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Technische Universität Berlin Fakultät I Geisteswissenschaften Institut für Sprache und Kommunikation Studiengang: Kommunikation und Sprache Studienschwerpunkt: Medienwissenschaft Identitätsbildung 2.0 Selbstdarstellung und Privatheit im Social Web ___________________________________________________________________ Masterarbeit Vorgelegt von Tabea Canham Gutachter: Prof. Dr. Nobert Bolz Zweitgutachter: Dipl.-Medienberater Stephan Frühwirt Abgabedatum: 31.7.2014

Ausarbeitung des Referats - TU Berlin · 2.1 Web 2.0, Social Web und Social Media: Abgrenzungen und Definitionen Um die Begriffe Social Media7 und Social Web eindeutig verwenden zu

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Technische Universität Berlin

Fakultät I – Geisteswissenschaften

Institut für Sprache und Kommunikation

Studiengang: Kommunikation und Sprache

Studienschwerpunkt: Medienwissenschaft

Identitätsbildung 2.0

Selbstdarstellung und Privatheit im Social Web ___________________________________________________________________

Masterarbeit

Vorgelegt von Tabea Canham

Gutachter: Prof. Dr. Nobert Bolz

Zweitgutachter: Dipl.-Medienberater Stephan Frühwirt

Abgabedatum: 31.7.2014

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Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung ..................................................................................................................... 1

1.1 Fragestellung und Zielsetzung .................................................................................. 2

1.2 Aufbau der Arbeit ..................................................................................................... 3

2. Das Social Web und die Privatsphäre –

Selbstdarstellungsverhalten der Nutzer aus Sicht von Massenmedien und Literatur .... 4

2.1 Web 2.0, Social Web und Social Media: Abgrenzungen und Definitionen.............. 4

2.2 Merkmale von Social Network Sites......................................................................... 8

2.3 Eigenschaften netzbasierter Kommunikation ......................................................... 10

2.4 Einführung in das Konzept der Privatheit ............................................................... 11

2.5 Darstellungen in Massenmedien und Literatur ...................................................... 12

2.5.1 Selbstdarstellung und Privatheit als Problemfelder ...................................... 12

2.5.2 Mögliche Gründe für die Freizügigkeit im Umgang mit privaten Daten ..... 16

2.5.3 Privacy Paradox und Post-Privacy ............................................................... 18

3. Systemtheorie und moderne Netzwerksoziologie –

zentrale Ansätze und Begriffe für den Themenkomplex Social Media ........................ 20

3.1 Öffentlichkeit aus systemtheoretischer Sicht .......................................................... 21

3.2 Interaktion als soziales System ............................................................................... 23

3.3 Personenbegriff nach Luhmann .............................................................................. 28

3.4 Erwartungen ............................................................................................................ 29

3.5 Vertrauen ................................................................................................................. 31

3.6 Identitätsbildung nach der modernen Netzwerksoziologie ..................................... 34

3.6.1 Identitäten suchen Kontrolle ......................................................................... 35

3.6.2 Identitätsdimensionen ................................................................................... 37

3.6.3 Soziale Netzwerke beinhalten Stories ........................................................... 39

3.7 Abschließende Bemerkungen zur Vereinbarkeit beider Theorien .......................... 41

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4. Privatheit und Identitätsbildung im Social Web –

funktional betrachtet...................................................................................................... 43

4.1 Social Media als Interaktionsräume ........................................................................ 43

4.2 Kontextbildung und Empfängerdifferenzierung im Social Web ............................ 47

4.3 Potenzielle Öffentlichkeit........................................................................................ 51

4.4 Social Media contra Öffentlichkeit ......................................................................... 52

4.5 Identitätsbildung im Social Web ............................................................................. 58

5. Schlussbetrachtung und Fazit ................................................................................ 61

Literaturverzeichnis ...................................................................................................... 63

Eidesstattliche Erklärung ............................................................................................ 69

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1. Einleitung

Social Media sind aus dem alltäglichen Leben kaum noch wegzudenken. Vor allem

die sozialen Online-Netzwerke erfreuen sich großer Beliebtheit: Circa zwei Drittel

aller Internetnutzer1 waren im Jahr 2013 auf entsprechenden Seiten angemeldet und

dort aktiv; unter den 14- bis 29-Jährigen liegt dieser Wert noch deutlich höher (im

Durchschnitt waren über 91% angemeldet und etwa 89% aktiv).2 Das populärste

Netzwerk unter ihnen, Facebook, verzeichnet, eigenen Angaben zufolge, weltweit

über 1,28 Milliarden aktive Nutzer im Monat, Tendenz steigend.3 In Deutschland

haben gut 27 Millionen Bürger aktuell ein Facebook-Profil.4

Diese Zahlen zeigen nicht nur die Beliebtheit von Facebook und Co., sondern deuten

auch an, welchen Einfluss Social-Media-Angebote auf verschiedene Bereiche des

Lebens ausüben können. Von der Unternehmenskommunikation, über die

Organisation von (politischem) Widerstand bis hin zur Strukturierung des

Kommunikationsverhaltens, ziehen sie gegenwärtig weite Kreise. Im

Sprachgebrauch hinterlassen sie ihre Spuren z.B. durch Wortneuschöpfungen, die

sich mit der fortlaufenden Medienentwicklung semantisch noch erweitern können.

Ein Beispiel dafür ist das Substantiv Selfie, das in Großbritannien zum Wort des

Jahres 2013 gekürt wurde. Es steht für ein Foto-Selbstportrait, das mit dem

Smartphone oder der Webcam aufgenommen und über die Kanäle der Social Media

verbreitet wird.5 Selfie weist als Wort des Jahres auf einen sprachlichen Trend hin,

der gleichzeitig ein bestimmtes Nutzerbedürfnis verdeutlicht: Die Präsentation des

eigenen Selbst. So gilt die Selbstdarstellung auch als einer der Hauptgründe für die

Beliebtheit sozialer Netzwerkseiten.6

Der Begriff der Selbstdarstellung ist allerdings im Alltagsgebrauch oftmals negativ

konnotiert. Er wird bisweilen mit einem übertriebenem Aufmerksamkeitsstreben

oder einer egozentrierten Zurschaustellung verbunden. Auch die massenmediale und

wissenschaftliche Diskussion über die Selbstdarstellung der Social-Media-Nutzer ist

davon betroffen und wird häufig normativ geführt. Kritisch beurteilt wird das

1 Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird hier und im Folgenden ausschließlich die maskuline

Form verwendet, wobei immer beide Geschlechter gemeint sind. 2 s. Berg 2013: 2

3 s. Facebook newsroom; Stand: 1. Quartal 2014

4 s. Statista 2014

5 s. Oxford Dictionaries 2014

6 s. Utz/Kramer 2009; Kairam 2012: 1070; Busemann 2013: 393

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Nutzerverhalten vor allem in Bezug auf die Privatheitsthematik. Massenmedien und

Literatur sehen die Privatsphäre in Gefahr und äußern daher zum Teil massive Kritik

an der Selbstpräsentation der Nutzer.

1.1 Fragestellung und Zielsetzung

Ziel der folgenden Ausführungen ist es, eine Alternative zur normativ geführten

Diskussion um Selbstdarstellung und Privatheit im Social Web aufzuzeigen und das

Verhalten der Nutzer in Bezug auf deren Identitätsbildung zu beleuchten. Die

zentrale Fragestellung, die diese Arbeit leiten wird, lautet daher: Inwiefern hat die

Selbstdarstellung der Nutzer in den Interaktionsbeziehungen der Social Media eine

identitätsstiftende Funktion und welche Bedeutung hat das Konzept der Privatheit in

diesem Zusammenhang?

Für die Bearbeitung dieser Leitfrage werden zwei theoretische Strömungen

herangezogen, die einen funktionalen Zugang zum vorgestellten Themenkomplex

ermöglichen: Die soziologische Systemtheorie um Niklas Luhmann und die moderne

Netzwerksoziologie nach Harrison C. White. Das Konzept der Identität wird in

dieser Arbeit bewusst nicht ideengeschichtlich angegangen oder mithilfe anderer

theoretischer Ansätze beschrieben. Der Schwerpunkt liegt vielmehr auf dem Prozess

der Identitätsbildung, wie er sich mit den Ansätzen Whites und Luhmanns

beschreiben lässt.

Die dargestellte Herangehensweise scheint in der Literatur bisher kaum verfolgt

worden zu sein. Zu den Themenbereichen der Identitätsbildung und Selbstdarstellung

sowie der Privatheit und Öffentlichkeit im Social Web gibt es zwar zahlreiche

wissenschaftliche Veröffentlichungen, allerdings sind kaum Ansätze zu finden, die

Social Media aus einer systemtheoretischen Perspektive aufarbeiten bzw. Whites

Ansatz darauf anwenden. Selten wird das Verhalten der Nutzer hauptsächlich im

Hinblick auf dessen Funktion betrachtet. Diese Arbeit behandelt daher ein wenig

erforschtes Gebiet. Sie leistet dabei bewusst keinen Beitrag zur normativen Debatte

um Selbstdarstellung und Privatheit, sondern legt den Fokus alternativ auf die

Identitätsbildung der Nutzer.

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1.2 Aufbau der Arbeit

Die Arbeit gliedert sich in fünf Teile: Nach einem einleitenden Kapitel geht es im

zweiten Teil um Formen und Eigenschaften von Social Media sowie um eine

Annäherung an das Konzept der Privatheit. Zentraler Bestandteil ist die Darstellung

der Positionen aus Massenmedien und Literatur zum Selbstpräsentationsverhalten

der Nutzer und zur Privatsphäre im Social Web.

Im dritten Kapitel stehen die Ansätze der Luhmann‘schen Systemtheorie und der

modernen Netzwerksoziologie nach White im Mittelpunkt. Hier werden Begriffe und

Überlegungen aufgearbeitet, die für den Themenkomplex der Arbeit relevant

erscheinen. Beide theoretischen Ansätze werden zueinander in Beziehung gesetzt.

Der vierte Teil befasst sich mit der Anwendung der Theorie auf Social Media und

beleuchtet verschiedene Aspekte der Privatheitsthematik im Zusammenhang mit der

Identitätsbildung anhand des theoretischen Begriffsapparates.

Eigene Erhebungen können im Rahmen dieser Arbeit nicht durchgeführt werden. Die

Ausführungen, insbesondere die des vierten Teils, werden jedoch durch verschiedene

Studien empirisch untermauert.

Das fünfte Kapitel bündelt die Erkenntnisse in einem Fazit und gibt einen Ausblick.

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2. Das Social Web und die Privatsphäre –

Selbstdarstellungsverhalten der Nutzer aus Sicht von

Massenmedien und Literatur

Im Folgenden geht es zunächst um eine definitorische Einführung in den Bereich der

Social Media sowie um die Eigenschaften netzbasierter Kommunikation, die für das

Social Web von Bedeutung sind. Außerdem erfolgt eine erste theoretische

Annäherung an das Konzept der Privatheit, da dieses Kapitel schwerpunktmäßig auf

die Aussagen zur Privatsphäre im Zusammenhang mit dem Selbstdarstellungs-

verhalten der Nutzer eingeht, so wie sie in Massenmedien und Literatur thematisiert

werden.

2.1 Web 2.0, Social Web und Social Media: Abgrenzungen und

Definitionen

Um die Begriffe Social Media7 und Social Web eindeutig verwenden zu können,

werden sie an dieser Stelle zunächst vom so genannten Web 2.0 abgegrenzt und

definiert.

Der Begriff Web 2.0 wurde entscheidend durch den Verleger und

Softwareentwickler Tim O’Reilly geprägt. In seinem Artikel „What is Web 2.0“

(2007) beschreibt er die veränderten Funktionen, die das Internet seit dem Platzen

der Dotcom-Blase herausgebildet hat: Das Web 2.0 gilt heute als eine Plattform, die

sich vor allem durch die direkte Beteiligung der Nutzer und daraus entstehende

Netzwerkeffekte, wie z.B. das Nutzen kollektiven Wissens auszeichnet. Partizipation

und Kooperation sind wichtige Charakteristika des Web 2.0 – je mehr Nutzer

beteiligt sind, desto besser wird der Dienst. Und: Durch Kundenbeteiligung und

computergesteuertes Datenmanagement können Nischenmärkte und unscheinbare

Webangebote im Long Tail8 zu kollektiver Stärke heranwachsen.

9

7 Aus Gründen der Abwechslung wird im Verlauf der Arbeit die deutsche Übersetzung soziale Medien

synonym verwendet. 8 Der Begriff des Long Tail wurde geprägt durch Chris Anderson (2006): The Long Tail: Why the

Future of Business Is Selling Less of More. New York: Hyperion. 9 s. O’Reilly 2007: 21ff.

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O’Reilly nennt in seinem Artikel sieben Hauptpunkte, die das Web 2.0

kennzeichnen10

:

1. Das Web als Service-Plattform: Verschiedene Dienste bieten die Möglichkeit,

Arbeit über das Web zu organisieren; sie übernehmen Aufgaben, die ehemals

Desktopanwendungen vorbehalten waren (z.B. Terminplanung, Dokument-

bzw. Datenverwaltung etc.).

2. Kollektive Intelligenz: Die Nutzer beteiligen sich und generieren gemeinsam

Inhalte. Als Paradebeispiel gilt die Plattform Wikipedia, deren Artikel von

Nutzern selbst verfasst bzw. verändert werden.

3. Nutzer-Daten: Die Anwendungen des Web 2.0 basieren auf Daten, die Nutzer

bereitgestellt haben und kontinuierlich bereitstellen.

4. Software als Service: Die Weiterentwicklung von Software kann zu einem

kontinuierlichen Prozess werden, an dem die Nutzer beteiligt sind (Beta-

Versionen).

5. Lightweight Programming Models: Daten können „sehr einfach über eine

HTTP- oder Web-Service-Schnittstelle bereitgestellt werden“11

. So können

neue, innovative Inhalte entstehen.

6. Software kann auf verschiedenen Endgeräten genutzt werden; neben dem PC

gehören dazu vor allem Smartphones und Tablets.

7. Nutzererlebnis: Die Anwendungen des Web 2.0 sind bedienerfreundlich

gestaltet und bieten reichhaltige Möglichkeiten für Datenaustausch und

interaktive Erlebnisse.

Der Begriff Web 2.0 bezieht sich also auf die Veränderungen und gewachsenen

Funktionen des Internet. Die Nutzung von und die Beteiligung an webbasierten

Diensten ist für die breite Masse einfach und attraktiv geworden. Es sind

Anwendungen entstanden, welche die soziale Komponente in den Vordergrund

10

s. für die folgende Auflistung O’Reilly 2007: 18ff.; Ebersbach et al. 2011: 28ff. 11

Ebersbach et al. 2011: 30

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rücken und Interaktion ermöglichen. Diese Anwendungen werden in der

vorliegenden Arbeit zusammenfassend als Social Media bzw. als Social Web

bezeichnet, beide Begriffe werden austauschbar verwendet.

Social Media basieren also auf den Weiterentwicklungen des Internets, die als Web

2.0 beschrieben wurden. Kaplan/Haenlein (2009) schreiben dazu: “In our view […]

Social Media is a group of Internet-based applications that build on the ideological

and technological foundations of Web 2.0, and that allow the creation and exchange

of User Generated Content”12

. Um sich einer Definition von Social Media weiter

anzunähern, werden darüber hinaus zwei klassifikatorische Ansätze der oben

genannten Autoren herangezogen, die für die Verwendung des Begriffs in dieser

Arbeit leitend sein sollen: Sie umschließen sowohl medientheoretische Überlegungen

(zu Social Presence und Media Richness) als auch soziologische Aspekte (bezogen

auf Self-Presentation bzw. Self-Disclosure).13

Social Presence beschreibt den unterschiedlichen Grad an physischer, visueller oder

akustischer Kontaktintensität bzw. an Wahrnehmbarkeit – abhängig von den

jeweiligen Interaktionsmöglichkeiten – den verschiedene Medien herstellen können.

Dabei gilt: Je höher das Maß an Social Presence ist, desto größer ist auch der

Einfluss, den die Kommunikationspartner gegenseitig auf ihr Verhalten ausüben.

Media Richness beruht auf der Überlegung, dass manche Medien mehr

Informationen in einem bestimmten Zeitintervall übertragen können als andere und

damit in unterschiedlichem Maße Ambiguität und Unsicherheit reduzieren. Je reicher

das Medium ist, desto stärker kann sich Kommunikation entfalten. Daher hängen

Social Presence und Media Richness eng zusammen, beide bedingen sich

wechselseitig.14

Soziologisch betrachtet, geht das Konzept der Selbstdarstellung (Self-Presentation)

davon aus, dass Individuen in sozialer Interaktion danach streben, den Eindruck, den

sie hinterlassen, zu kontrollieren. Sie versuchen, durch ihr Verhalten die anderen

Interaktionsteilnehmer (positiv) zu beeinflussen. Selbstpräsentation geht einher mit

Selbstenthüllung, das heißt dem Offenlegen persönlicher Informationen entsprechend

den eigenen Absichten.15

12

Kaplan/Haenlein 2009: 61 13

s. ebd.: 61f. 14

s. ebd.: 61 15

s. ebd.: 61f.

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Vor diesem Hintergrund lassen sich Social Media insofern von anderen

internetbasierten Diensten abgrenzen, als sie Social Presence ermöglichen und über

Media Richness verfügen sowie Selbstpräsentation des Nutzers erlauben und dafür

einen gewissen Grad an Selbstenthüllung erfordern. Diese Kriterien sind bei den

verschiedenen Social-Media-Angeboten unterschiedlich ausgeprägt. Sie gelten

jedoch nur in Interaktionsbeziehungen zwischen Personen und nicht für die

massenmediale Kommunikation, bei der konkrete Personen nicht relevant werden.

Sie können daher als Differenzierungskriterien für Social Media herangezogen

werden.

Den oben genannten Definitionsmerkmalen kann eine Vielzahl von Angeboten und

Diensten zugeordnet werden, die somit in den Bereich der Social Media fallen. Eine

Möglichkeit, diese zu kategorisieren, bildet die folgende Übersicht16

:

Blogs gelten als die früheste Form von Social Media. Sie enthalten

datumsbezogene Einträge, meist von Einzelnen erstellt, auf die die Leser mit

Kommentaren reagieren können. Das Spektrum an Blogs reicht von

persönlichen Online-Tagebüchern bis hin zu thematisch bezogenen

Informationszusammenstellungen.

Wikis sind Gemeinschaftsproduktionen. Mehrere Nutzer generieren

textbasierte Inhalte und tragen so zu einer Wissensakkumulation bei. Das

bekannteste Beispiel ist Wikipedia.

Social Network Sites widmen sich der Kontaktpflege, indem die Nutzer

persönliche Profile erstellen und sich mit Freunden, Bekannten, Verwandten

etc. verbinden und austauschen können (Beispiele: Facebook, Google+ etc.)

Microblogs ermöglichen das Verschicken sehr kurzer Nachrichten (z.B.

Tweets von maximal 140 Zeichen bei Twitter).

Social-Sharing-Plattformen bzw. Content Communities stellen Inhalte wie

z.B. Fotos, Videos oder Bookmarks zur Verfügung und ermöglichen den

Austausch solcher Inhalte (Beispiele: Flickr, YouTube).

16

zusammengestellt nach Ebersbach et al. 2011: 37; Bendel o.J; Kaplan/Haenlein 2009: 62ff.

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Virtual Social Worlds (z.B. Second Life) sowie Virtual Game Worlds (z.B.

World of Warcraft) sind Plattformen, die virtuelle 3D-Welten anbieten, in

denen die Nutzer als Avatare miteinander interagieren können.

Chats und Diskussionsforen zählen als Interaktionsanwendungen ebenfalls zu

Social-Media-Diensten.

Das Social Web stellt also vielfältige Kommunikationsmöglichkeiten bereit: Die

Nutzer können sich über text-, bild- und tonbasierte Inhalte austauschen.17

Da die Vielfalt der sozialen Medien sehr groß ist, werden im Verlauf der Arbeit nicht

alle Erscheinungsformen gleichermaßen betrachtet. Vor allem im vierten Teil lassen

sich nicht alle Aspekte der theoretischen Anwendung immer auf sämtliche Social

Media beziehen. Um dennoch konkret werden zu können, liegt der Fokus im vierten

Kapitel hauptsächlich auf den Social Network Sites, da diese zu den populärsten

Formaten im Social Web zählen und viele Möglichkeiten der Selbstdarstellung

bieten. Deshalb werden im Folgenden einige zentrale Merkmale sozialer Online-

Netzwerke zusammengetragen.

2.2 Merkmale von Social Network Sites

Soziale Online-Netzwerke sind nach Ewig (2011) „internetbasierte Plattformen, auf

denen sich registrierte User in Form persönlicher Profilseiten selbst darstellen und

durch Verknüpfung zu anderen Usern ihr persönliches Netzwerk nach und nach

aufbauen und abbilden können“18

. Sie können geschäftlich orientiert sein und sich an

Berufstätige oder Jobsuchende richten (wie Xing und LinkedIn) oder rein

freundschaftlich ausgerichtet sein (wie z.B. Facebook).19

Mitgliederprofile sind der zentrale Interaktionsort auf Social Network Sites, sie

werden vom Profileigentümer in dem Bewusstsein gestaltet, dass sie von anderen

gesehen werden können.20

Oft können Texte, Bilder sowie Video- und Audiomaterial

hinterlegt und Verlinkungen platziert werden. Hier wird fundamental bestimmt, wie

die Selbstpräsentation aussehen soll – dabei ist diese nicht allein vom Profil-

17

s. Bendel o.J. 18

Ewig 2011: 289 19

vgl. Ebersbach et al. 2011: 99 20

s. boyd 2011: 43

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eigentümer selbst modelliert. Denn andere Nutzer hinterlassen Kommentare,

Meinungen, verlinken Bilder etc. und wirken dadurch an der Profilgestaltung und

Selbstdarstellung mit. Marwick/boyd (2011) bemerken daher: “Self-presentation is

collaborative“ [Hervorhebung im Original]21

.

Ein Profil ist meist mit vielen anderen Profilen verbunden, die in der Kontaktliste

erscheinen. Diese kann von all jenen eingesehen werden, die Zugang zur Profilseite

des Nutzers haben. Zu den Kontakten zählen sowohl Freunde als auch Bekannte, die

Familie und Arbeitskollegen etc. Profilseiten sind der Ort, an dem die

Interaktionspartner bestimmt und so die potenziellen Zielgruppen der Kommuni-

kationsbeiträge festgelegt werden.22

Social Network Sites bieten verschiedene Kommunikationskanäle an, mithilfe derer

die Nutzer mit ihren Kontakten interagieren können. Das kommunikative Zentrum

bilden Kommentar- bzw. Newsfeed: Über den Kommentarfeed (z.B. die Pinnwand

bzw. Wall bei Facebook) können Posts, sowohl vom Profileigentümer als auch von

seinen Kontakten, auf der Profilseite hinterlassen werden. Statusmeldungen über den

Newsfeed bieten weitere Kommunikationsanlässe, denn sie zeigen dem Nutzer die

aktuellen Aktivitäten und Neuigkeiten seiner Kontakte an. Er erhält diese

Mitteilungen in negativ chronologischer Reihenfolge und sieht daher immer das

Aktuellste zuerst. Er kann darauf direkt reagieren, indem er internen oder externen

Links folgt und z.B. Kommentare schreibt oder mit einem „Gefällt mir“ bei

Facebook Zustimmung ausdrückt.23

Häufig steht den Nutzern auch die Option zur Verfügung, Inhalte nur mit einem Teil

der Kontaktliste zu teilen, indem diese in Unterlisten bzw. in Kreise gruppiert und

entsprechend adressiert werden können (z.B. bei Facebook bzw. Google+). Bei

Facebook können auch einzelne Personen gezielt von der Sichtbarkeit eines Posts

ausgeschlossen werden.

Außerdem gibt es die Möglichkeit, persönliche Nachrichten zu verschicken, die,

ähnlich der E-Mail, direkt adressiert werden. Darüber hinaus können offene oder

geschlossene Gruppen gebildet werden, in denen ein themen- und mitglieder-

bezogener Austausch stattfinden kann.

21

Marwick/boyd 2011: 123 22

vgl. boyd 2011: 43f. 23

s. Ebersbach et al. 2011: 106f.; Steinschaden 2010: 17

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2.3 Eigenschaften netzbasierter Kommunikation

Als Internetanwendungen gehören Social Media in den Bereich der netzbasierten

Kommunikation. Sie werden durch entsprechende Technologien strukturiert, die den

Informationsfluss organisieren und die Interaktion zwischen den Nutzern

modellieren.24

Das führt zu einigen besonderen Eigenschaften, die im Folgenden

dargestellt werden25

:

1. Persistence: Inhalte werden automatisch archiviert, sie haben daher einen

dauerhaften Charakter und sind langfristig abrufbar. Das Internet ermöglicht

somit asynchrone Kommunikation, da Inhalte zeitversetzt abgerufen und

geteilt werden können. Dennoch kann der Entstehungskontext entscheidend

für das Verständnis des Inhalts sein. Wenn dies nicht beachtet wird, kann es

evtl. zu Missverständnissen kommen.

2. Searchability: Nutzer, bzw. von ihnen produzierte Inhalte, können gezielt

gesucht werden.

3. Replicability: Äußerungen können einfach wörtlich kopiert werden, sodass

Original und Kopie nicht mehr unterschieden werden können. Darüber hinaus

können die replizierten Inhalte auch verändert werden, was jedoch auf den

ersten Blick nicht immer erkennbar ist.

4. Scalability: Das Internet ermöglicht neue Verbreitungsdimensionen; die

potenzielle Reichweite von Inhalten ist sehr groß. Allerdings besteht keine

Garantie dafür, dass Inhalte tatsächlich skaliert werden. Was verbreitet wird,

hängt von der Internet-Gemeinschaft ab.

Die genannten Eigenschaften spielen eine wichtige Rolle bei den Überlegungen zur

Privatsphäre im Social Web, auf die im vierten Teil der Arbeit genauer eingegangen

wird.

24

s. boyd 2011: 39ff.; boyd nutzt in diesem Zusammenhang den Begriff Networked Publics, der

allerdings nicht immer klar von Public im Sinne von Öffentlichkeit abgegrenzt wird. Daher wird er in

der vorliegenden Arbeit nicht verwendet. Die von boyd aufgeführten Eigenschaften werden

stattdessen unter der Bezeichnung „netzbasierte Kommunikation“ zusammengefasst. 25

s. für das Folgende boyd 2007: 9 bzw. boyd 2011: 46ff.

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2.4 Einführung in das Konzept der Privatheit

Bevor die Konzepte der Privatheit und Öffentlichkeit systemtheoretisch näher

betrachtet werden, soll vorab kurz umrissen werden, was darunter verstanden wird.

Rössler beschreibt etwas Privates folgendermaßen: „‚privat‘ nennen wir einerseits

Handlungs- und Verhaltensweisen, zum Zweiten ein bestimmtes Wissen und drittens

Räume“26

und weiter: „als privat gilt etwas dann, wenn man selbst den Zugang zu

diesem „etwas“ kontrollieren kann“27

. Privatheit beinhaltet also den Aspekt der

Zugangskontrolle seitens des Individuums. Dies kann sich gerade im Social Web

auch auf die Kontrolle über die eigene Sichtbarkeit bzw. über die Erreichbarkeit

personenbezogener Informationen durch andere beziehen.28

Während etwas

Öffentliches allen zugänglich und allgemein einsehbar ist, kann im privaten Raum

demnach darüber bestimmt werden, wer adressiert wird. Es geht um die Möglichkeit

kontrollieren zu können, wann, in welchem Ausmaß und wie anderen Informationen

über das eigene Selbst mitgeteilt werden.29

Privatheit zeichnet sich also durch eine Grenze aus, innerhalb derer es Kontroll-

möglichkeiten gibt. Die Grenze ist jedoch nicht starr und festgelegt, sondern muss je

nach Umstand, Intention und sozialem Kontext neu ausgehandelt werden. Z.B.

müssen die Grenzen der Informationspreisgabe und Selbstdarstellung immer wieder

individuell definiert werden. Privatheit gilt daher als dialektischer und dynamischer

Regulationsprozess.30

Dennoch gibt es je nach Kultur Bereiche, die traditionell als

privat gelten und die sich im Laufe der Zeit etabliert haben (z.B. die eigene

Körperlichkeit).31

Diese konventionellen Vorstellungen lassen sich zwar verändern,

bieten aber zunächst Anhaltspunkte für die situationsbezogene Festlegung der

Grenzen zwischen privat und öffentlich.

Dass die Privatsphäre in diesem Sinne angreifbar ist, liegt auf der Hand. Denn sobald

anderen etwas Privates mitgeteilt wird, nimmt die Kontrolle darüber bereits ab. Es

kann dann nicht mehr direkt darüber verfügt werden, wem die mitgeteilten

Informationen noch zugänglich gemacht werden. Die Privatsphäre ist also ein

fragiles und veränderbares Gut.

26

Rössler 2001: 19 27

ebd.: 23 28

vgl. ebd.: 22f. 29

s. Ellison et al 2011: 20 30

s. Palen/Dourish 2003: 129ff. 31

s. Rössler 2001: 25f.

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2.5 Darstellungen in Massenmedien und Literatur

Das Thema der Privatsphäre beschäftigt journalistische wie auch wissenschaftliche

Beobachter bereits seit einigen Jahren im Hinblick auf das Social Web. Oft geht es

dabei um die Frage, ob es sie überhaupt noch gibt bzw. ob sie angesichts des

Selbstdarstellungsverhaltens der Nutzer noch aufrechterhalten werden kann. In den

Massenmedien, aber auch in einschlägiger Literatur, wird darüber spekuliert, was die

Social Media Community dazu bewegt, sich im Netz darzustellen und persönliche

Informationen von sich preiszugeben. Ausgewählte Positionen hierzu werden im

Folgenden dargestellt.

2.5.1 Selbstdarstellung und Privatheit als Problemfelder

Die Massenmedien verbalisieren immer wieder vermeintliche Probleme, die mit der

Selbstdarstellung der Social-Media-Nutzer verbunden seien: Es ist von

„Selbstentäußerung“32

, „virtuellem Seelenstriptease“33

, „Daten-Striptease im Web

2.0“34

oder „digitale[m] Exhibitionismus“35

die Rede. Nutzer zeigten die

Bereitschaft, „die Privatsphäre preiszugeben“36

. Privates werde öffentlich,

Intimitäten einem unüberschaubaren Nutzerkreis mitgeteilt. Die WELT (26.10.2009)

schreibt:

„In den Gemeinschaften des Web 2.0 schließt man Freundschaft per

Mausklick, teilt man private Erlebnisse mit einem unübersehbaren Kreis

von Fremden, gibt man öffentlich Auskunft über Sehnsüchte, den

Pegelstand eigener Launen und das Schwanken der Gefühle.“37

Auch der SPIEGEL beschreibt eine ähnliche Situation: Die Nutzer würden sich selbst

entblättern, so ist in einem Leitartikel aus dem Jahr 2006 zu lesen. Auf der Frontseite

des Heftes titelt das Blatt entsprechend: „Ich im Internet. Wie sich die Menschheit

online entblößt.“38

In dem Artikel heißt es:

32

Angela Gatterburg, spiegel.de, 21.4.2009 33

o.A., bild.de, o.J. 34

o.A., computerwoche.de, 23.1.2008 35

ebd. 36

Gero von Randow, zeit.de, 19.1.2007 37

Martin Simons, welt.de, 26.10.2009 38

Frank Hornig, spiegel.de, 17.7.2006

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„Eine Generation zieht sich online aus, manchmal wortwörtlich, manchmal,

indem sie ihre Gefühle und Gedanken, ihren Alltag und ihr Familienleben

offen präsentiert – die mediale Distanz lässt auch bisher gültige

Schamgrenzen fallen.“39

So viel Transparenz in der Öffentlichkeit habe es laut SPIEGEL-Autor Frank Hornig

wohl noch nie gegeben: Nutzer von MySpace würden ungehemmt nahezu alles von

sich mitteilen40

. Und in seiner Ausgabe 10/2009 schreibt der SPIEGEL:

„Wohl nirgendwo sind so viel herzhafte Peinlichkeit und fröhliche

Entblößung zu finden wie in den sozialen Netzwerken des Internet. Die

Spaßvögel sind wie verhext von der Illusion, ganz unter sich zu sein.“41

Und weiter äußern die Autoren dort, dass nichts im Netz privat sei.42

Auch die Süddeutsche titelt im Mai 2010 ganz ähnlich wie der SPIEGEL einige Jahre

zuvor: „Der entblößte Mensch“ und kommentiert: „Kinder tun es, Erwachsene tun es,

Alte tun es: Man diskutiert, offenbart sich, sein Leben, seine Meinungen und

Neigungen mehr oder weniger unverhohlen“43

.

In einem ZEIT-Artikel bemerkt Ulrich Greiner bereits im Jahr 2000: „Es gibt viele

Anzeichen dafür, dass eine der großen Errungenschaften des bürgerlichen Zeitalters

freiwillig aufgegeben wird: die rechtlich geschützte Privatsphäre, die Intimität.“44

Diese Einschätzung schreibt Greiner seinerzeit noch Jahre vor dem Populärwerden

der großen sozialen Online-Netzwerke nieder und bescheinigt seinen Zeitgenossen

dennoch das generelle und unstillbare Bedürfnis, „sich zu zeigen und gesehen zu

werden“.45

Wie bereits angedeutet, beschränkt sich die normative Diskussion um

Selbstdarstellung und Privatheit jedoch nicht auf die Massenmedien. Auch in der

wissenschaftlichen Literatur spielt sie eine Rolle. Heather Horst (2012) z.B. spricht

davon, dass die Nutzer auf den Seiten sozialer Online-Netzwerke persönliche

Informationen in öffentlichen Kontexten teilen würden („practice of sharing personal

culture in public contexts“46

) – die Grenzen zwischen privater und öffentlicher

39

Frank Hornig, spiegel.de, 17.7.2006 40

s. ebd. 41

Jörg Blech/Julia Bonstein et al. 2009: 124 42

s. ebd.: 126 43

Bernd Graff, sueddeutsche.de, 17.5.2010 44

Ulrich Greiner, zeit.de, 27.4.2000 45

ebd. 46

Horst 2012: 31

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14

Präsentation des Selbst würden mehr und mehr verschwimmen.47

Norbert Schneider

(2012) sieht die „Selbstentblößung“ in den Medien als Folge einer Individualisierung

und als Ersatz für die verlorene Bestätigung aus einem Kollektiv, dem man

angehörte, z.B. der Familie oder dem Volk. Auch er konstatiert, dass die Grenze

zwischen Privatem und Öffentlichem verschwimmen würde.48

Das Internet biete eine

„Ausstellungsfläche, auf der jeder alles zeigen kann, was und wer er ist und hat“49

. In

den sozialen Netzwerken könne der Einzelne sich präsentieren und mache sich

zugänglich – Schneider nennt in diesem Zusammenhang die Schlagworte

„Selbstverwirklichung durch Selbstpreisgabe“ und „Entprivatisierung durch

Partizipation“50

. Die „Schleusen des Privaten“51

würden geöffnet, sodass ein

scheinbar ungehemmter Strom persönlicher Informationen in die digitalen Kanäle

fließe. Auf der anderen Seite stellt er fest, dass die Privatsphäre heute so extrem

angegriffen sei, dass es zu einer „Renaissance des Privaten“52

als eine Art

Gegenbewegung komme. Menschen würden sich bewusst zurückziehen und den

privaten Raum wieder neu schätzen.

In seiner Monographie „Daten-Striptease ohne Reue? Wie das Internet die

Privatsphäre aushöhlt“ mahnt auch Daniel Rudlstorfer (2011), dass es zu einer

„Intimisierung des Öffentlichen durch ehemals privat geheißene Themen“53

kommen

würde. Er zieht ebenfalls den Schluss, dass die Grenze zwischen privat und

öffentlich durch die sozialen Netzwerke unscharf geworden sei und postuliert ein

verlorenes individuelles Bewusstsein für die Privatsphäre.54

Experten, die

Rudlstorfer in Interviews befragt hat, gehen davon aus, dass die Privatsphäre

umgedeutet wurde, dass sie heute in der Gesellschaft anders interpretiert und gesehen

werde als früher, sowie dass die Nutzer durch die Dienste der Social Media

halböffentlich geworden seien.55

Einer der Experten spricht vom „Datenstriptease-

Phänomen“56

.

Das Thema der Grenzverschiebung von Privatem und Öffentlichen findet sich

außerdem bei Jan-Hinrik Schmidt (2013):

47

s. Horst 2012: 40 48

s. Schneider 2012: 76f.; 87 49

ebd.: 88 50

ebd.: 92 51

ebd.: 114 52

ebd.: 33 53

Rudlstorfer 2011: 20 54

s. ebd.: 33 55

s. ebd.: 137; 152 56

ebd.: 143

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15

„Eine der hervorstechendsten Eigenschaften der gegenwärtigen

Medienentwicklung ist die ‚Entgrenzung‘ – die Verflüssigung von Grenzen

zwischen etablierten Kommunikationsrollen wie dem journalistischen

Sender und dem passiv-rezipierenden Publikum, aber auch das

Verschwimmen der Grenzen zwischen Privatsphäre und Öffentlichkeit.“57

Weiterhin sprechen Grimm/Zöllner (2012) davon, dass die Privatsphäre in den

öffentlichen Raum des Social Web ausgelagert worden sei.58

Entsprechend trägt ihre

Monografie den Untertitel: „Die Veröffentlichung des Privaten in Social Media und

populären Medienformaten“.

Die Grenzen zwischen privat und öffentlich würden aufgeweicht, konstatiert auch

Jakob Steinschaden (2010) und zitiert Professor Thomas W. Malone des

Massachusetts Institute of Technology, der behauptet, es gäbe aktuell „den Trend,

dass vor allem jüngere Menschen immer weniger Privatsphäre wollen.“59

Ähnliches äußern Gross/Acquisti (2005): „[…] participants are happy to disclose as

much information as possible to as many people as possible”60

. Die Nutzer würden

lockeren Bekanntschaften, aber auch gänzlich Fremden, persönliche Informationen

offen zur Verfügung stellen.61

Und bei Leistert/Röhle (2011) ist zu lesen, dass sich

seit dem Entstehen der Blogosphäre eine „Kultur der Selbstpreisgabe“62

herausgebildet habe.

James Grimmelmann (2008) bezeichnet die Offenbarung privater Informationen in

Social Media generell als Gefahr. Die Nutzer würden allerdings die Privatheitsrisiken

unterschätzen.63

Er vergleicht Facebook-Nutzer mit so genannten Ghostridern, die ihr

fahrendes Auto verlassen und neben bzw. auf dem Fahrzeug tanzen, während es

fahrerlos weiterrollt: „[Facebook] users are the ones ghost riding the privacy whip,

dancing around on the roof as they expose their personal information to the world”64

.

Die Selbstdarstellung der Nutzer wird damit als übertriebener Drang, sich der Welt

zeigen zu wollen, geschildert und als höchst gefährlich eingestuft.

57

Schmidt 2013: 121 58

s. Grimm/Zöllner 2012: 8 59

Steinschaden 2010: 161 60

Gross/Acquisti 2005: 2 61

s. ebd.: 2 62

Leistert/Röhle 2011: 183 63

s. Grimmelmann 2008: 2f. 64

ebd.: 2

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2.5.2 Mögliche Gründe für die Freizügigkeit im Umgang mit privaten Daten

Vielfach wird im Zusammenhang der oben dargestellten Diskussion die Frage nach

den Gründen für das Selbstdarstellungsverhalten der Social-Media-Nutzer laut: Wie

kommt es, dass sie anscheinend bereitwillig so viele private Informationen von sich

preisgeben?

Die massenmedialen Ansätze zur Klärung dieser Frage attestieren den Nutzern

häufig Naivität. So ist von Unwissenheit und „naive[r] Unbekümmertheit“65

die

Rede, die mediale Distanz führe zu Freizügigkeit, argumentiert der SPIEGEL.66

Ähnlich bemerkt auch die FAZ: „Die Menschen scheinen vergessen zu haben, dass

die ganze Welt ihnen zusehen kann“.67

Als Motiv für die Bereitstellung von Daten

wird außerdem der Drang nach Aufmerksamkeit bzw. das Streben nach

Anerkennung angeführt.68

„Wer viel von sich preisgibt, wird interessant, er wird in

anderen Blogs erwähnt oder mit "comments" überhäuft. Das ist die neue Ökonomie

der Aufmerksamkeit“69

, schreibt SPIEGEL-Autor Frank Hornig im Jahr 2006. Nach

der Meinung dieser Journalisten sind die Nutzer darauf aus, interessant zu wirken

und offenbaren deshalb freigiebig Informationen über sich. Sie werden in ihrem

Streben nach Aufmerksamkeit als medial unmündig diskreditiert und als naiv bzw.

gedankenlos charakterisiert.

Auch die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema liefert mögliche

Gründe für das Selbstoffenbarungsverhalten. Hier scheinen die Erklärungsversuche

jedoch etwas differenzierter. Rudlstorfer (2011) z.B. nennt als mögliche Motive für

die Selbstdarstellung der Nutzer ein Verewigungs- und Unsterblichkeitsverlangen im

Internet.70

In den von ihm geführten Experteninterviews werden darüber hinaus viele

weitere Gründe für das Mitteilen persönlicher Daten angeführt: Es ist von fehlender

Web-Kompetenz die Rede, vom Streben nach sozialer Anerkennung oder von einem

sozialen Druck sich selbst darzustellen, da dies als normal empfunden werde.

Besonders die Digital Natives empfänden es als Freiheit, alles über sich schreiben zu

können – und würden diese über die eigene Privatsphäre stellen.71

Einer der

befragten Experten merkt an, dass „Leute, die ihre Daten freiwillig im Web

65

Gero von Randow, zeit.de, 19.1.2007 66

s. Frank Hornig, spiegel.de, 17.7.2006 67

Patrick Bernau, faz.net, 14.1.2008 68

s. o.A., computerwoche.de, 23.1.2008 69

Frank Hornig, spiegel.de, 17.7.2006 70

s. Rudlstorfer 2011: 34 71

s. ebd.: 131

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preisgeben, […] noch in einem anderen Medienzeitalter [leben], nämlich dem

Fernsehen. […] Auch das Verhalten in Facebook und Co. entspricht dem

Fernsehzeitalter“72

. Den Nutzern wäre nicht bewusst, dass im Internet alles

gespeichert werde; vielmehr würden sie, wie beim Fernsehen, von einem flüchtigen

Medium ausgehen.73

Taddicken/Schenk (2011) identifizieren ebenfalls mehrere Gründe für die

Selbstoffenbarung der Nutzer. Zunächst beschreiben sie, dass es einen Druck zu

reziprokem Verhalten gäbe, da die Nutzer sich genötigt sähen, etwas über sich

preiszugeben, weil andere Nutzer dies auch tun würden. Außerdem spielen nach

Ansicht dieser Autoren soziale Normen sowie situationsbezogene Einflüsse und das

Setting, wie z.B. eine vertrauensvolle Atmosphäre, eine entscheidende Rolle.74

Nach Leistert/Röhle (2011) ist der Umgang mit der Privatheit im Social Web

generell problematisch, da diese als Mangel betrachtet und so gewissermaßen zu

einem Fehlzustand werde. Sie bedeute Abgeschiedenheit „vom Lebensnerv der

sozialen Netze“75

. Umgekehrt weise das freizügige Verhalten der Social-Media-

Nutzer auf das Verlangen hin, integriert zu sein und teilzunehmen am sozialen Leben

der Online-Dienste.

Darüber hinaus wird der Kampf um Anerkennung als Erklärung für die

Bereitstellung persönlicher Daten herangezogen. Schneider (2012) z.B. sieht den

Hang dazu im Aufmerksamkeitsstreben des Menschen begründet. Aufmerksamkeit

gelte als „virtueller Euro für alles Öffentliche“76

. Ähnliches bemerken auch

Bedürftig/Eisele et al. (2011). Sie beschreiben Aufmerksamkeit als Währung, die in

sozialen Interaktionen hohen Wert besitze. Diese treibe die Nutzer sozialer

Netzwerke dazu an, immer mehr von sich zu offenbaren.77

Weiterhin werden mangelnde Interneterfahrung und fehlende Kompetenz vermutet.

Den Nutzern wird Unkenntnis bzw. eine fehlerhafte Risikoeinschätzung der preis-

gegebenen Informationen attestiert.78

Besonders junge Leute seien sich nicht im

Klaren darüber, dass und wozu ihre privaten Daten genutzt werden könnten.79

72

Rudlstorfer 2011: 132 73

s. ebd.: 142 74

s. Taddicken/Schenk 2011: 329f. 75

Leistert/Röhle 2011: 156 76

Schneider 2012: 115 77

s. Bedürftig/Eisele et al. 2011: 280 78

s. Taddicken 2011: 286, 297 79

s. Barnes 2006

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2.5.3 Privacy Paradox und Post-Privacy

Die dargestellten Erklärungsansätze suggerieren einen naiven Nutzer, der allzu

freigiebig mit persönlichen Informationen umgeht. Studien haben jedoch gezeigt,

dass sich die Mehrzahl der Social-Media-Teilnehmer um ihre Privatsphäre sorgt bzw.

mit der Privatheitsthematik vertraut ist.80

Viele Journalisten und Wissenschaftler81

können diese Tatsache allerdings in keinen kausalen Zusammenhang mit dem

Verhalten der Nutzer bringen, denn die geäußerten Sorgen scheinen das Maß an

Informationspreisgabe im Social Web kaum zu beeinflussen. Bedenken und

Verhalten scheinen nicht übereinzustimmen: Die Nutzer beschäftigen sich mit ihrer

Privatsphäre und geben dennoch Persönliches weiter. Diese Diskrepanz wurde daher

seit einem einschlägigen Aufsatz von Susan Barnes (2006) zum Privacy Paradox

erklärt.82

Manche Beobachter und Analysten stellen sich darüber hinaus die Frage, ob sich das

Verständnis von Privatheit verändert habe, ob Social-Media-Nutzer heute Dinge

nicht mehr als schützenswert erachten würden, die sie noch vor einigen Jahren als

Privatsphäre betrachtet hätten. Diese Diskussion führt schließlich zu der Frage, ob

das Konzept der Privatheit gänzlich obsolet geworden sei.

Bereits zu Beginn des 21. Jahrhunderts prophezeite Simson Garfinkel in seinem

Buch „Database Nation“, dass die Privatheit in Zukunft verschwinden werde.

Ursachen dafür seien unter anderem die technischen Möglichkeiten und der

zügellose Austausch von elektronischen Informationen.83

Der Untertitel seines

erstmals im Jahr 2000 veröffentlichten Buches lautet entsprechend „The Death of

Privacy in the 21st Century“. Auch Susan Barnes zieht einige Jahre später in ihrem

Artikel „A privacy paradox: Social networking in the United States” das Konzept der

Privatheit in Zweifel: “In an age of digital media, do we really have any privacy?”84

fragt sie darin. Facebook-Gründer und -CEO Mark Zuckerberg geht bereits davon

aus, dass Privatheit keine soziale Norm mehr sei: "People have really gotten

comfortable not only sharing more information and different kinds, but more openly

and with more people"85

, sagte Zuckerberg bei der Zeremonie zur Verleihung der

80

s. Blumberg et al. 2009: 21; Debatin et al. 2009: 93, Utz/Kramer 2009 81

z.B. Acquisti/Gross 2006; Debatin et al. 2009; Taddicken 2011 82

s. Barnes 2006: “A privacy paradox: Social networking in the United States“ 83

s. Garfinkel 2001: 3 84

Barnes 2006 85

Bobbie Johnson, theguardian.com, 11.1.2010

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Crunchie Awards im Januar 2010. Seiner Ansicht nach führt mehr Transparenz und

Offenheit zu einer toleranteren und besseren Welt.86

Während Garfinkel seine Prophezeiung vom Untergang der Privatsphäre noch als

Anstoß sah, aktiv gegen den drohenden Verlust anzugehen, wird dies in der später

aufkommenden Post-Privacy-Diskussion als zwecklos abgetan. Post-Privacy-

Vertreter sehen das Leben ohne Privatheit bereits als Fakt: „It seems that we're

beginning to accept that personal privacy is dead as a doornail, or at minimum, an

outdated concept in today's world”87

, schreibt das Magazin PSYCHOLOGY TODAY.

Anhänger der Bewegung sind der Meinung, dass die Privatsphäre durch das Internet

nicht mehr aufrechterhalten werden könne, die Nutzer hätten die Kontrolle über ihre

eigenen Daten verloren. Dies wird jedoch nicht als Gefahr verstanden, sondern

vielmehr als Chance betrachtet. Die so genannte Post-Privacy avanciert zu einer

Idealvorstellung von Gesellschaft, die ohne Privatsphäre auskommt, weil man ihre

schützende Funktion einfach nicht mehr brauche.88

Post-Privacy-Anhänger hegen die

Utopie, dass sich Toleranz und Solidarität durchsetzen werden, wenn sämtliche

Daten von allen offenliegen und nichts mehr verdeckt gehalten werden muss bzw.

kann. Datenschutz im Zeitalter des Internets ist nach ihrer Meinung nicht

erstrebenswert und ohnehin unmöglich.89

So zielt beispielsweise der Blogger

Christian Heller in seinem Buch „Post-Privacy. Prima leben ohne Privatsphäre“

darauf ab, seine Leser für „ein Leben nach der Privatsphäre“90

zu sensibilisieren.

Demonstrativ stellt er im Selbst-Experiment bewusst Privates aus seinem Leben ins

Netz: Seine Tagesabläufe und Terminkalender können in einem von ihm

programmierten Wiki91

verfolgt werden.

86

s. Michael Zimmer, washingtonpost.com, 4.2.2014 87

Ron Doyle, psychologytoday.com, 20.5.2010 88

s. Ole Reißmann, www.spiegel.de, 10.3.2011 89

s. Daniel Gruschke, www.carta.info, 15.11.2012 90

Heller 2011: 7 91

Wiki von Christian Heller: http://www.plomlompom.de/PlomWiki/

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3. Systemtheorie und moderne Netzwerksoziologie –

zentrale Ansätze und Begriffe für den Themen-

komplex Social Media

Das Selbstdarstellungsverhalten der Nutzer kann, wie im zweiten Teil

wiedergegeben, aus einer normativen Perspektive betrachtet werden. Dann entsteht

allerdings ein einseitiges Bild, das allzu schnell zu pauschalen Urteilen führt: Die

Nutzer erscheinen naiv und nahezu süchtig danach, sich zur Schau zu stellen und

Anerkennung zu finden. Es werden zum Teil generalisierende Folgerungen

abgeleitet, die oftmals Angst vor möglichen Gefahren im Social Web schüren. Dies

liegt auch daran, dass die Begriffe privat und öffentlich vielfach sehr ungenau

verwendet werden, beispielsweise wenn Öffentlichkeit mit Zielgruppe gleichgesetzt

wird.92

Gerade im Zusammenhang der Selbstdarstellung in Social Media ist oft

undifferenziert von einer Öffentlichkeit die Rede, die als gegebene Tatsache

beschrieben wird bzw. von einem Abbau der Privatsphäre, mit dem die meisten

Nutzer nicht umgehen könnten.93

Es scheint so, als wäre die Privatsphäre in den

sozialen Medien obsolet geworden. Manche Autoren verbalisieren dementsprechend

explizit das (nahende) Ende der Privatheit, andere lassen dies eher implizit

anklingen.

Das Nutzerverhalten kann jedoch auch aus einer funktionalen Perspektive betrachtet

werden. Das ist, wie bereits eingangs erwähnt, das Ziel der vorliegenden Arbeit. Zu

diesem Zweck werden im Folgenden relevante Aspekte der soziologischen

Systemtheorie um Niklas Luhmann und der modernen Netzwerktheorie nach

Harrison C. White beschrieben. Beide Ansätze liefern ein Begriffsinventar, das es

ermöglicht, adäquat auf die dargestellten Behauptungen aus Massenmedien und

Literatur einzugehen. Der Themenkomplex Identitätsbildung und Privatheit kann so

im vierten Teil neu angegangen werden.

92

s. Taddicken 2011: 284 93

vgl. z.B. Steinschaden 2010: 157ff.; Wanhoff 2011: 1

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3.1 Öffentlichkeit aus systemtheoretischer Sicht

Öffentlichkeit lässt sich, im Gegensatz zum oftmals unpräzisen Gebrauch in der

Alltagssprache, systemtheoretisch genau fassen. Luhmann beschreibt sie als die

„gesellschaftsinterne Umwelt der gesellschaftlichen Teilsysteme“94

. Das kann z.B.

die Umwelt eines Interaktionssystems sein. Öffentlichkeit lässt sich dabei nicht

generell festlegen, sondern sie muss je nach Kontext bestimmt werden, da die

Grenzen eines Systems systemintern abgesteckt werden. Als Umwelt gehört

Öffentlichkeit zur nicht erreichbaren Seite der Systemgrenze. Diese Außenseite wird

jedoch dann relevant für das System, wenn es feststellt, dass es selbst durch sie

beobachtet wird: „Wenn das System […] reflektiert, daß es von außen beobachtet

wird, ohne daß schon feststünde, wie und durch wen, begreift es sich selbst als

beobachtbar im Medium der Öffentlichkeit“95

. Öffentlichkeit ist also beobachter-

abhängig: Das System muss wissen, dass es beobachtet wird. Allerdings ist die

Umwelt für ein System nur dann öffentlich, wenn nicht klar ist, wer beobachtet.

Öffentlichkeit enthält daher etwas Unvorhersehbares, dass sich der Kontrolle des

Einzelnen entzieht. Jeder kann auf das, was öffentlich ist, zugreifen.96

Es ist dabei

nicht abzusehen, wer das tut, daher kann z.B. auch nicht im Vorhinein abgeschätzt

werden, wie Reaktionen auf ein bestimmtes Verhalten aussehen werden, oder ob es

überhaupt Reaktionen geben wird.

Öffentlichkeit beschreibt deshalb nach Luhmann „ein Kommunikationsnetz ohne

Anschlußzwang“97

. In der modernen Gesellschaft wird Öffentlichkeit vor allem von

den Massenmedien repräsentiert. Bestimmte Themen werden bearbeitet, bei denen

aber offen ist, wie oder ob darauf reagiert wird.98

Öffentlichkeit ist darüber hinaus ein Reflexionsmedium, denn sie macht Reflexion

für ein System möglich und provoziert das Beobachten zweiter Ordnung.99

Luhmann

führt in diesem Zusammenhang die Metapher des Spiegels ein: Öffentlichkeit hat die

Eigenschaften eines Spiegels, durch den man nicht hindurchblicken und sehen kann,

was andere Individuen tatsächlich denken. Man sieht nur sich selbst vor diesem

Spiegel, er reflektiert das eigene Verhalten und das der anderen, die jedoch nicht

94

Luhmann 2004: 184 95

ebd.: 185 96

s. ebd.: 184 97

Luhmann 2005b: 165 98

s. Luhmann 2004: 188 99

s. ebd.: 187

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konkret bestimmt werden können. Man kann nur das Beobachten anderer beobachten

und wird in seinem eigenen Beobachten ebenfalls beobachtet.100

Die Beobachter sind

durch Abwesenheit gekennzeichnet und können daher auch nicht direkt adressiert

werden.101

Öffentlichkeit bezieht sich also immer auf Abwesende, die nicht konkreter bestimmt

werden können und mit denen demzufolge auch keine Erwartungen aus anderen

sozialen Zusammenhängen verbunden sind. Daher kann nicht mit Reaktionen

gerechnet werden, die persönlich zurechenbar wären. In der diffusen Öffentlichkeit

finden Verhaltenserwartungen kein konkretes Gegenüber, an die sie gerichtet werden

könnten. Luhmann (1971) schreibt daher:

„Ins Soziologische übersetzt, besagt Öffentlichkeit soviel wie

Neutralisierung von Rollenanforderungen, die aus engeren Teilsystemen der

Gesellschaft stammen, damit auch eine Lockerung, wenn nicht Aufhebung

der Selbstbindungen, die der einzelne durch Verhalten in engeren Systemen

eingegangen ist“102

.

Erwartungen sind in der Öffentlichkeit neutralisiert und können daher keine

Verhaltensvorgaben bzw. Orientierungen mehr schaffen. Das bedeutet Offenheit,

Kontingenz und im Umkehrschluss fehlende Sicherheit. Es gibt keine Personen,

denen Verhalten als Handlung zugerechnet werden könnte.

Sobald sich jedoch die Zahl derer, die beobachten, einschränken lässt und mit diesen

Individuen bestimmte Erwartungen verbunden werden können, verringert sich die

Unsicherheit. Diese Personen gehören dann nicht mehr zur Öffentlichkeit eines

Systems. Denn dann lässt sich sagen wer beobachtet und wie entsprechende

Verhaltenserwartungen aussehen. Dies ist z.B. im Interaktionssystem der Fall: Die

Interaktion schließt Öffentlichkeit aus, weil Handlungen Personen zugerechnet und

diese mit Erwartungen verbunden werden. Das Kriterium der Zurechenbarkeit stellt

gerade ein Merkmal der Privatheit dar. Es gibt bestimmbare Adressaten, das heißt

einen begrenzten Beobachterkreis, und dadurch entsteht ein gewisser Sicherheits-

rahmen, in dem Kontrolle über die Empfänger von Mitteilungen möglich wird.

Interaktion zeichnet sich daher gerade durch eine Nicht-Öffentlichkeit aus.

Im folgenden Abschnitt soll es nun ausführlich um die Eigenschaften von Inter-

aktionssystemen gehen.

100

s. Luhmann 2005b: 172 101

vgl. Krause 2001: 178 102

Luhmann 1971: 21

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3.2 Interaktion als soziales System

Um zu beschreiben, was systemtheoretisch unter Interaktionen verstanden wird, ist

zunächst der Zustand der doppelten Kontingenz von Bedeutung, denn er bildet die

Ausgangslage für alle sozialen Systeme. Luhmann selbst definiert Kontingenz

folgendermaßen: „Kontingent ist etwas, was weder notwendig ist noch unmöglich

ist; was also so, wie es ist (war, sein wird), sein kann, aber auch anders möglich

ist“103

. Doppelt ist die Kontingenz deswegen, da die Interaktionspartner beide

kontingent handeln können und ihnen bewusst ist, dass dies auch für den jeweils

anderen gilt. „Jeder kann nicht nur so handeln, wie es der andere erwartet, sondern

auch anders, und beide stellen diese Doppelung in erwartete und andere

Möglichkeiten an sich selbst und am anderen in Rechnung“104

. Es handelt sich somit

um eine Unbestimmtheit, deren Auflösung wechselseitig vom Verhalten des anderen

abhängig ist. Das Handeln des einen kann erst fixiert werden, wenn klar ist, wie die

anderen sich verhalten werden. Das Gleiche gilt allerdings auch für die anderen.

Damit beschreibt doppelte Kontingenz die Unwahrscheinlichkeit, dass bestimmte

Situationen zustande kommen oder gelingen.105

Genau darin liegt allerdings die Voraussetzung für die Entstehung von Interaktionen

als sozialen Systemen:

„Soziale Systeme entstehen […] dadurch (und nur dadurch), daß beide

Partner doppelte Kontingenz erfahren und daß die Unbestimmbarkeit einer

solchen Situation für beide Partner jeder Aktivität, die dann stattfindet,

strukturbildende Bedeutung gibt“ [Hervorhebungen im Original].106

Anders ausgedrückt bedeutet das ebenfalls, dass die Ausgangssituation für die

Interaktion offen sein muss, die Beteiligten dürfen in ihren Äußerungen nicht von

vorneherein festgelegt sein.107

Die Bildung von sozialen Systemen führt dazu, dass

Komplexität reduziert wird, sie verkleinern die Auswahl des Möglichen, indem die

Beteiligten einander durch Kommunikation in ihrem Verhalten beeinflussen und so

eine soziale Ordnung schaffen.108

103

Luhmann 1994: 152 104

Kieserling 1999: 87 105

s. ebd.: 87ff. 106

Luhmann 1994: 154 107

s. Kieserling 1999: 86 108

s. Berghaus 2004: 109f.

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Luhmann (2005a) beschreibt soziale Systeme grundsätzlich folgendermaßen:

„Von sozialen Systemen kann man immer dann sprechen, wenn Handlungen

mehrerer Personen sinnhaft aufeinander bezogen werden und dadurch in

ihrem Zusammenhang abgrenzbar sind von einer nichtdazugehörigen

Umwelt. Sobald überhaupt Kommunikation unter Menschen stattfindet,

entstehen soziale Systeme […].“109

Interaktionen gelten in der Systemtheorie als einfachste Ausprägung sozialer

Systeme, da sie keine innere Differenzierung aufweisen. Die Interaktion kann sich

nicht selbst als Umwelt betrachten, sie kann nicht als System gleichzeitig Umwelt

eigener Teilsysteme sein.110

Interaktionen stellen als einfache Sozialsysteme eine

soziale Ordnung dar, die sich durch „Kommunikation unter Anwesenden“111

ergibt.

Voraussetzung für Interaktion ist demnach gemeinsame Anwesenheit – und das

Kriterium der Anwesenheit ist Wahrnehmbarkeit112

: Anwesend sind diejenigen

Beteiligten des Systems, die wahrnehmbare Handlungen ausführen. Nichtanwesend

ist all das, was nicht in den primären Wahrnehmungsraum fällt.113

Die Beteiligten

müssen sich also gegenseitig wahrnehmen und verstehen können. Dabei kommt es

nicht darauf an, wie intensiv die Wahrnehmung verläuft oder wie reichhaltig sie ist,

sondern entscheidend ist vielmehr ihre Reflexivität. Die Wahrnehmung muss als

solche wahrgenommen werden.114

Sie kann dabei selbstbezogen sein oder auf einen

Vorgang gleicher Art angewendet werden. Beispielsweise kann auch (und gerade)

die Wahrnehmung des anderen an ihm wahrgenommen werden. Wahrnehmung

selbst ist eine Leistung des psychischen Systems115

, die aber für das Interaktions-

system von zentraler Bedeutung ist, denn sie geht der Kommunikation voraus.

Reflexive Wahrnehmung führt sogar notwendigerweise zu Kommunikation, denn

Wahrnehmungsverhalten zählt als kommunikative Mitteilung und diese wiederum

erfordert eine Antwort. Auch Schweigen wird daher als kommunikativer Akt,

nämlich als Verweigerung, zugerechnet.116

Es gilt das viel zitierte Axiom Paul

Watzlawicks: „Man kann nicht nicht kommunizieren“ [Hervorhebung im

Original]117

. Hieran wird deutlich, dass beide Systeme zusammenhängen – sie sind

109

Luhmann 2005a: 10 110

s. Kieserling 1999: 35ff. 111

ebd.: 26 112

s. ebd.: 66f. 113

s. Luhmann 2005a: 34 114

s. Kieserling 1999: 24 115

s. ebd.: 113ff. 116

s. Baraldi 1998: 82 117

Watzlawick et al. 1969: 53

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durch strukturelle Kopplungen verbunden – aber dennoch eigenständig operieren.

Beispielsweise setzt Interaktion immer auch Wahrnehmungs- bzw. Aufmerksam-

keitsleistungen der beteiligten psychischen Systeme voraus.118

Aus dem bisher Beschriebenen lässt sich ableiten, dass ein Interaktionssystem dann

zustande kommt, wenn mindestens zwei Individuen anwesend sind, die sich als

kontingent handelnd definieren und sich gegenseitig wahrnehmen können. Daraus

ergibt sich zwangsläufig, dass die Interaktion als System Grenzen hat bzw.

Unterscheidungen trifft – zentrales Kriterium ist dabei die Anwesenheit; wie bereits

beschrieben, gehört nur dazu, wer anwesend ist.119

Die Interaktion zieht damit eine

Grenze der Indifferenz: Alles was abwesend ist, wird als gleichgültig behandelt. So

wird z.B. ignoriert, was für Dritte während bzw. für die Beteiligten vor oder nach der

Interaktion wichtig sein könnte. Die Innenseite der Grenze verfügt dagegen über eine

hohe Sensibilität gegenüber der Kommunikation unter den Anwesenden.120

Interaktion ermöglicht darüber hinaus sowohl „Ausgrenzung und Exklusion trotz

kontinuierlicher Präsenz [als auch] Inklusion trotz diskontinuierlicher Präsenz“121

.

Das heißt, auch wenn jemand während eines Interaktionsvorgangs unmittelbar

gegenwärtig ist, kann er trotzdem bewusst ausgeschlossen werden: Dies trifft z.B.

auf einen Zugreisenden zu, der nicht in die Interaktion zwischen zwei anderen

Fahrgästen einbezogen wird, die ihm gegenüber sitzen. Der zweite Fall ist z.B. dann

gegeben, wenn jemand, der während eines Gesprächs kurzzeitig den Raum verlässt,

unter den Verbleibenden trotzdem als weiterhin anwesend behandelt wird.

Interaktionssysteme ziehen ihre Grenzen durch eigene Systemoperationen, dadurch

sind sie beweglich und nicht festgelegt.122

Dabei kommt der Themenwahl eine solch

grenzziehende Funktion zu. Die Themen- und Beitragswahl reduziert die immanente

Komplexität im System und bietet die Möglichkeit, Kontrolle auszuüben, indem die

Themenwahl so getroffen werden kann, dass andere aus- oder eingeschlossen

werden.123

Das System definiert seine Themen selber und gibt dadurch einen

Rahmen für die Kommunikation vor.124

Themen strukturieren folglich das Inter-

aktionssystem. Dies zeigt sich darüber hinaus auch daran, dass Interaktionen nur ein

118

s. Luhmann 1995: 153 119

s. Luhmann 2005a: 10f.; 26f. 120

s. Kieserling 1999: 63 121

ebd.: 65 122

s. ebd.: 68 123

s. Luhmann 2005a: 29f. 124

s. Luhmann 2002: 33

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Thema zur gleichen Zeit bearbeiten können, sie sind also zum zeitlichen

Nacheinander gezwungen. Das gewählte Thema grenzt andere Themen und Beiträge

als nicht passend aus und produziert damit Erwartungen an die Äußerungen der

Beteiligten im Interaktionssystem.125

Schließlich steht nur eine beschränkte Kapazität

an Aufmerksamkeit für die Behandlung relevanter Themen zur Verfügung. Es kann

dementsprechend auch nur ein Beteiligter auf einmal reden und zwar nur zu einem

Thema, dem gerade die Aufmerksamkeit gilt.126

Ein Thema zeichnet sich dadurch

aus, dass es die zeitliche Grenze der Interaktion überschreiten muss, das heißt es

besitzt mögliche Relevanz auch vor und nach der Interaktion und für Abwesende.127

Außerdem kann durch Sprache auch und gerade Nichtanwesendes thematisiert und

damit auf die Umwelt des Interaktionssystems referiert werden. Anwesende selbst

können dagegen nicht zum Thema gemacht werden.128

Soziale Interaktion kann weiterhin eine Systemgeschichte aufweisen, die unter den

Teilnehmern als bekannt vorausgesetzt wird. Das führt dazu, dass keiner bereits

getätigte Äußerungen leugnen und sich den daraus entstandenen Erwartungen

entziehen könnte. Denn die Interaktionspartner verfügen über ein Gedächtnis, das es

ermöglicht, an vorherige Kommunikation anzuschließen und eventuellen Falsch-

aussagen zu widersprechen.129

Das hat allerdings zur Folge, dass es für

Außenstehende schwierig wird, die Geschichte der Interaktion so nachzuvollziehen,

dass, wenn sie an der Interaktion teilnehmen wollen, es zu keiner thematischen

Unterbrechung kommt. Personenwechsel sind daher schwierig, weil sie dazu führen,

dass eine neue Geschichte entsteht.130

Soziale Systeme verfügen aber nicht allein über eine Geschichte, sondern auch über

eine Zukunft, wenn die Teilnehmer Interesse am Fortbestehen der Kommunikation

zeigen. Die gemeinsame Interaktionsgeschichte bestimmt dabei das Handeln der

Teilnehmer in der Zukunft.131

Interaktionsprozesse sind darüber hinaus in Bezug auf die Teilnehmer beschränkt.

Sie erreichen ihr Limit dann, wenn weitere Teilnehmer lediglich schweigen, das

heißt passiv sein müssten, und nicht mehr der Anteil der aktiv Beteiligten erhöht

125

s. Luhmann 1994: 397 126

s. Kieserling 1999: 37; 47 127

s. ebd.: 204f. 128

s. Luhmann 2005a: 11 129

s. Kieserling 1999: 134, Luhmann 2002: 106 130

s. Luhmann 2005a: 32 131

s. Holzer 2010: 10

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werden kann. Denn Interaktionssysteme zeichnen sich gerade dadurch aus, dass alle

Beteiligten etwas beitragen können und direkten Zugang zum kommunikativen

Geschehen haben.132

In Interaktionssystemen spielt die Selbstdarstellung eine wichtige Rolle. Denn als

wahrnehmbares Verhalten wird sie auf die nicht direkt wahrnehmbaren

Einstellungen, Überzeugungen, Ansprüche usw. der Interaktionspartner übertragen.

Die Teilnehmer einer Interaktion sehen sich somit einer generalisierenden

Beobachtung gegenüber und wenden diese gleichzeitig auch selber an. Dadurch

erhalten einzelne Handlungen einen symbolischen Wert, indem sie zur

Erwartungsbildung beitragen und auf die Person angerechnet werden.133

Das Wissen darüber beeinflusst die Selbstdarstellung: Es führt dazu, dass bestimmte

Verhaltensweisen in den Vordergrund gerückt, andere aber bewusst außer Acht

gelassen bzw. kaschiert werden. Die Interaktionsteilnehmer ermöglichen sich dabei

gegenseitig, als Person sympathisch zu wirken.134

Denn die Selbstdarstellung eines

Interaktionsteilnehmers beeinflusst das Bild, das sich die anderen von seiner Person

machen. Das kann zur Folge haben, dass sich manch einer besonders exponiert

darstellen und ins rechte Licht rücken will oder besonders zurückhaltend ist. Denn

auch Zurückhaltung wird in der Interaktion zur Selbstdarstellung, da der Betreffende

dadurch etwas über sich preisgibt, was ihm als Person zugeschrieben werden kann.135

Wie auch immer die Handlungsmotive konkret aussehen, wird das Selbstdar-

stellungsverhalten auf die Person rückbezogen und daraus werden verallgemeinernde

Schlüsse abgeleitet. Nicht zuletzt deswegen, weil davon ausgegangen werden kann,

dass Personen motiviert handeln.136

Die Selbstdarstellung entscheidet daher darüber, wie eine Person wahrgenommen

wird, welche Erwartungen sich an ihr Verhalten herausbilden und ob sie als

vertrauenswürdig gilt. Deshalb schreibt Luhmann „[…] die Vertrauensfrage schwebt

über jeder Interaktion, und die Selbstdarstellung ist das Medium ihrer

Entscheidung“137

.

132

s. Kieserling 1999: 44ff. 133

s. ebd.: 120f. 134

Luhmann 1995: 150 135

s. Kieserling 1999: 47 136

s. Luhmann 2002: 38 137

Luhmann 2000: 48

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3.3 Personenbegriff nach Luhmann

Personen spielen im Zusammenhang sozialer Interaktion eine wichtige Rolle, daher

ist der Begriff zum Teil auch schon in die bisherigen Ausführungen eingeflossen.

Luhmann versteht ihn jedoch nicht alltagssprachlich im Sinne von singulären bzw.

typischen Merkmalen eines konkreten Individuums, sondern als „Kollektividee“138

.

Personen entstehen zwangsläufig, wenn kommuniziert wird und sie sind erforderlich,

um Kommunikation fortzusetzen. Im Unterschied zum Menschen entstehen Personen

erst durch Sozialisation und Erziehung.139

Eine Person wird durch zwei Seiten bestimmt: Sie grenzt sich von der Unperson ab

und gilt daher als Form, mit der Individuen beobachtet werden können. Die

unmarkierte Unperson-Seite weist alle Verhaltensweisen auf, die einer Person

prinzipiell offenstehen, die diese aber nicht zeigt und die auch nicht von ihr erwartet

werden. Es handelt sich folglich um die volle Kontingenz von Handlungs-

möglichkeiten. Die markierte Person-Seite hingegen beinhaltet individuell begrenzte

Verhaltensoptionen, die auf einen Erwartungshorizont reduziert wurden. Dadurch

wird soziale Unsicherheit verringert und die Kontingenz des Möglichen auf eine

Auswahl des Wahrscheinlichen eingeschränkt. Dies ist zwingend nötig, um sich

angemessen verhalten zu können.140

In Interaktionssystemen verhalten sich die Beteiligten als Personen: Sie zeigen eine

gewisse Kontinuität in ihrem Handeln, an der sich die anderen Teilnehmer

orientieren können. Personen lösen dadurch die Problematik der doppelten

Kontingenz in dem Maße, dass die Handlungsalternativen begrenzt werden.141

Denn

es ist in der Interaktion nicht möglich, sämtliche persönliche Eigenschaften als

situationsflexibel zu betrachten. Die meisten Merkmale der anwesenden Personen

müssen als konstant angesehen werden, um sinnvoll handeln zu können. Daraus folgt

auch eine gewisse interaktionsübergreifende Kontinuitätserwartung an Personen, das

heißt ihnen wird ein erwartbares Verhalten unterstellt.142

Das psychische System indes, das mit Bewusstseinsleistungen wie Wahrnehmungen

oder Gedanken operiert, ist für das Interaktionssystem äußerlich betrachtet irrelevant,

denn nur die Außenwirkungen eines psychischen Systems werden in der Gesellschaft

138

Luhmann 1995: 147 139

s. Luhmann 2002: 30ff. 140

s. Luhmann 1995: 148f. 141

s. ebd.: 149f. 142

s. Kieserling 1999: 71, 91

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wahrgenommen. Gedanken können kommunikative Vorgänge nur bedingt und

vermittelt beeinflussen.143

Hier dienen Personen jedoch „der strukturellen Kopplung

von psychischen und sozialen Systemen“144

. Sie entstehen durch Interaktionen und

ordnen die Verhaltenserwartungen darin mithilfe des psychischen Systems. Je mehr

(verschiedene) Erwartungen dabei auf ein Individuum bezogen werden, desto

vielschichtiger ist die Person. Daher kann sie, je nach Kontext und Umfeld,

verschiedene, sogar widersprüchliche Züge zeigen.145

3.4 Erwartungen

Erwartungen haben im Zusammenhang von Interaktionssystemen eine zentrale

Funktion, weil sie angemessenes Verhalten überhaupt erst ermöglichen. Wie am

Personenbegriff dargestellt, reduzieren sie die Fülle der Möglichkeiten auf eine

anschlussfähige Auswahl und bieten dadurch Orientierung. Erwartungen zu hegen

heißt daher immer, den Möglichkeitsspielraum zu begrenzen.146

So wird z.B.

erwartet, dass ein freundlicher Gruß mit einem Gruß erwidert wird, aber nicht, dass

darauf eine Auskunft über die Uhrzeit folgt.

Da soziale Situationen durch doppelte Kontingenz gekennzeichnet sind, erfordern sie

reflexive Erwartungsstrukturen. Erwartungen müssen erwartet werden können, um

sozialen Systemen, wie z.B. der Interaktion, als Struktur zu dienen.147

„Ego muß

erwarten können, was Alter von ihm erwartet, um sein eigenes Erwarten und

Verhalten mit den Erwartungen des anderen abstimmen zu können“148

. Ego und

Alter sind dabei die zwei Bezugspunkte der Interaktion: Alter als der Andere, der

Absender und Ego als Ich bzw. Empfänger der Mitteilung.149

Es ist daher wichtig, neben dem Verhalten des anderen auch dessen Erwartungen

erwarten zu können, um angemessen handlungsfähig zu sein. Erzählt beispielsweise

jemand davon, dass er seine Masterarbeit endlich abgegeben habe, wird nicht

erwartet, dass ein Freund daraufhin berichtet, wie er seinen Pudel frisiert hat.

Vielmehr wird eine Reaktion der Freude, des Lobs oder allenfalls des Neids erwartet.

143

s. Luhmann 1995: 144f. 144

ebd.: 153 145

s. Luhmann 1994: 429 146

vgl. Baraldi 1998: 45 147

s. Luhmann 1994: 411 148

ebd.: 412 149

vgl. Berghaus 2004: 76

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Und der Reagierende weiß um diese Erwartung. Solche Erwartungserwartungen

ermöglichen es, Komplexität und Kontingenz zu bewältigen und Enttäuschungen

möglichst gering zu halten.150

In diesem Zusammenhang spielt auch taktvolles Verhalten eine bedeutende Rolle,

denn es orientiert sich an Erwartungen von Erwartungen: Takt ist nach Luhmann

„ein Verhalten, mit dem A sich als derjenige darstellt, den B als Partner braucht, um

derjenige sein zu können, als der er sich A gegenüber darstellen möchte“151

. A

verhält sich also derart, dass B sich ihm/ihr gegenüber so präsentieren kann, wie B

sich das wünscht. Erwartungen können allerdings auch fehlgeleitet sein. A kann sich

in der Annahme irren, was B von ihm/ihr erwartet und das trifft natürlich auch auf B

zu. Eine Erfüllung der erwarteten Erwartungen kann dann zur Enttäuschung des

anderen führen. Im alltäglichen Umgang gehen die Interaktionspartner jedoch

normalerweise nicht von dieser Möglichkeit aus. Wesentlich wichtiger als die

Sicherheit, dass Erwartungen erfüllt werden, ist außerdem die Sicherheit, dass

Erwartungen erwartet werden können. Darauf basieren Interaktionen.152

Dennoch gibt es grundsätzlich die Option, enttäuscht zu werden. Erwartungs-

strukturen zeitigen die Differenz von Erfüllung auf der einen und Enttäuschung auf

der anderen Seite.153

Für den Enttäuschungsfall stehen dem System zwei

Verhaltensstrategien zur Verfügung. Hierfür trifft Luhmann eine Unterscheidung

zwischen normativen und kognitiven Erwartungen. Während sich kognitive

Erwartungen ändern und an die Wirklichkeit angepasst werden können – in diesem

Fall können sich Erwartungsabhängigkeiten neu organisieren – bleiben normative

Erwartungen trotz Enttäuschungen bestehen. Werden normative Erwartungen nicht

erfüllt, wird dies dem Enttäuschenden als Verschulden angerechnet, die Erwartung

hingegen behält weiterhin ihre Gültigkeit.154

Wird z.B. die Erwartung, dass ein

Physiklehrer seinen Schülern Physik beibringt, enttäuscht (indem er stattdessen über

seinen letzten Urlaub referiert), gilt die Nichterfüllung dieser Erwartung als

Verschulden des Lehrers. Die Enttäuschung beeinflusst die Erwartung nicht

dahingehend, dass sie verändert wird.

Darüber hinaus gibt es auch Erwartungen, die als Selbstverständlichkeiten im Alltag

kaum enttäuscht werden, das heißt als relativ sicher gelten und daher die oben

150

s. Luhmann 1987: 33f. 151

ebd.: 34 152

s. ebd.: 36ff. 153

s. Luhmann 1994: 363 154

s. Luhmann 1987: 40ff.

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31

genannte duale Unterscheidung zwischen normativ und kognitiv nicht benötigen. In

diesen Fällen sind die Erwartungen mehr oder weniger unbewusst und unscharf

ausgeprägt, kognitive und normative Erwartungselemente bilden eine undifferen-

zierte Einheit bzw. gehen ineinander über. Luhmann selbst nennt hier das Beispiel

einer alltäglichen Konversation, bei der erwartet wird, dass das Gegenüber eine

physische Distanz einhält, die als angenehm empfunden wird und nicht etwa zehn

Meter entfernt steht oder so nah heranrückt, dass der Partner seinen Atem spüren

kann. Da diese Art von Erwartung an Selbstverständlichkeiten geknüpft ist, gelten

Abweichungen als Ausnahme und Enttäuschungen werden als Einzelfälle

behandelt.155

Nicht alle Erwartungen – darunter Alltagserwartungen – regulieren also

im Vorhinein den möglichen Enttäuschungsfall. In unsichereren Erwartungs-

situationen wird genau dies aber vollzogen, sodass die Erwartung gefestigt wird.156

Im Zusammenhang der Erwartungsbildung können darüber hinaus auch Erfahrungen

wichtig werden. Sie fließen in die Erwartungsbildung mit ein und lösen Erwartungen

von reiner Willkür. Luhmann spricht daher auch von generalisierten Erwartungen,

die ereignisübergreifend bestehen bleiben.157

3.5 Vertrauen

Generalisierte Erwartungen sind das zentrale Merkmal von Vertrauen, denn es

entsteht „durch Überziehen der vorhandenen Information“158

. Das heißt, die Grenzen

von bereits gemachten Erfahrungen werden überschritten, indem sie auf neue,

vergleichbare Situationen übertragen werden. Vertrauen kann daher als soziales

Verbindungselement zwischen vorhandenem Erfahrungswissen und einer

ungewissen Zukunft angesehen werden.159

Es reduziert die Komplexität der

möglichen Handlungsalternativen, indem der andere als Person betrachtet und

folglich mit bestimmten Verhaltensweisen gerechnet wird. Auf diese Weise vollzieht

der Vertrauende eine Selektion und erwägt bestimmte Entwicklungsoptionen von

vorneherein nicht.160

155

s. Luhmann 1987: 45ff. 156

s. Luhmann 1994: 436f. 157

s. ebd.: 363, 445 158

Luhmann 2000: 31 159

s. Holzer 2010: 13 160

s. Luhmann 2000: 28ff.

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Für den Vertrauensprozess müssen drei Strukturkomponenten vorhanden sein:

Erstens muss eine „Teilverlagerung der Problematik von „außen“ nach „innen““

[Hervorhebung im Original]161

stattfinden, wobei die Kontingenz der Umwelt durch

eine innerlich vorstrukturierte Sicherheit ersetzt wird. Innere, subjektive Ordnung

substituiert äußere Unsicherheit. Dadurch wird die Komplexität der Umgebung

reduziert, bzw. können die Unsicherheiten der Außenweltbeziehungen eher bewältigt

werden. Zweitens müssen Vertrauensbeziehungen gelernt werden. Der Lernvorgang

beginnt bereits in frühester Kindheit im Familienumfeld und setzt sich auch später

kontinuierlich fort. Mit zunehmender Identitätsbildung entwickelt der Lernende ein

Vertrauen, das von sich selbst ausgeht und eigenes Verhalten auf andere überträgt.

Dadurch können Erlebnisse in sozialen Situationen generalisiert werden. Drittens

kommt es zu symbolischer Kontrolle, da der Vertrauensprozess aus

Komplexitätsgründen nicht explizit reflektiert werden kann. Einzelne Geschehnisse

erlangen einen symbolischen Wert, indem sie als Indizien die generelle

Vertrauenswürdigkeit des anderen in Frage stellen können. Sie werden

verallgemeinert und dienen dadurch der Eigenkontrolle, inwiefern Vertrauen

vertretbar ist und im Rahmen bestimmter Erwartungen stattfindet.162

Vertrauensbildung bezieht grundsätzlich auch den Fall einer „kritische[n]

Alternative“163

mit ein, das heißt den Fall des Vertrauensbruchs. Denn der andere

muss sich nicht zwangsläufig den Erwartungen entsprechend verhalten. Daher

erfordert Vertrauen auch eine „riskante Vorleistung“164

, denn der Vertrauende weiß

nicht, wie sich sein Gegenüber tatsächlich verhalten und ob er das Vertrauen brechen

wird.

Vertrauen schafft also keine absolute Sicherheit, konzentriert sich jedoch auf die

Wahrscheinlichkeit bzw. die Erwartbarkeit eines bestimmten Verhaltens, auch wenn

negative Konsequenzen prinzipiell möglich sind und bedacht werden. Darin

unterscheidet sich Vertrauen von Hoffnung, die Kontingenz nicht in Erwägung zieht

und daher auch nicht durch Erwartungen eingrenzt. Der Vertrauensprozess muss

bzw. kann allerdings auch nicht bei jeder Entscheidung bewusst vollzogen werden,

sondern läuft zum Teil routiniert ab. Dies trifft insbesondere auf relativ sichere

161

Luhmann 2000: 31f. 162

s. ebd.: 32ff. 163

ebd.: 28 164

ebd.: 27

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Verhaltenserwartungen in Alltagssituationen zu, die z.B. als Selbstverständlichkeiten

gelten.165

Vertrauen hängt darüber hinaus von Sanktionsmöglichkeiten ab, die allerdings nicht

explizit reflektiert werden dürfen, damit es nicht zu Misstrauensbildung kommt.

Sanktionsmöglichkeiten erfordern einen gewissen zeitlichen Fortbestand der

Beziehung, denn die Interaktionspartner müssen sich wiedersehen: „Es herrscht das

Gesetz des Wiedersehens“166

. Der Vertrauende kann so ggf. im Nachhinein einen

Vertrauensbruch mit Konsequenzen belegen. Außerdem kann er davon ausgehen,

dass sich auch der, dem vertraut wird, dieser Möglichkeit bewusst ist. Weiterhin

muss das Vertrauen sozial gerechtfertigt und anerkannt sein, damit

Sanktionsmöglichkeiten bestehen. Naive Zuversicht führt dagegen eher zu

Unverständnis bzw. Verurteilung durch das soziale Umfeld.167

Als „supererogatorische Leistung“168

kann Vertrauen selbst weder erwartet noch

eingefordert werden, denn es handelt sich um eine Mehrleistung, die sozusagen einen

Vorschuss gibt, der nicht verpflichtend ist und gerade deshalb honoriert wird. Die

Vertrauenserfüllung geht über einen Soll-Anspruch hinaus. Wenn sie jedoch erbracht

wird, normiert sie ein gewisses Verhalten und beansprucht eine Gegenleistung. Der

Vertrauende erwartet, dass der andere ihn nicht enttäuschen, sondern stattdessen sein

Vertrauen anerkennen wird. Beide Interaktionsseiten müssen sich also auf Vertrauen

einlassen und einen entsprechenden Einsatz bringen. Dabei muss der Vertrauende

den ersten Schritt machen. Das Risiko, das er somit eingeht, minimiert sich für ihn

durch einzelne Vertrauensschritte, die nacheinander gegangen werden und die die

Vertrauenswürdigkeit des anderen bestätigen (oder widerlegen).169

Vertrauen führt also dazu, dass das Verhalten des anderen hinterfragt wird:

Entspricht es seiner Selbstmitteilung? Setzt er seine umfassenden Handlungs-

möglichkeiten entsprechend seiner Persönlichkeit ein? Seine Handlungen werden

ihm symbolisch zugeschrieben und damit auf seinen Charakter angewendet. Auf

diese Weise kontrolliert der Vertrauende das Verhalten des anderen, sodass es für

diesen schwierig werden würde, eine widersprüchliche Selbstdarstellung auf Dauer

zu rechtfertigen. Als Person ist er vielmehr darum bemüht, ein stabiles Bild von sich

165

s. Luhmann 2000: 28ff. 166

ebd.: 46 167

s. ebd.: 41ff. 168

ebd.: 55 169

s. ebd.: 54ff.

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zu präsentieren. Denn ihm ist der symbolische Wert seines Verhaltens zumeist sehr

bewusst. Das heißt daher auch, dass er seine Handlungsweisen gezielt Erwartungen

anpassen kann.170

Vertrauensbildung orientiert sich insofern an der Selbstdarstellung des Gegenübers

und setzt diesbezüglich eine gewisse Kontinuität voraus. Es wird erwartet, dass der

andere sich im Sinne seiner eigenen Verhaltensgeschichte darstellt, daran anknüpft

und sich, zumindest im Rahmen abgrenzbarer Kontexte, zu einer gewissen

Beständigkeit verpflichtet fühlt. Der, dem vertraut wird, muss dementsprechend die

Erwartungen anderer bei seiner eigenen Selbstdarstellung berücksichtigen.

Selbstdarstellung ist damit ein durch und durch sozialer Prozess, an dem die

Interaktionspartner mitwirken. So werden Interaktionen zum Schauplatz der

Identitätsbildung: Durch die Wechselbeziehung mit dem sozialen Umfeld wird das

Selbst geformt.171

Auch der Vertrauenserweis geht im Übrigen mit Selbstdarstellung einher, denn die

Vertrauensbereitschaft sagt etwas über die Person aus – so kann ihr Verhalten von

anderen z.B. als leichtfertig oder aber verantwortungsvoll und bedacht bewertet und

ihr als Person angerechnet werden.172

Um anderen vertrauen zu können, ist daher

auch ein gesundes Maß an Selbstvertrauen gefragt. Mit zunehmendem

Selbstvertrauen, das heißt dem Vertrauen in die Inszenierung des Selbst und deren

wohlwollende Interpretation durch andere, erweitern sich auch die eigenen

Handlungsmöglichkeiten. Der Vertrauende geht davon aus, von anderen prinzipiell

angenommen zu werden.173

3.6 Identitätsbildung nach der modernen Netzwerksoziologie

Hier schließen sich die Überlegungen Harrison C. Whites an. Sie lassen sich an die

Systemtheorie Niklas Luhmanns anschließen und ergänzen diese gerade in Bezug auf

die Identitätsbildung. So entfaltet White in seinem Hauptwerk „Identity and Control“

(2008), dass Identität erst in Beziehungsgeflechten entsteht und nicht a priori gesetzt

werden kann. Boris Holzer bezeichnet Whites Theorie daher als „relationale[n]

170

s. Luhmann 2000: 48; 83; 108 171

s. ebd.: 80f. 172

s. ebd.: 108f. 173

s. ebd.: 49

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Konstruktivismus“174

, der sich „einerseits gegen einen naiven Empirismus [wendet],

für den die Akteure immer schon da sind, andererseits aber auch gegen einen

Strukturalismus, der ohne Handlung als Quelle von Überraschungen auskommt“175

.

3.6.1 Identitäten suchen Kontrolle

Wie Luhmann geht auch White davon aus, dass Identität nicht als ontologische

Substanz gedacht werden kann, sondern sich erst in der Wechselseitigkeit

konstruiert. Sie wird durch andere gestaltet und verändert und ist daher im ständigen

Prozess.176

Nach diesem Ansatz gibt es keinen stabilen Wesenskern und auch keine

fertige Identität. Das Selbst kann ständig neu erfahren und erweitert werden.

Identitäten werden bei White darüber hinaus nicht im konventionellen, alltäglichen

Sinne verstanden, sondern sie gelten allgemein als Quelle von Handlungen, als

Entitäten, denen Beobachter Bedeutung und Sinn zuschreiben können.177

Der Begriff

ist damit nicht auf Individuen begrenzt, auch wenn er in der vorliegenden Arbeit

ausschließlich auf diese bezogen wird.

Identitäten entwickeln sich durch Kontrollbemühungen in einer sozialen Situation,

die in ihrer Ausgangslage zunächst durch Unsicherheit und Kontingenz

gekennzeichnet ist. Es gibt keine gegenseitigen Erwartungen, die das Handeln

bestimmen könnten, die Beteiligten wissen nicht, wie sich die jeweils anderen

verhalten werden. Und darin liegt nach White die Antriebskraft für den Aufbau von

Identitäten: “Identities spring up out of efforts at control in turbulent context“178

. Sie

entstehen aus den Versuchen, Unsicherheit zu kontrollieren, indem sie danach

streben, einen festen Standpunkt (Footing) inmitten einer kontingenten Umwelt zu

finden.179

Boris Holzer schreibt: „Identität wird damit beobachtbar als der Ausdruck

eines Bedürfnisses nach sozialer Verortung (social footing)“180

.

Das Bedürfnis nach Kontrolle darf jedoch nicht als Machtstreben missverstanden

werden – vielmehr handelt es sich um existenziell wichtige Vorgänge für die

Identitätsbildung. Kontrolle ist, nach White, das Basis-Moment in sozialen

174

Holzer 2010: 78f. 175

ebd.: 82 176

s. White 2008: 4f. 177

s. ebd.: 2 178

ebd.: 1 179

s. ebd.: 1f. 180

Holzer 2010: 83

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Netzwerken und beschreibt das Verlangen, mehr oder weniger feste Bindungen zu

schaffen und damit Halt und eine bestimmte Position im sozialen Umfeld von

anderen Identitäten zu finden. So lassen sich Unsicherheit und Kontingenz in der

sozialen Umwelt reduzieren. Kontrolle lässt sich daher als Vorwegnahme und

Reaktion auf Vorgänge in der Umwelt verstehen. Dazu gehören auch die

Kontrollversuche anderer Identitäten.181

Das Kontrollstreben ist dementsprechend

wechselseitig und geschieht nicht für sich allein:

„In der Umgebung von Kontrollversuchen gibt es immer auch andere

Kontrollbemühungen durch andere sich bildende Identitäten, die einen

sicheren Grund innerhalb einer kontingenten Umwelt suchen“182

.

Die unterschiedlichen Kontrollbemühungen verknoten sich miteinander, sodass es

zur Bildung von Beziehungen (Ties) kommt.183

Es entsteht ein fester Standpunkt

inmitten von anderen Identitäten. G. Reza Azarian bezeichnet Kontrolle daher auch

als „Tie Management“184

. Sie schafft Orientierung und leitet die Interaktionen mit

anderen Identitäten.

Da Identitätsbildung ein wechselseitiger Prozess ist, hängt sie davon ab, in welchen

Beziehungen sich ein Individuum befindet, in welche Netzwerke es eingebunden ist.

Denn die soziale Umgebung determiniert, welche Identitäten sich ausbilden können:

Jede Beziehung bringt in ihrem je eigenen Kontext auch spezifische Erwartungen

und Verpflichtungen mit sich, die sich von anderen unterscheiden. In jedem Kontext

können daher andere Aspekte ein und derselben Person relevant werden. Das

Individuum hat demzufolge mehrere Identitäten, zwischen denen es wechselt, es

wird zum Schnittpunkt verschiedener sozialer Sphären, da es in viele verschiedene

Kontexte verwoben ist.185

Trotzdem gibt es bestimmte Aspekte, die

kontextübergreifende Bedeutung haben: So bleibt beispielsweise im Kollegen-

netzwerk der Familienstand oder das Freundesnetzwerk nicht gänzlich unbeachtet.

Die einzelnen, kontext- bzw. netzwerkbezogenen Identitäten einer Person können

auch in anderen Zusammenhängen aktualisiert werden.186

Personen bestehen daher,

entsprechend ihrer sozialen Eingebundenheit, aus mehreren Identitäten: White

spricht von so genannten Identitätenbündeln: „[…] persons will appear as bundles of

181

s. White 2008: 6f. 182

Schmitt 2009: 237 183

s. ebd.: 237 184

Azarian 2005: 69 185

s. White 2008: 3 186

vgl. Fuhse 2003: 10

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37

identities“187

. Hier lässt sich auch der Luhmann’sche Personenbegriff angliedern.

Nach Holzer/Fuhse (2010) lassen sich Personen, im Sinne Luhmanns, als „Bündel

von Erwartungen“188

beschreiben, die in der sozialen Situation, in Kommunika-

tionsakten, entstehen. Durch diese Wortwahl entsteht eine formale Parallelität zur

Terminologie Whites, die aber auch inhaltlich begründet ist. Denn Personen müssen,

je nach sozialem Kontext, verschiedene Erwartungen vereinbaren und sich

entsprechend unterschiedlich verhalten. Sie überspannen daher verschiedene

Identitäten.

3.6.2 Identitätsdimensionen

White unterscheidet verschiedene Dimensionen von Identität, in die sich die

bisherigen Überlegungen eingliedern lassen189

:

1. Auf der ersten Ebene äußert sich Identität zunächst in dem grundsätzlichen

Bedürfnis nach Kontrolle und sicherem Halt in einem sozialen Kontext.

Dieser Prozess ist unentbehrlich für ein Individuum oder auch eine Gruppe.

Wurde solch ein sicherer Halt gefunden, beschreibt Identität eine bestimmte

Position in einem „Netdom“190

, die durch Kontrollbemühungen zustande

gekommen ist. Netdom ist ein Kofferwort aus Network Relations und Domain

of Topics und steht für einen lokal und zeitlich begrenzten sozialen

Kontext.191

Die erste Form von Identität beinhaltet somit Kontroll-

bemühungen in einer sozialen Umwelt mit dem Ziel der sicheren Verortung

im Netzwerk und damit Möglichkeiten der Kontingenzverminderung.

2. Die zweite Ebene beschreibt Identität als Ausdruck eines sozialen Gesichtes

in einer größeren Gruppe. Identität ergibt sich hier aus der Verbundenheit mit

einer übergreifenden Identität.192

White nennt eine Beispielsituation, die, in

leicht veränderter Form, folgendermaßen verläuft: Eine kleine Gruppe von

Studenten sitzt für ein Abendessen in der WG zusammen. Die Studenten sind

187

White 2008: 2 188

Holzer/Fuhse 2010: 315 189

s. für das Folgende White 2008: 10ff. und 17 190

White 2008: 7 191

s. ebd.: 7 192

s. Holzer 2010: 83

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daran gewöhnt, zusammen zu essen und kennen sich recht gut. Daher nehmen

sie in dieser Situation bestimmte Haltungen ein, sie zeigen jeweils ein

bestimmtes soziales Gesicht. Eine gilt z.B. als Gesprächsführerin, ein anderer

als Träumer, der nächste als Clown und wieder eine andere als Rechthaberin

etc.

In dieser Konstellation haben sich also ganz spezifische Erwartungen an das

jeweilige Verhalten der Beteiligten herausgebildet. Identität verortet sich an

einer bestimmten Position und sorgt damit für erwartbare Verhaltensweisen,

denen bestimmte Absichten zugeschrieben werden können.193

3. Die dritte Dimension von Identität bezieht sich auf das zeitlich betrachtete

Umschalten zwischen verschiedenen Netdoms. Durch den Wechsel zwischen

diesen unterschiedlichen sozialen Kontexten entstehen Brüche und

Widersprüche, die entscheidend zur Identitätsbildung beitragen. Holzer

beschreibt dies als „eine spezifisch gesellschaftliche Form der Identität“194

,

da das Individuum in Netzwerkbeziehungen verschiedener Bereiche

eingebunden ist und von diesen geformt wird. Je nach Netdom können sich

die Erwartungen ändern, sodass auch die Identität je nach Kontext wechselt.

Das kann unter Umständen zu Konflikten führen, wenn die jeweiligen

Erwartungen nicht klar sind oder wenn widerstreitende Kräfte und Zwänge

auf das Selbst einwirken. Es ist daher gerade die Aufgabe von Personen,

diese divergierenden Erwartungen und Forderungen zusammenzubringen und

für sich vereinbar zu machen.195

Es gelten gewisse kontextübergreifende

Kohärenzanforderungen an das Verhalten, die im Prozess der Identitäts-

bildung fortwährend bearbeitet und für die verschiedenen Ansprüche passend

gemacht werden müssen.196

Bereits zu Beginn seines Werkes nennt White ein Bespiel, wie ein Wechsel

zwischen verschiedenen Kontexten praktisch aussehen kann. Er nutzt dafür

den Austausch in einem Internetforum. Dort kann sich ein Nutzer ein Konto

zulegen, um an den Forumsdiskussionen teilzunehmen. Er verbindet sich

dann mit anderen Nutzern, die durch ihre Kommentare zu seiner

193

s. Schmitt 2009: 279 194

Holzer 2010: 83 195

vgl. Azarian 2005: 60ff. 196

s. Schmitt 2009: 280

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Identitätsbildung beitragen. Der Nutzer existiert dort mit einer ganz

bestimmten Identität, die nur einen Teil seiner Persönlichkeit ausmacht. Er

kann aber Konten bei mehreren Foren haben und zwischen ihnen wechseln,

indem er sich bei dem einen aus- und bei einem anderen einloggt. Die

verschiedenen Foren können dann als Netdoms angesehen werden, die jeweils

unterschiedliche Identitäten hervorrufen.197

Das lässt sich natürlich auch auf

andere soziale Situationen übertragen, z.B. auf die verschiedenen Inter-

aktionsbeziehungen in Social Network Sites. Ohne dass der Nutzer

verschiedene Konten führen müsste, kommt es auch dort zu einem Wechsel

verschiedener Kontexte. Darum geht es unter anderem im vierten Teil dieser

Arbeit.

4. Auf der vierten Ebene schließlich lässt sich Identität als retrospektive

Beobachtung aller Beziehungen in den verschiedenen Netdoms beschreiben.

White bezeichnet dies als das wahrgenommene Selbst einer Person: „This is

what a person perceives to be his or her self – a narratively embedded history

of a journey through different netdoms“198

. Dabei werden die Brüche und

Widersprüche der dritten Ebene rückblickend in eine Ordnung gebracht bzw.

verallgemeinert und dadurch eliminiert – Identität erscheint als einheitliches

Konstrukt.199

Es handelt sich um „die Biographie als Ansammlung mehr oder

weniger kohärenter Erzählungen, in denen Unstimmigkeiten durch die

Rationalisierung vergangener Handlungen und Ereignisse zum Verschwinden

gebracht werden”200

.

3.6.3 Soziale Netzwerke beinhalten Stories

Im Zusammenhang mit der Identitätsbildung spielen die Begriffe Tie und Story eine

wichtige Rolle. Ties bezeichnen alle Zweierbeziehungen unterschiedlicher Stärke,

über die Identitäten verfügen.201

Das können Beziehungsgeflechte z.B. zu Freunden

oder Bekannten etc. sein, aber auch zu Freunden und Bekannten dieser ersten

197

s. White 2008: 2f. 198

ebd.: 17 199

s. Schmitt 2009: 280 200

Holzer 2010: 83 201

s. White 2008: 24ff., 33

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Gruppe. Ties verketten sich folglich miteinander, sodass es zu Verbindungen über die

direkte Zweierbeziehung hinaus kommt. Außerdem können sie vielfältige

Dimensionen aufweisen, wenn z.B. eine Beziehung zwischen Arbeitskollegen

existiert, die gleichzeitig auch Freunde sind.202

Identitäten koppeln sich durch Ties an

andere Identitäten, sie lösen sich aber auch ständig wieder von diesen; White spricht

in diesem Zusammenhang von „Coupling“ und „Decoupling“.203

Ties lassen sich durch einen bestimmten Kontext in einer Story konkretisieren. White

schreibt: „A story is a tie placed in context“204

. Stories entstehen demnach in

konkreten Netzwerk-Verbindungen und ermöglichen es, die Beziehungen zwischen

den Identitäten zu unterscheiden und zu charakterisieren, z.B. als Bekanntschaft,

Freundschaft oder Intimbeziehung. Durch sie wird Identität erzählt oder anders

ausgedrückt: dargestellt. Stories gelten dabei immer als gemeinsame Produktionen

und sind nicht das kreative Ergebnis von Einzelnen. Sie entstehen durch

interagierende Kontrollbemühungen von zwei Identitäten, die in Beziehung

zueinander stehen.205

Stories beschreiben die Beziehung dann aus der subjektiven

Perspektive eines Beteiligten und definieren sie damit gleichzeitig. Dazu gehört die

Geschichte, der Status quo und die mögliche Zukunft der Beziehung.206

Durch ihren reziproken Charakter lassen sich Stories mit dem Erwartungsbegriff von

Luhmann in Einklang bringen: Sie beschreiben, wie die Beziehung von beiden Seiten

wahrgenommen wird und äußern sich als reflexive Erwartungen.207

Das

Luhmann‘sche Konzept der Erwartungen, das zentral für die Ausführungen im

vierten Teil ist, kann also durch den Story-Begriff von White ersetzt und ergänzt

werden.

202

s. Azarian 2005: 38ff. 203

s. White 2008: 36 204

ebd.: 20 205

s. White 2008: 20, 62; Schmitt 2009: 257ff. 206

s. Azarian 2005: 51ff. 207

s. Clemens 2012: 228; 237

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41

3.7 Abschließende Bemerkungen zur Vereinbarkeit beider

Theorien

An einigen Stellen dieses Kapitels wurde bereits auf Gemeinsamkeiten in den

Ansätzen von Luhmann und White hingewiesen. Beide Theorien sind miteinander

kompatibel und die Terminologien, wie z.B. der oben genannte Story- und

Erwartungsbegriff, vielfach austauschbar. White selbst bezieht sich an mehreren

Stellen seines Werkes „Identity and Control“ (2008) auf Luhmann und sieht dessen

Systemtheorie als vereinbar mit seinem eigenen Ansatz an.208

Auch in der

wissenschaftlichen Rezeption gelten beide Theorien als weitestgehend überein-

stimmend. So bemerkt Stegbauer (2008), dass sich Anknüpfungspunkte von

Netzwerktheorie und Systemtheorie ergeben würden bzw. Whites Konzeption „als

eine Art Erweiterung der Systemtheorie“209

gelesen werden könne.

Grundsätzlich gemeinsam ist beiden Ansätzen, dass sie umfassende Zusammenhänge

beschreiben wollen. Netzwerke und soziale Systeme sind daher zunächst jeweils

Reaktionen auf soziale Komplexität und durch Selektion (aus Elementen, Kontakten

etc.) charakterisiert.210

Beide Theoretiker gehen von konstruktivistischen Grundannahmen aus und setzen

Identität nicht als gegeben voraus. Sie legen den Fokus bei der Identitätsbildung

stattdessen auf den Kontext, auf die Beziehungen des Individuums, die seine Identität

formen. So entsteht Identität in beiden Theorien durch Kommunikation, die den

Beteiligten als Handlung zugeschrieben wird.211

Während Kommunikation nach

Luhmann die Operationsform sozialer Systeme ist, kann auch in der Netzwerktheorie

das Streben nach Kontrolle als kommunikativ angesehen werden, da die Suche nach

Footings als Kommunikationsprozess beschrieben werden kann.212

Halt und feste

Standpunkte bilden sich erst durch den Austausch mit anderen. Auch soziale

Netzwerke entstehen demnach durch Kommunikation.213

Aufgrund der generellen Vereinbarkeit beider Ansätze werden die Überlegungen

Luhmanns und Whites im vierten Teil nicht getrennt voneinander auf Social Media

übertragen, sondern vielmehr als austauschbar bzw. einander ergänzend behandelt.

208

s. z.B. White 2008: 17, Fußnote 16 209

Stegbauer 2008: 14 210

s. Holzer 2008: 156 211

s. Holzer/Fuhse 2010: 315 212

s. White 2008: 21 213

s. Clemens 2012: 90

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Allerdings werden die Begrifflichkeiten Luhmanns, aufgrund ihrer größeren Schärfe

gegenüber den Terminologien Whites, bevorzugt verwendet, obwohl beide Ansätze

die Basis der folgenden Überlegungen bilden.

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43

4. Privatheit und Identitätsbildung im Social Web –

funktional betrachtet

In diesem Kapitel werden der Themenkomplex der Identitätsbildung und

Selbstdarstellung sowie die Frage nach der Privatheit im Social Web, mithilfe der

ausgeführten Theorie, aus einer funktionalen Perspektive betrachtet. Die theoretische

Grundlage ermöglicht es, auf die Positionen in den Massenmedien und der Literatur,

die im zweiten Teil der Arbeit dargestellt wurden, einzugehen. An dieser Stelle wird

auch noch einmal darauf hingewiesen, dass nicht alle Erscheinungsformen von

Social Media gleichermaßen betrachtet werden. Eine Anwendung der Theorie auf

sämtliche Formate wäre nicht zielführend, da sich die Argumentation dann in

Einzelfällen verlieren würde. Auch auf Grenzfälle wird daher nur vereinzelt

hingewiesen. Das Anliegen der folgenden Überlegungen ist stattdessen, das

Verhalten der Nutzer grundsätzlich im Hinblick auf ihre Identitätsbildung zu

beleuchten und die Bedeutung der Privatsphäre in diesem Zusammenhang heraus-

zuarbeiten. Der Schwerpunkt der Beispiele liegt dabei, wie bereits weiter oben

erwähnt, auf den Social Network Sites, da sie zu den populärsten Anwendungen im

Social Web zählen.

4.1 Social Media als Interaktionsräume

Bevor die Bereiche Öffentlichkeit und Privatheit sowie Selbstdarstellung und

Identitätsbildung ausführlicher behandelt werden, soll es zunächst um die

Besonderheiten der Interaktion in Social Media gehen. Denn die Interaktions-

beziehungen im Social Web bilden den Ausgangspunkt und die Grundlage der

nachfolgenden Überlegungen.

Die Interaktion wurde bereits zu Beginn der Arbeit als Differenzierungskriterium

gegenüber den Massenmedien herangezogen. Social Media sind auf persönliche

Kommunikation hin ausgerichtet, das heißt sie ermöglichen es den Nutzern, sich

wechselseitig aufeinander zu beziehen, und bieten dafür einfache und zeitsparende

Möglichkeiten des Feedbacks an – z.B. durch einen einfachen Klick auf den Like-

Button bei Facebook sowie durch zahlreiche Kommentar- oder Verlinkungs-

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funktionen. Auch empirische Ergebnisse zeigen, dass der Austausch und Kontakt mit

anderen einer der wichtigsten Gründe für die aktive Teilnahme an Social Media

ist.214

Internetvermittelte Kommunikation zeichnet sich, im Unterschied zu rein mündlich

vollzogener, durch einige Eigenheiten aus. Dies liegt vor allem daran, dass sie

schriftlich bzw. visuell fixiert ist und daher keinen flüchtigen Charakter hat. Ihre

Persistenz führt zu einigen Besonderheiten für die Interaktion, die in den nächsten

Abschnitten aus systemtheoretischer Perspektive diskutiert werden.

I.

Interaktion kann als Kommunikation unter Anwesenden beschrieben werden, das

wurde im dritten Kapitel dieser Arbeit ausgeführt. Das Kriterium der Anwesenheit ist

daher auch für Interaktionssysteme in Social Media von Bedeutung. Es liegt jedoch

auf der Hand, dass es hierbei nicht in erster Linie um physische Anwesenheit geht.

Schließlich zeichnet sich die internetbasierte Kommunikation gerade dadurch aus,

dass Anwesenheit oft nur schriftlich bzw. graphisch vermittelt wahrgenommen

werden kann. Die Nutzer müssen sich nicht unbedingt zur selben Zeit an einem Ort

einfinden, damit die Interaktion funktioniert.

Die Persistenz der Kommunikation in Social Media sorgt vielmehr dafür, dass für die

Nutzer der Eindruck ständiger Anwesenheit entsteht. Die visuell fixierten Inhalte

lassen sich konkreten Nutzern zuordnen, sodass es den Teilnehmern möglich ist, sich

gegenseitig wahrzunehmen. Reflexive Wahrnehmung als Kriterium der Anwesenheit

ist daher auch zeitversetzt möglich: Die beteiligten Nutzer führen durch ihre Posts,

Kommentare, Likes etc. wahrnehmbare Handlungen aus und nehmen wahr, dass

diese von den anderen Teilnehmern wahrgenommen werden. Das zeigt sich z.B. an

ihren Reaktionen. Das Ausbleiben von Reaktionen kann dementsprechend auch als

kommunikative Mitteilung der Verweigerung gewertet werden.

Die Interaktionsteilnehmer können den Zeitpunkt der Rezeption und Produktion von

Inhalten also selbst festlegen – zeitverzögerte Antworten sind ohne Weiteres möglich

– und trotzdem kann sofort an die Systemgeschichte angeknüpft werden.

Anwesenheit in Social Media ist daher gerade nicht auf Kopräsenz ausgelegt,

sondern zeigt sich darin, dass es bestimmbare Adressaten gibt, an die sich die

214

s. z.B. Busemann 2013

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Interaktionsbeiträge richten. Internetvermittelte Interaktion in Social Media kann

daher als ein Fall von „Inklusion trotz diskontinuierlicher Präsenz“215

angesehen

werden. Die Teilnehmenden sind nicht immer zeitgleich und auch nicht

kontinuierlich anwesend, werden aber so behandelt und sind damit in die Interaktion

eingeschlossen.

II.

Die Persistenz der Inhalte führt dazu, dass die systemeigene Interaktionsgeschichte

jederzeit nachgelesen werden kann. Neuankömmlingen auf einer Social-Media-

Plattform kann so leicht der Hinweis auf den geschichtlichen Kontext gegeben

werden, der zum Nachvollziehen bereitsteht. Sie müssen daher nicht mühsam

Informationen aus der Vergangenheit von anderen Nutzern erfragen, sondern können

sich diese selbstgesteuert beschaffen. So kann der Bezug und Anschluss zum

Vorhergehenden ohne Weiteres hergestellt werden. Das macht auch

Personenwechsel leichter.

In diesem Sinne fördern Social Media die Integration von Neuankömmlingen. Sie

heben sich dadurch von der mündlichen Kommunikation ab, bei der sich dies

wesentlich schwieriger gestaltet, da die Systemgeschichte erfragt werden muss.

III.

Aufgrund der schriftbasierten Kommunikation in Social Media fällt der Raum für

nonverbale Mitteilungen weitestgehend weg: Stimmlage und Körpersprache stehen

nicht für das Transportieren von Ironie oder Ähnlichem zur Verfügung. Dies wird

jedoch teilweise durch Emoticons aufgefangen, die das Fehlen der nonverbalen

Ebene etwas kompensieren. Ein angefügter Smiley kann beispielsweise den

ironischen Gehalt einer Aussage vermitteln.

Auch so genanntes „Gruscheln“, das von der Social-Network-Plattform StudiVZ

eingeführt wurde, bzw. ein „Anstupsen“ auf Facebook fällt in den Bereich der

nonverbalen Kommunikation. Diese Funktionen dienen dazu, Zuneigung

auszudrücken oder Aufmerksamkeit zu erregen. Dennoch bleiben die Möglichkeiten,

ohne Sprache zu kommunizieren, bei den meisten Social-Media-Diensten begrenzt.

215

Kieserling 1999: 65

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Diese Tatsache führt außerdem dazu, dass das äußere Erscheinungsbild in der

Interaktion nebensächlich wird und eben auch die Mimik bzw. Gestik meist keine

Rolle spielt (außer ggf. bei Social-Media-Angeboten mit einem hohen Grad an

Media Richness bzw. Social Presence). Dies kann unter Umständen – gerade für

unsichere, pubertierende Jugendliche – auch ein Vorteil im Zusammenhang der

Identitätsbildung sein, da andere Aspekte des Selbst relevant werden können.

IV.

Interaktionssysteme in Social Media können zahlenmäßig wesentlich größer werden

als in der mündlichen Kommunikation. Mündliche Interaktion kommt relativ schnell

an ihre Grenzen, da eine große Teilnehmerzahl dazu führt, dass mehrere von ihnen

zu Passivität gezwungen sind. Im Gegensatz dazu führt in den sozialen Medien auch

eine größere Anzahl an Interaktionsteilnehmern nicht zwangsläufig zu einem

Ungleichgewicht von kommunikativer Aktivität und Passivität. Da die Kommunika-

tionsbeiträge gespeichert sind, können sich die Äußerungen über die Zeit verteilen

und sind auch nicht auf eine bestimmte zeitliche Rezeptionsspanne festgelegt. Der

Aufmerksamkeitsanspruch der Interaktionsbeiträge verteilt sich daher – verglichen

mit der mündlichen Interaktion – stärker über die Zeit. Die begrenzte synchrone

Aufnahmekapazität ist diachron umfangreicher. Daher kann auch eine Vielzahl an

Interaktionsteilnehmern problemlos gehandhabt werden.

Einziges eingrenzendes Kriterium ist in diesem Zusammenhang die Bestimmbarkeit

der Adressaten. Solange diese eindeutig identifizierbar und somit anwesend sind,

können die Interaktionssysteme in Social Media entsprechend groß werden. Es

handelt sich dann um keine massenmediale Kommunikation, denn die

Massenmedien sind gerade dadurch charakterisiert, „daß keine Interaktion unter

Anwesenden zwischen Sender und Empfängern stattfinden kann“ [Hervorhebung im

Original]216

. In diesem Zusammenhang lassen sich allerdings auch Grenzfälle

ausmachen: Ein Blog beispielsweise, der im Internet große Popularität erreicht hat,

kann bereits zu massenmedialer Kommunikation gezählt werden, da die Adressaten

nicht mehr genau bestimmt werden können. Ein Blog ist allgemein zugänglich,

sodass im Falle großer Beliebtheit viele, für den Blogger Unbekannte, darauf

zugreifen. Interaktion mit all den Lesern ist dann nicht mehr möglich. Dies trifft

216

Luhmann 2004: 11

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jedoch, statistisch gesehen, nur auf etwa ein Fünftel der Blogs zu, denn sobald die

Nutzer Wahlfreiheit aus einer Vielfalt haben, herrscht Ungleichheit und es kommt zu

einer Power-Law-Verteilung (80-20-Regel).217

Demnach lässt sich näherungsweise

annehmen, dass 20% aller Blogs 80% der Leserschaft für sich beanspruchen. Die

Mehrheit der Blogs bleibt daher unpopulär und ermöglicht weiterhin Interaktion.

4.2 Kontextbildung und Empfängerdifferenzierung im Social Web

Der vorangegangene Abschnitt zeigt: Die Interaktionssysteme in den sozialen

Medien können recht groß werden. Von Grenzfällen einmal abgesehen, bleiben die

Adressaten also bestimmbar. Gerade bei den viel beachteten Social Network Sites

können die Kontakte benannt werden, denn sie müssen bewusst ausgewählt werden.

Auch wenn die sozialen Online-Netzwerke eine beachtliche Größe erreichen können,

sind sie ihrem Wesen nach dennoch Auswahl, denn sie können nicht ins Unendliche

anwachsen. Persönliche Netzwerke tragen dadurch auch zur Reduktion sozialer

Komplexität bei.218

Der Nutzer legt fest, wen er zu seinem Netzwerk hinzufügt und

mit wem er welche Inhalte teilen möchte. Er verfügt damit gleichzeitig über

Möglichkeiten der Kontextbildung.

Social Network Sites bieten dem Nutzer unterschiedliche Funktionen an, die es ihm

ermöglichen, gezielt Adressatenkreise zu bestimmen. Der Kommunikationskontext

kann z.B. bei Facebook über verschiedene Listen, Gruppen, persönliche Nachrichten

etc. eingeschränkt werden, sodass bestimmte Inhalte nur an bestimmte Adressaten

gerichtet sind. Der Nutzer weiß dann, mit wem er es zu tun hat und wie gegenseitige

Erwartungen aussehen. Außerdem kann das persönliche Profil durch Privatsphäre-

einstellungen nur eingeschränkt sichtbar sein. Über technische Funktionen lässt sich

die Sichtbarkeit von Inhalten steuern, sodass der Nutzer diese seinen Bedürfnissen

anpassen kann.

Sehr gezielt kann er z.B. auf einer Social Network Site persönliche Nachrichten

verschicken und damit nur einzelne andere Nutzer adressieren. Diese stehen ihm als

konkrete Personen vor Augen, ihre Erwartungen kennt er gut und kann dement-

217

s. Shirky 2003 218

s. Holzer 2010: 13f.

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sprechend auch sehr Persönliches mitteilen. Die gegenseitigen Erwartungen sind

vorhersehbar und können daher das Verhalten bestimmen.

Auch geschlossene Gruppen bieten einen abgegrenzten Rahmen der Interaktion. Hier

kann ein von anderen nicht einsehbarer Austausch stattfinden. In solch einem

beschränkten Bezugsrahmen kann der Nutzer ebenfalls die Reaktionen auf seine

Äußerungen abschätzen. In einer geschlossenen Gruppe „Familie“ z.B. kennt er die

Erwartungen der Familienmitglieder sehr genau und seine Kommunikationsabsicht

wird sich daran orientieren.

Der Interaktionskontext kann jedoch auch die gesamte Kontaktliste umfassen. Diese

besteht häufig aus unterschiedlichen sozialen Binnenkontexten (wie z.B. Familie,

Freunden, Bekannten), die im Offline-Leben meist in verschiedene Kontexte

differenziert sind, mit zum Teil wenigen Berührungspunkten. So kann es sein, dass

es zwischen unterschiedlichen Freundeskreisen außerhalb der Social Media kaum

Überschneidungen gibt oder die Familie die Freunde nicht kennt. Richtet sich der

Nutzer jedoch online an seine gesamte Kontaktliste, werden diese Kontexte

zusammengezogen und es entsteht für ihn ein globaler Interaktionskontext. Der

Nutzer hat es dann möglicherweise mit divergierenden Erwartungen zu tun, sodass er

vermutlich keine sehr persönlichen Inhalte oder sogar intime Details preisgeben

wird. Denn er muss berücksichtigen, dass seine Äußerung von möglichst allen als

angemessen und als mehr oder weniger interessant empfunden wird.

Doch auch dieser große, globale Empfängerkreis, der durchaus 200 Freunde oder

mehr umfassen kann, ist definiert, wenn auch undifferenziert. Daher gehört eine

Äußerung, die an die gesamte Freundesliste adressiert wird, auch nicht in den

Bereich des Öffentlichen. Die Freundesliste stellt, wie groß sie auch sein mag, keine

Öffentlichkeit für den Nutzer dar. Schließlich hat er die Kontakte alle einmal seiner

Liste selbst hinzugefügt und kennt daher die Adressaten, auch wenn er diese

möglicherweise nicht immer alle vor Augen hat.

Je konkreter bestimmbar der Empfängerkreis allerdings ist, desto konkreter werden

auch die Erwartungen darin und desto mehr Verhaltenssicherheit kann entstehen.

Vom öffentlichen Twitter-Kanal über nutzergenerierte Gruppen und Freundeslisten

in Social Network Sites bis hin zu persönlichen Nachrichten, ändert sich der Kontext

von relativer Unbestimmbarkeit bis hin zu absoluter Bestimmbarkeit in der

Zweierinteraktion und beeinflusst dadurch das Verhalten des Nutzers. Für alle

Interaktionskontexte der Social Media gilt jedoch gleichermaßen, dass sich die

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49

Teilnehmer zwangsläufig als Personen wahrnehmen. Sie rechnen sich gegenseitig

Äußerungen als Handlungen zu und reduzieren dadurch ihr Verhaltensrepertoire auf

das sozial Erwartbare. Es ist also nicht möglich und wird nicht akzeptiert,

irgendetwas über sich zu schreiben, was als unglaubwürdig und unecht gilt. Die

Nutzer erwarten vielmehr untereinander authentisches Verhalten, das sich wiederum

an dem jeweiligen Kommunikationskontext orientiert.219

Die Mehrzahl der Nutzer

stellt sich daher authentisch dar – nicht zuletzt, weil z.B. viele der Facebook-Freunde

gleichzeitig Offline-Beziehungen sind.220

Da sich die Nutzer als Personen

wahrnehmen, wird authentisches Verhalten eingefordert.

Die Nutzer wählen also für ihr kommunikatives Vorhaben einen Empfängerkreis aus,

dessen Erwartungen ihr Verhalten steuert. Neben der tatsächlichen Einschränkung

über Listen, Gruppen oder persönliche Nachrichten, die besonders auf Social

Network Sites relevant sind, spielt bei der Empfängerdifferenzierung außerdem die

mentale Ebene eine wichtige Rolle. Denn die Nutzer haben meist eine klare

Vorstellung davon, wen sie adressieren wollen: Sie wenden sich an eine so genannte

„Imagined Audience“221

. Diese beinhaltet, laut einer Erhebung unter Twitter-

Nutzern, tatsächliche Rezipienten (wie Freunde, Bekannte etc.), kann aber auch

abstrahiert werden und z.B. idealisierte Empfänger einschließen, die oft ein

Spiegelbild des eigenen Selbst darstellen.222

Letzteres gilt vor allem bei großen,

undifferenzierten Kommunikationskontexten, bei denen der Nutzer nicht alle

Adressierten konkret vor Augen hat.

Entscheidend ist, dass die Imagined Audience dem Nutzer Anhaltspunkte darüber

gibt, wie er sich angemessen darstellen und was er äußern kann. Da er die

Erwartungen der vorgestellten Empfängergruppe kennt, kann er seinen Beitrag

entsprechend anpassen. Was geschrieben oder gepostet wird, hängt somit davon ab,

was dort akzeptiert ist und als interessant oder relevant empfunden wird. Der

Empfängerkreis entscheidet über den mitgeteilten Inhalt.223

Bei kleineren Kontexten,

wie z.B. einer eingegrenzten Kontaktliste (als Unterliste) auf Facebook, entspricht

die Imagined Audience meist dem tatsächlichen Empfängerkreis, sodass der Nutzer

seine Äußerungen kontextadäquat vermitteln kann.

219

vgl. Marwick/boyd 2011: 124 220

s. Wilson 2012: 210 221

Begriff nach Marwick/boyd 2011 222

vgl. Marwick/boyd 2011: 120 223

s. boyd 2011: 44; 50; vgl. Marwick/boyd 2011: 120

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Spricht er allerdings aufgrund von Medienkompetenzproblemen ein größeres

Publikum an, als intendiert, indem er z.B. keine entsprechenden Einschränkungen

vornimmt, kann es zu Spannungen kommen. Der Nutzer verliert dann die Kontrolle

über den Kontext, sodass sein Verhalten von den Empfängern unter Umständen als

unangemessenem bewertet wird. Er gibt dann möglicherweise persönliche

Informationen von sich preis, die eigentlich nur für ausgewählte Adressaten

bestimmt waren (Problem des „over-sharing“224

). Im Gegensatz dazu kann jedoch

auch die generelle Angst bestehen, überhaupt irgendetwas mitzuteilen („fear of

sharing“225

). In diesem Fall hat der Nutzer das Gefühl, die Empfänger von

vorneherein nicht bestimmen zu können und hält daher generell Inhalte (nicht nur

sehr private) stark zurück. Beide Extreme haben ihren Ursprung darin, dass die

Kommunikationskontexte nicht angemessen gebildet werden können. Verschiedene

Adressatenkreise fallen für den Nutzer zusammen. Das hat zur Folge, dass er den

Inhalt seiner Äußerungen nicht adressatengerecht anpassen kann. Um einen solchen

„Context Collapse“226

zu verhindern, muss folglich ein gewisser Grad an

Medienkompetenz vorhanden sein.

Dies ist aber nicht als eine besondere Herausforderung anzusehen – empirisch zeigt

sich vielmehr, dass Social-Media-Nutzer die Ko-Präsenz verschiedener sozialer

Gruppen allgemein als kein großes Problem betrachten. Sie differenzieren, wem sie

welche Inhalte mitteilen. Dabei nutzen sie verschiedene Strategien, um die Ko-

Präsenz verschiedener Kontexte erfolgreich zu bewältigen: Sie teilen die Plattform in

separate Räume ein (z.B. durch geschlossene Gruppen), sie wählen je nach Situation

geeignete Kommunikationskanäle aus (z.B. persönliche Nachrichten für private

Informationen) und sie zensieren möglicherweise problematischen Inhalt.227

Allein die Tatsache, dass in Social Media verschiedene Binnenkontexte zu einem

globalen zusammenkommen, führt also noch nicht zu einem Context Collapse. Ob

die Kontexte für den Nutzer kollabieren und es damit zu Problemen der

Verhaltensanpassung kommt, liegt an der Medienkompetenz des Nutzers.

224

Kairam 2012: 1073 225

ebd.: 1073 226

Begriff nach Marwick/boyd 2011; dieser wird aber bei den Autoren anders gefüllt, als in der

vorliegenden Arbeit: Laut Marwick/boyd (2011) verschmelzen ursprünglich differenzierte Kontexte in

Social Media zu einem (s. ebd.: 122; vgl. auch boyd 2011: 51). Der Context Collapse erscheint als

medienbedingte Tatsache; das Problem liegt also im Medium selbst begründet und wird nicht, wie in

dieser Arbeit, als Kompetenz-Problem der Nutzer angesehen: „[…] social media collapse diverse

social contexts into one, making it difficult for people to engage in the complex negotiations needed to

vary identity presentation, manage impressions, and save face“ (Marwick/boyd 2011: 123). 227

s. Lampinen et al. 2009: 7f.

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51

4.3 Potenzielle Öffentlichkeit

Auch medienkompetente Nutzer sehen sich allerdings der Tatsache gegenüber, dass

Inhalte Rezipienten finden können, die nicht gemeint waren. Denn angesichts der

Eigenschaften netzbasierter Kommunikation, wie beispielsweise Persistenz oder

Skalierbarkeit, besteht keine absolute Sicherheit darüber, dass Äußerungen in jedem

Fall nur den ausgewählten Empfängerkreis erreichen. Dieser kann sich ungewollt

ausdehnen. Durch die technischen Möglichkeiten des Internet entsteht eine

potenzielle Öffentlichkeit, die dazu führt, dass sich die Reichweite von Äußerungen

einfacher als im Offline-Leben vergrößern kann.

Einer der Gründe für die potenzielle Öffentlichkeit in Social Media ist die

Vernetzung der Teilnehmer. Marwick/boyd (2011) sprechen z.B. in ihrem Artikel

davon, dass es neben den tatsächlichen auch potenzielle Rezipienten gäbe, die

untereinander verbunden seien. Sie bildeten dadurch ein aktives, kommunikatives

Netzwerk.228

Über Freundesfreunde kann sich der Empfängerkreis daher

unbeabsichtigt vergrößern: Freunde des Nutzers können ihren Freunden oder

Bekannten Äußerungen, Posts etc. des Nutzers aufgrund der technischen

Möglichkeiten relativ leicht zugänglich machen (auch wenn dieser Freundesfreunde

eigentlich aus dem Empfängerkreis ausgeschlossen hat). Dritte können so Zugriff auf

Inhalte bekommen, die nicht an sie adressiert waren.

Die potenzielle Öffentlichkeit berücksichtigt darüber hinaus noch einen weiteren

Aspekt: Sie bezieht sich auch auf Rezipienten, die sich durch kriminelle Akte, wie

z.B. Hack-Angriffe, oder durch technische Störfälle prinzipiell Zugang zu Inhalten

verschaffen könnten. Das heißt, auch wenn ein Nutzer Empfängerkreise stark

beschränkt, um ungewollte Publika auszuschließen, besteht dennoch die prinzipielle

Möglichkeit, dass andere diese Einschränkungen umgehen und sich Zugang

verschaffen.229

Die potenzielle Öffentlichkeit ist daher ein Phänomen, das die Kommunikation im

Internet insgesamt betrifft. Sie macht deutlich, dass eingestellte Inhalte potenziell

immer öffentlich werden können. Die potenzielle Öffentlichkeit expliziert jedoch

keine Tatsache oder beschreibt eine Wahrscheinlichkeit, sondern berücksichtigt

228

s. Marwick/boyd 2011: 129 229

vgl. boyd 2011: 50f.

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lediglich Konsequenzen, die sich prinzipiell aus den strukturellen Möglichkeiten des

Internet ergeben.

Dennoch führt sie zweifellos zu Herausforderungen in Bezug auf den Schutz der

Privatsphäre in Social Media, aber auch generell im Internet. Da Inhalte – im

Unterschied zu gesprochener Sprache – leicht immer wieder abgerufen und weiter

verwendet werden können, werden die Kontrollmöglichkeiten des Nutzers erschwert.

Er kann letztendlich nicht darüber verfügen, wofür und von wem eingestellte Inhalte

möglicherweise genutzt werden. Die Möglichkeiten der Datenbeschaffung nehmen

im Internet neue Dimensionen an, sodass die Datensicherheit und tatsächliche

Kontrolle über private Daten auf eine massivere Art in Frage gestellt wird. Trotzdem

ist grundsätzlich zu bedenken, dass die Privatsphäre letztlich immer angreifbar ist,

nicht nur online. Auch private Informationen, die einem Gesprächspartner z.B. in der

eigenen Wohnung anvertraut werden, können missbraucht und an Dritte

weitergegeben werden.

4.4 Social Media contra Öffentlichkeit

Die potenzielle Öffentlichkeit scheint von manchen Journalisten und

Wissenschaftlern zum Anlass genommen zu werden, die Privatsphäre in den sozialen

Medien als abgeschafft zu betrachten. Die im zweiten Teil der Arbeit dargestellten

Positionen aus Massenmedien und Literatur zum Thema Privatheit legen eine solche

Vermutung jedenfalls nahe. Die technischen Möglichkeiten, die das Internet

allgemein bietet, werden als Ausschlusskriterien für die Privatsphäre interpretiert. Es

ist daher z.B. von einer „Entprivatisierung“230

oder der „Veröffentlichung des

Privaten“231

die Rede und schließlich sogar von einer Post-Privacy-Gesellschaft. Die

Privatsphäre wird zu einem vermeintlich überholten Konzept.

Diese Ansicht lässt sich jedoch sowohl theoretisch als auch empirisch aus mehreren

Gründen nicht halten.

Zunächst entsteht Öffentlichkeit nur dann, wenn sie sich von einer Nicht-

Öffentlichkeit abgrenzen kann. Aus systemtheoretischer Perspektive ist

Öffentlichkeit die Folge einer Grenzziehung, also einer Differenz. Und nur auf der

230

Schneider 2012: 92 231

Grimm/Zöllner 2012

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53

Außenseite dieser Grenze ist Öffentlichkeit. Gäbe es jedoch keine Privatheit mehr,

wäre auch der öffentliche Raum hinfällig. Die Antonyme öffentlich und privat

könnten gar nicht mehr angemessen verwendet werden. In der Diskussion um eine

Post-Privacy scheint es jedoch so, als könnte die vermeintlich verloren gegangene

Privatsphäre durch Öffentlichkeit ersetzt werden. Dies ist aus systemtheoretischer

Sicht jedoch nicht möglich.

In der wissenschaftlichen Auseinandersetzung um Privatheit und Öffentlichkeit im

Social Web wird außerdem oft davon gesprochen, dass die Grenzen zwischen beiden

Polen verschwimmen würden.232

Privates und Öffentliches seien im Fluss und

schwer voneinander zu trennen.233

Systemtheoretisch betrachtet lässt sich diese

Behauptung jedoch nicht halten, denn entweder lassen sich Personen als Adressaten

bestimmen oder nicht. Entweder hat der Nutzer Kontrolle darüber, wem er Zugang

zu persönlichen Informationen gewähren will oder nicht. Die beschriebenen

technischen Möglichkeiten des Internet, die zu potenziellen Risiken der Privatsphäre

führen können, beeinflussen diese grundsätzliche Unterscheidung nicht, auch wenn

die Privatheit im Internet vor neuen Herausforderungen steht. Öffentlichkeit und

Privatheit bleiben als konzeptuelle Gegensätze bestehen.

Der eine Pol dieses Gegensatzpaares, die Öffentlichkeit, bezeichnet in erster Linie

Unbestimmbarkeit: Jemand weiß sich beobachtet, kann jedoch keine Adressaten

bestimmen. Es können keine konkreten Personen identifiziert werden, sodass sich

keine gegenseitigen Erwartungen ausbilden können. Diese entstehen erst gegenüber

einer definierten Anzahl von bestimmbaren Interaktionsteilnehmern und schaffen

dann den notwendigen Rahmen für angemessenes Verhalten. Individuen brauchen

definierte Kontexte, um sinnvoll handeln zu können. Ansätze völliger Transparenz

nach dem Motto ‚Ich habe ja nichts zu verbergen‘, stehen dieser verhaltens-

notwendigen Funktion von abgesteckten Kontexten entgegen.234

Würde es sich in

den sozialen Medien also gänzlich um Öffentlichkeit handeln, wäre aus dieser

Perspektive nicht mit Interaktion, Selbstdarstellung und dadurch auch nicht mit

Räumen der Identitätsbildung zu rechnen.

Das Social Web ist jedoch gerade dadurch charakterisiert, dass es Interaktions-

beziehungen ermöglicht bzw. einfordert. Es gibt daher konkrete Adressaten, an die

sich der einzelne Nutzer wenden kann: Legt er sich z.B. ein Profil auf einer Social

232

s. Horst 2012: 40; Schneider 2012: 87; Rudlstorfer 2011: 33; Schmidt 2013: 121; boyd 2011: 51f. 233

s. boyd 2011: 51f. 234

vgl. boyd 2011: 50f.

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Network Site an, ist eine der ersten Maßnahmen das Erstellen von Kontaktlisten. Er

fügt dann aktiv andere Nutzer seiner Kontaktliste hinzu und kann diese selbst

kategorisieren. Damit ist ein erster Schritt hin zur Bestimmbarkeit des Kommunika-

tionskontextes gemacht, der durch zusätzliche Einstellungen weiter eingegrenzt

werden kann.

Deshalb ist auch die in den Massenmedien beispielhaft geäußerte Sorge, dass der

zukünftige Arbeitgeber private Inhalte des Bewerbers über Social-Network-Dienste

einsehen könnte, zunächst unbegründet, denn dieser gehört ja nicht zur Kontaktliste

des Bewerbers. Der potenzielle Arbeitgeber könnte lediglich über komplizierte und

eher unwahrscheinliche Umwege an das Profil des Bewerbers gelangen (z.B. durch

einen Bekannten des Personalchefs, der einen Freund hat, in dessen Freundesliste

sich der Bewerber befindet und der sein Profil dann dem Personaler zeigt o.ä.). Und

auch wenn der eigene Chef zur Freundesliste gehören würde, könnte er gezielt von

der Sichtbarkeit bestimmter Inhalte ausgeschlossen werden. Facebook beispielsweise

bietet dafür mittlerweile eine Reihe von Funktionen an. Die Nutzer können also

steuern, wem sie was mitteilen wollen. Es lässt sich daher nicht sagen, dass eine

Entprivatisierung eingesetzt habe oder das Private durch die sozialen Medien

generell öffentlich gemacht werde. Vielmehr gibt es gerade auf den viel beachteten

Social Network Sites Funktionen, die eine Eingrenzung der Interaktionskontexte

erlauben und damit die Kontrolle über den Adressatenkreis ermöglichen. Anders

ausgedrückt: Es gibt Einstellungen, mit denen Privatheit geschaffen werden kann.

Die Social Network Site Google+ z.B. ist so konzipiert, dass Informationen selektiv

geteilt und konsumiert werden können. Der Nutzer kann dafür individuelle Kreise

(Circles) einrichten, um seine verschiedenen Kontakte zu organisieren und gezielt

auszuwählen, wem er welche Informationen mitteilen möchte. Die Kreise können

nicht nur nach Beziehungsgrad der Kontakte gruppiert werden, sondern auch durch

ein bestimmtes Thema organisiert werden, das dann einen Rahmen für die

Kommunikation vorgibt (z.B. Kochen, Motorräder etc.).235

Google+ ermöglicht also sehr spezifische Einstellungen, die den Adressatenkreis

individuell bestimmbar machen. Auch Facebook bietet dem Nutzer die Funktion an,

selektive Unterlisten aus seiner Kontaktliste zu erstellen. Laut einer empirischen

Erhebung des Branchenverbands BITCOM (Oktober 2013) zur Nutzung sozialer

Online-Netzwerke in Deutschland hat sich allerdings gezeigt, dass nur 28% der

235

s. Kairam et al. 2012: 1065f.; 1072f.

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Social-Network-Nutzer „Listen oder Circles zur Eingrenzung der Sichtbarkeit von

Posts“236

verwenden. Hier ist jedoch zu beachten, dass es bei der zugehörigen Frage

im Rahmen der Studie nicht um die Nutzung von Kommunikationskanälen im Sinne

der Kontextbegrenzung ging, sondern generell um die Abfrage genutzter Funktionen

(wie z.B. auch das Nutzen von Social Games oder Apps). Möglicherweise liegt darin

ein Grund für den relativ geringen Prozentsatz. Allerdings zeichnet sich empirisch

auch ab, dass die Nutzer offenbar andere Wege bevorzugen, um für sich abgrenzbare

Kontexte zu bilden, z.B. über private Nachrichten, die Chat-Kommunikation oder

geschlossene Gruppen.237

Eingrenzende Faktoren sind für die Nutzer also wichtig. Die bereits zitierte BITCOM-

Studie bestätigt: 91% der Nutzer sozialer Online-Netzwerke ist es eher wichtig bis

sehr wichtig, die Sichtbarkeit ihrer Daten für bestimmte Personengruppen definieren

zu können. 87% der Nutzer legen z.B. Wert darauf, ihre Pinnwand nur für bestimmte

Personen verfügbar zu machen; eine deutliche Mehrheit äußerte außerdem, dass es

ihnen wichtig sei, ihr Profil als nicht auffindbar einstellen zu können (83%).238

Den

Nutzern geht es jedoch nicht nur darum, wer bestimmte Inhalte sehen darf. Sie haben

differenziertere Kriterien, nach denen sie die Empfänger auswählen. Neben den

Sorgen um die Privatsphäre geht es auch um die Relevanz des Inhalts (ist er

interessant?) und um soziale Normen.239

Der Aspekt der inhaltlichen Relevanz führt zu einem weiteren Argument gegen eine

aktiv beobachtende Öffentlichkeit in Social Media. Denn selbst bei einem als

‚öffentlich‘ eingestellten Twitter-Kanal oder Facebook-Profil ist gar nicht damit zu

rechnen, dass geteilte Inhalte ein allgemeines Interesse erregen. Die meisten solcher

Inhalte finden verhältnismäßig wenige Rezipienten und sind für die Massen

unattraktiv. Die Selbstdarstellung durchschnittlicher Nutzer besitzt für die

Öffentlichkeit nicht genug Relevanz, als dass eine breite Aufmerksamkeit erregt

werden könnte. Es herrscht eine Ungleichheit entsprechend dem Power Law (80-20-

Regel): Statistisch gesehen sind die meisten Knoten in einem Netzwerk nur mit

vergleichsweise wenigen anderen Knoten verbunden, während einige wenige

privilegierte Knoten, die so genannten Hubs, sehr stark vernetzt sind.240

Bezogen auf

Social Media bedeutet dies, dass es sehr unwahrscheinlich ist, dass ein

236

Berg 2013: 12 237

s. ebd.: 11 238

s. ebd.: 16 239

s. Kairam et al. 2012: 1073 240

s. Barabási 2011: 2ff.

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durchschnittliches Profil, das allgemein zugänglich ist, ein großes Publikum

außerhalb der Kontaktliste erreicht. Dies trifft nur auf einige wenige Profile zu.

Auch vor diesem Hintergrund kann deshalb nicht davon gesprochen werden, dass

sich viele Nutzer einer breiten Öffentlichkeit zur Schau stellen würden.

Darüber hinaus ist aus soziologischer Perspektive zu bedenken, dass die Nutzer umso

weniger persönliche oder gar intime Details von sich mitteilen werden, je

undifferenzierter der Kontext ist. Schließlich müssen sie dann unterschiedliche

Erwartungen für sich vereinbaren und sich möglichst für alle Rezipienten

angemessen verhalten. Dementsprechend gaben Nutzer, die ihre Profile öffentlich

zugänglich machten, in einer qualitativen Erhebung an, dass sie nichts

kommunizierten, was sie als heikel oder sehr privat verstehen würden.241

Die meisten Nutzer stellen Inhalte jedoch nicht öffentlich, sondern nur bestimmten

Freunden zur Verfügung.242

Verschiedene Studien haben in diesem Zusammenhang

gezeigt, dass das Bedürfnis nach Privatheit vorhanden ist. Die Nutzer sind besorgt

um ihre Privatsphäre und neigen dazu, ihre Profile stärker zu schützen, das heißt

entsprechende Privatsphäreeinstellungen vorzunehmen.243

Die bereits angeführte

BITCOM-Erhebung ergab, dass sich 82% aller Befragten mit den Privatsphäre-

Einstellungen ihres Accounts beschäftigen – bei den Jugendlichen und jungen

Erwachsenen zwischen 14 und 29 Jahren liegt dieser Wert sogar bei 90% – und

insgesamt großen Wert auf die Verwaltung ihrer persönlichen Daten legen244

. Die

Studie resümiert daher als Trend, dass die Nutzer „sehr bewusst mit ihrer

Privatsphäre um[gehen]“245

. Entgegen mancher Vermutungen, befassen sich gerade

auch die jüngeren Nutzer mit der Privatheitsthematik, Informationskontrolle und

Privatsphäre sind ihnen wichtig.246

Hier schließt sich die zentrale Frage an, die dem Privacy Paradox zu Grunde liegt:

Wie kommt es, dass die Nutzer ihrer Privatsphäre in Social Media so viel Beachtung

schenken und dennoch viel von sich preisgeben? Dies bleibt für die Vertreter des

Privacy Paradox ein ungelöstes Problem. Die Frage lässt sich jedoch beantworten,

wenn man sie aus einer funktionalen Perspektive betrachtet. Sowohl die Sorgen der

241

s. Lampinen et al. 2009: 9 242

s. Ellison et al. 2011: 25f. 243

s. z.B. Christofides et al. 2009: 341; Utz/Kramer 2009 244

s. Berg 2013: 15 245

ebd.: 17 246

s. dazu auch Christofides et al. 2009: 343; Dey et al. 2012: 7

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Nutzer um ihre Privatsphäre als auch ihr Selbstoffenbarungsverhalten im Social Web

lassen sich dann in einen kausalen Zusammenhang stellen.

Um diesen herzustellen, ist zunächst eine grundsätzliche Überlegung von Bedeutung:

Selbstoffenbarung und die Preisgabe persönlicher Informationen sind notwendige

Erfordernisse, damit Kommunikation überhaupt gelingen kann.247

Nur so ergeben

sich Anknüpfungspunkte und Möglichkeiten des Gesprächs. Nur so können

Beziehungen aufgebaut bzw. aufrechterhalten werden. Selbstoffenbarung ist die

Basis für das Entstehen einer Beziehung und für deren Pflege.248

So haben Lampe et

al. (2007) in ihrer Studie einen Zusammenhang zwischen der Informationspreisgabe

und der Größe des Netzwerks ausgemacht: Stellt ein Nutzer auf seinem Profil Inhalte

bereit, wirkt sich das positiv auf die Anzahl seiner Freunde aus.249

Dies ist keine

überraschende Erkenntnis, sondern entspricht dem Alltagsverständnis. Je mehr sich

ein Interaktionspartner öffnet und von sich erzählt, desto schneller kann Sympathie

entstehen und desto eher kann sich Vertrauen bilden, Beziehungen können sich

entwickeln.

Als Interaktionsplattformen erfordern die sozialen Medien daher Selbstdarstellung

und die Bereitschaft, etwas von sich preisgeben. Ein hohes Maß an Selbstdarstellung

lässt daher zunächst lediglich auf ein aktives Community-Mitglied schließen, dass in

regem Kontakt mit anderen steht. Daraus lässt sich jedoch kein unmittelbarer

Widerspruch zu den Sorgen um die Privatsphäre ableiten.

Im Zusammenhang der Diskussion um das Privacy Paradox gilt das Maß an

Selbstdarstellung jedoch als Indiz dafür, dass die Sorgen kaum Konsequenzen

zeitigen. Die Privatheitsthematik in Social Media lässt sich aber nicht darauf

reduzieren, wie viel die Nutzer von sich preisgeben. Vielmehr umfasst sie

verschiedene Aspekte, wie z.B. das Nutzen von Privatsphäre-Einstellungen und das

Verwalten der Kontaktliste; der Nutzer entscheidet, mit wem er sich befreunden will

und wen er als Adressaten auswählt. Mehrere Verhaltenskomponenten sind daher

relevant, wenn es um die Privatsphäre geht.250

Der Nutzer kann also durchaus viel von sich preisgeben, sich aber dennoch um seine

Privatsphäre sorgen und diese durch entsprechende Einstellungen schützen. Er kann

Inhalte beispielsweise nur für bestimmte Kontakte freigeben. So hat auch eine Studie

247

s. Blumberg et al. 2009: 18 248

s. Ellison et al. 2011: 23f. 249

s. Lampe et al. 2007: 442 250

s. Ellison et al. 2011: 20ff.

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unter studentischen Nutzern gezeigt, dass diese die Sichtbarkeit ihres Profils

anpassen, um ungewollte Rezipienten auszuschließen, nicht aber, dass sie die

preisgegebenen Informationen auf ihrem Profil beschränken.251

In dieser Hinsicht entfalten die Sorgen der Nutzer um ihre Privatsphäre gerade im

Zusammenspiel mit der eigenen Selbstdarstellung ihre Bedeutung. Die Einstellung

der Nutzer zeigt an, dass sie reflektiert mit ihren Daten umzugehen wissen. Sie teilen

viel von sich mit, tun dies aber im Rahmen abgegrenzter Kontexte, in denen sie

konkrete Adressaten identifizieren können.

4.5 Identitätsbildung im Social Web

Die vorangegangenen Ausführungen haben gezeigt, dass die Nutzer nicht wahllos

Daten von sich preisgeben, ohne zu beachten, für wen diese einsehbar sind.

Schlagworte wie „Selbstentäußerung“252

oder „Daten-Striptease“253

, die auf das

Verhalten der Nutzer insgesamt bezogen werden, sind daher normative Verall-

gemeinerungen, die theoretischen und empirischen Erkenntnissen widersprechen.

Im Gegensatz zur Selbstentäußerung ist die Selbstäußerung jedoch zentraler

Bestandteil der Interaktionsbeziehungen im Social Web und damit auch

Voraussetzung für die Identitätsbildung. Der Nutzer muss etwas von sich mitteilen,

um sich im sozialen Netzwerk seiner Freunde positionieren zu können. Die

verschiedenen Interaktionskontexte determinieren dabei sein Verhalten: Je nachdem,

an wen er sich wendet, wird er unterschiedliche Inhalte teilen und sich selbst

unterschiedlich präsentieren. Die verschiedenen Interaktionspartner formen durch

ihre Kommentare, Posts etc. je nach Kontext das Selbst des Nutzers und seine

Darstellung entscheidend mit.

Dabei können allerdings auch verschiedene Erwartungen eine Rolle spielen, denn je

nach Kommunikationskontext werden möglicherweise andere Aspekte einer Person

wichtig und relevant. In der Interaktion mit Familienangehörigen z.B. bestehen

andere Erwartungen an das Verhalten als in einer Interaktion mit Studienkollegen.

Bei dem Wechsel zwischen den verschiedenen Kontexten innerhalb von Social

251

s. Tufekci 2008: 31 252

Angela Gatterburg, spiegel.de, 21.4.2009 253

o.A., computerwoche.de, 23.1.2008; Rudlstorfer 2011

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Media kann es deshalb zu Widersprüchen kommen.254

Es ist daher die Aufgabe des

Nutzers, die unterschiedlichen Erwartungen angemessen zu bewältigen, sodass seine

selektiven Selbstdarstellungen nicht in Konflikt geraten. Das ist nötig, um

handlungsfähig zu sein – in den Social Media und generell in einer differenzierten

Gesellschaft. Auch in der Offline-Welt kommen je nach Kontext und Situation

notwendigerweise selektive Selbstdarstellungen zum Zuge. Es werden

unterschiedliche Bereiche des Selbst präsentiert, die vereinbar gemacht werden

müssen.255

Die Beziehungen in Social Media sind also entscheidend, wenn es um die

Identitätsbildung geht. Sie beeinflussen wechselseitig Verhalten, Sichtweise und

Reaktionen. In einer Studie zum Verhalten von neuen Mitgliedern auf Facebook hat

sich dementsprechend gezeigt, dass sich diese an ihren Freunden orientieren: Je mehr

Inhalte die Freunde liefern, desto mehr tun die Neuen das auch. Ihr Selbst-

offenbarungsverhalten richtet sich nach dem ihrer Freunde; sie versuchen, die

Erwartungen der anderen zu erfüllen und sich dem anzupassen, was üblich ist. Über

Feedback erfahren sie, was erwartet wird und wie sie sich weiter angemessen

verhalten können. Positives Feedback ist in diesem Zusammenhang ein

Motivationsfaktor, bisheriges Verhalten fortzusetzen bzw. mehr Inhalte zu teilen.

Der Aspekt des sozialen Lernens (Social Learning) spielt demzufolge eine wichtige

Rolle bei der Selbstpräsentation der Nutzer.256

Feedback entscheidet demnach zu einem großen Teil über zukünftiges Verhalten. So

wird im Prozess der persönlichen Kommunikation fortlaufend zurückgemeldet, wie

das eigene Selbst wahrgenommen wird und ankommt bzw. welche Erwartungen sich

im Laufe der Zeit herausgebildet haben. Daran kann sich die Selbstdarstellung

orientieren. Erscheint der Nutzer durch seine Selbstpräsentation als Person

vertrauenswürdig, können sich reflexive Erwartungsstrukturen zu persönlichem

Vertrauen ausweiten. Dadurch erweitert sich das Handlungspotenzial auf beiden

Seiten der Interaktionsbeziehung.

Die Besonderheit der sozialen Medien besteht nun darin, dass sie vielfältige und

einfache Möglichkeiten der Rückmeldung bieten, die immer wieder abgerufen

werden können. Der Like-Button ist sicher eines der populärsten Beispiele dafür. Sie

sorgen für immer neue Kommunikationsanlässe (beispielsweise durch den Newsfeed

254

vgl. White 2008: 10 255

s. Beher et al.: 299ff. 256

s. Burke et al. 2009: 945, 951f.

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bei Facebook) und erhöhen damit auch das Feedback-Potenzial in Bezug auf die

eigene Selbstdarstellung. So bilden sie einen geeigneten Raum, in dem Identität sich

äußern und entfalten kann. Da der Nutzer meist über eine große Zahl an Kontakten

verfügt, gibt es viele andere Teilnehmer, die sein Verhalten spiegeln können. Je mehr

der Nutzer sich öffnet und etwas von sich preisgibt, desto mehr Möglichkeiten der

Rückmeldung durch andere Teilnehmer ergeben sich wiederum.257

Identitätsbildung ist in diesem Sinne ein kontinuierlicher und wechselseitiger

Prozess, der nie abgeschlossen ist.258

Stattdessen erweitert sich das Selbst durch die

Beziehungen ständig. In diesem Zusammenhang ist auch zu erwähnen, dass Social

Media neue Kontexte schaffen können, in denen bestimmte Aspekte bzw. Vorlieben

des Nutzers zum Zuge kommen, die im Offline-Leben evtl. verborgen bleiben

würden, z.B. durch die Mitgliedschaft in bestimmten Gruppen, die ein bestimmtes

Thema für die Interaktion vorgeben. Sie erweitern dadurch das Spektrum der

identitätsstiftenden Beziehungen und können ungekannte Vorlieben des Nutzers zum

Vorschein bringen.259 Anders herum können, wie bereits weiter oben erwähnt, äußere

Merkmale des Nutzers, wie Aussehen oder Mimik und Gestik, irrelevant werden und

dadurch andere Aspekte der Identität in den Vordergrund rücken.

Insgesamt lässt sich feststellen, dass Social Media für eine ausgeprägte Sichtbarkeit

verschiedener Identitäten sorgen. Dem Nutzer stehen verschiedene sprach- und

bildbasierte Kommunikationsformen zur Verfügung, die eine vielfältige Selbst-

darstellung

ermöglichen und diese vereinfachen. Die Plattformen der sozialen

Medien werden damit zum Schauplatz der Identitätsbildung: Sie bieten einen

Rahmen, in dem das Selbst stark visualisiert hervortritt und erfahrbar wird. Durch die

Persistenz der Kommunikation kann der Nutzer die verschiedenen Interaktions-

geschichten außerdem immer wieder abrufen und für sich selbst reflektieren. Er kann

sie im Nachhinein nachvollziehen und seine unterschiedlichen Identitäten betrachten,

die darin sichtbar werden.260

Der Persistenzcharakter der sozialen Medien ist daher

gerade für die Identitätsbildung von Bedeutung und macht sie in dieser Hinsicht, im

Unterschied zur flüchtigen mündlichen Kommunikation, zu etwas Besonderem.

257

vgl. Münker 2009: 76 258

vgl. White 2008: 4f. 259

vgl. Ewig 2011: 297 260

s. 4. Identitätsdimension nach White

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5. Schlussbetrachtung und Fazit

Ziel der vorliegenden Arbeit war es, Selbstdarstellung und Privatheit im Social Web

aus einer funktionalen Perspektive zu beleuchten. Dazu wurde die Selbstpräsentation

der Nutzer im Hinblick auf ihre identitätsstiftende Funktion analysiert und die

Bedeutung der Privatsphäre in diesem Zusammenhang dargestellt. Die verwendete

Theorie bot einen geeigneten Zugang für diese Herangehensweise. Allerdings hat

sich gezeigt, dass die Terminologien Harrison C. Whites zum Teil etwas unscharf

sind, sodass sich der Anwendungsteil überwiegend auf die systemtheoretisch

hergeleiteten Begriffe stützt, auch wenn die Überlegungen Whites mit eingeflossen

sind.

Durch die funktionale Betrachtungsweise konnte herausgearbeitet werden, dass die

Interaktionsbeziehungen im Social Web Selbstdarstellung erfordern und dass sich

durch den Austausch mit anderen vielfältige Möglichkeiten für die Arbeit an der

eigenen Identität ergeben. Ansichten, Eigenschaften und Verhaltensweisen, die in der

Interaktion entstehen, tragen als einzelne Facetten zur Identitätsbildung bei.

In Bezug auf die Privatsphäre hat sich gezeigt, dass Social Media Privatheit

ermöglichen – sie bieten verschiedene Funktionen an, um den Empfängerkreis

festzulegen und zu kontrollieren – bzw. in gewisser Hinsicht sogar einfordern. Denn

die Nutzer müssen ihre Adressaten bestimmen können (und tun dies auch), um sich

angemessen zu präsentieren; nur in konkreten Kommunikationskontexten können

auch konkrete Erwartungen entstehen, die das Verhalten steuern. Privatheit in diesem

Sinne ist notwendig für die Identitätsbildung der Nutzer.

Trotz der Herausforderungen im Umgang mit der Privatsphäre, die sich aufgrund der

Eigenschaften netzbasierter Kommunikation ergeben, hat das Konzept der Privatheit

daher auch im Social Web Bestand. Je nach Situation können und müssen die

Grenzen der Privatsphäre ausgehandelt werden. Dementsprechend konnten die

Überlegungen der Post-Privacy-Anhänger entkräftet werden – Privatsphäre wird es

auch weiterhin geben. Schließlich konnte auch das Privacy Paradox aufgelöst

werden: Selbstdarstellung und Privatsphäre-Sorgen der Nutzer stehen nicht im

Widerspruch zueinander, sondern sind als zwei wichtige Aspekte der

Identitätsbildung anzusehen.

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Insgesamt kann daher festgehalten werden, dass Social Media einen produktiven

Rahmen für die Identitätsbildung anbieten. Sie befriedigen das grundsätzliche

Bedürfnis nach Selbstäußerung, indem sie verschiedene Räume für Selbstmitteilung

sowie Möglichkeiten des unmittelbaren Feedbacks bereitstellen. Dadurch werden sie

zu Plattformen für die Arbeit am Selbst. Die Diskussion um Selbstdarstellung und

Privatheit im Social Web lässt sich damit von der normativen Sichtweise, wie sie in

Massenmedien und Literatur zu finden ist, lösen. Die funktionale Perspektive erlaubt

es stattdessen, das Potenzial zu erkennen, über das Social Media im Zusammenhang

der Identitätsbildung verfügen. Sie stellen einen zentralen Ort für die

Auseinandersetzung mit anderen und dem eigenen Selbst dar, der ganz einfach und

ständig zugänglich ist.

Für weiterführende Arbeiten wäre es in Bezug auf den Themenkomplex

Identitätsbildung und Privatheit interessant, den Fokus speziell auf die Digital

Natives zu legen und zu erforschen, wie sie mit dem Mix unterschiedlicher Social-

Media-Formate umgehen und für sich Kontexte abgrenzen. Empirische

Untersuchungen könnten der Frage nachgehen, wie sie die vielfältigen Kommunika-

tionsangebote und -kanäle handhaben und was sich daraus für den Umgang mit der

Privatsphäre ableiten lässt. Im Themenfeld der Identitätsbildung könnte es außerdem

grundsätzlich von Interesse sein zu analysieren, inwiefern sich der Umgang mit dem

Selbst durch die Verwendung von Social Media im Laufe der Zeit verändert hat.

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Eidesstattliche Erklärung

Hiermit erkläre ich, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig sowie ohne

unerlaubte fremde Hilfe und ausschließlich unter Verwendung der aufgeführten

Quellen und Hilfsmittel angefertigt habe.

Berlin, 31.7.2014 Tabea Canham