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AUS DER PRAXIS | Digitalisierung 16 Hebezeuge Fördermittel 9/2017 Sie sind die Giganten der Meere: Über 70 Meter hoch, fast 60 Meter breit und 400 Meter lang, bringen die Container- schiffe der Maersk Triple E Klasse über 20.000 Container mit einer Ladung in den Hafen. Zum Vergleich: Noch 2008 lag die Ladekapa- zität der größten Containerschiffe bei gerade 10.000 Containern. Weniger spektakulär, aber genauso spannend sind die Herausforderun- gen, die diese großen Schiffe für die Contai- nerterminals bedeuten. Immer größere Krane müssen immer mehr Container pro Stunde ent- laden, effizient stapeln und das nächste Schiff schnell beladen. Ohne modernste Technologien im Bereich der Automatisierung und Datenver- arbeitung kann die Landseite eines Terminals schnell zum Bottleneck des Containerum- schlags werden – und die Wirtschaftlichkeit von Standorten gefährden. Es sind vor allem die Containerbrücken, die dabei in den Fokus der Terminalbetreiber geraten: Sie müssen immer größer werden, um mit der wachsenden Höhe und Breite der Schiffe Schritt zu halten. Dadurch entstehen jedoch einerseits mechanische Herausforde- rungen – die Krane im Ship-to-Shore (STS) wer- den aufgrund der wachsenden Dimensionen weniger stabil und anfälliger für Schwingun- gen – andererseits sorgen die weiteren Wege für eine geringere Produktivität der einzelnen Brücke. Da die Schiffe zwar höher und breiter, nicht jedoch wesentlich länger werden, kön- nen nicht einfach mehr Containerbrücken zum Löschen eingesetzt werden. Dadurch erhöhen sich die Liegezeiten der Schiffe, die Zahl der moves per hour sinkt – und damit die Produk- tivität des Containerumschlags (Bild 1). Wenig Betreiber nutzen Potential Automatisierungslösungen können helfen, die Produktivität im Bereich Ship-to-Shore zu stei- gern. Interessanterweise nutzen bislang nur wenige Terminalbetreiber dieses Potenzial voll aus – 2015 waren laut der Unternehmensbe- ratung Drewry erst fünf Prozent aller Contai- nerterminals weltweit mit voll- oder teilauto- matisierten Systemen ausgerüstet, wenn auch mit steigender Tendenz [1]. Zusätzlich waren die meisten Automatisierungslösungen bislang vor allem im Bereich der Logistik und Lagerung im Einsatz – der Ship-to-Shore Kran galt lange Zeit als zu komplex, um ihn wirtschaftlich zu automatisieren. Mittlerweile hat sich dieses Bild jedoch gewandelt – auch dank einer neuen Generation von Remote Control Operation Systems (RCOS), mit denen Containerbrücken semi-automatisch und mit Fernzugriff betrieben werden können. Diese Systeme erreichen mittlerweile ver- gleichbarer Leistungsdaten wie ein lokaler Kranfahrer in der Kabine – und helfen gleichzei- tig Terminalbetreibern, vorhandene Ressourcen effizient zu nutzen. Möglich wurde dieser Fort- schritt durch eine wirkungsvolle Unterstützung des Kranfahrers in der zentralen Leitwarte, bei dem das System den fehlenden sensorischen Input durch entsprechende Hilfestellungen kompensiert (Bild 2). Mit einem solchen RCOS lässt sich die Containerbrücke größtenteils automatisch betreiben. Der Kranfahrer wird automatisch angefordert und schaltet sich auf den Kran auf, um den Container manuell aufzuneh- men – diese Aufgabe wird ob der individuellen Gegebenheiten auf absehbare Zeit noch nicht von automatischen Systemen übernommen werden – und übergibt den Kran danach an die automatische Steuerung, die den Transport und das Stapeln des Containers übernimmt. Währenddessen kann sich der Kranfahrer bereits um den nächsten Kran kümmern. Dane- ben überwacht das Personal in der Leitzentrale mit dem RCOS auch den automatischen Betrieb der Krane. Unter anderem bietet Siemens mit der Replay-Funktion des Simocrane RCOS Digitalisierung schafft Spielräume Containerbrücken können semi-automatisch und mit Fernzugriff bedient werden 1 Modernste Technologie für Containerterminals mit Simocrane SIEMENS

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Aus der PrAxis | Digitalisierung

16 Hebezeuge Fördermittel 9/2017

Sie sind die Giganten der Meere: Über 70 Meter hoch, fast 60 Meter breit und 400 Meter lang, bringen die Container-schiffe der Maersk Triple E Klasse über 20.000 Container mit einer Ladung in den Hafen.

Zum Vergleich: Noch 2008 lag die Ladekapa-zität der größten Containerschiffe bei gerade 10.000 Containern. Weniger spektakulär, aber genauso spannend sind die Herausforderun-gen, die diese großen Schiffe für die Contai-nerterminals bedeuten. Immer größere Krane müssen immer mehr Container pro Stunde ent-laden, effizient stapeln und das nächste Schiff schnell beladen. Ohne modernste Technologien im Bereich der Automatisierung und Datenver-arbeitung kann die Landseite eines Terminals schnell zum Bottleneck des Containerum-schlags werden – und die Wirtschaftlichkeit von Standorten gefährden.

Es sind vor allem die Containerbrücken, die dabei in den Fokus der Terminalbetreiber geraten: Sie müssen immer größer werden, um mit der wachsenden Höhe und Breite der Schiffe Schritt zu halten. Dadurch entstehen jedoch einerseits mechanische Herausforde-rungen – die Krane im Ship-to-Shore (STS) wer-den aufgrund der wachsenden Dimensionen

weniger stabil und anfälliger für Schwingun-gen – andererseits sorgen die weiteren Wege für eine geringere Produktivität der einzelnen Brücke. Da die Schiffe zwar höher und breiter, nicht jedoch wesentlich länger werden, kön-nen nicht einfach mehr Containerbrücken zum Löschen eingesetzt werden. Dadurch erhöhen sich die Liegezeiten der Schiffe, die Zahl der moves per hour sinkt – und damit die Produk-tivität des Containerumschlags (Bild 1).

Wenig Betreiber nutzen Potential

Automatisierungslösungen können helfen, die Produktivität im Bereich Ship-to-Shore zu stei-gern. Interessanterweise nutzen bislang nur wenige Terminalbetreiber dieses Potenzial voll aus – 2015 waren laut der Unternehmensbe-ratung Drewry erst fünf Prozent aller Contai-nerterminals weltweit mit voll- oder teilauto-matisierten Systemen ausgerüstet, wenn auch mit steigender Tendenz [1]. Zusätzlich waren die meisten Automatisierungslösungen bislang vor allem im Bereich der Logistik und Lagerung im Einsatz – der Ship-to-Shore Kran galt lange Zeit als zu komplex, um ihn wirtschaftlich zu automatisieren.

Mittlerweile hat sich dieses Bild jedoch gewandelt – auch dank einer neuen Generation

von Remote Control Operation Systems (RCOS), mit denen Containerbrücken semi-automatisch und mit Fernzugriff betrieben werden können. Diese Systeme erreichen mittlerweile ver-gleichbarer Leistungsdaten wie ein lokaler Kranfahrer in der Kabine – und helfen gleichzei-tig Terminalbetreibern, vorhandene Ressourcen effizient zu nutzen. Möglich wurde dieser Fort-schritt durch eine wirkungsvolle Unterstützung des Kranfahrers in der zentralen Leitwarte, bei dem das System den fehlenden sensorischen Input durch entsprechende Hilfestellungen kompensiert (Bild 2).

Mit einem solchen RCOS lässt sich die Container brücke größtenteils automatisch betreiben. Der Kranfahrer wird automatisch angefordert und schaltet sich auf den Kran auf, um den Container manuell aufzuneh-men – diese Aufgabe wird ob der individuellen Gegebenheiten auf absehbare Zeit noch nicht von auto matischen Systemen übernommen werden – und übergibt den Kran danach an die automatische Steuerung, die den Transport und das Stapeln des Containers übernimmt. Während dessen kann sich der Kranfahrer bereits um den nächsten Kran kümmern. Dane-ben überwacht das Personal in der Leitzentrale mit dem RCOS auch den automatischen Betrieb der Krane. Unter anderem bietet Siemens mit der Replay-Funktion des Simocrane RCOS

Digitalisierung schafft SpielräumeContainerbrücken können semi-automatisch und mit Fernzugriff bedient werden

1 Modernste Technologie für Containerterminals mit Simocrane

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Systems die Möglichkeit, die digitale Signatur des Kranes im Langzeitarchiv zu speichern und so alle Bewegungen des Kranes nachzu-vollziehen.

ergonomie: Keine Überforderung des Personals in der Leitstelle

Das System stellt den Kranführern alle Infor-mationen zur Verfügung, die sie für ihre Auf-gaben benötigen. Dazu gehören zum einen detailreiche Kamerabilder vom Kran, sodass der Bediener bei Bedarf auch zoomen kann,

zum Beispiel um den Greifvorgang von nahem zu beobachten. Dazu kommen weitere Infor-mationen zu den Bewegungen, dem Status und eventuellen Störungen des Krans. Diese Informationen werden auf einem speziell nach ergonomischen Gesichtspunkten optimierten Fernsteuerstand dargestellt, sodass das Per-sonal in der Leitstelle nicht überfordert wird und dennoch alle Informationen hat, die es für die jeweilige Aufgabe benötigt. Insgesamt ermöglicht ein RCOS eine bessere Auslastung des Krans und des vorhandenen Personals. Zusätzlich unterstützt das System den scho-nenden Betrieb des Krans, Daneben leistet das

RCOS auch einen Beitrag zu mehr Arbeitssi-cherheit – der Kranfahrer muss nicht mehr direkt am Kai in einer Kabine sitzen, sondern kann vor Witterungseinflüssen geschützt in einer sichereren und ergonomischen Umge-bung arbeiten.

intelligente systeme unterstützen Logistik

Im Vergleich zum Ship-to-Shore-Bereich ist die Automatisierung der Prozesse für das Block Management und den Betrieb der Stapelkrane schon weit fortgeschritten – die modernsten Terminals nutzen hier bereits vollautomatische Systeme. Zur zentralen Überwachung aller Abläufe im Terminal wird zudem ein Terminal Supervisor System (TSS) eingesetzt, das alle Abläufe im Hafenbereich überwacht, Störungen meldet und durch die optimale Steuerung der Prozesse eine hohe Produktivität im Terminal-betrieb sichert. Dazu erfasst das System alle Daten der Subsysteme und führt sie in der zent-ralen Leitwarte zusammen, wo sie mit Hilfe von 3D-Darstellungen visualisiert werden (Bild 3). Auf diese Weise kann das Personal sämtliche Bewegungen der Krane und Containerbrücken überwachen, den Status der Containerblöcke abfragen und erhält unmittelbar Informationen zu Abweichungen und Störungen. Bei Bedarf können dann über das System Wartungsteams benachrichtigt und gegebenenfalls Prozesse an andere Systeme übertragen werden.

Ohne ein solches System ließen sich die hohe Zahl an Containerbewegungen und die komple-xen Prozesse in vielen Terminals nicht beherr-schen – allerdings bergen die hohe Informati-onsdichte und die zentrale Rolle eines solchen Systems auch gewisse Risiken. Bei einer Stö-

2 Mit Remote Control Operation Systems können Containerbrücken semi-automatisch und mit Fernzugriff betrieben werden.

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3 Leistungsfähige Automatisie-rungslösungen von Siemens können helfen, die Produktivität im Bereich Ship-to-Shore zu steigern.

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18 Hebezeuge Fördermittel 9/2017

rung des TSS kommt es zu erheblichen Beein-trächtigungen des gesamten Betriebs. Zudem werden solche Systeme mit steigender Ter-minalgröße und einer zunehmenden Zahl an Bewegungen immer komplexer und schwerer zu handhaben und zu pflegen. Einer der Trends bei der Automatisierung des Terminalbetriebs geht daher in die Richtung, mehr Intelligenz in die untergeordneten Systeme zu verlagern. Der Vorteil besteht darin, dass lokal deutlich mehr Informationen zur Verfügung stehen als im TSS, da das Zentralsystem typischerweise die aggre-gierten Daten der Krane nutzt. Jeder Contai-nerblock wird dabei als eigenständige Zelle betrachtet, die aus der zentralen TSS nur noch logistische Informationen erhält – zum Beispiel, welcher Container wann wieder bewegt werden muss. Anhand dieser Informationen optimiert die Zelle dann die Stapel reihenfolge der Con-tainer im Block selbstständig.

integration verringert Kosten

Neben der Optimierung der Prozesse durch ent-sprechende Automatisierungslösungen s tehen sowohl Terminalbetreiber als auch Anlagen- und Systemlieferanten vor der Heraus forderung, die Investitionskosten für neue Krane oder Con tainerbrücken in einem wirtschaftlich sinn-vollen Rahmen zu halten.

Eine weitgehende Automatisierung ist jedoch oft mit höheren Investitionskosten verbunden, da die verschiedenen Systeme für die Ziel-steuerung, Positionierung und Kollisionsver-meidung eine entsprechend leistungsfähige Infrastruktur für die Steuerung und Kommu-nikation sowie Sensoren wie Kamerasysteme oder Lasermessanlagen benötigen. Durch die

Integration verschiedener Subsysteme lassen sich diese Kosten für die Automatisierung deut-lich reduzieren – zum Beispiel, indem sich die Kollisions vermeidung und Positionierung einen Laserscanner teilen (Bild 4).

Intelligente Gesamtlösungen wie die Techno-logieplattform Simocrane von Siemens können so helfen, den Kapitalbedarf für Modernisie-rungen und Neuinvestitionen zu optimieren – und bieten dank einer abgestimmten Architek-tur auch Vorteile bei der Inbetriebnahme und im Betrieb. Die einzelnen Systeme und Kompo-nenten arbeiten optimal zusammen, sodass die Krane schneller einsatzbereit sind. Zusätzlich erleichtert eine einheitliche Systemlandschaft auch die Wartung und Pflege.

digitalisierung erreicht Terminal

Parallel zu den alltäglichen Herausforderun-gen bei der Automatisierung ihrer Anlagen suchen Terminalbetreiber nach Möglichkei-ten, wie sie die Performance ihrer Anlagen mit daten basierten Services verbessern kön-nen. Ein Werkzeug dazu ist die Simulation von Systemen und Anlagen. Solche Tools werden schon heute genutzt, um die Leistung von Krananlagen und Subsystemen noch vor der Inbetriebnahme zu testen und zu optimieren – zum Beispiel, um Antriebe auf die geforderten Leistungsdaten abzustimmen oder auch die Gesamt performance einer Containerbrücke zu verifizieren. Ideale Basis dafür ist ein digitaler Zwilling des Krans bzw. der Automatisierungs-lösung. Ein solcher Digital Twin ermöglicht es, die Entwicklungszeiten für die entsprechenden Lösungen zu reduzieren, da Entwicklungen frü-her und umfangreicher getestet werden können

und dadurch schneller und in besserer Qualität für die Inbetriebnahme zur Verfügung stehen. Dadurch können die Systeme effizienter ins-talliert werden – und der Stapelkran oder die Containerbrücke ist schneller einsatzbereit, wovon auch der Terminalbetreiber profitiert.

Dieser letzte Aspekt ist für die Container-logistik ebenfalls wichtig – denn die Herausfor-derungen werden weiter wachsen. Neben der zunehmende Zentralisierung und Spezialisie-rung bei Häfen – mit großen Hubs auf der einen und kleineren Umschlaghäfen auf der anderen Seite – und den daraus resultierenden Anfor-derungen an Flexibilität und Geschwindigkeit bei der Containerlogistik sehen Experten schon jetzt Ansätze für noch größere Ladekapazitäten: So gibt es Pläne, Containerschiffe der Malac-camax-Klasse zu entwickeln [2], die dann bis zu 30.000 Container an Bord haben könnten.

Mit modernen Automatisierungs- und Digi-talisierungslösungen können sich Terminals schon heute auf diese Anforderungen vorbe-reiten – und dafür sorgen, dass die Landseite ihres Terminals mit den Anforderungen der Seeseite Schritt hält. (jak)

Literatur

[1] Industry Trends: Challenges and Opportu-nities, Tina Liu, Drewry Shipping Consul-tant http://navisworld.navis.com/sites/default/files/sessions/401_liu_drewry_industry_trends_challenges_and_ opportunities.pdf

[2] „How much bigger can container ships get?“; http://www.bbc.com/news/magazine-21432226 Container Tranship-ment and Demand for Container Terminal Capacity in Scotland; http://www.gov.scot/Publications/2004/09/19885/42551

4 Leistungsfähige Sensoren wie Kamerasysteme oder Lasermessanlagen helfen bei der Zielsteuerung, Positionierung und Kollisionsvermeidung.

Siem

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