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47 Harold Koda ist kein Mann für den ganz gro- ßen Auftritt. Als sich der Chef des New Yorker Costume Institutes mit dem Enkelsohn seiner legendären Vorgängerin Diana Vreeland im Metropolitan Museum of Art zum Mittagessen trifft, wird er gebeten, einen Moment auf sei- nen Tisch zu warten. „Das wäre meiner Groß- mutter nie passiert“, entrüstet sich der junge Mann. Stimmt, meint Koda, achselzuckend. Diana Vreeland, die Grande Old Dame der in- ternationalen Modewelt, kann man nicht ko- pieren. Der feingliedrige Koda trägt als Erken- nungszeichen weder auffällige Schals über dem Anzug wie „Vogue“-Star-Reporter Ha- mish Bowles, noch Hochwasserhosen mit aus- gefallenen Strümpfen wie sein stadtbekann- ter Co-Kurator Andrew Bolton. Eher sieht man ihn im weißen Hemd in unauffällig ele- ganten Anzügen, mit denen er auch in jedem Anwaltsbüro auf der Madison Avenue eine gu- te Figur machen würde. Ein Übermaß an Selbststilisierung oder Flamboyanz kann man dem in Harvard promovierten Landschaftsar- chitekten nicht vorwerfen. Statt Verse zu schmieden, bestelle lieber dein Feld, sagt eine japanische Weisheit. Mag sein, dass sie dem in Hawaii aufgewachsenen Sohn japanischer Einwanderer die Bodenhaftung gibt, um auf dem schlüpfrigen Terrain der Modewelt zu bestehen. Unter seiner Ägide fanden in New York die spektakulärsten Modeausstellungen der letzten zehn Jahre statt. Von den Einnah- men des Instituts können andere Abteilungen des Metropolitan Museums nur träumen. Seit der studierte Kunsthistoriker im Jahr 2000 Chefkurator des Costume Institutes wurde, ist er Herr über 35.000 Kostüme aus sieben Jahr- hunderten und leitet damit das wohl reprä- sentativste Modearchiv der Welt. Wichtiger noch: Er ist – dank des unermüdlichen Fun- draising-Einsatzes von US-„Vogue“-Chefin Anna Wintour – Hausherr der begehrtesten Gala des Jahres. Wer auf dem Met Ball fehlt, gehört nicht dazu. Einen Rekordpreis von 25.000 Dollar müssen handverlesene Gäste wie Beyoncé, Sarah Jessica Parker oder Heidi Klum dieses Jahr zahlen, um am 5. Mai den ro- ten Teppich ins Allerheiligste der Kunst hoch- schweben zu dürfen. Dass es Koda bei all dem Fashion-Hype gelingt, mit Risikobereitschaft, ästhetischem Gespür und kommerziellem Ge- schick den Blick auf das Herausragende zu verengen und dabei im besten Sinne Kunster- ziehung zu leisten, hat er mehrfach bewiesen. Stundenlang standen die 660.000 Besucher der Alexander-McQueen-Ausstellung „Savage Beauty“ 2011 in der brütenden Sommerhitze an und machten die Wasser- und Hotdog- Verkäufer auf der Fifth Avenue zu reichen Männern. Noch nie zuvor, seit der imposante Museumsbau 1872 seine Tore zu den Kunst- schätzen der Welt öffnete, hatte eine Ausstel- lung so viel Interesse erregt. Ein Jahr später wurde unter seiner Ägide die Ausstellung „El- sa Schiaparelli & Miuccia Prada: Impossible Conversations“ eröffnet, für die Amazon–Ty- coon Jeff Bezos – zum Missfallen der Kritiker – zur Lancierung seiner Designerverkäufe die finanziellen Mittel bereitstellte. „Schiap“, wie man die exzentrische Stardesignerin und Konkurrentin von Coco Chanel nannte, wurde von den Spinnweben des Vergessens befreit. Am 8. Mai wird das nun in Anna Wintour Cos- tume Center umbenannte Modeinstitut mit der Ausstellung „Charles James: Beyond Fa- shion“ nach zweijähriger Renovierung wie- dereröffnet. Satte 40 Millionen Dollar ver- schlang der Ausbau der Räumlichkeiten im Untergeschoss des Museums. Huberta von Voss traf Harold Koda, 64, den wohl einfluss- reichsten Mann hinter den Kulissen der Mo- dewelt, auf der Baustelle zu einem Gespräch über den verführerischen Glamour des ver- gessenen Stardesigners, den Unterschied zwi- schen Modedesign und Kunst und die Raffi- nesse herausragender Schnitttechnik. Herr Koda, erst einmal herzlichen Dank für die Schiaparelli-Ausstellung. Meine Mutter hat da- raufhin aus einer alten Truhe ein Vintagemo- dell von „Schiap“ hervorgezaubert, das meiner Urgroßmutter gehörte und wie ein Wunder den Krieg überlebt hat. Es ist das mit Abstand sinn- lichste Kleid, das ich je besessen habe. Oh, darf ich mal sehen? (Koda, weißes Hemd und graue Stoffkrawatte, Gutachtermiene, beugt sich schweigend über das Kleid und in- spiziert jedes Detail. Dann sagt er höflich, was ich nicht hören wollte): Meistens waren ihre Sachen von innen ganz schön grob. Dieses Stück hier ist aber sehr schön in der Ausfüh- rung. Ist das nicht interessant. Hat Ihre Ur- großmutter in Paris gelebt? Nein, in Berlin-Mitte bei der Kroll-Oper. Sie war eine gute Kundin von Elsa Schiaparelli, hat aber leider nichts von Charles James getra- gen. Wie komme ich jetzt an eines seiner un- glaublichen Ballkleider ran? Gibt es die noch auf Auktionen oder besitzt das Metropolitan Museum alle? Es gibt nur noch ganz wenige auf dem freien Markt und Sie müssten wohl gegen Azzedine Alaïa bieten. Oje, ich fürchte, der treibt die Preise hoch. Das kann man also vergessen. (lacht) Ich glaube auch. Er hat eine bemer- kenswerte Couture-Sammlung. Seine Interes- sen sind so museumswissenschaftlich, dass auch wir meistens gegen ihn antreten müssen. Und oft kriegt er dann den Zuschlag. Erst gera- de hat er einen Hut von Paul Poiret erworben, den wir gerne haben wollten. Leiht er Ihnen denn dann die Sammlerstücke für Ausstellungen? Oh, ich hoffe, dass wird er einmal tun. Es wäre wunderbar, eine Ausstellung zu machen, die seine Arbeit und Sammlung zeigt. Es ist offen- sichtlich, dass er nicht kopiert, aber er ist ganz klar von anderen Meistern inspiriert. Wir tei- len beide ein großes Interesse an Schnitttech- nik. Er versucht die Philosophie eines Ansat- zes zu verstehen. Einmal sah ich, wie er ein Kleid aus winzigen Musselinfetzen zusam- mensetzte. Man konnte ganz klar den Einfluss von Madeleine Vionnet erkennen, auch wenn sie das nie selbst so gemacht hätte. Christian Dior bezeichnete James, der heute ei- nem breiten Publikum selbst in der amerikani- schen Heimat unbekannt ist, als besten Mode- schöpfer seiner Generation. Bis heute beziehen sich unglaublich viele Couturiers auf ihn, aber leisten konnten sich die Roben immer nur sehr wenige Kundinnen. Was haben seine Kleider in den 50er-Jahren zu seiner Hochzeit gekostet? Das ging mit 800 Dollar los. Die meisten lagen aber um die 1500 Dollar, was in den 50ern un- gefähr dem Wert eines Cadillacs entsprach. Aber sein Geschäftsgebaren war sehr launisch. Ich nehme an, dass dasselbe Kleid unter- schiedlich viel kostete, je nachdem wer es er- warb. Einmal habe ich eine Spenderin be- sucht, die ein atemberaubendes James-Kleid aus schwarzer Spitze besaß, das sie zu einer Geburtstagsparty des Aga Khan getragen hatte. Sie sagte, es sei mit Abstand das teuerste Kleid ihrer Garderobe. Ich hätte gedacht, die aufwendigen Kleider wä- ren sogar so teuer wie ein Kunstwerk. So hat er definitiv ihren ideellen Wert gese- hen. Zu Beginn sah James sich als Designer, aber im Laufe der Jahre sah er sich als Künstler und Bildhauer. Seit den 50er-Jahren war er überzeugt, eine Kunstdisziplin zu vertreten, die gleichwertig mit anderen Künsten war. 3 Der feine Strippenzieher Er ist kein Modeschöpfer, sondern Kurator. Dennoch bestimmt Harold Koda nachhaltig die Mode. Huberta von Voss traf den Chef des neu benannten „Anna Wintour Costume Center“ in New York, Jürgen Frank fotografierte H AUSSTELLUNG

AUSSTELLUNG Der feine Strippenzieher - Huberta von Voss · 47 Harold Koda ist kein Mann für den ganz gro-ßen Auftritt. Als sich der Chef des New Yorker Costume Institutes mit dem

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Page 1: AUSSTELLUNG Der feine Strippenzieher - Huberta von Voss · 47 Harold Koda ist kein Mann für den ganz gro-ßen Auftritt. Als sich der Chef des New Yorker Costume Institutes mit dem

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Harold Koda ist kein Mann für den ganz gro-ßen Auftritt. Als sich der Chef des New YorkerCostume Institutes mit dem Enkelsohn seinerlegendären Vorgängerin Diana Vreeland imMetropolitan Museum of Art zum Mittagessentrifft, wird er gebeten, einen Moment auf sei-nen Tisch zu warten. „Das wäre meiner Groß-mutter nie passiert“, entrüstet sich der jungeMann. Stimmt, meint Koda, achselzuckend.Diana Vreeland, die Grande Old Dame der in-ternationalen Modewelt, kann man nicht ko-pieren. Der feingliedrige Koda trägt als Erken-nungszeichen weder auffällige Schals überdem Anzug wie „Vogue“-Star-Reporter Ha-mish Bowles, noch Hochwasserhosen mit aus-gefallenen Strümpfen wie sein stadtbekann-ter Co-Kurator Andrew Bolton. Eher siehtman ihn im weißen Hemd in unauffällig ele-ganten Anzügen, mit denen er auch in jedemAnwaltsbüro auf der Madison Avenue eine gu-te Figur machen würde. Ein Übermaß anSelbststilisierung oder Flamboyanz kann mandem in Harvard promovierten Landschaftsar-chitekten nicht vorwerfen. Statt Verse zuschmieden, bestelle lieber dein Feld, sagt einejapanische Weisheit. Mag sein, dass sie dem inHawaii aufgewachsenen Sohn japanischerEinwanderer die Bodenhaftung gibt, um aufdem schlüpfrigen Terrain der Modewelt zubestehen. Unter seiner Ägide fanden in NewYork die spektakulärsten Modeausstellungender letzten zehn Jahre statt. Von den Einnah-men des Instituts können andere Abteilungendes Metropolitan Museums nur träumen. Seitder studierte Kunsthistoriker im Jahr 2000Chefkurator des Costume Institutes wurde, ister Herr über 35.000 Kostüme aus sieben Jahr-hunderten und leitet damit das wohl reprä-sentativste Modearchiv der Welt. Wichtigernoch: Er ist – dank des unermüdlichen Fun-draising-Einsatzes von US-„Vogue“-ChefinAnna Wintour – Hausherr der begehrtestenGala des Jahres. Wer auf dem Met Ball fehlt,gehört nicht dazu. Einen Rekordpreis von25.000 Dollar müssen handverlesene Gästewie Beyoncé, Sarah Jessica Parker oder HeidiKlum dieses Jahr zahlen, um am 5. Mai den ro-

ten Teppich ins Allerheiligste der Kunst hoch-schweben zu dürfen. Dass es Koda bei all demFashion-Hype gelingt, mit Risikobereitschaft,ästhetischem Gespür und kommerziellem Ge-schick den Blick auf das Herausragende zuverengen und dabei im besten Sinne Kunster-ziehung zu leisten, hat er mehrfach bewiesen.Stundenlang standen die 660.000 Besucherder Alexander-McQueen-Ausstellung „SavageBeauty“ 2011 in der brütenden Sommerhitzean und machten die Wasser- und Hotdog- Verkäufer auf der Fifth Avenue zu reichenMännern. Noch nie zuvor, seit der imposanteMuseumsbau 1872 seine Tore zu den Kunst-schätzen der Welt öffnete, hatte eine Ausstel-lung so viel Interesse erregt. Ein Jahr späterwurde unter seiner Ägide die Ausstellung „El-sa Schiaparelli & Miuccia Prada: ImpossibleConversations“ eröffnet, für die Amazon–Ty-coon Jeff Bezos – zum Missfallen der Kritiker– zur Lancierung seiner Designerverkäufe diefinanziellen Mittel bereitstellte. „Schiap“, wieman die exzentrische Stardesignerin undKonkurrentin von Coco Chanel nannte, wurdevon den Spinnweben des Vergessens befreit.Am 8. Mai wird das nun in Anna Wintour Cos-tume Center umbenannte Modeinstitut mitder Ausstellung „Charles James: Beyond Fa-shion“ nach zweijähriger Renovierung wie-dereröffnet. Satte 40 Millionen Dollar ver-schlang der Ausbau der Räumlichkeiten imUntergeschoss des Museums. Huberta vonVoss traf Harold Koda, 64, den wohl einfluss-reichsten Mann hinter den Kulissen der Mo-dewelt, auf der Baustelle zu einem Gesprächüber den verführerischen Glamour des ver-gessenen Stardesigners, den Unterschied zwi-schen Modedesign und Kunst und die Raffi-nesse herausragender Schnitttechnik.

Herr Koda, erst einmal herzlichen Dank für dieSchiaparelli-Ausstellung. Meine Mutter hat da-raufhin aus einer alten Truhe ein Vintagemo-dell von „Schiap“ hervorgezaubert, das meinerUrgroßmutter gehörte und wie ein Wunder denKrieg überlebt hat. Es ist das mit Abstand sinn-lichste Kleid, das ich je besessen habe.Oh, darf ich mal sehen? (Koda, weißes Hemdund graue Stoffkrawatte, Gutachtermiene,beugt sich schweigend über das Kleid und in-spiziert jedes Detail. Dann sagt er höflich, wasich nicht hören wollte): Meistens waren ihreSachen von innen ganz schön grob. DiesesStück hier ist aber sehr schön in der Ausfüh-rung. Ist das nicht interessant. Hat Ihre Ur-großmutter in Paris gelebt?

Nein, in Berlin-Mitte bei der Kroll-Oper. Siewar eine gute Kundin von Elsa Schiaparelli,hat aber leider nichts von Charles James getra-gen. Wie komme ich jetzt an eines seiner un-

glaublichen Ballkleider ran? Gibt es die nochauf Auktionen oder besitzt das MetropolitanMuseum alle?Es gibt nur noch ganz wenige auf dem freienMarkt und Sie müssten wohl gegen AzzedineAlaïa bieten.

Oje, ich fürchte, der treibt die Preise hoch. Daskann man also vergessen.(lacht) Ich glaube auch. Er hat eine bemer-kenswerte Couture-Sammlung. Seine Interes-sen sind so museumswissenschaftlich, dassauch wir meistens gegen ihn antreten müssen.Und oft kriegt er dann den Zuschlag. Erst gera-de hat er einen Hut von Paul Poiret erworben,den wir gerne haben wollten.

Leiht er Ihnen denn dann die Sammlerstückefür Ausstellungen?Oh, ich hoffe, dass wird er einmal tun. Es wärewunderbar, eine Ausstellung zu machen, dieseine Arbeit und Sammlung zeigt. Es ist offen-sichtlich, dass er nicht kopiert, aber er ist ganzklar von anderen Meistern inspiriert. Wir tei-len beide ein großes Interesse an Schnitttech-nik. Er versucht die Philosophie eines Ansat-zes zu verstehen. Einmal sah ich, wie er einKleid aus winzigen Musselinfetzen zusam-mensetzte. Man konnte ganz klar den Einflussvon Madeleine Vionnet erkennen, auch wennsie das nie selbst so gemacht hätte.

Christian Dior bezeichnete James, der heute ei-nem breiten Publikum selbst in der amerikani-schen Heimat unbekannt ist, als besten Mode-schöpfer seiner Generation. Bis heute beziehensich unglaublich viele Couturiers auf ihn, aberleisten konnten sich die Roben immer nur sehrwenige Kundinnen. Was haben seine Kleider inden 50er-Jahren zu seiner Hochzeit gekostet?Das ging mit 800 Dollar los. Die meisten lagenaber um die 1500 Dollar, was in den 50ern un-gefähr dem Wert eines Cadillacs entsprach.Aber sein Geschäftsgebaren war sehr launisch.Ich nehme an, dass dasselbe Kleid unter-schiedlich viel kostete, je nachdem wer es er-warb. Einmal habe ich eine Spenderin be-sucht, die ein atemberaubendes James-Kleidaus schwarzer Spitze besaß, das sie zu einerGeburtstagsparty des Aga Khan getragen hatte.Sie sagte, es sei mit Abstand das teuerste Kleidihrer Garderobe.

Ich hätte gedacht, die aufwendigen Kleider wä-ren sogar so teuer wie ein Kunstwerk.So hat er definitiv ihren ideellen Wert gese-hen. Zu Beginn sah James sich als Designer,aber im Laufe der Jahre sah er sich als Künstlerund Bildhauer. Seit den 50er-Jahren war erüberzeugt, eine Kunstdisziplin zu vertreten,die gleichwertig mit anderen Künsten war. 3

Der feine StrippenzieherEr ist kein Modeschöpfer, sondern Kurator. Dennoch bestimmt Harold Kodanachhaltig die Mode. Huberta von Voss traf den Chef des neu benannten„Anna Wintour Costume Center“ in New York, Jürgen Frank fotografierte

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AUSSTELLUNG

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Page 2: AUSSTELLUNG Der feine Strippenzieher - Huberta von Voss · 47 Harold Koda ist kein Mann für den ganz gro-ßen Auftritt. Als sich der Chef des New Yorker Costume Institutes mit dem

„Es gibt sehr viele Arten, Mode zu betrachten. Manche interessiert die geschlechterspezifische Seite,andere die wirtschaftliche Komponente. Michinteressiert vor allem die Technik, das Handwerk“

3 Auch Paul Poiret sah sich als Künstler.Nicht jeder Modedesigner ist ein Künstler,aber eine Handvoll zähle ich dazu.

Wo liegt der Unterschied?Man muss ein ausgesprochenes Farbengefühlhaben, ein Musiker mit Sinn für die Poesie ei-ner Komposition sein und ein Bildhauer mitRaumverständnis.

War Elsa Schiaparelli eine Künstlerin?Auf einer konzeptionellen Ebene war sie eineKünstlerin, aber nicht auf der Objektebene.Viele ihrer Kleider entstanden sehr spontan.Die Ausführung interessierte sie nicht beson-ders. Sie war wie eine abstrakte Expressionis-tin, die aus dem Moment heraus arbeitete. An-dere Modeschöpfer wie Balenciaga und Cha-nel waren hingegen besessen von der Perfek-tion des Designs. Schiaparelli liebte dieKooperation mit surrealistischen Künstlernwie Salvador Dalí. Wenn man sich als wirkli-cher Künstler versteht, gehört Zusammenar-beit nicht zum Vokabular. Kompromisse, diesich auf die eigene Stimme auswirken, sindfür die meisten Künstler uninteressant.

Charles James hatte keinen besonders starkenSinn für Zusammenarbeit.Das kam darauf an. Er hat sehr gerne mit Kun-dinnen zusammengearbeitet, die bemerkens-

wert schön und sehr reich waren und einenstarken Sinn für ihren persönlichen Stil hat-ten. Allerdings glaube ich nicht, dass er in die-sem Dialog die Kontrolle über den künstleri-schen Prozess abgegeben hat.

Wie sehen Sie ihn? War er zugleich Couturierund Künstler?Er ist von seiner Karriere her ganz sicher einCouturier, aber von seinem Temperament herwar er ein Künstler.

Was bedeutet Charles James für Sie? Wie be-trachten Sie Mode?Es gibt sehr viele Arten, Mode zu betrachten.Manche interessiert die geschlechterspezifi-sche Seite, andere die wirtschaftliche Kompo-nente. Mich interessiert vor allem die Tech-nik, das Handwerk. Ich habe mich am Anfangmit James schwergetan. Ich bin einfach so einGefangener des Modernismus und einerSchlichtheit, die die Essenz eines Materialswiderspiegelt. James hatte eine ganz andereVision. Er kombinierte Stoffe und Farben inatemberaubenden Kombinationen, die aufWiderspruch beruhten. Das hat zunächst ein-mal meine Vorstellung davon verletzt, was einsensibler Designer ist. Dann haben mir dieLandschaftsarchitekten Diller Scofidio + Ren-fro, die unsere Ausstellung designen, einenanderen Blick auf ihn ermöglicht.

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Ausstellungen, die Harold Kodakuratierte (im Uhrzeigersinn):Kleider und Schuh aus „SavageBeauty“ von AlexanderMcQueen (2011). Darunter:„Schiaparelli & Prada: Impossi-ble Conversations“ (2012),Kleid aus „The Model as muse“(2009) und links: ein Rodarte-Outfit, das in „Punk – Chaos toCouture“ gezeigt wurde (2013)

Das sind die Architekten, die mit dem High Li-ne Park in Chelsea für New York ein neues Ju-wel geschaffen haben.Ja, neben vielen anderen großartigen Projek-ten. Als ich Scofidio sagte, dass ich mich mitJames schwertue, riet er mir, ihn einfach als„willful“, eigensinnig, zu betrachten. Das er-fasst genau, was James war: Er war eigensin-nig in jedem Aspekt seines Lebens. Was erwollte, tat er auch, egal wie hoch der Preis pri-vat oder geschäftlich war. Er hat seinemkünstlerischen Ideal alles geopfert. Couturiershingegen haben immer auch eine kommer-zielle Seite, was ja nichts Verwerfliches ist.James hatte endlos viele Ideen, aber er hatdennoch nur 200 Kreationen in 50 Jahren ge-schaffen. Saint Laurent würde 200 Kreationenin einer einzigen Modenschau präsentieren.James war nicht kommerziell. Jedes Stückwar autonom und besaß eine innere Logik. Erhat nie mit einem Team gearbeitet, weil erkeine Kontrolle abgeben konnte.

Dazu sagte James Galanos: „Eine einzigeJames-Kreation ist so viel wert wie die ganzeJahresproduktion der 7th Avenue.“ Dort sitzt inManhattan die amerikanische Modeindustrie.Wenn man durch die Modegeschichte des letz-ten Jahrhunderts blättert, sieht man überallseine Einflüsse.Ja, das stimmt. Am direktesten kann man sei-nen Einfluss bei Halston sehen. Hinzu kommt,dass er in der Umsetzung oft die besten Ideenhatte. Zum Beispiel haben einige Designer inden 30er-Jahren versucht, einen perfekten Sa-ri mit westlicher Schnitttechnik zu entwer-fen. Sein Wickelkleid war mit Abstand das An-mutigste. Dennoch ist es Halston im Gegen-satz zu James gelungen, eine brillante Idee sozu vereinfachen, dass sie in die Produktion ge-geben werden konnte.

Wie wurde James von Menschen gesehen, dieihn gut kannten?Ich kenne einige, die ihn unglaublich inspirie-rend fanden und davon schwärmen, was fürein großzügiger Mentor er war. Er war außer-dem sehr belesen. Aber er war auch proble-matisch. Eine Frau, die als Studentin für ihngearbeitet hatte, sagte mir, schon am Tag nachder Unterzeichnung einer Kooperationsver-einbarung waren die Anwälte da, um ihn wie-der aus dem Vertrag rauszuholen.

Wie es scheint, hat er sich schnell eingesperrtoder bedrängt gefühlt.Nicht wenn Menschen ihm sehr offen begeg-net sind. Wir haben dieses Bild vor Augen vonJames, wie er einsam und traurig im „ChelseaHotel“ saß, aber das entspricht nicht derWirklichkeit.

War er verbittert am Ende seines Lebens?Eher wütend.

Heute ist er außerhalb der Modewelt vergessen.Gehen Sie nicht ein großes Risiko ein, das Cos-tume Institute mit ihm wiederzueröffnen?Nein! Es gab auch immer wieder Ausstellun-gen über ihn. Ausstellungen in New York, mitall den Medien und dem internationalen Pu-blikum, haben es zudem leichter als anders-wo. Ich weiß nicht, ob James funktioniert.Aber ich glaube, dass die Bilder, die sich mitihm verbinden, so einen verführerischen Gla-mour haben, dass es funktionieren wird.4 8

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