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visionen.com ISSN 1434-1921 | E08273 € 5,90 DEUTSCHLAND | A: € 6,50 | CH: SFR. 9,00 | L: € 6,90 SPIRIT&SOUL AUGUST/ SEPTEMBER 2019 Der Geist des Dienens NIKOLAUS BRANTSCHEN A real Mentsh GEMEINSAM UND OHNE GRENZEN Interkulturelles Gärtnern Ich nehme wahr, was du nicht siehst HOCH SENSIBEL SISTER- HOOD ZUSAMMEN SIND WIR STARK

AUGUST/SEPTEMBER 2019 Der Geist des Dienens · 2019. 7. 21. · mit guni leila baxa 66 hochsensibel: ich nehme wahr, was du nicht mal spÜrst tina engler 72 bunt bunter beere! kochen

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visionen.com ISSN 1434-1921 | E08273 € 5,90 DEUTSCHLAND | A: € 6,50 | CH: SFR. 9,00 | L: € 6,90

SPIRIT & SOULAUGUST/ SEPTEMBER 2019

Der Geist des

Dienens

NIKOLAUS BRANTSCHEN A real Mentsh

GEMEINSAM UND OHNE GRENZENInterkulturelles Gärtnern

Ich nehme wahr, was du nicht siehst HOCH SENSIBEL

SISTER-HOOD ZUSAMMEN SIND WIR STARK

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RUBRIK

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EDITORIAL

wären Sie gerne so ein „Dschinni-Geist“, der aus einer Wunderlampe kommend Wünsche erfüllt?Nun, vermutlich werden Sie diese Vor-stellung eher ablehnen, da hinter dem Wort „Wunscherfüllung“ doch noch etwas anderes zum Vorschein kommt: Dschinni ist dem Wunderlampenbesitzer stets zu Diensten. Und mit Dienen sind doch eher Begriffe wie Unfreiheit, Selbstaufgabe, Minderwertigkeit und Unterwürfigkeit verbunden. Etwas was in unserer heutigen Zeit so gar nicht cool ist. Wer möchte schon Diener sein, Befehls-empfänger ohne Widerrede?

Aber hinter dem Begriff „Dienen“ verbirgt sich viel mehr: Dienen dient immer einem Zweck, Dienen dient mir, nützt mir und,

wie Hermann Hesse schon sagte: „Freud-los erwiesener Dienst hilft keinem. Doch alle anderen Vergnügen und Besitztümer verblassen und werden zu nichts gegenüber dem Dienst, der im Geist der Freude getan wird“.

Dienen ist Freude. Dienen lässt mich inner-lich wachsen, sowohl am Dienst selbst als auch an demjenigen, dem ich diene.

Dienen verschafft mir Unabhängigkeit und Freiheit, das Gefühl, gebraucht zu werden, erfüllt mich mit Freude und Genugtuung und trägt auch zur Sinnfindung meines Lebens bei.

Allerdings „bedienen“ wir heutzutage mehr das Handy, das Auto oder den PC als dass wir dem Menschen dienen. Das Lächeln für den Anderen, das Aufstehen in der Straßenbahn, das Bücken für den Älteren, das Lernen mit dem jungen Menschen ist der Gleichgültigkeit und Interesselosigkeit unserer Zeit gewichen. Dienen scheint „out“ zu sein.

Dienen verschafft Achtung, Respekt und Verständnis sowohl für den Dienst als auch für denjenigen, dem ich diene, oder wie Sant Kripal Singh sagte: Dienst am Men-schen ist Dienst an Gott!

Mit herzlichen Grüßendie Visionäre aus dem Schwarzwald

LIEBE LESERINNEN UND LESER,

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4

GÄRTNERN OHNE GRENZEN98

EHRENAMT – EINE QUELLE DES GLÜCKS.

LIVE TO LOVE, GERMANY

18

TITE

LTHEM

A

TITE

LTHEM

A

JOAN HALIFAX: HELFEN

OHNE ABZUSTÜRZEN

24

INSPIRATION

DER REGENWALD- SCHAMANE DON AGUSTIN RIVAS VASQUEZMartina Pahr

40

SISTERHOOD: ZUSAMMEN SIND WIR STARKTina Engler

44

DIE ALCHEMIE DES DIENENS DIE BUTLERIN UND DIE RAUMPFLEGERINFrank Schüre

50

WIR WERDEN MUSIK NÄHE ERFAHREN MIT KREUZBERGER KINDERNChristian Stahlhut

58

WEISHEIT

LIEBE LEBENKirpal Singh

14

EHRENAMTVOM GLÜCK DER SELBSTLOSIGKEIT Gesa Steinmann

18

GRENZEN DES HELFENS: HILFST DU AUCH DIR SELBST?Martina Pahr

24

DIENEN MACHT GLÜCKLICH. Henning Karcher

30

POESIEHERR DER TÖPFE UND PFANNEN Inspiriert von Theresa von Avila

36

ESSAYDAS BIN ICH MIR WERT!Stephanie Ochs

64

ARTGERECHTE PARTNERHALTUNGAndreas Winter

82

MENSCHEN MIT VISIONEN

NIKOLAUS BRANTSCHENA Real Mentsh114

INHALT

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5

TITE

LTH

EMA

SISTER ACT: SOLIDARITÄT UNTER FRAUEN44

DIAGNOSE HOCHSENSIBEL72

TITE

LTH

EMA

DON AGUSTIN ÜBER AYAHUASCA UND KLIMAWANDEL40

VOLUNTOURISMUS:REISEN, UM ZU HELFEN104

WOHLFÜHLEN

AUFSTELLEN UND MEDITIEREN: INTERVIEW MIT GUNI LEILA BAXA

66

HOCHSENSIBEL:ICH NEHME WAHR, WAS DU NICHT MAL SPÜRSTTina Engler

72

BUNT BUNTER BEERE! KOCHEN MIT WILDFRÜCHTEN Inge Hasswani

76

MYKOTHERAPIE: HEILKRAFT DER PILZEClaudia Hötzendorfer

84

DAS HELFERSYNDROM ÜBERWINDEN UND HEILENSusanne Dinkelmann

88

NACHHALTIGKEIT

INTERKULTURELLES GÄRTNERN: URBAN GARDENING MIT GEFLÜCHTETENMartina Pahr

98 KURZ MAL DIE WELT RETTEN? REISEN UND DABEI GUTES TUN Tina Engler

104

ALEXANDER VON HUMBOLDTAKTUELLER DENN JE Claudia Hötzendorfer

110

IMMER IN VISIONEN

Editorial, 3Augenblicke, 6

Kurz & Visionär im August, 12Veranstaltungen & Termine, 92

Kleinanzeigen, 116Vorschau & Impressum, 118

05 / 2019

MUSIKSTUNDE MIT KREUZBERGER

KINDERN58

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POESIE

Herr der Töpfe und

PfannenDer mittelalterlichen

Mystikerin Teresa von Avila zugeschrieben

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WEISHEIT

3737

Herr der Töpfe und Pfannen,ich habe keine Zeit, eine Heilige zu seinund Dir zum Wohlgefallenin der Nacht zu wachen,auch kann ich nicht meditierenin der Morgendämmerungund im stürmischen Horizont.

Mache mich zu einer Heiligen,indem ich Mahlzeiten zubereiteund Teller wasche.Nimm an meine rauhen Hände,weil sie für Dich rauh geworden sind. Kannst Du meinen Spüllappenals einen Geigenbogen gelten lassen,der himmlische Harmoniehervorbringt auf einer Pfanne?Sie ist so schwer zu reinigenund ach, so abscheulich!

Hörst Du, lieber Herr,die Musik, die ich meine?Die Stunde des Gebetes ist vorbei,bis ich mein Geschirrvom Abendessen gespült habe,und dann bin ich sehr müde.

Wenn mein Herz noch am Morgenbei der Arbeit gesungen hat,ist es am Abend schon längstvor mir zu Bett gegangen.Schenke mir, Herr,Dein unermüdliches Herz,daß es in mir arbeite statt des meinen.

Mein Morgengebethabe ich in die Nacht gesprochenzur Ehre Deines Namens.Ich habe es im voraus gebetet

für die Arbeit des morgigen Tages,die genau dieselbe sein wird wie heute.

Herr der Töpfe und Pfannen,bitte darf ich Diranstatt gewonnener Seelendie Ermüdung anbieten,die mich ankommtbeim Anblick von Kaffeesatzund angebrannten Gemüsetöpfen?

Erinnere mich an alles,was ich leicht vergesse;nicht nur um Treppen zu sparen,sondern, daß meinvollendet gedeckter Tischein Gebet werde. Obgleich ich Martha-Hände habe,hab’ ich doch ein Maria-Gemüt,und wenn ich die schwarzen Schuhe putze,versuche ich, Herr, ���������������

Ich denke daran,wie sie auf Erden gewandelt sind,wenn ich den Boden schrubbe.Herr, nimm meine Betrachtung an,weil ich keine Zeit habe für mehr.Herr, mache Dein Aschenbrödelzu einer himmlischen Prinzessin;erwärme die ganze Küche mit Deiner Liebeund erleuchte sie mit Deinem Frieden. Vergib mir, daß ich mich absorge,und hilf mir, daß mein Murren aufhört.

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ADAM IST DIE MÄNNLICHE FORM DES WEIBLICHEN ADAMAH: ACKER. AUS STAUB VOM ACKER WURDE DER MENSCH GESCHAFFEN… ER, GOTT, NAHM DEN MENSCHEN UND SETZTE IHN IN DEN GARTEN VON EDEN, IHN ZU BEDIENEN UND IHN ZU HÜTEN (I. MOS. 2, 5-15).SCHMUTZ IST ROHSTOFF. MENSCHEN SIND WILD UND BEDÜRFTIG. WER DAMIT GUT UMGEHEN KANN, VERWANDELT CHAOS IN KULTUR, WILDNIS IN LEBENS-RÄUME. ZITA LANGENSTEIN UND LINDA THOMAS KÖNNEN DAS: DIENEN VON HERZEN. IHR LEBEN ZEIGT: DAS FÜHRT ZU FRIEDEN.

ALCHEMIEDES DIENENS������ ���� ������������ ������ � ����

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INSPIRATION

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VISIONEN hat sie getroffen und ihr Dienen-Können seitdem im Herz. Wir stellen die beiden großen ‚Dienerinnen‘ vor, nebeneinander.

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DIENEN

Zita, mein Vorname – nomen est omen: Zita ist die Patronin der Dienstboten und Hausangestellten. Auch wenn ich zu Hause Gäste habe – ich liebe es einfach, für Gäste tätig zu sein. Das Dienen, das Sich-Hingeben-für-jemanden, wenn man das wirklich kann, dann ist das ungnädig schön. Also man kriegt so viel Dankbarkeit und so viele gute Gefühle mit, man kann fast nicht mehr sein ohne das.

Wir sitzen in ihrem Büro bei Gas-troSuisse. Ein gemeinsamer Freund, dem ich von meinem Thema Dienen heute erzählt hatte, meinte zu mir: Du musst Zita treffen.

Wenn man das nicht kann, wenn man das nicht wirklich mag – dann ist es ein Leidensweg. Der Mitarbeiter braucht den Wunsch und dann die Erfahrung, wie es ist, einem Menschen etwas Gutes zu

tun, definitiv. Und der Gast muss die Dienstleistung annehmen kön-nen. Auch das ist eine Kunst.

Zita Langenstein ist professionell. Und sie ist mehr als professionell. Das merke ich an Sätzen von ihr, die mich berühren und nicht mehr loslassen. Was ist das für ein Mensch, der so etwas sagt? Aus was für einem Leben erwachsen solche Leitsätze? Könnte ich so etwas sagen?! Also nicht ein-fach dahersagen, sondern mit ganzem Herzen meinen? Normalerweise ist man ja genau andersherum ausge- richtet – das kennt Zita Langenstein auch:

Es gibt Phasen im Leben, da sieht man sich gerne im Mittelpunkt. Und dann gibt es Phasen, da nimmt man sich ohne Probleme zurück – und viele Phasen dazwischen. Es hilft zu wissen, welche gerade dran ist.

SICH-ZURÜCKNEHMEN BEDEUTET, MIT SEHR VIEL PERSÖNLICHKEIT UND SEHR VIEL KNOWHOW EINEM ANDEREN MEN-SCHEN EINE TOPLEISTUNG ZU BIETEN.

Zita der Butler:

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Mein Großvater starb als ich vier war. Großmutter wohnte dann bei uns – und war sehr traurig. Wir Mädchen durften der Oma etwas Liebes tun und ihr Bett machen, jeden Tag. Vor allem sollten wir das Kopfkissen aus-schütteln und klopfen, damit Omas Trauer und Tränen davonfliegen konnten. Dann sollten wir es glatt-streichen und ihm ein Sprüchlein geben, damit Oma getrost den Kopf wieder hinlegen konnte.

������������������������ �����Thomas etwas mit liebevoller Hin-gabe tun. Das sollte ihr viel später in einem Beruf helfen, der eine solche Haltung nicht leicht macht. Schütteln, klopfen, streichen wurden zu Gesten, die ihr Halt gaben und schließlich zum Bedürfnis wurden. Als sie dann selbst eine Mutter war und ihre Kinder auf eine anthroposophische Schule schicken wollte, wollte der Vater dafür

nicht zahlen. Linda Thomas hatte damals schon klare Vorstellungen, die sich wenig beeindrucken ließen von ������������������������������������Mit Hilfe einiger ähnlich betroffener Frauen gründete sie eine ökologische ��������������������������������der Schweiz – und befand sich damit ganz unten auf dem Boden beruf-licher Tatsachen:

Wie lernt man etwas lieben, was man nicht aus Berufung tut? Wer putzt schon aus Berufung? Ich nicht. Aber ich habe das ent-wickelt. Am Anfang die reinste Übung wurde es mit der Zeit Lebensinhalt. Heute passiert es mir, wenn ich auf dem Flughafen bin und ein Waschbecken sieht furchtbar aus, dann putze ich dieses Waschbecken. Ich hab auch schon im Zug ein Klo geputzt, weil ich einfach gefunden hab, das darf man nicht so lassen...

WENN WIR DIESE ARBEIT MIT UNSEREM VOLLEN BEWUSSTSEIN UND MIT LIEBE VERRICHTEN, WENN WIR MIT HINGABE JEDES ECKCHEN MIT UNSEREN FINGERSPITZEN DURCH-DRINGEN, DANN VERWAN-DELN WIR DAS PUTZEN IN PFLEGEN.

INSPIRATION

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DIENEN

In der Mittelpunkt-Phase würde ich in einer Szene-Bar arbeiten. Als Jockey mittendrin, und die Bar läuft wegen mir und sonst wegen gar nichts. Nicht wegen den Drinks, nicht wegen dem Ambiente. Aber als Service-Mit-arbeiter glänze ich höchstens noch mit besonders gutem Service, also meiner Kompetenz im Flambieren oder im Dekantieren eines Weins. Dafür muß ich aus der Phase des Mich-Inszenierens rausgewachsen sein.

Wie alt ist man dann? Was ist das für ein Alter, in dem es nicht mehr vor allem um mich geht? Um mich im Mittelpunkt der Situation, um mich als Jockey auf dem schnellsten Pferd, um mich im aktuellen Rennen um die allgemeine Aufmerksamkeit? Bin ich soweit, wenn sich mein Interesse ����������� ��������������� ����richten kann?

Das heißt ja nicht: ich bin nichts Wert. Das ist das große Problem, was in vielen Betrieben viele Jahre lang den Leuten bei-gebracht wurde: du bist klein – der Gast ist groß – also hast du zu gehorchen. Aber darum geht es überhaupt nicht. Sich-Zurück-nehmen bedeutet, mit sehr viel

Persönlichkeit und sehr viel Know-how einem anderen Menschen eine Topleistung zu bieten. Ich selber kann ja dann am Tag darauf in ein Restaurant gehen und bin Gast und kann das genießen. Ein guter Gastgeber ist, wer auch ein guter Gast sein kann.

Zita ist auf dem Bauernhof aufgewachsen, ihre Mutter kochte grundsätzlich ‚plus dreißig Prozent‘, weil einfach immer Gäste da waren. Gastfreundschaft ist ein Lebensgefühl, mit dem sie groß geworden ist. Zita spürt von früh an, wie es gut geht miteinander. ‚Den Gast lesen‘ heißt dann viel später ein beliebtes Spiel im Serviceteam. Da scannt man den eintretenden Gast: was und wieviel bestellt er wohl, wie schwierig oder unkompliziert wird es mit ihm, wie geht es ihm? Denn…

Die Hauptleistung ist, die Erwartungen des Kunden oder des Gastes zu erfüllen. Diese Zufriedenheit finde ich ganz wichtig. Sie wird oft unterschätzt. Wir sprechen gerne im täg-lichen Unverbindlichen von: den Kunden überraschen, den Gast überraschen. Ich find’s toll, wenn man eine sehr stabile, nachhaltige Zufriedenheit erreicht. Vielleicht

ist das auch eine Überraschung: jeden Tag zufrieden, jeden Tag ist alles in Ordnung. Das sehe ich als meine größte Herausforderung.

Fünfzehn Toiletten reinigen, das war Zitas erste Aufgabe mit sechzehn. Kein Problem, dachte sie, und lernte ihre Gouvernante kennen, die zu den geputzten Schüsseln nur meinte: Katastrophe. Drei Jahre lang lernt Zita bei ihr für ihr dienendes Leben: barfuß durch ein Badezimmer, spüren wie es sich ‚tadellos’ anfühlt; die Glühbirnen in den Lampen polieren, damit es wirklich hell wird in einer 5-Sterne-Suite… Zitas Sinne werden geschult, bis sie jedes Ringchen bemerkt, das im Vorhang fehlt. Fünf-zehn Jahre Praxis in Hotelfach und Housekeeping – heute leitet Zita Langenstein die Weiterbildung bei GastroSuisse, dem Schweizer Verband des Gastgewerbes. Als ‚Bildungsche-������������������ �������������-leistung rüttelt sie ein ganz normales Missverständnis zurecht – von Dienst, von dienen, von Diener:

Wir sind auf gleichem Level, völlig: Es gibt Diener, die gleich viel verdienen wie derjenige, den er jetzt bedient. Man ist auf gleicher Höhe. Das ist, im Kleinen und im Großen, für den Kunden

ICH WOLLTE ALS KIND BUTLER WERDEN, DA WAR ICH SIEBEN ODER ACHT JAHRE ALT. ICH KANNTE DEN BUTLER ALS EINE GESCHICHTE, DIE MIR ERZÄHLT WURDE DAMALS, EIN MÄRCHEN WAR DAS.

Zita der Butler:

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Linda Thomas leitete neben ihrer

eigenen Firma den Reinigungsdienst

am Goetheanum, dem anthropo-

sophischen Zentrum im Schweizer

Dornach, und dann die Hauswirtschaft

an einer Klinik in Arlesheim. Sie orga-

nisierte internationale Fachtagungen

zu Putzkultur und lehrt seit Jahren und

! ��! ���� ���� � �� �������������Lebensräumen. Konkret geht das so:

Wenn ich eine Toilette putze, dann gehe ich vor ihr auf meine Knie. Weil sich mein Rücken dann nicht so anstrengt. Dabei ver-ändert sich eine Welt, ich nehme anders wahr. Ich berühre anders als von oben runter. Auf meinen Knien umarme ich die Schüssel fast, damit ich auch dahinter-komme. Es entsteht ein anderer Kontakt. Ich habe keine Berüh-rungsangst und keinen Ekel. Also ich habe vieles gesehen, und wenn es ganz schlimm ist, denke ich: fiu, jetzt hast du was, jetzt hast du wirklich ein Stück Rohstoff, da kann man wieder mal ein bisschen Kunst betreiben.

� ���� ��� ���� �������� � � �Menschen dienen und hüten – überall

und unentwegt. Bemühen sich um

Klarheit und Ordnung. Man kann

das abtun als selbstverständlich,

verpasst dann aber den tiefen Sinn

ihrer Gesten und ihre Güte. Denn das

Bemühen dienstbarer Hände bringt

uns und unser Leben immer wieder

wie neu hervor. Und keineswegs nur

im mühsamen Ringen um Ordnung

und Sauberkeit – sie zeigen uns eine

so einfache wie belebende Beziehung

zum Nächsten.

Wenn wir diese Arbeit mit unserem vollen Bewusstsein und mit Liebe verrichten, wenn wir mit Hingabe jedes Eckchen mit unse-ren Fingerspitzen durchdringen, dann verwandeln wir das Putzen in Pflegen. Wir berühren nicht mehr nur das Physische, sondern die ganze Atmosphäre ändert sich. Es wird heller im Raum. Und wun-derbarerweise hält das Gepflegte wesentlich länger als das bloß Geputzte.

���� ������� ���� � ��� �-wendet Linda Thomas keine Chemie,

sondern ‚Alchemie‘: zum Beispiel

Butzwasser. Das ist leeres Wasser, weil ihm alle ‚Informationen‘ ent-

zogen worden sind. So aktiviert es

�� ����� ����� ������������ ��! �� ��durchsichtig, Chrom strahlt, Scheiben

bleiben streifenfrei. Wendet man

sich derart ‚alchemisch‘ Räumen und

Menschen zu, dann öffnen sie sich.

Linda Thomas erzählt eine Szene aus

einem Seminar in Norwegen:

HEUTE PASSIERT ES MIR,

WENN ICH AUF DEM

FLUGHAFEN BIN UND EIN

WASCHBECKEN SIEHT

FURCHTBAR AUS, DANN

PUTZE ICH DIESES WASCH-

BECKEN.

Linda die �����������

INSPIRATION

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DIENEN

ein richtiger Lernprozess. Nicht mehr das Devote: ich mache alles, ich bin jetzt immer freundlich. Sondern es kann auch mal sein, wenn der Kunde sich ungeduldig zeigt, dass ein ‚Diener‘ ihm sagt: „Einen Moment, ich bitte Sie um Geduld. Weil wir haben jetzt sehr viel zu tun. Das tut mir sehr leid, aber wenn Sie vielleicht in einer Stunde…“ Das hätte es früher nie gegeben, so eine Konfrontation. Der Kunde wird aber lernen, dass das eigentlich die Rettung ist: seiner Zufriedenheit. Aber natür-lich auch für uns ‚Diener’ – nur so können wir Topleistung liefern.

Diener und Kunde rücken immer näher zusammen. Zita Langenstein versteht Kunden-Dienst in beide Richtungen: idealerweise arbeiten Kunde und Diener dann Hand-in-Hand, geleitet vom Interesse, dem anderen etwas Gutes zu tun – und beide spüren wie sinnvoll das ist, wie es zufrieden stellt, wie es sich gegenseitig verstärkt und vertieft. Zita Langenstein kennt so ein Können als einen Traum aus ihrer Kindheit.

Ich wollte als Kind Butler wer-den, da war ich sieben oder acht Jahre alt. Ich kannte den Butler als eine Geschichte, die mir erzählt wurde damals, ein Märchen war das. Das war natürlich überhaupt kein Thema dann mit sechzehn: ich und Butler werden… Viele Jahre habe ich das mit mir getra-gen. Ich fand jeden Butler, der mir begegnet ist, einfach toll. Wie der… das ist Dienstleistung, das ist Servicequalität, das ist effektive Hingabe – man sagt nie Nein.

Der Butler denkt an Geburtstage der Freunde und Bekannten. Er weiß, was den Schwieger- und den Groß-müttern geschenkt wurde und wie es angekommen ist. Der Butler bügelt die Morgen-Zeitung und er kann

ES GIBT DIENER, DIE GLEICH VIEL VERDIENEN WIE DERJENIGE, DEN ER JETZT BEDIENT. MAN IST AUF GLEICHER HÖHE. DAS IST, IM KLEINEN UND IM GROSSEN, FÜR DEN KUN-DEN EIN RICHTIGER LERN-PROZESS.

mit dem Gast umgehen, der gerade einen Silberlöffel stiehlt… Im Jahr 2005 geht der Traum in Erfüllung: die Londoner Butler-Schule öffnet sich endlich auch für Frauen. Zita Langen-stein ist beim ersten Jahrgang dabei. Sie gewinnt die Abschlussprüfung. Zita der Butler serviert ihr Meister-stück der Queen zum 80. Geburtstag: Afternoon Tea Swiss Style. Die Queen ist so begeistert von Zita, dass Swiss Style von da an regelmäßig im Buck-ingham Palace serviert wird.

Die Royal Family liebt die Schweiz. Dabei ist die Schweiz das einzige Land in Europa, das nie eine Aristokratie gehabt hat. Wenn die aufgetaucht sind, haben wir sie verscheucht, ermordet, oder verschickt – das ist irgendwie ein Gen, ein Schweizer Gen der Freiheit…

Kann man Zufriedenheit lernen und üben? Kommt Dienen von Her-zen, dann erreicht es die Herzen der anderen, und das führt zu Frieden. Eine solche Zufriedenheit entsteht am besten, also am stabilsten und alltäg-lich: miteinander. Das geht auf eine so komplett uncoole wie paradoxe Weise: indem ich mich zurücknehme und mich hingebe. Denn Geben und Empfangen bewirken einander: wer zufrieden macht, ist auch zufrieden. Zita Langenstein ist der erste weib-liche Butler der Schweiz.

Die weibliche Form ist ja die Butleress, aber das sagt eigentlich niemand. Es ist immer der Butler, allenfalls noch die Butlerin. Mir ist es egal, ich stelle mich immer Zita, der Butler vor.

Fotos: S. 53, 54, 56 Zita Langenstein © www.gerikrischker.com S. 58 © www.svit.ch

www.zitathebutler.ch

Zita der Butler:

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57

INSPIRATION

Da kam am Nachmittag so eine richtig feurige, rothaarige Frau herein und meinte: „Ich habe mich nicht angemeldet für diesen Kurs, kann ich trotzdem mitmachen?“ Ich sagte: „Gerne, aber warum haben Sie sich nicht angemeldet?“ „Weil das doch eine Frechheit ist, dass die uns jetzt jemanden schicken, die uns zeigt, wie man zu Putzen hat!“ „Aber warum sind Sie dann doch gekommen?!“ „Ja, mein Mann war in dem Kurs heute Morgen bei Ihnen. (Da hatte ich gezeigt, wie ich die Toilette putze.) Und stellen Sie sich vor, der ist nach Hause gekommen nach diesem Kurs, und meinte: Kannst Du bitte warten mit dem Essen, ich will schnell das Klo putzen?! – Also sowas hat der noch nie gemacht… Und jetzt will ich wissen, wer dieses Wunder bewirkt hat.“

Dienen und Putzen gelten als

das Letzte. Probiert man es trotzdem,

dann wird spürbar: es ist oft das Erste, was ansteht. Linda Thomas

lehrt inzwischen weltweit, wie man

��������������������������������� ����Ihr Buch Frühjahrsputz erscheint auf

Chinesisch. In Rumänien, Namibia

und Indien war sie gerade, Taiwan

und China stehen an: Seminare,

Workshops, Vorträge… Linda Tho-

mas kann es kaum fassen, wie ihre

Berufung aufgeht. Es begann für ihre

Kinder, und immer wieder hat sie auch

in Schulen, Erziehungsheimen und

Jugendstrafanstalten ihre liebevolle

Hingabe gelehrt. Wie offen Kinder

dafür sind, erinnert sie in einer Szene

bei sich Zuhause. Linda Thomas kocht

gern, sie bereitet dafür gern einen

schönen Tisch vor…

Als meine Tochter zehn Jahre alt wurde, sagte sie: „Mami, für meinen Geburtstag will ich so einen schönen Tisch haben.“ Ich habe ein Sechser-Set wunder-schönes Geschirr mit Kristall und Silber geerbt. „Dann kannst Du aber nur fünf Leute einladen.“

LINDA THOMAS LEHRT

INZWISCHEN WELTWEIT,

WIE MAN DAS PFLEGEN

UND REINIGEN LIEBEN

LERNT. IHR BUCH „FRÜH-

JAHRSPUTZ“ ERSCHEINT

AUF CHINESISCH. IN

RUMÄNIEN, NAMIBIA UND

INDIEN WAR SIE GERADE,

TAIWAN UND CHINA STE-

HEN AN: SEMINARE, WORK-

SHOPS, VORTRÄGE…

Linda die �����������

„Ja, das macht nichts.“ – Ich habe sie dann alle abgeholt von der Schule, und sie kommen rein, und die Schultaschen und die Mäntel und die Kappen und die Stiefel – die Garderobe sah aus wie ein Schlachtfeld. Aber dann machte ich die Tür auf in das Zimmer mit festlich gedecktem Tisch, weißem Tischtuch und Blumen und Kerzen und Kristall… „Oh, für wen ist denn das?“ „Ja, das ist für Euch, bitte sehr.“ Das ging wie ein Zauber: die Strolche verwandelten sich in Prinzessinnen und Prinzen. Die sich begeistert um den Tisch setzten und weniger kleckerten als meine erwachsenen Gäste.

������� ������������������� -nimmt der Mensch Verantwortung.

Kaum etwas geht so einfach und

befriedigend. Überall – jederzeit –

immer wieder. Wenn man nicht wei-

terweiß: mit sich selbst und seinem

Leben. Dann kümmert man sich und

wendet sich dem Wohl der konkreten

Situation zu. Das löst, es fügt, es legt

sich wie ein großes Schnurren auf das

verunsicherte Leben.

„Wo fange ich an?“, fragen auch gestandene Mütter und Hau-frauen. Dann sage ich: „Steht auf der Tüschwelle und schaut diesen ganzen Raum an. Lasst den Blick wandern, nehmt einen Moment und spürt: was stört mich am meisten?“ Und da fängt man an…

Wer ohne Vorbehalt tut, was

ansteht, der verwandelt das Rohe und

seine Stoffe in Kultur, er verwandelt

sich selbst. Schenkt man den alltäg-

�������������������������������-merksamkeit, dann lösen und öffnen

sie sich. Es ist typisch menschlich:

Zivilisation und Kultur, Gemeinschaft

und Wohlstand – Paradiese erwachsen

aus Wildnis, indem Menschen dienen

und hüten.

Fotos: Linda Thomas, Ulrike Härtel

www.lindathomas.org

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VOR- SCHAU

Unter anderem mit diesen Themen:

DIE NÄCHSTE AUSGABE VON VISIONEN SPIRIT & SOUL ERSCHEINT AM 27. SEPTEMBER 2019

VISIONEN SPIRIT & SOUL ISSN 1434-1921

Erscheint 6x im Jahr. 24. Jahrgang / Nr. 5 August / September 2019

Verleger und HerausgeberSandila Import-Export Handels-GmbH, Sägestraße 37, 79737 HerrischriedTel. 07764 93970, Fax 07764 939739(Anschrift von Verleger, Herausgeber, Redaktion und Anzeigenabteilung)

eMail: [email protected]: www.visionen.com

Ansprechpartner in der Redaktion�Herausgeberin und Chefredaktion (verantwortl.):�Gerlinde GlöcknerRedaktion: Inge Hasswani, Frank Schüre�GT�[email protected]

Autoren dieser AusgabeTina EnglerClaudia HötzendorferMartina PahrStefanie OchsSusanne DinkelmannHenning KarcherChristian Stahlhut

Die Redaktion behält sich vor, eingesandte Texte in Form und Inhalt dem Stil des Magazins anzupassen.

Marketingkoordination + Anzeigen:bg medien service, Bernd Glö[email protected], Tel. 07764 939710

Design & LayoutKaner Thompson mit Lange + Durach Freiburg/Köln, kanerthompson.de

Bildnachweis: Alle nicht im Artikel gekenn-zeichneten Bilder stammen von Getty Images

VertriebBPV Medien Vertrieb GmbH & Co. KGRömerstr. 90, 79618 Rheinfelden

Druck & HerstellungDivyanand Verlags-GmbH, 79737 Herrischried

BezugspreiseEinzelheft € 5,90, Jahresabo € 49,00, Probeabo € 10,00

BankverbindungenD: Sparkasse Hochrhein IBAN: DE386845 2290 0036 0180 18, BIC: SKHRDE6WXXX

A: Deutsche Bank Freiburg IBAN: DE126807 0024 0265 7187 00, BIC: DEUTDEDBFRE

CH: Postscheckamt Aarau, Konto 91-286837-7CH3409000000912868377

KONSTANTIN WECKER:MUSIK & MYSTIK

YOGA: DIE KRAFT

DES LEBENS

SELBSTMITGEFÜHL – VON DER EIGENLIEBE

ZUR SELBST- FREUNDSCHAFT

HÖFLICHKEIT:PRAKTIZIERTES

FEINGEFÜHL

IMPRESSUM

KOCHEN MIT HILDEGARD VON BINGEN