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Rechtsgutachten zu der Frage der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Anwendung des europäischen Wettbewerbs rechts auf die Finanzierung kommunaler Krankenhäuser . vorgelegt von Univ.-Prof. Dr. Volker Epping Hannover, 22. Oktober 2013

Ausschnitt: Prof. Dr. Volker Epping: Fall Calw. Rechtsgutachten (2013)

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Ausschnitt aus dem Rechtsgutachten zu der Frage der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Anwendung des europäischen Wettbewerbs rechts auf die Finanzierung kommunaler Krankenhäuser, vorgelegt von Univ.-Prof. Dr. Volker Epping (Hannover, 22. Oktober 2013)(http://www.ivkk.de/)

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Rechtsgutachten

zu der Frage der

verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der

Anwendung des europäischen Wettbewerbs rechts

auf die Finanzierung kommunaler Krankenhäuser

. vorgelegt von

Univ.-Prof. Dr. Volker Epping

Hannover, 22. Oktober 2013

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Die Anwendbarkeit des EU-Beihilfenrechts auf die Finanzierung kommunaler Krankenhäuser -Verfassungs- und europarechtliche VorgabenRechtsgutachten von Universitätsprofessor Dr. Volker Epping

A. Gutachtenauftrag und Gang der Untersuchung

Der Vorstand des Interessenverbands Kommunaler Krankenhäuser (IVKK) e.V.mit Sitz in Berlin hat mich beauftragt, ein Rechtsgutachten zu der Frage der ver-fassungsrechtlichen Zulässigkeit der Subsumierung der Finanzierung kommu-naler Krankenhäuser unter das europäische Wettbewerbsrecht zu erstellen. DerVerband hat mich überdies beauftragt, eine wettbewerbsrechtliche Prüfung die-ser Frage anhand des geltenden Unionsrechts vorzunehmen.

In diesem Rahmen soll insbesondere zu den folgenden Fragen gutachtlich SteI-lung genommen werden:

• Inwiefern stehen Vorgaben des Grundgesetzes einer Unterordnung deskommunalen Krankenhausbetriebs unter europäisches Beihilfenrecht ent-gegen? Finden diese gegebenenfalls ihrerseits normativen Widerhall im eu-ropäischen Recht?

• Setzt das Grundgesetz - insbesondere das Sozialstaatsprinzip aus Art. 20Abs. 1 GG und/oder die grundrechtlichen Gewährleistungen insbesondereaus Art. 2 Abs. 2 GG und Art. 1 Abs. 1 GG - einer Supranationalisierungder Kompetenzen auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit Schranken undbejahendenfalls, wie wirken sich diese auf die rechtlichen Vorgaben des eu-ropäischen Wettbewerbsrechts aus?

• Inwieweit ist die Subsumierung des kommunalen Krankenhausbetriebs unddessen kommunale Refinanzierung aus unionsrechtlicher Sicht zulässig?

Hintergrund insbesondere der letztgenannten Fragestellung ist ein derzeit vomBundesverband Deutscher Privatkliniken (BDPK) e. V. gegen den LandkreisCalw vor dem Landgericht Tübingen geführtes wettbewerbsrechtliches Verfah-ren, in dem der klagende Verband die Unterlassung des Ausgleichs handeIs-rechtlicher Verluste, seil. der Jahresfehlbeträge, der Kreiskliniken Calw gGmbHu.a. durch gewährte Ausfallbürgschaften begehrt. Damit soll gleichzeitig eineRechtswidrigkeit kommunaler Beihilfen zur Refinanzierung kommunaler Kran-kenhäuser festgestellt werden, es sei denn, dass diese Leistungen zuvor je-weils bei der Europäischen Kommission notifiziert und von dieser genehmigtwurden. Auf diesem Weg sollen die betroffenen Kommunen dazu angehaltenwerden, die Maßnahmen der (Re-)Finanzierung kommunaler Krankenhäuserbei der Europäischen Kommission notifizieren, um in deren Folge eine beihilfe-

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rechtliche Unterfassung dieser Liquiditätszusagen herbeizuführen. Anlass derKlage ist die Entscheidung des Kreistages Calw vom 17. Dezember 2012, dieerheblichen Jahresfehlbeträge der Kreiskliniken Calw gGmbH für das Jahr 2012bis "zunächst" zum Jahr 2016 durch Kapitalanlagen auszugleichen. Überdieshat der Landkreis Calw in den vergangenen drei Jahren Ausfallbürgschaften inHöhe von insgesamt knapp 52 Millionen Euro übernommen sowie den betroffe-nen Kliniken Investitionszuschüsse gezahlt.

Dieses Verfahren steht gewissermaßen pars pro toto für die Praxis etlicherkommunaler Gebietskörperschaften zur finanziellen Unterstützung ihrer teilwei-se in privatrechtliche Organisationsstrukturen überführten, aber durch entspre-chende Stimmenmehrheiten weiterhin vollständig von der öffentlichen Handbeherrschten Krankenhäuser, 1 die teilweise nur noch durch entsprechende.Patronatserklärunqen" ihrer kommunalen Rechtsträger im laufenden Betriebgehalten werden können.s

Der Fragestellung folgend gliedert sich das Rechtsgutachten in drei Abschnitte:Zuerst sollen die staatsstrukturellen Vorgaben des Grundgesetzes für einemögliche Begrenzung der europäischen Hoheitsgewalt und deren Zugriff auf dieFinanzierung kommunaler Krankenhäuser verdeutlicht werden. In diesem Rah-men soll insbesondere der Frage nachgegangen werden, ob - und falls ja in-wieweit - das Grundgesetz - insbesondere das Sozialstaatsprinzip aus Art. 20Abs. 1 GG - in seiner richterrechtlichen Ausformung durch das Bundesverfas-sungsgericht (BVerfG) eine Schranke für die Anwendung des europäischenWettbewerbs rechts auf die Finanzierungspolitik kommunaler Hospitäler errich-tet. Vor diesem Hintergrund ist sodann ein Blick auf die grundrechtlichen Vor-gaben für den Betrieb und die Finanzierung kommunaler Krankenhäuser zuwerfen und ebenfalls zu fragen, ob der etwaige Verfassungsauftrag einer medi-zinischen Grundversorgung der Bürgerinnen und Bürger unmittelbar kraft Ver-fassungsrecht zu einer Freistellung der (Re-)Finanzierung kommunaler Kran-kenhäuser von den Vorgaben des europäischen Wettbewerbsrechts führenkann.

1 Die privatrechtliche Organisationsform entbindet die staatlichen Stellen nicht von ihrer (un-mittelbaren) Grundrechtsbindung und sonstigen verfassungs- wie verwaltungsrechtlichenVorgaben, die für die öffentliche Hand gelten; vgl. zuletzt insb. zum Kriterium der Beherr-schung intermediärer Institutionen BVerfGE 128, 226 (246 ff.).

2 Für einen Überblick über verschiedene Arten der Krankenhausfinanzierung Cremet. ZIAS2008,198 (203 n.): tOr einen europäischen Vergleich Cygan, ICLQ 2008, 529 (531).

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Den Schluss des Rechtsgutachtens bildet eine insbesondere anhand derArt. 101 ff. AEUV vorgenommene wettbewerbsrechtliche Betrachtung der Zu-lässigkeit einer (Re-)Finanzierung kommunaler Krankenhäuser durch die öffent-liche Hand. Die gutachtliche Aufbereitung der wettbewerbs- und beihilfenrechtli-chen Vorgaben soll schließlich in eine Art Leitfaden münden, der Hinweise da-rauf geben soll, auf welche Weise und ggf. unter Beachtung welcher flankieren-der Maßnahmen bestehende oder künftige Finanzierungsvorhaben für kommu-nale Krankenhäuser europarechtskonform ausgestaltbar sind.

Besonderes Augenmerk soll hierbei neben die unmittelbar verbindlichen Vorga-ben des Primärrechts und der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäi-schen Union (EuGH) sowie des Gerichts (EuG) auch auf das durch die Kom-mission autonom gesetzte, ermessensleitende sog. Tertiärrecht als "soft law"gelegt werden, das erst vor kurzer Zeit einer umfassenden Novellierung unter-zogen wurde.

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E. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisseund Beantwortung des Gutachtenauftrags

1. Die Grundentscheidung des Grundgesetzes für die Sicherstellung derGewährleistung einer bedarfsgerechten und effektiven Krankenhausversor-gung ist Ausfluss zweier auch für den verfassungsändernden Gesetzge-ber im Grundsatz unverfügbarer Höchstwerte der Verfassung, nament-lich der Menschenwürdegarantie aus Art. 1 Abs. 1 GG und dem Sozial-staatsprinzip aus Art. 20 Abs. 1 GG.

2. Diese mitgliedstaatliche Grundentscheidung wird ausweislich Art. 4 Abs. 2Satz 1 EUV, Art. 14 AEUV, Art. 106 Abs. 2 AEUV, Art. 36 GRCh sowie hier-zu ergangener komplementärer Vorschriften des Sekundär- und Tertiär-rechts vom Unionsrecht respektiert. Diese Wertungen des Unionsrechtssind bei einer beihilferechtlichen Prüfung der (Re-)Finanzierung kommunalerKrankenhäuser durch die öffentliche Hand zu berücksichtigen.

a) Beihilferechtlich ist ein Krankenhaus in öffentlicher Hand - zumindestwas die Grundversorgung der Bevölkerung mit medizinischen Dienstleis-tungen betrifft - kein Unternehmen im Sinne des Art. 107 Abs. 1AEUV. Daher sind Ausgleichszahlungen oder Bürgschaften einer Kom-mune für ihr Krankenhaus grundsätzlich kein Verstoß gegen das grund-sätzliche Beihilfeverbot.

b) Selbst wenn der Unternehmensbegriff im Sinne des Art. 107 Abs. 1AEUV bejaht würde, wäre die Ausgleichszahlung bzw. eine sonstige Fi-nanzierung durch den Freistellungsbeschluss der Kommission ge-deckt, sofern die formalen Erfordernisse des Betrauungsaktes beachtetwerden.

Hannover, den 22. Oktober 2013

(Univ.-Prof. Dr. iur. Volker Epping)