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32 33 33 AUSRINE, OSHUN, PARVATI UND VENUS Was oder wer für jemanden zu einer bestimmten Zeit „schön“ ist, kann sehr verschieden sein. Seit Jahrtausenden imaginieren Schön- heitsgöttinnen vielfältigste Aspekte der menschlichen Sehnsüchte. Liebe, Erotik Liebe, Lust, erotisches Verlangen, Sinnlichkeit – viele Schönheits- göttinnen verkörpern diese Aspekte, allen voran die römische Venus. Auch bei anderen Schönheitsgöttinnen werden Himmelskörper, Licht und Glanz mit Schönheit zusammen gedacht: In den baltischen Ländern gilt Ausrine als Göttin der Liebe, Gesundheit und Jugend. Ihre Schönheit wird mit der Morgenröte verglichen, ihr entsprechen der Morgen- und Abendstern. Die Schönheit des Lichts und des silbern scheinenden Mondes sehen die chinesischen Miao in ihrer Liebesgöttin Yang'ascha verkörpert. Die albanische Prende gilt als Göttin des strahlenden Glan- zes, ihr wird der erste Bissen gewidmet und werden Kämme geschenkt. Freya, die nordische Göttin der Liebe, Schönheit, Freiheit und Fruchtbar- keit, wird mit der Sonne assoziiert. Das Verschwinden der japanischen Sonnengöttin Amaterasu verdunkelt das ganze Universum, erst das Lachen, hervorgerufen durch den erotischen Tanz einer anderen Gott- heit, lockt sie wieder aus einer Höhle hervor und lässt den Kosmos wieder aufleben. Sie gilt als Urahnin des japanischen Königshauses. Ihre symbolische Verkörperung, ein Spiegel, ist eine der drei Thron- insignien und wird im Ise-Schrein aufbewahrt. Fruchtbarkeit, Fülle und Weisheit Schönheitsgöttinnen stehen häufig auch für Fruchtbarkeit, Genuss und Fülle: Es braucht das Licht von Amaterasu, damit Leben ist im japani- schen Kosmos. Für die Roma bringt Amari De Licht, Fruchtbarkeit, Wohlstand, Humor und Weisheit allen, die sie suchen; Venus kümmert sich auch um Fruchtbarkeit und um Gärten; Oshun, die afro-brasilia- nische Yoruba-Göttin steht für Schönheit, Reichtum und Glück; die hinduistische Uma, der sanfte Aspekt der Parvati, wird nicht nur für ihre Schönheit, sondern auch als Getreidegöttin und göttliche Mutter verehrt. Li Ban, die „schöne Frau“, eine keltisch-irische Meeresgöttin, Lakshmi, die hinudistische Göttin des Glücks, der Liebe, der Fruchtbarkeit, des Wohlstands, der Gesundheit und Schönheit. ist für Gesundheit und Heilung zuständig, zudem schützt sie die Quellen von Wissen und Weisheit. Lebenskraft Schönheit Schönheit ist eine Lebenskraft – eine Grünkraft, wie Hildegard von Bingen sagen würde. Sie hat göttliche Qualität, sie stärkt, macht le- bendig, zieht an, lässt blühen. Diese belebende und anziehende Kraft von Schönheit verkörpern Schönheitsgöttinnen in vielen Kulturen zu vielen Zeiten: von der Statuette der Venus von Willendorf mit ihren ausladenden Formen, über Darstellungen der indisch-hinduistischen Parvati, bis zu Beschreibungen der griechischen Aphrodite und der römischen Venus. Angesichts der engen Festschreibungen von Frauenschönheit in den Medien heute tut es gut, mich an diese Verbindung von Schönheit, Fülle, Weisheit und Heilung zu erinnern. Gertraud Ladner

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AUSRINE, OSHUN, PARVATI UND VENUS

Was oder wer für jemanden zu einer bestimmten Zeit „schön“ ist, kann sehr verschieden sein. Seit Jahrtausenden imaginieren Schön-heitsgöttinnen vielfältigste Aspekte der menschlichen Sehnsüchte.

Liebe, ErotikLiebe, Lust, erotisches Verlangen, Sinnlichkeit – viele Schönheits-göttinnen verkörpern diese Aspekte, allen voran die römische Venus. Auch bei anderen Schönheitsgöttinnen werden Himmelskörper, Licht und Glanz mit Schönheit zusammen gedacht: In den baltischen Ländern gilt Ausrine als Göttin der Liebe, Gesundheit und Jugend. Ihre Schönheit wird mit der Morgenröte verglichen, ihr entsprechen der Morgen- und Abendstern. Die Schönheit des Lichts und des silbern scheinenden Mondes sehen die chinesischen Miao in ihrer Liebesgöttin Yang'ascha verkörpert. Die albanische Prende gilt als Göttin des strahlenden Glan-zes, ihr wird der erste Bissen gewidmet und werden Kämme geschenkt. Freya, die nordische Göttin der Liebe, Schönheit, Freiheit und Fruchtbar-keit, wird mit der Sonne assoziiert. Das Verschwinden der japanischen Sonnengöttin Amaterasu verdunkelt das ganze Universum, erst das Lachen, hervorgerufen durch den erotischen Tanz einer anderen Gott-heit, lockt sie wieder aus einer Höhle hervor und lässt den Kosmos wieder aufleben. Sie gilt als Urahnin des japanischen Königshauses. Ihre symbolische Verkörperung, ein Spiegel, ist eine der drei Thron-insignien und wird im Ise-Schrein aufbewahrt.

Fruchtbarkeit, Fülle und WeisheitSchönheitsgöttinnen stehen häufig auch für Fruchtbarkeit, Genuss und Fülle: Es braucht das Licht von Amaterasu, damit Leben ist im japani-schen Kosmos. Für die Roma bringt Amari De Licht, Fruchtbarkeit, Wohlstand, Humor und Weisheit allen, die sie suchen; Venus kümmert sich auch um Fruchtbarkeit und um Gärten; Oshun, die afro-brasilia-nische Yoruba-Göttin steht für Schönheit, Reichtum und Glück; die hinduistische Uma, der sanfte Aspekt der Parvati, wird nicht nur für ihre Schönheit, sondern auch als Getreidegöttin und göttliche Mutter verehrt. Li Ban, die „schöne Frau“, eine keltisch-irische Meeresgöttin,

Lakshmi, die

hinudistische Göttin

des Glücks, der Liebe,

der Fruchtbarkeit,

des Wohlstands,

der Gesundheit und

Schönheit.

ist für Gesundheit und Heilung zu ständig, zudem schützt sie die Quellen von Wissen und Weisheit.

Lebenskraft SchönheitSchönheit ist eine Lebenskraft – eine Grünkraft, wie Hildegard von Bingen sagen würde. Sie hat göttliche Qualität, sie stärkt, macht le - bendig, zieht an, lässt blühen. Diese belebende und anziehende Kraft von Schönheit verkörpern Schönheitsgöttinnen in vielen Kulturen zu vielen Zeiten: von der Statuette der Venus von Willendorf mit ihren ausladenden Formen, über Darstellungen der indisch-hinduistischen Parvati, bis zu Beschreibungen der griechischen Aphrodite und der römischen Venus.Angesichts der engen Festschreibungen von Frauenschönheit in den Medien heute tut es gut, mich an diese Verbindung von Schönheit, Fülle, Weisheit und Heilung zu erinnern.

Gertraud Ladner