht. Schließlich sollen der Waldbe- stand um 600 Mio. Kubikmeter aufge- forstet werden und bis 2015 einen An- teil der chinesischen Landmasse von 21,66 % bedecken; der Wasserver- brauch, bezogen auf das BIP, soll um 30 % gesenkt werden. Dies alles soll vor dem Hintergrund einer weiter über- durchschnittlich wachsenden Volks- wirtschaft bewerkstelligt werden. Eine große Rolle spielen dabei na- türlich die Anstrengungen auf dem Feld erneuerbarer Energien, die nun auch als sogenannte Encouraged De- velopments gelten. Hier hat China be- reits heute in einigen Bereichen die Nase vorn: Westliche Automobilher- steller bemühen sich um eine Koope- ration mit dem chinesischen Batterie- und Automobilhersteller Build Your Dreams (BYD), der als führender Play- er im Bereich der Elektromobilität gilt; dies ist das Ergebnis einer mit 3,3 Mrd. Euro äußerst großzügig bemessenen staatlichen Förderkulisse für die Ent- wicklung und Produktion von Elektro- fahrzeugen. Eine noch rasantere Entwicklung ist in der Windkraftindustrie zu beobach- ten; allein im Jahr 2010 wurden in Chi- na fast die Hälfte aller weltweit ange- schlossenen Anlagen mit einer Ge- samtleistung von 18,9 Gigawatt instal- liert, drei der sechs weltgrößten Wind- energie-Anlagenhersteller kommen aus China. Entsprechend robust ist ihre Stellung in ihrem Heimatmarkt; der Marktanteil ausländischer Hersteller liegt noch unter 10 %. Deutsche Unter- nehmen wie Enercon oder Siemens, die im Juni ein erstes großes Off-Shore- Projekt in China gewinnen konnte, sowie Repower und Nordex hoffen darauf, dass ihnen die erst kürzlich zumindest formal hergestellte Gleich- behandlung bei innerchinesischen Ausschreibungen mehr Geschäft in die Bücher weht. Ähnlich erfolgreich entwickelte sich Chinas Photovoltaik-Industrie unter dem Golden-Sunlight-Programm, das die heimische Industrie mit Subventio- nen unterstützt und den deutschen Wettbewerbern die Pole-Position ent- rissen hat. Auf der globalen Top-Ten- Liste stehen mittlerweile vier chinesi- sche Unternehmen, unter anderem die Firma Suntech, die voraussichtlich in diesem Jahr den bisherigen Primus First Solar aus den USA ablösen wird. Und was passiert mit der Kernener- gie? Atomkraft läuft in China auch un- ter der Überschrift „Green Technolo- gy“, allerdings hat Fukushima zu mehr Nachdenklichkeit und zu einer Über- prüfung aller bestehenden und im Bau befindlichen Reaktoren geführt. Es bleibt aber bei der grundsätzlichen Planung, die Stromerzeugung in bisher 14 Atomkraftwerken (entspricht 1,5 % des Strombedarfs) ganz erheblich hochzufahren: Bis 2020 sollen annä- hernd 100 Kraftwerke, von denen sich 28 derzeit bereits im Bau befinden, ei- nen Beitrag zur Deckung des Energie- bedarfs leisten. Zu bedauern ist aus deutscher Sicht, dass infolge der Kehrt- wende in der Atompolitik nun auch unsere Technologie ins Abseits gerät. Chinesisch-amerikanische Kooperati- onen auf diesem Gebiet gibt es bereits und unsere französischen Nachbarn werden sich ebenfalls klammheimlich freuen. Was bleibt für eher mittelständische Firmen? Es stehen in den nächsten Jahren gigantische Investitionen in Umwelttechnologie und Umweltinfra- struktur an. Schwerpunktbereiche sind die Wasseraufbereitung (Filtertechnik, Bio-Wasseraufbereitung, Separations- und Desinfektionstechnologien, Meer- wasserentsalzung, Klärschlammaufbe- reitung und Wasserrückgewinnung), die Luftreinhaltung (Katalysator- und Filtertechnik, VOC-Luftreinigungs- technik), die Abfallentsorgung (Müll- verbrennung, Kompostierung, Sortie- rung, Elektromüllentsorgung und -re- cycling) sowie das Umweltmonitoring (Sensorik, Messtechnik). Ein sehr wei- tes Feld bietet auch der Bereich des energieeffizienten und nachhaltigen Bauens, auf dem sich unter anderem die Fraunhofer-Gesellschaft mit ihrem Institut für Bauphysik engagiert. Der gesamte Investitionsbedarf in diese Segmente wird auf rund 333 Mrd. Euro innerhalb des laufenden Fünf-Jahres- Plans geschätzt. Der Umweltindustrie wird ein jährliches Wachstum von 15 % bis 20 % vorausgesagt; der Anteil dieser Branche am Bruttosozialprodukt Chi- nas wird auf 540 Mrd. Euro geschätzt und erreicht damit 10 % des nationalen BIPs. Für die deutsche Industrie gibt es eine Vielzahl von Möglichkeiten, sich im chinesischen Markt zu präsentieren und an der stürmischen Entwicklung teilzuhaben. So finden im Jahr 2011 noch zahlreiche Messe- und Kongress- veranstaltungen mit internationaler Beteiligung in China statt, unter ande- rem die 12th China Water Supply, Drai- nage and Water Treatment Show 2011 in Peking, die 2nd All China Internatio- nal Electrical Vehicle Industry Confe- rence & Trade Fair im November in Nanjing und nicht zu vergessen im De- zember die Intersolar China 2011, ebenfalls in Peking. Zum Teil werden diese Veranstaltungen vom Bund be- ziehungsweise von den Ländern finan- ziell unterstützt. So sollten bayerische Unternehmen schon einmal vormer- ken, dass der Freistaat 2012 wieder die Teilnahme an der China International Environmental Protection Fair in Da- lian bezuschusst. In China gibt es auf der Ebene der Provinzen und Kom- munen ebenfalls eine Menge finanzieller Anreize auch für ausländische Unternehmen, die umso großzügi- ger ausfallen, je interessanter und wichtiger das ansiedlungs- willige Unternehmen für das Land ist. Der Freistaat, der im Übrigen auch mit einem hoch kompe- tenten Umweltcluster punkten kann, begrüßt über seine Organi- sation Invest in Bavaria selbst- redend auch chinesische Investitio- nen in Bayern. Das im vergangenen Jahr erneuerte strategi- sche Partnerschaftsab- kommen zwischen Bay- ern und der Provinz Shan- dong weist den Weg: Darin erklären beide Länder, „einen verstärkten Fokus in der Zu- sammenarbeit und im Erfahrungsaus- tausch auf die Bereiche Umwelt, Res- sourcenschutz, Energie und energieef- fizientes Bauen“ zu legen. Außerdem erklärt sich Bayern bereit, beim Aufbau eines ökologischen Industrieparks in der schönen Hafenstadt Qingdao be- hilflich zu sein, dessen „Vermarktung“ kürzlich begonnen hat. Ähnliche Akti- vitäten gibt es auch in vielen anderen Bundesländern. *Dr. Stefan Söhn ist Leiter des China-Desk der Kanzlei Sonntag & Partner, Augsburg/München sowie Partner der MBL China Consulting Co. Ltd., Beijing/Berlin Anzeige „China wäre nicht China, wenn es die Missstände in vielen Bereichen nicht auch als Chance sehen würde.“ „Der Umweltindustrie wird ein jährliches Wachstum von 15 % bis 20 % vorausgesagt.“ Dr. Stefan Söhn ist Leiter des China- Desk der Kanzlei Sonntag & Partner. „Deutsche Industrie für Umwelttechnik hat welt- weit einen exzellenten Ruf.“ Chinas grünes Wachstum Chancen | Der ökologische Kurs der Volksrepublik bietet Perspektiven für deutsche Firmen

August Wirtschaftskurier 2011 IndustrIe & Märkte Chinas grünes …sic-chinadesk.com/Soehn_Industrial_Consulting/... · 2011. 10. 28. · zumindest formal hergestellte Gleich-behandlung

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Page 1: August Wirtschaftskurier 2011 IndustrIe & Märkte Chinas grünes …sic-chinadesk.com/Soehn_Industrial_Consulting/... · 2011. 10. 28. · zumindest formal hergestellte Gleich-behandlung

IndustrIe & Märkte 9August 2011Wirtschaftskurier

von Dr. Stefan Söhn*

In der jüngeren Vergangenheit ver-geht kaum ein Monat, in dem nicht neue Rekorde und Spitzenergeb-

nisse aus China gemeldet werden: China ist Exportweltmeister geworden, China hat die USA als größten Auto-mobilmarkt abgelöst, China hat die größten Devisenreserven der Welt, das Land strotzt seit Jahren mit der höchs-ten Wachstumsrate des Bruttoinlands-produkts (BIP), China hat mittlerweile das am weitesten ausgebaute Hochge-schwindigkeits-Schienennetz der Welt.

Leider haben diese Erfolge auch eine Kehrseite; die Dynamik der wirtschaft-lichen Entwicklung brachte es nahezu zwangsläufig mit sich, dass der Schutz der natürlichen Ressourcen und der Umwelt auf der Strecke blieben: Zwar hatte bereits der letzte Fünf-Jahres-Plan anspruchsvolle Umweltschutz-Ziele formuliert, die auch weitgehend erreicht worden sind. Diese Erfolge verdecken jedoch den Umstand, dass die Ziele fast alle relativ formuliert wa-ren, in absoluten Dimensionen aber leider nach wie vor von Rekord zu Re-kord eilten. China hatte im Jahr 2010 den höchsten Energieverbrauch welt-weit und verbuchte damit 20 % des globalen Energiebedarfs für sich; in den ersten vier Monaten des Jahres 2011 ist der Energieverbrauch um wei-tere 12,4 % angestiegen. 91,3 % des Pri-märenergiebedarfs wird durch fossile Energieträger gedeckt. Vor diesem Hin-tergrund ist es nicht überraschend, dass der chinesische Delegierte am Rande der letzten Klimakonferenz in Cancún im Dezember 2010 bekennen musste, dass sein Land mittlerweile auch der größte CO

2-Emittent der Welt

ist; nach Angaben der Weltbank liegen 16 der 20 Städte mit der schlechtesten Luft weltweit in China. Auch mit der Wasserqualität ist es in weiten Berei-chen Chinas sehr schlecht bestellt. Die gesamte umweltrelevante private und

kommunale Infrastruktur hat sowohl quantitativ als auch qualitativ erheb-lichen Nachrüstungsbedarf.

Doch China wäre nicht China, wie wir es heute erleben, wenn es die Miss-stände in vielen Bereichen nicht auch als Chance verstehen würde; nicht nur politisch steht das Thema mittlerweile ganz oben auf der Agenda – das Land sieht auch die ökonomischen Chan-cen, Umweltthemen zu besetzen und sich an die Spitze des Fortschritts zu stellen. Dazu gehörte als Erstes die Be-reitschaft, sich die Umweltprobleme auch einzugestehen: Eine offene Be-standsaufnahme findet mittlerweile jährlich im „Report on the State oft the Environment in China“ statt, der auf der Website des Umweltschutzministe-riums abrufbar ist.

Ausbau zur umweltfreundlichen Gesellschaft

Der zwölfte Fünf-Jahres-Plan postuliert das Ziel eines beschleunigten Ausbaus einer ressourcenschonenden und um-weltfreundlichen Gesellschaft, und zwar sehr konkret: Die Energieintensi-tät – also die Energiemenge, die benö-tigt wird, um einen Wert zu schaffen, der einem Yuan entspricht – soll um 16 % verringert werden. Der Anteil nichtfossiler Brennstoffe soll bis 2015 von 8,3 % auf 11,4 % gesteigert werden. Die CO

2-Emissionen sollen „als Beitrag

zur Bekämpfung des Klimawandels“ um 17 %, die Schwefeldioxid-Emissio-nen um 8 % je BIP-Einheit vermindert werden. Der Gesamtenergieverbrauch wird bis 2015 auf 4 Mrd. Tonnen Kohle-äquivalente begrenzt, was einem jähr-

lichen Anstieg von „nur“ 4,24 % ent-spricht. Schließlich sollen der Waldbe-stand um 600 Mio. Kubikmeter aufge-forstet werden und bis 2015 einen An-teil der chinesischen Landmasse von 21,66 % bedecken; der Wasserver-brauch, bezogen auf das BIP, soll um 30 % gesenkt werden. Dies alles soll vor dem Hintergrund einer weiter über-durchschnittlich wachsenden Volks-wirtschaft bewerkstelligt werden.

Eine große Rolle spielen dabei na-türlich die Anstrengungen auf dem

Feld erneuerbarer Energien, die nun auch als sogenannte Encouraged De-velopments gelten. Hier hat China be-reits heute in einigen Bereichen die Nase vorn: Westliche Automobilher-steller bemühen sich um eine Koope-ration mit dem chinesischen Batterie- und Automobilhersteller Build Your Dreams (BYD), der als führender Play-er im Bereich der Elektromobilität gilt; dies ist das Er gebnis einer mit 3,3 Mrd. Euro äußerst großzügig bemessenen staatlichen Förderkulisse für die Ent-wicklung und Produktion von Elektro-fahrzeugen.

Eine noch rasantere Entwicklung ist in der Windkraftindustrie zu beobach-ten; allein im Jahr 2010 wurden in Chi-na fast die Hälfte aller weltweit ange-schlossenen Anlagen mit einer Ge-samtleistung von 18,9 Gigawatt instal-liert, drei der sechs weltgrößten Wind-energie-Anlagenhersteller kommen aus China. Entsprechend robust ist ihre Stellung in ihrem Heimatmarkt; der Marktanteil ausländischer Hersteller liegt noch unter 10 %. Deutsche Unter-nehmen wie Enercon oder Siemens, die im Juni ein erstes großes Off-Shore-Projekt in China gewinnen konnte, sowie Repower und Nordex hoffen darauf, dass ihnen die erst kürzlich zumindest formal hergestellte Gleich-behandlung bei innerchinesischen Aus schreibungen mehr Geschäft in die Bücher weht.

Ähnlich erfolgreich entwickelte sich Chinas Photovoltaik-Industrie unter dem Golden-Sunlight-Programm, das die heimische Industrie mit Subventio-nen unterstützt und den deutschen Wettbewerbern die Pole-Position ent-rissen hat. Auf der globalen Top-Ten-Liste stehen mittlerweile vier chinesi-sche Unternehmen, unter anderem die Firma Suntech, die voraussichtlich in diesem Jahr den bisherigen Primus First Solar aus den USA ablösen wird.

Und was passiert mit der Kernener-gie? Atomkraft läuft in China auch un-ter der Überschrift „Green Technolo-gy“, allerdings hat Fukushima zu mehr

Nachdenklichkeit und zu einer Über-prüfung aller bestehenden und im Bau befindlichen Reaktoren geführt. Es bleibt aber bei der grundsätzlichen Planung, die Stromerzeugung in bisher 14 Atomkraftwerken (entspricht 1,5 % des Strombedarfs) ganz erheblich hochzufahren: Bis 2020 sollen annä-hernd 100 Kraftwerke, von denen sich 28 derzeit bereits im Bau befinden, ei-nen Beitrag zur Deckung des Energie-bedarfs leisten. Zu bedauern ist aus deutscher Sicht, dass infolge der Kehrt-wende in der Atompolitik nun auch unsere Technologie ins Abseits gerät. Chinesisch-amerikanische Kooperati-onen auf diesem Gebiet gibt es bereits und unsere französischen Nachbarn werden sich ebenfalls klammheimlich freuen.

Was bleibt für eher mittelständische Firmen? Es stehen in den nächsten Jahren gigantische Investitionen in Umwelttechnologie und Umweltinfra-struktur an. Schwerpunktbereiche sind die Wasseraufbereitung (Filtertechnik, Bio-Wasseraufbereitung, Separations- und Desinfektionstechnologien, Meer-wasserentsalzung, Klärschlammaufbe-reitung und Wasserrückgewinnung), die Luftreinhaltung (Katalysator- und Filtertechnik, VOC-Luftreinigungs-technik), die Abfallentsorgung (Müll-verbrennung, Kompostierung, Sortie-rung, Elektromüllentsorgung und -re-cycling) sowie das Umweltmonitoring

(Sensorik, Messtechnik). Ein sehr wei-tes Feld bietet auch der Bereich des energieeffizienten und nachhaltigen Bauens, auf dem sich unter anderem die Fraunhofer-Gesellschaft mit ihrem Institut für Bauphysik engagiert. Der gesamte Investitionsbedarf in diese Segmente wird auf rund 333 Mrd. Euro innerhalb des laufenden Fünf-Jahres-Plans geschätzt. Der Umweltindustrie wird ein jährliches Wachstum von 15 % bis 20 % vorausgesagt; der Anteil dieser Branche am Bruttosozialprodukt Chi-nas wird auf 540 Mrd. Euro geschätzt und erreicht damit 10 % des nationalen BIPs.

Für die deutsche Industrie gibt es eine Vielzahl von Möglichkeiten, sich im chinesischen Markt zu präsentieren und an der stürmischen Entwicklung teilzuhaben. So finden im Jahr 2011 noch zahlreiche Messe- und Kongress-veranstaltungen mit internationaler Beteiligung in China statt, unter ande-rem die 12th China Water Supply, Drai-nage and Water Treatment Show 2011 in Peking, die 2nd All China Internatio-nal Electrical Vehicle Industry Confe-rence & Trade Fair im November in Nanjing und nicht zu vergessen im De-

zember die Intersolar China 2011, ebenfalls in Peking. Zum Teil werden diese Veranstaltungen vom Bund be-ziehungsweise von den Ländern finan-ziell unterstützt. So sollten bayerische Unternehmen schon einmal vormer-ken, dass der Freistaat 2012 wieder die Teilnahme an der China International Environmental Protection Fair in Da-lian bezuschusst. In China gibt es auf der Ebene der Provinzen und Kom-munen ebenfalls eine Menge fi nan zieller Anreize auch für auslän dische Unternehmen, die umso großzügi-ger ausfallen, je interessanter und wichtiger das ansiedlungs-willige Unternehmen für das Land ist.

Der Freistaat, der im Übrigen auch mit einem hoch kompe-tenten Umweltcluster punkten kann, begrüßt über seine Organi-sation Invest in Bavaria selbst-redend auch chinesische Investitio-nen in Bayern. Das im vergangenen Jahr erneuerte strategi-sche Partnerschaftsab-kommen zwischen Bay-ern und der Provinz Shan-dong weist den Weg: Darin erklären beide Länder, „einen verstärkten Fokus in der Zu-sammenarbeit und im Erfahrungsaus-tausch auf die Bereiche Umwelt, Res-sourcenschutz, Energie und energieef-fizientes Bauen“ zu legen. Außerdem erklärt sich Bayern bereit, beim Aufbau eines ökologischen Industrieparks in der schönen Hafenstadt Qingdao be-hilflich zu sein, dessen „Vermarktung“ kürzlich begonnen hat. Ähnliche Akti-vitäten gibt es auch in vielen anderen Bundesländern.

*Dr. Stefan Söhn ist Leiter des China-Desk der Kanzlei

Sonntag & Partner, Augsburg/München sowie Partner der MBL China

Consulting Co. Ltd., Beijing/Berlin

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„China wäre nicht China, wenn es die Missstände in vielen Bereichen nicht

auch als Chance sehen würde.“

„Der Umweltindustrie wird ein jährliches

Wachstum von 15 % bis 20 % vorausgesagt.“

Dr. stefan söhn ist Leiter des China-Desk der Kanzlei Sonntag & Partner.

„Deutsche Industrie für Umwelttechnik hat welt-

weit einen exzellenten Ruf.“

Chinas grünes Wachstum Chancen | Der ökologische Kurs der Volksrepublik bietet Perspektiven für deutsche Firmen