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VARIA AUS DEM ERBE EINES ALLZU FRUH VERSTORBENEN GERMANISTEN Im Jahre 1954 starb als Professor der Germanistik an der Johns Hop- kins-Universitfit nach schweren Lebensschicksalen kaum ftinfundffinfzig- j~ihrig Arno Schirokauer. Drei Jahre nach seinem Tode hat nun sein ehe- maliger akademischer Lehrer Fritz Strich eine Auswahl aus seinem erstaunlich umfangreichen und vielseitigen Lebenswerk herausgegeben imd mit einem knappen, aber einsichtigen Vorwort eingeleitet (Ger- manistische Studien, Hamburg, 1957. 451 S., D.M. 24). Die Auswahl ist gut getroffen und gibt ein charakteristisches Bild von tier Leistung dieses auch literaturwissenschaftlich und kulturhistorisch interessierten Philologen. Zwei Meisterwerke philologisch-fiberphilologischer Einftihlung und sprachlicher mimicry umrahmen die Aufsatzreihe: ,,Expressionismus der Lyrik" (1924) und ,,~ber Ernst Stadler" (1954). Eine kluge Synopsis der Forschung und eine eigene, h6chst ingeni6se Erkliirung sind dem ,,Zweiten Merseburger Zauberspruch" (1941) gewidmet, wghrend ,,Otfrid yon Weissenburg" (1926) als ein Musterbeispiel der Paralleli- sierung des Sprachlichen und Kulturhistorischen gelten darf. Nicht weniger ingeni6s - wenn auch vielleicht weniger tiberzeugend - ist der Aufsatz fiber die ,,Legende vom Armen Heinrich", in dem er auf den Ful3spuren Rankes die problematische Lesart vriebaere (Z. 225) als ,,moralisch reif" deutet. Nicht weniger als drei Aufs~itze respektabeln Umfangs aus den Jahren 1947-1952 bemtihen sich um die genauere Bestimmung des Begriffs ,,frfihneuhochdeutsch" und um die Erhellung der Entstehung der deutschen Schriftsprache, wobei die Einfltisse von Humanismus und Reformation, Kanzlei und Buchdruck, Grammatik und W6rterbuch sorgfiiltig abgewogen werden, manche ,,heiligen Hfius- chen" der Kritik zum Opfer fallen, ohne dab direkte positive Resultate erreicht werden. Eine feine soziologisch-ideologische Deutung der Ge- schichte der (iisopischen) Fabel (1953) geh6rt in den n~imlichen zeit- lichen Zusammenhang. Wichtiger als zwei kleinere, recht lesbare Bei- tr~ge (Sp~itromantik im Grimmschen W6rterbuch, 1942 und Die Wort- geschichte yon ,,Herz", 1946) ist die Studie ,,Bedeutungswandel des Ro- mans" (i 94o), die in einer klugen Analyse und Sinndeutung von Thomas Manns ,,Lotte in Weimar" gipfelt. Eine Bibliographie yon 149 Nummern benachdruckt noch einmal Schirokauers ungew6hnliche Versatilit~it; dab darin auch ein kleiner Beitrag zur Luther-Philologie in dieser Zeitschrift (Neophilologus XXXIV, 195o) verzeichnet werden konnte, stimmt uns wehmtitig- dankbar. eroningen. TH. C. VAN STOC KUM.

Aus dem Erbe eines allzu früh verstorbenen Germanisten

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V A R I A

AUS D E M ERBE EINES A L L Z U F R U H V E R S T O R B E N E N G E R M A N I S T E N

Im Jahre 1954 starb als Professor der Germanistik an der Johns Hop- kins-Universitfit nach schweren Lebensschicksalen kaum ftinfundffinfzig- j~ihrig Arno Schirokauer. Drei Jahre nach seinem Tode hat nun sein ehe- maliger akademischer Lehrer Fritz Strich eine Auswahl aus seinem erstaunlich umfangreichen und vielseitigen Lebenswerk herausgegeben imd mit einem knappen, aber einsichtigen Vorwort eingeleitet (Ger- manistische Studien, Hamburg, 1957. 451 S., D.M. 24).

Die Auswahl ist gut getroffen und gibt ein charakteristisches Bild von tier Leistung dieses auch literaturwissenschaftlich und kulturhistorisch interessierten Philologen.

Zwei Meisterwerke philologisch-fiberphilologischer Einftihlung und sprachlicher mimicry umrahmen die Aufsatzreihe: ,,Expressionismus der Lyrik" (1924) und ,,~ber Ernst Stadler" (1954). Eine kluge Synopsis der Forschung und eine eigene, h6chst ingeni6se Erkliirung sind dem ,,Zweiten Merseburger Zauberspruch" (1941) gewidmet, wghrend ,,Otfrid yon Weissenburg" (1926) als ein Musterbeispiel der Paralleli- sierung des Sprachlichen und Kulturhistorischen gelten darf. Nicht weniger ingeni6s - wenn auch vielleicht weniger tiberzeugend - ist der Aufsatz fiber die ,,Legende vom Armen Heinrich", in dem er auf den Ful3spuren Rankes die problematische Lesart vriebaere (Z. 225) als ,,moralisch reif" deutet. Nicht weniger als drei Aufs~itze respektabeln Umfangs aus den Jahren 1947-1952 bemtihen sich um die genauere Bestimmung des Begriffs ,,frfihneuhochdeutsch" und um die Erhellung der Entstehung der deutschen Schriftsprache, wobei die Einfltisse von Humanismus und Reformation, Kanzlei und Buchdruck, Grammatik und W6rterbuch sorgfiiltig abgewogen werden, manche ,,heiligen Hfius- chen" der Kritik zum Opfer fallen, ohne dab direkte positive Resultate erreicht werden. Eine feine soziologisch-ideologische Deutung der Ge- schichte der (iisopischen) Fabel (1953) geh6rt in den n~imlichen zeit- lichen Zusammenhang. Wichtiger als zwei kleinere, recht lesbare Bei- tr~ge (Sp~itromantik im Grimmschen W6rterbuch, 1942 und Die Wort- geschichte yon ,,Herz", 1946) ist die Studie ,,Bedeutungswandel des Ro- mans" (i 94o), die in einer klugen Analyse und Sinndeutung von Thomas Manns ,,Lotte in Weimar" gipfelt.

Eine Bibliographie yon 149 Nummern benachdruckt noch einmal Schirokauers ungew6hnliche Versatilit~it; dab darin auch ein kleiner Beitrag zur Luther-Philologie in dieser Zeitschrift (Neophilologus XXXIV, 195o) verzeichnet werden konnte, stimmt uns wehmtitig- dankbar.

eroningen. T H . C. V A N S T O C K U M .