7
1 3 SCHWERPUNKTTHEMA Online publiziert: 23. Januar 2014 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 Ausbaupfade der Energiewende – Stromversorgung aus Erneuerbaren Energien Berit Müller · Caroline Möller · Elisa Gaudchau uwf (2014) 22:29–35 DOI 10.1007/s00550-014-0306-7 Gegenstand wissenschaftlicher und gesellschaftspolitischer Debatten und zahlreicher Studien. Ein wichtiger Diskus- sionspunkt bezüglich der Stromversorgung bzw. Strom- erzeugung aus Erneuerbaren Energien ist „zentraler versus dezentraler Ausbau“. Zentral meint dabei einen Ausbau, der sich räumlich auf die Regionen mit höheren Stromerträgen bezogen auf die installierte Leistung konzentriert, während dezentral für eine Verteilung der Erzeugungsanlagen über alle Regionen steht. Der zentrale Ausbau ist in großem Maße vom Ausbau des Transportnetzes abhängig und führt unter Umständen zu einer verstärkten Diskrepanz der wirtschaft- lichen Entwicklung zwischen den Regionen. Als Argumente gegen den dezentralen Ausbau werden höhere Kosten auf Grund der standortbedingten geringeren Stromerzeugung angeführt Als Beitrag zu dieser Diskussion haben der Bun- desverband Mittelständische Wirtschaft, die Haleakala Stif- tung und die 100 % erneuerbar Stiftung vom Reiner Lemoine Institut (RLI) eine Studie erstellen lassen, die einem zentral orientierten Ausbaupfad für eine Stromversorgung aus EE bis 2040 einen dezentral orientierten Ausbaupfad gegen- überstellt. Im vorliegenden Artikel werden Methodik und Ergebnisse der Studie vorgestellt sowie die Annahmen bzw. Implikationen für einen Energiewendepfad diskutiert. Der innerhalb der Studie festgelegte Ausbauverlauf des Anteils EE an der Stromversorgung ist Tab. 1 zu entnehmen. Dem Ausbau liegen die Ziele der Bundesregierung, eine 80 bis 95 %ige Reduktion der Treibhausgasemissionen (THG-Emissionen) bis 2050, zu Grunde. Da eine Reduktion der Treibhausgasemissionen in den Sektoren Wärme und Mobilität sowie im Bereich des nicht energetischen Ursprungs sehr viel schwieriger und deshalb langwieriger zu erreichen ist als im Stromsektor, sind in diesem Bereich beschleunigte Transformationsprozesse anzuregen. Die Forderung ergibt sich in verschärftem Maße auch aus der zweiten Zielsetzung der Bundesregierung, die Erhöhung der Ziel der Energiewende ist eine Energieversorgung mit Erneu- erbaren Energien (EE). Bei der Auseinandersetzung mit der Umsetzbarkeit der Energiewende wird deutlich, dass dies nicht ohne eine tiefgreifende Umgestaltung der bestehenden Systeme machbar ist. Das gilt für den Mobilitäts-, den Wärme- und auch den Stromsektor. Im Stromsektor ist beispielsweise festzustellen, dass alte Erzeugungsanlagen auf Grund tech- nischer und wirtschaftlicher Parameter bremsend auf den Ausbau und die Wirkung von Stromerzeugungsanlagen auf Basis Erneuerbarer Energien wirken können (vgl. Oeding und Oswald 2004; Jasim und Kunz 2013). Auch die Netzstruktu- ren, die zur Stromversorgung aus Großkraftwerken entwickelt wurden, sind, wie schon die VDE-Studie von 2007 (Energie- technische Gesellschaft im VDE 2007) beschreibt, nicht direkt kompatibel mit einer Versorgung aus Erneuerbaren Energien über sogenannte dezentral einspeisende Flächenkraftwerke. In welcher Geschwindigkeit, zu welchen Kosten, mit welchen Technologien und an welchen Standorten dieser Umbau der Energieversorgung von statten gehen soll, ist B. Müller () · C. Möller · E. Gaudchau Optimierte Energiesysteme, Reiner Lemoine Institut gGmbH, Ostendstr. 25, 12459 Berlin, Deutschland E-Mail: [email protected] Berit Müller Elisa Gaudchau Caroline Möller

Ausbaupfade der Energiewende – Stromversorgung aus Erneuerbaren Energien

  • Upload
    elisa

  • View
    214

  • Download
    2

Embed Size (px)

Citation preview

1 3

Schwerpunktthema

Online publiziert: 23. Januar 2014© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

Ausbaupfade der Energiewende – Stromversorgung aus Erneuerbaren Energien

Berit Müller · Caroline Möller · Elisa Gaudchau

uwf (2014) 22:29–35DOI 10.1007/s00550-014-0306-7

Gegenstand wissenschaftlicher und gesellschaftspolitischer Debatten und zahlreicher Studien. Ein wichtiger Diskus-sionspunkt bezüglich der Stromversorgung bzw. Strom-erzeugung aus Erneuerbaren Energien ist „zentraler versus dezentraler Ausbau“. Zentral meint dabei einen Ausbau, der sich räumlich auf die Regionen mit höheren Stromerträgen bezogen auf die installierte Leistung konzentriert, während dezentral für eine Verteilung der Erzeugungsanlagen über alle Regionen steht. Der zentrale Ausbau ist in großem Maße vom Ausbau des Transportnetzes abhängig und führt unter Umständen zu einer verstärkten Diskrepanz der wirtschaft-lichen Entwicklung zwischen den Regionen. Als Argumente gegen den dezentralen Ausbau werden höhere Kosten auf Grund der standortbedingten geringeren Stromerzeugung angeführt Als Beitrag zu dieser Diskussion haben der Bun-desverband Mittelständische Wirtschaft, die Haleakala Stif-tung und die 100 % erneuerbar Stiftung vom Reiner Lemoine Institut (RLI) eine Studie erstellen lassen, die einem zentral orientierten Ausbaupfad für eine Stromversorgung aus EE bis 2040 einen dezentral orientierten Ausbaupfad gegen-überstellt. Im vorliegenden Artikel werden Methodik und Ergebnisse der Studie vorgestellt sowie die Annahmen bzw. Implikationen für einen Energiewendepfad diskutiert.

Der innerhalb der Studie festgelegte Ausbauverlauf des Anteils EE an der Stromversorgung ist Tab. 1 zu entnehmen.

Dem Ausbau liegen die Ziele der Bundesregierung, eine 80 bis 95 %ige Reduktion der Treibhausgasemissionen (THG-Emissionen) bis 2050, zu Grunde. Da eine Reduktion der Treibhausgasemissionen in den Sektoren Wärme und Mobilität sowie im Bereich des nicht energetischen Ursprungs sehr viel schwieriger und deshalb langwieriger zu erreichen ist als im Stromsektor, sind in diesem Bereich beschleunigte Transformationsprozesse anzuregen. Die Forderung ergibt sich in verschärftem Maße auch aus der zweiten Zielsetzung der Bundesregierung, die Erhöhung der

Ziel der Energiewende ist eine Energieversorgung mit Erneu-erbaren Energien (EE). Bei der Auseinandersetzung mit der Umsetzbarkeit der Energiewende wird deutlich, dass dies nicht ohne eine tiefgreifende Umgestaltung der bestehenden Systeme machbar ist. Das gilt für den Mobilitäts-, den Wärme- und auch den Stromsektor. Im Stromsektor ist beispielsweise festzustellen, dass alte Erzeugungsanlagen auf Grund tech-nischer und wirtschaftlicher Parameter bremsend auf den Ausbau und die Wirkung von Stromerzeugungsanlagen auf Basis Erneuerbarer Energien wirken können (vgl. Oeding und Oswald 2004; Jasim und Kunz 2013). Auch die Netzstruktu-ren, die zur Stromversorgung aus Großkraftwerken entwickelt wurden, sind, wie schon die VDE-Studie von 2007 (Energie-technische Gesellschaft im VDE 2007) beschreibt, nicht direkt kompatibel mit einer Versorgung aus Erneuerbaren Energien über sogenannte dezentral einspeisende Flächenkraftwerke.

In welcher Geschwindigkeit, zu welchen Kosten, mit welchen Technologien und an welchen Standorten dieser Umbau der Energieversorgung von statten gehen soll, ist

B. Müller () · C. Möller · E. GaudchauOptimierte Energiesysteme, Reiner Lemoine Institut gGmbH,Ostendstr. 25, 12459 Berlin, DeutschlandE-Mail: [email protected]

Berit Müller Elisa GaudchauCaroline Möller

30

1 3

B. Müller et al.

Durchschnittstemperatur auf 2 K zu begrenzen. Laut dem Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung für Globale Umweltveränderungen ist bei heutigem (2013/2014) Über-gang von immer noch ansteigenden Emissionen zur Minde-rung von THG eine weltweite Minderungsrate von jährlich ca. 5 % notwendig, um dieses Ziel zu erreichen (WBGU 2009). Bei einer weiteren (jedoch abflachenden) Steige-rung der Emissionen und Erreichen des Wendepunktes erst in 2020 müsste eine Degressionsrate von jährlich 9 % und bereits 2040 eine vollständige CO2-Neutralität erreicht wer-den. Auch Quaschning zufolge gilt: „Für eine nachhaltige Energiepolitik müssen die Kohlendioxidemissionen bis 2040 auf null zurückgefahren werden.“ (Quaschning 2013).

1 Methodisches Vorgehen

Die Untersuchung wurde mittels eines dynamischen Simu-lationsmodells, basierend auf einem Optimierungsansatz, durchgeführt, das mit einer stündlichen Auflösung von Last

und Erzeugung arbeitet und je Simulationsdurchlauf ein ganzes Jahr betrachtet. Verschiedene Szenarien mit sich ändernden Randbedingungen wurden hinsichtlich zentraler und dezentraler Energieversorgung analysiert. Sie wurden in Schritten von jeweils 5 Jahren simuliert. Für einen Ent-wicklungspfad vom aktuellen Beitrag der Erneuerbaren Energien von rund 25 % zur Stromversorgung bis zu einem Anteil von nahezu 100 % wurden räumlich aufgelöst die zu installierenden Leistungen und der stündliche Einsatz aller Erzeugungs- und Speichertechnologien sowie des Trans-portnetzes hinsichtlich minimaler jährlicher Kosten ermit-telt. Im Folgenden wird dieser Kostenblock entsprechend der Studie als jährliche Gesamtsystemkosten beschrieben. Die Optimierung erfolgt dabei aus volkswirtschaftlicher Perspektive, so dass aktuell geltende Subventionen die optimale Lösung nicht beeinflussen. Abbildung 1 zeigt die berücksichtigten Komponenten.

Bei Windenergie wurde zwischen Onshore- und Off-shoreanlagen unterschieden, bei Photovoltaik (PV)-An-lagen zwischen Dach- und Freiflächenanlagen. Die Größe von Anlagen für den PV-Eigenverbrauch wurde in einer vorangestellten Simulation aus Endkundensicht optimiert. Das heißt die Größe der PV-Eigenverbrauchsanlage für Haushalte wurde unter Berücksichtigung des Haushalts-strompreises bei Netzbezug auf minimale Stromkosten für den Haushalt ausgelegt. Die Komponenten des PV-Eigen-

Abb. 1 Überblick der im Modell verwendeten Komponenten; grau dargestellt sind die Komponenten für den PV-Eigenverbrauch, der in einer externen Berechnung berücksichtigt wurde

Tab. 1 Simulationsvorgabe zur Entwicklung der Anteile Erneuerbarer Energien an der Stromversorgung2012 2015 2020 2025 2030 2035 204022 % 35–37 % 55–57 % 70–72 % 82–84 % 90–92 % 98–99 %

31

1 3

Ausbaupfade der Energiewende – Stromversorgung aus Erneuerbaren Energien

Szenarien in den verschiedenen Simulationsjahren bestimmt. Die Verteilnetzebene wurde nicht in der Simulation berück-sichtigt. Die Kosten für die untergelagerten Netzebenen wurden jedoch entsprechend der gegenwärtigen Ausgaben2 in die Berechnung der Gesamtsystemkosten einbezogen.

Ein entscheidender Punkt für die Optimierung auf mini-male Gesamtsystemkosten sind die technologiespezifischen Annahmen zu Kostenentwicklungen und Wirkungsgraden. Für die hier beschriebene Simulation sind diese ausführlich in der über den BVMW erhältlichen vollständigen Studie des RLI aufgeführt und mit Quellenangaben versehen. Beispiel-haft zeigt Abb. 3 den angenommenen Verlauf für die Ent-wicklung der Investitionskosten für Windenergieanlagen.

Kosten einer Technologie finden Berücksichtigung in Form von Investitionskosten als verbrauchsunabhängige feste jährliche Abschreibungen für die Lebensdauer der Anlagen, fixe Betriebskosten, wie Personal, Instandhal-tung und Wartung sowie variable Betriebskosten, die im Wesentlichen die Brennstoffkosten und den durch Betrieb vermehrten Wartungsaufwand beinhalten. Bezüglich der Windkraftanlagen wurde weiterhin eine begrenzte Pro-duktionskapazität berücksichtigt, die im Laufe der Jahre ansteigt.

Die Kernszenarien, die im Rahmen dieser Studie unter-sucht wurden und auf die sich der vorliegende Artikel bezieht, sind das „Szenario Dezentral“ und das „Szenario Zentral“. Sie unterscheiden sich durch die vorgegebenen Randbedingungen bezüglich der Standorte.

2 Zur Bestimmung der jährlichen Kosten wird der von Stürmer ange-führte Wiederbeschaffungswert des Gesamtnetzes von 188 Mrd. € (Stürmer 2002) herangezogen. Mit der Annahme von 1 % für die Betriebskosten werden diese zu 1,88 Mrd. €/a abgeschätzt. Nach Jür-gens stellt der Betrieb neben Instandhaltung und Overhead ca. 1/3 der operativen Nebenkosten dar (Jürgens 2007), womit sich diese zu 5,64 Mrd. €/a ergeben. Zuzüglich der jährlichen Investitionen, die laut Bühler für 2011 mit 3,5 Mrd./€/a abgeschätzt wurden (Bühler 2013), ergibt sich ein jährlicher Aufwand für das Netz von 9,14 Mrd. €.

verbrauchs sind in der Abbildung grau dargestellt. Bio-masse kann im Modell je nach Substrateigenschaften in thermischen Kraftwerken oder in Biogasanlagen eingesetzt werden. Weiter wurde bei den erneuerbaren Energiequellen die Wasserkraft berücksichtigt, während die Stromerzeu-gung aus geothermischen Quellen vernachlässigt wurde. Zur Stromspeicherung sind im Modell drei Möglichkeiten vorgesehen: Pumpspeicher, Batteriespeicher und die Mög-lichkeit, das Gasnetz über Elektrolyse und Methanisierung1 als Speicher zu nutzen. Der Einsatz von Strom aus fossilen Quellen wird in Form von Steinkohle-, Braunkohle- und Erdgaskraftwerken berücksichtigt.

Das Modell Deutschlands, das der Simulation zu Grunde liegt, besteht aus 14 Regionen, die sich, wie in Abb. 2 ersichtlich, im Wesentlichen an den Bundesländergrenzen orientieren. Dabei findet das Transportnetz vereinfacht Berücksichtigung, indem die vorhandenen (2012) und in Bau befindlichen Übertragungskapazitäten zwischen den Regionen zu jeweils einer Verbindung aufsummiert wurden.

Für die so definierten Leitungen zwischen den Regionen wurden im Rahmen der Optimierung der Gesamtsystemkos-ten jeweils die zusätzlich benötigten Kapazitäten der beiden

1 Häufig werden in diesem Zusammenhang Elektrolyse und Methani-sierung mit dem Begriff Power to Gas zusammengefasst.

Abb. 3 Der Simulation zu Grunde liegende Annahmen zu Investi-tionskosten Für Windenergieanlagen

Abb. 2 Betrachtete Regionen Deutschlands und berücksichtigte Über-tragungskapazitäten zwischen den Regionen im Startzustand in GW

32

1 3

B. Müller et al.

verschiedenen Technologien und auf die Gesamtkosten. Die Technologie mit der höchsten installierten Leistung ist die Windenergie (onshore) mit ca. 148 GW gefolgt von der Photovoltaik mit ca.140 GW (davon gut 22 GW Eigen-verbrauchsanlagen). In den ersten Jahren konnte ein deut-licher Einfluss der begrenzten Produktionskapazitäten der Windenergieanlagen auf deren Ausbau festgestellt werden. Die Kostenunterschiede zwischen den beiden Szenarien lie-gen, trotz der Unterschiede in der regionalen Verteilung der Technologien, nur zwischen 0,2 % und 1,2 % der Gesamt-systemkosten. Diese, wenn auch sehr geringen, Mehrkosten des Szenarios Dezentral gegenüber dem Szenario Zentral kommen zustande, weil die geringfügig höheren Kosten des Szenarios „Zentral“ im Bereich der Speicher und des Transportnetzausbaus die etwas höheren Kosten im Bereich der Wind- und PV-Anlagen im Szenario „Dezentral“ nicht vollständig aufwiegen. Für 2040, das letzte Simulationsjahr (mit einer fast 100 %igen Versorgung aus EE), zeigt Abb. 4 die Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien der einzel-nen Regionen, den Anteil am Endenergieverbrauch Strom (EEVS) der sich daraus ergibt sowie die anteiligen Beiträge der einzelnen Technologien je Region.

Bei bleibendem Schwerpunkt des Windenergieausbaus im Norden und der PV-Anlagen im Süden ist doch ein deut-licher Unterschied der Verteilung zwischen den Szenarien erkennbar. Stellt man die Ausbauziele der Bundesländer für 2020 noch daneben (siehe Abb. 5), wird deutlich, dass mit dem Ausbau der Biomasse in der Studie sehr verhalten umgegangen wurde. Zudem zeigt sich, dass die Politik in den meisten Bundesländern ein ausgewogeneres Verhältnis zwischen Wind- und Sonnenenergie favorisiert, als es sich durch einen zentral orientierten Ausbau ergeben würde.

Die Optimierung des Eigenverbrauchs ergab bei der Annahme eines Haushaltsstrompreises von 28 Cent/kWh im Simulationsjahr 2020 einen Anteil der Eigenstromerzeu-

● Im Szenario Zentral werden die Kapazitäten und die Standorte der Kraftwerke anhand der regional niedrigs-ten Gesamtsystemkosten optimiert. Vorgegeben wird lediglich der Anteil Erneuerbarer Energie an der Strom-versorgung in Deutschland sowie Potentialgrenzen für die einzelnen Technologien.

● Im Szenario Dezentral wird für die Simulation der kos-tenoptimalen Verteilung zusätzlich zur Vorgabe des Anteils Erneuerbarer Energie in Deutschland ein stetiger Ausbau in den Regionen vorgegeben. Dazu wird zum einen der Mindestanteil der EE an der Stromerzeugung in den Regionen in Höhe von 2/3 des deutschlandweit vorausgesetzten Anteils vorgegeben. Zusätzlich werden 60 % des für das entsprechende Jahr ermittelten Zubaus von PV und Windenergie aus dem Szenario Zentral als Mindestzubau auch im Szenario Dezentral vorgegeben und auf die Regionen verteilt. Dabei wurden folgende Verteilungsschlüssel entsprechend des Bevölkerungs-anteils und des Flächenanteils der Regionen an ganz Deutschland angewendet: Photovoltaik wurde mit 2/3 nach Bevölkerung und 1/3 nach Landesfläche gewichtet. Dies entspricht auch den angenommenen Anteilen von Dach- und Freiflächenanlagen. Für Windenergieanlagen gilt das Verhältnis in umgekehrter Weise (2/3 Landes-fläche, 1/3 Bevölkerung). Der verbleibende Zubau, der notwendig ist, um alle Nebenbedingungen einzuhalten, wird vom Programm optimiert.

2 Ergebnisse

Bei einer Stromversorgung aus fast 100 % Erneuerbaren Energien ergeben sich kaum Unterschiede zwischen dem zentralen und dem dezentralen Szenario, bezogen auf die gesamte in Deutschland zu installierenden Leistung der

Abb. 4 Stromerzeugung aus Er-neuerbaren Energien (EE), deren Verhältnis zum Endenergiever-brauch Strom (EEVS) und der an-teilige Beitrag der Technologien je Region für das Simulationsjahr 2040 in den Szenarien Zentral (links) und Dezentral (rechts)

33

1 3

Ausbaupfade der Energiewende – Stromversorgung aus Erneuerbaren Energien

wurden, liegt der sich ergebende Beitrag zur Stromversor-gung von ca. 21 TWh ab 2020 eher an der unteren Grenze eines realistischen Wertes.

Die Kostenentwicklung des Szenarios Dezentral ist in Abb. 6 für alle Simulationsjahre als Summe über alle Regio-nen dargestellt. Für das Szenario Zentral stellt sich das, wie oben schon erläutert, sehr vergleichbar dar, da die existie-renden regionalen Unterschiede für die Summe keine Rolle spielen.

Unter den getroffenen Annahmen, die im Wesentlichen die Kraftwerksebene mit dem Transportnetz spiegeln, ist eine Steigerung des Anteils Erneuerbarer Energien an der Stromversorgung von 35 % (2015) auf nahezu 100 % (2040) mit einer Steigerung der jährlichen Gesamtkosten über den gesamten Zeitraum um gut 4 Mrd. € zu bewerkstelligen. Das bedeutet eine Kostensteigerung von 2015 bis 2040 um ca. 8 %, entsprechend einem Eurocent je kWh. Für 2035 ist ent-gegen dem Gesamttrend ein Rückgang der Gesamtkosten zu erkennen. Das ist bedingt durch das Ende der Lebensdauer der bis 2010 installierten EE-Anlagen, die durch erheblich günstigere Anlagen ersetzt werden.

Der starke Rückgang des Anteils fossiler Brennstoffe an den Gesamtkosten mindert außerdem das Risiko stark stei-gender Brennstoffkosten in der Zukunft und trägt zusätzlich zur Vermeidung CO2-bedingter externer Kosten bei.

In Abb. 7 ist der Rückgang des Beitrags der fossilen Energieträger zur Stromversorgung in Form von Jahresdau-erlinien des thermischen Kraftwerksparks für alle Simula-tionsjahre verdeutlicht.

Daran ist erkennbar, wie wichtig ein Blick auf Szenarien zukünftiger Stromversorgung ist, um die Entscheidung für zu installierende Kraftwerkstechnologien zu treffen. Ohne Blick in die Zukunft führt eine Optimierung im Jahr 2020 noch zu einer Erneuerung von Kohlekraftwerken. Die hohen

gung von 60 % am Gesamtbedarf der Haushalte. Dabei werden zwischen 80 und 85 % des erzeugten Stroms selbst verbraucht, der Rest ohne Annahme einer Vergütung ein-gespeist. Bei einem Haushaltsstrompreis von 23 Cent/kWh, der für das Jahr 2015 angenommen wurde, stellen sich für diesen Zeitpunkt nur sehr viel kleinere Anlagen ohne Speicher für den Privathaushalt als wirtschaftlich attraktiv dar. Da nur 20 % der Haushalte und kein Gewerbe bei der Berechnung der Eigenverbrauchsanlagen berücksichtigt

Abb. 7 Entwicklung der Jahresdauerlinie aller fossilen Kraftwerke in den einzelnen Simulationsjahren

Abb. 6 Zusammensetzung der jährlichen Gesamtkosten in den einzel-nen Simulationsjahren

Abb. 5 Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien (EE), deren Verhältnis zum Endenergieverbrauch Strom (EEVS) und der anteili-ge Beitrag der Technologien je Region für 2020 gemäß der Ziele der Bundesländer

34

1 3

B. Müller et al.

4 Ausblick

Ziel der oben diskutierten Studie war der Vergleich eines zentral orientierten Ausbaus mit einem dezentralen Ansatz bei der Installation von PV- und Windenergieanlagen. Für eine genaue Betrachtung des Gesamtausbaubedarfs greift auf Grund der Wechselwirkungen zwischen Strom- und Wärme-sektor die reine Betrachtung des Stromsektors zu kurz. Das Fraunhofer Institut für Solare Energiesysteme hat in einer Studie von November 2012 (Henning und Palzer 2012) sowie mit einer Erweiterung ihres RemOD Modells (BINE 2013) erst den Wärme- und dann den Mobilitätssektor in die Optimierung integriert und konnte damit robustere Aussagen für den Gesamtbedarf an installierten Leistungen treffen. Allerdings wird in dieser Optimierung nicht zwischen ver-schiedenen Regionen in Deutschland differenziert. Um diese Überblicksszenarien für die Energiewende in den Regionen nutzen zu können, muss eine Verknüpfung von regiona-len Potenzialanalysen und Versorgungsszenarien mit den Deutschland- und EU-weiten Simulationen realisiert werden.

Auch bezüglich einzelner Technologien besteht der Bedarf, ihre Rolle in der sich wandelnden Energieversor-gungslandschaft zu untersuchen. Das gilt insbesondere für Technologien an der Schnittstelle der Sektoren, wie die Kraft-Wärme-Kopplung, Elektroheizungen insbes. Wär-mepumpen, thermische Speicher, Power-to-Gas und auch mobile Stromspeicher. Diesen Detailuntersuchungen von Technologien mit gleichzeitiger Berücksichtigung der deutschlandweiten Entwicklungen widmet sich das Reiner Lemoine Institut z. Z. in zwei Regionalstudien.

Literatur

BINE Newsletter (2013) Nachrichten aus der Energieforschung. http://www.bine.info. Zugegriffen: 4. Dez. 2013

Bühler J (2013) Instandhaltungs- und Erneuerungsoptimierung von städtischen Mittelspannungsnetzen, Shaker Verlag, Aachen

Energietechnische Gesellschaft im VDE (Hrsg) (2007) VDE-Studie Dezentrale Energieversorgung 2020. VDE, Frankfurt

Henning HM, Palzer A (2012) 100 % Erneuerbare Energien für Strom und Wärme in Deutschland. Fraunhofer Institut für Solare Ener-giesysteme (ISE), Freiburg

Hirschl B, Aretz A, Prahl A, Böther T, Heinbach K, Pick D, Funcke S (2010) Kommunale Wertschöpfung durch Erneuerbare Energien. Institut für ökologische Wirtschaftsforschung, Zentrum für Erneu-erbare Energien

Jasim S, Kunz C (2013) Niedrige CO2 Preise konterkarieren die Ener-giewende und Klimaziele. Renews Kompakt, Agentur für Erneu-erbare Energien

Jürgens I (2007) Langfristoptimierung für das risikoorientierte Asset Management von elektrischen Energieversorgungssystemen. PhD thesis, Technische Universität Dortmund, Göttingen

Oeding D, Oswald BR (2004) Elektrische Kraftwerke und Netze, 6. Aufl. Springer-Verlag, Berlin Heidelberg

Quaschning V (2013) Die Solare Revolution – Die Bedeutung der Photovoltaik für den Klimaschutz. 4. Photovoltaik-Symposium 8. November 2013 in Bitterfeld-Wolfen

Investitionskosten verteilen sich aber in Zukunft auf weni-ger Volllaststunden. Nach Vollendung der Energiewende fallen für die Restlebensdauer der Kohlekraftwerke weiter-hin Abschreibungskosten an, ohne dass sie einen Beitrag zur Stromerzeugung liefern.

3 Was heißt das für den Energiewendepfad?

Sowohl aus den Vorüberlegungen und Ergebnisinterpreta-tionen, wie auch aus den Simulationsergebnissen, werden hier einige wichtige Punkte für die Energiewende im Strom-sektor zusammengefasst.

Es gibt begrenzte Kapazitäten der Anlagenproduktion. Um die benötigten Ausbauziele für Windkraftanlagen (WKA) und PV-Anlagen zu erreichen, müssen diese, insbe-sondere im Bereich der WKA, voll ausgenutzt werden. Ein Verzögern der Energiewende in den Anfangsjahren kann nicht ohne weiteres in späteren Jahren aufgeholt werden.

Die Eigenverbrauchsoptimierung zeigt, dass sich anfäng-lich eher kleine PV-Eigenverbrauchsanlagen lohnen. Wenn sie in der „optimalen“ Größe installiert werden, blockieren diese kleinen Anlagen unter Umständen große Dachflächen, da eine Erweiterung der Fläche und eine Umstellung auf Betrieb mit Speicher in Summe eine größere Gesamtinves-tition bedeuten als gleich eine größere Anlage mit Speicher zu installieren. Da für den Zielzustand der gesamten ins-tallierten PV-Leistung durchschnittlich 8 bis 10 m2 Solar-dachfläche pro Person notwendig sind, können hier Anreize sinnvoll sein, um mit der ersten PV-Installation die Mög-lichkeiten der verwendeten Dachflächen auszuschöpfen.

Langzeitspeicher werden erst ab einem Anteil von 80 % Erneuerbarer Energien am Stromverbrauch wichtig für das System. Das heißt, es ist jetzt Zeit, sie in die Marktreife zu bringen ohne den Ausbau der Erneuerbaren Energien stop-pen zu müssen. Zum jetzigen Zeitpunkt kann der Einsatz von Langzeitspeichern sogar die Reduktion der THG-Emis-sionen hemmen, da sie auch bei hohem Stromaufkommen aus Erneuerbaren Energien einen Weiterbetrieb der Kraft-werke auf Basis fossiler Brennstoffe ermöglichen. Damit werden die Speicher zum Puffer fossiler Energie.

Eine der Kernaussagen der Studie ist, dass ein stetiger Ausbau in allen Regionen keinen Kostennachteil bezüg-lich der Gesamtsystemkosten wie oben definiert gegenüber einem Ausbau der Anlagen vorrangig an den besten Stand-orten birgt. Angesichts der eingangs schon angesprochenen verstärkten Diskrepanz der wirtschaftlichen Entwicklung zwischen den Regionen[1], die mit einem zentral orientier-ten Ausbau einhergeht, und auch zur Vermeidung einer zu großen Abhängigkeit vom Transportnetzausbau sollte eine Zentrierung des Ausbaus von PV- und Windenergieanlagen auf einzelne Regionen vermieden werden.

35

1 3

Ausbaupfade der Energiewende – Stromversorgung aus Erneuerbaren Energien

Stürmer J (2002) Instandhaltungs- und Erneuerungsstrategien in Ver-teilnetzen, Shaker Verlag, Aachen

WBGU – Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (2009) Kassensturz für den Weltklimaver-trag – Der Budgetansatz, Sondergutachten 2009. WBGU, Berlin

Reiner Lemoine Institut (2013) Vergleich und Optimierung von zen-tral und dezentral orientierten Ausbaupfaden zu einer Stromver-sorgung aus Erneuerbaren Energien in Deutschland, BVMW, Haleakala Stiftung, 100% erneuerbar Stiftung, http://www.bvmw.de/fileadmin/download/Downloads_allg._Dokumente/politik/Studie_zur_dezentralen_Energiewende.pdf