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20 | Phys. Unserer Zeit | 1/2009 (40) © 2009 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim DOI: 10.1002/piuz.200801183 In den 1940er Jahren beschäftigte sich Carl Friedrich von Weizsäcker mit Fragen der Planetenentstehung [3]. Er hatte die geniale Idee, den Drehimpulstransport im Son- nennebel mit turbulenter Reibung zu erklären. Die Turbu- lenz erzeugt Viskosität, die den Drehimpuls nach außen flie- ßen lässt, währen die Masse nach Innen strömt. Dies war die Geburtsstunde des heutigen Modells der Planetenent- stehung in einer turbulenten Scheibe aus Staub und Gas. Da- mit war auch klar, dass die Planetenentstehung ein „natür- licher Nebeneffekt“ der Sternenstehung ist. Heute schätzt man auf Grund von Beobachtungen, dass 10 % aller son- nenähnlichen Sterne über Gasriesen wie Jupiter verfügen [1]. Der Anteil an kleineren Planeten wird vermutlich noch viel höher sein. Die genaue theoretische Beschreibung der Planeten- entstehung hinkt dem fast explosionsartig anwachsenden Datenmaterial zu extrasolaren Planetensystemen und pro- toplanetaren Scheiben hinterher, wobei anzumerken ist, dass die Entstehung von Planeten bis heute noch nie direkt beobachtet wurde (siehe „Begrenzte Beobachtungsmög- lichkeiten“ auf Seite 7). Zudem sind fast alle bekannten Pla- netensysteme fertig ausgebildet. Das trifft natürlich auch auf unser eigens zu, dessen Alter 4,56 Milliarden Jahre be- trägt. Dies wissen wir von Altersbestimmungen der ältesten Gesteine insbesondere vom Mond, aber auch von Meteori- ten. Nur in Detektivarbeit können wir etwas über die Rei- henfolge der Bildung von festen Körpern im Sonnensystem D ie ersten naturwissenschaftlichen Theorien über den Ursprung des Sonnensystems stammen aus dem 18. Jahrhundert. Aus der Tatsache, dass sich alle Planeten in gleicher Richtung und mehr oder weniger in einer Ebene um die Sonne bewegen schlossen Immanuel Kant und Pierre-Simon Laplace, dass das Sonnensystem aus einer Staub und Gasscheibe entstanden sein muss, die einst um die junge Sonne rotierte. Ein grundlegendes Problem dieses Modells liegt aber im gewaltigen Drehimpuls, den eine solche Scheibe mit ihrer riesigen Ausdehnung und Masse haben muss. Während die Masse unseres Sonnensystems in der Sonne konzentriert ist, sind 98 % des Drehimpulses in den Riesenplaneten ge- bunden [2]. Eine Theorie der Planetenentstehung muss des- halb auch die Umverteilung dieses Drehimpulses erklären, was zum damaligen Zeitpunkt unmöglich schien. Planetenentstehung Aus Staub geboren HUBERT K LAHR | T HOMAS HENNING Planeten entstehen gemeinsam mit ihren Zentralsternen im Urnebel aus Gas und Staub. Auf welche Weise das Wachstum vom mikroskopischen Staubkorn bis zum Planeten in allen Entwicklungsstufen vor sich geht, ist noch längst nicht geklärt. Seit der Entdeckung extrasolarer Planeten lassen sich aber erstmals Theorien an einer Vielzahl von Planeten- systemen überprüfen. Bis Ende 1995 galt unser Sonnensystem als typisch im Universum. Dies änderte sich schlagartig mit der Entdeckung extrasolarer Planetensysteme. Insbesondere die massereichen „heißen Jupiter“, die ihren Zentralstern in sehr geringem Abstand umkreisen, geben den Astronomen Rätsel auf (Grafik: IAU).

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20 | Phys. Unserer Zeit | 1/2009 (40) © 2009 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim

DOI: 10.1002/piuz.200801183

In den 1940er Jahren beschäftigte sich Carl Friedrichvon Weizsäcker mit Fragen der Planetenentstehung [3]. Erhatte die geniale Idee, den Drehimpulstransport im Son-nennebel mit turbulenter Reibung zu erklären. Die Turbu-lenz erzeugt Viskosität,die den Drehimpuls nach außen flie-ßen lässt, währen die Masse nach Innen strömt. Dies wardie Geburtsstunde des heutigen Modells der Planetenent-stehung in einer turbulenten Scheibe aus Staub und Gas. Da-mit war auch klar, dass die Planetenentstehung ein „natür-licher Nebeneffekt“ der Sternenstehung ist. Heute schätztman auf Grund von Beobachtungen, dass 10 % aller son-nenähnlichen Sterne über Gasriesen wie Jupiter verfügen[1]. Der Anteil an kleineren Planeten wird vermutlich nochviel höher sein.

Die genaue theoretische Beschreibung der Planeten-entstehung hinkt dem fast explosionsartig anwachsendenDatenmaterial zu extrasolaren Planetensystemen und pro-toplanetaren Scheiben hinterher, wobei anzumerken ist,dass die Entstehung von Planeten bis heute noch nie direktbeobachtet wurde (siehe „Begrenzte Beobachtungsmög-lichkeiten“ auf Seite 7). Zudem sind fast alle bekannten Pla-netensysteme fertig ausgebildet. Das trifft natürlich auchauf unser eigens zu, dessen Alter 4,56 Milliarden Jahre be-trägt. Dies wissen wir von Altersbestimmungen der ältestenGesteine insbesondere vom Mond, aber auch von Meteori-ten. Nur in Detektivarbeit können wir etwas über die Rei-henfolge der Bildung von festen Körpern im Sonnensystem

Die ersten naturwissenschaftlichen Theorien über denUrsprung des Sonnensystems stammen aus dem 18.

Jahrhundert. Aus der Tatsache, dass sich alle Planeten ingleicher Richtung und mehr oder weniger in einer Ebeneum die Sonne bewegen schlossen Immanuel Kant undPierre-Simon Laplace, dass das Sonnensystem aus einerStaub und Gasscheibe entstanden sein muss, die einst umdie junge Sonne rotierte.

Ein grundlegendes Problem dieses Modells liegt aber imgewaltigen Drehimpuls, den eine solche Scheibe mit ihrerriesigen Ausdehnung und Masse haben muss. Während dieMasse unseres Sonnensystems in der Sonne konzentriertist, sind 98 % des Drehimpulses in den Riesenplaneten ge-bunden [2]. Eine Theorie der Planetenentstehung muss des-halb auch die Umverteilung dieses Drehimpulses erklären,was zum damaligen Zeitpunkt unmöglich schien.

Planetenentstehung

Aus Staub geboren HUBERT KLAHR | THOMAS HENNING

Planeten entstehen gemeinsam mit ihren Zentralsternen imUrnebel aus Gas und Staub. Auf welche Weise das Wachstumvom mikroskopischen Staubkorn bis zum Planeten in allenEntwicklungsstufen vor sich geht, ist noch längst nicht geklärt. Seit der Entdeckung extrasolarer Planeten lassen sich aber erstmals Theorien an einer Vielzahl von Planeten-systemen überprüfen.

Bis Ende 1995 galt unser Sonnensystem als typisch im Universum. Dies änderte sich schlagartig mit der Entdeckung extrasolarer Planetensysteme.Insbesondere die massereichen „heißen Jupiter“, die ihren Zentralstern in sehr geringem Abstand umkreisen, geben den Astronomen Rätsel auf(Grafik: IAU).

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erfahren. Hierbei spielen Altersbestimmungsmethoden einewichtige Rolle.

Sterne entstehen noch heute,und seit einigen Jahren istes möglich, die Staub- und Gasscheiben, die viele der jun-gen Sterne umgeben,räumlich aufgelöst zu beobachten (Ab-bildung 1). Man kann so davon ausgehen, dass man zumin-dest den Anfangs- und Endzustand der Planetenentstehunggut kennt. Es ist die Aufgabe der Theorie, diese beiden Zu-stände mit einem konsistenten Ablauf physikalischer Pro-zesse miteinander zu verbinden.

Beschrieb von Weizsäcker die Planetenentstehung inseinem Artikel 1943 noch auf 37 Seiten, so füllte Victor Sa-fronov zwanzig Jahre später bereits ein ganzes Buch mitseinem detaillierten Modell der Planetenentstehung [4]. Da-rin beschrieb er erstmals die meisten physikalischen Effek-te, die wir heute als Grundlage zur Entstehung von Plane-ten benötigen. Diese Arbeit begründete das heutige Bildder graduellen Entstehung von Planeten aus der Zusam-menlagerung von kleinsten Staubkörnern zu immer größe-ren Körpern [5].

Bis zum Jahre 1995 war die Theorie der Entstehung ei-nes Planetensystems ausschließlich an einem einzigen Stu-dienobjekt kalibriert: unserem Sonnensystem. So ist es nichtverwunderlich, dass die Theorie auch nur Planetensystemevorhersagte, die in ihrer Struktur dem unsrigen ähneln. Un-ser Sonnensystem ist dadurch gekennzeichnet,dass die klei-nen kompakten erdähnlichen Planeten (Merkur, Venus, Er-de und Mars) sich nah der Sonne aufhalten und die masse-reicheren Gasriesen (Jupiter und Saturn) sowie die Eisriesen(Uranus und Neptun) weit entfernt die Sonne umrunden.

Riesenplaneten brauchen mehr Baumaterial und solltendaher nur in ausreichender Entfernung von der Sonne auf-treten können. Auch wenn in einer protoplanetaren Schei-be die Dichte nach außen hin abnimmt, so befindet sichdennoch der Hauptanteil der Masse bei großen Radien. Indiesen Bereichen liegen die Temperaturen so niedrig, dassgasförmige Substanzen wie Wasser als Eis vorliegen. Flüssi-ges Wasser gab es im Urnebel nicht,da der Gasdruck für die-sen Aggregatszustand zu niedrig war. In der Nähe der Son-ne verdampfte das Eis, und das verbleibende Material wie

Silikate,also Sandkörner, reichte gerade aus,um Planeten biszur Erdmasse zu bilden. Die Trennlinie, jenseits derer diehäufigsten Gase ausfrieren,nennt man Schneegrenze. Sie be-findet sich in unserem Sonnensystem je nach Modell bei 3 bis 5 Astronomische Einheiten (AE). 1 AE entspricht dermittleren Entfernung Sonne-Erde von 149,6 Mio. km. DieSchneegrenze trennt somit das innere Sonnensystem mitden terrestrischen Planeten vom Reich der Gas- und Eis-riesen.

Die im Vergleich zur Erde 100- bis 300-mal masserei-cheren Planeten Saturn und Jupiter bildeten zunächst ei-nen Eis- und Gesteinskern mit etwa 10 Erdmassen,der dannin der Lage war,Gase,wie Wasserstoff und Helium,aus demUrnebel aufzusammeln. So entstanden ihre gewaltigen At-mosphären, die heute 90 % der Gesamtmasse ausmachen.Man erwartet,dass sich im Innern von Jupiter ein fester Pla-netenkern von knapp dreifachem Erddurchmesser befin-det.

Deshalb waren die Planetenforscher vollkommen über-rascht, als 1995 die Schweizer Astronomen Michel Mayorund Didier Queloz einen Planeten von annähernd Jupiter-masse entdeckten, der seinen Mutterstern 51 Pegasi in ei-nem Abstand von nur 0,05 AE umkreist. Laut gängiger Theo-rie war das unmöglich. Mittlerweile kennen wir rund 300extrasolare Planeten und 25 Sterne mit mehreren Planeten(Stand: Juni 2008, siehe exoplanet.eu). Die meisten Syste-me sehen ganz anders aus als unser Sonnensystem (Abbil-dungen 2 und 3). Dies ist zum Teil ein durch die Ent-deckungsmethode hervorgerufener Auswahleffekt. Den-noch bleibt das Problem der extrem nahe am Zentralsternexistierenden Riesenplaneten.

Diese Entdeckung war die Initialzündung für neue theo-retische Modelle. Neue Effekte wurden entdeckt, und alteTheorien, die in der Schublade verschwunden waren, wur-den wieder hervor geholt.

Heutige Modelle müssen zum einen unser Sonnensys-tem erklären können. Hierbei geht es mittlerweile um vie-le Details, wie die chemische Zusammensetzung von Me-teoriten in Abhängigkeit vom Abstand zur Sonne oder dieIsotopenhäufigkeit in Kometen. Zum anderen müssen sie

Abb. 1 Mit dem Weltraumteleskop Hubble gelang es erstmals, protoplanetare Scheiben um junge Sterne abzubilden. Diese Scheiben sind im optischen Bereich undurchsichtig und heben sich als Schatten vor dem leuchtenden Gas des Orion-Nebels ab. (Foto: NASA/ESA).

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die Mannigfaltigkeit an unterschiedlichen extrasolaren Pla-netensystemen erklären. Mittlerweile lassen sich nicht mehrnur die Massen und Bahneigenschaften bestimmen,sondernin einigen Fällen sind auch die mittleren Dichten und in ers-ten Ansätzen sogar die chemische Zusammensetzung eini-ger Planetenatmosphären bekannt. Damit bekommen dieTheoretiker immer mehr Randbedingungen für ihre Mo-delle. Widmen wir uns nun den Entwicklungsstufen (Ab-bildung 4).

Die Geburt in der zirkumstellaren ScheibeAlles beginnt in der zirkumstellaren Scheibe eines jungenSterns. Die Scheibe unserer jungen Sonne besaß wohl 3 %bis 5 % der Sonnenmasse. Sie bestand aus 78 % Wasserstoff,

20 % Helium und ungefähr 2 % schwereren Substanzen,wieSauerstoff, Kohlenstoff, Silizium und Eisen. Dies spiegeltsich noch heute in der chemischen Zusammensetzung derSonnenmaterie wider.

Solche protoplanetaren Scheiben lassen sich seit einigenJahren direkt beobachten. Dabei stellt sich heraus, dass so-wohl die Masse als auch die räumliche Ausdehnung dieserScheiben schwankt. Manche Scheiben sind mit Durchmes-sern um 100 AE etwa so groß wie unser Sonnensystem,manche sind 3- bis 10-mal größer. Außerdem fand man he-raus, dass in vielen dieser Scheiben noch Material auf denZentralstern strömt. Dieser Vorgang heißt Akkretion. Umdiesen Materietransport zum Mittelpunkt in der rotierendenScheibe, also gegen die Zentrifugalkraft, erklären zu kön-nen, muss man annehmen, dass Drehimpuls durch Turbu-lenz nach außen transportiert wird. Die beobachtete Ak-kretion bestätigt somit von Weizsäckers Idee. Auf direktemWege lässt sich die vermutete Turbulenz jedoch nur schwerbeobachten.

Aus der Beobachtung der Scheibenhäufigkeit bei un-terschiedlich alten Sternen, kann man zudem schließen,dass die mittlere Lebenserwartung einer Scheibe einige Mil-lionen Jahre beträgt. Die Akkretion sowie möglicherweisedas Verdampfen der Scheibe durch intensive Sternstrahlungbegrenzen ihre Lebensdauer. Dies setzt eine Obergrenzefür den Zeitrahmen der Planetenentstehung zumindest derGas- und Eisriesen.

Darüber hinaus kann man den Beobachtungsdaten ent-nehmen, dass sich die Scheiben auch chemisch und physi-kalisch entwickeln [6]. So wird die Verteilung von chemi-schen Substanzen und Staubpartikeln unterschiedlicher Zu-sammensetzung, Größe und Kristallisationsgrad gemessen.

A B B . 4 | PL A N E T E N E N T S T E H U N G

Phasen der Planetenentstehung (Grafik: J. Blum, TU Braunschweig).

A B B . 2 | H E I S S E J U PI T E R

Dieses Diagramm belegt, dass 87 von 302 bekannten extra-solaren Planeten ihre Sterne innerhalb von 0,1 AE umkreisen.(aus exoplanet.eu).

Große Halbachse/AE

Mas

se/M

J

100

10

1

10–2

10–4

0,01 0,1 1 10 100 1000

A B B . 3 | M A S S E N U N D BA H N R A D I E N

Die Massen und Bahnradien von rund 300 extrasolarenPlaneten im Vergleich zu den Planeten unseres Sonnensys-tems. Letztere sind durch die Anfangsbuchstaben ihrerNamen gekennzeichnet. Die vier Sterne stehen für Planeten,die um einen Pulsar, also einen kompakten Sternrest, kreisen.Grüne Dreiecke: mit Mikrogravitationslinseneffekt entdeckt(nach exoplanet.eu).

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Gerade die Staubentwicklung in zirkumstellaren Scheibenlässt in Beobachtungen die erste Stufe der Planetenentste-hung erkennen. Die beobachteten Staubteilchen sind be-reits größer als jene im interstellaren Raum.

Die erste Stufe des Staubwachstums in der protoplane-taren Wolke wird durch die Brownsche Molekularbewe-gung angetrieben. Stoßen zwei Staubkörner zusammen, sohaften sie aneinander. Wir reden hier von Mikrometer gro-ßen Partikeln, bei denen die Deformierbarkeit der Oberflä-che noch eine Rolle spielt. Zwei Staubkörner haften quasiwie zwei Seifenblasen aneinander, die einen gemeinsamenHals ausbilden und ihre Oberfläche dabei verringern.

Die Staubkörner befinden sich eingebettet im Gas derScheibe um den jungen Stern. Wachsen diese dann aufGrund der Kollisionen, so beginnen sie in Richtung Mittel-ebene „auszuregnen“[7]. Um diesen Vorgang zu verstehen,muss man wissen, dass in der Scheibe der Druck, also Dich-te und Temperatur, mit der Entfernung vom Stern und mitzunehmender Höhe über der Mittelebene abnehmen. Dieserzeugt einen Druckgradienten, der mit der Zentrifugalbe-schleunigung gemeinsam der Gravitation des Sterns entge-genwirkt. Die Scheibe ist also nicht in einem reinen Gravi-tations- und Zentrifugalgleichgewicht. Wäre dies der Fall, sowürden sich alle Teilchen auf Kepler-Bahnen bewegen. Ineiner zirkumstellaren Scheibe wird etwa 99 % Prozent derGravitation durch die Rotation ausgeglichen und der Restdurch die Druckschichtung. Dadurch rotiert die Scheibemit ein paar Promille unter dem Keplerschen Wert. In ver-tikaler Richtung – senkrecht zur Scheibenebene – kann dieRotation jedoch nicht gegen die Anziehung des Sterns wir-ken. Hier ist es allein der Druckgradient der zum Gleich-gewicht führt.

Staubkörner spüren auf Grund ihrer hohen Dichtenichts von dem Druckgradienten und befinden sich dahernicht im Kräftegleichgewicht, wenn sie in ihrer Rotationvon der Gasscheibe mitgenommen werden. Wenn sie wach-sen, nimmt das Verhältnis zwischen der Reibungskraft mitdem Gas (abhängig von der Querschnittsfläche) und derMasse (abhängig vom Volumen) immer mehr ab. Als Folgedavon können sich Partikel jetzt relativ zum Gas bewegen.

Alle Körper fallen nach Galilei zwar gleich schnell, abereben nur unter Vernachlässigung der Reibung mit der Luft,also dem umgebenden Gas. So hat eine Feder ein höheresVerhältnis von Querschnittsfläche zu Masse als beispiels-weise ein Stein. Deshalb wird auch ein großes Staubkornim freien Fall schneller als ein kleines Staubkorn. Mit derZeit regnen millimeter- bis zentimetergroße Partikel zur Mit-telebene der Scheibe aus. Dabei wachsen sie weiter an,weilsie kleinere Partikel auf ihrem Weg einsammeln, die lang-samer sedimentieren.

Diese Bewegung kommt jedoch in der Mittelebene nichtzur Ruhe, da die Gasscheibe einen radialen Druckgradien-ten besitzt und sich mit einer Geschwindigkeit von ein paarPromille unter dem Keplerschen Wert der Gesteinsscheibedreht. Dies hat zur Folge,dass die Gesteinsbrocken nicht nurzur Mittelebene sedimentieren, sondern auch radial weiter

auf den Stern zu driften. Bei metergroßen Objekten beträgtdiese Driftgeschwindigkeit schon 100 m/s. Ein solcher Bro-cken würde deshalb innerhalb von rund hundert Jahrenvon der Sonne verschluckt werden. Er entgeht diesemSchicksal nur, wenn er schnell weiterwächst. Je größer undmassereicher er wird, desto geringer ist die Reibungskraftund die radiale Driftgeschwindigkeit nimmt wieder ab.Doch wir werden nun sehen, dass genau dieses weitereWachstum sehr problematisch ist.

Das Überwinden der Meterbarriere Durch die beschriebene Sedimentation zur Mittelebene derScheiben können die Staubteilchen Durchmesser von eini-gen Zentimetern erreichen. Mit Laborexperimenten ver-sucht man seit einigen Jahren, solche Partikel entstehen zulassen und untersucht dann deren Eigenschaften, wie dieFormstabilität. Hierbei will man wissen, bis zu welcher Re-lativgeschwindigkeit, mit der die Teilchen kollidieren, die-se auch wirklich aneinander haften und sich nicht gegen-seitig zerstören [8].

Abb. 5 Experimente von Physikern an der TU Braunschweig zeigen, wie einigeMillimeter große Staubteilchen bei einer Relativgeschwindigkeit von 1,8 m/s aufwenige Zentimeter großen Staubteilchen haften bleiben. Millimetergroße Partikelzerstören sich gegenseitig, wenn sie mit 5 m/s oder mehr zusammenstoßen (Foto: J. Blum, TU Braunschweig).

B EG R E N Z T E B EO BAC H T U N G S M Ö G L I C H K E I T E N |Aus Spektralbeobachtungen zirkum-stellarer Scheiben kann man auf dieGrößenverteilung der Staubteilchen indiesen Scheiben schließen. Dies gehtjedoch nur bis zu Teilchen mit Größenim Zentimeterbereich. Körper mitDurchmessern von einem Meter odermehr sind kaum mehr nachweisbar.Zum einen sind diese Objekte vielgrößer als die Wellenlängen, die unsaus dem stellaren Spektrum und ausder Wärmestrahlung der Scheibe zurVerfügung stehen. Zum anderen sinkt

mit zunehmender Größe der Objektebei gleichbleibender Masse der Gesamt-population die aufsummierte Fläche,die mit der Strahlung wechselwirkenkann. Je größer die Teilchen werden,desto „durchsichtiger“ werden dieScheiben also. Die nächsten Daten mitdenen wir unsere Modelle heutzutagevergleichen können, sind dann die„fertigen“ Planeten. Die meisten vonihnen sind mehrere Milliarden Jahre alt.Der jüngste bekannte extrasolarePlanet ist acht Millionen Jahre alt.

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Diese Experimente zeigen, dass die Kollisionen nur mithöchstens 1 m/s erfolgen dürfen, sonst droht vollkommeneZerstörung (Abbildung 5). Andere Untersuchungen bele-gen aber, dass in der Scheibe turbulente Bewegungen auf-treten, die zu Relativgeschwindigkeiten von typischerweise10 m/s führen. Größere Brocken im Bereich von einem Me-ter prallen mit kleinen Partikeln wahrscheinlich mit nochhöheren Geschwindigkeiten zusammen. Hierbei werdendie Teilchen unweigerlich zerstört. Damit sind wir bei ei-nem der großen Rätsel der Planenentstehung angekommen:Allem Anschein nach können Teilchen dieser Größe durcheinfaches Kollidieren und Haften nicht weiter anwachsen.Ist der Nebel turbulent, wie es Beobachtungen zeigen undvon Weizsäckers Theorie vorhersagt, so zerreiben die Sand-stürmen ähnelnden turbulenten Bewegungen das Bauma-terial der Planeten wieder zu mikrometerkleinem Staub. Istdie Scheibe hingegen „windstill“, so driften die metergro-ßen Körper zu schnell in den Zentralstern hinein, um vor-her zu Planetesimalen anwachsen zu können.

Es scheint eine natürliche Grenze für Agglomerate vonder Größe etwa eines Tennisballs zu geben, über die sienicht hinaus wachsen können. Und doch muss es irgend-wie möglich sein. Welchen Ausweg hat die Natur gefun-den?

Eine mögliche Erklärung könnten Wirbel sein [9, 10].Computersimulationen unserer Gruppe belegen, dass sichin der turbulenten Scheibe Inseln mit höherer Gasdichteausbilden können (Abbildung 6). Diese Gebiete haben inmancher Hinsicht Ähnlichkeit mit rotierenden Hochdruck-gebieten in der Erdatmosphäre. In solchen Bereichen kön-

Abb. 6 Momentaufnahme einer Modellrechnung, die dieStaubverteilung in einem Ausschnitt der protoplanetarenScheibe zeigt. An einer Stelle hat sich so viel Materie versam-melt, dass hier ein lokaler gravitativer Kollaps eingesetzt hat.Diese Verdichtung bleibt in der turbulenten Strömung stabil,sammelt weitere Materie aus ihrer Umbebung auf undwächst weiter an, bis sie die Masse eines mehrere hundertKilometer großen Kleinplaneten erreicht [9].

1 10 1000,001

0,01

0,1

1

10

100

Prot

opla

nete

n-M

asse

/ M

o +

r (AU)

A B B . 7 | WAC H S T U M

Das Wachstum der Planetenkerne. Bei Zusammenstößen vonPlanetesimalen entstehen die Kerne der Planeten. Nah amStern laufen diese Prozesse schneller ab, da die Umlaufge-schwindigkeiten größer sind. Sie erreichen jedoch nur kleineKernmassen, da weniger Material zur Verfügung steht alsweiter außen. Deutlich lässt sich die Schneegrenze im Son-nennebel erkennen. Nur außerhalb gibt es genug Staub undEis, damit sich ein Kern groß genug für die Entstehung vonJupiter (mehr als 10 Erdmassen, MK) bilden kann (nach: E. Thommes, Northwestern University).

Gas

Festkörper

a

t/106 a0 2 4 6 8 10

60

50

40

30

20

10

0

M/M

A B B . 8 | G A S R I E S E N

Die Entwicklung von Gasriesen wie Jupiter benötigt in denmeisten Modellen einige Millionen Jahre. Zunächst wächstder Kern (rote Kurve); in der zweiten Phase wird allmählichGas auf den Kern akkretiert (blaue Kurve), wobei der Gas-strom von den Kühleigenschaften des jungen Planetenbegrenzt wird. Solange noch Planetesimale in die staubreicheundurchsichtige Atmosphäre stürzen, kühlt diese sehr lang-sam und die Gasmasse steigt nur langsam an. Erst wenn dieAtmosphäre besser abkühlt, folgt eine Phase der rasantenGas-Akkretion.

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nen sich zentimetergroße Teilchen schnell und effektiv ansammeln, ohne aus der Scheibe auszuregnen. Dadurcherhöht sich lokal die Materiedichte, und die Kollisionsge-schwindigkeiten verringern sich. Dies ermöglicht einWachstum zu Körpern mit einigen Kilometern Durchmes-ser, sogenannten Planetesimalen. Es kann sogar zu einerspontanen Bildung von Planetesimalen durch einen Gravi-tationskollaps in der Staubschicht kommen. Hierbei han-delt es sich um einen kollektiven Effekt: Zwei Teilchen al-leine wären viel zu massearm,um sich mit ihrer Schwerkraftzusammenzulagern. Erst das Ensemble von Teilchen er-möglicht in seiner Gesamtheit diesen Vorgang.

In Computerrechnungen haben wir diesen Prozess mitMillionen von Partikeln simuliert. In der Tat bildeten sichspontan Planetesimale von vielen Kilometern Durchmes-ser. Diese entstanden direkt aus den zentimetergroßen Ge-steinen,ohne dass zuvor Einzelobjekte von 10 oder 100 Me-tern vorhanden sein mussten. Derzeit wird untersucht, wieeine realistische Massenverteilung der Planetesimale ausdiesem turbulenz- und gravitationsgetriebenen Prozess aus-sehen müsste. Diese Ergebnisse könnte man dann mit derVerteilung der Asteroiden in unserem Sonnensystem ver-gleichen und hätte so die Möglichkeit, die Rechnungen zufalsifizieren oder weiterzuentwickeln.

Vom Planetesimal zum Planetenkern Haben die Objekte erst einmal die Zentimeterbarriere über-schritten und Planetesimale gebildet, dann gibt es für denweiteren Aufbau eines Planeten grünes Licht. Die Planete-simale sind trotz des Gases in der Scheibe groß und mobilgenug, um sich gegenseitig anzuziehen. Die resultierendenKollisionen untereinander können durchaus zu Zerstörungführen, jedoch verbleibt das meiste Material im eigenen Gra-vitationspotential gefangen,und es bildet sich ein neues Pla-netesimal noch höherer Masse. Dieser Prozess fährt so lan-ge fort, bis eine maximal mögliche Masse erreicht ist. Dasist dann der Fall, wenn der größte Körper sich alle anderenPlanetesimale einverleibt oder sie verdrängt hat.

Diese maximal mögliche Masse hängt vom Abstand vomZentralstern ab und vom lokal zur Verfügung stehenden Ma-terial an Staub und Planetesimalen. Deshalb sind die jungenPlanetenkerne nahe der Sonne sehr massearm. Die Ur-Erdekonnte nur bis auf etwa Marsgröße anwachsen, dann wardie Nachbarschaft an Planetesimalen leergefegt. Wie die Er-de dann später noch auf die heutige Größe anwachsenkonnte,behandeln wir später. Weiter von der Sonne entferntkonnten sich viel massereichere Kerne bilden, weil in derScheibe mehr Material vorhanden war und der störendeEinfluss der Gravitation durch die junge Sonne viel gerin-ger war. Hier entstanden die Gas- und Eisriesen. Bei diesenObjekten tritt jedoch ein anderes Problem auf.

Die Geschwindigkeit, mit der sich aus PlanetesimalenPlanetenkerne bilden, hängt von der Häufigkeit der Kolli-sionen unter den Planetesimalen ab (Abbildung 7). Diese istproportional zur Umlauffrequenz und somit nahe am Sternviel höher als weiter außen. So dauert es rund 100 000 Jah-

re, bis die terrestrischen Planeten bis zu ihrer kritischenMasse angewachsen sind, bei Jupiter werden dagegen inden meisten Modellen schon mehr als zehn Millionen Jah-re benötigt. Bei Uranus und Neptun übersteigt die Entste-hungszeit in den Modellsimulationen aber die Lebenser-wartung des Sonnennebels (oder im allgemeinen der pro-toplanetaren Scheibe) bei weitem.

Es geht heute deshalb nicht mehr nur darum herauszu-finden, wie sich die Planeten bilden können, sondern auchwie schnell. Die beobachtete Lebensdauer von Scheibenum junge Sterne von einer bis zehn Millionen Jahren stellteine Obergrenze dar, innerhalb der sich auch die Gasriesengebildet haben müssen. Später stand kein Gas mehr zur Ver-fügung um den Kern mit einer Atmosphäre zu bedecken.Dieser Teil der Planetenentstehung ist bislang nur teilwei-se verstanden.

P O P U L AT I O N S S Y N T H E S E |Diese Monte-Carlo-Simulation zeigt,welche Planetenmassen man beiwelchen Abständen von einem sonnen-ähnlichen Stern finden sollte. DasModell beinhaltet unser derzeitigesWissen über Staub und Gasscheiben umjunge Sterne sowie die aktuellstenTheorien zu verschiedenen Planeten-entstehungsprozessen. Bei jedemSimulationslauf wird ein „Planeten-keim“ mit 0,6 Erdmassen anfänglich ineiner zufälligen Entfernung zum jungenStern in einer Scheibe mit zufälligausgewählten Eigenschaften platziert.Diese Anfangsbedingungen liegeninnerhalb der beobachteten statisti-schen Streuung echter Scheiben.

Diese Planetenkeime beginnen amunteren Rand des Diagrams zu wach-sen, indem sie zunächst Planetesimaleund später Gas aufsammeln. Die

jeweilige Kurve steigt senkrecht nachoben. Dann migrieren sie nach innen(farbige Kurven), wobei die Migrations-geschwindigkeit von der Masse desPlaneten und der Masse in der Gasschei-be abhängt. Je nach Migrationstypwurde eine andere Farbe für denEntwicklungsweg gewählt. Wenn dieScheibe sich letztendlich auflöst,erreicht der Planet seine endgültigePosition, gekennzeichnet mit einemschwarzen Symbol. Man erkennt, dassauch unsere Gasriesen in diesem Modellvorhergesagt werden.

Da es noch keine gesicherte Erkennt-nis über den Haltemechanismus fürheiße Jupiter gibt, würden in diesemModell einige Planeten in den jungenStern stürzen. Für diese Planeten wirddie Evolution willkürlich bei 0,1 AEgestoppt.

M/E

rdm

asse

n

UranusNeptun

Jupiter

Saturn

1

10

100

1000

104

101

0,1

Bahnradius/AE

_

_

_

Monte-Carlo-Simulationender Entwick-lung vonPlaneten-kernen (C. Mordasini,W. Benz, Y. Alibert,UniversitätBern).

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Wächst ein Planetenkern bis zu einer kritischen Massean, so bildet sich durch Akkretion von Gas aus der Umge-bung schnell eine dichte und massereiche Atmosphäre umden Planeten aus (Abbildung 8). Im Fall von Jupiter über-steigt die letztendliche Masse des gebundenen Gases dieMasse des ursprünglichen Kerns um den Faktor von unge-fähr 30. Und damit sind wir bei einem weiteren Problem inunserem Verständnis der Planetenentstehung. Wie bei je-dem Gravitationskollaps kann das System nur so schnellkomprimiert werden und neue Materie binden,wie es ther-mische Energie abgeben kann.

Wenn der junge Planet mit seiner noch dünnen abersehr staubreichen Atmosphäre nicht effektiv abkühlenkann, so kann er auch nicht in seiner Masse anwachsen, dadie Akkretion ständig neue potentielle Energie freisetzt. Um-gekehrt würde auch die Erde ihren Rest an Atmosphäre ver-lieren,wenn wir sie so stark erhitzen würden,dass die mitt-lere thermische Geschwindigkeit des Gases die Fluchtge-schwindigkeit übersteigt. Dies ist übrigens auch der Grund,warum die Erde weder Helium oder Wasserstoff lang-fristig in der Atmosphäre binden kann. Die thermische Geschwindigkeit dieser leichten Gase ist selbst bei Zim-mertemperatur so hoch, dass sie sich ins Weltall verflüch-tigen.

Viele Modelle zur Entstehung von Jupiter und Saturnund deren Atmosphären kommen so auf Entstehungszei-ten,die länger sind als die oben geforderten zehn MillionenJahre. Ein Ausweg könnte darin bestehen,dass der Staub dieAtmosphäre effizienter kühlt, als man heute annimmt. Eineandere derzeit viel diskutierte Möglichkeit, die Entste-

hungszeit zu verkürzen, besteht in der radialen Wanderungdes Planeten durch die Scheibe. Darauf kommen wir gleichzu sprechen.

Junge Planeten auf WanderschaftDie Kerne von Gasriesen wie Jupiter oder Saturn dürftenfünf bis zehn Erdmassen schwer sein. Heutige Modelle kön-nen solche Werte für den Bereich jenseits der Schneegren-ze nachvollziehen. Sie scheitern jedoch völlig, die Entste-hung des Planeten von 51 Pegasi zu erklären. So nahe amStern (0,05 AE) ist es schon schwierig, eine Merkurmassezusammenzutragen, geschweige denn mehrere Erdmassen.Die dazu benötigten Mengen an Planetesimalen nahe amStern übersteigen alles,was man derzeit aus Beobachtungenund Modellen ableiten kann. Diese wohl unrealistische Men-ge an Planetesimalen wäre jedoch die einzige Möglichkeit,eine Entstehung dieser sogenannten heißen Jupiter so na-he am Stern zu erklären. Bleibt man hingegen bei der An-nahme, dass sich Gasriesen jenseits der Schneegrenze bil-den, dann muss man daraus folgern, dass diese Körper vondort in Richtung Stern gewandert oder „migriert“ sind.

Die Idee der Planetenmigration wurde keinesfalls erstnach der Entdeckung des ersten heißen Jupiters entwickelt.Sie wurde schon 14 Jahre zuvor von Bill Ward vom South-west Research Institute in Boulder, USA, geäußert. Modelleder Planetenmigration basieren auf der Wirkung von Ge-zeitenkräften innerhalb der zirkumstellaren Scheibe. DerPlanet „deformiert“ mit seiner Schwerkraft die Scheibe,wes-halb das Gas in der Nähe des Planeten nicht mehr auf rei-nen Keplerbahnen läuft. Dies führt zu Asymmetrien in derGasverteilung und in der Folge summieren sich die Gravi-tationskräfte des Scheibengases nicht mehr zu Null auf. Da-durch wirkt ein Drehmoment auf den Planeten, so dass ihmDrehimpuls entzogen wird. Dieser Drehimpulsverlustzwingt ihn zur Wanderung zu engeren Bahnen um den Zen-tralstern.

Nach der Entdeckung der heißen Jupiter fand das Mo-dell der Planetenmigration große Beachtung, und man be-gann, die Geschwindigkeiten zu berechnen, mit denen Pla-neten auf Ihren Zentralstern zuwandern sollten. So brauchtein Planet von der Größe Saturns etwa 100 000 Jahre, umden Abstand zur Sonne zu halbieren.

Mit der Migration ließen sich mehrere Problem lösen.Zum einen erklärt sie die Existenz von jupitergroßen Pla-neten nahe am Stern. Zum andern wachsen Planeten schnel-ler an, weil sie auf ihrer Wanderung durch Gebiete mit „un-verbrauchtem“ Staub und Gas kommen,das sie aufsammelnkönnen. Allerdings wäre hierfür eine mäßigere Form der ra-dialen Wanderung von Planeten mit nur etwa 2 % der theo-retisch vorhergesagten Wanderungsrate erforderlich. Die-ser Faktor ist nur eine beste Schätzung, um die beobachte-te Verteilung von Planeten zu erklären.

Es werden weitere Untersuchungen notwendig sein,umdiesen Prozess besser zu verstehen. Hier bietet sich wie-derum die Turbulenz innerhalb der Scheibe und insbeson-dere das genaue thermodynamische Verhalten des Gases

Abb. 9 Diese Simulation zeigt, wie junge Planeten die Struktur der protoplaneta-ren Scheiben beeinflussen. Die erzeugten Spiralmuster, Lücken sowie die heißenausgedehnten Atmosphären der Planeten sollten in naher Zukunft beobachtetwerden können.

Page 8: Aus Staub geboren. Planetenentstehung

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als ein Ansatz an. Jüngste Untersuchungen deuten an, dassLetztere sogar eine Umkehr der Migration von Planeten be-wirken kann. Abbildung 9 zeigt die Ergebnisse eine der bis-her wenigen thermodynamisch selbstkonsistenten Simula-tionen zur Migration von Planetenkernen.

Schließlich gibt es noch ein grundsätzliches Problemdes Migrationsmodells. Wenn die Planeten erst einmal radialwandern, dann gibt es kein Halten mehr. Letztlich stürzensie in den Zentralstern hinein. Derzeit sucht man nach Me-chanismen, um diesen Prozess zu stoppen. Mögliche Lö-sungen können Gezeitenkräfte durch den Zentralstern oderMagnetfelder sein. Außerdem zeigen Beobachtungen, dassviele zirkumstellare Scheiben in der Mitte ein materiefreiesGebiet besitzen kann. Die nahe Umgebung des Sterns isthier nahezu frei von Gas und Staub. Möglicherweise kommtdie Migration zum Stillstand, wenn der Planet in diese Lü-cke hineingerät.

Wenn das Gas aus der Scheibe verschwunden ist, mussdas Planetensystem noch lange nicht seine endgültige Kon-figuration erreicht haben. Zwischen den Planeten und denverbleibenden Planetesimalen wirken ja noch weiterhin dieGravitationskräfte,und in einem „finalen Gerangel“ sucht je-der seinen Platz.

Der massereichste Planet Jupiter spielt hier natürlich inunserem Sonnensystem die dominierende Rolle. Er verhin-derte,dass sich im Asteroidengürtel die Planetesimale zu ei-nem Planeten zusammenlagern konnten. Er schleuderte Ma-terial und Planeten im inneren Teil des Sonnensystems sodurcheinander, dass durch Kollisionen vier der ursprüng-lich wahrscheinlich vielen Planetenkerne zu den heutigenPlaneten Merkur,Venus,Erde und Mars anwachen konnten.Dieses Planetenbillard dürfte zwischen 100 und 300 Mil-lionen Jahre gedauert hat. Einer dieser durch Jupiter aus-gelösten Zusammenstöße zwischen der fast fertigen Erdeund einem Körper von der Größe des Mars führte nachheutigem Wissen zur Entstehung des Mondes. Auch im äu-ßeren Sonnensystem ist Jupiter tonangebend. So wird bei-spielsweise spekuliert, dass sich die Kerne von Saturn, Ura-nus und Neptun in Jupiters Nachbarschaft gebildet haben,dann aber von ihm auf ihre späteren Umlaufbahnen ge-drängt wurden.

Alle diese Teilprozesse lassen sich derzeit noch nicht inallen Details innerhalb eines einzigen Computermodells si-mulieren. Sie werden noch separat behandelt, wobei es da-rauf ankommt, in möglichst einfachen parametrisierten Mo-dellen Vorhersagen für die statistischen Eigenschaften vonPlaneten zu treffen. Das Ergebnis der bislang aufwendigs-ten Simulationen zeigt „Populationssynthese“ auf S. 9.

Ziel ist es natürlich, mehr und mehr Teile zusammen-zufügen, um schließlich die ganze Vielfalt der Planetensys-teme verstehen zu können. Nur wenn die oben beschrie-benen Teilprozesse in ihren quantitativen Vorhersagen überVerteilung von Staub und Planetesimalen, über die Zeit-spanne der Planetenkernbildung, das Aufsammeln von Gasund die Wanderung der Planeten richtig sind,werden sie inihrer Kombination in Populationssynthesen zu Systemen

führen, die man auch beobachtet (siehe „Populationssyn-these“, S. 9). So lange noch Widersprüche zwischen denvorhergesagten Häufigkeiten für Bahnen und Massen vonPlaneten und den gefunden Systemen bestehen,müssen wirdie zugrundelegenden Prozesse besser verstehen lernen.Beobachtungen werden auf diesem Weg mit Sicherheit nochweitere Überraschungen bereithalten,wie dies bei 51 Pegasider Fall war.

ZusammenfassungDie Entdeckung von extrasolaren Planetensystemen hat dieTheorie der Planetenentstehung vor neue Herausforderungengestellt. Das grundlegende Modell zur Entstehung unseresSonnensystems aus einer Staub und Gasscheibe um die jun-ge Sonne besteht zwar unverändert seit der Mitte des letzenJahrhunderts, es wurde jedoch im Laufe der Zeit um mehr undmehr Details bereichert. Auch heute sind noch viele Fragenoffen, wie unser Sonnensystem oder die Planetensysteme umferne Sterne entstanden sind.

Literatur[1] D. N. C. Lin, The Chaotic Genesis of Planets, Scientific American, Mai

2008.[2] J. Lissauer, Planet Formation, in: Ann. Rev. Astron. and Astroph.

11999933, 31, 129.[3] C. F. von Weizsäcker, Zeitschrift für Astrophysik 11994433, 22, 319.[4] V. Safronov, Evolution of the Protoplanetary Cloud and Formation of

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[5] H. Klahr, W. Brandner, Planet Formation: Theory, Observation andExperiments, Cambridge University Press, Cambridge 2006.

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[7] H. Klahr, New Ast. Rev. 22000088, 52, 78.[8] J. Blum, G. Wurm, Ann. Rev. Astron. Astrophys. 22000088, 46, 21.[9] H. Klahr, A. Johansen, Gravoturbulent planetesimal formation,

Physica Scripta T, 22000088, 130, 014018[10] A. Johansen et al., Nature 22000077, 448, 1022.

Die AutorenThomas Henning, nach Physikstudium in Greifswaldund Jena (Promotion), Post Doc in Prag und amMax-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn.Nach der Leitung einer Arbeitsgruppe der Max-Planck-Gesellschaft an der Universität Jena und einerProfessur an der dortigen Universität ist er seit 2001Direktor am Max-Planck-Institut für Astronomie inHeidelberg und Professor an den UniversitätenHeidelberg und Jena. Am MPI für Astronomie leiteter die Abteilung für Planeten- und Sternentstehung.

Hubert Klahr studierte in Karlsruhe Physik, promo-vierte in Jena, und verbrachte Post-Doc-Aufenthaltein Potsdam und an der Universität von Kalifornien inSanta Cruz. Er habilitierte sich in Tübingen und leitetheute die Theoriegruppe der Abteilung für Planeten-und Sternentstehung am Max-Planck-Institut fürAstronomie.

AnschriftDr. habil. Hubert Klahr, Prof. Dr. Thomas Henning,Max-Planck-Institut für Astronomie, Königstuhl 17,69117 Heidelberg. [email protected]