3
Ärzte unter Anklage Aus der Praxis vor den Kadi – und was nun? Beschwerden bei der Kammer oder Strafanzeigen gehören für Ärzte zum Berufsrisiko. Doch egal wie es ausgeht – nach einem Gerichtsverfahren ist ihr Leben nie wieder so, wie es war. Der Experte für Ärztegesundheit Dr. Bernhard Mäulen bietet einen Leitfaden, wie Sie im Fall der Fälle diese persönliche Katastrophe psychologisch durchstehen und verarbeiten können. - Manche tri es unverho beim Öff- nen der Post, wenn dort eine Regress- drohung, eine staatsanwaltliche Er- mittlung oder gar eine Anklage zutage tritt. Andere ahnen nach einer miss- glückten Operation oder anderen Be- handlungen, oder auch nach Streitge- sprächen mit Patienten oder Angehöri- gen, dass ihnen Ungemach droht. Und doch: Wenn es schwarz auf weiß zu le- sen ist, erleben das die meisten Kollegen als Schock. Die Zeit scheint still zu ste- hen, das eigene Selbstbild als Arzt (oder Ärztin – ich beschränke mich hier nur stilhalber auf die männliche Form) kann erschüttert sein, ja für immer Schaden nehmen. Logisches Denken ist für eine gewisse Zeit eingeschränkt; die emotionale Erschütterung kann so groß sein, dass es zu selbstaggressiven Hand- lungen kommt [1]. Auch das Gegenteil kann der Fall sein: Scheinbar völlig unbeeindruckt ar- beitet der angeklagte Arzt weiter, küm- mert sich um Patienten, die Station, die Bürokratie, als ob es die Anklage gar nicht gäbe Verleugnung. Der ganze Vorgang wird rationalisiert („kann je- dem passieren“), zugehörige Emotionen werden abgespalten, um handlungsfähig zu bleiben. So überlebenswichtig diese Verdrängung initial sein kann, für spä- ter birgt sie die Gefahr einer erhöhten psychischen Vulnerabilität bis hin zum emotionalen Zusammenbruch. Dabei wären gerade in der ersten Schockphase wichtige Maßnahmen der Ersthilfe angesagt, die später nicht mehr in gleichem Maße greifen. Ärzte würden Patienten im Schock im Regelfall nicht dazu raten, einfach weiter zu arbeiten und sich keine Unterstützung zu holen! Wir selbst missachten dagegen oſt diese Grundsätze der Selbstfürsorge. Vermut- lich spielt ein falsches Arzt-Ideal vom „Superdoc“, dem nichts etwas anhaben kann, eine Rolle [2, 3]. Drei Sofortmaßnahmen Doch was sollen Ärzte tun, wenn sie plötzlich unter Anklage stehen? 1. Nehmen Sie sich Zeit, um den Schock zu verarbeiten. Vielleicht haben Sie eine Viertelstunde Zeit, vielleicht ziehen sie die Mittagspause vor. Atmen sie durch, gestehen sie sich ein, getroffen zu sein, finden Sie heraus, was sie in diesem Mo- ment am dringendsten brauchen – Schweigen oder eine liebe Stimme, etwas Warmes zu trinken, einen Boxsack? 2. Treffen Sie sich mit einer Person Ihres Vertrauens. Erzählen Sie, was Ihnen Sorgen macht und wie es Ihnen geht. Der andere hat dabei nur die Aufgabe, Ihnen mit Wärme und Verständnis zu- zuhören. Es kann ein Kollege sein, ein Freund, der Partner, ein erapeut oder Priester. Wichtig ist die Nähe, die ge- fühlte Annahme – wie es auch Unfall- opfern gut tut. 3. Der V orsatz V V : „Ich schaffe das und hole mir alle Hilfe, die ich brauche!Be- schließen Sie vom ersten Moment an, sich gut um sich zu kümmern, was auch passiert, wie lange das oder die juristi- schen Verfahren auch dauern, selbst wenn Sie verurteilt werden sollten. Die- ser Vorsatz kann Ihnen als Rettungslei- ne dienen in den Stürmen von Bloßstel- lung, Anklagen, Vorverurteilungen und Häme, die möglicherweise kommen. Denken Sie an den deutschen Arzt Han- nes Lindemann, der in den 1950er-Jah- ren im Klepper-Faltboot solo über den Atlantik paddelte. Was ihn durch jeden Sturm trug, war auch sein mit Autoge- nem Training verstärkter Vorsatz: Ich schaffe das!“ [4] Das unerträgliche Warten Die meisten juristischen Verfahren dau- ern sehr lange. Der längste mir bekann- te Fall ist der von Prof. Hübener, Direk- tor der Abteilung für Strahlentherapie im UKE. Bei ihm dauerte es schlimme 14 Jahre vom Bekanntwerden der Vor- würfe in der Presse 1993 bis zum letzten Richterspruch [5]. Auch wenn es meist schneller geht: Für die angeklagten Ärz- te dauert es eine halbe Ewigkeit. Viele richten über Jahre alle Aufmerksamkeit 18 MMW-Fortschr. Med. 2014; 156 (11)

Aus der Praxis vor den Kadi — und was nun?

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Aus der Praxis vor den Kadi — und was nun?

©A

fric

a St

udio

/ fo

tolia

.com

Ärzte unter Anklage

Aus der PraxisAus der Praxisvor den Kadi – vor den Kadi – und was nun?

Beschwerden bei der Kammer oder Strafanzeigen gehören für Ärzte zum Berufsrisiko. Doch egal wie es ausgeht – nach einem Gerichtsverfahren ist ihr Leben nie wieder so, wie es war. Der Experte für Ärztegesundheit Dr. Bernhard Mäulen bietet einen Leitfaden, wie Sie im Fall der Fälle diese persönliche Katastrophe psychologisch durchstehen und verarbeiten können.

−Manche tri� es unverho� beim Ö� -nen der Post, wenn dort eine Regress-drohung, eine staatsanwaltliche Er-mittlung oder gar eine Anklage zutage tritt. Andere ahnen nach einer miss-glückten Operation oder anderen Be-handlungen, oder auch nach Streitge-sprächen mit Patienten oder Angehöri-gen, dass ihnen Ungemach droht. Und doch: Wenn es schwarz auf weiß zu le-sen ist, erleben das die meisten Kollegenals Schock. Die Zeit scheint still zu ste-hen, das eigene Selbstbild als Arzt (oder Ärztin – ich beschränke mich hier nur stilhalber auf die männliche Form) kann erschüttert sein, ja für immer Schaden nehmen. Logisches Denken ist für eine gewisse Zeit eingeschränkt; die emotionale Erschütterung kann so groß sein, dass es zu selbstaggressiven Hand-lungen kommt [1].

Auch das Gegenteil kann der Fall sein: Scheinbar völlig unbeeindruckt ar-beitet der angeklagte Arzt weiter, küm-mert sich um Patienten, die Station, die Bürokratie, als ob es die Anklage gar nicht gäbe – Verleugnung. Der ganze Vorgang wird rationalisiert („kann je-dem passieren“), zugehörige Emotionen werden abgespalten, um handlungsfähig zu bleiben. So überlebenswichtig diese

Verdrängung initial sein kann, für spä-ter birgt sie die Gefahr einer erhöhten psychischen Vulnerabilität bis hin zum emotionalen Zusammenbruch.

Dabei wären gerade in der ersten Schockphase wichtige Maßnahmen der Ersthilfe angesagt, die später nicht mehr in gleichem Maße greifen. Ärzte würden Patienten im Schock im Regelfall nicht dazu raten, einfach weiter zu arbeitenund sich keine Unterstützung zu holen! Wir selbst missachten dagegen o� diese Grundsätze der Selbstfürsorge. Vermut-lich spielt ein falsches Arzt-Ideal vom

„Superdoc“, dem nichts etwas anhaben kann, eine Rolle [2,3].

Drei SofortmaßnahmenDoch was sollen Ärzte tun, wenn sie plötzlich unter Anklage stehen?1. Nehmen Sie sich Zeit, um den Schock zu verarbeiten. Vielleicht haben Sie eine Viertelstunde Zeit, vielleicht ziehen sie die Mittagspause vor. Atmen sie durch, gestehen sie sich ein, getro� en zu sein, � nden Sie heraus, was sie in diesem Mo-ment am dringendsten brauchen – Schweigen oder eine liebe Stimme, etwas Warmes zu trinken, einen Boxsack?2. Tre� en Sie sich mit einer Person Ihres Vertrauens. Erzählen Sie, was Ihnen

Sorgen macht und wie es Ihnen geht. Der andere hat dabei nur die Aufgabe,Ihnen mit Wärme und Verständnis zu-zuhören. Es kann ein Kollege sein, ein Freund, der Partner, ein � erapeut oder Priester. Wichtig ist die Nähe, die ge-fühlte Annahme – wie es auch Unfall-opfern gut tut.3. Der VorsatzDer VorsatzDer V : „Ich scha� e das und hole mir alle Hilfe, die ich brauche!“ Be-schließen Sie vom ersten Moment an, sich gut um sich zu kümmern, was auch passiert, wie lange das oder die juristi-schen Verfahren auch dauern, selbst wenn Sie verurteilt werden sollten. Die-ser Vorsatz kann Ihnen als Rettungslei-ne dienen in den Stürmen von Bloßstel-lung, Anklagen, Vorverurteilungen und Häme, die möglicherweise kommen. Denken Sie an den deutschen Arzt Han-nes Lindemann, der in den 1950er-Jah-ren im Klepper-Faltboot solo über den Atlantik paddelte. Was ihn durch jeden Sturm trug, war auch sein mit Autoge-nem Training verstärkter Vorsatz: „Ich scha� e das!“ [4]

Das unerträgliche WartenDie meisten juristischen Verfahren dau-ern sehr lange. Der längste mir bekann-te Fall ist der von Prof. Hübener, Direk-tor der Abteilung für Strahlentherapie im UKE. Bei ihm dauerte es schlimme 14 Jahre vom Bekanntwerden der Vor-würfe in der Presse 1993 bis zum letzten Richterspruch [5]. Auch wenn es meist schneller geht: Für die angeklagten Ärz-te dauert es eine halbe Ewigkeit. Viele richten über Jahre alle Aufmerksamkeit

18 MMW-Fortschr. Med. 2014; 156 (11)

Page 2: Aus der Praxis vor den Kadi — und was nun?

auf die Klage, die Verteidigung, die Gut-achteraussagen, die o� vorverurteilende Berichterstattung in den Medien. Es be-darf bewusster innerer Anstrengung, um aus diesem Muster wieder heraus-zukommen. Bei den von mir therapeu-tisch begleiteten Ärzten unter Anklage haben sich folgende drei Maßnahmen bewährt:1. Trainieren Sie ihren Körper. Treiben Sie Sport, auch für Ihr Immunsystemund Ihre Psyche. Das kann mit einem halbstündigen Spaziergang anfangen.Die Sportmedizin hat längst nachgewie-sen, dass körperliche Ertüchtigung auch das Selbstbewusstsein und das Durch-haltevermögen stärkt. Sportler bauen Stresshormone ab, � nden ein Ventil für aufgestaute Spannung. Sport hil� fgestaute Spannung. Sport hil� f ,abends einzuschlafen, und schützt vor depressiven Einbrüchen. 2. Arbeiten Sie weiter in der Medizin.Nach meiner Erfahrung sind die meis-ten Ärzte gerne in ihrem Beruf und be-ziehen daraus tiefe Befriedigung. Las-sen Sie sich also nicht aus dem Beruf drängen – insbesondere wenn Sie im Falle einer Verurteilung den Entzug der Approbation befürchten müssen, was auch bei Steuervergehen der Fall sein kann [6]. Wenn Sie an Ihrem Arbeits-platz nicht mehr erwünscht sind, sehen Sie sich nach Vertretungen oder Not-diensten um. Vielleicht sind dies die letzten Monate, in denen Sie selbständig Medizin ausüben dürfen. Ich habe Ärz-te behandelt, denen die Approbation weggenommen wurde. Das kann schlimm sein.

3. Freizeit und Urlaub sind wichtig.Viele angeklagte Ärzte wollen sich ver-stecken und schämen sich in der Ö� ent-lichkeit. Das ist verständlich, aber falsch. Je mehr und je bewusster Sie ein Freizeit-verhalten einüben, umso früher ergibt sich eine gewisse Normalisierung. Ir-gendwann können Sie auch wieder kurz lachen und sich entspannen. Gleiches gilt für einen Urlaub: Ein Klima- und Kulis-senwechsel kann ausgleichend wirken.

Frage nach eigener SchuldWenn es zu einer Anklage kommt, stellt sich auch stets die Frage nach der eige-nen Schuld. Die Justiz betreibt Sachauf-klärung und Tatsachenbewertung. Zu den Bewältigungsmöglichkeiten des An-geklagten gehört es, sich in einem ge-schützten Rahmen, z. B. einem psycho-therapeutischen Gespräch, den eigenen inneren Vorwürfen, Schmerzen und Schuldgefühlen zu stellen. Das ist eben-so herausfordernd wie potenziell erleich-ternd – und doch gehen nur wenige Ärz-te diesen Weg.

In der therapeutischen Begleitung angeklagter Ärzte ist dies für mich im-mer ein Kernstück. Vermag das IVermag das IV ch sich vorzustellen, einen Fehler gemacht zu haben? Wie reagiert das innere Anklage~ und Bestrafungssystem, das von den El-tern und Lehrern übernommen wurde, das Über-Ich? Wie ist das ärztliche Ich-Ideal – kann es aufrecht erhalten werden, auch wenn Fehler gemacht wurden? Kol-lektiv reagieren wir Ärzte eher verleug-nend, wenn es um eigene Fehler geht. Viel weniger als andere Berufsgruppen

trainieren Ärzte in Ausbildung einenangemessenen Umgang mit Fehlern. Ein erfahrener Richter drückte es so aus:

„Als Richter ist mir nicht entgangen, dass viele Ärzte bereits das Verfahren an sich als persönlichen Angri� emp� nden. Das ist erstaunlich. Andere Berufsgruppen reagieren gelassener.“ [7]

Tatsache ist, wir Ärzte sind Men-schen, und Menschen machen Fehler. Diese Einsicht kann viel inneren Druck von angeklagten Ärzten nehmen [8]. Bis diese Gelassenheit jedoch erreicht wird, muss man kämpfen. Zorn und Empö-rung müssen abgearbeitet werden, eben-so wie ein falsches Selbstmitleid. Für das Selbstwertgefühl sind das schwierige Stunden, denn eine Anklage erleben vie-le Ärzte als tiefe narzisstische Wunde, die sie im Kern des Arztseins und ihrer Person tri� [9].

Viel an früherer Unsicherheit, Angst und Selbstzweifeln, die hinter der beruf-lich erfolgreichen Arztpersönlichkeit ge-schlummert haben, werden durch eine Anklage re-aktualisiert. In einer kompe-tenten � erapie kann das aufgefangen werden. Die Umgebung, Verteidiger, Staatsanwalt, Richter und auch geschä-digte Patienten merken es, ob ein Arzt sich hinter unverbesserlicher Arroganz versteckt, in eine falsche Opferhaltung rutscht – oder bedächtig reagiert.

Eine Anklage kann das ganze Selbstbild als Arzt zusammenbrechen lassen.

Checkliste

So stellen Sie sich Ihren eigenen Fehlern

In der besonderen persönlichen Lage der Anklage ist es für Ärzte wichtig, sich mit ihren eigenen Fehlern auseinanderzusetzen. Das ist ein guter Gradmesser für die eigene psychologische Verfassung und präpariert den Arzt für die anstehenden Ge-spräche und Situationen. Die Angeklagten sollten dabei nach einer einfachen Struk-tur vorgehen.

1) Schreiben Sie genau auf, was Ihnen vorgeworfen wird.

2) Schreiben Sie als nächstes auf, weswegen Sie sich nichts vorzuwerfen haben.

3) Schreiben Sie als nächstes auf, was Sie sich doch vorzuwerfen haben.

4) Sprechen Sie mit einer Person ihres Vertrauens Ihre Antworten zu den Punkten 1 bis 3 durch. Wenn Sie oder ihr Gegenüber den Eindruck haben, dass Sie hier emo-tional überreagieren oder feststecken, holen Sie sich fachliche Hilfe.

©gs

tock

stud

io /

foto

lia.c

om

19MMWMMWMMW-Fortschr. Med. -Fortschr. Med. -Fortschr. Med. 2014; 156 (11)2014; 156 (11)2014; 156 (11) 19

AKTUELLE MEDIZIN_REPORT

Page 3: Aus der Praxis vor den Kadi — und was nun?

AKTUELLE MEDIZIN_REPORT

Leider erlebe ich auch angeklagte Ärzte, die unbarmherziger als jedes Ge-richt im Selbstvorwurf verharren, scheinbar unfähig, sich selbst zu verzei-hen. Wird dies nicht erkannt und aufge-löst, besteht für den Arzt keine gute Pro-gnose.

Das Leben geht immer weiterFür angeklagte Ärzte ist die Wahr-scheinlichkeit einer Verurteil einer Verurteil einer V ung gerin-ger, als viele befürchten: Die meisten Verfahren werden eingestellt, teils gegen Geldau� age, oder man einigt sich außer-gerichtlich. Die „große Keule“ tri� Ärz-te nur selten [10].

Wem es aber doch passiert, der ver-liert o� Kassenzulassung, Haus und Geld. Die Partnerscha� ist perdu, wo-möglich sogar die Freiheit. Ich habe Kol-legen begleitet, denen das widerfahren ist. Natürlich ist es subjektiv entsetzlich, die bürgerliche Katastrophe schlechthin

– und doch: Das Leben geht weiter. Man-che Betro� ene erleben dann paradoxe Momente der Ruhe nach dem Sturm. Der Absturz löst ein Nachdenken aus, die neue äußere Bescheidenheit führt in-nerlich zu mehr Akzeptanz und Demut.Nicht jeder wird gleich ein Nelson Man-

dela, aber manch verurteilter Arzt � ndet die Kra� für einen Neuanfang, manch-mal auch außerhalb der Medizin. Im-merhin ist es einer ganzen Generation heimkehrender Sanitätso� ziere nach dem 2. Weltkrieg ähnlich ergangen [11]. Die Akzeptanz der Niederlage ist aber sehr schwer.

Wie kann diese Aussicht für Ärzte hilfreich sein, die unter Anklage stehen? − Stellen Sie sich einmal vor, was als

Schlimmstes nach Ihrem Prozess pas-sieren kann. − Könnten Sie eine solche Veränderung irgendwie akzeptieren? − Kämpfen Sie mit vollem Einsatz dafür, einen positiven Ausgang der Anklage zu erreichen!

Die Seele leidet noch lange ZeitDie meisten angeklagten Ärzte � xieren sich voll und ganz auf das Ende des ju-ristischen Verfahrens. Wenn das dann kommt – notfalls vor einem Bundesge-richt – ist aber das Seelische noch lange nicht beendet. Manche Kollegen, die das komplette Verfahren ohne therapeuti-sche Unterstützung durchgestanden ha-ben, kommen erst zu mir, wenn die er-ho� e Normalisierung nicht eintritt,

wenn also das beru� iche und private Le-ben trotz Freispruch nicht wieder so wird, wie früher. Statt vollständiger Hin-wendung zum Patienten nagen defensi-ve Gedanken am Arzt. Habe ich jetzt ge-nug dokumentiert? Wird der mich ver-klagen, wenn die Krankheit schlimmer wird? Statt Ausgeglichenheit quälen ihn schwer erträgliche Wellen unklarer Ängste oder auch anhaltender Wut. Statt eines positiv stabilen Selbstbilds domi-niert an zu vielen Tagen Selbstzweifel.Das kann so weit gehen, dass Kollegen nicht mehr als Arzt arbeiten können – was so gar nicht sein müsste [12].

Was können Kollegen also tun, um nach einem Verfahren im Arztberuf wei-ter zu arbeiten? − Sprechen Sie mit einer Vertrauensper-

son über ihre Sorgen und Blockaden. − Lernen Sie, den Beruf auch ohne die frühere Erfüllung auszuführen und et-was defensive Medizin als prozessbe-dingte Folge zu tragen. − Verändern Sie die Balance zwischen Beruf und Freizeit/Familie. − Wenn die Medizin auf Dauer keine Freude mehr bringt, erlauben Sie sichden � nanziell am frühesten möglichen Ausstieg.

Schlussfolgerungen Die Möglichkeit, als Arzt angeklagt zu werden, begleitet uns durch unser Be-rufsleben. Auch wenn immer mehr Kol-legen diese Erfahrung machen müssen, werden nur wenige wirklich verurteilt. Viele Prozesse werden eingestellt, teils allerdings auch mit Stra� efehl. Nur eine kleine Minderheit verliert die Kassenzu-lassung oder die Approbation.

Für manche Kollegen hat das Erleb-nis einer Anklage psychisch keine Aus-wirkungen. Ein größerer Teil erlebt je-doch Ängste, Rückzugsneigung, selbst-aggressive Handlungen, vermindertes beru� iches Selbstvertrauen und anderes.Für Ärzte unter Anklage sind Aspekte der Selbstfürsorge wichtig und sollten in Fortbildungen vermittelt werden.

Literatur beim Verfasser

Dr. med. Bernhard MäulenLeiter des Instituts für Ärztegesundheit, Villingen, www.aerztegesundheit.de

Coping-Strategie

Auch im dunkelsten Tal den Humor nicht verlieren

Ein Strafprozess bedeutet für angeklagte Ärzte, dass sie sich auf Zeiten der Frustra-tion und der Traurigkeit einrichten müssen, etwa wegen Lügen der Gegenseite, schlampiger Arbeit der Ermittler, gefühlter Voreingenommenheit der Gutachter, derimmer gleichen medialen Berichterstattung in oft stereotyper Denkstruktur, Vorver-urteilung, Häme, Niedertracht von ehemaligen Mitarbeitern oder Kollegen [13, 14].

Bei alledem kann Lachen helfen – über die Verrücktheit des Lebens, das Drama vor Gericht, in dem letztlich alle nur ihre oft vorhersehbaren Rollen spielen und man Ih-nen die des schuftigen Arztes zuschreiben will. Für einen Moment kann man das Gan-ze als Film sehen, irgendwo zwischen „Schwarzwaldklinik“ und „Das Schweigen der Lämmer“. Monty Python hat mit schwarzem Humor selbst die Kreuzigungsszene auf Golgatha mit dem Lied „Always Look On The Bright Side Of Life“ in ein milderes Licht getaucht [18]. Humor ist ein wunderbares Mittel, um in subjektiv unmöglichen Situ-ationen nicht zu zerbrechen und gestärkt im Alltag weiterzumachen.

Selbst verurteilte Ärzte können ihre Situation lakonisch re� ektieren. Dann fallen Sät-ze wie: „Ich wollte ja immer eine Sabbatzeit, und jetzt habe ich eine.“ Oder: „Hätte nicht gedacht, dass ich ohne all das Gerümpel leichter lebe als vorher!“ Oder auch: „Ich überlege ernsthaft, ob ich dem Richter einen Brief schreibe und mich bedanke.“ Ja, plötzlich ist man tatsächlich befreit vom alltäglichen Leid als „Kassenknecht“. Auch das hat etwas Komisches.

Wenn Sie einen besonders schweren Tag als Angeklagter haben: Suchen Sie sich be-wusst etwas zum Lachen – wenn’s sein muss auch aus Trotz!

2020 MMWMMWMMW-Fortschr. Med. -Fortschr. Med. -Fortschr. Med. 2014; 156 (11)2014; 156 (11)2014; 156 (11)