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625 Stahlbau 82 (2013), Heft 8 DOI: 10.1002/stab.201320094 Berichte Ausstellung über Bollinger + Grohmann im Deutschen Architektur- museum Frankfurt/M Hartwig Schmidt „Hinter den Kulissen“ ist der Titel einer Ausstellung, die derzeit im Deutschen Architekturmuseum (DAM) in Frank- furt zu sehen ist (Bild 1). Sie ist dem Werk des Frankfurter Ingenieurbüros Bollinger + Grohmann gewidmet und ei- gentlich eine Jubiläumsveranstaltung. Dreißig Jahre nach der Gründung durch Klaus Bollinger (*1952) und Manfred Grohmann (*1953) ist das Ingenieurbüro zu einem der be- deutendsten und innovativsten in Deutschland geworden. Noch in Erinnerung ist sicher Vielen die rote Infobox am Potsdamer Platz in Berlin (1995) von der man die Baustel- len der einzelnen Hochhäuser beobachten konnte. Von den gleichen Architekten, dem Frankfurter Büro Schneider + Schumacher, stammt auch der Entwurf der erst 2012 eröff- neten unterirdischen Ausstellungshalle des Städel-Muse- ums nur wenige hundert Meter vom DAM weiter abwärts am Museumsufer. Gerade noch im Blickfeld erkennt man am Stadtrand ein weiteres Projekt, an dem Bollinger + Grohmann als Ingenieure beteiligt sind: die beiden Doppel- türme der Europäischen Zentralbank nach dem Entwurf des Wiener Büros Coop Himmelb(l)au. Mit Wolf D. Prix verbindet Bollinger + Grohmann eine langjährige Zusam- menarbeit und ein Dutzend gemeinsam realisierter Bauvor- haben und Wettbewerbsentwürfe: Bekannt wurden der UFA-Kristallpalast in Dresden (1998), in München die BMW Erlebniswelt in der Nähe des Olympiaparks (2007), in der Volksrepublik China das Dalian International Conference Center in Dalian (2012) und in Südkorea der Cinema Com- plex in Busan (2012) – Bauten, über die in allen Architek- turzeitschriften ausführlich berichtet wurde. Im Bau sind derzeit noch das Musée de Confluences in Lyon und das Mocape Museum of Contemporary Art in Shenzen. Inter- nationale Beachtung fanden auch so ungewöhnliche Ge- bilde („bubbles“) mit frei geformter Geometrie und Plexi- glashüllen wie der BMW-Pavillion für die Internationale Automobilausstellung (IAA) 1999, das Kunsthaus in Graz von Peter Cook und Colin Fournier (2003) und die Station der Hungerburgbahn in Innsbruck von Zaha Hadid (2007). Auf eine andere Art ungewöhnlich sind die Bauten, die zu- sammen mit dem japanischen Architekturbüro SANAA (Kazujo Sejima + Ryue Nishizawa) realisiert wurden: die Zollverein School of Management and Design in Essen (2006), das Betriebsgebäude der Firma Vitra in Weil am Rhein (2013), das Büro- und Besucherzentrum von Novar- tis in Basel (2006), das Rolex Learning Center in Lausanne (2010) und die neue, 2013 eröffnete Dependance des Lou- vre in Lens. Zu den Architekten, die die Ingenieurleistun- gen des Büros immer wieder in Anspruch nahmen, gehören die Stars der Zunft: Wolf D. Prix, Zaha Hadid, Renzo Piano, Dominique Perrault, Peter Cook, Christoph Mäckler, um nur einige zu nennen. Die Liste ist weitaus länger! Die sich daraus entwickelte internationale Ausrichtung des Büros kommt in Niederlassungen in Frankfurt, Wien, Paris, Oslo, Melbourne und Berlin mit ca. 140 Mitarbeitern zum Aus- druck. Doch was macht den großen Erfolg dieses Büros aus? Abgesehen von der Erfahrung, die in 30-jähriger Tätigkeit an unterschiedlichsten Bauprojekten gesammelt werden konnte, sicherlich der Mut und die Experimentierfreudig- keit auch spektakulären (oft bizarre und eigentlich unbau- baren) Entwürfen zur Realisation zu verhelfen und sich dabei jeder architektonischen Ambition zu enthalten. Da- für aber Entwicklungsarbeit zu leisten für ungewöhnliche konstruktive Details unter Einbeziehung der immer wich- tiger werdenden Bereiche Fassadenplanung, Bauphysik, Energieeffizienz und Altbauerhaltung, d. h. einen Part zu Bild 1. Eröffnung der Ausstellung „Hinter den Kulissen“ am 14. Juni 2013. Auf dem Podium die Herren Klaus Bollinger, Ulrich Storck und Manfred Grohmann (v.l.n.r.) (Foto: Burg- hard Wittekopf)

Ausstellung über Bollinger Grohmann im Deutschen Architekturmuseum Frankfurt/M

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Page 1: Ausstellung über Bollinger Grohmann im Deutschen Architekturmuseum Frankfurt/M

625Stahlbau 82 (2013), Heft 8

DOI: 10.1002/stab.201320094

Berichte

Ausstellung über Bollinger + Grohmann im Deutschen Architektur­museum Frankfurt/MHartwig Schmidt

„Hinter den Kulissen“ ist der Titel einer Ausstellung, die derzeit im Deutschen Architekturmuseum (DAM) in Frank-furt zu sehen ist (Bild 1). Sie ist dem Werk des Frankfurter Ingenieurbüros Bollinger + Grohmann gewidmet und ei-gentlich eine Jubiläumsveranstaltung. Dreißig Jahre nach der Gründung durch Klaus Bollinger (*1952) und Manfred Grohmann (*1953) ist das Ingenieurbüro zu einem der be-deutendsten und innovativsten in Deutschland geworden. Noch in Erinnerung ist sicher Vielen die rote Infobox am Potsdamer Platz in Berlin (1995) von der man die Baustel-len der einzelnen Hochhäuser beobachten konnte. Von den gleichen Architekten, dem Frankfurter Büro Schneider + Schumacher, stammt auch der Entwurf der erst 2012 eröff-neten unterirdischen Ausstellungshalle des Städel-Muse-ums nur wenige hundert Meter vom DAM weiter abwärts am Museumsufer. Gerade noch im Blickfeld erkennt man am Stadtrand ein weiteres Projekt, an dem Bollinger + Grohmann als Ingenieure beteiligt sind: die beiden Doppel-türme der Europäischen Zentralbank nach dem Entwurf des Wiener Büros Coop Himmelb(l)au. Mit Wolf D. Prix verbindet Bollinger + Grohmann eine langjährige Zusam-menarbeit und ein Dutzend gemeinsam realisierter Bauvor-haben und Wettbewerbsentwürfe: Bekannt wurden der UFA-Kristallpalast in Dresden (1998), in München die BMW Erlebniswelt in der Nähe des Olympiaparks (2007), in der Volksrepublik China das Dalian International Conference Center in Dalian (2012) und in Südkorea der Cinema Com-plex in Busan (2012) – Bauten, über die in allen Architek-turzeitschriften ausführlich berichtet wurde. Im Bau sind derzeit noch das Musée de Confluences in Lyon und das Mocape Museum of Contemporary Art in Shenzen. Inter-nationale Beachtung fanden auch so ungewöhnliche Ge-bilde („bubbles“) mit frei geformter Geometrie und Plexi-glashüllen wie der BMW-Pavillion für die Internationale Automobilausstellung (IAA) 1999, das Kunsthaus in Graz von Peter Cook und Colin Fournier (2003) und die Station der Hungerburgbahn in Innsbruck von Zaha Hadid (2007). Auf eine andere Art ungewöhnlich sind die Bauten, die zu-sammen mit dem japanischen Architekturbüro SANAA (Kazujo Sejima + Ryue Nishizawa) realisiert wurden: die Zollverein School of Management and Design in Essen (2006), das Betriebsgebäude der Firma Vitra in Weil am Rhein (2013), das Büro- und Besucherzentrum von Novar-tis in Basel (2006), das Rolex Learning Center in Lausanne (2010) und die neue, 2013 eröffnete Dependance des Lou-vre in Lens. Zu den Architekten, die die Ingenieurleistun-gen des Büros immer wieder in Anspruch nahmen, gehören

die Stars der Zunft: Wolf D. Prix, Zaha Hadid, Renzo Piano, Dominique Perrault, Peter Cook, Christoph Mäckler, um nur einige zu nennen. Die Liste ist weitaus länger! Die sich daraus entwickelte internationale Ausrichtung des Büros kommt in Niederlassungen in Frankfurt, Wien, Paris, Oslo, Melbourne und Berlin mit ca. 140 Mitarbeitern zum Aus-druck.

Doch was macht den großen Erfolg dieses Büros aus? Abgesehen von der Erfahrung, die in 30-jähriger Tätigkeit an unterschiedlichsten Bauprojekten gesammelt werden konnte, sicherlich der Mut und die Experimentierfreudig-keit auch spektakulären (oft bizarre und eigentlich unbau-baren) Entwürfen zur Realisation zu verhelfen und sich dabei jeder architektonischen Ambition zu enthalten. Da-für aber Entwicklungsarbeit zu leisten für ungewöhnliche konstruktive Details unter Einbeziehung der immer wich-tiger werdenden Bereiche Fassadenplanung, Bauphysik, Energieeffizienz und Altbauerhaltung, d. h. einen Part zu

Bild 1. Eröffnung der Ausstellung „Hinter den Kulissen“ am 14. Juni 2013. Auf dem Podium die Herren Klaus Bollinger, Ulrich Storck und Manfred Grohmann (v.l.n.r.) (Foto: Burg-hard Wittekopf)

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Berichte

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spielen, der den Architekten von immer komplizierteren Aufgaben entlastet und ihm zu ermöglichen, sich gemein-sam mit dem Ingenieur ganz auf die Entwurfsgestaltung und Formfindung zu konzentrieren. Hilfreich und unter-stützend dabei ist, nach eigenen Aussagen, die wissen-schaftliche Tätigkeit an den Architekturfakultäten – Klaus Bollinger ist seit 1994 Professor für Tragwerkskonstruk-tion an der Universität für Angewandte Kunst in Wien, Manfred Grohmann hat seit 1996 den entsprechenden Lehrstuhl an der Universität Kassel.

Betritt man mit den Vorkenntnissen über die großar-tigen Projekte des Büros die Ausstellung im ersten Oberge-schoß des DAM, so ist man erst einmal überrascht über die Ausstellungswände aus gelben Kiefernbrettern, die an Schaltafeln (oder an einen Bauzaun) erinnern und den nicht sehr großen Raum weiter unterteilen. Als Kontrast zu den ungleich hohen Wänden hängen dicht an dicht im Zentrum, zwischen den vier Stützen der Haus-im-Haus-Konzeption von Matthias Ungers, lange Fahnen, auf denen die wichtigsten Bauten, an denen Bollinger + Grohmann beteiligt waren, verzeichnet sind (Bild 2). Den Schwer-punkt der Ausstellungsarchitektur bildet der umlaufende „Bauzaun“ an dem Fotos, Zeichnungen und kleine Moni-tore befestigt sind, mit deren Hilfe drei Projekte Schritt für Schritt vom Entwurf bis zur Realisation erläutert werden: die Europäische Zentralbank in Frankfurt, das Rolex Lear-ning Center in Lausanne und das Sheikh Zayed Desert Learning Centre in Al Ain, einer Wüstenstadt in den Ver-einigten Arabischen Emiraten (Bild 3). Tritt man hinter den „Bauzaun“, so findet man einzelne „Themenräume“, von denen der Themenraum „Skelette“ der interessanteste ist (Bilder 4 und 5). Hier werden sieben Projekte gezeigt, deren Konstruktion und Form besondere Entwicklungsar-beit erforderte. Ausgestellt sind mehrere Modelle und Bau-details in Originalgröße (Mock-ups von Detailpunkten). Wer sich dazu in der Lage sieht, kann darüber hinaus an interaktiven Stationen ausprobieren, wie Veränderungen einzelner Parameter sich auf die Struktur eines Tragwerks auswirken.

Bild 4. Blick in die Ausstellung, rechts der Themenraum „Entwicklungen/Developments“ (Foto Uwe Dettmar)

Bild 3. Drei Bauten und ihre Werdegang von der Planung bis zur Fertigstellung: die Europäische Zentralbank in Frankfurt/M, das Rolex Learning Center in Lausanne und das Sheikh Zayed Desert Learning Centre in Al Ain, einer Wüstenstadt in den Vereinigten Arabischen Emiraten (v.o.n.u.) (Foto: Hartwig Schmidt)

Bild 5. Blick in die Ausstellung, links der Themenraum „Skelette“ (Foto: Uwe Dettmar)

Bild 2. Blick in die Ausstellung. In der Mitte, zwischen den Stützen der „Haus-im-Haus“-Konstruktion von Matthias Ungers, die Bauten, an denen Bollinger + Grohmann betei-ligt waren. Links ein Teil des umlaufenden „Bauzauns“ mit den einzelnen Entwicklungsstadien der drei Großbauten (Foto: Uwe Dettmar)

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Berichte

627Stahlbau 82 (2013), Heft 8

Dienstag und Donnerstag bis Samstag 11–18 Uhr, Mitt-woch 11-20 Uhr, Sonntags 11–19 Uhr. Eintritt 7 €. Telefon 089- 212-388 44. Internet: www.dam-online.de

Autor dieses Beitrages:Prof. Dr.-Ing. Hartwig Schmidt,Kurfürstenstraße 2, 76137 Karlsruhe

Hat man den Rundgang beendet, so ist man etwas enttäuscht, denn weder der Erfindungsreichtum, der die Arbeit des Büros auszeichnet, noch Hinweise auf die Pro-bleme beim Bauen und Konstruieren – das was „hinter den Kulissen“ passiert – ist einem in der Ausstellung deutlich vor Augen geführt worden (Die Ausstellung wurde kura-tiert von Oliver Elser (DAM) und gebaut von Anke Wünschmann). Will man die Arbeit des Büros genauer kennenlernen, so sollte man deshalb den zur Ausstellung erschienenen Band „DETAIL engineering 3“ in die Hand nehmen, der Bollinger + Grohmann gewidmet ist. Die um-fangreiche und mit vielen hervorragenden Abbildungen versehene Publikation ist herausgegeben worden von Christian Schittich und Peter Cachola Schmal, dem Direk-tor des DAM, und für 49 € als Katalogersatz im DAM er-hältlich (Bild 6).

Während der Ausstellung bietet das DAM ein umfang-reiches Begleitprogramm an: neben den regelmäßigen Führungen durch die Ausstellung (jeweils Samstag und Sonntag 14 Uhr) eine Vortragsreihe der einzelnen Büro-Partner über Bauten, Konstruieren und ihre Erfahrungen beim Bauen. Die Ausstellung ist bis zum 1. September ge-öffnet.

Informationen: Deutsches Architekturmuseum (DAM), Frankfurt, Schaumannkai 43. Das Museum ist geöffnet

Bild 6. Cover des Begleitbuches zur Ausstellung