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Aus der LWL-Universitätsklinik Hamm der Ruhr-Universität Bochum Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik Ärztlicher Direktor: Prof. Dr. med. Martin Holtmann Frühe Symptome bei Autismus-Spektrum-Störungen Inaugural-Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Medizin einer Hohen Medizinischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum vorgelegt von Paul Patrick Reinhard Wolf aus Erlangen 2012

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Aus der

LWL-Universitätsklinik Hamm der Ruhr-Universität Bochum

Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik

Ärztlicher Direktor: Prof. Dr. med. Martin Holtmann

Frühe Symptome bei Autismus-Spektrum-Störungen

Inaugural-Dissertation

zur

Erlangung des Doktorgrades der Medizin

einer

Hohen Medizinischen Fakultät

der Ruhr-Universität Bochum

vorgelegt von

Paul Patrick Reinhard Wolf

aus Erlangen

2012

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Dekan: Prof. Dr. med. K. Überla

Referent: Prof. Dr. med. M. Holtmann

Korreferent: PD Dr. med. R. Siefen

Tag der mündlichen Prüfung: 06.06.2013

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Abstract

Wolf, Paul

Frühe Symptome bei Autismus-Spektrum-Störungen

Problem

Das Spektrum der autistischen Störungen wird gemäß ICD-10 zu den „tiefgreifenden

Entwicklungsstörungen im Kindesalter“ gezählt. Sie werden als psychiatrisches Krankheitsbild mit

überwiegend genetischer Ursache betrachtet. Die Früherkennung autistischer Störungen stellt eine

entscheidende diagnostische Herausforderung und gleichzeitig Schwierigkeit dar, da sich die

Entwicklung erkrankter Kinder bereits ab dem Zeitpunkt der Geburt von der Entwicklung gesunder

Kinder unterscheiden kann. Eine frühzeitige Diagnose ermöglicht also eine frühere Intervention.

Methode

Die Eltern von 489 Patienten mit Autismus-Spektrum-Störungen wurden befragt zu Art und Zeitpunkt

erster Symptome ihrer Kinder, die ihnen im Rückblick erstmals Anlass zur Sorge gaben.

Mehrfachnennungen waren hierbei möglich. Die Stichprobe aus 376 männlichen und 113 weiblichen

Patienten wurde durch Anwendung der Verfahren „Diagnostisches Interview für Autismus-Revidiert“

(ADI-R) und „Beobachtungsskala für Autistische Störungen“ (ADOS) untersucht und diagnostiziert.

Die genannten ersten Symptome wurden nach Altersstruktur und Häufigkeitsverteilung statistisch

ausgewertet. Um der Vielfalt der Symptome gerecht zu werden, wurde unter Einbeziehung aktueller

Forschungsergebnisse a priori eine neue Kategorienliste erstellt. Die Erstsymptome wurden der

Kategorienliste zugeordnet und hinsichtlich verschiedener Einflussfaktoren geprüft.

Ergebnis

Bei der Mehrheit der untersuchten Patienten (77,9%) war zum Zeitpunkt der Untersuchung die

Diagnose „frühkindlicher Autismus“ gestellt worden, bei 12,3% die Diagnose „atypischer Autismus“,

bei 7,0% „Asperger-Syndrom“ und bei 2,9% „Sonstige tiefgreifende Entwicklungsstörung“. Das

mittlere Alter bei Auftreten von Erstsymptomen lag bei 23,7 Monaten. Das mittlere Alter bei

Inanspruchnahme professioneller Hilfe lag bei 33,9 Monaten. Die Zeitspanne zwischen erster Sorge

und Hilfesuchen lag im Durchschnitt für alle untersuchten Patienten bei 10,2 Monaten. Die auffälligen

Erstsymptome wurden der neuen Kategorienliste zugeordnet. Das Erstsymptom „Verzögerung der

Sprachentwicklung“ war das meistgenannte Symptom (48,5%). Signifikant früher auffällig wurden

Kinder mit Sprachentwicklungsverzögerung (19,7 versus 31,6 Monate) und frühkindlichem Autismus

versus Asperger-Syndrom (21,3 versus 43,1 Monate). Eine niedrige soziale Schicht ging mit einem

Trend zu späterer Sorge einher (31,3 versus 23,1 Monate). Ohne signifikanten Einfluss waren

Geschlecht, genetische Syndrome oder medizinische Komplikationen.

Diskussion

Insbesondere durch die hohe Probandenzahl geben unsere Daten wertvolle Hinweise, um die

Früherkennung von Kindern mit Autismus-Spektrum-Störungen weiter zu verbessern. Die neue

Kategorienliste ermöglicht eine erste Zuordnung und kann eine Hilfestellung bei weitergehenden,

prospektiven Studien sein. Erhöhte Wachsamkeit sollte bei Sprachentwicklungsverzögerung in

Kombination mit weiteren ersten Symptomen bestehen und eine rasche professionelle Abklärung

bewirken. Im Vergleich zu anderen, auch prospektiven Studien finden sich vergleichbare

Frühsymptome. Um die Spezifität einzelner Erstsymptome zu bestimmen, sind prospektive

Untersuchungen mit einer Vergleichsgruppe (Verdacht auf Autismus-Spektrum-Störung, jedoch

diagnostisch nicht bestätigt) sinnvoll.

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Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung .................................................................................................................. 8

1.1 Historie und Klassifikation von Autismus-Spektrum-Störungen ....................... 8

1.1.1 Autismus-Spektrum-Störungen und frühe Symptome ............................... 12

1.1.2 Prävalenz und Inzidenz .............................................................................. 13

1.2 Ätiologie und biologische Grundlagen ............................................................. 14

1.2.1 Genetische Faktoren .................................................................................. 14

1.2.2 Assoziierte Hirnschädigungen und Intelligenzniveau ............................... 15

1.2.3 Neurobiologie und Neuropsychologie ....................................................... 16

1.2.4 Therapie ..................................................................................................... 19

1.3 Verfahren zur Diagnostik und Früherkennung ................................................. 20

1.3.1 M-CHAT .................................................................................................... 22

1.3.2 PDD ST II .................................................................................................. 23

1.3.3 FSK ............................................................................................................ 23

1.3.4 SRS ............................................................................................................ 23

1.3.5 ADOS......................................................................................................... 24

1.3.6 ADI-R ........................................................................................................ 24

1.4 Erstsymptome, Spezifität und prognostische Faktoren .................................... 25

1.4.1 Schwierigkeiten der Früherkennung in der Praxis ..................................... 26

2 Zielsetzung .............................................................................................................. 28

3 Methodik ................................................................................................................. 29

3.1 Stichprobenerhebung ........................................................................................ 29

3.2 Diagnostisches Interview für Autismus - revidiert (ADI-R) ............................ 29

3.2.1 Item 1 und 3 ............................................................................................... 31

3.3 Kategorienbildung ............................................................................................ 31

3.3.1 Abnorme Entwicklung ............................................................................... 35

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3.3.2 Auffälligkeiten der Interaktion .................................................................. 35

3.3.3 Auffälligkeiten des kommunikativen Spielverhaltens ............................... 36

3.3.4 Repetitive/Stereotype Verhaltensweisen ................................................... 37

3.3.5 Inadäquates Verhalten/Sonstige Auffälligkeiten ....................................... 37

3.4 Statistik ............................................................................................................. 40

4 Ergebnisse ............................................................................................................... 42

4.1 Häufigkeitsverteilung der Diagnosen innerhalb der gesamten Stichprobe ...... 42

4.2 Zeitpunkt der ersten Symptome mit Konsequenz ............................................ 42

4.3 Begleiterscheinungen und syndromale Erkrankungen ..................................... 45

4.4 Kategorienliste der symptomorientierten Früherkennung ................................ 45

4.5 Anlass zur ersten elterlichen Sorge .................................................................. 46

4.6 Verhältnis der Erstsymptome zu späteren Auffälligkeiten ............................... 49

4.7 Weitere Einflussfaktoren auf den Zeitpunkt der Früherkennung ..................... 53

5 Diskussion ............................................................................................................... 54

6 Zusammenfassung ................................................................................................... 63

7 Literaturverzeichnis................................................................................................. 64

8 Anhang .................................................................................................................... 74

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Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Tiefgreifende Entwicklungsstörungen (F84) nach ICD-10 (S.11)

Tabelle 2: Kategorienliste (S.39)

Tabelle 3: Häufigkeitsverteilung der Diagnosen (S.42)

Tabelle 4: Zeitpunkt der ersten Symptome und des Hilfesuchens (S.43)

Tabelle 5: Scheffé-Prozedur interdiagnostische Früherkennung (S.43)

Tabelle 6: Altersverteilung Erstsymptome (S.44)

Tabelle 7: Diagnosenverteilung peripartal (S.44)

Tabelle 8: Begleiterscheinungen peripartal (S.45)

Tabelle 9: Interkategoriale Altersverteilung (S.47)

Tabelle 10: Korrelation Erstsymptome/spätere Auffälligkeiten (S.50)

Tabelle 11: Lineare Regressionsanalyse „Kommunikation und Sprache“ (S.51)

Tabelle 12: Lineare Regressionsanalyse „Soziale Interaktion“ (S.51)

Tabelle 13: Lineare Regressionsanalyse „Stereotypes Verhalten“ (S.52)

Tabelle 14: Weitere Einflussfaktoren auf den Zeitpunkt der Früherkennung (S.53)

Tabelle 15: Items des ADI-R (A 1; S.74)

Tabelle 16: Interkategoriale Häufigkeitsverteilung (A 2; S.76)

Tabelle 17: Alter und Häufigkeit bei erstmals auffälligen, unüblichen

Verhaltensweisen (A 3; S.78)

Tabelle 18: Parental concerns relevant to autism (A 4; S.78)

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Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Epidemiologie der tiefgreifenden Entwicklungsstörungen (S.13)

Abbildung 2: Häufigkeitsverteilung der Erstsymptome (S.46)

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1 Einleitung

1.1 Historie und Klassifikation von Autismus-Spektrum-Störungen

Der Schweizer Psychiater Eugen Bleuler prägte 1911 erstmalig den Begriff Autismus

(griechisch = selbst, Autismus = Selbstbezogenheit). Er sah in ihm allerdings

noch ein Grundsymptom der Schizophrenie (Bleuler, 1916).

Sigmund Freud grenzte 1921 Autismus von normalem sozialen Verhalten ab und

setzte ihn mit seinem Verständnis des Narzissmus gleich (Freud, 1921).

Der Kinderarzt Leo Kanner übernahm den Begriff und verfasste im Jahre 1943 die

ersten umfassenden und teilweise heute noch gültigen Schriften über das soziale

Verhalten von Kindern mit autistischen Störungen. In seinen bahnbrechenden

Schriften (Kanner, 1943; Kanner, 1971) deutete er das mangelnde Bedürfnis nach

sozialen Beziehungen, Mängel der kommunikativen Entwicklungsebene, fehlendes

abstraktes Denken und erhöhte Sensitivität gegenüber Veränderungen gewohnter

Abläufe im Sinne einer Störung des affektiven Kontakts im Vergleich zu unauffällig

entwickelten Kindern an und vermutete bereits eine angeborene Veranlagung. Er

beschrieb die häufig im Vordergrund stehenden stereotypen oder begrenzten

Interessen sowie eine ungewöhnlich starke Bindung an bestimmte Geräte (Kanner,

1943). Er beeinflusste in erheblichem Maße die Einteilung von Krankheitsbildern der

Kinder- und Jugendpsychiatrie, da frühzeitig eine Differenzierung zu anderen

psychiatrischen Krankheitsbildern erfolgen konnte (Neumarker, 2003).

Michael Rutter etablierte den Begriff der Entwicklungsstörung unter

Berücksichtigung eines auffälligen Entwicklungsprozesses, der schon in frühester

Kindheit zu einem abnormalen Verhalten führt (Bölte und Poustka, 2005). Er

beschrieb die spezifischen Schwierigkeiten autistischer Störungen in Bezug auf

Aufnehmen und Aufrechterhalten des Sprachkontakts mit begleitender Mimik und

Gestik (Rutter und Bartak, 1971). Kanners Beschreibungen waren die erste

Grundlage für die heutige Diagnose des frühkindlichen Autismus (ICD-10 F84.0;

„Kanner-Autismus“).

Unabhängig von den Beobachtungen Kanners beschrieb Hans Asperger im Jahre

1944 ähnliche Fälle frühkindlicher Entwicklungsstörungen im Sinne eines

autistischen Leidens (Asperger, 1944). Diese zeigten jedoch im Gegensatz zu den

Kindern in Kanners Untersuchung keine Verzögerung der Sprachentwicklung oder

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intellektuelle Auffälligkeiten. Das Hauptaugenmerk der Beobachtungen Aspergers

lag auf Störungen des Affekts, der sozialen Steuerbarkeit und der Motorik (Asperger,

1968). Seine Studien führten zur Diagnose des noch heute nach ihm benannten

Asperger-Syndroms (ICD-10 F84.5).

Das Rett-Syndrom (ICD-10 F84.2), eine schwere neuropsychiatrische

Entwicklungsstörung fast ausschließlich weiblicher Patienten (Artuso et al., 2010),

wurde erstmals durch den Wiener Kinderarzt Andreas Rett 1965 beschrieben, der die

typischen waschenden Handbewegungen („washing movements“) zweier junger

Mädchen in seiner Praxis beobachtete (Rett, 1966).

Heute wird das Spektrum der autistischen Störungen gemäß ICD-10 (Internationale

Klassifikation der Krankheiten 10, WHO 1993) und DSM-IV (Diagnostic and

Statistical Manual of Mental Disorders, APA 1994) zu den „tiefgreifenden

Entwicklungsstörungen im Kindesalter“ (pervasive developmental disorders) gezählt.

Autistische Störungen werden nach aktuellem Stand der Literatur als psychiatrisches

Krankheitsbild mit überwiegend genetischer Ursache betrachtet (Poustka, 2004). Die

Diagnose orientiert sich am Vorliegen charakteristischer Symptome unabhängig von

deren Ätiologie (Young et al., 2003). Die Früherkennung autistischer Störungen stellt

eine entscheidende diagnostische Herausforderung dar, da sich die Entwicklung

bereits ab dem Zeitpunkt der Geburt von derjenigen gesunder Kinder unterscheiden

kann (Robins et al., 2001). Eine frühzeitige Diagnose ermöglicht die für die Prognose

wichtige frühe Weiterleitung zur spezialisierten Behandlung (De Giacomo und

Fombonne, 1998).

Die gegenwärtigen Klassifikationssysteme beinhalten viele der grundlegenden

Auffälligkeiten kindlich autistischer Störungen, können aufgrund der Diversität der

individuellen Ausprägungen jedoch nicht das gesamte Spektrum abdecken (Charman

und Baird, 2002).

Zu den tiefgreifendenen Entwicklungsstörungen zählen gemäß ICD-10 unter

anderem der frühkindliche Autismus, der atypische Autismus, die sonstigen

desintegrativen Störungen des Kindesalters, das Asperger-Syndrom und das Rett-

Syndrom (vgl. Tabelle 1).

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Der klassische frühkindliche Autismus (ICD-10: F84.0) entspricht der

Weiterentwicklung des von Kanner initial beschriebenen Autismus (Poustka, 2004).

Diagnostische Kriterien beinhalten unter anderem die Manifestation einer qualitativ

auffälligen und beeinträchtigten Entwicklung vor dem dritten Lebensjahr in Bezug

auf:

1. Soziale Kommunikation (rezeptive oder expressive Sprache)

2. Soziale Interaktion oder Entwicklung selektiver sozialer Zuwendung

3. Funktionale Spiel- und Verhaltensmuster.

Die Manifestation der Verhaltensauffälligkeiten kann aufgrund der multifaktoriellen

neurodegenerativen Genese in Häufigkeit und Ausprägung stark variieren (Siegel et

al., 1988). Das Krankheitsbild impliziert eine massive Einschränkung des sozialen

Alltags. Mit zunehmendem Alter können vermehrte Aggressionen und andere

Verhaltensauffälligkeiten in den Vordergrund rücken (Gillberg und Steffenburg,

1987). Trotz möglicher Verbesserung der Verhaltensstörungen um das 40.

Lebensjahr (Mesibov et al., 1989) ist eine selbstständige Lebensführung eher die

Ausnahme.

Der atypische Autismus (F84.1) beschreibt eine Form des Autismus mit entweder

atypischem Erkrankungsalter (Manifestation der Diagnose verspätet) oder atypischer

Symptomatologie (Fehlen eines Symptoms aus einem der drei kritischen

Störungsbereiche) (Poustka, 2004).

Kriterien für die sonstigen desintegrativen Störungen des Kindesalters (F84.3) gemäß

ICD-10 sind eine eindeutig normale Entwicklung bis zu einem Alter von mindestens

zwei Jahren und der endgültige Verlust vorher erworbener Fertigkeiten mit Beginn

der Störung.

Das Asperger-Syndrom (ICD-10: F84.5) unterscheidet sich von der Diagnose

frühkindlicher Autismus durch das Fehlen einer klinisch eindeutigen allgemeinen

Verzögerung der gesprochenen oder rezeptiven Sprache oder der kognitiven

Entwicklung (Wing, 1981). Es bestehen jedoch entsprechend den Kriterien der ICD-

10 qualitative Beeinträchtigungen der gegenseitigen sozialen Interaktion, ein

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ungewöhnlich intensives, umschriebenes Interesse und/oder begrenzte, repetitive und

stereotype Verhaltensmuster, Interessen und Aktivitäten.

Das Rett-Syndrom (ICD-10 F84.2) betrifft fast ausschließlich Mädchen und ist

gekennzeichnet durch eine eindeutig normale psychomotorische Entwicklung

während der ersten fünf Lebensmonate (Glaze, 2004). Das Kopfwachstum nimmt

definitionsgemäß daraufhin ab (5. LM bis 4. LJ) und die erworbenen zielgerichteten

Handbewegungen gehen verloren (5. bis 30. LM) (Poustka, 2004). Neben einer

Kommunikationsstörung und einer Beeinträchtigung der sozialen Interaktion treten

die von Andreas Rett beschriebenen, typischen stereotypen Handbewegungen mit

oder nach dem Verlust der zielgerichteten Handbewegungen auf (Rett, 1966).

Die nicht näher bezeichneten tiefgreifenden Entwicklungsstörungen beschreiben

Störungen, die noch nicht näher klassifiziert sind oder bei der unzureichende

Informationen eine klare Zuordnung nicht erlauben (Poustka, 2004).

Ein für sämtliche oben beschriebenen Krankheitsbilder entscheidendes

diagnostisches Kriterium ist das klinische Bild, welches in der jeweiligen

Ausprägung keiner sonstigen psychischen Störung zugeordnet werden kann.

Tabelle 1: Tiefgreifende Entwicklungsstörungen (F84) nach ICD-10 (die in der

vorliegenden Studie eingeschlossenen Diagnosen sind fett gedruckt.)

- Frühkindlicher Autismus

- Atypischer Autismus

- Rett-Syndrom

- Sonstige desintegrative Störung des Kindesalters

- Überaktive Störung mit Intelligenzminderung und

Bewegungsstereotypien

- Asperger-Syndrom

- Sonstige tiefgreifende Entwicklungsstörungen

- Nicht näher bezeichnete tiefgreifende Entwicklungsstörung

F84.0

F84.1

F84.2

F84.3

F84.4

F84.5

F84.8

F84.9

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1.1.1 Autismus-Spektrum-Störungen und frühe Symptome

Tiefgreifende Entwicklungsstörungen sind durch eine auffällige Entwicklung in

mehreren Bereichen des zentralen Nervensystems mit konsekutiv kontinuierlich

auffälligem Verhalten während der Entwicklung gekennzeichnet (Dumont-Mathieu

und Fein, 2005). Die Symptomatik variiert in Abhängigkeit von Diagnose, Alter,

Ausprägung und damit assoziierten individuellen Pathologien.

Frühe Symptome bezeichnen erste Auffälligkeiten, die in der Entwicklung eines

Patienten Hinweise auf die spätere Diagnose aus dem Bereich der Autismus-

Spektrum-Störungen geben.

Die am häufigsten berichteten Erstsymptome von Patienten mit Autismus-Spektrum-

Störungen innerhalb der ersten Lebensjahre betreffen Sprach- und Sprechprobleme

gefolgt von Störungen des Sozialverhaltens (Siegel et al., 1988; Howlin, 1997). In

früheren Studien nahm man an, dass sich die Pathologie bei Patienten mit Autismus-

Spektrum-Störungen innerhalb der ersten Lebensmonate eindeutig manifestiert. Nach

neueren Studien (De Giacomo und Fombonne, 1998; Robins et al., 2001) erkennen

Eltern von Kindern mit später manifestierten Autismus-Spektrum-Störungen

spezifische Auffälligkeiten meist innerhalb des zweiten Lebensjahres. Rogers und

Dilalla zeigten in ihrer Übersichtsarbeit, dass bei 62% der Patienten mit Autismus-

Spektrum-Störung erste Auffälligkeiten durch die Eltern spätestens nach dem ersten

Geburtstag bemerkt wurden (DiLalla und Rogers, 1994).

Die diagnostischen Richtlinien nach ICD-10 zeigen eine hohe Reliabilität,

Sensitivität und Spezifität erst ab dem 3. Lebensjahr (Poustka et al., 1996). Einige

dieser Kriterien entfallen auf die postnatale Entwicklung, somit stellt die klinische

Diagnostik aktuell den Goldstandard der Früherkennung dar (Bölte und Poustka,

2005).

Die Unterscheidung von primären Auffälligkeiten, die entscheidend für eine

verlässliche frühe Diagnose sind, und sekundären Defiziten, die sich bedingt durch

die primären Auffälligkeiten erst im Laufe des Heranwachsens entwickeln und somit

in der klinischen Diagnostik nicht als ursächlich zu betrachten sind, scheint von

entscheidender Bedeutung (Young et al., 2003). Die primären Defizite beinhalten

qualitative Beeinträchtigungen der reziproken sozialen Interaktion, qualitative

Beeinträchtigungen der verbalen und non-verbalen Kommunikation, das verminderte

Repertoire an Tätigkeiten und Interessen sowie das Beharren auf Gleicherhaltung

und die beeinträchtigte Antwort auf sensorische Stimuli. Sekundäre Defizite und

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komorbide Probleme beinhalten zum Beispiel soziale Desintegration, familiäre

Schwierigkeiten, depressive und zwanghafte Symptome oder Selbstverletzungen.

Es ist mittlerweile wissenschaftlich nachgewiesen, dass eine frühe Diagnose und

somit eine frühe, intensive Therapie zu einem besseren Behandlungserfolg, zu einer

Verbesserung der Langzeitprognose und zu besseren Kommunikationsleistungen

führt (Prizant und Wetherby, 1987; Siegel et al., 1988; Mays und Gillon, 1993; Lord,

1995; Filipek et al., 2000). Daher kommt der Identifikation spezifischer

Frühsymptome eine bedeutende Rolle zu.

1.1.2 Prävalenz und Inzidenz

Die in Studien erfasste Prävalenz einer tiefgreifenden Entwicklungsstörung stieg in

den letzten Jahrzehnten erheblich (Croen et al., 2002). Die genaue Ursache hierfür ist

unklar. Wahrscheinlich findet weniger eine wirkliche Zunahme der Häufigkeit statt;

vielmehr hat das Wissen um die Erkrankung Einzug in die breite Versorgung

gefunden; zudem führte vermutlich die erhöhte Spezifität der diagnostischen

Kriterien konsekutiv zu einer besser erfassbaren Fallzahl (Poustka, 2004).

In einer Population von 15.500 Schulkindern aus Südengland lag die Prävalenz bei

62,6/10.000. Hierbei fallen 36,1/10.000 auf nicht näher bezeichnete tiefgreifende

Entwicklungsstörungen, 16,8/10.000 auf frühkindlichen Autismus, 8,4/10.000 auf

das Asperger-Syndrom und jeweils 0,6/10.000 auf desintegrative Störungen des

Kindesalters und das Rett-Syndrom (Chakrabarti und Fombonne, 2001).

Abbildung 1: Epidemiologie der tiefgreifenden Entwicklungsstörungen (Chakrabarti

und Fombonne, 2001)

57,7%

26,8%

13,4% 1,0% 1,0%

PDD-NOS Frühkindlicher Autismus Asperger-Syndrom

Desintegrative Störung Rett-Syndrom

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Bezogen auf eine Geburtenkohorte von 1988 bis 1991 lag eine kumulative Inzidenz

des frühkindlichen Autismus von 27.2/10.000 vor mit einer Geschlechterverteilung

von 38.4/10.000 (m) zu 15.5/10.000 (w) (Barbaresi et al., 2009). Nach Szatmari &

Jones sind Mädchen bei geringerer Inzidenz überdurchschnittlich häufig schwerer

betroffen, da sie häufiger assoziierte geistige Behinderungen aufweisen (Szatmari

und Jones, 1991). In einer Kohorte von 2.568 Kindern mit Autismus-Spektrum-

Störungen waren 81% männlich (Giarelli et al., 2010).

Die Prävalenz beträgt nach den neueren Studien zwischen 40/10.000 bis 60/10.000

(Baird et al., 2000; Bertrand et al., 2001).

1.2 Ätiologie und biologische Grundlagen

Den tiefgreifenden Entwicklungsstörungen liegt eine heterogene Pathogenese

zugrunde. Obwohl verschiedene Faktoren als Entstehungsgrundlage von Autismus-

Spektrum-Störungen Gegenstand der aktuellen Forschung sind, steht ein gesichertes

Modell zur vollständigen Entschlüsselung der Ätiologie noch aus.

1.2.1 Genetische Faktoren

Die genetischen Prädispositionen, die in familiären und verhaltensgenetischen

Studien seit längerer Zeit diskutiert werden, gelten als Hauptfaktoren bei der

Entwicklung autistischer Störungen (Folstein und Rutter, 1977; Bailey et al., 1996;

Devlin et al., 2005). Es konnte ein deutlich erhöhtes Erkrankungsrisiko für Kinder

autistischer Eltern sowie für Geschwister autistischer Kinder nachgewiesen werden

(Bolton et al., 1994; Constantino und Todd, 2003). Eine Reihenuntersuchung von

277 Zwillingsgeschwistern (210 dizygot; 67 monozygot) zeigte eine

Zwillingskonkordanz für Autismus-Spektrum-Störungen von 31 % bei dizygoten

Zwillingen und 88 % bei monozygoten. Die Wahrscheinlichkeit für ein

Geschwisterkind, bei erkranktem monozygoten Zwilling selbst zu erkranken, ist

unter einem Jahr am höchsten. Monozygote Zwillinge zeigen eine höhere Korrelation

zwischen psychiatrischen Komorbiditäten und Ausprägung der autistischen Störung

(Rosenberg et al., 2009). Da bei eineiigen Zwillingen die Wahrscheinlichkeit zu

erkranken zwar sehr hoch, jedoch nicht 100% beträgt (Cohen et al., 2005), müssen

auch weitere Faktoren eine wichtige Rolle spielen.

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Lauritsen und Ewald (Lauritsen und Ewald, 2001) postulieren, dass die Beteiligung

einiger Genvariationen (vermutlich zwischen zwei und zehn Genen) simultan die

genetische Disposition determinieren. Dies kann auch ein Grund für den variablen

Phänotyp sein, da verschiedene Gene unterschiedliche Verhaltensauffälligkeiten

bewirken könnten.

Es gibt kein spezifisches Gen, das den tiefgreifenden Entwicklungsstörungen explizit

zugeordnet werden kann. Einige Genregionen zeigen jedoch eine

überdurchschnittlich häufige Beteiligung bei Diagnose einer Autismus-Spektrum-

Störung in Kombination mit anderen genetischen Erkrankungen (Risch et al., 1999;

Ghahramani Seno et al., 2011). Bei Patienten mit Autismus-Spektrum-Störung und

gleichzeitig nachweisbarer mentaler Beeinträchtigung wird eine FISH-Untersuchung

(Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung) nach 15q11 Duplikation sowie nach 22q13

Deletion empfohlen (Cohen et al., 2005). Depienne et al. berichten über

Veränderungen der Genloci 15q11-q13 (unter anderem assoziiert bei Prader-Willi

und Angelman-Syndromen) als signifikant ursächlich für etwa ein Prozent der

untersuchten Patienten mit Autismus-Spektrum-Störungen (Depienne et al., 2009).

Das Rett-Syndrom bildet hier eine Ausnahme, da die genetische Ursache, eine

Mutation des Transkription-Repressor-Gens MECP2, bekannt ist und in den meisten

Fällen eine frühzeitige Diagnose ermöglicht (Glaze, 2004). Bei Kindern mit der

Diagnose Rett-Syndrom konnten in mehr als 85% der Fälle Mutationen des MECP2-

Gens auf dem X-Chromosom nachgewiesen werden (Amir et al. 1999).

1.2.2 Assoziierte Hirnschädigungen und Intelligenzniveau

Die Heterogenität der Pathogenese erschwert die Einteilung autistischer Störungen

nach Ursache oder Folge des Erscheinungsbildes assoziierter Hirnschädigungen.

Man nimmt an, dass die Wahrscheinlichkeit, an einer identifizierbaren organischen

Grundkrankheit zu leiden, deutlich steigt, je stärker ein autistisches Kind geistig

beeinträchtigt ist. Dieses Phänomen wird „Syndromaler Autismus“ genannt und

variiert in seiner Prävalenz in Abhängigkeit der jeweiligen Grunderkrankung. Die

Inzidenzrate organischer Auffälligkeiten als Ursache einer autistischen Störung wird

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auf etwa 10% geschätzt (Cohen et al., 2005). Welche genetisch bedingte Erkrankung

die häufigste Ursache darstellt, ist jedoch unsicher.

Das Bourneville-Pringle-Syndrom (Tuberöse Sklerose) zum Beispiel ist in 25% bis

60% der Fälle mit Autismus-Spektrum-Störungen vergesellschaftet (Bailey et al.,

1996). Weitere Autismus-assoziierte Krankheiten sind Fragiles-X-Syndrom,

Phenylketonurie und Williams-Beuren-Syndrom (Smalley, 1991). Liegt der

jeweiligen Autismus-Spektrum-Störung keine organisch nachweisbare Störung

zugrunde, spricht man von idiopathischem Autismus.

Das Intelligenzniveau autistischer Patienten gab häufig Anlass zu Spekulationen. Die

Relation von Kindern mit Autismus-Spektrum-Störungen zu den jeweiligen

Intelligenzprofilen wird in der Literatur divergierend dargestellt. Ging man früher

von einer starken Assoziation zwischen Autismus-Spektrum-Störung und

Intelligenzminderung aus, zeigte sich in jüngeren Studien kein eindeutiger Nachweis

eines spezifischen Intelligenzprofils. Bei durchschnittlichem Intelligenzniveau

zeigten sich uneinheitliche Korrelationen zu einer jeweiligen Schwere der

Fähigkeitsverluste (Charman et al., 2011). Die Geschlechterverteilung in Korrelation

zum Intelligenzquotienten zeigt sich in einer Kohortenanalyse von 2.568 Patienten

mit der Diagnose einer Autismus-Spektrum-Störung. Ein Intelligenzquotient unter 70

wird durchschnittlich häufiger bei männlichen Patienten beobachtet. Darüber hinaus

wurde beim männlichen Geschlecht häufiger ein Intelligenzquotient unter 70 als über

70 beobachtet (Giarelli et al., 2010).

1.2.3 Neurobiologie und Neuropsychologie

In bisherigen Studien weisen annähernd 90% der Patienten mit Autismus-Spektrum-

Störungen eine neurologische Störung im Sinne eines Hirnschadens oder einer

zerebralen Dysfunktion auf (Steffenburg, 1991). Neurobiochemische und

neurobiologische Untersuchungen lassen zwar eindeutige Störungen der

Gehirnfunktion erkennen, es ist jedoch schwierig, ein eindeutiges Muster der

pathologischen Vorgänge zu finden.

Endokrinologische Auffälligkeiten zeigen sich unter anderem in Studien des

Serotoninstoffwechsels. Es besteht eine positive Korrelation des Serotoninspiegels

bei Kindern mit Autismus-Spektrum-Störungen (erhöhter Serotonin-Spiegel bei

Kindern mit einer gesicherter Diagnose) sowie deren Eltern und Geschwistern

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17

(Leventhal et al., 1993; Piven et al., 1993). In einer Übersichtsarbeit konnte bei über

25% der Kinder mit Diagnose einer Autismus-Spektrum-Störung ein erhöhter

Serumserotoninspiegel nachgewiesen werden (Naffah-Mazzacoratti et al., 1993). Als

möglicher Grund wird eine verringerte Anzahl von Bindungsstellen an der

präsynaptischen Membran diskutiert (Devlin et al., 2005). Belege hierfür stehen aber

noch aus.

Neuroanatomisch zeigen sich bei Betroffenen funktionale und strukturelle

Auffälligkeiten. Diese stehen teilweise in Korrelation zum Alter der Patienten. In

einer Studie von 69 Patienten mit Autismus-Spektrum-Störungen zeigten fast die

Hälfte der Patienten magnetresonanztomographische Auffälligkeiten, einschließlich

Signalveränderungen der weißen Substanz, erweiterte Virchow-Robin-Räume und

Temporallappenveränderungen (Boddaert et al., 2009). Im zweiten bis vierten

Lebensjahr konnte eine zerebrale Volumenvergrößerung der frontotemporalen Lobuli

bei gleichzeitiger Reduktion der weißen Substanz und der neuronalen

Verknüpfungen nachgewiesen werden (Courchesne et al., 2001; Carper et al., 2002).

Makrozephalie sowie strukturelle Kleinhirnauffälligkeiten können einen relevanten

Marker darstellen (Bailey et al., 1993). Eine konstant reduzierte Zellgröße kann bei

erhöhter Zelldichte der Neuronen auffällig sein. Insbesondere die Nuclei der

Amygdala sowie Areale des Frontalhirns, des Cerebellums und der Olivenkerne sind

hiervon betroffen. Auch die neuro-neuronalen Synapsen sind in ihrer Funktion

verändert (Kemper und Bauman, 1993). In einer PET- (Positronen-Emissions-

Tomographie) Untersuchung konnten bei 14 sonst körperlich nicht eingeschränkten

Probanden mit Autismus-Spektrum-Störungen im Vergleich zu 14 gesunden

Probanden auffällig reduzierte Verbindungen zwischen Frontalhirn und

Neostriatum/Thalamus nachgewiesen werden (Horwitz et al., 1988).

Interhemisphärische Verbindungsauffälligkeiten bei Patienten mit Autismus-

Spektrum-Störungen sind anatomisch heterogen verteilt. Die transkallosalen

Verbindungen zum Beispiel sind bei mit Verhaltensauffälligkeiten assoziierten

Regionen wie dem sensorimotorischen Kortex und der vorderen Inselregion häufig

erniedrigt. Diese Verbindungsauffälligkeiten bleiben im Laufe der kindlichen

Entwicklung bestehen (Anderson et al., 2011).

Die Angaben zum Auftreten von epileptischen Anfällen bei Kindern mit Autismus-

Spektrum-Störungen schwanken zwischen 5% und 38% mit Manifestationsgipfeln

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18

zwischen dem dritten und fünften sowie ab dem zehnten Lebensjahr mit

Zusammenhang zwischen geistiger Behinderung und Anfallsleiden (Olsson et al.,

1988). Es besteht ein möglicher Zusammenhang von Verhaltensstörungen mit

konsekutiver Regression im Rahmen des Erstauftretens von Anfällen (Kobayashi et

al., 1992). Man schätzt, dass ca. 30 % der erkrankten Kinder bis zum

Erwachsenenalter mindestens zwei unprovozierte Anfälle erleiden im Gegensatz zu

0,5 % als Durchschnittshäufigkeit der Bevölkerung. Auffälligkeiten im

Elektroenzephalogramm zeigen sich je nach Ausprägung und geistiger

Beeinträchtigung in 10,3 % bis 72,4 % der Fälle (Kagan-Kushnir et al., 2005). Ohne

spezifisches Muster zeigen sich in den Ableitungen häufig Aktivitätsreduzierungen

frontaler und temporaler Regionen (Dawson, 1996).

Die neuropsychologische Forschung hat mit ihren Ergebnissen wesentlich zum

Verständnis kognitiver Funktionen bei Autismus-Spektrum-Störungen beigetragen.

Verschiedene neuropsychologische Theorien haben sich um eine Erklärung der

klinisch beobachtbaren Phänomene bemüht. Als besonders wichtig erscheinen hier

die „Theory of Mind“ und die „Theorie der (schwachen) zentralen Kohärenz“ (Bölte

et al., 2002; Poustka, 2004).

Die „Theory of Mind“ umfasst ein breites Spektrum mentaler Fähigkeiten, die einen

erfolgreichen Ablauf sozialer Interaktion gewährleisten (Baron-Cohen et al., 1997;

Tager-Flusberg et al., 2001). Indirekte emotionale Zustände können bei sich und

anderen erfasst und somit die soziale Interaktion entscheidend geprägt werden. Die

Fähigkeit schließt das Erleben und Verständnis von fremdem und eigenem Verhalten

ein und ermöglicht so logische Schlussfolgerungen und soziale Kommunikation

(Bölte et al., 2002). Im Gegensatz zu Kindern mit Autismus-Spektrum-Störungen

sollten gesunde Kinder im vierten Lebensjahr bereits zwischen Emotionen wie

Trauer, Freude, Ärger oder Furcht differenzieren können. Nach Weeks und Hobson

ordnen autistische Kinder Gesichter eher nach Frisur und Accessoires ein als nach

emotionalem Ausdruck (Weeks, 1987). Die „Theory of Mind“ stellt ein hilfreiches

Erklärungsmodell für Kommunikations- und Sozialisationsstörungen bei Autismus-

Spektrum-Störungen dar, ohne jedoch gewichtige Aspekte wie stereotype oder

repetitive Verhaltensweisen erklären zu können. Die Sensitivität und Spezifität der

Modellmerkmale sind in der Literatur jedoch uneinheitlich (Pilowsky et al., 2000).

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19

Die zentrale Kohärenz beinhaltet eine globale kognitive Wahrnehmung und

Interpretation im Gesamtkontext unter Aussparung irrelevanter Details. Bei

Autismus-Spektrum-Störungen wird im Gegensatz dazu eine Fokussierung auf

einzelne Details ohne die globale Kontextgebundenheit angenommen; man spricht

von einer Abschwächung der zentralen Kohärenz (Shah und Frith, 1993). Durch

diese präsegmentierte Wahrnehmung können Betroffene bei Testreihen, die die

Aufgabenbearbeitung durch eine normalerweise vorherrschende Gestaltdominanz

erschweren, wie dem Mosaik-Test oder dem Embedded Figures Test,

vergleichsweise gut abschneiden (Bölte, 2001).

1.2.4 Therapie

Die Therapie von Störungen aus dem autistischen Spektrum gestaltet sich sehr

schwierig, da es keine kausale Behandlung gibt. Sie verfolgt in erster Linie das Ziel,

die Patienten integrationsfördernd so weit wie möglich in das soziale

gesellschaftliche Leben einzugliedern, indem motorische und sprachliche Defizite

sowie autistische Verhaltensmuster abgemildert werden (Poustka, 2007). Kinder mit

Autismus-Spektrum-Störungen sollten so früh wie möglich in spezielle

Entwicklungsprogramme eingebunden werden, um die generelle und insbesondere

die Sprachentwicklung positiv zu beeinflussen (Dawson, 1996; Prizant und

Wetherby, 1998; Lord et al., 2000). Jedoch ist zu beachten, dass für einige dieser

Therapieansätze ein Nutzen nicht immer klar belegt werden kann.

Es besteht der Bedarf einer individualisierten, intensivierten Spezialbehandlung

spätestens im Kindergartenalter, da sich hierdurch eine Verbesserung der negativen

Auswirkungen der Sprach- und Kommunikationsschwierigkeiten im Sozialverhalten

ergeben kann (Dawson und Watling, 2000). Eine wichtige Säule sind hierbei die

frühen intensiven Verhaltenstherapien, zum Beispiel nach Ivar Lovaas (Applied

Behavior Analysis, ABA) oder „TEACCH“ (Treatment and Education of Autistic

and related Communication handicapped Children), die mit einem hohen

Zeitaufwand einhergehen und eine verbesserte Lebensqualität der Kinder zum Ziel

haben. Die Evidenz für die Effektivität intensiver Frühförderung mit

Verhaltenstherapie und ABA ist hoch (Smith et al., 2000; Salt et al., 2002).

TEACCH ist ein pädagogisch-therapeutischer Ansatz, der Prinzipien der

Situationsstrukturierung (structured teaching) und Visualisierung beinhaltet. Die

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20

Therapie nach Lovaas ist eine intensive Verhaltenstherapie, die das Lernen durch ein

förderndes Umfeld verbessert. Metaanalysen kontrollierter klinischer Studien zeigten

eine Überlegenheit der Verhaltenstherapie nach Lovaas gegenüber anderen

Methoden bezogen auf Anpassungsverhalten, Kommunikation und Interaktion,

Sprachverständnis, verbale Ausdrucksweise, Sozialverhalten und

Auseinandersetzung mit Alltagsproblemen (Ospina et al., 2008).

Weniger empirisch abgesicherte Methoden beinhalten die Therapie sozialer

Fähigkeiten in einer Gruppe mit Gleichaltrigen sowie logotherapeutische, ergo- und

physiotherapeutische Ansätze. Ergebnisse des „Frankfurt Social Skills Training“

(KONTAKT) weisen auf eine Verbesserung des Sozialverhaltens bei verminderten

autismusbezogenen Psychopathologien hin (Herbrecht et al., 2009).

Die pharmakologische Therapie ist vor allem bei herausfordernden Verhaltensweisen

(„challenging behaviour“) und Begleitstörungen wie depressiven Episoden,

autoaggressiven Tendenzen, hyperaktiven Aufmerksamkeitsdefizitstörungen und

zwanghaften Impulsen indiziert. Für die Therapie der Kernsymptomatik zeigten sich

in allen Wirkstoffklassen nur sehr geringe Erfolge. Atypische Neuroleptika,

insbesondere Risperidon, zeigten sich potentiell wirkungsvoll bei der Reduktion von

Wutanfällen, Selbstverletzungen und stereotypem Verhalten von Kindern mit

Autismus-Spektrum-Störungen. Selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer

zeigten keine bedeutsame Wirksamkeit im Hinblick auf eine Verbesserung der

Verhaltensauffälligkeiten (Canitano und Scandurra, 2011). Weitere Ansätze könnten

in der Behandlung mit atypischen Antipsychotika, Stimulantien und N-Methyl-D-

Aspirat-Rezeptor-Antagonisten liegen (West et al., 2009).

Bei komorbider Epilepsie müssen therapeutische Interventionen fallbezogen durch

Antikonvulsiva erfolgen (Kagan-Kushnir et al., 2005).

1.3 Verfahren zur Diagnostik und Früherkennung

Die Diagnostik von Autismus-Spektrum-Störungen erfordert ein multiprofessionelles

Vorgehen, das psychodiagnostische und störungsspezifisch somatische

Untersuchungen umfasst und die erhobenen Daten in die multiaxiale Klassifikation

nach ICD-10 eingliedert (Bölte und Poustka, 2005; Holtmann et al., 2005; Herbrecht

et al., 2009). Wichtig ist die Anamneseerhebung und Frühdiagnostik unter

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21

Einbeziehung enger Bezugspersonen, da die Kinder häufig aufgrund des Alters oder

begleitender Behinderung nur stark eingeschränkt auskunftsfähig sind.

Nach Dumont-Mathieu und Fein (2005) gibt es zwei verschiedene Arten von

Screening Methoden; zum einen die allgemeinen Entwicklungstests, z.B. “Parents’

Evaluation of Developmental Status” (PEDS), “Ages and Stages Questionnaire”

(ASQ), “Communication and Symbolic Behavior Scales Developmental Profile”

(CSBS DP); zum anderen die für Autismus-Spektrum-Störungen spezifischen

Screeninginstrumente, z.B. “Checklist for Autism in Toddlers” (CHAT), “Pervasive

Developmental Disorders Screening Test-II” (PDDST-II) oder “Screening Tool for

Autism in Two year olds” (STAT) (Dumont-Mathieu und Fein, 2005). Zur

Diagnosesicherung sind dann konsekutiv diagnostische Interviews und strukturierte

Beobachtungen mit geeigneten Verfahren notwendig. Es besteht allerdings ein

Mangel an validierten Screeninginstrumenten, welche ganze Populationen

flächendeckend über die Hausarztversorgung erfassen könnten (Posserud et al.,

2009). Flächendeckende Datenerhebungen zur Früherkennung autistischer Störungen

mit hoher Sensitivität und Spezifität stellen eine große Herausforderung dar, könnten

aber einen wichtigen Beitrag zur Früherkennung leisten (Honda et al., 2009).

Pinto-Martin et al. zeigen die Notwendigkeit eines Autismus-Spektrum-Störung-

spezifischen Instruments zur flächendeckenden Früherkennung in Verbindung mit

einem standardisierten Entwicklungsscreening (Pinto-Martin et al., 2008). In einer

Befragung niedergelassener Kinderärzte zeigte sich, dass nur 8% gezielt und

spezifisch nach Autismus-Spektrum-Störungen suchen, jedoch 82% nach generellen

Entwicklungsverzögerungen. Als Gründe wurden die fehlende Vertrautheit im

Umgang mit Autismus-Spektrum-Störung-spezifischen Instrumenten (62%),

Überweisung an einen Spezialisten (47%) und fehlende Zeit (32%) genannt (Dosreis

et al., 2006).

Für den deutschsprachigen Bereich sind weitere Instrumente notwendig, um

insbesondere einen breiteren Phänotyp der Autismus-Spektrum-Störungen zu

erfassen und auf Veränderungen der Entwicklung Rücksicht zu nehmen (Bölte und

Poustka, 2005).

Im Folgenden werden verschiedene Autismus-Spektrum-Störung-spezifische

Screeninginstrumente und diagnostische Interviews vorgestellt.

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22

1.3.1 M-CHAT

Die modifizierte Checkliste für Autismus-Spektrum-Störungen bei Kleinkindern (M-

CHAT) (Robins et al., 2001) ist ein Screeninginstrument zur generellen Beurteilung

kindlicher Entwicklungsstufen. Der M-CHAT ist ein Elternfragebogen mit 23 binär

skalierten Items. Die Basis für diese vereinfachte Skala liefert der CHAT (Baron-

Cohen et al., 1992), eine expertenorientierte gemischte Interview- und Ratingskala.

Aufgrund seiner niedrigen Sensitivität zwischen 11,7% und 38%, des

Screeningzeitpunkts von 18 Monaten und der Notwendigkeit der Anwesenheit eines

Experten offenbart er einige Unzulänglichkeiten (Baird et al., 2000). Der CHAT soll

als einer der wenigen Instrumente das Erkennen autistischer Symptome bei Kindern

vor dem zweiten Lebensjahr über eine Skala mit den Teilbereichen „Fragen an die

Eltern“ (A) und „Beobachtungen des Klinikers“ (B) ermöglichen. Er kann jedoch

nicht zwischen tiefgreifenden Entwicklungsstörungen und anderen

Entwicklungsverzögerungen differenzieren (Young et al., 2003). In einer Follow-up-

Studie wurden von 38 Patienten, die durch das CHAT in die Hochrisiko-Gruppe

sortiert wurden, zehn später mit frühkindlichem Autismus diagnostiziert. Allerdings

wurde bei 31 von 15.838 Kindern, die initial in die „no-risk“-Gruppe sortiert wurden,

später die Diagnose Autismus gestellt (Baird et al., 2000). Der M-CHAT erweitert

das Screening-Spektrum der Autismus-Spektrum-Störungen um die PDD-NOS

(Pervasive Development Disorder – Not Otherwise Specified). Basierend auf der

diskriminanten Funktionsanalyse besitzt der M-CHAT eine Sensitivität von 87% und

eine Spezifität von 90% (Robins et al., 2001). Schlüsselitems stellen Item 2

(Interesse an anderen Kindern), Item 7 (Interesse-gebundenes oder zielgerichtetes

Zeigen mit dem Zeigefinger), Item 9 („Bringt ihr Kind ihnen Dinge, um sie zu

zeigen?“), Item 13 (Imitation), Item 14 (Reaktion auf Ansprache) und Item 15 dar

(Verfolgen eines „roten Fadens“) (Dumont-Mathieu und Fein, 2005). Kinder mit der

Diagnose Autismus/PDD-NOS waren bei diesen Items signifikant auffälliger als

gesunde Kinder. In einer Screening-Studie wurden 4.797 Kinder in einer

pädiatrischen Regeluntersuchung erfasst. Aus 466 Kindern, die einen auffälligen

Befund im M-CHAT zeigten, konnten 21 mit der Diagnose Autismus-Spektrum-

Störung identifiziert werden (Robins, 2008).

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23

1.3.2 PDD ST II

Ein weiteres, geringer validiertes Screeninginstrument für Autismus-Spektrum-

Störungen bei Kindern ab einem Alter von 18 Monaten ist der „Pervasive

Developement Disorders Screening Test II” (PDD ST II) (Siegel, 2004). Er besteht

aus einer dreistufigen Anwendung, die auf Elternberichten basiert. Stufe 1 ist für den

Hausarztbereich konzipiert und beinhaltet 22 Items, die bezugnehmend auf 12 bis 48

Monate alte Kinder mit „ja, normalerweise schon“ oder „nein, normalerweise nicht“

beantwortet werden sollen. Bei fünf oder mehr mit ja beantworteten Fragen besteht

mit einer Sensitivität von 91% und 92 % (basierend auf einer Stichprobe von 681

Kindern mit Gefahr einer Autismus-Spektrum-Störung und 256 Kindern mit geringer

bis mittelschwerer anderer Entwicklungsstörung) der Hinweis auf eine tiefgreifende

Entwicklungsstörung (Dumont-Mathieu und Fein, 2005). Stufe 2 und Stufe 3

beinhalten weitere Items, die spezialisierten Einrichtungen vorbehalten sind und mit

einer geringeren Spezifität und Sensitivität einhergehen.

1.3.3 FSK

Der Fragebogen zur sozialen Kommunikation (FSK) (Bölte und Poustka, 2005) ist

ein Elternfragebogen, der häufig im Vorfeld der klinischen Diagnostik durchgeführt

wird. Er generiert einen begründeten Autismusverdacht, indem er soziale

Interaktionsmuster und stereotype Verhaltensweisen erfasst. Die Bearbeitungszeit

liegt bei 15 Minuten, wird ab einem Alter von 4 Jahren empfohlen und hat dabei eine

gute, konvergente Validität mit ADI-R und ADOS. Beispielfragen sind: „Lächelte

er/sie zurück, wenn jemand ihn anlächelte“; „Versuchte er/sie Sie zu trösten, wenn

sie traurig waren?“

1.3.4 SRS

Die Soziale Reziprozitätsskala (SRS) (Bölte et al., 2008) ist ein Elternbericht über

wechselseitige soziale Interaktion, stereotypes Verhalten und sozialen

Sprachgebrauch 4 bis 17-jähriger Kinder. Sie wird bei generiertem Verdacht einer

Autismus-Spektrum-Störung durchgeführt und zeigt eine gute Stabilität und

konvergente Validität mit ADI-R. Die Bearbeitungszeit liegt bei 20 Minuten.

Beispielhafte Auffälligkeiten sind: „Konzentriert sich zu stark auf Details und sieht

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24

nicht das Ganze.“; „Hat Sinn für Humor, versteht Scherze.“; „Zeigt ungewöhnliche

sensorische Interessen.“

1.3.5 ADOS

Die „Beobachtungsskala für Autistische Störungen“ (Autism Diagnostic Observation

Schedule; ADOS) (Lord et al., 1989; Rühl et al., 2003) ist ein komplexes und

strukturiertes Beobachtungsverfahren, das bei Verdacht auf eine autistische Störung

oder eine andere tiefgreifende Entwicklungsstörung verschiedene

Verhaltensauffälligkeiten, soziale Interaktion und sprachliche Fähigkeiten erfasst und

im Querschnitt einstuft. Um spezifische Verhaltensweisen und Symptome

nachweisen zu können, werden strukturiert spielerisch diverse Szenarien, Situationen

und Gespräche durchgeführt, die dem Alter und Sprachverständnis des Patienten

entsprechen. Die Bearbeitungsdauer eines Moduls beträgt 30 bis 45 Minuten (pro

Patient wird ein Modul, welches vom Untersucher aus vier Modulen ausgewählt

wird, benutzt). Die Ergebnisse werden anschließend mit einem diagnostischen

Algorithmus verrechnet, woraus sich drei mögliche Verhaltensbewertungen ergeben:

1. Autismus; 2. Autistisches Spektrum; 3. Unauffällig. Diese Module gehören mit

einer Sensitivität von 90,4% und einer Spezifität von 48,1% zum „internationalen

Standard der Diagnostik von Störungen des autistischen Spektrums nach ICD-10 und

DSM-IV“ (Bölte und Poustka, 2004).

1.3.6 ADI-R

Das diagnostische Interview für Autismus-Revidiert (ADI-R, siehe auch Abschnitt

3.2) ist ein standardisiertes diagnostisches Hilfsmittel zur spezifischen Erfassung

autistischer Störungen jeden Alters.

Durch die Anwendung des ADI-R kann die Entwicklung Zweijähriger in Bezug auf

das Sozialverhalten spezifisch und sensitiv (bei einem Cut-off von 17, Spezifität 99%

und Sensitivität 92%) bestimmt werden (Lord, 1995).

ADI-R und ADOS bilden den Goldstandard zur Diagnostik autistischer Störungen

(Bölte und Poustka, 2004; Le Couteur et al., 2008).

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1.4 Erstsymptome, Spezifität und prognostische Faktoren

Eine entscheidende Basis der frühzeitigen Diagnostik autistischer Störungen ist die

Identifikation spezifischer Erstsymptome. Da sich die Entwicklung häufig schon ab

dem Zeitpunkt der Geburt von der Entwicklung gesunder Kinder unterscheidet, gilt

es, spezifischen Auffälligkeiten besondere Aufmerksamkeit zu schenken (Young et

al., 2009; Fountain et al., 2010). Die endgültige Diagnose einer Autismus-Spektrum-

Störung wird bei Kindern derzeit häufig erst ab einem Alter von 4 bis 5 Jahren

gestellt (Howlin und Asgharian, 1999). Im UK General Practise Research lag das

mittlere Alter der Diagnosestellung bei Kindern bei 4,6 Jahren (Charman und Baird,

2002). Bei praktizierenden Medizinern der Erstversorgung zeigt sich mittlerweile

eine ansteigende Tendenz der Früherkennung und somit eine konsekutiv frühere

Weiterleitung zur spezialisierten Behandlung (Baird et al., 2001).

Ein für Eltern wichtiger Faktor für die Früherkennung stellt ein gesundes, älteres

Geschwisterkind dar, da die Eltern bereits Erfahrungen mit der normalen und

zeitgerechten Kindesentwicklung gemacht haben (De Giacomo und Fombonne,

1998). Die Problematik hierbei ist die geringe Spezifität der frühen Symptome, wie

z.B. Störungen der sozialen Interaktion, Störungen des Essverhaltens oder

anhaltendes Weinen und Schreien, die auf eine tiefgreifende Entwicklungsstörung

hindeuten könnten. Verhaltensweisen wie unübliche oder repetitive Mechanismen,

die als diagnostisches Kriterium bei Autismus-Spektrum-Störungen entscheidend

sein können, treten teils nicht vor dem zweiten Geburtstag auf (Cox et al., 1999;

Howlin und Asgharian, 1999; Stone et al., 1999). Auffälligkeiten der motorischen

Verhaltensweisen, insbesondere eine fehlende Symmetrie der Spontanbewegungen,

könnten als Erstsymptome vor Sprachdefiziten oder sozialen Auffälligkeiten

Hinweise auf das Vorliegen einer Autismus-Spektrum-Störung geben (Esposito et

al., 2009).

Ein einfacher, aber unspezifischer Marker für Auffälligkeiten bereits im ersten

Lebensjahr ist das Verhalten eines Kindes beim Verfolgen eines vorgehaltenen

Zeigefingers. Normal entwickelte Kinder sollten dem Zeigefinger bis spätestens zum

Alter von 12 Monaten folgen können. Kinder mit Autismus-Spektrum-Störungen

scheinen jedoch deutlich mehr Schwierigkeiten zu haben, dem Finger aufmerksam zu

folgen, insbesondere innerhalb der ersten 6 Lebensmonate (Maestro et al., 2002). In

einer Querschnittsuntersuchung von 16.000 Kinder im Alter von 18 Monaten hatten

die Kinder, die einer zielgerichteten Aktion nicht folgen konnten, später ein deutlich

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höheres Risiko, eine Autismus-Spektrum-Störung zu entwickeln (Baron-Cohen et al.,

1996). Jedoch gab es auch Probanden, bei denen trotz Meisterung der Aufgaben

später eine Diagnose aus dem Bereich der Autismus-Spektrum-Störungen gestellt

werden musste.

Eine Verleugnung auffälliger oder verzögerter Entwicklung durch die Eltern kann

erschwerend eine frühzeitige professionelle Diagnostik verhindern. Die

Diagnosestellung einer autistischen Störung erfolgt somit häufig erst zu einem

späteren Zeitpunkt, während das Auftreten erster Symptome (innerhalb der ersten

zwei Lebensjahre) sowie das Aufsuchen professioneller Hilfe signifikant früher

stattfinden (Young et al., 2003).

De Giacomo und Fombonne ermittelten ein Durchschnittsalter von 19,1 Monaten bei

Auftreten der ersten Symptome und ein Durchschnittsalter von 24,1 Monaten bei

erstmaligem Aufsuchen eines Arztes. Weder die Bevölkerungsschicht noch der

Wohnort erscheinen ausschlaggebend für eine Reduktion dieses Intervalls (De

Giacomo und Fombonne, 1998).

Der Zusammenhang zwischen dem Zeitpunkt des Auftretens von Erstsymptomen

und der Ausprägung der autistischen Störung wurde in verschiedenen Studien mit

divergierenden Ergebnissen untersucht. Bei einem Alter des Auftretens der

Erstsymptome unter 18 Monaten zeigt sich eine stärkere Beziehung zu

Entwicklungsverzögerungen und assoziierten Krankheiten (Baghdadli et al., 2003).

Geschlecht, Geburtsort (Stadt vs. Land) und der soziale Rang der Familie haben

hingegen nur schwer spezifizierbare Einflüsse auf das Alter bei Auftreten der

Erstsymptome. In neueren Studien zeigt sich eine Verzögerung der Diagnosestellung

in Abhängigkeit des sozioökonomischen Status. Kinder aus gebildetem Elternhaus

werden früher diagnostiziert als Kinder mit niedrigem sozioökonomischen Status

(Fountain et al., 2010). Um diese Lücke der Ungleichheit zu schließen, bedarf es

weitergehender Vorsorgeuntersuchungen, insbesondere bei der sozioökonomisch

niedrig gestellten Bevölkerung.

1.4.1 Schwierigkeiten der Früherkennung in der Praxis

Die Schwierigkeit der Früherkennung stellt insbesondere medizinische Erstversorger

vor große Herausforderungen. Eine tragende Rolle spielt die Reduktion der

Verzögerung zwischen Kenntnisnahme der ersten Auffälligkeiten und Aufsuchen

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eines Spezialisten, da ein signifikanter Zusammenhang zwischen früher

Diagnosestellung und primärer Versorgung sowie therapeutischen Interventionen

besteht (Charman und Baird, 2002). Gerade für den nicht geübten Untersucher stellt

die Unterscheidung zwischen noch normalen Entwicklungsabweichungen und

pathologisch verzögerter oder abnormaler Entwicklung eine erhebliche Schwierigkeit

dar. Es bedarf daher spezieller Kenntnisse und Erfahrung.

Es gibt keine externen Stigmata, die spezifisch für die Diagnose einer Autismus-

Spektrum-Störung sind. Trotz intensiver Forschungsbemühungen gibt es bisher

keinen sensitiven Blut- oder Gentest zum Nachweis einer Autismus-Spektrum-

Störung.

Eine sehr frühe Diagnose wird dadurch erschwert, dass im jungen Alter die

individuellen Symptome noch unspezifischer sind, da gerade das Sozialverhalten für

die Diagnosestellung entscheidend ist.

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2 Zielsetzung

Ziel dieser Arbeit ist, durch eine möglichst große Stichprobe eindeutige und

reproduzierbare Erstsymptome zu bestimmen, die auf eine mögliche Erkrankung aus

dem Formenkreis der Autismus-Spektrum-Störungen schließen lassen und somit eine

frühzeitige Erkennung und Therapieeinleitung ermöglichen.

Die Studie untersucht retrospektiv Art und Zeitpunkt erster Auffälligkeiten bei

Kindern mit Autismus-Spektrum-Störungen aus Sicht der Eltern.

Die Einteilung der Erstsymptome erfolgt über eine neu entwickelte Kategorienliste,

die unter Einbeziehung aktueller Forschungsergebnisse erstellt wurde. Die häufigsten

Auffälligkeiten bei Autismus-Spektrum-Störungen werden katalogisiert und

thematisch geordnet.

Die Erstsymptome werden nach Altersstruktur und Häufigkeitsverteilung statistisch

ausgewertet und auf ihren prädiktiven Wert hinsichtlich des späteren

Krankheitsverlaufs geprüft.

Die Häufigkeitsverteilung wird weiter intrakategorial aufgeschlüsselt bezüglich der

drei Diagnosen „Autismus“, „Asperger-Syndrom“, „atypischer Autismus“ und

„tiefgreifende Entwicklungsstörungen, nicht andernorts klassifiziert“.

Die Ergebnisse werden mit vorangegangenen Studien verglichen und auf die

inhaltliche Konsistenz geprüft.

Ein abschließender Ausblick diskutiert Konsequenzen aus der vorliegenden Arbeit

und künftige Studienmöglichkeiten.

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3 Methodik

3.1 Stichprobenerhebung

In die Untersuchung wurden Interview-Daten von Probanden eingeschlossen, bei

denen eine der tiefgreifenden Entwicklungsstörungen „Frühkindlicher Autismus“,

„Atypischer Autismus“, Asperger-Syndrom“ oder „Sonstige tiefgreifende

Entwicklungsstörung“ aus dem Formenkreis nach ICD-10 diagnostiziert wurden. Es

wurden retrospektiv Daten berücksichtigt, deren Diagnoseerhebung z.T. mehrere

Jahre zurücklag. Die Eltern von 489 Probanden mit Autismus-Spektrum-Störungen

wurden befragt zu Art und Zeitpunkt erster Symptome ihrer Kinder, die Anlass zur

Sorge gaben (s. Tabelle 3). Mehrfachnennungen waren hierbei möglich. Die

Stichprobe der Probanden wird aus 376 männlichen und 113 weiblichen Patienten

gebildet, die an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und

Jugendalters des Klinikums der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität untersucht

wurden. Die testpsychologische Erhebung der Diagnosen erfolgte durch Anwendung

der Goldstandard-Verfahren ADI-R (Bölte et al., 2006) und ADOS (Rühl et al.,

2003). Die Diagnosen wurden von klinisch erfahrenen und in den Verfahren speziell

trainierten Untersuchern erhoben.

In der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters der

Johann-Wolfgang-Goethe-Universitätsklinik Frankfurt werden alle Untersuchungen

mit dem ADOS nach Einverständnis der Probanden beziehungsweise ihrer Eltern auf

Video aufgezeichnet, um in Zweifelsfällen eine zweite, unabhängige Kodierung zu

ermöglichen und die Interrater-Reliabilität zu überprüfen.

3.2 Diagnostisches Interview für Autismus - revidiert (ADI-R)

Das diagnostische Interview für Autismus - revidiert (ADI-R, siehe auch Tabelle A1)

(Lord et al., 1994; Bölte et al., 2006) ist ein standardisiertes diagnostisches

Hilfsmittel zur spezifischen Erfassung autistischer Störungen jeden Alters (Poustka

et al., 1996).

Es ermöglicht eine systematische Einordnung der Ausprägung und Schwere der zu

erfassenden Informationen (Charman und Baird, 2002). Ein erfahrener Interviewer

befragt dabei in circa 90 bis 120 Minuten einen Elternteil oder Sorgeberechtigten, der

mit der kompletten Entwicklungsgeschichte des Patienten vertraut ist. Durch die in

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30

verschiedenen Studien (Lord et al., 1994; Chakrabarti und Fombonne, 2001)

nachgewiesene Spezifität erlaubt der diagnostische Algorithmus aus verschiedenen

Items die klinische Diagnose Autismus nach ICD-10 und DSM-V.

Die Untersuchung der Interrater-Reliabilität der deutschen Adaptation zeigte bei 32

der 42 Items des Algorithmus ein Kappa >.69. In einer Stichprobe von n=262 betrug

die interne Konsistenz der Skalen r=.91 für die Subskala Soziale Interaktion, r=.83

für Kommunikation und r=.64 für stereotypes Verhalten (Bölte und Poustka, 2001;

Bölte und Poustka, 2005).

Die Items sind den Kernbereichen soziale Interaktion, Kommunikation und Sprache

sowie repetitives, restriktives und stereotypes Verhalten zugeordnet und werden

unter verschiedenen Gesichtspunkten, wie zum Beispiel dem „Zeitpunkt des

Auftretens“, kodiert.

Das Autismus-spezifische Verhalten in Bezug auf die verschiedenen Items wird je

nach Ausprägung mit einer Punktzahl von 0 bis 3 verrechnet. Eine 0 wird vergeben,

wenn kein autismustypisches Verhalten vorhanden ist. Eine 1 wird bei abnormen

Verhaltensweisen vergeben, die sich in ihrer Schwere und Häufigkeit jedoch noch

nicht für 2 qualifizieren. Eine 2 beinhaltet demnach definitiv abnormes Verhalten in

Bezug auf die aufgelisteten Spezifikationen. Eine 3 bleibt besonders schweren

Ausprägungen des Verhaltens vorbehalten. Entscheidend für die sensitive

Diagnoseerhebung ist die Erfahrung des Interviewers, in dessen Ermessen die

Entscheidung liegt, ob die gestellten Fragen ausreichend für die Kodierung sind. Die

Kodierungen müssen mit Verhaltensbeispielen belegt werden.

Die maximale Punktzahl im Bereich „Soziale Interaktion“ beträgt 30, im Bereich

Kommunikation 40 (14 für nicht sprechende, 26 für sprechende Probanden), im

Bereich „Repetitives, restriktives und stereotypes Verhalten“ 12 Punkte.

Ein Cut-off bezeichnet den Schwellenwert eines diagnostischen Testverfahrens, der

zwischen zwei Testergebnissen unterscheidet und dem Untersucher so erlaubt, den

Probanden einem Krankheitszustand zuzuordnen. Dieser liegt im Bereich

Kommunikation bei 10, bei 7 für nicht sprechende und bei 8 für sprechende

Probanden, sowie im Bereich repetitives, restriktives und stereotypes Verhalten bei 3

Punkten. Für die Diagnose „Autismus“ müssen alle Cut-off-Werte erreicht werden

und das Kriterium „Abnorme Entwicklung“ nachgewiesen sein.

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31

3.2.1 Item 1 und 3

In unserer Studie wurden die Items 1 und 3 gesondert untersucht und rückblickend

auf 489 Interviews kategorisiert und digitalisiert. Item 1 des ADI-R („Aktuelle

Sorgen“) fragt nach ernsthaften Sorgen der Eltern in Bezug auf das Kind und

Auffälligkeiten des Verhaltens und der Entwicklung des Patienten, die sich

bemerkbar machen.

Item 3 des ADI-R („Erste Symptome, über die sich die Eltern Sorge machten“)

erfragt die auffälligen Symptome, die sich initial bemerkbar gemacht haben: „Was

war es, was Ihnen zu dieser Zeit Sorgen machte?“ Auf Vollständigkeit der

geschilderten Problematik muss geachtet werden und eine Auflistung nach der

Priorität der Auffälligkeiten muss erfolgen.

3.3 Kategorienbildung

Die Erstsymptome, die von den Eltern genannt werden, sind aufgrund der variablen

Ausprägung und der individuellen Variation der Erkrankung sehr vielfältig. Zur

Komplexitätsreduktion und um eine Aufteilung und Einordnung in Kategorien zu

ermöglichen, wurde a priori eine Kategorienliste erstellt, die inhaltlich die

entscheidenden Symptome widerspiegelt und nach der auch weitere prospektive

Studien die Information der Erstsymptome bündeln können.

Der Prozess der Kategorienbildung erfolgte in mehreren Schritten:

1. Sichtung der Literatur und Extraktion potentiell relevanter Symptombereiche:

Hierzu wurde eine intensive Literaturrecherche durchgeführt, um bereits

bestehende, symptomorientierte Kategorisierungen und Aufteilungen von

Erstsymptomen autistischer Störungen zu sammeln, zu vergleichen und zu

ordnen. Initial wurde eine breit gefächerte Sichtung der Veröffentlichungen

des Themas Autismus und Autismus-Spektrum-Störungen über die

Datenbank pubmed durchgeführt. In der Folge wurde hinsichtlich der

speziellen Fragestellung „frühe und erste Symptome bei autistischen

Störungen“ unter Einbeziehung der aktuellen Veröffentlichungen zunehmend

selektiert. Es wurde parallel die aktuelle, in schriftlicher Form vorhandene

Literatur gesichtet und hinsichtlich der Grundlagen der Pathogenese und

zunehmend selektiver insbesondere in Bezug auf frühe Symptome bei

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32

Autismus-Spektrum-Störungen miteinbezogen. Insbesondere folgende

Studien wurden dann zur Erstellung der Kategorienliste herangezogen:

a) De Giacomo und Fombonne untersuchten 1997 retrospektiv

Einflussfaktoren der Früherkennung bei Patienten mit tiefgreifenden

Entwicklungsstörungen. Die Patienten wurden mit dem ADI-R

diagnostiziert. Bei 75% der Kinder wurden Sprachprobleme als eine der

Sorgen identifiziert, bei über der Hälfte als erste Sorge. Abnormale sozio-

emotionale Verhaltensweisen waren als erste Sorge in 17,1 % der Fälle zu

finden, medizinische Probleme oder verspätetes Erreichen der

Meilensteine der Entwicklung in 11,0 % der Fälle. Das mittlere Alter bei

der ersten elterlichen Sorge war bei Sprech- und

Sprachverständnisstörungen als erste Auffälligkeit signifikant niedriger

als bei anderen Auffälligkeiten (14,9 Monate gegenüber 22,3 Monaten).

Auch bei geistig behinderten Kindern zeigte sich ein signifikanter

Altersunterschied bei erster Sorge gegenüber mental unauffälligen

Patienten (15,0 Monate im Vergleich zu 22,3 Monaten). Bei Mädchen lag

das mittlere Alter (15,7 Monate) bei höherer Rate an mentaler

Retardierung deutlich niedriger als bei männlichen Patienten (19,8

Monate), dies blieb bei geringerer weiblicher Fallzahl jedoch ohne

statistische Signifikanz.

b) Young et al. haben im Rahmen von Umfragen mit Eltern von 153 Kindern

Verhaltensweisen analysiert, die den Eltern früh Sorge bereiteten (Young

et al., 2003) (s. Tabelle 12). Ziel war es einerseits herauszufinden, welche

Symptome primär die zugrunde liegende neurologische Symptomatik

widerspiegeln („core deficit-linked behaviours“) und andererseits, welche

Symptome das sekundäre Ergebnis ihrer Krankheitsbewältigung sein

könnten („secondary behavioural manifestations“). Aufgrund der

Elterninformationen, die mittels Fragebögen mit offenen Fragen eingeholt

wurden, konnten verschiedene Arten von Verhaltensauffälligkeiten

aufgezeigt werden, die in den ersten Lebensjahren des Kindes Besorgnis

erregt hatten. Diese beinhalteten zum Beispiel „fehlende Aufmerksamkeit

gegenüber einer Bezugsperson“, „verzögerte Sprachentwicklung“,

„Heftiges Schreien/Tantrums“ und „auffälliges Sozialverhalten“.

Diagnostische Kriterien sollten die Schwierigkeiten der Früherkennung

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33

reflektieren und zwischen den primären Symptomen und den sekundären

Defiziten differenzieren. Das Ziel der Fragebögen war, den Zeitpunkt und

den Ursprung des Beginns der abnormen Entwicklung zu erfragen und

das Alter bei Auftreten der ersten spezifischen Symptome wie

Kommunikation, soziale Auffälligkeiten und stereotype Besonderheiten

zu erfassen.

c) Adrien et al. beschreiben Erstsymptome bei Kindern mit Autismus-

Spektrum-Störungen, die innerhalb des ersten Lebensjahres auffällig

wurden (Adrien et al., 1993). Diese beinhalten soziale

Interaktionsstörung, fehlende soziale Mimik sowie Hypotonie und

Aufmerksamkeitsstörungen.

d) Anhand von Studien, die das Verhalten von Kindern im Alter von 8 bis

10 Monaten auf Videoaufnahmen festhielten, zeigen sich deutliche

Auffälligkeiten in Bezug auf die Reaktion nach Namensansprache bei

Kindern, die später mit einer Autismus-Spektrum-Störung diagnostiziert

wurden (Werner et al., 2000). In diesem Alter ist die Fokussierung auf ein

frühes nonverbales Kommunikationsverhalten entscheidend gegenüber

häufig erst später zu fassenden repetitiven oder stereotypen

Verhaltensweisen.

e) Nach Filipek, Accardo, Charman und Baird können die Symptome, die

Anlass zu elterlicher Sorge bereiten und Autismus-relevant sind, in 4

Gruppen eingeteilt werden:

1: „Communication concerns“, die unter anderem Sprachverzögerung,

fehlende Reaktion auf Ansprache und Ausdrucksschwäche beinhalten;

2. „Socialisation concerns, die unter anderem mangelnden Blickkontakt,

fehlendes soziales Lächeln und eigenwilliges Sozialverhalten beinhalten;

3. „ Behavioural concerns“, die unter anderem auffälliges Spielverhalten,

Tantrums und Hypersensibilität beinhalten;

4. „ Absolute indications for immediate further evaluation“, die unter

anderem eine fehlende Gestik im Alter von 12 Monaten, fehlende

Einzelworte im Alter von 16 Monaten und ein Verlust von Sprach- oder

Sozialfähigkeiten unabhängig vom Alter beinhalten (Filipek et al., 1999;

Charman und Baird, 2002) (s. Tabelle 13).

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34

2. Die berichteten Symptombereiche wurden auf Gemeinsamkeiten hin

untersucht und einheitlich benannt, um die Komplexität und Variabilität der

unterschiedlichen Erstsymptome zu bündeln. Viele Erstsymptome bedingen

einander und sind im Gesamtbild eines Patienten häufig als

zusammenhängend zu betrachten. Dennoch müssen sie zum besseren

Verständnis und zur statistischen Auswertung einzeln katalogisiert werden.

Häufungen und Wertungen einzelner Autoren hinsichtlich der frühen

Symptomatik wurden einbezogen.

Die endgültige Kategorienliste wurde dann unabhängig durch erfahrene

Untersucher erstellt.

3. Im Konsensverfahren erfolgte das Erstellen einer neuen Kategorienliste durch

auf diesem Gebiet ausgewiesene Experten (Prof. Dr. rer. med. Dipl.-Psych.

Sven Bölte, Karolinska-Institut Stockholm, Department of Women’s and

Children’s Health/KIND; Dr. med. Evelyn Herbrecht, Leiterin Autismus-

Therapiezentrum Frankfurt am Main; Prof. Dr. med. Martin Holtmann,

ärztlicher Direktor LWL-Universitätsklinik Hamm für Kinder- und

Jugendpsychiatrie). Die Symptombereiche aus der Literatur können zu diesen

Kategorien zugeordnet werden. Die Kategorienliste deckt die Breite der

möglichen frühen Symptome ab und ermöglicht eine einfache Zuordnung und

in der Folge auch Auswertung.

Die Liste umfasst 28 kategorisierte Erstsymptome in den 5 Teilbereichen

„Abnorme Entwicklung“, „Auffälligkeiten in der Interaktion“,

„Auffälligkeiten des kommunikativen Spielverhaltens“,

„Repetitive/stereotype Verhaltensweisen“ und „Inadäquates

Verhalten/Sonstige Auffälligkeiten“. Die Teilbereiche werden im Folgenden

erläutert.

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35

3.3.1 Abnorme Entwicklung

Die Entwicklung kann bei Patienten mit Autismus-Spektrum-Störungen in vielerlei

Hinsicht gestört sein. Häufig findet sich eine zeitliche Verzögerung oder das

Ausbleiben verschiedener Entwicklungsschritte, die erst im Rückblick als

pathologisch identifiziert werden können.

Die Abweichung der motorischen Entwicklung kann sich bemerkbar machen durch

Ungeschicklichkeit („Konnte nicht sitzen oder laufen“), Koordinationsstörungen mit

Krabbelschwierigkeiten („Beim Krabbeln zog er das linke Bein nach“) oder späteren

Gangschwierigkeiten („Fiel dauernd hin.").

Die Sprachentwicklung ist sehr häufig betroffen und äußert sich mit einem

verspäteten oder abnormen Einsetzen der gesprochenen und reziproken Sprache („Er

fing nur sehr langsam an zu sprechen, war sehr zurück im Vergleich zu den

Geschwistern“/„Die Sprache kam nicht in Gang, sagte lange nichts außer Papa“).

Zu lingualen Auffälligkeiten zählen unter anderem die Pronominalumkehr, Echolalie

(krankhafter Zwang, Gesprochenes selbst zu wiederholen) und Idiosynkrasie (nur

von Patienten selbst verstandener Sprachgebrauch; z.B.: „Als er anfing zu sprechen

kam kein Dialog zustande, er kommentierte Dinge, gab keine Antwort, sprach

echolalisch, wiederholte Worte und die Fragen, die man ihm stellte. Er spricht von

sich mit Du und Anton, verwendet kein Ich.“)

Fehlende Stuhlkontrolle und verstärktes Einnässen im Rahmen einer verzögerten

Sauberkeitsentwicklung („Angst vor Toilette“) sowie muskuläre Hyper- bzw.

Hypotonie („Hatte eine Strecktendenz der Glieder“) sind weitaus seltener als frühe

Erstsymptome einer autistischen Störung zu finden.

3.3.2 Auffälligkeiten der Interaktion

Die Patienten zeigen häufig eine auffällige Passivität und Zurückgezogenheit, die mit

Anspruchslosigkeit und einem mangelnden Interesse an der Bezugsperson einhergeht

(„Reagierte nicht, war teilnahmslos“). Die Eltern beschreiben dieses Verhalten als

„in der eigenen Welt sein“ („Nahm im Kindergarten keinen Kontakt auf, war immer

für sich“).

Der Blickkontakt wird selten gesucht und/oder aufrecht erhalten („er drehte sich

meistens weg, wenn die Mutter ihn zum Füttern oder Schmusen auf den Arm

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36

nahm“); ebenso wie das aktive („freute sich nicht, lachte wenig“) oder passive

soziale Lächeln („mit 3 Monaten fiel auf, dass sie nicht lachte“).

Kinder mit Autismus-Spektrum-Störungen zeigen besonders im frühen Kindesalter

Schwierigkeiten der emotional-fazialen Wiedererkennung (Kuusikko et al., 2009).

Fehlende emotionale Gebundenheit kann sich durch Ablehnung von Körperkontakt

(„totale Abwehr von Körperkontakt, Mutter musste sie immer im Tragetuch halten“;

„Als er ein halbes Jahr alt war, drückte er sich nach hinten, wenn man ihn auf dem

Arm hatte“), oder eine fehlende Trennungsreaktion äußern („Als er anfing zu laufen,

lief er im Park weg, drehte sich nicht um, schaute nicht nach Seiten im Park, nach

Leuten“).

Antworten und mimische Reaktionen auf Ansprache der Patienten können sehr

unterschiedlich und teils inadäquat ausfallen („Grimassierte viel, schmatzte mit der

Zunge, reagierte nicht auf Anrufen“). Die fehlende Reaktion auf Ansprache scheint

eines der entscheidenden Symptome bei Kindern im Alter von einem Jahr zu sein

(Osterling et al., 2002).

Eine seltener erstsymptomatisch, jedoch im Verlauf häufiger auftretende

Auffälligkeit stellt der abweichende Umgang mit Gleichaltrigen sowie die

ungewöhnliche, unpassende Kontaktaufnahme dar („War aggressiv, haute Kinder,

fasste sie an Haaren an, um Kontakt zu anderen Kindern aufzunehmen, wurde

anfangs abgelehnt“).

3.3.3 Auffälligkeiten des kommunikativen Spielverhaltens

Das Spiel ist häufig limitiert und nicht altersgemäß, die Kinder zeigen ein oft

unsozial erscheinendes Vermeidungsverhalten oder mangelndes Interesse an

Gleichaltrigen („Ging nicht auf Kinder zu, reagierte ängstlich“; „War im

Kindergarten oft alleine in einer Ecke“).

Fehlen von funktionalem Spiel sowie Phantasie- und Imitationsspiel können genauso

auftreten wie ein gänzlich fehlendes Interesse an Spielsachen („Spielte nicht richtig,

drehte Räder von Autos, klopfte Wände mit Zahnbürsten ab“).

Das interaktive Spiel mit Gleichaltrigen kann deutlich beeinträchtigt sein („hatte nur

alleine gebaut, schubste Kinder weg“).

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37

3.3.4 Repetitive/Stereotype Verhaltensweisen

Bizarre, „verrückte“ und unerklärliche Verhaltensweisen können im

Entwicklungsprozess auftreten („Schaukelte viel im Bett oder wenn sie auf dem

Bauch lag, stimulierte sich ständig körperlich“) und sich in Form von Manierismen

(psychopathologische Bewegungsabläufe, die unsinnig erscheinen) widerspiegeln.

Als autistisches Kernsymptom gilt das stereotype Spielverhalten, welches drehen,

aufreihen oder sortieren beinhalten kann, und die repetitive Beschäftigung mit

Objekten („Sie saß in einer Ecke und drehte Papier oder Plastikfolie in ihren Händen

über Stunden“).

Im alltäglichen Leben zeigt sich häufig eine Resistenz gegenüber Veränderungen, im

Tagesablauf müssen bekannte Routinen wie immer der gleiche Schulweg eingehalten

werden („Wollte immer nur denselben Weg gehen, wenn man spazieren ging“; „war

veränderungsschwierig, schrie, wenn man die Wohnung verlassen wollte“).

Die Kinder legen ein zwanghaftes Verhalten an den Tag und verfangen sich in

wiederkehrenden Ritualen („war mit seinen Tieren im Bett zwanghaft ordentlich,

räumte alles zurück an seinen Platz wenn es mal verändert war“).

3.3.5 Inadäquates Verhalten/Sonstige Auffälligkeiten

Die Patienten zeigen teilweise Interesse an abnormen Gegebenheiten und

beschäftigen sich intensiv damit („Liebt Geräusche, nimmt sie auf und hört sie sich

stundenlang an“; „Interessierte sich für alles, was sich im Wind bewegte, Gräser,

Schirme, Markisen“).

In einer Studie von 208 20 bis 54 Monate alten Kindern mit der späteren Diagnose

einer Autismus-Spektrum-Störung zeigten sich sensorische Abnormalitäten als

häufiges Symptom vor allem im weiteren Verlauf der Erkrankung. Es imponierten

Hör- und Schmerzaffektionen als häufigste der sensorischen Auffälligkeiten. Die

Kinder mit frühkindlichem Autismus zeigten die meisten sensorisch-affektiven

Auffälligkeiten (Klintwall et al., 2011).

Kinder mit Autismus-Spektrum-Störungen können auditive Reize im Gegensatz zu

Kindern ohne Autismus-Spektrum-Störung schwerer differenzieren bei gleichzeitig

erhöhter Sensibilität für taktile, gustatorische und olfaktorische Reize. Es besteht ein

signifikanter Zusammenhang zwischen sensorisch-assoziierten Symptomen und

stereotypen Verhaltensweisen (Wiggins et al., 2009).

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Schwierig zu steuern für Eltern und Sorgeberechtigte sind unterschiedlich häufig

auftretende Wein- und Schreiattacken; es fällt schwer, die Kinder zu beruhigen

(„Schrie oft nächtelang“; „weinte oft ohne Grund vor sich hin, weinte viel“).

Die Kinder können aggressives Verhalten gegenüber Fremden entfalten, um

ungewohnte Situationen zu kompensieren („Er war extrem aggressiv und unruhig als

Kleinkind, wehrte sich heftig beim Wickeln. Zerlegte sein Bett schon mit einem

halben Jahr“; „er schlug früh auf Kinder, warf Sand nach ihnen, schubste ein Kind

von der Rutsche“). Im Verlauf können sich Impulsdurchbrüche und motorische

Unruhe manifestieren.

Im Gegensatz dazu steht das autoaggressive Verhalten, bei welchem sich die

Patienten selber Schmerzen zufügen („wenn es nicht nach seinem Willen ging,

schlug er sich den Kopf an die Wand, war sehr destruktiv“; „Schlug ständig mit der

Stirn auf den Boden, auch mal den Kopf an den Heizkörper, stach sich mit Gabeln in

den Bauch“).

Die postpartale Nahrungsaufnahme kann sich in Bezug auf das Still- und

Fütterungsverhalten sehr schwierig gestalten. Aber auch im weiteren Verlauf der

Entwicklung sind Essstörungen nicht ungewöhnlich („verweigerte das Trinken, war

ein Kampf ihn zum Stillen zu bringen, musste von Anfang an zugefüttert werden“;

„Wollte bis zum Schuleintritt die Flasche“; „Später aß er nur trockene Sachen, nur

Brot, nur Kartoffeln, Nudeln ohne Sauce“). Schlafstörungen können sich durch einen

Mangel an Schlaf, aber auch durch eine verlängerte Schlafdauer oder

Durchschlafstörungen bemerkbar machen („Schlief nie tief, war oft verwirrt“).

Tabelle 2 zeigt die a priori erstellte Kategorienliste:

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Tabelle 2: Kategorienliste möglicher Frühsymptome von autistischen Störungen

Abnorme Entwicklung

1. Verzögerung/Ungeschicklichkeit der motorischen Entwicklung

2. Verzögerung der Sprachentwicklung, Sprechstörung

3. Verzögerung der Sauberkeitsentwicklung

4. Auffällige Sprache (z.B. Idiosynkrasie, Echolalie, Pronominalumkehr)

5. Muskuläre Hyper-/Hypotonie

Auffälligkeiten in der Interaktion

6. Mangelnder Blickkontakt

7. Fehlen von aktivem/reaktivem sozialen Lächeln

8. Eingeschränkte/eigentümliche Mimik

9. Eingeschränkte Reaktion auf den Namen/Ansprache

10. Inadäquate Kontaktaufnahme/Umgang mit Gleichaltrigen

11. Passivität, Zurückgezogenheit, „in der eigenen Welt sein“,

„Nicht-Bezogenheit“, auch mangelndes Interesse an Bezugspersonen,

Anspruchslosigkeit

12. Ablehnung von Körperkontakt

13. Fehlende Trennungsreaktion

Auffälligkeiten des kommunikativen Spielverhaltens

14. Fehlen von funktionalem-/Phantasiespiel/Imitationsspiel, auch mangelndes

Interesse an Spielsachen

15. Mangelndes Interesse an Gleichaltrigen/Vermeidungsverhalten

16. Fehlen von interaktivem Spiel mit Gleichaltrigen

Repetitive/stereotype Verhaltensweisen

17. Manierismen und bizarres, „verrücktes“, unerklärliches Verhalten

18. Repetitive Beschäftigung mit Objekten/stereotypes Spielverhalten (aufreihen,

drehen, sortieren)

19. Resistenz gegenüber Veränderungen, Bestehen auf Routinen, zwanghaftes

Verhalten (Ordnungszwang, Hygienezwang), Rituale, verbale Rituale

Inadäquates Verhalten/Sonstige Auffälligkeiten

20. Abnorme Interessen und Beschäftigungen

21. Schwer zu beruhigen, anhaltendes Weinen/Schreien

22. Fremdaggressives Verhalten, Impulsdurchbrüche, motorische Unruhe

23. Autoaggressives Verhalten

24. Gestörte Nahrungsaufnahme, problematisches Essverhalten

25. Schlafstörungen (viel schlafen, wenig schlafen, durchschlafen, …)

26. Abnorme Sensorik (Lärmempfindlichkeit), sensorische Interessen

27. Sonderbegabung/vorzeitiges Erreichen von Fertigkeiten

28. Somatische Auffälligkeiten

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3.4 Statistik

Die zu Grunde liegenden Interviews der Patientenprotokolle wurden für die

statistische Behandlung vorab individuell ausgewertet. Dazu wurden sie anhand der

Erstsymptome hinsichtlich der oben erläuterten Kategorienliste eingeordnet.

Deskriptive Statistik

Mit Hilfe der deskriptiven Statistik wurden Aufstellungen ausgearbeitet zur

absoluten und relativen Häufigkeit für die Variablen

ICD-10 Diagnose: frühkindlicher Autismus (F84.0); atypischer Autismus

(F84.1); Asperger-Syndrom (F84.5); Sonstige tiefgreifende

Entwicklungsstörung (F84.8)) (nominalskaliert);

Alter bei Auftreten erster Symptome (intervallskaliert);

Alter bei Aufsuchen professioneller Hilfe (intervallskaliert);

Diagnose bei Auffälligkeiten peripartal (nominalskaliert);

syndromale Begleiterkrankungen (Down-Syndrom; infantile Spasmen; prä-,

peri- und postnatale Komplikationen, leicht/schwer; Contergan; syndromale

Erkrankungen, nicht spezifiziert; keine syndromalen Auffälligkeiten)

(nominalskaliert);

Erstsymptom (nominalskaliert).

Für die Variablen Alter bei Auftreten erster Symptome und Alter bei Aufsuchen

professioneller Hilfe wurden die Mittelwerte differenziert nach ICD-10 Diagnose

und Erstsymptom betrachtet.

Induktive Statistik

Auf Grund der Literatur-Recherche lag die Untersuchung folgender Nullhypothesen

nahe:

Autistische Patienten mit dem Erstsymptom Verzögerung der

Sprachentwicklung sind nicht früher auffällig als autistische Patienten ohne

Sprachentwicklungsverzögerung;

das Geschlecht autistischer Patienten ist unbedeutend für den Zeitpunkt des

Auftretens der Erstsymptome;

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der sozioökonomische Status autistischer Patienten hat keinen Einfluss auf

das Alter bei erster Sorge;

medizinische Komplikationen oder syndromale Begleiterkrankungen haben

bei autistischen Patienten keine Auswirkungen auf das Alter bei Auftreten

erster Symptome;

Die beiden zuerst genannten Nullhypothesen wurden unter Annahme der

Normalverteilung für das Alter bei Auftreten erster Symptome mit dem t-Test zum

Vergleich der Mittelwerte zweier Stichproben (Patienten mit und ohne

Sprachentwicklungsverzögerung bzw. männlich und weiblich) überprüft. Um jeweils

festzustellen, ob die Varianzen der zwei Stichproben homogen (Student´s t-Test)

oder heterogen (Welch´s t-Test) sind, wurde der Levene-Test auf Homoskedastizität

durchgeführt.

Die beiden zuletzt genannten Nullhypothesen wurden mithilfe der einfaktoriellen

Varianzanalyse (one-way ANOVA) getestet. Auch hier wurde die Annahme der

Normalverteilung für das Alter bei Auftreten erster Symptome getroffen und der

Levene-Test auf Homoskedastizität angewendet. Mittels der Scheffé-Prozedur wurde

eine mögliche Abweichung der Faktorstufen näher spezifiziert. Für die beiden

Domänen Soziale Interaktion und Kommunikation des Interviews ADI-R wurde

jeweils betrachtet, welche Erstsymptome von besonderem Aussagewert und

Vorhersagekraft für die Früherkennung sind. Zu diesem Zweck wurde anhand von

Korrelationsmatrix und Hauptkomponentenuntersuchung eine Faktorenanalyse

durchgeführt.

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4 Ergebnisse

489 Patienten mit Autismus-Spektrum-Störungen wurden in die Studie

eingeschlossen, 376 davon männlich (76,9%) und 113 weiblich (23,1%). 46

Patienten (9,4%) hatten somatische Auffälligkeiten.

4.1 Häufigkeitsverteilung der Diagnosen innerhalb der gesamten Stichprobe

Die Häufigkeitsverteilung der Diagnosen innerhalb der gesamten Stichprobe wurde

untersucht, um eine diagnoseorientierte Einteilung und Berechnung vornehmen zu

können. Der Mehrheit der betrachteten Patienten war zum Zeitpunkt der

Untersuchung die Diagnose Autismus (F84.0; 381) zugeordnet, gefolgt von

atypischem Autismus (F84.1; 60), Asperger-Syndrom (F84.5; 34) und Sonstige

tiefgreifende Entwicklungsstörung (F84.8; 14).

Tabelle 3: Häufigkeitsverteilung der Diagnosen

ICD-10 Diagnose Häufigkeit Prozent

Autismus (F84.0) 381 77,9

Atypischer Autismus (F84.1) 60 12,3

Asperger-Syndrom (F84.5) 34 7,0

Sonstige tiefgreifende Entwicklungsstörung (F84.8) 14 2,9

Gesamt 489 100,0

4.2 Zeitpunkt der ersten Symptome mit Konsequenz

Das mittlere Alter bei Auftreten von Erstsymptomen lag bei 23,7 Monaten (± 17,7).

Bei 367 der 489 Probanden wurde eine genaue Monatsangabe zum Zeitpunkt des

Auftretens der Erstsymptome gemacht. Patienten mit frühkindlichem Autismus

(F84.0) zeigten im Mittel die frühesten Anzeichen (21,3 Monate; ± 12,8), gefolgt von

Patienten mit sonstiger tiefgreifender Entwicklungsstörung (22,8; ± 14,5),

atypischem Autismus (31,7; ± 20,5) und Asperger Syndrom (43,1; ± 43,2).

Das mittlere Alter bei Aufsuchen professioneller Hilfe lag bei 33,9 Monaten (±24,2).

Die geringste Zeitspanne zwischen erster Sorge und Aufsuchen professioneller Hilfe

zeigten Patienten mit Sonstiger tiefgreifender Entwicklungsstörung (8,1 Monate),

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gefolgt von Autismus (8,2), atypischem Autismus (10,6) und Asperger-Syndrom

(13,7). Die Zeitspanne zwischen erster Sorge und Aufsuchen erster Hilfe lag im

Durchschnitt für alle untersuchten Patienten bei 10,2 Monate.

Tabelle 4: Zeitpunkt der ersten Symptome und des Hilfesuchens

Diagnose Erstsymptom

(in Monaten)

Hilfe gesucht

(in Monaten)

Autismus 21,3 29,5

Asperger-Syndrom 43,1 56,8

Atypischer Autismus 31,7 42,3

Sonstige tiefgreifende

Entwicklungsstörung

22,8 30,9

Eltern von Kindern mit frühkindlichem Autismus waren signifikant früher besorgt

als Eltern von Kindern mit Asperger-Syndrom und atypischem Autismus.

Unterschiede zeigten sich auch zwischen Eltern von Kindern mit Asperger-Syndrom

und Kindern mit sonstigen tiefgreifenden Entwicklungsstörungen.

Tabelle 5: Scheffé-Prozedur interdiagnostische Früherkennung

ICD-10-

Diagnose

ICD-10-

Diagnose

Mittlere

Differenz

Standardfehler Signifikanz

F84.0 F84.5

F84.1

F84.8

-21,748

-10,349

-1,476

3,895

2,752

5,704

0,000

0,003

0,995

F84.5 F84.0

F84.1

F84.8

21,748

11,399

20,272

3,895

4,563

6,767

0,000

0,102

0,031

F84.1 F84.0

F84.5

F84.8

10,349

-11,399

8,873

2,752

4,563

6,180

0,003

0,102

0,560

F84.8 F84.0

F84.5

F84.1

1,476

-20,272

-8,873

5,704

6,767

6,180

0,995

0,031

0,560

Page 44: Aus der LWL-Universitätsklinik Hamm der Ruhr … · Aus der LWL-Universitätsklinik Hamm der Ruhr-Universität Bochum Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie und

44

Im Folgenden wurde zur diagnoseübergreifenden Klassifikation untersucht, in

welchem Monat und Lebensjahr Eltern über Erstsymptome berichteten.

Tabelle 6: Altersverteilung Erstsymptome

Alter in Monaten Absolute Häufigkeit Relative Häufigkeit

Seit Geburt 57 11,7 %

0 – 12. LM 110 22,5 %

13. – 24. LM 129 26,4 %

25. – 36. LM 87 17,8 %

Vor 3. Geburtstag 7 1,4 %

Nach 3. Geburtstag 46 9,4 %

Nicht beunruhigt 3 0,6 %

Unbekannt/Fehlend 50 10,2 %

Gesamt 489 100,0 %

Bei Patienten, deren Eltern sich von Geburt an Sorgen machten, wurde die

Diagnosehäufigkeit untersucht.

Tabelle 7: Diagnosenverteilung peripartal

Diagnose Absolute Häufigkeit Relative Häufigkeit

Autismus (F84.0) 49 86,0 %

Atypischer Autismus (F84.1) 4 7,0 %

Asperger-Syndrom (F84.5) 3 5,3 %

Sonstige tiefgreifende Ent-

wicklungsstörung (F84.8)

1 1,8 %

Gesamt 57 100 %

Bei 57 Patienten zeigten sich die Eltern seit Geburt besorgt. Bei 86,0 % wurde später

die Diagnose frühkindlicher Autismus gestellt, bei 5,3 % die Diagnose Asperger-

Syndrom, bei 7,0 % die Diagnose Atypischer Autismus und bei 1,8 % die Diagnose

Sonstige tiefgreifende Entwicklungsstörung.

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45

4.3 Begleiterscheinungen und Syndromale Erkrankungen

Innerhalb des Patientenkollektivs, in welchem seit Geburt erste Auffälligkeiten

bestehen, wurde der Anteil an Patienten mit Begleiterscheinungen oder syndromalen

Erkrankungen untersucht.

Tabelle 8: Begleiterscheinungen peripartal

Syndrom/Begleiterscheinung

Absolute Häufigkeit Relative Häufigkeit

Down-Syndrom

1 1,8 %

Infantile Spasmen

1 1,8 %

Prä-, peri- und postnatale

Komplikationen, leicht

10 17,5 %

Prä-, peri- und postnatale

Komplikationen, schwer

20 35,1 %

„Contergan“-geschädigt

1 1,8 %

Syndromale Erkrankungen, nicht

spezifiziert

1 1,8 %

Keine syndromalen

Auffälligkeiten

23 40,4 %

Gesamt

57 100,0 %

Die Mehrheit (34 ≙ 59,6%) zeigte hierbei syndromale Auffälligkeiten, am häufigsten

wurden die schweren prä-, peri- und postnatalen Komplikationen genannt.

4.4 Kategorienliste der symptomorientierten Früherkennung von Autismus-

Spektrum-Störungen

Eine neue Kategorienliste wurde vor Auswertung der Interviews erstellt, die den

genannten Erstsymptomen der Interviewskala ADI-R gerecht wird und eine

eindeutige Aufteilung und Zuordnung ermöglicht (s. Tabelle 2; S.39).

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46

4.5 Anlass zur ersten elterlichen Sorge und mittleres Alter bei Auftreten von

Erstsymptomen

Nach Zuordnung der Erstsymptome zu den einzelnen Kategorien wurde die

interkategoriale Häufigkeitsverteilung bei allen Probanden untersucht (n=489).

Mehrfachnennungen waren möglich. Die Ergebnisse finden sich in Abbildung 2.

Das Erstsymptom „Verzögerung der Sprachentwicklung“ war das meistgenannte

Symptom (237 Nennungen ≙ 48,5%), gefolgt von „Manierismen und bizarres,

unerklärliches Verhalten“ (177 Nennungen ≙ 36,2%), „Repetitive Beschäftigung mit

Objekten/ stereotypes Spielverhalten“ (176 Nennungen ≙ 36,0%) und „Mangelndes

Interesse an Gleichaltrigen/Geschwistern/Erwachsenen; Vermeidungsverhalten“ (168

Nennungen ≙ 34,4%). Seltene genannte Erstsymptome waren

„Eingeschränkte/eigentümliche Mimik und Gestik“ (4 Nennungen ≙ 0,8%) und

„Fehlende Trennungsreaktion“ (4 Nennungen ≙ 0,8%).

Abbildung 2: Häufigkeitsverteilung der Erstsymptome (Angaben in Prozent, s. a.

Tabelle 9; S.47)

Eigentümliche Mimik/Gestik

Fehlende Trennungsreaktion

Verzögerte Sauberkeitsentw.

Sonderbegabung

Muskuläre Hyper-/Hypotonie

Autoaggressives Verhalten

Fehlen von sozialem Lächeln

Somatische Auffälligkeiten

Inadäquate Kontaktaufnahme

Ablehnung von Körperkontakt

Fehlend. Spiel m. Gleichaltr.

Auffällige Sprache

Auffälligkeiten bei Ansprache

Abnorme Sensorik

Abnorme Interessen

Schlafstörungen

Fremdaggressivität

Gestörtes Essverhalten

Bestehen auf Routinen

Verzögerte mot. Entw.

Fehlen von funktion. Spiel

Mangelnder Blickkontakt

Schwer zu beruhigen

Passivität

Vermeidungsverhalten

Stereotypien

Manierismen

Verzögerte Sprachentw.

0 10 20 30 40 50

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47

In der Folge wurde das mittlere Alter bei Auftreten des jeweiligen Symptoms

ermittelt (Angabe in Monaten). Hierbei wurden nur Daten von Patienten verwertet,

für die eine genaue Monatsangabe bei Auftreten vorlag (n=367). Als erstes auffällig

waren die Symptome „Fehlen von aktiv/reaktivem sozialen Lächeln“ (10,2, mittleres

Alter bei Auftreten in Monaten), „Eingeschränkte/eigentümliche Mimik und Gestik“

(12,0) und „Fehlende Trennungsreaktion“ (12,0).

Tabelle 9: Häufigkeit der Erstsymptome und interkategoriale Altersverteilung

Erstsymptom Absolute

Häufigkeit

Relative

Häufigkeit

Mittleres Alter

bei Auftreten

(in Monaten)

Abnorme Entwicklung

1. Verzögerung/

Ungeschicklichkeit der

motorischen Entwicklung

96 26,2 % 19,2

2. Verzögerung der

Sprachentwicklung

192 52,3 % 21,5

3. Verzögerung der

Sauberkeitsentwicklung

16 4,4 % 25,4

4. Auffällige Sprache

44 12,0 % 27,9

5. Muskuläre Hyper-/Hypotonie

20 5,4 % 14,4

Auffälligkeiten in der Interaktion

6. Mangelnder Blickkontakt

105 28,6 % 21,2

7. Fehlen von aktiv/reaktivem

sozialen Lächeln

26 7,1 % 10,2

8. Eingeschränkte/eigentümliche

Mimik und Gestik

3 0,8 % 12,0

9. Eingeschränkte Reaktion auf

den Namen/Ansprache

51 13,9 % 22,2

10. Inadäquate Kontaktaufnahme/

Umgang mit Gleichaltrigen

36 9,8 % 33,2

11. Passivität, Zurückgezogenheit

„in der eigenen Welt sein“

108 29,4 % 22,8

12. Ablehnung von Körperkontakt

36 9,8 % 19,1

13. Fehlende Trennungsreaktion

1 0,3 % 12,0

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48

Auffälligkeiten des kommunikativen

Spielverhaltens

14. Fehlen von funktionalem/

Phantasiespiel/Imitationsspiel,

mangelndes Interesse an

Spielsachen

108 29,4 % 24,0

15. Mangelndes Interesse an

Gleichaltrigen/

Geschwistern/Erwachsenen,

Vermeidungsverhalten

129 35,1 % 27,1

16. Fehlen von interaktivem Spiel

mit Gleichaltrigen

42 11,4 % 25,5

Repetitive/Stereotype

Verhaltensweisen

17. Manierismen und bizarres,

unerklärliches Verhalten

134 36,5 % 20,9

18. Repetitive Beschäftigung mit

Objekten/ stereotypes

Spielverhalten

137 37,3 % 23,3

19. Resistenz ggü. Veränderungen/

Bestehen auf Routinen,

zwanghaftes Verhalten, Rituale

91 24,8 % 24,0

Inadäquates Verhalten/Sonstige

Auffälligkeiten

20. Abnorme- /Sonderinteressen

und Beschäftigungen

65 17,7 % 27,1

21. Schwer zu beruhigen,

anhaltendes Weinen/Schreien

102 27,8 % 19,6

22. Fremdaggression,

Impulsdurchbrüche, motorische

Unruhe, oppositionelles

Verhalten

81 22,1 % 25,2

23. Autoaggressives Verhalten

22 6,0 % 17,0

24. Gestörte Nahrungsaufnahme,

problematisches Essverhalten

80 21,8 % 20,1

25. Schlafstörungen

62 16,9 % 22,6

26. Abnorme Sensorik,

Lärmempfindlichkeit,

sensorische Interessen

46 12,5 % 20,9

27. Sonderbegabung/Vorzeitiges

Erreichen von Fertigkeiten

16 4,4 % 27,5

28. Somatische Auffälligkeiten

28 7,6 % 15,8

Page 49: Aus der LWL-Universitätsklinik Hamm der Ruhr … · Aus der LWL-Universitätsklinik Hamm der Ruhr-Universität Bochum Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie und

49

Das mittlere Alter des Erstsymptoms „Verzögerung der Sprachentwicklung“ lag bei

21,5 Monaten.

Für „erste Wörter und Sätze normgerecht“ (Patienten ohne Sprachentwicklungsver-

zögerung) lag das mittlere Alter eines Erstsymptoms bei 31,6 Monaten.

Die Varianzen dieser beiden Gruppen sind nicht homogen nach Levene-Test der

Varianzgleichheit (F=26,022; p<0,001).

Patienten mit Sprachentwicklungsverzögerung waren signifikant früher auffällig als

Kinder ohne Sprachentwicklungsverzögerung (T=5.2, p<.001).

4.6 Verhältnis der Erstsymptome zu späteren Auffälligkeiten

Mit Hilfe von drei separaten linearen Regressionsanalysen wurde der prädiktive

Wert der 28 Erstsymptome für spätere Auffälligkeiten in den drei Domänen soziale

Interaktion, Kommunikation und stereotypes, repetitives Verhalten des Interviews

ADI-R untersucht. Mit einem Kreuz sind die Erstsymptome gekennzeichnet, die in

einem signifikanten Zusammenhang zu der jeweiligen Domäne des Interviews ADI-

R stehen.

Page 50: Aus der LWL-Universitätsklinik Hamm der Ruhr … · Aus der LWL-Universitätsklinik Hamm der Ruhr-Universität Bochum Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie und

50

Tabelle 10: Korrelation der Erstsymptome mit späteren Auffälligkeiten in Bereichen

des standardisierten Interviews ADI-R

ADI-R Bereich

Erstsymptom

Kommunikation

und Sprache

Soziale

Interaktion

Stereotypes

und

repetitives

Verhalten

Verzögerung/Ungeschicklichkeit

der motorischen Entwicklung

X X

Verzögerung der

Sprachentwicklung

X

Verzögerung der

Sauberkeitsentwicklung

X

Auffällige Sprache

X X

Mangelnder Blickkontakt

X

Inadäquate Kontaktaufnahme/

Umgang mit Gleichaltrigen

X

Manierismen und bizarres,

unerklärliches Verhalten

X X

Repetitive Beschäftigung mit

Objekten/ stereotypes

Spielverhalten

X

Abnorme- /Sonderinteressen und

Beschäftigungen

X

Autoaggressives Verhalten

X

Gestörte Nahrungsaufnahme,

problematisches Essverhalten

X

Abnorme Sensorik,

Lärmempfindlichkeit, sensorische

Interessen

X

Sonderbegabung/Vorzeitiges

Erreichen von Fertigkeiten

X

Page 51: Aus der LWL-Universitätsklinik Hamm der Ruhr … · Aus der LWL-Universitätsklinik Hamm der Ruhr-Universität Bochum Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie und

51

Tabelle 11: Lineare Regressionsanalyse „Kommunikation und Sprache“

Abhängige

Variable:

Summenwert

ADI-R Bereich

Kommunikation

und Sprache

Standard.

Koeffizienten

T Signifikanz 95%-

Konfidenz-

intervall für

B

95%-

Konfidenz-

intervall für

B

Beta Untergrenze Obergrenze

Verzögerung

der motorischen

Entwicklung

,095 2,101 ,036 ,066 1,982

Auffällige

Sprache

,098 2,130 ,034 ,117 2,898

Gestörte

Nahrungs-

aufnahme

,114 2,523 ,012 ,283 2,279

Tabelle 12: Lineare Regressionsanalyse „Soziale Interaktion“

Abhängige

Variable:

Summenwert

ADI-R Bereich

soziale

Interaktion

Standard.

Koeffizienten

T Signifikanz 95%-

Konfidenz-

intervall für

B

95%-

Konfidenz-

intervall für

B

Beta Untergrenze Obergrenze

Verzögerung

der

Sprachentwick-

lung

,143 3,165 ,002 ,648 2,771

Abnorme/

Sonder-

interessen

-,120 -2,597 ,010 -3,346 -,463

Manierismen

und bizarres

Verhalten

,105 2,305 ,022 ,193 2,418

Mangelnder

Blickkontakt

,099 2,103 ,036 ,086 2,540

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52

Tabelle 13: Lineare Regressionsanalyse „Stereotypes Verhalten“

Abhängige

Variable:

Summenwert

ADI-R Bereich

stereotypes,

repetitives

Verhalten

Standard.

Koeffizienten

T Signifikanz 95%-

Konfidenz-

intervall für

B

95%-

Konfidenz-

intervall für

B

Beta Untergrenze Obergrenze

Verzögerung

der motorischen

Entwicklung

,141 3,182 ,002 ,361 1,529

Verzögerung

der

Sprachentwick-

lung

-,092 -2,031 ,043 -1,070 -,018

Auffällige

Sprache

,104 2,290 ,022 ,140 1,835

Inadäquate

Kontaktauf-

nahme mit

Gleichaltrigen

-,125 -2,701 ,007 -2,172 -,342

Manierismen

und bizarres

Verhalten

,139 3,033 ,003 ,300 1,403

Stereotypes

Spielverhalten

,174 3,748 ,000 ,510 1,633

Autoaggress.

Verhalten

,104 2,348 ,019 ,204 2,299

Abnorme

Sensorik

,090 2,006 ,045 ,016 1,599

Sonder-

begabung

,110 2,396 ,017 ,294 2,978

Page 53: Aus der LWL-Universitätsklinik Hamm der Ruhr … · Aus der LWL-Universitätsklinik Hamm der Ruhr-Universität Bochum Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie und

53

4.7 Weitere Einflussfaktoren auf den Zeitpunkt der Früherkennung

Mithilfe einer oneway ANOVA wurde der Einfluss der sozialen Schicht auf den

Zeitpunkt der Erkennung von Erstsymptomen in unserem Kollektiv untersucht.

Tabelle 14: Weitere Einflussfaktoren auf den Zeitpunkt der

Früherkennung

Schicht N Mittel-

wert

Standard-

abweichung

Standard-

fehler

95%

Konfidenz-

intervall

(Untergrenze)

95%

Konfidenz-

intervall

(Obergrenze)

Unter-

schicht

36 31,25 27,940 4,657 21,80 40,70

Untere

Mittel-

schicht

170 23,76 18,870 1,447 20,91 26,62

Obere

Mittel-

schicht

85 21,84 11,030 1,196 19,46 24,21

Ober-

schicht

59 22,76 14,988 1,951 18,86 26,67

Gesamt 350 23,90 18,035 0,962 22,00 25,79

Eine niedrige soziale Schicht ging mit einem Trend zu späterer Sorge einher

(F=2,485, p=0,061). Geschlecht, medizinische Komplikationen oder genetische

Syndrome waren ohne signifikanten Zusammenhang zum Zeitpunkt des Auftretens

von Erstsymptomen.

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54

5 Diskussion

Die Aufgabe dieser Arbeit bestand darin, nach Art und Häufigkeit der ersten

erkennbaren Symptome bei Kindern mit Autismus-Spektrum-Störungen

Warnhinweise aufzuzeigen, die eine frühestmögliche Diagnosestellung mit

konsekutiver Therapieeinleitung ermöglichen.

Unsere Stichprobe (n = 489) zeigte folgende Häufigkeitsverteilung der Diagnosen:

381 Patienten (77,9 %) mit der Diagnose frühkindlicher Autismus (F84.0), 60

Patienten (12,3 %) mit der Diagnose atypischer Autismus (F84.1), 34 Patienten (7 %)

mit der Diagnose Asperger-Syndrom (F84.5), 14 Patienten (2,9 %) mit der Diagnose

Sonstige tiefgreifende Entwicklungsstörung (F84.8). Die Diagnosen wurden mit dem

als Goldstandard anerkannten Interview ADI-R und der Beobachtungsskala ADOS

gestellt.

In vergleichbaren Studien zeigt sich eine ähnliche Diagnoseverteilung: Bei einer

Stichprobenzahl von 82 wurden 64,5 % mit der Diagnose frühkindlicher Autismus

klassifiziert (ebenfalls diagnostiziert mit dem Interview ADI-R), 22,0 % mit der

Diagnose atypischer Autismus und 9,8% mit der Diagnose Asperger Syndrom (De

Giacomo und Fombonne, 1998).

Prävalenz-Untersuchungen bezogen auf die Gesamtbevölkerung zeigen bei allen

tiefgreifenden Entwicklungsstörungen die nicht näher bezeichneten tiefgreifenden

Entwicklungsstörungen als häufigste Diagnose (58 %), gefolgt von Autismus (27%)

und Asperger-Syndrom (13 %) (Chakrabarti und Fombonne, 2001). Die Patienten im

hiesigen Kollektiv wurden nach dem bereits gestellten Verdacht eines frühkindlichen

Autismus überwiesen.

Das mittlere Alter bei Auftreten der Erstsymptome lag für alle untersuchten

Patienten, deren Eltern eine Monatsangabe machten, bei 23,7 Monaten. Patienten mit

frühkindlichem Autismus (F84.0) zeigten hierbei mit 21,3 Monaten die frühesten

Auffälligkeiten. Eltern von Kindern mit frühkindlichem Autismus waren signifikant

früher besorgt als Eltern von Kindern mit Asperger-Syndrom (21,3 versus 43,1

Monate) und als Eltern von Kindern mit atypischem Autismus (21,3 versus 31,7

Monate).

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55

Gründe dafür können seit Geburt auffällige Begleitsyndrome und ein schwerer

Krankheitsverlauf sein. Insbesondere aber die verzögerte Sprachentwicklung, eines

der auch für den Laien relativ leicht erkennbaren Erstsymptome, kommt mehr und

mehr im Laufe des zweiten Lebensjahres zum Tragen, da die Abgrenzung zu einem

physiologischen Spracherwerb auffällig wird.

Dagegen wird die pathologische Klassifikation und somit auch die Erkennung erster

Auffälligkeiten bei Patienten mit Asperger Syndrom, das per definitionem (ICD-10)

mit der Benutzung einzelner Worte im zweiten Lebensjahr einhergeht, gerade für den

Laien erschwert. Dies zeigt sich in einem mittleren Alter von 43,1 Monaten bei

Erkennung der Erstsymptome. Ebenso wird die Erkennung erster Auffälligkeiten bei

Patientin mit atypischem Autismus (31,7 Monate) erschwert, da das klinische Bild

eben nicht die typischen Stigmata aufweist und daher zu späteren Auffälligkeiten

führen kann.

In der bereits erwähnten, vergleichbaren retrospektiven Untersuchung von De

Giacomo und Fombonne zeigt sich ein mittleres Alter bei Auftreten von

Erstsymptomen bei Kindern mit Autismus-Spektrum-Störungen von 19,1 Monaten.

Zusätzlich wurde die Zeitspanne zwischen ersten Auffälligkeiten und Aufsuchen

professioneller Hilfe wurde untersucht. Diese dauerte im Durchschnitt 10,2 Monate.

Für Autismus (8,2 Monate) und Sonstige tiefgreifende Entwicklungsstörung (8,1

Monate) resultieren die geringsten Zeitspannen. Das Asperger Syndrom zeigt die

längste Zeitspanne (13,7 Monate). Gründe hierfür sind vermutlich erneut in der

Sprachentwicklung zu suchen, da diese für medizinische Erstversorger im

Gesundheitswesen als gut zu erkennender Marker für mögliche Pathologien aus dem

Bereich der tiefgreifenden Entwicklungsstörungen gelten kann. Beispielsweise wird

ein 3-jähriges Kind, das trotz möglicher motorischer Schwierigkeiten spricht und

Neugier an der Umgebung zeigt, möglicherweise seltener in Verbindung mit einer

tiefgreifenden Entwicklungsstörung gebracht als bei deutlicher Verzögerung des

Spracherwerbs. Es ergibt sich eine besondere Relevanz, da dies weitreichende

Konsequenzen wie belastende Diagnostik und mögliche Therapieansätze nach sich

ziehen kann. Bei divergierender Zeitspanne zwischen den einzelnen Diagnosen bleibt

die durchschnittliche Zeitspanne zwischen ersten Auffälligkeiten und Aufsuchen

professioneller Hilfe für Autismus-Spektrum-Störungen mit im Mittel 10,2 Monaten

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56

sehr lang. Das Ziel intensivierter Früherkennung muss bedeuten, diese Zeitspanne

entscheidend zu verkürzen.

Vergleichbare Studien betrachteten auch die Zeitspanne bis zur endgültigen

Diagnosestellung. Dieses Intervall konnte in unserer Studie nicht ermittelt werden,

da der Zeitpunkt der Diagnosestellung nicht für alle Patienten verlässlich erfasst

wurde. Young et al. ermittelten für Patienten mit frühkindlichem Autismus ein

mittleres Alter bei Auftreten erster Symptome von 15,1 Monaten, bei Aufsuchen

professioneller Hilfe von 26,8 Monaten und bei Diagnosestellung von 41,8 Monaten

(Young et al., 2003).

In einer Studienkohorte von 601 Kindern mit der Diagnose einer tiefgreifenden

Entwicklungsstörung zeigte sich bei Patienten mit frühkindlichem Autismus ein

mittleres Alter bei Auftreten erster Symptome von 15 Monaten. Bei

Diagnosestellung zeigte sich ein mittleres Alter von 76 Monaten. Kinder mit

Asperger Syndrom wurden erstmalig auffällig im Alter von 26 Monaten, die

Diagnosestellung erfolgte im Alter von 110 Monaten (Noterdaeme et al., 2010).

In ihrer Übersichtsarbeit von 770 Familien zeigten sich bei Howlin und Asgharian

erste Auffälligkeiten in der Entwicklung von Kindern mit idiopathischem Autismus

im Alter von 18 Monaten (Diagnosestellung im 6. Lebensjahr) und bei Kindern mit

Asperger Syndrom im Alter von 30 Monaten (Howlin und Asgharian, 1999).

Pratibandhi et al. (2009) ermittelten ein mittleres Alter von 23,4 Monaten bei

Auftreten erster Symptome. Bis zum Zeitpunkt des erstmaligen Aufsuchens

professioneller Hilfe vergingen 4 Monate (Chakrabarti, 2009).

Das rechtzeitige Aufsuchen erster professioneller Hilfe kann bei einem Großteil der

Patienten mit einem zeitgerechteren Therapiestart einhergehen. Nach allgemeinen

Empfehlungen sollte dies innerhalb der ersten drei Lebensjahre erfolgen (Poustka,

2004).

Wir untersuchten den Zusammenhang zwischen Alter des Kindes und Auftreten von

Erstsymptomen. Hier zeigten sich 11,7 % der Eltern von Geburt an besorgt, 34,0 %

bis zum 1. Geburtstag, 60,4 % bis zum 2. Geburtstag und 78,1 % bis zum 3.

Geburtstag. Die stärkste Häufung innerhalb dieser Zeitspannen tritt im 3.

Lebensmonat (1,8%), 6. Lebensmonat (5,1%), 12. Lebensmonat (5,1%), 18.

Lebensmonat (7,8%), 24. Lebensmonat (13,1%), 30. Lebensmonat (7,6%) und 36.

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57

(6,5%) Lebensmonat auf. Dies könnte zeitlich mit den jeweiligen

Vorsorgeuntersuchungen (U4; U5; U6; U7; U7a) zusammenhängen.

Diese Häufigkeiten sind mit vorangegangenen Studien vergleichbar. Bei Young et al.

zeigten 31 bis 55 % der Kinder mit Autismus-Spektrum-Störungen

Verhaltensauffälligkeiten innerhalb des ersten Lebensjahres und 75 % bis zum

Erreichen des zweiten Lebensjahres. Innerhalb des zweiten Lebensjahres zeigt sich

hier ein vermehrtes Auftreten erster Auffälligkeiten.

Bei 57 Patienten zeigten sich die Eltern von Beginn an besorgt. Die

Diagnoseverteilung innerhalb dieser Subgruppe zeigt eine deutliche Verschiebung in

Richtung des frühkindlichen Autismus (86 % frühkindlicher Autismus; 7 %

atypischer Autismus; 5,3 % Asperger-Syndrom; 1,7 % Sonstige tiefgreifende

Entwicklungsstörung) verglichen mit der Häufigkeitsverteilung des

Gesamtkollektivs. Kausal ist die Schwere des Krankheitsverlaufs zu vermuten, die

mit der Diagnose des idiopathischen Autismus einhergeht. Begleiterkrankungen,

insbesondere syndromale Erbkrankheiten, zeigen in diesem Kollektiv ihre besondere

Relevanz. Die häufigsten genannten Begleiterscheinungen bei Patienten, deren Eltern

seit Geburt an besorgt waren, waren prä-, peri- und postnatale Komplikationen.

In Zusammenarbeit mit erfahrenen Untersuchern aus den Fachbereichen der Kinder-

und Jugendpsychiatrie und der Psychologie wurden die genannten Erstsymptome aus

diesen Patienteninterview-Skalen in einer neuen Kategorienliste zugeordnet (siehe

Tabelle 2; S.39). Sie können eine Hilfestellung bei vergleichbaren neuen Stichproben

geben, sowie einen Ansatz für weitere prospektive Studien ermöglichen.

Die Kategorienliste umfasst die diagnostisch entscheidenden Kernbereiche

„Abnorme Entwicklung“, „Auffälligkeiten der Interaktion“, „Auffälligkeiten des

kommunikativen Spielverhaltens“, „repetitive/stereotype Verhaltensweisen“,

„inadäquates Verhalten und sonstige Auffälligkeiten“ mit weiterführender

intrakategorialer Aufteilung in 28 Kategorien. Zur Erstellung wurden empirisch

häufig genannte Erstsymptome sowie Symptomlisten aus vergleichbaren Studien

herangezogen.

Möglichkeiten der Einteilung sind in der Literatur unter anderem bei Young e al.

(2003) oder Filipek et al. (1999) zu finden. Young et al. werteten Elternfragebögen

aus, die nach den ersten auffälligen Symptomen fragten. Diese wurden an Eltern der

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58

betroffenen Familien geschickt und sollten vollständig beantwortet wieder

zurückgesandt werden. Hierbei konnte zu Beginn des Fragebogens offen geantwortet

werden. Am Ende konnte eine Liste mit häufig in der Literatur genannten

Erstsymptomen bearbeitet werden. Hierbei sollte ein beschreibendes Symptom ohne

Subklassifizierung genannt werden sowie das jeweilige Alter bei Auftreten (siehe

Tabelle A3); (Young et al., 2003). Nachteile sind insbesondere im offenen Teil die

fehlende fachliche Differenzierung und passende Beschreibung der ersten

Auffälligkeiten. Darüber hinaus bleibt der nicht zurückgesandte Teil der Fragebögen

ungeklärt. Unsere Kategorienliste erfasst zum einen ein sehr breites Spektrum

autistischer Auffälligkeiten, zum anderen auch sehr spezifisch die Art der

Auffälligkeit, da sie durch mehrere erfahrene Untersucher aus den Fachbereichen

Kinderpsychologie und Kinder- und Jugendpsychiatrie interdisziplinär erstellt wurde.

Charman und Baird beschrieben 2002 (siehe Tabelle A4, modifiziert nach Filipek et

al. 1999) in ihrer Übersichtsarbeit zur Früherkennung autistischer Störungen

Warnhinweise, die Eltern zu einer weiterführenden Diagnostik leiten sollten. Die

Warnhinweise wurden in vier Kategorien gegliedert. Hierbei wird bereits eine

Wertung je nach Kategorienzuordnung festgelegt, da die vierte Kategorie eine

dringliche Indikation zur Weiterbehandlung beinhaltet, z.B. „Fehlende Sprache mit

16 Monaten“ oder „Verlernen bereits gelernter Sprache“. Trotz etwas unspezifischer

Einzelsymptome wie „Zehengang“ als eigenes Symptom zeigt sich hier bereits die

entscheidende Bedeutung der Sprache und des Spracherwerbs in Bezug auf

dringende weiterführende Diagnostik mit konsekutiver Diagnosestellung (Filipek et

al., 1999; Charman und Baird, 2002). Die neu erstellte Kategorienliste verzichtet auf

eine Wertung und ordnet beschreibend, klar und spezifisch die Symptome zu

einzelnen Kategorien zu.

Die Erstsymptome zeigten nach Häufigkeitsverteilung in unseren Daten die

„verzögerte Sprachentwicklung“ als das meistgenannte relevante Erstsymptom (48,5

%) bei einem mittleren Alter von 19,7 Monaten. Gründe dafür sind unter anderem

das Symptom selbst als ein entscheidendes diagnostisches Kriterium des

frühkindlichen Autismus bei einer Häufigkeitsverteilung der Probanden zu Gunsten

der Diagnose frühkindlicher Autismus (78,0 %). Durch den regelhaft frühen

Spracherwerb bei gesunden Kindern können Auffälligkeiten dieses Bereichs eher

erkannt werden als weitaus seltener genannte Erstsymptome wie „zwanghaftes

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Verhalten“ (24,1 %) oder „Fehlen von interaktivem Spiel mit Gleichaltrigen“ (10,2

%). Eine verzögerte Sprachentwicklung lässt sich auch ohne Vergleich zu anderen

Kindern, zum Beispiel Geschwistern, verhältnismäßig einfach auch durch Laien

erkennen.

Eltern von Kindern mit Sprachentwicklungsverzögerung zeigten sich signifikant

früher besorgt als Eltern von Kindern mit normgerechter Sprachentwicklung (19,7

versus 31,6 Monate).

Young et al (2003) zeigten in ihrer longitudinalen Untersuchung auch die

Sprachverzögerung mit 77,8 % als meistgenanntes Erstsymptom bei einem mittleren

Alter von 18,4 Monaten, gefolgt von Aufmerksamkeit gegenüber Bezugspersonen

(34,6 %; 17,1 Monate) und Auffälligkeiten des Sozialverhaltens (29,6 %; 24,8

Monate).

Chakrabati und Pratibandhi zeigen in ihrer Stichprobe von 141 Patienten aus dem

Bereich der Autismus-Spektrum-Störungen die Sprachentwicklung und

Sprechprobleme als häufigstes frühes Symptom (Chakrabarti, 2009).

Bereits 1988 wurde bei 75 Patienten mit Autismus-Spektrum-Störungen über

Sprachverzögerung und soziale Deviationen als häufigste Frühsymptome im Alter

von ca. 18 Monaten berichtet (Siegel et al., 1988).

Stereotype Verhaltensweisen sind mit 36 % ein häufiges und nach ICD-10

Richtlinien entscheidendes Symptom bei Patienten mit Autismus-Spektrum-

Störungen. Die Früherkennung im Sinne erster auffälliger Symptome gestaltet sich

hier jedoch schwierig.

Nach Cox et al. sind stereotype Verhaltensweisen häufig vor dem dritten Lebensjahr

nicht erkennbar (Cox et al., 1999). Auch Howlin et al. berichten über nur sehr

geringes Auftreten von Stereotypien oder repetitive Verhaltensweisen innerhalb der

ersten Lebensjahre (Howlin und Asgharian, 1999).

Bei Auftreten dieses Symptoms zeigte sich ein mittleres Alter von 23,3 Monaten und

somit ein relativ früher Zeitpunkt. Dies könnte ein Hinweis darauf sein, auf dieses

Symptom vermehrtes Augenmerk auch innerhalb der ersten Lebensmonate zu legen.

Ein mit 28,8 % Häufigkeit genanntes Erstsymptom ist das schwer fassbare (zu

gesundem Verhalten oft schwierig abgrenzbare) Symptom „Schwer zu beruhigen,

anhaltendes Weinen/Schreien“. Interessanterweise liegt das mittlere Alter mit 19,6

Monaten unter dem Durchschnitt und könnte somit wertvolle Hinweise auf eine

frühzeitige Diagnoserichtung geben.

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In vorangegangenen Studien zeigte sich, dass bei Kindern mit Autismus-Spektrum-

Störungen vermehrte Episoden schrillen Schreiens ohne ersichtlichen Grund

auftraten. Dies könnte in Zusammenhang mit der fehlenden Möglichkeit, Emotionen

auszudrücken, stehen (Esposito et al., 2009). Ein möglicher signifikanter

Zusammenhang mit anderen frühen Erstsymptomen sollte in weiteren prospektiven

Untersuchungen geprüft werden.

12,7 % der Eltern beschrieben eine „abnorme Sensorik“ als eines der Erstsymptome.

Mit einem mittleren Alter von 20,9 Monaten ist dies als ein eher frühes Erstsymptom

zu werten. Bei Wiggins et al. 2009 zeigte sich bei Kindern mit Autismus-Spektrum-

Störungen eine erhöhte Sensibilität für taktile und gustatorische/olfaktorische Reize

sowie eine erschwerte Differenzierung auditiver Reize im Gegensatz zu Kindern mit

anderen Entwicklungsstörungen. Die sensorisch-assoziierten Symptome standen in

einem signifikanten Zusammenhang zu stereotypen Verhaltensweisen.

„Mangelnder Blickkontakt“ als Erstsymptom war bei 28,4 % der Patienten auffällig.

Bei einem mittleren Alter von 21,2 Monaten ist es insbesondere in Zusammenhang

mit Sprachentwicklungsverzögerung als wichtiges Erstsymptom zu werten. Senju et

al (2009) nehmen an, dass auffälliger Blickkontakt bei Patienten mit Autismus-

Spektrum-Störungen von einem Fehlen der subkortikalen Gesicht-/Augenkontakt-

Bahnen herrührt, die in der Entwicklung den Prozess des sozialen Blickkontakts

steuern (Senju und Johnson, 2009).

Selten genannte Erstsymptome sind unter anderem Sonderbegabungen/frühzeitiges

Erreichen von Fertigkeiten (4,3 %) und muskuläre Hyper-/Hypotonie (5,5 %).

Sonderbegabungen mit frühzeitigem Erreichen von Fertigkeiten im Sinne einer

früher dem Autismus zugehörig angenommenen Hochbegabung bestehen in dieser

Weise nicht. Es liegt eher eine Affinität zu kognitiv qualitativen Einschränkungen

vor, die aufgrund der schwierigen Testbarkeit autistischer Kinder schwer eindeutig

zu korrelieren ist. In einem Kollektiv von Vier- bis Sechsjährigen mit der Diagnose

Autismus-Spektrum-Störung zeigte fast ein Drittel der Patienten eine kognitive

Beeinträchtigung (Chakrabarti und Fombonne, 2005). Das Frühzeitige Erreichen von

Fertigkeiten (zum Beispiel Zahlenaufgaben lösen) ist zusätzlich eher ein in der

Entwicklung später auftretendes Symptom. Nach Esposito et al. 2009 könnten

muskuläre Auffälligkeiten im Sinne einer auffälligen Spontanmotorik ein sehr frühes

Symptom einer Autismus-Spektrum-Störung darstellen und somit in der

Früherkennung in Zukunft eine größere Rolle spielen. Dieses Symptom ist jedoch

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durch den Laien, insbesondere bei fehlendem Geschwisterkind, schwierig zu

erkennen und als Auffälligkeit zu werten.

In einer vergleichbaren Studie zeigte sich, dass vor dem ersten Geburtstag vor allem

Schwierigkeiten des sozialen Kontakts und des gemeinsamen Erlebens von Gefühlen

sowie fehlender/verminderter Blickkontakt (mittleres Alter bei Auftreten 12,0

Monate) auffielen. Im Verlauf der Entwicklung zeigte sich häufig eine verspätete

Sprachentwicklung (18,4 Monate), ferner Probleme der motorischen Entwicklung

wie Grobmotorik (11,88 Monate) oder Feinmotorik (16,5 Monate) und stereotype

Verhaltensweisen wie sinnlose Rituale (28,5 Monate) oder Resistenz gegenüber

Veränderungen (25,4 Monate) (Young et al., 2003).

Der Zusammenhang auffälliger Erstsymptome zu späteren Auffälligkeiten in den

Domänen soziale Interaktion, Kommunikation und stereotypes Verhalten des ADI-R

wurde untersucht. Bei den Erstssymptomen „Verzögerte Sprachentwicklung“,

„Abnorme Interessen“ und „Mangelnder Blickkontakt“ zeigt sich ein signifikanter

Zusammenhang zu der ADI-R Domäne soziale Interaktion.

Bei dem Erstsymptom „Problematisches Essverhalten“ zeigt sich ein signifikanter

Zusammenhang zu der ADI-R Domäne Kommunikation.

Bei den Erstsymptomen „Verzögerung der Sprachentwicklung“, „Inadäquate

Kontaktaufnahme mit Gleichaltrigen“, „Stereotypes Spielverhalten“,

„Autoaggressives Verhalten“, „Abnorme Sensorik“ und „Sonderbegabung“ findet

sich ein signifikanter Zusammenhang zu der ADI-R Domäne stereotypes Verhalten.

Die Erstsymptome „Verzögerung der motorischen Entwicklung“ und „Auffällige

Sprache“ sind prädiktiv für die zwei Domänen des ADI-R Kommunikation und

stereotypes Verhalten.

Das Erstsymptom „Manierismen, bizarres/unerklärliches Verhalten“ ist prädiktiv für

die zwei Domänen soziale Interaktion und stereotypes Verhalten.

Der Einfluss weiterer Kovarianten auf den Zeitpunkt des Auftretens von

Erstsymptomen wurde untersucht. Das Geschlecht, genetische Syndrome oder

medizinische Komplikationen hatten in unserer Stichprobe keinen Einfluss auf den

Zeitpunkt.

De Giacomo und Fombonne zeigten ein signifikant früheres Auftreten erster

Symptome bei geistig retardierten Probanden (15,0 Monate) gegenüber geistig nicht

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retardierten Probanden (22,3 Monaten) (De Giacomo und Fombonne, 1998). Es

wurde jedoch kein Faktor gefunden (Gesellschaftsschicht/Wohnort/Soziale Schicht),

der das Alter bei Diagnosestellung entscheidend beeinflusst.

Eine niedrige soziale Schicht ging in unserer Untersuchung mit einem Trend zu

einem späteren Zeitpunkt des Auftretens erster Sorgen einher, ohne jedoch das

Signifikanz-Niveau zu erreichen.

Um die Spezifität einzelner Erstsymptome herauszufinden, wären prospektive

Untersuchungen mit einer Vergleichsgruppe sinnvoll. Eine mögliche

Vergleichsgruppe wären Kinder mit Verdacht auf Autismus-Spektrum-Störung, der

jedoch diagnostisch nicht bestätigt werden kann.

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6 Zusammenfassung

Autismus-Spektrum-Störungen stellen ein chronisches Krankheitsbild dar, das durch

ein frühzeitiges Erkennen mit konsekutiver Einleitung einer individuellen Therapie

zwar nicht geheilt, aber positiv beeinflusst werden kann. Im weiteren

Krankheitsverlauf müssen die Therapien Patienten-spezifisch angepasst werden, um

eine größtmögliche Selbstständigkeit und Gesellschaftseingliederung zu

ermöglichen. Es ist wissenschaftlich nachgewiesen, dass eine frühe Diagnose und

somit eine frühe, intensive Therapie zu einem besseren Behandlungserfolg, zu einer

Verbesserung der Langzeitprognose und zu besseren Kommunikationsleistungen

führt (Prizant und Wetherby, 1987; Siegel et al., 1988; Mays und Gillon, 1993; Lord,

1995; Filipek et al., 2000).

Die Daten unserer Untersuchung geben insbesondere durch die hohe Probandenzahl

hilfreiche Hinweise, um die Früherkennung weiter zu verbessern.

Signifikant früher besorgt waren in der Rückschau Eltern von Kindern mit

Sprachentwicklungsverzögerung (19,7 versus 31,6 Monate) und frühkindlichem

Autismus versus Asperger-Syndrom (21,3 versus 43,1 Monate).

Eine niedrige soziale Schicht ging mit einem Trend zu späterer Sorge einher (31,3

Monate versus 23,1 Monate). Ohne signifikanten Einfluss erwiesen Geschlecht,

genetische Symptome oder medizinische Komplikationen.

Erhöhte Wachsamkeit sollte bei Sprachentwicklungsverzögerung in Begleitung mit

weiteren ersten Symptomen (z.B. „Schwer zu beruhigen, anhaltendes

Weinen/Schreien“, „Kein Blickkontakt“ und/oder „Keine Reaktion auf Ansprache)

bestehen. In prospektiven Studien sollte der prädiktive Wert dieser einzelnen, als

wegweisend identifizierten Symptome untersucht werden.

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8 Anhang

A1 (Tabelle 15): Items des ADI-R (aus ADI-R, Interviewheft, Bölte S., Rühl D.,

Schmötzer G., Poustka F., Le Couteur A., Lord C., Rutter M., 1993)

Einleitende Fragen

1. Aktuelle Sorgen

Entwicklungsgeschichte

2. Alter, als die Eltern erstmals bemerkten, dass etwas nicht stimmt

3. Erste Symptome, über die sich die Eltern Sorge machten

4. Beginn der Symptomatik aus heutiger Sicht (im Nachhinein)

5. Freies Laufen

6. Erwerb der Blasenkontrolle (tagsüber)

7. Erwerb der Blasenkontrolle (nachts)

8. Erwerb der Kontrolle über die Darmentleerung

Spracherwerb und Verlust von Fähigkeiten

9. Alter, in dem die ersten Worte (wenn überhaupt) gesprochen wurden

10. Alter, in dem die ersten Sätze (wenn überhaupt) gesprochen wurden

11. Verlust sprachlicher Fähigkeiten, nachdem bereits Sprache erworben

worden war

12. Niveau der kommunikativen Sprache vor deren Verlust

13. Verlust spontanen Sprachgebrauchs von mindestens fünf sinnvollen

Worten

14. Verlust des kommunikativen Gebrauchs der Sprache

15. Verlust syntaktischer Fähigkeiten (Grammatik)

16. Verlust der Artikulation (Aussprache)

17. Alter, in dem der Verlust auftrat

18. Verlust von Sprache verbunden mit einer körperlichen Erkrankung

19. Dauer des Verlusts von sprachlichen Fähigkeiten

20. Verlust von Fähigkeiten (außer Sprache)

21. Zielgerichteter Gebrauch der Hände

22. Motorische Fähigkeiten

23. Adaptive Fähigkeiten

24. Konstruktives oder fantasievolles Spiel

25. Soziale Reaktivität

26. Alter, in dem der Verlust auftrat

27. Verlust von Fähigkeiten verbunden mit einer körperlichen Erkrankung

28. Dauer des Verlusts von Fähigkeiten

Kommunikation und Sprache

29. Verständnis einfacher Sprache

30. Allgemeines Sprachniveau

31. Verwenden des Körpers einer anderen Person zur Verständigung

32. Artikulation/Aussprache

33. Stereotype Lautäußerungen und verzögerte Echolalie

34. Soziales Geplauder

35. Wechselseitige Konversation

36. Unpassende Fragen oder Feststellungen

37. Pronominalumkehr

38. Neologismen/idiosynkratische (eigentümliche) Sprache

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39. Verbale Rituale

40. Intonation, Lautstärke, Rhythmus, Geschwindigkeit/Flüssigkeit

41. Aktuelle kommunikative Sprache

42. Auf etwas zeigen, um Interesse auszudrücken

43. Kopfnicken

44. Kopfschütteln

45. Konventionelle/instrumentelle Gesten

46. Aufmerksamkeit gegenüber einer menschlichen Stimme

47. Spontanes Imitieren von Handlungen

48. Fantasievolles Spiel

49. Fantasievolles Spiel mit Gleichaltrigen

Soziale Entwicklung und Spielverhalten

50. Direkter Blickkontakt

51. Soziales Lächeln

52. Etwas zeigen und Aufmerksamkeit auf etwas lenken

53. Angebote zu teilen

54. Bedürfnis, seine Freude mit anderen zu teilen

55. Jemanden trösten

56. Qualität sozialer Kontaktaufnahme

57. Bandbreite von Gesichtsausdrücken, die zur Kommunikation

eingesetzt werden

58. Unangemessenheit des Gesichtsausdrucks

59. Angemessenheit sozialer Reaktionen – Bevorzugte

Aktivitäten/Spielsachen

60. Eigeninitiative bei angemessenen Beschäftigungen

61. Imitierendes soziales Spiel

62. Interesse an anderen Kindern

63. Reaktion auf die Annäherungsversuche anderer Kinder

64. Gruppenspiele mit Gleichaltrigen

65. Freundschaften

66. Soziale Enthemmung

Interessen und repetitives Verhalten

67. Abnorme Interessen

68. Intensive Interessen

69. Repetitiver Gebrauch von Objekten oder Interesse an Teilen von

Objekten

70. Zwänge/Rituale

71. Ungewöhnliche sensorische Interessen

72. Übermäßige Lärmempfindlichkeit

73. Abnorme, idiosynkratische, negative Reaktion auf spezifische

sensorische Reize

74. Schwierigkeiten bei geringfügigen Veränderungen im Tagesablauf

oder der persönlichen Umgebung

75. Widerstand gegenüber einfachen Veränderungen in der Umgebung

(nicht direkt den Probanden betreffend)

76. Ungewöhnliche Bindung an Objekte

77. Hand- und Fingermanierismen

78. Andere komplexe Manierismen oder stereotype Körperbewegungen

(ausgenommen isoliertes Jaktieren)

79. Handbewegungen vor der Körpermitte

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Allgemeines Verhalten/Komorbiditäten

80. Gang

81. Aggressives Verhalten gegenüber Bezugspersonen oder

Familienmitgliedern

82. Aggressives Verhalten gegenüber Gleichaltrigen und Erwachsenen

83. Selbstverletzendes Verhalten

84. Hyperventilation

85. Ohnmacht/Krampfanfälle/Bewusstseinstrübungen

Datierung der abnormen Entwicklung

86. Alter, in dem die Auffälligkeit des Probanden zum ersten Mal bemerkt

wurde

87. Beurteilung des Interviewers, wann Entwicklungsabnormalitäten zum

ersten Mal auftraten

Besondere isolierte Fähigkeiten

88. Visuell-räumliches Vorstellungsvermögen

89. Gedächtnisleistungen

90. Musikalische Fähigkeiten

91. Zeichnerische Fähigkeiten

92. Hyperlexie

93. Mathematische Fähigkeiten

A2 (Tabelle 16): Interkategoriale Häufigkeitsverteilung

Erstsymptom Absolute

Häufigkeit

Relative

Häufigkeit

Abnorme Entwicklung

1. Verzögerung/Ungeschicklichkeit der

motorischen Entwicklung

129 26,4 %

2. Verzögerung der Sprachentwicklung

237 48,5 %

3. Verzögerung der

Sauberkeitsentwicklung

17 3,5 %

4. Auffällige Sprache

53 10,8 %

5. Muskuläre Hyper-/Hypotonie

27 5,5 %

Auffälligkeiten in der Interaktion

6. Mangelnder Blickkontakt

139 28,4 %

7. Fehlen von aktiv/reaktivem sozialen

Lächeln

36 7,4 %

8. Eingeschränkte/eigentümliche Mimik

und Gestik

4 0,8 %

9. Eingeschränkte Reaktion auf den

Namen/Ansprache

59 12,1 %

10. Inadäquate Kontaktaufnahme/

Umgang mit Gleichaltrigen

46 9,4 %

11. Passivität, Zurückgezogenheit „in der 150 30,7 %

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eigenen Welt sein“

12. Ablehnung von Körperkontakt

48 9,8 %

13. Fehlende Trennungsreaktion

4 0,8 %

Auffälligkeiten des kommunikativen

Spielverhaltens

14. Fehlen von funktionalem/

Phantasiespiel/Imitationsspiel,

mangelndes Interesse an Spielsachen

135 27,6 %

15. Mangelndes Interesse an

Gleichaltrigen/

Geschwistern/Erwachsenen,

Vermeidungsverhalten

168 34,4 %

16. Fehlen von interaktivem Spiel mit

Gleichaltrigen

50 10,2 %

Repetitive/Stereotype Verhaltensweisen

17. Manierismen und bizarres,

unerklärliches Verhalten

177 36,2 %

18. Repetitive Beschäftigung mit

Objekten/ stereotypes Spielverhalten

176 36,0 %

19. Resistenz ggü. Veränderungen/

Bestehen auf Routinen, zwanghaftes

Verhalten, Rituale

118 24,1 %

Inadäquates Verhalten/Sonstige

Auffälligkeiten

20. Abnorme- /Sonderinteressen und

Beschäftigungen

84 17,2 %

21. Schwer zu beruhigen, anhaltendes

Weinen/Schreien

141 28,8 %

22. Fremdaggression, Impulsdurchbrüche,

motorische Unruhe, oppositionelles

Verhalten

105 21,5 %

23. Autoaggressives Verhalten

31 6,3 %

24. Gestörte Nahrungsaufnahme,

problematisches Essverhalten

116 23,7 %

25. Schlafstörungen

88 18,0 %

26. Abnorme Sensorik,

Lärmempfindlichkeit, sensorische

Interessen

60 12,3 %

27. Sonderbegabung/Vorzeitiges

Erreichen von Fertigkeiten

21 4,3 %

28. Somatische Auffälligkeiten

46 9,4 %

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A3 (Tabelle 17): Alter und Häufigkeit bei erstmals auffälligen, unüblichen

Verhaltensweisen (häufig genannte fett gedruckt) (Young et al., 2003)

Behaviour Age (months) Frequency

No interest in toys

Lack of shared enjoyment

Lack of eye contact

Dislikes being cuddled, held

Unusual body posture

Unusual fears

Need for routines/rituals

Social behaviours – other

Eating problems

Stereotyped movements

No attention to caregiver

Tantrums/crying

Regression of language

Delayed language

Idiosyncratic development

Obsessive behaviours

Lack of imitative play

Stereotyped behaviours – other

Stereotyped/restricted interest

Lack of pointing/gestures

Poor socialization

Stereotyped/repetitive language

9,3

10,4

12,0

12,1

13,4

13,8

14,0

14,7

11,0

16,1

17,1

18,1

18,4

18,4

21,0

21,0

21,3

21,5

21,7

22,0

24,8

27,6

8,6 %

17,3 %

16,0 %

8,6 %

6,2 %

7,4 %

3,7 %

7,4 %

7,4 %

22,2 %

34,6 %

28,4 %

21,0 %

77,8 %

4,9 %

6,2 %

9,9 %

9,9 %

21,0 %

3,7 %

29,6 %

6,2 %

A4 (Tabelle 18): Parental concerns relevant to autism (Charman und Baird, 2002)

Parental concerns relevant to autism

(i) Communication concerns

Does not respond to name

Cannot tell me what he wants

Language is delayed

Doesn’t follow directions

Appears deaf at times

Seems to hear sometimes but not others

Doesn’t point or wave bye-bye

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Used to say a few words but now he doesn’t

(ii) Socialisation concerns

Doesn’t smile socially

Seems to prefer to play alone

Gets things for himself

Is very independent

Does things “early”

Has poor eye contact

Is in a world of his own

Ignores us

Is not interested in other children

(iii) Behavioural concerns

Tantrums

Is hyperactive/uncooperative or oppositional

Doesn’t know how to play with toys

Gets stuck on things over and over

Toe walks

Has unusual attachments to toys (e.g., always is holding a certain object)

Lines things up

Is oversensitive to certain sounds or textures

Has odd movement patterns

(iv) Absolute indications for immediate further evaluation

No babbling by 12 months

No gesturing (pointing, waving bye-bye etc.) by 12 months

No single words by 16 months

No 2-word spontaneous (and not just echolalic) phrases by 24 months

ANY loss of ANY language or social skills at ANY age

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9 Danksagung

Mein herzlicher Dank gilt Prof. Dr. Martin Holtmann, Prof. Dr. Sven Bölte und Dr.

Evelyn Herbrecht für die wichtige und kompetente Unterstützung.

Mein herzlicher Dank gilt Herrn Stefan Löhe, der mir als beratender Statistiker stets

zur Seite stand.

Mein besonderer Dank gilt meiner Frau Ines, meiner Schwester Katharina, meiner

Schwester Ursula, meinem Bruder Maximilian, meinen Eltern und Yves.

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10 Lebenslauf

PERSÖNLICHE DATEN

Name Paul Patrick Reinhard Wolf

Geburtsdatum 14.10.1982

Geburtsort Erlangen

BERUFLICHER WERDEGANG

Seit 09.2008 Assistenzarzt an der Klinik für Kinder und Jugendliche Friedrich-

Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

02.2007 – 01.2008 Praktisches Jahr an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-

Nürnberg

SS 2008 Ablegen des zweiten Abschnitts der Ärztlichen Prüfung

WS 2003 Ablegen des ersten Abschnitts der Ärztlichen Prüfung

10.2001 – 02.2007 Studium der Humanmedizin an der Johann-Wolfgang-Goethe

Universität Frankfurt am Main.

SCHULBILDUNG

09.1988 – 07.1992 Grundschule Adelsdorf

08.1998 – 07.1999 Whistler Secondary High School, British Columbia, Canada

09.1992 – 06.2001 Gymnasium Fridericianum Erlangen

mit Erwerb der Allgemeinen Hochschulreife

INTERESSEN

Violine Während des Studiums Mitglied des Hessischen Ärzte-Orchesters

(Vorsitz: Prof. Dr. Volker von Loewenich)

Während der Schulzeit Mitglied des Schulorchesters und Schulchors

Alpinsport Dreimalige Teilnahme am Wahlpflichtfach Sport- und

Leistungsmedizin mit je einwöchigem praktischen Seminar in

Rietzlern, Österreich unter der Leitung von Prof. Dr. med. Roland

Hofstetter, Frankfurt am Main

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Fußball Sechsmalige Teilnahme an den nationalen Medimeisterschaften für

Studenten der Humanmedizin

Langjährige Vereinszugehörigkeit SC Adelsdorf

PRAKTISCHE ERFAHRUNG

09.2004 Famulatur am Marienkrankenhaus Cochem (Chirurgie)

08.2005 Famulatur am Kreiskrankenhaus Höchstadt (Innere Medizin)

09.2005 Famulatur am Marienkrankenhaus Cochem (Chirurgie)

03.2006 Famulatur in der Allgemeinarztpraxis mit internistischem

Schwerpunkt, Dres. Dehm (Adelsdorf)

10.2004 – 02.2006 Hilfsassistent des Zentrums für Physiologie der Johann Wolfgang

Goethe-Universität, Frankfurt am Main

04.2003 – 02.2004 Hilfsassistent des Dr. Senckenbergischen Instituts für Anatomie der

Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt am Main

02.2007 – 06.2007 Praktisches Jahr, Tertial Innere Medizin/Nephrologie, Medizinische

Klinik 4 des Universitätsklinikums Erlangen

06.2007 – 09.2007 Praktisches Jahr, Tertial Pädiatrie an der Kinder- und Jugendklinik

des Universitätsklinikums Erlangen

10.2007 – 01.2008 Praktisches Jahr, Tertial Chirurgie, Klinikum am Bruderwald,

Sozialstiftung Bamberg

FREMDSPRACHENKENNTNISSE

Englisch – sehr gut in Wort und Schrift

Französisch, Italienisch – Grundkenntnisse

EDV-Kenntnisse

Microsoft Office (Excel, Word, PowerPoint)

SPSS