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& Medien M&K 49. Jg. 2001/3 E 20039 F HANS-BREDOW-INSTITUT Thomas Vesting Das Rundfunkrecht vor den Herausforderungen der Logik der Vernetzung. Überlegungen zu einer horizontalen Rundfunkordnung für die Ökonomie der Aufmerksamkeit Stefan Wehmeier Ökonomisierung des Fernsehens. Ein Beitrag zur Verbindung von System und Akteur Nicola Döring Persönliche Homepages im WWW. Ein kritischer Überblick über den Forschungsstand Tilo Hartmann / Christoph Klimmt / Peter Vorderer Avatare: Parasoziale Beziehungen zu virtuellen Akteuren Jan Pinseler Sprechen im freien Radio. Eine Fallanalyse zu Möglichkeiten alternativen Hörfunks Die neue Rundfunk und Fernsehen Nomos Verlagsgesellschaft Baden-Baden Kommunikations- wissenschaft

Avatare-ParasozialeBeziehung Zu Virtuellen Akteurenn

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&Medien

M&K 49. Jg. 2001/3 E 20039 FHANS-BREDOW-INSTITUT

Thomas VestingDas Rundfunkrecht vor den Herausforderungen der Logik derVernetzung. Überlegungen zu einer horizontalen Rundfunkordnungfür die Ökonomie der Aufmerksamkeit

Stefan WehmeierÖkonomisierung des Fernsehens. Ein Beitrag zur Verbindung vonSystem und Akteur

Nicola DöringPersönliche Homepages im WWW. Ein kritischer Überblick über den Forschungsstand

Tilo Hartmann / Christoph Klimmt / Peter VordererAvatare: Parasoziale Beziehungen zu virtuellen Akteuren

Jan PinselerSprechen im freien Radio. Eine Fallanalyse zu Möglichkeitenalternativen Hörfunks

Die neue Rundfunk und FernsehenNomos VerlagsgesellschaftBaden-Baden

Kommunikations-wissenschaft

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Redaktion:Hardy Dreier, Uwe Hasebrink, Thorsten Held, Anja Herzog, Friedrich Krotz, Claudia Lampert, Christiane Matzen, Eva Rischkau, Hermann-Dieter Schröder, Wolfgang Schulz, Jutta Simon, Ralph Weiß

Nomos VerlagsgesellschaftBaden-Baden

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AUFSÄTZE

Thomas Vesting Das Rundfunkrecht vor den Herausforderungen derLogik der Vernetzung. Überlegungen zu einer hori-zontalen Rundfunkordnung für die Ökonomie derAufmerksamkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287

Stefan Wehmeier Ökonomisierung des Fernsehens. Ein Beitrag zurVerbindung von System und Akteur . . . . . . . . . . . . 306

BERICHTE

Nicola Döring Persönliche Homepages im WWW. Ein kritischer Überblick über den Forschungsstand . . . . . . . . . . . 325

Tilo Hartmann / Christoph Klimmt / Avatare: Parasoziale Beziehungen zu virtuellenPeter Vorderer Akteuren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350

Jan Pinseler Sprechen im Freien Radio. Eine Fallanalyse zu Mög-lichkeiten alternativen Hörfunks . . . . . . . . . . . . . . . 369

LITERATUR

Besprechungen

Armin Scholl Weiterentwicklung oder Auslaufmodell? System-theoretische Ansätze in der Journalismusforschung – eine Sammelrezension

Stefan Weber: Was steuert Journalismus? Ein Sys-tem zwischen Selbstreferenz und Fremdsteuerung. Konstanz: UVK, 2000 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384

Stefan Frerichs: Bausteine einer systemischen Nach-richtentheorie. Konstruktives Chaos und chaotischeKonstruktionen. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag, 2000 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387

Martin Löffelholz (Hrsg.): Theorien des Journalis-mus. Ein diskursives Handbuch. Wiesbaden: West-deutscher Verlag, 2000 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389

Joan Kristin Bleicher Erika Fischer-Lichte / Isabel Pflug (Hrsg.): Insze-nierung von Authentizität. Tübingen: Francke, 2000 395

Karin Böhme-Dürr Michael Bodin: Ausgebrannt ... über den „Burnout“im Journalismus. Ursachen und Auswege. Wiesba-den: Westdeutscher Verlag, 2000 . . . . . . . . . . . . . . . 396

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INHALTSVERZEICHNIS

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Knut Hickethier Jostein Gripsrud (Ed.): Television and CommonKnowledge. London/New York: Rootledge, 1999 397

Manfred Jenke Claudia Mast: Programmpolitik zwischen Marktund Moral. Entscheidungsprozesse über Gewalt imDeutschen Fernsehen – eine explorative Studie. Op-laden/ Wiesbaden: Westdeutscher Verlag, 1999 . . . 399

Klaus Plake Jo Reichertz: Die frohe Botschaft des Fernsehens.Kulturwissenschaftliche Untersuchung medialer Diesseitsreligion. Konstanz: UVK, 2000 . . . . . . . . . 400

Dagmar Schütte Annette von Kalckreuth: GeschlechtsspezifischeVielfalt im Rundfunk. Ansätze zur Regulierung vonGeschlechtsrollenklischees. Baden-Baden: Nomos,2000 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402

Jens Tenscher Klaus Kamps (Hrsg.): Trans-Atlantik – Trans-Por-tabel? Die Amerikanisierungsthese in der politi-schen Kommunikation. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag, 2000 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404

Hans J. Wulff Roberta E. Pearson / Philip Simpson (eds.): CriticalDictionary of Film and Television Theory. Lon-don/New York: Routledge, 2001 . . . . . . . . . . . . . . . 406

Zeitschriftenlese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419

English abstracts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 424

Mitarbeiterinnen und Mittarbeiterdieses Heftes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 426

Hinweise für Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 427

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Das Rundfunkrecht vor den Herausforderungen der Logik der Vernetzung

Überlegungen zu einer horizontalen Rundfunkordnung für die Ökonomie der Aufmerksamkeit1

Thomas Vesting

Der Beitrag stellt einige der Herausforderungen dar, denen das Rundfunkrecht durchneue informationstechnologische und medienökonomische Entwicklungen („Multime-dia“) ausgesetzt ist. Diese Herausforderungen werden einer neuartigen Logik der Ver-netzung zugeschrieben, die, so eine der Kernthesen des Aufsatzes, die Möglichkeit einerFortschreibung des dualen Rundfunksystems in seiner derzeitigen Ausgestaltung auf lan-ge Sicht eher unwahrscheinlich macht. Die Antwort auf die neuartige Logik der Vernet-zung wird in einem neuen Ordnungsmodell gesehen, das an systemtheoretische Vorstel-lungen von „Selbstorganisation“ anknüpft. Dieses neue Ordnungsmodell akzentuiertvor allem die Notwendigkeit der Erhaltung kultureller und ökonomischer Innovations-fähigkeit einschließlich der dazugehörigen Voraussetzungen. Abschließend versucht derBeitrag, die Folgen dieses Modells für die Rundfunkregulierung näher zu konkretisieren.

1. Einleitung

Schon seit einiger Zeit wird das duale Rundfunksystem durch neuere informationstech-nologische und medienökonomische Entwicklungen herausgefordert: Die Auflösungder stabilen Grenze zwischen Rundfunk und Telekommunikation auf technologischerEbene, die wechselseitige Öffnung der Grenze von Individual- und Massenkommuni-kation in wirtschaftlicher Hinsicht, die Veränderung der Stellung des öffentlich-rechtli-chen Rundfunks in einer dynamischen Wettbewerbsordnung, die Entwertung desRundfunkstaatsvertrags (RStV) durch eine großzügige Handhabung vager Experimen-tierklauseln in den Landesmediengesetzen, der damit verbundene Aufstieg informellerVerhandlungen in politischen und administrativen Zusammenhängen z. B. bei der Ein-führung des digitalen Fernsehens2, die Schwerfälligkeit der kooperativen Verfahren derEntscheidungsfindung der Landesmedienanstalten – all diese Phänomene konfrontierendas Rundfunkrecht mit Entwicklungen, die als Ausdruck einer neuartigen „Logik derVernetzung“3 gedeutet werden können. Damit ist gemeint, dass die eben genannten Ent-

AUFSÄTZE

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1 Bei dem Beitrag handelt es sich um eine gekürzte und leicht veränderte Fassung meines Einlei-tungskapitels zu Hahn/Vesting, Kommentar zum Rundfunkrecht, der voraussichtlich Ende2001 im Beck-Verlag erscheinen wird.

2 Darstellung dazu bei Ladeur, Rechtliche Regulierung von Informationstechnologien und Stan-dardsetzung, CR 1999, S. 395 ff., 401 f.; Hartstein/Ring/Kreile/Dörr/Stettner, Rundfunkstaats-vertrag, Stand Sept. 2000, § 53 Rn. 1; Vesting, Fortbestand des Dualen Systems?, K&R 2000, S. 161 ff., 164.

3 Vgl. Ladeur, Die Regulierung von Telekommunikation und Medien im Zeitalter ihrer Konver-genz, RTkom 1999, S. 68 ff.; Vesting, Das Internet als Herausforderung des „dualen Rund-funksystems“, in: Kops/Schulz/Held (Hrsg.), Von der dualen Rundfunkordnung zu einer

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wicklungen bei allen Unterschieden in den Details jeweils zu einer Unterwanderung,Destabilisierung oder auch Auflösung von Grenzen führen, auf denen die zentralenrechtlichen Unterscheidungen des dualen Rundfunksystems aufbauen. Das zweck-orientierte Recht des RStV, das mit Hilfe der veranstalterbezogenen Zulassung einen„Grundstandard“ von Vielfalt im privaten Rundfunk zu sichern versucht, büßt dadurchebenso an Leistungsfähigkeit ein wie das mit der vielfaltsorientierten Zweckprogram-mierung verknüpfte ordnungsrechtliche Instrumentarium, das den Landesmedien-anstalten als Aufsichtsorganen etwa im Bereich der Konzentrationskontrolle (z. B. § 22RStV), des Jugendschutzes (§ 3 RStV) und der Werberegeln (z. B. § 7 Abs. 1 RStV) zurVerfügung steht. Diese These soll zunächst an drei Beispielen aus dem Bereich der ebengenannten Entwicklungen belegt und plausibel gemacht werden.

2. Drei Beispiele

2.1 Die neuartigen Probleme der Abgrenzung von Individual- und Massenkommuni-kation

Eine wesentliche Ursache für die Auflösung ehemals stabiler Grenzen des dualen Rund-funksystems muss in der neueren informationstechnologischen Entwicklung gesehenwerden. Diese Entwicklung wird in der Literatur zumeist unter dem Stichwort „Kon-vergenz“ oder „technische Konvergenz“ diskutiert.4 Konnten Rundfunk und Telekom-munikation in der Vergangenheit einigermaßen plausibel durch die gegenständliche Un-terscheidung von Inhalt/Technik voneinander abgegrenzt werden, wird die Grenze zwi-schen Programm und Verbreitungstechnologie durch die neuen digitalen Netzarchitek-turen für wechselseitige Übertritte geöffnet. Damit wird die feste Zuordnung vonDiensten (Programme) zu jeweils spezifischen Verbreitungstechnologien (Netzen) inFrage gestellt. Beispielsweise können jetzt auf stationären, aber auch mobilen Telefon-netzen Leistungen angeboten werden, die früher nur durch rundfunkspezifische Netze(Terrestrik, Kabel) erbracht werden konnten; man denke nur an die erweiterten Mög-lichkeiten im Hinblick auf das Internet oder die künftigen UMTS-Handys. Umgekehrtkönnen jetzt auf Fernsehkabelnetzen neuartige Internetdienstleistungen jenseits derherkömmlichen Massenprogramme transportiert und damit künftig auch Rundfunkund E-Commerce miteinander kombiniert werden. Kurzum: Die informationstechno-logische Entwicklung erzeugt eine neuartige Flexibilität und Variabilität, die den Un-terschied von Rundfunk (Dienst) und Telekommunikation (Netz) verwischt sowie diedarauf aufbauenden rechtlichen Unterscheidungen relativiert – und in der Zukunft mög-licherweise vollständig entwerten wird.

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dienstespezifisch diversifizierten Informationsordnung, 2001, S. 275 ff.; zur Logik der Vernet-zung vgl. allgemein Guéhenno, Das Ende der Demokratie, 1994.

4 Vgl. nur Hoffmann-Riem/Schulz/Held, Konvergenz und Regulierung, 2000, S. 19 ff.; Europäi-sche Kommission, Grünbuch zur Konvergenz der Branchen Telekommunikation, Medien undInformationstechnologie und ihre ordnungspolitischen Auswirkungen, KOM (97), 623; Schoch,Öffentlich-rechtliche Rahmenbedingungen einer Informationsordnung, VVDStRL 57 (1998),S. 160 ff., 170 ff., 182 ff.; Trute, Öffentlich-rechtliche Rahmenbedingungen einer Informations-ordnung, VVDStRL 57 (1998), S. 218 ff.; Holznagel, Rechtsprobleme der Konvergenz vonRundfunk und Telekommunikation, MMR 1998, Beilage zu Nr. 3, S. 12 ff.

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Diese neuartige Flexibilität und Variabilität wirft einmal die sehr grundsätzliche Fra-ge auf, welche neuen Dienste dem Rundfunk zuzuordnen sind und damit den Bestim-mungen des RStV unterliegen, und zwar sowohl auf der Ebene der Zulassung als auchauf der Ebene der Kabelregulierung. Einerseits lassen sich durch Innovationen in der In-formationstechnologie neue Verwertungsmöglichkeiten erschließen, indem z. B. Mu-sikspartensender wie MTV die neuesten Charts simultan auf dem Web anbieten undüber Handys Zusatzfunktionen distribuieren. Damit stellt sich das Problem, wie dieseeher ergänzenden Funktionen rundfunkrechtlich zu behandeln sind und ob es z. B. ei-nen Unterschied macht, welche Technologie (z. B. Fernsehkabel oder ADSL) dabei be-nutzt wird. Des Weiteren wird aber auch zu klären sein, wie unmittelbare Konkurren-zen zwischen herkömmlichem Rundfunk und neuen Verbreitungsformen wie z. B.Web-TV aufeinander abgestimmt werden können und sollen. Im Bereich des Fernse-hens muss man mit Zukunftsprognosen zwar vorsichtig sein, weil sich bei Bewegtbil-dern zurzeit noch deutliche Unterschiede in der Leistungsfähigkeit der Netze und End-geräte ausmachen lassen. Aber auch hier wird die Grenze durch neue Kompressions-technologien immer durchlässiger, wie man schon heute an den Angeboten der Por-noindustrie im Internet studieren kann. Vieles von dem, was hier z. B. über Vivid- oderReal Player angeboten wird, entspricht mehr oder weniger Video on Demand-Applika-tionen, die nach wohl herrschender Auffassung als Rundfunk im Sinne von Art. 5 Abs.1 Satz 2 GG einzustufen wären.5

Würde man zur Bewältigung dieser neuen Flexibilität also einfach an das traditionel-le Rundfunkrecht und seine Vorstellung von pluralistischer Meinungsbildung anknüp-fen, würde dies letztlich zu einer Ausdehnung des Rundfunkrechts insbesondere auf dasInternet führen. Eine solche rechtliche Strategie lässt sich unter der Bedingung der Lo-gik der Vernetzung aber auf Dauer nicht durchhalten. Sie würde letztlich eine uferloseAusweitung des Rundfunkrechts nach sich ziehen, die angesichts der Struktur des In-ternets (weltweite Vernetzung, multifunktional, selbstorganisierend, selbstregulierendetc.) illusionär erscheint und auch praktisch gesehen kaum lösbare Abgrenzungsproble-me z. B. zu anderen Internet-Dienstleistungen, insbesondere zum E-Commerce, auf-werfen würde. Da die Logik der Vernetzung durch eine Steigerung der Optionenräumegerade die Diskriminierungskapazität von Grenzbegriffen unterläuft, werden sich dieseAbgrenzungsprobleme auch im Rahmen verbesserter Dienste-Typologien („Lizenz-klassen“), die an die meinungsbildende Wirkung anknüpfen, kaum bewältigen lassen.6Ebenso zweifelhaft ist es, ob der rundfunkrechtliche Teilzugriff auf digitalisierte Kabel-anlagen, wie er in § 52 Abs. 3–5 RStV umgesetzt worden ist, angesichts der Auflösungdes Unterschieds von Fernsehkabelanlagen und sonstigen Netzen weiterführend ist.7

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5 Vgl. BVerfGE 74, 297 (350); 83, 238 (302); Hoffmann-Riem, Der Rundfunkbegriff in der Dif-ferenzierung kommunikativer Dienste, AfP 1996, S. 9 ff.; ders., Regulierung der dualen Rund-funkordnung, 2000, S. 229 ff., 231; A. Hesse, Rundfunkrecht, 1999, S. 80 ff. m.w.N.

6 In diese Richtung Schulz, Man geht auf ein Loch zu, weiß, dass man hineinfallen wird, und fällthinein, Funkkorrespondenz 2000, Heft 29, S. 3 ff.; ähnlich wohl auch Hoffmann-Riem, Regu-lierung der dualen Rundfunkordnung, 2000, S. 229 ff. (im Zusammenhang mit Online-Akti-vitäten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks).

7 Nur hingewiesen sei hier darauf, dass die Lösung der neuartigen Probleme, die durch die höhe-re Variabilität und Flexibilität der digitalen Verbreitungstechnologien aufgeworfen werden, in

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2.2 Die kultur- und medienökonomische Seite der Entwicklung

2.2.1 Die Relativierung der Bedeutung des Veranstalters

Die Logik der Vernetzung entwertet die ordnungsbildende Funktion des herkömm-lichen Rundfunkrechts auch in medienökonomischer Hinsicht. Das gilt vor allem fürdie Veranstalterzentrierung des traditionellen Rundfunkrechts. Zwar hat die Veran-stalterzentrierung in der Form der strategischen Suche nach dem „günstigsten“ Ort fürdie rundfunkrechtliche Zulassung („forum shopping“)8 und in der Auflösung derEinheit von Programmproduktion, -distribution und -vermarktung schon immer eineReihe von Problemen erzeugt; auf Letzteres reagiert u.a. § 28 RStV (Zurechnung vonProgrammen). Die wirtschaftliche Integration der (privaten) Rundfunkveranstalter inimmer komplexere, an Multimedia-Bedingungen angepasste Wertschöpfungsketten9

wird den veranstalterbezogenen Ausgangspunkt des RStV in Zukunft jedoch auf einenoch härtere Probe stellen. Schon heute besteht die typische Verwertungskette z. B. füreine Filmproduktion aus Kinoverwertung, Pay-per-View, Pay-TV, Videoverleih, Free-TV-Erstausstrahlung, Free-TV-Zweitausstrahlung und den Verwertungen, die aus denmit dem Film verbundenen sonstigen Produkten („Merchandising“), aus Büchern,Filmmusik, Stars usw. hervorgehen.10 Das bedeutet, dass Pay-TV und Free-TV in zen-tralen Programmbereichen nur mehr „Fenster“ innerhalb einer zeitlich und sachlichgestuften Verknüpfung von Verwertungsmöglichkeiten darstellen. Diese Verwertungs-ketten werden durch das Internet in Zukunft noch weiter ausdifferenziert und verfei-nert werden. Das Medienrecht wird also künftig eine Dynamik der Vernetzung vongleichzeitigen und ungleichzeitigen Verwertungsmöglichkeiten bewältigen müssen, diedie Grenze von Rundfunk als publizistisch-programmlichem Medium und Wirt-schaftsgut weiter durchlässig machen wird. Dies wird sich vor allem in neuartigenKombinationen von kulturellen und ökonomischen Werten zeigen, die die Autonomiedes Rundfunks künftig vor allem in Richtung Werbung und E-Commerce unterwan-dern werden.

2.2.2 Ökonomie der Aufmerksamkeit als Realisationsform einer neuen Kultur- undMedienökonomie

Die Autonomie des Rundfunks, aber auch der neuen, stärker individualisierbaren For-men, wie sie durch „intelligente“ Fernseher, Internet-TV, UMTS-Handys etc. möglichwerden, wird insbesondere durch die wachsende Bedeutung der Kultur- und Medien-

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Deutschland durch weitreichende kompetenzrechtliche Folgen erschwert wird, die sich auch inden Schwierigkeiten einer effizienten Kooperation der Landesmedienanstalten niederschlägt.Vgl. nur Ladeur, Zur Notwendigkeit einer flexiblen Abstimmung von Bundes- und Landeskompetenzen auf den Gebieten des Telekommunikations- und Rundfunkrechts, ZUM1998, S. 261 ff.; Schulz/Vesting, Frequenzmanagement und förderale Abstimmungspflichten,2000.

8 Vgl. nur Hoffmann-Riem, Regulating Media, 1996, S. 123, 144 f.9 Der Begriff der Kette wird hier bewusst gewählt: Die Wertschöpfung erfolgt nicht netzwerk-

artig, sondern vertikal von gebündelten (Kino) zu zerstreuten (Internet) Vermarktungsfor-men.

10 Vgl. nur Hoffmann-Riem, Regulierung der dualen Rundfunkordnung, 2000, S. 82 f.

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ökonomie herausgefordert werden. Alle diese Medien unterliegen letztlich den Zwän-gen der Ökonomie der Aufmerksamkeit11, die eine „Ökonomie des Neuen“ ist.12 DieAufmerksamkeitsökonomie macht die vorübergehende Prominenz von Themen undPersonen zur zentralen Form einer neuen „Währung“. Medienunternehmen – und ins-besondere der werbefinanzierte private Rundfunk – sehen sich deshalb mit einer neuar-tigen kultur- und medienökonomischen Logik konfrontiert, deren Gesetzmäßigkeitensie in ihrem Handeln antizipieren müssen, wenn sie mit ihren Programmen erfolgreichsein wollen. Dies führt z. B. dazu, dass die Risiken, die mit der Produktion neuer Fern-sehfilme oder -serien verbunden sind, durch Bekanntheit und Reputation gebundenwerden müssen. Bekanntheit lässt sich etwa durch die strategische Bearbeitung von Er-wartungen erzielen, indem z. B. Wiedererkennungseffekte für die Zuschauer durch denAufbau fester Genrestrukturen (Krimi, Drama, Komödie etc.) aufgebaut werden. Re-putation kann dagegen in besonderen Aufmerksamkeitsaggregaten stabilisiert werden,z. B. durch den Einsatz von Superstars.

Diese Eigenlogik des Mediensystems, die Rundfunkveranstalter und Medienunter-nehmen durch ihr Handeln beständig reproduzieren, hat wiederum Rückwirkungenauf andere Kommunikationsnetzwerke, die dadurch beeinflusst werden und sich unterder „Macht der Medien“ selbst verändern. So führt z. B. die Präsenz von Stars in denMedien dazu, dass die Politik den Star-Mechanismus adaptiert, weil auch die Politikden Zwängen zur Erzeugung von Aufmerksamkeit, d.h. der Unterhaltungsfunktionder Medien unterworfen wird.13 Gerhard Schröder konkurriert heute eben nicht mehrnur mit Angela Merkel, sondern auch mit Boris Becker und Sabrina Setlur. Aber auchin den Organisationen der Wirtschaft entsteht jetzt ein zunehmendes Interesse daran,Stars zu haben, die in den Medien präsent sind (Ron Sommer, Gebrüder Haffa). Ja, un-ter der Bedingung eines laufenden Informationsüberschusses wird das personen-orientierte Firmenmarketing für viele Unternehmen zu einem wirtschaftlich ausschlag-gebenden Erfolgsfaktor, weil die Aufmerksamkeit für das Markenimage und die darangebundenen Produkte und Dienstleistungen auch wirtschaftlich ausschlaggebend wird.Diese Entwicklung muss jedenfalls im Zusammenhang mit einem allgemeinen Bedeu-tungszuwachs von Werbung, Public Relations, Produktdesign und Imagepflege in derWirtschaft gesehen werden, die damit Züge einer „Entertainment Economy“ an-nimmt.14 Ein Teil der Probleme, die diese wechselseitige Selbsterzeugung von Promi-nenz und Bekanntheit in Politik, Wirtschaft und Medien für zentrale Regelungen desRStV aufwerfen, lassen sich vor allem an der Auflösung der Trennung von Programm,

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11 Franck, Ökonomie der Aufmerksamkeit, 1998; Rötzer, Aufmerksamkeit als Medium der Öf-fentlichkeit, in: Maresch/Werber (Hrsg.), Kommunikation, Medien, Macht, 1999, S. 35 ff.;Schmidt, Kalte Faszination: Medien, Kultur, Wissenschaft in der Mediengesellschaft, 2000, S. 234 ff.

12 Dazu Groys, Über das Neue, München 1992; vgl. auch Luhmann, Die Gesellschaft der Gesell-schaft, Bd. 2, 1997, S. 997 ff., 1014 f.

13 Vgl. Franck, Ökonomie der Aufmerksamkeit, 1998, S. 179; Guéhenno, Das Ende der Demo-kratie, 1994, S. 52; Sennett, Verfall und Ende des öffentlichen Lebens, 1986, S. 324 ff., 329; in ju-ristischer Perspektive vgl. auch Vesting, Prozedurales Rundfunkrecht, 1997, S. 13 ff., 15, 210 ff.,296 ff. m.w.N.

14 Vgl. Wolf, The Entertainment Economy 1999; vgl. auch Franck, Ökonomie der Aufmerk-samkeit, 1998, S. 69, 71; Luhmann, Die Realität der Massenmedien, 1996, S. 96 ff.; Schmidt, Kalte Faszination: Medien, Kultur, Wissenschaft in der Mediengesellschaft, 2000, S. 132 ff.

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Werbung und E-Commerce demonstrieren, auf die die Rundfunkgesetzgebung bislangohne erkennbares strategisches Konzept reagiert.15

2.3 Duales Rundfunksystem und dynamische Wettbewerbsordnung

Mit dem Übergang zum dualen Rundfunksystem ist ein Element der Selbstorganisationin die Rundfunkordnung eingebaut worden, das sich vor allem in der Selbstdefinitionder Programminhalte im privaten Rundfunk niederschlägt. Eine „Programmsteuerung“durch eine extern konzipierte Rundfunkaufsicht kann unter dieser Bedingung aus nor-mativen und faktischen Gründen nur noch in sehr abgeschwächter Weise funktionieren.Der RStV formuliert zwar neben den grenzziehenden Verboten im Bereich der Wer-bung und des Jugendschutzes eine Reihe von positiven Programmgrundsätzen (vgl. § 41RStV). Die Landesmedienanstalten können das Programm der privaten Veranstalteraber doch allenfalls auf sehr grobe Verstöße hin kontrollieren. Und selbst bei solchenVerstößen sind Interventionen durch die Landesmedienanstalten dann schwierig, wenndas Programm von den Zuschauern gerne gesehen wird. Legitimation ist auch für Lan-desmedienanstalten ein knappes Gut.

Etwas abstrakter gesprochen, hat das duale Rundfunksystem eine Eigendynamik frei-gesetzt, die sich in der Vorstellung einer „positiven Ordnung“16 nicht mehr abbildenlässt. Die Annahme, dass vor allem durch Organisation und Verfahren ein an der Pro-duktion von Vielfalt orientiertes Rundfunksystem auch den privaten Rundfunk mit ein-beziehen könnte, ist mit einer dynamischen, auf Selbstorganisation und Selbstregulie-rung angelegten Wettbewerbsordnung nicht in Einklang zu bringen. Auf einer derartigpolitisch-rechtlichen Setzung der Gesamtvielfalt beharrt aber der RStV: Dessen Kon-zeption bzw. Ordnungsmodell – sofern man hier von „Modell“ oder „Konzeption“sprechen kann17 – läuft letztlich darauf hinaus, dass der Gesetzgeber im Rahmen einesaus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG abgeleiteten verfassungsrechtlichen „Gewährleistungsauf-trags“ vorab die Spielregeln festlegt, innerhalb derer sich die Entwicklung der Rund-funkordnung einschließlich der Beziehung zwischen den beiden Säulen entfalten soll.18

Damit verstellt die staatszentrierte Konzeption des RStV aber auch den Blick auf diekultur- und medienökonomischen Zwänge und Folgen, die diese für die Stellung des öf-fentlich-rechtlichen Rundfunks in einem „dualen Rundfunksystem“ haben.

Wenn eine Rundfunkordnung einmal auf Wettbewerb um Aufmerksamkeit umge-stellt worden ist, muss sich auch das Verhalten der öffentlich-rechtlichen Anstalten ver-ändern. Gerade wenn der öffentlich-rechtliche Rundfunk durch eine Gebühr finanziertwird, die jedem Rundfunkteilnehmer unabhängig von seinem konkreten Nutzungsver-halten auferlegt wird (vgl. § 12 Abs. 2 RStV), müssen auch die öffentlich-rechtlichenVeranstalter darauf bedacht sein, ihr Programm attraktiv zu gestalten und einen be-

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15 Ladeur, Neue Werbeformen und der Grundsatz der Trennung von Werbung und Programm,ZUM 1999, S. 672 ff.

16 Siehe nur BVerfGE 57, 295 (320).17 Zweifelnd etwa Hoffmann-Riem, Regulierung der dualen Rundfunkordnung, 2000, S. 24, 30,

315 u.ö.18 Dies kann hier nur thesenhaft angedeutet werden. Ausführlicher dazu Vesting, Prozedurales

Rundfunkrecht, 1997, S. 115 ff.; vgl. auch Ladeur, Der „Funktionsauftrag“ des öffentlich-recht-lichen Rundfunks – auf „Integration“ festgelegt oder selbst definiert?, M&K 48 (2000), S. 93 ff.

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stimmten Gesamtmarktanteil nicht zu unterschreiten; ansonsten stellen sie ihre eigeneFinanzierungsgrundlage in Frage. Dieser Druck hat in den letzten Jahren – besondersausgeprägt im Bereich des Hörfunks – zu einer weiteren Diversifikation der Programm-angebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks geführt.19 Auch im Bereich des Fernse-hens sind mit Phoenix und dem Kinderkanal neue Spartenprogramme auf den Markt ge-bracht worden, eine Entwicklung, die in Teilen der rechtswissenschaftlichen Literaturals mit dem Auftrag zur „Grundversorgung“ nicht zu vereinbarende „Programmex-pansion“ qualifiziert worden ist.20

Auf diese Vorwürfe reagiert die Diskussion über den „Funktionsauftrag“ des öffent-lich-rechtlichen Rundfunks.21 Diese Debatte hat einerseits gezeigt, dass ein nicht hin-reichend spezifiziertes Recht zur Selbstdefinition des „Funktionsauftrags“ rasch in dieNähe einer Tautologie führen kann: Der Funktionsauftrag ist das, was der öffentlich-rechtliche Rundfunk als Funktion festlegt.22 Die Bedenken, die mit dieser Kritik for-muliert werden, sind schon deshalb ernst zu nehmen, weil der öffentlich-rechtlicheRundfunk angesichts des quantitativen Wachstums von Informations- und Unterhal-tungsangeboten und einer bislang nur sehr schwach ausgebildeten langfristigen Unter-nehmensstrategie23 der Selbstgefährdung ausgesetzt ist, sich im Wettbewerb um Auf-merksamkeit zu stark auf „Strategien der Marktverstopfung“ einzulassen.24 Anderer-seits kann die Konturierung der Grenzen der Programmautonomie des öffentlich-recht-lichen Rundfunks nicht einfach durch eine materielle, an kulturellen und politischenZielen orientierte Limitierung in inhaltlicher oder quantitativer Hinsicht erfolgen, alsoletztlich durch eine Rückkehr zum „Integrationsrundfunk“.25 Jedenfalls ist dieser Weginsofern wenig überzeugend, als er nach wie vor eine relativ stabile Grenze zwischendem öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunk unterstellt und die grundlegendenwirtschaftlichen und kulturellen Veränderungen, denen auch der öffentlich-rechtlicheRundfunk innerhalb der insgesamt veränderten Kultur- und Medienlandschaft ausge-setzt ist, nicht verarbeitet.26

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19 Holznagel/Vesting, Sparten- und Zielgruppenprogramme im öffentlich-rechtlichen Rundfunk,insbesondere Hörfunk, 1999, S. 11 ff., 29 ff.

20 Z. B. Bleckmann, Öffentlich-rechtliche Spartenprogramme als Bestandteil der Grundver-sorgung?, 1996; vgl. aber die Entscheidung der EU-Kommission vom 8.3.1999 (Sache Nr. IV/36.522).

21 Hoffmann-Riem, Regulierung der dualen Rundfunkordnung, 2000, S. 183 ff.; Bullinger, DieAufgaben des öffentlich-rechtlichen Rundfunks – Wege zu einem Funktionsauftrag, 1999;Holznagel/Vesting, Sparten- und Zielgruppenprogramme im öffentlich-rechtlichen Rundfunk,insbesondere Hörfunk, 1999; Holznagel, Der spezifische Funktionsauftrag des Zweiten Deut-schen Fernsehens, 1999.

22 Ladeur, Der „Funktionsauftrag“ des öffentlich-rechtlichen Rundfunks – auf „Integration“ fest-gelegt oder selbst definiert?, M&K 48 (2000), S. 93 ff., 97.

23 Hoffmann-Riem, Regulierung der dualen Rundfunkordnung, 2000, S. 280 ff.24 Hoffmann-Riem, Regulierung der dualen Rundfunkordnung, 2000, S. 226.25 So insbesondere Bullinger, Die Aufgaben des öffentlich-rechtlichen Rundfunks – Wege zu ei-

nem Funktionsauftrag, 1999.26 Vgl. näher Ladeur, Der „Funktionsauftrag“ des öffentlich-rechtlichen Rundfunks – auf „Inte-

gration“ festgelegt oder selbst definiert?, M&K 48 (2000), S. 93 ff.; Hoffmann-Riem, Regulie-rung der dualen Rundfunkordnung, 2000, S. 181 ff.; Holznagel/Vesting, Sparten- und Ziel-gruppenprogramme im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, insbesondere Hörfunk, 1999, S. 42 ff

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3. Zur Zukunft des dualen Rundfunksystems und des Rundfunkstaatsvertrages

3.1 Zur Notwendigkeit eines Neuansatzes im Rundfunkrecht und in der Rundfunk-regulierung

Die Bestandsaufnahme des vorigen Abschnitts hat gezeigt, dass die informationstech-nologischen und medienökonomischen Entwicklungen nicht nur zentrale Vorausset-zungen einzelner Bestimmungen des RStV destabilisieren, sondern das veranstalterzen-trierte Konzept des dualen Rundfunksystems insgesamt in Frage stellen.27 Der geltendeRStV ist noch zu sehr einer Konzeption verpflichtet, in deren Mittelpunkt stabile Or-ganisationen und die mit ihnen verbundenen gesellschaftlich „relevanten Gruppen“ ste-hen, so wie für den Staat der Industriegesellschaft die politischen Parteien und sozialenVerbände im Zentrum einer von territorialen staatlichen Grenzen her definierten Ge-sellschaft standen. Und so wie die quantitative Expansion des Staates und der Staatsauf-gaben in der Vergangenheit vielfach unter die Vorstellung einer „politischen Steuerung“der Gesellschaft subsumiert worden sind, so bringt auch der RStV, als Teil dieser Ent-wicklung, die Vorstellung zum Ausdruck, die dauernde Selbstveränderung der Massen-medien und des Rundfunks könnte im Rahmen eines Staatsvertrages politisch „gesteu-ert“ und „verantwortet“ werden. Darin liegt das spezifisch deutsche kulturstaatlicheErbe des dualen Rundfunksystems28, und dieses Erbe ist letztlich der Grund dafür, dassdas duale Rundfunksystem auf die neuen, sehr viel flexibleren Strukturen der (wirt-schaftlichen) Selbstorganisation in einer (post-)modernen Gesellschaft immer wenigerpasst. Mehr noch: Die Logik der Vernetzung treibt das Regulierungskonzept des RStVzunehmend in die Nähe einer idealistischen Setzung, die keinen Außenhalt in der Rea-lität mehr findet.

Durch die Dynamik der informationstechnologischen und medienökonomischenEntwicklungen verliert auch die bisherige Rechtsprechung des BVerfG einen Großteilihrer Orientierungskraft; dies gilt insbesondere für die Bewältigung der Probleme derZukunft. Das hängt vor allem damit zusammen, dass das Rundfunkrecht von der Stim-migkeit seiner Realitätsannahmen auch normativ auf paradoxe Weise abhängig ist. Wiedie Erfahrung lehrt, sind rechtsnormative Konstruktionen auf Dauer nur dann haltbar,wenn dabei kognitive Beschreibungen zugrunde gelegt werden, die sich an den Verhält-nissen der Praxis orientieren. Schon weite Partien der Rechtsprechung zum dualenRundfunksystem müssen in dieser Hinsicht als problematisch eingestuft werden. Je-denfalls wird die Vorstellung einer primär objektiv-rechtlich zu verstehenden Rund-funkfreiheit, die im Unterschied zu anderen (Medien-)Freiheiten des Grundgesetzes der(gesetzlichen) Umsetzung durch Organisation und Verfahren in einer „positiven Ord-nung“ bedarf, angesichts der neueren informationstechnologischen und medienökono-mischen Entwicklungen praktisch obsolet.29 Deshalb kommt es gerade für die zukünf-

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27 Dies betont seit langem auch Hoffmann-Riem, Regulierung der dualen Rundfunkordnung,2000, S. 17 f.

28 Vgl. dazu Breuer, Der Staat, 1998, S. 192.29 Ladeur, Guaranteeing the Programming Mandate of Public Broadcasters and Restraints on Pri-

vate Broadcasters’ Programmes in Multimedia Conditions, in: de Witte (Hrsg.), Public ServiceBroadcasting and European Law, im Erscheinen 2001; Hoffmann-Riem, Regulierung der dua-len Rundfunkordnung, 2000, S. 17 f.

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tige Diskussion darauf an, den Trend einer Flucht in abstrakte Glaubensbekenntnisse,der auch in der gesetzlichen Rundfunkregulierung weit verbreitet ist, umzukehren.

Aus dieser Entwertung des herkömmlichen Rundfunkrechts wird nun freilich vielfachder Schluss gezogen, dass die Rundfunkregulierung überhaupt zurückgenommen oderabgeschafft werden müsse. In dieser Perspektive soll sich die Rundfunkregulierung auftraditionelle Materien wie den straf- und zivilrechtlichen Schutz öffentlicher Güter be-schränken, ergänzt durch eine allgemeine Wettbewerbskontrolle. Die Rundfunkaufsichtwäre danach eher in der ordnungsrechtlichen Tradition einer „Medienpolizei“ zu den-ken. Dies wird nicht selten auch mit einer kompetenzrechtlichen Komponente ver-knüpft, eine Sichtweise, in der vor allem der Bund und die Telekommunikationsregu-lierung einen erheblichen Bedeutungszuwachs erfahren.30 Dieses Konzept stößt auch impolitischen Raum von Zeit zu Zeit auf ein positives Echo, wenn etwa die Abschaffungder KEK und der spezifisch rundfunkrechtlichen Konzentrationskontrolle (vgl. §§ 26 ff. RStV) zugunsten ihrer Verlagerung auf das Bundeskartellamt bzw. die europäi-sche Ebene gefordert werden.31 Dies ist jedoch eine ambivalente Forderung: Wird derspezifisch vielfaltssichernde (kulturrechtliche) Ansatz der Rundfunkregulierung aufge-geben, hebt sich das Rundfunkrecht in seiner derzeitigen Form selbst auf; und zwar ge-rade in kompetenzrechtlicher Hinsicht. Wenn Rundfunkpolitiker der Länder selbst zuverstehen geben, dass sie den Rundfunk nicht länger als Kulturgut qualifizieren (und wiesonst soll man die Forderung einer Verlagerung der rundfunkspezifischen Konzentrati-onskontrolle auf die Bundes- bzw. EG-Ebene verstehen), dann wirft dies unweigerlichdie Frage auf, auf welcher Grundlage die Länder denn überhaupt eine Kompetenz fürdie Rundfunkregulierung beanspruchen können.

Es kann also nicht darum gehen, den kulturrechtlichen Ausgangspunkt der Rund-funkregulierung aufzugeben, sondern darum, das alte publizistische Modell so umzu-schreiben und umzubauen, dass es wieder an die Realität der Massenmedien und ihre Ei-gendynamik anschließen kann. Entgegen einer in Wissenschaft und Praxis verbreitetenTendenz, die Zukunft des Rundfunkrechts lediglich in der Breite und dann auch nur ent-lang „brennender praktischer Probleme“ zu diskutieren, wird es dabei entscheidend dar-auf ankommen, ein theoretisch haltbares rundfunkrechtliches Ordnungsmodell zu ent-werfen, das an die Stelle des alten Modells des Integrationsrundfunks treten könnte.Auch das BVerfG hat in den sechziger und siebziger Jahren des gerade vergangenen letz-ten Jahrhunderts auf gesellschaftliche und politische Umwälzungen mit einem Ord-nungsmodell, dem Integrationsrundfunk, und nicht lediglich mit strukturloser Abwä-gungskasuistik geantwortet. Nur wenn es gelingt, ein solches Ordnungsmodell zu ent-wickeln, können künftige rundfunkpolitische Weichenstellungen wie etwa die Fragenach der rechtlichen Einordnung der neuen Internet-Dienste beobachtet und Fehlent-wicklungen ggf. aus rechtlicher Perspektive korrigiert werden. Damit soll hier natürlichnicht bestritten werden, dass es eine Fülle von praktischen Einzelproblemen z. B. imBereich der Werberegulierung gibt, die auch auf „praktischer“ Ebene gelöst werdenmüssen. Es soll aber bestritten werden, dass haltbare normative Lösungen auch dieserEinzelprobleme ohne eine theoretisch stimmige Konzeption sinnvoll im Rechtssystemdiskutiert werden können (die Politik wird anders darüber denken!).

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30 Z. B. Mestmäcker/Bullinger, Multimediadienste, 1997.31 Vgl. SZ v. 21.9.2000, S. 24; Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich

(KEK), Fortschreitende Medienkonzentration im Zeichen der Konvergenz, 2000.

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3.2 Normative Grundelemente eines neuen rundfunkrechtlichen Ordnungs-modells

3.2.1 Ausgangsüberlegung

Ein solches Ordnungsmodell kann mit der Überlegung starten, dass der Rundfunk auchin Zukunft einen Beitrag zur Sicherung einer reichen Vielfalt von kulturellen Themenund Ideen in den unterschiedlichen Kommunikationsnetzwerken einer (post-)moder-nen Gesellschaft leisten sollte. Mit der Wahl dieses Ausgangspunktes soll insbesondereakzentuiert werden, dass der Zugang zu einem neuen rundfunkrechtlichen Ordnungs-modell über eine Perspektive der Erhaltung gesellschaftlicher und vor allem wirtschaft-licher Innovationsfähigkeit gesucht werden muss, nicht aber – jedenfalls nicht primär –über eine staatszentrierte Vorstellung von „Meinungsbildung“ oder über Begriffe wie„Zugangsgerechtigkeit“ oder „Chancengleichheit“. Während die staatszentrierten Vor-stellung öffentlicher Meinungsbildung letztlich der Rechtsprechung des Bundesverfas-sungsgerichts zugrunde liegt, werden Vorstellungen wie „Zugangsgerechtigkeit“ oder„Chancengleichheit“ auf einer eher allgemeinen Ebene z. B. sehr stark bei J. Rifkin ak-zentuiert. Im Rundfunkrecht stehen diese Vorstellungen insbesondere im Mittelpunktder Diskussion um das digitale Pay-TV und die Regeln der §§ 52, 53 RStV.32

3.2.2 Das öffentliche Interesse

Auf rechts- und verfassungstheoretischer Ebene kann ein solches Konzept unterstellen,dass es ein öffentliches Interesse an der Sicherung kultureller Vielfalt gibt. Gerade in ei-ner „globalen Welt“ kann auf die Erhaltung kulturellen Reichtums im Sinne eines Va-rietät und Diversität erhaltenden „Ideenpools“, zu dem auch eine Vielfalt der (nationa-len) Traditionen, Gewohnheiten, Sprachen, Weltbilder und Werte gehört, nicht ver-zichtet werden. So wie biologische Diversität eine Voraussetzung für die Evolution le-bender Systeme bzw. Organismen ist, so bildet kulturelle Vielfalt eine Voraussetzungfür die Sicherung der laufenden Selbsterneuerung einer (post-)modernen Gesellschaftsowohl auf globaler als auch auf regional-staatlicher Ebene. So schimmernd der Begriffder Kultur aus sozialwissenschaftlicher Sicht auch sein mag33; es dürfte in rechts- undverfassungstheoretischer Perspektive unstrittig sein, dass die Erhaltung der Innovati-onsfähigkeit der Kultur einen positiven Beitrag zur Erhaltung der Flexibilität undSelbsterneuerungsfähigkeit der (post-)modernen Gesellschaft leistet. Die Haltbarkeitdieser Ausgangsüberlegung lässt sich auch deshalb schwerlich in Frage stellen, weil dieErhaltung der Innovationsfähigkeit der Kultur für die Innovationsfähigkeit der Wirt-schaft mehr und mehr von ausschlaggebender Bedeutung ist. In der „knowledge-eco-nomy“ ist Kapital immer weniger in Land, Fabriken, Maschinen und Werkzeugen ak-kumuliert und immer mehr in Information und Wissen. Letzteres schließt praktischesWissen ein, und zu diesem praktischen Wissen gehört immer auch ein Unterbestand ge-meinsamer informeller Konventionen, Normen und Werte, also das, was Ökonomen,

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32 Vgl. allg. Rifkin, Access, 2000; siehe aber auch ders., Access, 2000, S. 20; für die Medien z. B.Schulz, Gewährleistung kommunikativer Chancengleichheit als Freiheitsverwirklichung, 1998.

33 Vgl. Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft, 1997, Bd. 1, S. 586 ff., 588 („Bis heute ist kei-ne klare Abgrenzung des damit gemeinten Phänomenbereichs gelungen“).

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Soziologen und Politologen heute als „Sozialkapital“ beschreiben.34 Sozialkapital hatwiederum große Auswirkungen auf die Fähigkeit zur Selbstverständigung und zu auto-nomer Assoziationsbildung, also auch auf ein entsprechendes Klima des gegenseitigenVertrauens, das z. B. für den Aufbau von nicht-familienbasierten Großunternehmen un-entbehrlich ist.35 Infolgedessen besteht gerade aus wirtschaftlicher Sicht ein nachhalti-ges öffentliches Interesse an der Erhaltung der Intelligenz und Flexibilität dieses Sozial-kapitals.36

In einer (post-)modernen Konfiguration, d.h. in einer Gesellschaft ohne Zentrum undohne Spitze, können Begriffe wie „Sozialkapital“, „gemeinsames Wissen“ und „Kultur“freilich nicht mehr im Sinne einer historisch gewachsenen Tradition und vorgegebenenKulturgesamtheit verwendet werden. Kultur ermöglicht weder eine übergreifende sta-bile Sinnstiftung, wie es z. B. in bestimmten Phasen des letzten Jahrhunderts der Nati-onsbegriff vermocht hatte, noch kann Kultur Lebensformen und Gewohnheiten in kon-sensualen oder „integrierten“ Formen von „Diskurs“ oder „Öffentlichkeit“ fest schrei-ben. Kultur muss unter den Bedingungen einer (post-)modernen Gesellschaft eher alseine Art zerstreutes und flexibles Gedächtnis verstanden werden, als Filter des Erinnernsund Vergessens37, durch den man, je nach Lage und Situation, Vergangenheit in An-spruch nehmen und den Variationsrahmen der Zukunft bestimmen kann. Das bedeutet,dass Kultur im Laufe der Entwicklung der modernen Gesellschaft selbst dispers undkontingent geworden ist. Kultur ist heute von Situationen und Ereignissen abhängig38,sie unterliegt einer dauernden Selbstveränderung. Dabei ist für unseren Zusammenhangentscheidend, dass die Massenmedien an dieser dauernden Selbstveränderung der Kul-tur in hohem Maße beteiligt sind; gerade weil die Massenmedien Traditionen und Ge-wohnheiten nicht mehr nur wiedergeben, sondern durch die laufende Produktion undPräsentation von Themen kulturelle Stile und Moden erzeugen. Wenn man diesen Ge-danken etwas anders akzentuiert, kann man daher sagen, dass die Massenmedien jeneWelt- und Gesellschaftsbeschreibungen produzieren, an denen sich die Kommunika-tionsnetzwerke der (post-)modernen Gesellschaft innerhalb und außerhalb der Massen-medien orientieren und, wie oben gezeigt, selbst auf diese einwirken und sie dadurchverändern.39 Deshalb besteht ein öffentliches Interesse daran, dass diese Selbstverände-rung der Medien und des Rundfunks nicht in Selbstblockaden und unproduktiven Ent-wicklungspfaden anderer Kommunikationsnetzwerke endet.

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34 Vgl. nur Becker, Human Capital: A Theoretical and Empirical Analysis, 2nd ed. 1975; Coleman,Social Capital in the Creation of Human Capital, American Journal of Sociology 94 (1988), S. 95 ff.; Putnam, Bowling Alone, Journal of Democracy 6 (1995), S. 65 ff.; Fukuyama, Dergroße Aufbruch, 2000, S. 31 ff.

35 Vgl. allgemein Fukuyama, Trust: The Social Virtues and the Creation of Prosperity, 1996.36 Dazu aus rechtswissenschaftlicher Perspektive Ladeur, Privatisierung öffentlicher Aufgaben

und die Notwendigkeit der Entwicklung eines neuen Informationsverwaltungsrechts, in:Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem (Hrsg.), Verwaltungsrecht in der Informationsgesellschaft,2000, S. 225 ff., 250; ders., Negative Freiheitsrechte und gesellschaftliche Selbstorganisation,2000.

37 Angelehnt an Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft, 1997, Bd. 1, S. 588.38 Vgl. Baecker, Wozu Kultur?, 2000, S. 22 f.39 Vgl. auch Luhmann, Die Realität der Massenmedien, 1996, S. 174.

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3.2.3 Verfassungsrechtliche Verankerung

Durch diese Entwicklung werden die Massenmedien selbst zu einem zentralen Organder Selbstbeschreibung der Kommunikationsnetzwerke einer (post-)modernen Gesell-schaft. Sie leisten einen nicht unerheblichen Beitrag zur Konstruktion ihrer kulturellenDeutungsmuster, der Art und Weise, wie diese sich selbst sieht, aber auch wie Organi-sationen und Individuen sich und ihr Handeln selbst verstehen. Diese Ausdifferenzie-rung der Massenmedien zu einem eigenständigen Kommunikationszusammenhang undihr Bedeutungszuwachs für das gesamte gesellschaftliche Leben rechtfertigen die Ver-schiebung des verfassungsrechtlichen Ansatzpunktes von Politik auf Kultur40 bzw. aufdie Erhaltung kultureller und wirtschaftlicher Innovationsfähigkeit. Deshalb lässt sichdie Erhaltung reicher thematischer Vielfalt im Rundfunk und insbesondere im Fernse-hen normativ-dogmatisch als objektiv-rechtliche Komponente in Art. 5 Abs. 1 Satz 2GG verankern, auch wenn die Rechtsprechung des BVerfG, die noch stark in einemstaatszentrierten rundfunkrechtlichen Modell verhaftet ist, diese Umstellung erst in An-sätzen nachvollzogen hat.41

3.3 Folgen für die Rundfunkregulierung

3.3.1 Zur Temporalisierung und Prozeduralisierung der Rundfunkregulierung

Auf die beständige Selbstveränderung der Gesellschaft und ihrer unterschiedlichenKommunikationsnetzwerke, der Kultur, der Massenmedien und des Rundfunks, mussdie Rundfunkregulierung mit einer stärkeren Temporalisierung und Prozeduralisierungihrer rechtlichen und institutionellen Arrangements antworten. Der RStV versucht, diemateriellen Vorgaben des BVerfG mit Hilfe von stabilen Zweckprogrammen und einerallenfalls leicht modifizierten Vollzugsverwaltung zu realisieren; er basiert letztlich aufder Vorstellung, dass die Rundfunkregulierung auch in einer dynamischen Wettbe-werbsordnung gewissermaßen von oben „Ziele“ festlegen könnte, die durch geeigneteverwaltungsrechtliche Mittel lediglich durchgesetzt werden müssen. Dagegen muss eskünftig darum gehen, das Rundfunkrecht von der veranstalterbezogenen Zulassung ab-zulösen, also die Fixierung des Rundfunkrechts auf die behördliche Entscheidung auf-zugeben, und sich stärker auf den zeitlichen Fluss der sich von Moment zu Moment voll-ziehenden – und dabei Strukturen benutzenden oder Strukturen verändernden – Selbst-reproduktion des Rundfunks und der Medienwirtschaft einzulassen. An diesen (unend-lichen) Fluss der Zeit wäre eine prozedurale Strategie der laufenden Fremd- undSelbstbeobachtung des Rundfunks und der Medienwirtschaft anzukoppeln, die eher aufnachbarschaftlich koordinierende und kooperierende Beziehungen zwischen Verwal-tung und Privaten setzen müsste als auf den bürokratischen Stil einer „Vollzugverwal-tung“.

Gegenüber der herkömmlichen Rundfunkregulierung wäre, anders formuliert, eineStrategie zu favorisieren, die die „Ziele“ der Rundfunkregulierung in Form von „Meta-

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40 Vesting, Prozedurales Rundfunkrecht, 1997, S. 214 ff.41 BVerfGE 97, 228 (257, 259) – Kurzberichterstattung, allerdings nur auf der Ebene der Be-

schreibung des öffentlichen Interesses als „Rechtfertigung“ für „Eingriffe“ in Art. 12 Abs. 1GG; BVerfGE 101, 361 (389 f.) – Caroline v. Monaco; BVerfG, 1 BvR 2623/95 vom 24.1.2001,Absatz-Nr. 75, 77, 78, 95, http://www.bverfg.de.

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Regeln“ auf einer Ebene zweiter Ordnung reformuliert. Dazu müssen die normativenZiele, die die Gesetzgebung realisieren will, anders als z. B. durch unmittelbare gesetz-liche Zwecksetzungen implementiert werden. Die Rundfunkregulierung müsste sichstärker darauf einlassen, dass Massenmedien eine zirkuläre Dauertätigkeit der „Erzeu-gung und Bearbeitung von Irritation“ einrichten und diese in eine unbekannte Zukunfthinein verlängern.42 Das bedeutet, dass die Massenmedien in der Wahl der Formen undThemen durch die Bedingungen und Restriktionen der Kultur- und Medienökonomiebestimmt werden, während das Recht die Welt- und Gesellschaftsbeschreibungen, dieals Effekte der dauernden Produktion von neuen Informationen in den Massenmedienentstehen, nur sehr mittelbar, durch die Setzung von rechtlichen Anreizen, „steuern“kann. Die Rundfunkregulierung muss infolgedessen auf die praktischen Anschluss-zwänge und Anschlussmöglichkeiten der Rundfunkproduktion reagieren und versu-chen, die Selbstorganisation und Selbstregulierung dieser Prozesse positiv im Sinne derVielfaltssicherung zu beeinflussen.

3.3.2 Die Kultur- und Medienökonomie als Ansatzpunkt

Vor diesem Hintergrund muss der Ansatzpunkt für die künftige Rundfunkregulierungin den spezifischen Bedingungen und Restriktionen gesehen werden, die mit der neuenKultur- und Medienökonomie einher gehen. Die Rundfunkveranstalter (und insbeson-dere der private Rundfunk) werden in den Massenmedien mit einer neuen Ökonomieder Aufmerksamkeit konfrontiert. Diese produziert eine Logik der fluktuierenden Be-kanntheit von Themen und Prominenz, die, anders als das Recht, schnell, flüchtig undrasch vergänglich ist. Daher folgt die Aufmerksamkeitsökonomie nur noch sehr einge-schränkt einer vorhersehbaren wirtschaftlichen oder kulturellen Rationalität. Infolge-dessen produziert die Ökonomie der Aufmerksamkeit einerseits – in ähnlicher Weisewie die Finanzmärkte – eine Fülle von Unwägbarkeiten und Schwankungen wie z. B.den Flop, mit denen Medienunternehmen umzugehen lernen müssen. Andererseitskönnen Rundfunkveranstalter unter dieser Bedingung nur dann Aufmerksamkeit er-zeugen, wenn sie Neues produzieren, von dem erwartet werden kann, dass es bei denZuschauern ankommt. Die Ökonomie der Aufmerksamkeit produziert also ganz spezi-fische Bedingungen und Restriktionen, auf die Radio- und Fernsehprogramme reagie-ren müssen, wenn sie erfolgreich sein wollen. Insoweit lassen informationsökonomischeMärkte durchaus bestimmte Muster und Gesetzmäßigkeiten erkennen, an die die Rund-funkregulierung auch künftig anschließen kann.

Diese Bedingungen und Restriktionen sind in jüngster Zeit vor allem im Zusammen-hang mit der Bedeutungszunahme der Informations- und Netzwerkökonomie be-schrieben worden.43 Diese Diskussion hat gezeigt, dass die Besonderheiten von Infor-mationsgütern damit zusammen hängen, dass Information als Wirtschaftsgut nichts

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42 Luhmann, Die Realität der Massenmedien, 1996, S. 174.43 Vgl. allg. Shapiro/Varian, Information Rules, 1998, S. 173 ff.; Hutter, The Commercialisation

of the Internet, in: Engel/Keller (Hrsg.), Understanding the Impact of Global Networks on Local, Social, Political and Cultural Values, 2000, S. 75 ff.; Ladeur, Die vertikale Integration vonFilm-, Fernseh- und Videowirtschaft als Herausforderung der Medienregulierung, RuF 46(1998), S. 5 ff.; Hoffmann-Riem, Regulierung der dualen Rundfunkordnung, 2000, S. 124 ff.;Vesting, Zur Zukunft und Konstruktion des Medien- und Telekommunikationsrechts in denhybriden Beziehungsnetzwerken der „Informationsgesellschaft, im Erscheinen 2001.

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Festes und Fertiges ist, sondern an Aktualität und Neuigkeit gebunden bleibt. Infor-mation hängt vom Stand vorgängiger Informiertheit ab, sie vergeht im Moment ihresEntstehens; Information ist also an Zeitpunkte gebunden, ja sie ist nichts anderes als„eine rekursive Funktion der Zeit“.44 Daraus resultieren ganz bestimmte Produkt-eigenschaften wie vor allem hohe Fixkosten, unendlich fallende Durchschnittskostenund exponenzielle Wertsteigerung durch Netzwerkeffekte.45 Informationsgüter pro-duzieren deshalb ganz besondere wirtschaftliche Risiken, vor allem das Produktions-risiko des Neuen – der neue Film, neue Formate, neue Shows –, das die in diesen Märk-ten tätigen Unternehmen in Grenzen halten müssen. Auch der neue Audi A4 wirdzunächst mit Spannung erwartet, aber sein Design und seine technischen Daten sindbekannt, wenn er auf einer Motorshow präsentiert worden ist. Dagegen kann der neueFilm zwar angekündigt werden, aber er muss unbekannt bleiben, sonst büßt er seinenNeuigkeitswert und damit sein wirtschaftliches Verwertungspotenzial ein. Fernsehun-ternehmen müssen, anders gesagt, die Paradoxie bewältigen, Neues wie z. B. eine neueShow anzubieten, die, obwohl sie neu ist, die vertrauten Erwartungen der Zuschauernicht allzu sehr enttäuscht. Das zwingt Fernsehveranstalter dazu, zu der Zeit, zu der siemit den meisten Zuschauern rechnen können („Primetime“), auch und gerade mit ei-nem neuen (unbekannten) Programm ein möglichst großes Publikum erreichen zumüssen. Ansonsten ist das Programm, insbesondere wenn es hohe Investitionen inProduktion oder Rechte erfordert hat, ein wirtschaftlicher Fehlschlag. Deshalb sind ge-rade Sportprogramme und Premium-Spielfilme so interessant: Diese Formate verbin-den auf perfekte Weise das im einzelnen Unbekannte mit einem bekannten hohen In-teresse an dem Genre.46

Attraktoren wie Genrebildung, Stars, Wiedererkennungseffekte etc. funktionierenauch im Fernsehen relativ gut. Die Steigerung von Zuschauerzahlen durch den Einsatzvon Mitteln der Aufmerksamkeitsansprache wird jedoch in der Regel mit dem Preis derExklusivität bezahlt, die bei der nächsten Produktion zu einer Reduktion von Möglich-keiten führt. Darin ist eine Bewegung der Selbstabschließung der Märkte bis hin zurMonopolbildung angelegt: Ist ein Star einmal erfolgreich, kann sein Markenzeichennicht so schnell durch beliebig neue Stars ersetzt werden. Für Harrison Ford oder Tho-mas Gottschalk lässt sich nicht so schnell ein Ersatz finden. Genau so verhält es sich imFußball: Ein Superklub wie Bayern München konkurriert im Wettbewerb um Auf-merksamkeit nicht mit Klubs aus der zweiten Liga, sondern allenfalls mit dem nächstenSpiel, das Bayern gegen einen anderen Verein bestreitet. Abstrakter gesprochen entste-hen durch selbst erzeugte Exklusivität temporäre Monopole von geringerer oder länge-rer Dauer. Diese Dynamik ist der Grund für die unglaublich hohen Gagen, die Super-stars heute im Film- und Fernsehgeschäft erzielen („Starpower“)47, und diese selbst er-zeugte Exklusivität ist auch der Hintergrund für die enormen Preissteigerungen bei at-traktiven Programmelementen im Fernsehen (Sportrechte, Premium-Spielfilme,Top-Fernsehfilme etc.). Obwohl sich die Ausstrahlung teurer Programme oftmals garnicht mehr durch Werbung oder Gebühren refinanzieren lässt, sind solche Programm-

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44 Franck, Ökonomie der Aufmerksamkeit, 1998, S. 68.45 Hutter, Ökonomische Eigenheiten des E-Commerce, AfP 2000, S. 30 ff.46 Ladeur, Rundfunkaufsicht im Multimedia-Zeitalter zwischen Ordnungsrecht und regulierter

Selbstregulierung, K&R 2000, S. 171 ff., 179.47 Zu den juristischen Konsequenzen vgl. nur Goldberg, The Net Profits Puzzle, Columbia Law

Review 1997, S. 524 ff.

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elemente für die Bindung an das Programm oder die Dachmarke doch unerlässlich. Diesgilt umso mehr, als die Alternativen beschränkt sind.

3.4 Skizze zur Umstellung der Rundfunkregulierung

3.4.1 Grundvorstellung

Wenn sich der Trend einer Ablösung des herkömmlichen Programmfernsehens durchdie Vermarktung eines Bündels von Programmelementen in komplexeren Verwer-tungsketten fortsetzen sollte („Multimedia“), dann wäre zu überlegen, ob die Regulie-rung nicht künftig, anstatt am einzelnen Veranstalter bzw. Programm anzusetzen, an dieDachmarke anknüpfen sollte. Das bedeutet, dass die Veranstalterzentrierung sowohl aufder Ebene der Zulassung als auch auf der Ebene der (Kabel-)Weiterverbreitung zuguns-ten einer weit gehenden Liberalisierung des Rundfunkrechts aufgegeben werden sollte.Stattdessen müsste sich die Rundfunkregulierung auf eine strategische Schwerpunkset-zung konzentrieren, die u.a. laufendes Qualitätsmanagement, vielfaltssteigernde Um-lenkung von Monopolrenten und eine bessere Strukturierung technologischer Innova-tionsprozesse umfassen müsste. Auf weitere Aspekte, wie z. B. den damit verbundenenUmbau der institutionellen Strukturen der Rundfunkaufsicht, soll hier nicht näher ein-gegangen werden.

3.4.2 Vom Veranstalter zur Dachmarke

Der Zwang zum Aufbau von Marken wird unter der Bedingung einer stärkeren Vielfaltvon Verwertungsmöglichkeiten (Free-TV, Pay-TV, Online, Handys etc.) zweifellos zu-nehmen. Die enorme Preissteigerung von Top-Events (Fußball, Formel 1, Top-Spielfil-me) muss von den Unternehmen durch dementsprechende Einsparungen im sonstigenProgramm kompensiert werden. Schon dieser Zwang zur Mischkalkulation spricht da-gegen, dass sich Fernsehprogramme in einem strukturlosen Raum von Möglichkeitenauflösen könnten, wie dies z. B. in Bullingers Formel vom „elektronischen Versand-handel“48 nahe gelegt wird („Kioskmodell“). Deshalb besteht die Möglichkeit, dass dieRundfunkregulierung künftig an die Präsenz von Dachmarken in den unterschiedlichenVerbreitungsmedien anknüpft.49

Diese Verschiebung vom Veranstalter zur Dachmarke (mit dem Kerngeschäft Rund-funk) könnte zunächst mit einer weit gehenden Liberalisierung der Regulierung nachdem Vorbild des MDStV verbunden werden (insbesondere im Bereich Werbung/Un-terhaltung). Für Dachmarken mit größeren Marktanteilen (deren Errechnung auf un-terschiedliche Weise erfolgen könnte) wäre jedoch ein Schwellenwert etwa nach demVorbild von § 26 Abs. 5 RStV festzulegen. Bei Erreichen dieses Schwellenwerts müsste

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48 Bullinger, Der Rundfunkbegriff in der Differenzierung kommunikativer Dienste, AfP 1996, S. 1 ff., 4 f.

49 Vgl. dazu auch die Überlegungen bei Ladeur, Der „Funktionsauftrag“ des öffentlich-rechtli-chen Rundfunks – auf „Integration“ festgelegt oder selbst definiert?, M&K 48 (2000), S. 93 ff.,101 ff.; ders., Guaranteeing the Programming Mandate of Public Broadcasters and Restraints onPrivate Broadcasters’ Programmes in Multimedia Conditions, in: de Witte (Hrsg.), Public Service Broadcasting and European Law, im Erscheinen 2001.

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eine spezifische Rundfunkregulierung greifen. Diese Umstellung des Rundfunkrechtsauf eine flexiblere Markenregulierung hätte einmal den Vorteil, weiterhin an das Ge-samtangebot von Veranstaltergruppen anknüpfen zu können. Dies würde es u. a. er-möglichen, selbst bei einer weiteren Ausdifferenzierung der Angebotskomponenten inSparten- und Zielgruppenprogramme Vielfaltsanforderungen an die Dachmarke for-mulieren zu können, z. B. im Hinblick auf die Anteile von (werbefreien) Informations-programmen, die dann im Rundfunk oder auch Online vertrieben werden müssen. Einsolcher Ansatz könnte außerdem dazu beitragen, die Abgrenzungsprobleme zwischenRundfunk- und Telekommunikationsdiensten zu vereinfachen (vgl. oben). Die ergän-zende Vermarktung im Grenzbereich zwischen Rundfunk und Telekommunikationwürde dann allenfalls noch Anrechnungsprobleme für die Ermittlung des Schwellen-werts mit sich bringen.

3.4.3 Vom Zulassungsvorbehalt zum laufenden Qualitätsmanagement

Soweit der Zulassungsvorbehalt der §§ 20 ff. RStV in einem solchen Modell an Bedeu-tung verliert, könnte er durch neue Formen eines laufenden Qualitätsmanagements er-setzt werden. Überschreitet eine Dachmarke den rundfunkspezifischen Schwellenwert,könnte eine Verpflichtung für Medienunternehmen greifen, ein eigenes, unternehmens-internes Verfahren der Entwicklung von Standards und Konventionen etwa im Hin-blick auf die Einhaltung des werberechtlichen Trennungsgebots in neuen Programm-formaten zu entwickeln. Diese Anforderung könnte sich natürlich auch auf die Einhal-tung des Pornografieverbots und die Begrenzung von Gewaltdarstellungen, den Ju-gendschutz oder ganz generell auf Fragen der Programmqualität erstrecken. Währendsolche Fragen heute vielfach auf Geschmacksfragen und damit auf nicht entscheidbareFragen reduziert werden, hat die Medienpraxis durchaus einen klaren Sinn für Dif-ferenzen entwickelt, wie sie sich z. B. in Preisunterschieden von A- und B-Filmen arti-kulieren oder in der Einrichtung von eigenen Bewertungssystemen in Form von Preis-verleihungen. Die Rundfunkregulierung müsste viel stärker an diese Praxisformen unddie dort geltenden Maßstäbe und Konventionen anschließen. Entscheidend wäre derAufbau von Formen der Selbstregulierung, aus der praktisch handhabbare Regeln undKonventionen entstehen, die dann durch die Aufsicht nachträglich auf ihre Einhaltungüberprüft werden. Abstrakter gesagt muss eine stärker auf Kooperation eingestellteöffentliche Aufsicht Formen der professionellen Selbstbeobachtung von Unternehmenanregen, um deren Kapazitäten zur Selbstorganisation und Selbstregulierung zusteigern. Sie muss also versuchen, die Erzeugung von Ordnung und Ordnungsmusternanzustoßen. Das wird in Zukunft auch deshalb wichtiger werden, weil durch das Inter-net auch professionelle journalistische Qualitätsmaßstäbe unter Druck geraten wer-den.50

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50 Ladeur, Rechtliche Möglichkeiten der Qualitätssicherung im Journalismus, Publizistik 45(2000), S. 442 ff.; Jarren, Medienregulierung in der Informationsgesellschaft, Publizistik 44(1999), S. 149 ff.

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3.4.4 Von der Konzentrationskontrolle zur vielfaltssteigernden Umlenkung von Monopolrenten

Auch bei der rundfunkrechtlichen Konzentrationskontrolle müssten die Akzente derRegulierung künftig anders gesetzt werden. Diese sollte nicht vorherrschende Mei-nungsmacht über die Begrenzung von Marktanteilen zu verhindern suchen (vgl. § 26Abs. 2 RStV). Stattdessen wäre die Aufmerksamkeit auf die Probleme der temporärenMonopole und die Monopolrenten, die dadurch erwirtschaftet werden, zu lenken. So istes durchaus eine herkömmliche wirtschaftliche Modelle und Theorien sprengende Ent-wicklung, dass für ganz bestimmte Sportrechte heute Milliarden gezahlt werden oderdass das Jahreseinkommen von wenigen Spitzensportlern zweistellige Millionenbeträgeüberschreitet. Hier zeichnen sich vielmehr extreme Ungleichgewichte ab, die es so in derVergangenheit nicht gab und die ein Eingreifen im öffentlichen Interesse durchausrechtfertigen können. So ließe sich z. B. überlegen, den Preisauftrieb bei solchen Rech-ten durch Risikoabgaben oder besondere Formen der Steuer abzukappen, die (private)Veranstalter zurückbekommen, wenn sie diese Gelder in innovative Formate oder in denAufbau unabhängiger Produktionsstrukturen investieren.

Dies könnte auch institutionell zu einer neuen Arbeitsteilung von Rundfunk- undWettbewerbsrecht führen. Das Offenhalten von Märkten und der Schutz der Funkti-onsfähigkeit des Wettbewerbs könnte durch die herkömmliche Wettbewerbsaufsichtgewährleistet werden. Die Landesmedienanstalten sollten sich dagegen mit den spezifi-schen kultur- und medienökonomischen Folgen und Zwängen der Aufmerksamkeits-ökonomie beschäftigen. Daran wäre durchaus auch eine neue Rollenverteilung von na-tionaler und europäischer Wettbewerbsaufsicht anschließbar. Dabei sollte gerade daseuropäische Wettbewerbsrecht mehr Flexibilität für „gemischte“ Medienordnungenentwickeln, anstatt über eine rigide Handhabung des europäischen Wettbewerbsrechtsund der Beihilfevorschriften mehr Probleme zu erzeugen als die Institutionen der EGselbst zu lösen vermögen.51

3.4.5 Strukturierung technischer Standardsetzung

Die Beobachtung von Prozessen der Selbstorganisation und Selbstregulierung sollte fer-ner den Ausgangspunkt einer rechtlichen Regulierungsstrategie bei der Erweiterung derRundfunkregulierung vom Veranstalter auf die Zugangsebene bilden. Diese Erweite-rung ist seit dem 4. RÄndStV für Anbieter von Diensten mit Zugangsberechtigung in §§ 52, 53 RStV – zu Recht – vorgenommen worden. In diesem Zusammenhang käme esaber darauf an, die heute weitgehend informell ablaufenden Verfahren der Standardset-zung mit Hilfe einer prozeduralen Regulierung besser auf die Erhaltung von Innovati-onsfähigkeit einzustellen. Der Gesetzgeber hat dagegen mit der neuen Vorschrift des § 53 RStV gleichzeitig zu wenig und zu viel Flexibilität in die Zugangsregulierung ein-gebaut. Einerseits setzt er bestimmte Standards selbst fest (§ 53 Abs. 1 RStV). Anderer-seits räumt er den Landesmedienanstalten relativ pauschal eine umfassende Satzungsbe-fugnis zur Gewährleistung nicht-diskriminierender Bedingungen in technischer Hin-

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51 Ladeur, Die Kooperation von europäischem Kartellrecht und mitgliedstaatlichem Rundfunk-recht, WuW 2000, S. 965 ff., 968; Vesting, The Impact of European Competition Law on NewProgramme and Service Strategies of Public Broadcasters, in: de Witte (Hrsg.), Public ServiceBroadcasting and European Law, im Erscheinen 2001.

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sicht ein, ohne die Probleme der Selbstgefährdung der Landesmedienanstalten durchihre relativ leichte Instrumentalisierbarkeit für Standortinteressen hinreichend zuberücksichtigen.

3.4.6 Selbst- und Fremdevaluation der Markenbildung im öffentlich-rechtlichen Rund-funk

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk muss auch unter der Bedingung komplexerer Ver-wertungsketten (Pay-TV, Free-TV, Online-Dienste, Handy etc.) eine eigene Dachmar-ke entwickeln können. In einer sich schnell verändernden Medienlandschaft, d.h. unterWettbewerbsbedingungen und einer offensichtlich weiter voranschreitenden Fragmen-tierung des Angebots, muss der öffentlich-rechtliche Rundfunk sein Angebot im We-sentlichen selbst finden und definieren können; ansonsten kann der Zugang zu größe-ren Publika nicht dauerhaft gesichert werden.52 Deshalb kann der öffentlich-rechtlicheRundfunk nicht auf einen stabilen „Funktionsauftrag“ und bestimmte tradierte Pro-grammsegmente wie z. B. ausschließlich auf Vollprogramme festgelegt werden. Für dieFestlegung des Programms, der dazu notwendigen Dienstleistungen sowie der Formender Eigenwerbung, die sich grundsätzlich auch auf andere Verbreitungsmedien als denRundfunk erstrecken können müssen, sind daher in erster Linie die Anstalten und dasin ihnen verankerte professionelle Wissen in den Redaktionen verantwortlich („Pro-grammautonomie“).

Freilich muss man auch sehen, dass das gruppenpluralistische Integrationsmodell,über das in der Vergangenheit insbesondere mit der Anstaltsverfassung eine Rückkopp-lung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks an die Gesellschaft gewährleistet werdensollte, stark an Orientierungs- und Leistungsfähigkeit eingebüßt hat. Was an dessen Stel-le treten könnte, ist sicher nicht einfach zu bestimmen. Dieser Orientierungs- und Funk-tionsverlust müsste vom Gesetzgeber jedoch erst einmal stärker zur Kenntnis genom-men werden. Damit soll hier nicht für eine gesetzliche Präzisierung der Festlegung vonZahl und Art der Programme nach dem Vorbild des SWR-StV plädiert werden53, aberdie Rundfunkregulierung müsste selbst einen produktiven Beitrag zum Aufbau einer ei-genen Programmstrategie des öffentlich-rechtlichen Rundfunks leisten. So wäre z. B. zuüberlegen, ob die im öffentlich-rechtlichen Rundfunk vorhandenen Ansätze zum Auf-bau eines eigenen Qualitätsmanagements nicht durch Impulse der Gesetzgebung syste-matischer vorangetrieben werden können. Eine Veränderung des Verhältnisses von Ge-setzgebung und anstaltlicher Selbstverwaltung erscheint auch deshalb notwendig zusein, weil die kultur- und medienökonomische Entwicklung die öffentlich-rechtlichenAnstalten einer Dynamik der Ausweitung ihrer Tätigkeitsfelder aussetzt, die nur schwerbegrenzbar ist; man denke nur an die wachsende Bedeutung der Eigenwerbung durchOnline-Dienste, Merchandising, Event-Marketing, Media-Parks usw. Hier muss künf-tig ein Modell entwickelt werden, das dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk einerseitseine Entwicklungsperspektive unter Multimedia-Bedingungen sichert, das aber ande-

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52 Näher Hoffmann-Riem, Regulierung der dualen Rundfunkordnung, 2000, S. 201 ff.; Ladeur,Der „Funktionsauftrag“ des öffentlich-rechtlichen Rundfunks – auf „Integration“ festgelegtoder selbst definiert?, M&K 48 (2000), S. 93 ff.; Holznagel/Vesting, Sparten- und Zielgruppen-programme im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, insbesondere Hörfunk, 1999, S. 62 ff.

53 Kritisch dazu Hoffmann-Riem, Regulierung der dualen Rundfunkordnung, S. 202 ff.; Eifert,Die Zuordnung der Säulen des dualen Rundfunksystems, ZUM 1999, S. 595 ff., 601.

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rerseits auch einer unstrukturierten Expansion des öffentlich-rechtlichen Rundfunks insämtliche Felder der Aufmerksamkeitsökonomie entgegenwirkt.

4. Schlussbetrachtung

Der Beitrag hat einige der Herausforderungen dargestellt, denen das Rundfunkrechtdurch neue informationstechnologische und medienökonomische Entwicklungen aus-gesetzt ist. Diese Herausforderungen sind in der hier eingenommenen Perspektive einerneuartigen Logik der Vernetzung geschuldet, die die Möglichkeit einer Fortschreibungdes dualen Rundfunksystems jedenfalls auf lange Sicht unwahrscheinlich macht. DieAntwort auf die neuartige Logik der Vernetzung kann jedoch nicht in der Umstellungauf eine unreflektierte Marktgläubigkeit bestehen, sondern muss die Rechtswissenschaftdazu veranlassen, nach einen neuen Ordnungsmodell Ausschau zu halten. Ein solchesModell könnte an (systemtheoretische) Vorstellungen von sozialer „Selbstorganisation“anknüpfen; jedenfalls hätte es ein Modell zu sein, das die Schwächen der staatszentrier-ten Vorstellung des Bundesverfassungsgerichts überwindet und sich stärker auf die Not-wendigkeit und Möglichkeiten der Erhaltung kultureller und ökonomischer Innovati-onsfähigkeit einlässt, einschließlich der dazugehörigen Voraussetzungen. Von einemsolchem Ordnungsmodell kann auch die Rundfunkregulierung profitieren, insbesonde-re die Gesetzgebung. Auch wenn der Gesetzgeber nicht alle hier gemachten Vorschlägeakzeptiert oder akzeptieren kann (weit gehende Liberalisierung des Rundfunkrechts,Übergang zu einem kooperativen, an Dachmarken orientierten Qualitätsmanagement),so wäre es doch auch für die Rundfunkpolitik an der Zeit, die „Konzeption“ des dualenRundfunksystems einmal grundsätzlicher zu überdenken. Ob es dafür – unter den ge-gebenen politischen Bedingungen – in der Zukunft Realisierungschancen gibt, ist, wiealle Zukunft, ungewiss. Die politische Realisierung wissenschaftlicher Vorschläge liegtjedenfalls außerhalb des Einflussbereichs der Wissenschaft.

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Ökonomisierung des FernsehensEin Beitrag zur Verbindung von System und Akteur

Stefan Wehmeier

Dieser Beitrag steht in der Tradition der Überwindung des Dualismus von System- undAkteurtheorie. Am Beispiel der Ökonomisierung des Fernsehens wird das Erklärungspo-tenzial einer integrierten System-/Akteurtheorie auch für die kommunikationswissen-schaftliche Forschung aufgezeigt. Dabei werden zunächst einige Prämissen der die Kom-munikationswissenschaft dominierenden systemtheoretischen Perspektive kritisiert undanschließend die integrierte System-/Akteurperspektive auf Basis der seit Mitte der acht-ziger Jahre am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung entwickelten Ansätzeentfaltet. Die Übertragung dieser Perspektive auf die Kommunikationswissenschaft ge-schieht mittels des Prozesses der im Jahr 1984 einsetzenden Ökonomisierung des Fern-sehens. Es wird argumentiert, dass die Dimensionen und Mechanismen des strukturellenWandels des Fernsehens durch eine verschränkte Betrachtung teilsystemischer Orientie-rungshorizonte, institutioneller Ordnungen und Akteurkonstellationen besser aufge-deckt werden können als unter Zuhilfenahme einer rein systemtheoretischen Perspekti-ve. Als Folgen einer Ökonomisierung des Fernsehens werden einerseits die Verzerrungdes Codes des Funktionssystems Massenmedien durch den Code der Wirtschaft und an-dererseits ein Verlust an Vertrauen der Bevölkerung in das Expertensystem Massenme-dien erkannt.

0. Aufriss

Mit Phänomenen einer Ökonomisierung massenmedialer Prozesse und Leistungen be-schäftigt sich die Kommunikations- und Medienwissenschaft zwar nicht erst seit der Li-beralisierung des Rundfunkmarktes, doch seitdem hat sich Ökonomisierung zu einem„Makro-Trend“ (Weber 2000, 166) entwickelt. Die Perspektiven wissenschaftlicher Be-trachtung dieses Trends reichen von Rational-Choice-Ansätzen zur Erklärung des Ver-haltens von Marktakteuren über die politische Ökonomie, die z. B. Anbieterstrategieninnerhalb existierender wirtschaftsrechtlicher und -politischer Rahmenbedingungen er-klärt (Kiefer 1996; Steininger 1999), bis hin zu systemtheoretischen Deutungsversuchendes Zusammenspiels von Wirtschaft, Massenmedien und Politik (Siegert 1996, Siegert2001). Das Themenheft „Ökonomisierung der Medienindustrie: Ursachen, Formen undFolgen“ (Jarren/Meier 2001) gibt dabei einen aktuellen und systematischen Überblicküber einige wichtige Perspektiven. Dieser Beitrag versteht sich als Ergänzung des The-menheftes, will er doch am Beispiel der Ökonomisierung der Medien aufzeigen, dasseine Integration systemtheoretischer und akteurtheoretischer Ansätze zusätzlichesErklärungspotenzial bietet und so die von den Herausgebern des Themenheftes konsta-tierte „Dominanz der Systemtheorie“ in der Kommunikations- und Medienwissen-schaft (Jarren/Meier 2001, 145) etwas relativieren kann.

Teils stehen sich auch heute noch System- und Akteurtheorien recht unversöhnlichgegenüber. Systemtheoretiker schließen den Akteur weitgehend aus ihren Überlegun-gen aus. Vor allem der in Deutschland sehr verbreitete Zweig der autopoietischen Sys-temtheorie nach Niklas Luhmann kennt keine Akteure mehr, sondern erklärt gesell-schaftliche Dynamik und Differenzierung mittels der Herausbildung funktionaler ge-sellschaftlicher Teilsysteme, die strukturell gekoppelt sind und eigene binäre Codes zur

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internen Verarbeitung von Umwelteinflüssen entwickelt haben (etwa Luhmann 1991,Luhmann 1996). Theoretisch bedeutet dies, dass etwa eine Ökonomisierung massen-medialer Prozesse auf das System Massenmedien kaum Einfluss haben dürfte, da Mas-senmedien als Funktionssystem einen anderen Code haben als Wirtschaft. Jarren/Meiersprechen davon, dass – autopoietische Teilsysteme vorausgesetzt – Ökonomie Massen-medien lediglich zu irritieren vermag (Jarren/Meier 2001, 148). Akteurtheoretiker dage-gen rekurrieren häufig auf die Modelle des Homo Sociologicus und Homo Oeconomi-cus (Aretz 1997; Lindenberg 1990). Auch sie kennen eigendynamische Prozesse, die sichnicht mehr durch intendiertes Akteurhandeln erklären lassen, erklären diese aber weni-ger mit Hilfe übergeordneter, systemischer Strukturbildungen. Verbindet man System-und Akteurperspektive, lassen sich gesellschaftliche Strukturdynamiken wie etwa dieÖkonomisierung der Massenmedien und auch mögliche Folgen dieser Ökonomisierungbeschreiben und erklären. Als theoretische Basis dient dabei die am Max-Planck-Insti-tut für Gesellschaftsforschung Mitte der achtziger Jahre begonnene und heute noch vonUwe Schimank fortgeführte Erweiterung systemtheoretischer Differenzierungstheori-en durch akteurtheoretische Elemente.

Zunächst wird die theoretische Perspektive einer Kombination von System- und Ak-teurtheorie entfaltet (1). Anschließend werden das theoretische Differenzierungs- undStrukturierungsmodell auf den Sektor Fernsehen übertragen (2) und die Effekte vonÖkonomisierung auf der Ebene der Strukturdimensionen aufgezeigt (3). Hernach wer-den Folgen der Ökonomisierung als sozialer Prozess reflexiver Entwicklungen verhan-delt (4).

1. Kritik an der Systemtheorie und Verbindung von System- und Akteurperspektive

Seit Ende der siebziger Jahre nähern sich System- und Akteurtheorie langsam und nichtohne Widerstreben aneinander an (Nolte 1999). Bei diesem Prozess der Annäherung giltfür die Systemtheorie, dass sie „[…] in vielfältigen Variationen das Verhältnis von Hand-lung und System reflektiert, wobei insgesamt der Stellenwert der Akteure theoretischaufgewertet wird.“ (Nolte 1999, 94). Für eine Aufwertung des Akteurs plädieren vor al-lem die Forscher des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung (z. B. Mayntz etal. 1988; Mayntz/Scharpf 1995; Schimank 1985 und 1988) und Uwe Schimank, der sichauch nach seinem Ausscheiden aus dem Institut noch der Frage einer Verbindung vonSystem- und Akteurtheorie widmet (Schimank 1995, Schimank 2000). Schimank et al.weisen bei der Kritik an der Theorie funktionaler (System-)Differenzierung vor allemauf ein „genetisches Erklärungsdefizit“ (Schimank 1985, 422) hin – zwei Punkte sind da-bei für sie entscheidend:1. Fortschreitende gesellschaftliche Arbeitsteilung (System- und Subsystembildung)

erklärt die traditionelle systemtheoretische Differenzierungstheorie als Effektivitäts-und Effizienzsteigerung sowohl in Organisationen als auch auf der Gesellschafts-ebene. Dagegen wird zunächst eingewandt, dass es fraglich ist, ob sich die Erkennt-nisse aus Organisationszusammenhängen auf Gesellschaft übertragen lassen, dennOrganisationen haben eine Leitung, die als Systemsteuerung fungiert. Eine funktio-nal differenzierte Gesellschaft verfügt hingegen nicht über eine solche systemsteu-ernde Einheit, sondern geht von horizontaler Gleichrangigkeit der Teilsysteme aus(vgl. Kneer 1996, 362 – 377). Des Weiteren sind sowohl auf Organisationsebene alsauch auf Gesellschaftsebene mit fortschreitender Differenzierung effektivitätsmin-dernde Nebenfolgen verbunden: Koordinationskosten und Flexibilitätsverluste auf

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Organisationsebene, Legitimationsprobleme politischer Entscheidungen und da-durch Rückkehr zu direkter Bürgerpartizipation auf der (politischen) Gesellschafts-ebene, die allgemein als Entdifferenzierungsprozesse beschrieben werden. „Effizi-enz- und Effektivitätsgewinne können [daher] nicht als allgemeine Antwort auf dieFrage nach den Ursachen funktionaler Differenzierung gelten.“ (Schimank 1985, 423– Hervorhebung im Original).

2. Modernere systemtheoretische Erklärungen funktionaler Differenzierung, wie zumBeispiel die von Niklas Luhmann, berufen sich auf Evolution als Motor der Diffe-renzierung. Allerdings handelt es sich nicht um eine zielgerichtete Evolution, son-dern um eine ziellose Strukturveränderung, die aber eine höhere Komplexität unddamit mehr Vielfalt zur Folge hat (Luhmann 1999, 18f.; Kneer 1996, 363 – 369). DerMechanismus, der Evolution und damit zunehmende Differenzierung und zuneh-mende Komplexität produziert, besteht aus Variation, Selektion und Retention.Während Selektion das Aufgreifen von Strukturveränderungen regelt und Retentiondie dauerhafte Institutionalisierung von Strukturänderungen steuert, ist Variation diezufällige Veränderung der Systemstruktur. Bei diesem Punkt setzt die Kritik Schi-manks und anderer an, denn alle evolutionären Vorgänge unterliegen damit auch demZufall und müssen, ja können mit Hilfe dieser theoretischen Perspektive nicht erklärtwerden. Der Mechanismus von Differenzierung bleibt damit unerklärt.

Die funktionale und autopoietische Systemtheorie soll hier aber nicht nur wegen dieserbeiden Schwächen mit akteurtheoretischen Ansätzen verbunden werden. Zwei weitereGründe sind zu nennen: Erstens geht es dabei um die Verbindung und gegenseitige Ein-flussnahme gesellschaftlicher Teilsysteme. Um zu erklären, wie gesellschaftliche Teil-systeme miteinander in Verbindung stehen, führt Luhmann den Begriff der strukturel-len Kopplung ein. Strukturelle Kopplung meint dabei, dass unterschiedliche Teilsyste-me aufeinander angewiesen sind, aber immer Umwelt füreinander bleiben. Auch hierwird auf eine Akteurebene verzichtet, Teilsysteme treten miteinander in Verbindungüber ihren jeweiligen binären Code, d. h. jeder Umwelteinfluss wird ausschließlich nachdem eigenen binären Code verarbeitet. Direkte Einflussnahmen eines Systems auf einanderes sind somit nicht möglich (Luhmann 1985). Zu fragen ist, inwiefern ein solchesDenkmodell in der Lage ist, Veränderungen von Umweltbedingungen und den Einflussdieser Veränderungen auf ein bestimmtes System zu modellieren und zu messen. EinMehr-Ebenen-Modell, das sowohl System als auch Akteur beinhaltet, dürfte eher in derLage sein aufzuzeigen, inwiefern, wann und an welcher Stelle Einflussnahmen vorhan-den sind, und wie diese – eventuell – ein System verändern können. Zweitens sollen diePerspektiven verbunden werden, um den Prozess gesellschaftlicher Strukturbildungklarer herauszuarbeiten. Die Theorie funktionaler Differenzierung erklärt soziales Han-deln durch funktionale Erfordernisse, die funktionale Folgen haben. Sie geht dabei we-niger von rational handelnden Akteuren aus, als vielmehr von Systemrationalitäten, diediese funktionalen Erfordernisse produzieren. Giddens konnte indes zeigen, dass ge-sellschaftliche Strukturbildung durchaus auch durch unbeabsichtigte Folgen zweckge-richteten, rationalen Handelns einzelner Akteure geschehen kann (Giddens 1988, 347 –352), die aus Sicht einer übergeordneten Systemrationalität nicht funktional sind. EineBerücksichtigung dieser unbeabsichtigten Folgen zweckgerichteten Akteurhandelnsmuss versuchen, System- und Akteurperspektive zu kombinieren. Dieser Gedanke wirdim vierten Abschnitt wieder aufgenommen, wenn es um die Folgen und Nebenfolgeneiner Ökonomisierung des Fernsehens geht.

Zunächst muss es jedoch darum gehen, diese Perspektivenverbindung zu modellieren.Schimank schlägt in einem ersten Schritt vor, handlungsprägende und handlungsfähige

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Sozialsysteme zu unterscheiden. Während handlungsprägende Sozialsysteme eben jenevon der Systemtheorie ausgemachten funktionalen Teilsysteme der Gesellschaft wieWirtschaft, Recht, Politik, Erziehung, Wissenschaft sind, liegen handlungsfähige Sozial-systeme in ihrem Komplexitäts- und Abstraktionsgrad eine oder mehrere Ebenen tiefer.Als handlungsfähige Sozialsysteme werden anschließend Systeme definiert, die Teilsys-teme von Teilsystemen sind, etwa: Gruppen wie Forschergemeinschaften; soziale Be-wegungen wie religiöse Sekten oder politische Protestbewegungen; Interorganisations-verbunde wie Kartelle und Verwaltungssysteme und schließlich formale Organisationenwie Unternehmen, Parteien, Verbände. Funktionale Teilsysteme sind in der Lage, Struk-turen zu prägen, sie können aber weder handeln, noch Entscheidungen treffen. Hand-lungsfähige Sozialsysteme hingegen können weniger Strukturen prägen, als vielmehrhandeln. Dieses Handeln bewegt sich in der Regel in den von den prägenden Systemenvorgegebenen Strukturen, zugleich produziert es aber auch die Struktur des prägendenSystems immer mit, insofern lässt sich mit Giddens auch von einer Dualität von Hand-lung und Struktur sprechen (Giddens 1988, 77 – 81). Handeln Sozialsysteme struktur-verändernd, lässt sich a) von einer ihr Ziel erreichenden Differenzierungspolitik (einebestimmte Gestalt der Differenzierungsstruktur soll erreicht werden und wird erreicht),b) von einer ihr Ziel verfehlenden Differenzierungspolitik (eine bestimmte Gestalt sollerreicht werden, es wird aber etwas erreicht, was nicht intendiert wurde) und c) vonunbeabsichtigten Differenzierungseffekten (keine bestimmte Gestalt soll erreicht wer-den, dennoch wirkt das Handeln auf die Differenzierungsstruktur ein) sprechen (Schi-mank 1985, 428).

Gesellschaftliche Dynamik ergibt sich aus dem Zusammenspiel dieser unterschied-lichen Systemtypen: „In der modernen, funktional differenzierten Gesellschaft sind die handlungsprägenden Sozialsysteme auf bestimmte funktionale Erfordernisse ge-sellschaftlicher Reproduktion spezialisiert. Diese funktionalen Erfordernisse, die zur Wahrung gesellschaftlicher Systemintegration erfüllt werden müssen, konditionierengesellschaftliches Handeln im Sinne einer Negativauswahl. Die positive Auswahl destatsächlich realisierten Handelns geschieht dann durch die Interaktion handlungsfähigerSozialsysteme, nämlich durch die zwischen ihnen sich aufbauenden Interessen- und Ein-flusskonstellationen. Gesellschaftliche Differenzierung als das teils beabsichtigte, teilsunbeabsichtigte Ergebnis gesellschaftlichen Handelns muss daher aus gesellschaftlichenInteressen- und Einflusskonstellationen im Rahmen funktionaler Erfordernisse gesell-schaftlicher Reproduktion erklärt werden.“ (Schimank 1985, 431f.)

Erweitert man diese Perspektive um den akteurzentrierten Institutionalismus, gelangtman von einem Zwei-Dimensions-Modell handlungsprägender und handlungsfähigerSozialsysteme zu einem Drei-Dimensions-Modell (Schimank 1988, Schimank 2000,Mayntz/Scharpf 1995). Als erste Dimension lassen sich hier die handlungsprägendenTeilsysteme nennen, sie werden von nun an teilsystemische Orientierungshorizonte ge-nannt. Diese Orientierungshorizonte bestimmen die Richtung des Wollens, wie Schi-mank es nennt: Sie sagen dem Akteur, der zum Teilsystem gehört, „welcher Richtungdes Wollens er sich zuwenden kann und welche anderen Richtungen er […] nicht in denBlick zu nehmen braucht.“ (Schimank 2000, 243) Teilsystemische Orientierungshori-zonte reduzieren die Komplexität der Welt, da sie auf eine bestimmte Funktion hin aus-gerichtet sind. Demnach weiß ein Akteur des Systems Massenmedien, dass es um Infor-mation geht und nicht um Transzendenz wie etwa beim Religionssystem. Jeder Akteurdes Teilsystems kennt diese Handlungslogik und unterstellt den anderen Akteuren auchdie gleiche Kenntnis. Durch diese wechselseitigen Annahmen werden teilsystemischeHandlungslogiken zu „intersubjektiv stabilisierten Orientierungen“ (Schimank 2000,

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244). Die zweite Dimension besteht aus institutionellen Ordnungen. Dies sind etwaRechtsnormen, Verfahrensregeln oder auch Mitgliedschaftserwartungen von Organisa-tionen. Diese institutionellen Ordnungen prägen gesellschaftliche Vorgaben im Sinneeines Sollens. Jeder Akteur weiß anhand der institutionellen Ordnungen, welche Hand-lungen den Ordnungen entsprechen und welche negative Sanktionen nach sich ziehen.Auch die anderen Akteure kennen die Normen und wissen um die negativen Sanktio-nen. Wie bei den teilsystemischen Orientierungshorizonten kommt es damit auch beider zweiten Dimension zu wechselseitiger Erwartungssicherheit, allerdings auf einerspezifischeren Ebene. Die dritte Dimension repräsentieren die handlungsfähigen Sozi-alsysteme, also kollektive Akteure. Akteure sind hier selbst Strukturbestandteile undfassen sich gegenseitig als strategisch kalkulierend auf. Die Vielheit der Akteure schränktdie Kalkulierbarkeit von Handlungen ein, es gibt Mitspieler, Gegenspieler und eine„träge Masse“ (Schimank 2000, 245). Aus gegenseitiger Beobachtung, dem Sammeln vonInformationen übereinander und deren Interpretation ergeben sich bestimmte Strategi-en und Konstellationen von Akteuren sowie dynamische (Handlungs-)Entwicklungen(Theis-Berglmair 1994). Damit gilt als Strukturbaustein dieser Dimension das Könnender Akteure. Die Handlungssituation von Akteuren ist demnach definiert durch Wol-lens- und Sollensvorgaben sowie Könnenskalküle. Abbildung 1 greift diese Dimensio-nen in Bezug auf das handelnde Zusammenwirken auf.

Teilsystemische Orientierungshorizonte sind stark generalisiert. Es existieren nichtbeliebig viele, sondern mehr oder weniger ein Dutzend dieser Teilsysteme. Die Hand-

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Quelle: Schimank 2000, 247

Abb. 1: Akteur-Struktur-Dynamiken

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lungslogiken in Form binärer Codes (zahlen/nicht zahlen; veröffentlichen/nicht ver-öffentlichen) sind kaum wandelbar. Die institutionellen Ordnungen sind mittelstarkgeneralisiert: Rechtliche Normen etwa schaffen in demokratischen Gesellschaften einenrecht festen Handlungsrahmen, an dem sich Akteure orientieren können, gleichwohlunterliegen Teile dieses Rahmens einem permanenten Wandel, auf den sich Akteure ein-zustellen haben. Es existieren mehr institutionelle Ordnungen als Teilsysteme, ihreRegelungen verändern sich öfter und einfacher als teilsystemische Handlungslogiken.Akteurkonstellationen sind vergleichsweise schnell und einfach zu ändern, sie sind weit-aus zahlreicher als institutionelle Ordnungen.

2. Akteur-Struktur-Dynamiken im Fernsehsektor

Überträgt man diese differenzierungstheoretischen Überlegungen auf das System Mas-senmedien, konkret: auf die Ebene des Fernsehens, so lässt sich bis 1984 folgendes Mo-dell entwickeln, das aus Gründen der Vereinfachung darauf verzichtet, Fernsehen alsSubsystem des Rundfunks und Rundfunk als Subsystem der Massenmedien zu definie-ren (vgl. dazu Gehrke/Hohlfeld 1995; Wehmeier 1998).

Modelliert wird in Abbildung 2 zunächst das System Massenmedien. Im Gegensatzzu den Teilsystemen Politik, Wirtschaft, Recht etc. ist allerdings der Status von Mas-senmedien als funktionales Teilsystem umstritten. Vor allem ist er deswegen diskutabel,da die Systemgrenzen schwierig zu ziehen sind, und damit ein schlüssiger binärer Codefür das System noch nicht gefunden ist. Wie schwierig es ist, die Systemgrenzen abzu-stecken, zeigt der Forschungsstand der vergangenen Dekade, in der vielfältige System-

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Abb. 2: Akteur-Struktur-Dynamiken im Bereich des Fernsehens bis 1984

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bezeichnungen und damit auch Objektbereiche wissenschaftlicher Untersuchung ge-wählt wurden: Publizistik (Marcinkowski 1993; Rühl 1993), Journalismus (Blöbaum1994), Massenmedien (Luhmann 1996), Öffentlichkeit (Kohring/Hug 1997) und Me-dienkommunikation (Weber 2000) werden unter anderem als Systeme angeboten. Alsbinäre Codes stehen zum Beispiel veröffentlichen / nicht veröffentlichen und Informa-tion / Nicht-Information zur Diskussion. Es herrscht bis heute in der Kommunikati-onswissenschaft keine Einigkeit darüber, welcher Objektbereich der geeignetste wäre,welcher Code der schlüssigste ist. Eine Diskussion dieser Ansätze kann hier nicht ge-führt werden1. In diesem Beitrag ist es allerdings sinnvoll, von einem System Massen-medien auszugehen, da eine theoretisch-historische Beschreibung und Erklärung vonMedienwandel angestrebt wird, die sich nicht nur auf journalistische Inhalte und Pro-duktionsweisen beschränkt. Daher wird im Folgenden vom System der Massenmediengesprochen, und daher bezieht sich der Aufsatz zumeist auf Sender als (Kollektiv-)Ak-teure und nicht auf einzelne Redaktionen.

Als primäre Funktion von Massenmedien wird im Anschluss an Luhmann und Mar-cinkowski die Selbstbeobachtung und Selbstbeschreibung von Gesellschaft erkannt(Luhmann 1996, 173; Marcinkowski 1993, 113 – 133)2. Während Luhmann den CodeInformation / Nicht-Information wählt, plädiert Marcinkowski für veröffentlichen /nicht veröffentlichen. Bei dem von Luhmann gewählten Code ist problematisch, dass ersehr breit angelegt ist und die erste Stufe des Drei-Schrittes jeglicher Kommunikationbeinhaltet: Information-Mitteilung-Verstehen3. Daher wird im Folgenden von veröf-fentlichen / nicht veröffentlichen gesprochen, wenngleich diese Unterscheidung für dasAnliegen dieses Beitrags weniger relevant ist, da eben keine genuine systemtheoretischeAnalyse vorgenommen wird. Als teilsystemischer Orientierungshorizont geben Mas-senmedien den systemeigenen Akteuren die Richtung des Wollens (Sebstbeobachtung,Selbstbeschreibung) vor. Da hier Fernsehen als Subsystem des Systems Massenmedienbetrachtet wird, liegt auf der Ebene der institutionellen Ordnung das öffentlich-recht-liche System. Dieses zwingt die Akteure bis 1984, eine bestimmte Organisationsformanzunehmen (Sollen), die durch gesetzliche (Landesrundfunkgesetze) und staatsver-tragliche Regelungen formuliert sind und durch Urteile des Bundesverfassungsgerichtskonkretisiert respektive variiert werden4. Die Akteure (ARD, ZDF, Dritte) beobachteneinander, sammeln Informationen und agieren auf Basis des teilsystemischen Orientie-rungshorizonts, der institutionellen Regelungen und der Akteurkonstellationen stra-tegisch. Es kommt dabei zwischen ARD und ZDF in erster Linie zu Konkurrenzbe-ziehungen, aber auch zu Kooperationen (etwa gemeinsames Vormittagsprogramm,gemeinsamer Videotext). Romy Fröhlich konnte anhand einer Auswertung der PublicRelations-Strategien von ARD und ZDF diese gegenseitige Beobachtung und Strategie-

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1 Für eine Diskussion siehe unter anderem Brill 1996; Marcinkowski 1996; Görke/Kohring 1996;Wehmeier 1998, 52 – 74; Weber 2000, 49 – 60.

2 Luhmann und Marcinkowski weisen ihren Systemen hier mehr oder weniger die gleichePrimärfunktion zu. Luhmann spricht jedoch vom System Massenmedien und sieht Öffentlich-keit/Publikum als Umwelt, Marcinkowski spricht vom System Publizistik, das nicht nur ausMassenmedien, sondern auch aus dem Publikum besteht.

3 Zu dieser Kritik vgl. Weber 2000, S. 54. Kritisch zu Luhmanns komplettem Ansatz vgl. Brill1996.

4 Vgl. zusammenfassend zu gesetzlichen Grundlagen, Änderungen der Staatsverträge und den re-levanten Urteilen des Bundesverfassungsgerichts Stuiber 1998a, S. 319-403; 424 – 459.

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bildung zeigen (Fröhlich 1994). Deutlich wird dies etwa in der Strategieveränderung derARD nach der Zulassung des ZDF, als plötzlich auf eine Konkurrenzsituation reagiertwerden musste.

Gleichwohl konnte bis 1984 kaum von einer Ökonomisierung im Sektor Fernsehengesprochen werden. Diese begann mit Einführung des privat-kommerziellen Fernse-hens, das aufgrund technologischer Entwicklungen sowie wirtschaftlicher und politi-scher Interessen geschaffen wurde. Das so genannte duale System aus öffentlich-recht-lichen und privat-kommerziellen Rundfunkanbietern wurde installiert und ein Rechts-rahmen für privat-kommerziellen Rundfunk geschaffen. Neue Programmanbieter wieRTL, SAT.1 und ProSieben suchten und fanden im Lauf der Jahre den Marktzugang.Das oben entwickelte Modell muss unter Hinzurechnung privat-kommerzieller Anbie-ter nicht nur auf der Ebene der Akteure erweitert werden, sondern auch auf der Ebeneder institutionellen Ordnung (vgl. Abbildung 3).

Die Dimension des Könnens wird zunächst durch das Auftreten neuer Akteure ver-ändert. Der Markt wird unübersichtlicher, mehr Beobachtung ist notwendig, um Infor-mation über die Strategien der alten und neuen Akteure einzuholen. Strategieplanung istschwieriger geworden, da mehr Akteure um die Gunst der Zuschauer und der Werbe-kunden buhlen. Das Können wird zunächst nicht per se eingeschränkt, sondern durch

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Abb. 3: Akteur-Struktur-Dynamiken im Bereich des Fernsehens seit 1984

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die Zahl neu hinzugekommener Akteure ist diese Dimension mit mehr Aufwand ver-bunden. Alle Akteure unterstellen sich auf der Ebene strategischen Handelns expansi-ves Verhalten. Handeln wird zu einem risikobehafteten Prozess in einer turbulentenUmwelt (Weyer 1993, 14 – 17). Dabei zeigen sich auf der Ebene des Programms sowohlKonvergenz- als auch Differenzierungsprozesse (Bruns/Marcinkowski 1996; Krüger1991). Die Handelnden haben zwar den gleichen teilsystemischen Orientierungshori-zont, der das Wollen lenkt, sie haben aber etwas unterschiedliche Sollenshorizonte, dennihre institutionellen Ordnungen sind nicht identisch. Beide Akteursarten, die öffentlich-rechtlich organisierten wie auch die privat-kommerziell organisierten, handeln auf deninstitutionellen Grundlagen von Gesetzen, Staatsverträgen und Bundesverfassungsge-richtsurteilen. Die Normen, die aus diesen Gesetzen, Verträgen und Urteilen abgeleitetwerden, sind allerdings unterschiedlich. Während die nicht gewinnorientiert arbeiten-den öffentlich-rechtlichen Anstalten die Norm der Grundversorgung zu erfüllen haben,kommt den privat-kommerziellen Unternehmen eine Zusatzfunktion bei der Grund-versorgung zu5. Es lassen sich somit auf der Ebene der institutionellen Ordnungen Rol-lendifferenzierungen verorten, da Rollen eine Form von institutionalisierten Erwar-tungszusammenhängen sind. Das bedeutet, dass der Rolle des öffentlich-rechtlichenSektors recht strenge (wenn auch interpretierbare) Sollens-Vorgaben zugewiesen wer-den, während die Rolle des privat-kommerziellen Sektors weniger strengen Vorgabenunterliegt, an privat-kommerzielles Fernsehen werden weniger hohe Anforderungenhinsichtlich des Programmauftrags gestellt. Dies hat wiederum Einfluss auf die Strategi-en der Akteure und damit die Könnensdimension.

3. Ökonomisierungseffekte in den Strukturdimensionen

Um die Effekte von Ökonomisierung etwas näher betrachten zu können, müssen dieeinzelnen Dimensionen zunächst fokussiert werden. Zunächst die Akteur-Dimension:Ökonomisierung hat hier zu einer Erweiterung möglicher Konstellationen geführt. Vorder Liberalisierung des Rundfunkmarktes waren folgende Typen von Akteurkonstella-tionen möglich:a) jeder gegen jeden,b) zwei öffentlich-rechtliche gegen einen anderen öffentlich-rechtlichen,c) alle gemeinsam für etwas.

Als Akteure fungierten: ARD, ZDF, ARD 3. Nach der Liberalisierung lassen sich folgende Typen von Akteurkonstellationen im

gemischt öffentlich-rechtlichen und privat-kommerziellen System ausmachen. Als Ak-teure fungieren hier: öffentlich-rechtliche (ARD, ZDF, ARD 3, 3sat, Phoenix etc.) undprivat-kommerzielle (RTL, SAT.1, ProSieben, H.O.T., DSF etc.).a) jeder gegen jeden,b) n öffentlich-rechtliche gegen n privat-kommerzielle,c) n privat-kommerzielle gegen n privat-kommerzielle,d) n öffentlich-rechtliche gegen n öffentlich-rechtliche,e) n öffentlich-rechtliche gemeinsam für etwas,f) n privat-kommerzielle gemeinsam für etwas,g) alle gemeinsam für etwas.

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5 Siehe dazu das Niedersachsen-Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Urteil des Bundesverfas-sungsgerichts vom 4. November 1986 (BVerfGE 73, 118).

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Leicht zu ersehen ist, dass die Öffnung des TV-Sektors für privat-kommerzielle An-bieter die möglichen Handlungsstrategien und damit die möglichen Akteurkonstella-tionen stark erweitert hat. Damit ist zugleich das von Akteuren ausgehende Struktur-veränderungspotenzial erhöht worden, denn man darf annehmen, dass, je mehr Akteu-re um Geld und Aufmerksamkeit konkurrieren, desto mehr neue Strategien ausprobiertwerden.

Dieser strategische Handlungsdruck spiegelt sich nicht nur in der Könnensdimension,er wird auch in die Ebene der institutionellen Ordnung hineingetragen: Beide Akteur-gruppen versuchen beständig, die Sollens-Dimension der institutionellen Ordnung zuihrem Vorteil zu verändern. Bei den privat-kommerziellen Akteuren manifestiert sichdies vor allem in der Aufweichung rechtlich normierender Grundlagen ihres Handelns.Veränderungen werden dabei auf unterschiedlichen Ebenen angestrebt: programmlich,werberechtlich und unternehmensrechtlich.

Auf der Ebene des Programms wird versucht, die Zuschauerzahl zu maximieren oderzumindest so zu optimieren, dass vor allem die so genannten werberelevanten Zuschau-er (14- bis 49-Jährige) erreicht werden. Dies geschieht zum Teil mit Programmforma-ten, die an Tabu-Grenzen stoßen oder sie sogar überschreiten. Vor allem Reality-For-mate wie „Big Brother“ oder „Inselduell“ haben hier in jüngster Zeit für nachhaltige ge-sellschaftliche Diskussionen gesorgt. Solche Formate stoßen bewusst in moralischeGrenzbereiche vor, um erstens Zuschauer zu gewinnen und zweitens zu testen, inwie-weit die bestehenden programmlichen Normen (Teil der institutionellen Ordnung) imSinne des expansiv agierenden Akteurs ausgelegt oder auch verändert werden können.Grenzüberschreitung ist Teil des Spiels: So zeigte etwa SAT.1 im „Inselduell“, wie Teil-nehmer der Show einen Waran, der auf der Artenschutzliste steht, für den Verzehr un-sachgemäß töteten (täglich kress vom 14.08.2000, www.kress.de/suche). Für den Senderwar dies ein Testfall, wie weit er in seinem Programm gehen darf und ob er, wenn er nurbeharrlich genug ist, nicht Normierungen zumindest aufweichen kann.

Auf der Ebene des Werberechts wird seit Einführung des privat-kommerziellen Fern-sehens um Grenzen des Erlaubten gestritten. Dabei sind im Laufe der Jahre die Richtli-nien für die Werbezeiten immer stärker liberalisiert und damit den Forderungen der pri-vat-kommerziellen Sender angepasst worden: Dies betrifft unter anderem die Umstel-lung von der Nettosendezeit einer Sendung als Grundlage für die Bemessung der Wer-beunterbrechungen zur Bruttosendezeit (Dauer der Sendung plus Werbeblöcke)6. Dieprivat-kommerziellen Sender sind bei diesem Spiel von „List und Gegenlist“ (Beyme1992, 143) der Spielpartner Medienunternehmen und Politik teils sogar bereit, rechtli-che Grenzen zu überschreiten, um durch das Schaffen von Fakten eine Rechtsänderungzu beschleunigen. Dies zeigt sich etwa bei der Trennung von Werbung und Programm.Beim so genannten Split-Screen-Werbeverfahren testete RTL diese Werbeart, bei derder Bildschirm in Werbung und laufendes Programm geteilt wird, erstmals EndeFebruar 1999 bei einem Boxkampf7, obwohl diese Art der Werbung damals noch ver-boten war. Zunächst beanstandeten die Landesmedienanstalten dieses Verfahren, er-laubten es aber dann doch nachträglich, als sich abzeichnete, dass auch die kommendeüberarbeitete Version des Rundfunkstaatsvertrags Split-Screen ermöglichen würde(werben & verkaufen online vom 22. Februar 2000, www.wuv.de/archiv).

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6 Siehe dazu Media Perspektiven Dokumentation: Staatsvertrag im vereinten Deutschland in derFassung des vierten Rundfunkänderungsstaatsvertrags (Gültig seit 1. April 2000).

7 Vgl. werben & verkaufen online vom 1. März 1999 (www.wuv.de/archiv).

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Auf der Ebene des Unternehmensrechts haben die privat-kommerziellen Programmeerreicht, dass bei der Frage, wie viele Programme zu einem Unternehmen gehören dür-fen, nicht mehr Besitzanteile zählen, sondern Marktanteile. Die Änderung der Rechts-norm ist vor allem den beiden großen Senderketten von Leo Kirch auf der einen undBertelsmann auf der anderen Seite entgegengekommen. Während z. B. zuvor ProSie-ben rechtlich getrennt von Kirchs Sendern SAT.1 und DSF firmieren musste, konnte esnach der Änderung der Rechtslage offiziell in den Senderverbund aufgenommen wer-den.

Auch die öffentlich-rechtlichen Akteure versuchen beständig, die Normen der insti-tutionellen Ordnung in ihrem Sinne zu verändern. Gelungen ist ihnen dies z. B. auf derEbene der Rechtsprechung durch das Bundesverfassungsgericht, das ihnen seit 1991 eineBestands- und Entwicklungsgarantie einräumt8. Unter Verweis auf diese Entwick-lungsgarantie haben die öffentlich-rechtlichen Akteure z. B. ihr Leistungsspektrum aus-gebaut und ihre Angebotspalette um die Spartenkanäle Phoenix und Kinderkanalerweitert. Auch bei der Veränderung des Werberechts konnten die Öffentlich-Recht-lichen Teilerfolge verzeichnen: Sie dürfen trotz Werbeverbot nach 20.00 Uhr im Abend-programm die werbeähnliche Einnahmequelle des Sponsoring einsetzen. Bis Ende derachtziger Jahre war Sponsoring dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk rechtlich noch„weitgehend verschlossen“ (Stuiber 1998b, 971).

Diese Beispiele zeigen, dass die veränderten Akteurkonstellationen im Anschluss andie Ökonomisierung des Fernsehens seit der Zulassung privat-kommerzieller Anbieterüber das teils übergebührliche Ausschöpfen der Könnens-Dimension zu einer Verän-derung der Sollens-Dimension der institutionellen Ordnung geführt hat.

Berechtigt erscheint nun die Frage, ob und wenn ja inwiefern sich auch der laut Schi-mank nur langfristig wandelbare teilsystemische Orientierungshorizont verändert. EineAntwort auf diese Frage hängt entscheidend davon ab, was man als Teilsystem definiert,welche Funktion und welchen binären Code, welche Leitunterscheidung man ihm zu-weist. Oben wurden Massenmedien bereits als Teilsystem modelliert, dessen Leitunter-scheidung veröffentlichen versus nicht veröffentlichen heißt. Als These soll hier formu-liert werden: Das Grundprinzip der Leitunterscheidung veröffentlichen versus nichtveröffentlichen wird zunächst nicht verändert, auch die Funktion des Systems bleibt be-stehen. Allerdings wird die Leitunterscheidung durch den Code der Wirtschaft unterden Bedingungen fortgesetzter Ökonomisierung („Ökonomisierung der Ökonomisie-rung“ – Altmeppen 2001, 202) verzerrt. Dies bedeutet, dass die Sender, repräsentiertdurch Redaktionen, Unterhaltungschefs, Programmgeschäftsführer etc., in allen Berei-chen den Code der Wirtschaft, zahlen / nicht zahlen, mitbedenken und bei der Ent-scheidung für diese oder gegen jene Sendung mitbeachten. Überspitzt: Es wird vor-nehmlich das gesendet, was beiden Codes entspricht. Die fortgesetzte Ökonomisierunglässt noch klarer werden, dass es sich beim Fernsehen nicht nur um eine publizistische(Dienst-)Leistung handelt, sondern um ein Kuppelprodukt, an das sich publizistischeund ökonomische Erwartungen richten (Altmeppen 1996): Bei der Produktion vonNachrichtensendungen etwa setzen vor allem (aber nicht nur) privat-kommerzielle Sen-der zunehmend auf Boulevardjournalismus (Krüger 2000); empirisch zu prüfen wärezudem, inwieweit die Themenstruktur und die journalistische Aufbereitung der The-men auch bei nicht boulevardorientierten Nachrichtensendungen wie „RTL aktuell“

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8 Siehe dazu das NRW-Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Urteil des Bundesverfassungsge-richts vom 5. Februar 1991 (BVerfGE 83, 238).

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oder „18:30“ durch den Blick auf Einschaltquoten und damit durch den Code zahlen /nicht zahlen verzerrt werden (Messkriterien wären hier bspw. eine Zunahme an emoti-onsgeladenen Themen oder Themen mit Sensationscharakter). Bei der Produktion undAusstrahlung von Serien ist vor allem bei den privat-kommerziellen Sendern zu beob-achten, dass sie einer Serie oder Show immer weniger Zeit geben, sich einen Zuschauer-stamm aufzubauen. Entweder das Format kommt nach den ersten Wochen gut an, oderes verschwindet umgehend wieder von der Bildfläche. Zu sehen war dies unter anderembei der Vorabendserie „Mallorca“, die ProSieben aufgrund schwacher Quoten nachkurzer Zeit wieder aus dem Programm nahm (Berliner Zeitung vom 30. November 1999,www.berliner-zeitung.de/archiv). Es geht demnach nicht nur um das Prinzip des Ver-öffentlichens oder Nicht-Veröffentlichens, sondern immer auch um das Erreichen vonZuschauerkontakten für Werbekunden durch Veröffentlichung. Zu bestimmten Preisenwird den Werbekunden häufig eine bestimmte Anzahl von Zuschauern garantiert (Tau-send-Kontakt-Preis-Garantie). Kann der Sender mit dem Programm diese Anzahl nichterreichen, sinken die Werbepreise, der Kunde bekommt Rabatte, die Ausstrahlung lohntsich für den Sender nicht mehr, das Programm wird gestrichen. Dies geschieht nicht nurbei Programmen, die zu wenig Zuschauer erreichen, sondern auch bei Programmen, diedie falschen Zuschauer im Sinne der Werbekunden erreichen. Zum Beispiel strich 1998SAT.1 den „Bergdoktor“ trotz passabler Quoten aus dem Programm, da er zu wenigwerberelevante Zuschauer im Alter von 14 bis 49 Jahren erreichte und damit zu wenigGeld einbrachte (Berliner Zeitung, 14. April 1998, www.berliner-zeitung.de/archiv).Fortgesetzte Ökonomisierung hat demnach nicht nur Einfluss auf Akteurstrukturenund institutionelle Ordnungen, sondern, so wird hier nahe gelegt, auch auf den teilsys-temischen Orientierungshorizont.

Auch Schimank sieht eine Beeinflussung des Codes autopoietischer Systeme durchden Code anderer Systeme, er spricht aber nicht von Verzerrung, sondern von einemDirigieren von Leistungsbezügen der teilsystemischen Autopoiesis und von einem Ein-schränken oder sogar Unterdrücken teilsystemischer Autopoiesis (Schimank 1998, 179– 181). Den Begriff des Dirigierens beschreibt er durch eine gegenseitige Beeinflussungvon teilsystemischer Autopoiesis und intersystemischen Leistungsbezügen. Am Bei-spiel der Wissenschaft macht er auf folgenden Prozess aufmerksam: „So kann die Auto-poiesis wissenschaftlicher Forschung merken, dass bestimmte Forschungsthemen be-sondere Chancen für Wahrheitskommunikation erzeugen, weil diese Themen mehrRessourcen aus der Wirtschaft anziehen; und das wiederum geht darauf zurück, dass dieAutopoiesis wirtschaftlicher Zahlungen bemerkt, dass Investitionen in verwissenschaft-lichte Produktionstechnologien die Zahlungsfähigkeit stärker steigern als andere Inve-stitionsmöglichkeiten. Im Ergebnis läuft dieses Dirigieren der Wahrheitskommunika-tion durch wirtschaftliche Anwendungsinteressen auf Themenkonjunkturen in der Wis-senschaft, Produkt- und Branchenkonjunkturen in der Wirtschaft hinaus.“ (Schimank1998, 179) Von Einschränkung/Unterdrückung ist dann die Rede, wenn einmal entfes-selte Autopoiesien durch „neu justierte Nutzenverschränkungen mit anderen Teilsyste-men […] über die Entfesselung der Autopoiesis hinausschießen und in eine sachlicheoder zeitliche Marginalisierung codegeprägter Kommunikationen münden.“ (Schimank1998, 180) Beide Mechanismen können anhand der oben gezeigten ökonomischen Ver-änderungen für die Entwicklung des Fernsehens geltend gemacht werden: Die Auto-poiesis massenmedialer Produktion bemerkt, dass bestimmte Themen besondere Chan-cen auf Veröffentlichung haben, da sie hohe Zuschaueraufmerksamkeit und damit hoheWerbeakzeptanz generieren. Die Autopoiesis wirtschaftlicher Zahlungen bemerkt wie-derum, dass Werbe-Investitionen in bestimmte Programmumfelder zu mehr Zuschau-

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erkontakten führen als andere und übt Einfluss auf die Veröffentlichungsroutinen derSender aus, indem etwa Werbekunden direkt oder über Mediaagenturen vermittelt, be-stimmte Programmformate forcieren (und andersherum anderen die finanzielle Unter-stützung entziehen).

4. Ökonomisierung als sozialer Prozess und Folgen von Ökonomisierung

Nachdem bislang modelliert worden ist, welchen Einfluss Ökonomisierung auf die dreiDimensionen teilsystemischer Orientierungshorizont, institutionelle Ordnung und Ak-teurkonstellation hat, rücken nun abschließend der prozesshafte Charakter der Ökono-misierung und des Zusammenspiels von System und Akteur sowie mögliche Folgen die-ses Prozesses in den Vordergrund. Betrachtet man die besagten drei Dimensionen inihrem handelnden Zusammenwirken, so fällt auf, dass es sich nicht lediglich um Struk-turbildung und -erhaltung, sondern um prozessuale Abläufe handelt, in denen der Ak-teur eine wohl ebenso wichtige Rolle einnimmt wie das System. In Giddens‘ Theorie derStrukturierung sind beide ständig am Prozess der Reproduktion der sozialen Struktu-ren beteiligt. Soziale Systeme sind für Giddens keine Funktionssysteme, sondern „re-produzierte soziale Praktiken“, die weniger starr feststehende Strukturen besitzen, alsvielmehr mehr oder weniger stark veränderbare Strukturmomente aufweisen. Strukturversteht Giddens als „raumzeitliches Phänomen“, das sich in der Ausübung sozialerPraktiken realisiert und als „Erinnerungsspur“ ein Verhaltensmuster zur Orientierungbereitstellt (Giddens 1988, 69). Strukturen lassen sich ferner als Regeln-Ressourcen-Komplexe beschreiben, die an der Vernetzung sozialer Systeme beteiligt sind. Handelnund Strukturen sind hier unauflösbar miteinander verkoppelt, die Strukturmomente so-zialer Systeme gelten als Mittel und Ergebnis der kontingent ausgeführten Handlungensituierter Akteure (Giddens 1988, 246).

Der Blick soll nun im Folgenden auf die Strukturierung gerichtet werden. Daruntersind die Bedingungen zu verstehen, „die die Kontinuität oder Veränderung von Struk-turen und deshalb die Reproduktion von sozialen Systemen bestimmen.“ (Giddens1988, 77). Diese Bedingungen, das wurde in den Kapiteln 0 bis 3 gezeigt, haben sichdurch die Ökonomisierung verändert.

Wichtige Elemente sind bei dem Prozess des handelnden Zusammenwirkens von Ak-teur und System die „Reflexivität und Rekursivität des sozialen Handelns sowie die stra-tegische Orientierung am Kontext, der durch andere Akteure [und Systeme – d. V.] ge-bildet wird“ (Weyer 1993, 14). Dieser reflexive und rekursive Prozess kann Eigendyna-miken entwickeln, die nicht intendiert waren und nur schwierig steuerbar sind. Aus derÖkonomie kennt man solche eigendynamischen Prozesse spätestens seit Joseph A.Schumpeters Prozess der schöpferischen Zerstörung (Schumpeter 1952), der sich in Pro-dukt- und Marktlebenszyklen manifestiert und der auch im Fernsehen seit 1984 Gestaltangenommen hat (Wehmeier 1998, 201). In der Soziologie spricht man auch von Eigen-dynamiken sozialer Netzwerke (u.a. Weyer 1993), die ein Maß an Emergenz entwickeln,das nicht mehr konkret auf intendiertes Handeln einzelner strategiefähiger Akteurerückführbar ist.

Es wird hier vorgeschlagen, eine Untersuchung des prozessualen Charakters und vor allem der Rückwirkungen nicht-intendierter Handlungsfolgen mittels einer Kom-bination der oben dargelegten differenzierungstheoretischen Betrachtungen (Schi-mank/Mayntz und andere) und der Theorie reflexiver Modernisierung von Ulrich Beck,Anthony Giddens und Scott Lash (Beck/Giddens/Lash 1996) durchzuführen, um ne-ben dem analytischen Raster des dynamischen Prozesses auch mögliche Folgen der

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Ökonomisierung in den Blick zu bekommen. Mit Renate Mayntz und Brigitta Nedel-mann heißt es daher, „[…] sich auf die Analyse des Prozeßverlaufs selbst zu konzen-trieren und zu fragen, welche Prozeßformen durch zirkuläre Stimulation bzw. Verursa-chung entstehen und wie diese Formen auf die Prozeßursache selbst zurückwirken“(Mayntz/Nedelmann 1987, 651f.).

Diese Perspektive des Untersuchens von Rückwirkungen auf Prozessursachen wirdin der Theorie der reflexiven Modernisierung entfaltet. Unter reflexiver Modernisierungverstehen die Autoren dabei Transformationsprozesse, die „unreflektiert, ungewollt,mit unabschätzbaren Konsequenzen“ (Beck/Giddens/Lash 1996, 9 – Hervorhebung imOriginal) stattfinden und Folgeprozesse funktionaler Differenzierung sind. Ulrich Beckspricht erstens von Nebenfolgen der Modernisierung und funktionalen Differenzierung(Nebenfolgen erster Ordnung). Zweitens geht es um die Rückwirkungen auf Prozess-ursachen, die Beck als interne Nebenfolgen der Nebenfolgen bezeichnet (Nebenfolgenzweiter Ordnung) (Beck 1996, 27f.; 88).

Die Theorie reflexiver Modernisierung lässt sich insofern mit den Perspektiven vonSchimank, Weyer und Mayntz kombinieren, als es Schimank um die Handlungsmög-lichkeiten von Akteuren im Rahmen teilsystemischer Orientierungshorizonte und in-stitutioneller Ordnungen geht, als Weyer unter Bezugnahme auf Schimank die aus denunterschiedlichen Rationalitäten der drei Dimensionen entstehenden Spannungen undReibungen anspricht, die für gesellschaftliche Dynamik sorgen, und als es Beck undGiddens vor allem um die Folgen funktionaler Differenzierung geht – prozessual aus-gedrückt: um die Analyse von Folgen, die mit weiterer funktionaler Differenzierungnicht mehr behoben werden können. Fasst man als Nebenfolge erster Ordnung einerÖkonomisierung des Fernsehens (und damit als zumindest teilweise intendierte Folge)etwa eine Zunahme von Gewaltdarstellungen, Reality-Sendungen, ein Aufweichen klas-sischer journalistischer Standards durch Infotainment, zunehmende Unterhaltungsori-entierung (Krüger 2000) und eine Verstärkung des Trends zur symbolischen Politik(Sarcinelli 1987; Sarcinelli/Tenscher 2000), dann muss gefragt werden, auf welcheProzessursachen diese aus normativ-demokratischer Sicht9 negativen Entwicklungenzurückwirken und in welcher Form sie dies tun.

Eine dieser nicht-intendierten Rückwirkungen könnte ein Vertrauensverlust in Ex-pertensysteme sein. Als Expertensysteme gelten nach Anthony Giddens Sinn- undHandlungszusammenhänge, die sich im Laufe funktionaler Differenzierung (Arbeits-teilung) gebildet haben und exklusive Leistungsrollen einnehmen. Sie werden heutedurch Institutionen repräsentiert und verleihen Gesellschaft durch ihr spezialisiertesund strukturierendes Wirken Stabilität (Giddens 1995, 40f.; 1996, 164 – 166). Politik istetwa ein Expertensystem, das gesellschaftlich trag- und vertretbare Entscheidungen tref-fen soll. Auch Massenmedien können als Expertensystem begriffen werden, dessen nor-mative Aufgabe unter anderem das Einnehmen einer Orientierungs- und Kritikfunkti-on ist. Ein solcher Vertrauensverlust lässt sich sowohl für die Politik als auch für dieMassenmedien empirisch belegen. So zeigt zum Beispiel die Langzeituntersuchung Mas-senkommunikation, dass das Fernsehen hinsichtlich der Dimension Objektivität vor al-lem seit Anfang der achtziger Jahre massive Einbußen erlitten hat. Auch die relativeGlaubwürdigkeit des Fernsehens hat im Vergleich zur Zeitung deutlich abgenommen(Berg/Kiefer 1996, 251 – 254). Dies sind jedoch nur einige Indizien. Empirisch geklärt

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9 Zur Entfaltung einer normativen Integrations-Perspektive von Massenmedien vgl. Jarren(2000).

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werden muss, inwieweit die Ökonomisierung der Strukturen und die Kommerzialisie-rung der Inhalte in kausalem Zusammenhang damit stehen.

Abbildung 4 modelliert die bisher entwickelten Dimensionen und kombiniert dabeidie Ökonomisierung des Fernsehens aus System- und Akteurperspektive mit einer nachreflexiven Prozessen fragenden und Folgen abschätzenden Theorie reflexiver Moderni-sierung. Dabei werden die gesellschaftlichen Strukturierungsebenen (bezogen auf Mas-senmedien/Fernsehen) für die Zeit vor 1984, für das Jahr 1984 und die Zeit von 1984 bisheute modelliert. Vor 1984 wird hier von einer Prä-Ökonomisierung gesprochen, in derdas nicht-gewinnorientierte öffentlich-rechtliche System allein stehend war. Das Jahr1984 wird als Beginn der Ökonomisierung gesehen, technologische Entwicklung, wer-bewirtschaftliches Interesse, mediale publizistische und Gewinninteressen sowie derpolitische Wille, durch privat-kommerzielle Programme mehr Vielfalt und eine ausge-wogenere Politikberichterstattung zu bekommen, werden dabei als Ursachen der Öko-nomisierung gesehen. Als Formen werden (recht statisch) die Ausprägungen der Start-phase 1984/85 betrachtet und als Folgen die Dynamiken und Wechselwirkungen, die1984 eingesetzt und sich anschließend fortentwickelt haben. Als Nebenfolgen ersterOrdnung werden auf der Ebene der Akteurkonstellation z. B. das Vorstoßen in gesell-schaftliche Tabubereiche und juristische Grauzonen modelliert, auf der Ebene der in-stitutionellen Ordnung die dadurch bewirkte Normveränderung und auf der Ebene desteilsystemischen Orientierungshorizontes die durch Ökonomisierung bewirkte Verzer-rung des Codes veröffentlichen / nicht veröffentlichen durch den Code zahlen / nichtzahlen. Als Nebenfolge zweiter Ordnung, die reflexive Wirkung zeigt, wird hier einVertrauensverlust in Massenmedien und Politik gesehen (Rückwirkung auf Ursachen).

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4. Fazit

Wird mit Luhmanns funktionaler/autopoietischer Systemtheorie argumentiert, so kannÖkonomisierung überhaupt keinen Einfluss auf massenmediale Prozesse haben, daWirtschaft und Massenmedien unterschiedliche Codes und generalisierte Medien haben.Ökonomische Entwicklungen führen allenfalls zu einer Irritation von Massenmedien.Doch die Luhmann‘sche Extremposition wird sowohl in der Soziologie als nun auchzaghaft in der Kommunikations- und Medienwissenschaft verlassen. Dies lässt sich etwaan zwei Aufsätzen von Gabriele Siegert erkennen, die noch 1996 erheblich strenger imLuhmann’schen Kontext kommunikationswissenschaftlich arbeitete. Inzwischen machtsie für eine Analyse der Ökonomisierung der Massenmedien Münchs Interpenetrati-onsbegriff fruchtbar, der das wechselseitige Durchdringen von Systemen beschreibt.Zwar benutzt auch Luhmann teilweise den Interpenetrationsbegriff (Luhmann 1991,286-344), doch ist Interpenetration bei Münch ein zentralerer theoretischer Baustein,den er unter anderem in seiner Theorie des Handelns entwickelt hat (1988, 503 – 525).Münch greift auf den von Parsons stammenden Begriff zurück, um neben der sozialenund funktionalen Differenzierung zu erklären, dass Gesellschaft ein Mindestmaß an In-tegration benötigt, um funktionsfähig zu bleiben. Interpenetration stellt die gegenseiti-ge Durchdringung politischer, ökonomischer und kultureller Zusammenhänge sicher.Dieser Schwenk zu Münch und seinem Interpenetrationsmodell offenbart, dass es auchim Beziehungsgeflecht Massenmedien und Ökonomie zu Austauschprozessen undwechselseitiger Durchdringung der Systeme kommt (Siegert 2001, 172 – 174).

In diesem Beitrag wurde argumentiert, dass aber erst die Unterscheidung der drei Di-mensionen teilsystemischer Orientierungshorizont, institutionelle Ordnung und Ak-teurkonstellationen ein ausreichend komplexes Analyseraster bietet, um die vielfältigenProzesse der Ökonomisierung auf allen Ebenen und ihre Wechselwirkungen unterein-ander zu erfassen. Dabei zeigte sich, dass die Ökonomisierung zunächst die Akteur-konstellation verändert, anschließend, durch veränderte Akteurkonstellationen undstrategische wie eigendynamische Prozesse, die institutionelle Ordnung Stück für Stückvariiert wird und es so unter den Bedingungen fortgesetzter oder „entfesselter“ Öko-nomisierung (Knoche 2001: 184) zu einer Veränderung des teilsystemischen Orientie-rungshorizontes kommt. Dies zeigt sich dergestalt, dass es, mit Schimank gesprochen,zu einem Dirigieren von Codes oder gar zu einem Unterdrücken von Codes durch frem-de Systeme kommen kann (hier wäre es die Unterdrückung des Codes der Massenme-dien durch den Code der Wirtschaft). In diesem Aufsatz wird für den Fall der Ent-wicklung des Fernsehens der Begriff der Verzerrung vorgeschlagen: Fernsehformate(auch journalistische) werden zwar nach dem Prinzip veröffentlichen / nicht veröffent-lichen codiert aber (zumindest auf privat-kommerzieller Seite) häufig durch den Codezahlen / nicht zahlen verzerrt. Praktisch gesprochen: Nur wenn sich die Sendung (Un-terhaltungsserien wie auch Informationsmagazine) rechnet, wird sie auch langfristigeErfolgschancen auf weitere Veröffentlichung haben. Als eine Folge dieser Verzerrungdes Codes der Massenmedien wird ein Vertrauensverlust in das Expertensystem Mas-senmedien erkannt. Allerdings müssen hier noch empirische Nachweise erfolgen, dieden Zusammenhang von Ökonomisierung der Massenmedien und Kommerzialisie-rung/Banalisierung der Inhalte genauer untersuchen und damit einer auf die Massen-medien (das Fernsehen) angewandten Theorie reflexiver Modernisierung Futter geben.Uwe Schimank fordert: „Für die Betrachtung einzelner Teilsysteme käme es darauf an, deren Ausdifferenzierung und weitere Evolution systematisch, und nicht bloß hierund da anekdotisch, aus solchen Zusammenhängen zwischen der selbstreferenziellen

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Geschlossenheit ihrer Operationen auf der einen und fremdreferenziellen Effekten undErwartungen auf der anderen Seite zu erklären.“ (Schimank 1998, 180) Diese Forderungverdient weitere Beachtung.

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Persönliche Homepages im WWWEin kritischer Überblick über den Forschungsstand

Nicola Döring

Persönliche Homepages sind Webangebote, die von einzelnen Personen betrieben wer-den. Der Aufsatz beschäftigt sich zunächst mit der Abgrenzung und Definition dieserpersonalisierten Form des Online-Publizierens und diskutiert seine kommunikations-wissenschaftliche Relevanz. Es wird argumentiert, dass persönliche Homepages nicht nurder Individual- und Gruppenkommunikation dienen, sondern in unterschiedlicher Wei-se auch einen Beitrag zur öffentlichen Kommunikation leisten können. Anschließendwird die teilweise schwer zugängliche Literatur zu persönlichen Homepages referiert.Die vorliegenden theoretischen Beiträge konzentrieren sich darauf, dass es sich bei derpersönlichen Homepage um Identitätskonstruktion und Selbstdarstellung per computer-vermittelter Kommunikation handelt. Zur Produktion, Klassifikation und Rezeptionpersönlicher Homepages liegen rund dreißig empirische Studien vor. Der Aufsatz be-richtet die wichtigsten Befunde, die durch Inhaltsanalysen, Log-File-Analysen, mündli-che und schriftliche Befragungen sowie Experimente gewonnen wurden, und zeigt Per-spektiven für die zukünftige kommunikationswissenschaftliche Homepage-Forschungauf.

„Auf der Visitenkarte des postmodernen Menschen darf sie eigentlich schon fast nichtmehr fehlen, die Adresse zur Homepage, zur Heimstätte der virtuellen Existenz im In-ternet.“ (Storrer, 1999: 2). Freilich sind Internet-Nutzer und Visitenkarten-Besitzer so-wohl global als auch national privilegierte Minderheiten – doch der Trend zur Verall-täglichung persönlicher Homepages ist unverkennbar.• „Thierse Online – Der Bundestagspräsident hat jetzt eine eigene Homepage“ berich-

tete die Berliner Zeitung im April 2001. „Die Homepage ist nicht zu peppig, das passtzu mir“, habe der 57-jährige Wolfgang Thierse die von einer Agentur für ihn ent-wickelte Webpräsenz (www.wolfgang-thierse.de) kommentiert.

• Die Homepage von Jeremy Bamber (www.jeremybamber.com) ist momentan vomProvider gesperrt. Der 39-jährige Engländer war vor 15 Jahren zu lebenslanger Haftverurteilt worden für die Morde an seiner Mutter, seiner Schwester und seinen bei-den Neffen. Bamber, der vor Gericht immer seine Unschuld beteuert hatte, wolltesich mit seiner Online-Darstellung des Falles an die breite Öffentlichkeit wenden undseinen Bemühungen um ein Revisionsverfahren Nachdruck verleihen. Doch Opfer-schutz-Vereinigungen protestierten – nicht nur gegen Inhalt und Aufmachung derSite (sie enthielt u.a. einen Werbebanner mit dem Teaser „Click here to shoot yourboss“), sondern auch dagegen, dass überhaupt „ein verurteilter, mehrfacher Mörderaus dem Gefängnis heraus eine eigene Website betreiben kann“ (BirminghamEvening Mail, März 2001).

• 1996 startete die damals 20-jährige Studentin Jennifer Ringley eine persönlicheHomepage, die Gedichte, ein Online-Tagebuch und die legendäre JenniCam enthält,eine unzensierte Nonstop-Live-Übertragung von Videobildern aus ihrem Haus inKalifornien, wo sie heute mit sechs Katzen, einem Hund und ihrem Freund Dex lebt:„I keep JenniCam alive not because I want to be watched, but because I simply don’tmind being watched. It is more than a bit fascinating to me as an experiment, even(especially?) after five years. So feel free to watch, or not, as you so desire. I am not

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here to be loved or hated, I am here simply to be me.” (www.jennicam.com). Tau-sende von Website-Besuchern verfolgen, wie Ringley seit Jahren netzöffentlich „ein-fach sie selbst ist“, wobei man durch eine kostenpflichtige Mitgliedschaft Bilder imMinutentakt erhält, während die kostenlose Übertragung alle 15 Minuten eine neueAufnahme liefert.

• Petra Raissakis aus Graz kam drei Monate zu früh auf die Welt und wurde durch eineAugenschädigung im Brutkasten blind. Sie ist leidenschaftlicher Theater-Fan und alsSekretärin bei der Steiermärkischen Landesregierung tätig. Die Homepage der 34-Jährigen bietet eine Mischung aus Informationstexten und Erfahrungsberichten zudiversen Themen und Details aus dem Alltag blinder Menschen (http://members.aon.at/praissakis/).

Die vier Beispiele verdeutlichen, wie vielfältig und weitreichend kommunikative und so-ziale Implikationen persönlicher Homepages sind. Trotzdem ist bislang wenig systema-tisches Wissen gesammelt worden über die Determinanten, Merkmale und Konsequen-zen dieser neuen Publikationspraxis. In einschlägigen, im weitesten Sinne sozialwissen-schaftlichen Sammelbänden und Monografien zum Internet (z. B. Beck & Vowe, 1997;Gackenbach, 1998; Gräf & Krajewski, 1997; Jones, 1997; Kiesler, 1997; Neverla, 1998;Rössler, 1998; Runkehl, Schlobinski & Siever, 1998; Thimm, 2000) werden persönlicheHomepages – abgesehen von wenigen Ausnahmen (z. B. Döring, 1999: 85, 285ff.;Wallace, 1999: 31ff.) – nicht behandelt.

Der vorliegende Aufsatz definiert zunächst das Forschungsobjekt persönliche Home-page und diskutiert seine kommunikationswissenschaftliche Relevanz (Kapitel 1).Anschließend wird die teilweise schwer zugängliche Literatur zu persönlichen Home-sites referiert. Sie umfasst eine Reihe theoretischer Beiträge (Kapitel 2), aber auch runddreißig empirische Arbeiten. Die wichtigsten Befunde, die durch Inhaltsanalysen, Log-File-Analysen, mündliche und schriftliche Befragungen sowie Experimente gewonnenwurden, präsentiert Kapitel 3. Perspektiven für die zukünftige kommunikationswissen-schaftliche Homepage-Forschung werden im Ausblick aufgezeigt (Kapitel 4).

1. Die persönliche Homepage

Wie ist die persönliche Homepage von anderen Web-Angeboten abzugrenzen? WelcheRelevanz besitzt sie als Gegenstand in der Kommunikationswissenschaft? Welchen Bei-trag leistet sie zur öffentlichen Kommunikation?

1.1 Definition der persönlichen Homepage

Persönliche Homepages (personal homepages) sind Web-Angebote, die von einzelnenPersonen eigenverantwortlich betrieben werden (vgl. Dominick, 1999). Dabei könnenGestaltung und Programmierung selbst übernommen oder auch als Auftragsarbeit anDritte delegiert werden. Wenn statt einer einzelnen Person ein Freundes-, Liebes-, oderGeschwisterpaar, eine Familie, Clique, Wohngemeinschaft oder eine andere informelleKleingruppe für das Webangebot verantwortlich zeichnet, so handelt es sich um die Son-derform der kollektiven persönlichen Homepage. Der Besitzstatus ist bei persönlichenHomepages fast durchgehend an personalisierten Seitentiteln und Überschriften abzu-lesen (z. B. „Renates Homepage“, „Steppo’s kleine Homepage“, „Danielas Heimatsei-te“, „Homepage von Christoph G. Eisenhardt“, „My Homepage“, „Olli’s World“,„Christina’s Corner“, „Sugianto’s Little Palace“, „Unsere Familien-Homepage“). Auchdie Platzierung bzw. Verlinkung eines Webangebotes in einem dezidierten Verzeichnis

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persönlicher Homepages (z. B. zu finden bei www.yahoo.com, www.lycos.com oderwww.web.de) ermöglicht eine einfache Identifikation von Webangeboten als persönli-che Homepages.

Die hier favorisierte kommunikationswissenschaftliche Definition der persönlichenHomepage verwendet den Besitzstatus bzw. die Sender-Rolle des Individuums als zen-trales Kriterium und nicht etwa bestimmte Inhalte. Was eine Person über ihre Home-page der Netzöffentlichkeit mitteilt, ist vielmehr eine empirische Frage, die durch dieHomepage-Forschung zu beantworten ist. Inhaltliche Beschränkungen (z. B. auf auto-biografische Informationen), die in diversen Homepage-Definitionen zu finden sindund typischerweise inhaltlich und motivational auf eine Psychologisierung hinauslaufen(z. B. bei de Saint-Georges, 1998; Walker, 2000; Wynn & Katz, 1997), werden hier alseine vorschnelle Beschneidung des Gegenstands abgelehnt (vgl. Kap. 3.2).

Wir sprechen von „persönlichen“ Homepages unabhängig davon, wie privat oder in-tim ihre Inhalte sind. Wenn das Web-Angebot einer Person auf berufliche Aktivitätenbeschränkt ist oder ein unkommentiertes Software- oder Geschichten-Archiv enthält,so handelt es sich gemäß der hier vorgeschlagenen Definition dennoch um eine persön-liche (also personenbezogene) Homepage. Als Synonym für „persönliche Homepage“(personal homepage) wird im Deutschen – seltener im Englischen – auch der Begriff„private Homepage“ (private homepage) verwendet. Storrers (1999) Definition, dergemäß die privaten Homepages „der Selbstdarstellung als Privatmensch und als Teil der,Internet-Gemeinde‘“ dienen, während man auf der persönlichen Homepage die „be-rufliche Rolle im ,real life‘“ darstellt, wird hier nicht übernommen, da sie vom üblichensynonymen Sprachgebrauch beider Begriffe abweicht und zudem inhaltlich nicht trenn-scharf ist.

Als Gegenbegriff zur „persönlichen Homepage“ wird oft die „kommerzielle Home-page“ genannt. Diese Kontrastierung ist jedoch irreführend. Zwar sind Web-Angebotekommerzieller Unternehmen durch die am Besitzstatus orientierte Definition hier aus-geschlossen. Ob und wie Individuen ihre eigenen Online-Publikationen mit finanziel-len Interessen koppeln, ist jedoch wiederum eine offene empirische Frage und solltenicht durch definitorische Einengung vorentschieden werden. Die Erfahrung, in Eigen-regie gefragten Content anbieten zu können, scheint anekdotischen Berichten zufolgemanche Personen erst zu einer Semi-Kommerzialisierung ihrer persönlichen Home-pages anzuregen, etwa indem sie bestimmte Bereiche (z. B. Bilder-Galerien) mit Pass-wort-Schutz versehen und nur kostenpflichtig Zugang gewähren, wie das beispielswei-se die eingangs erwähnte Jennifer Ringley tut. Die persönliche Homepage ist gerade fürjene Personen von besonderer ökonomischer Relevanz, die selbständig tätig sind und so-mit neue Möglichkeiten des Selbst-Marketing und der Self-Promotion finden (z. B.Künstler-Homepage: www.eviniessner.de).

Von persönlichen Homepages (definiert über den individuellen Besitzstatus) sind alsnicht-persönliche Homepages solche Web-Angebote abzugrenzen, die von Organisatio-nen, Institutionen oder formellen Gruppen betrieben werden (z. B. Homepage der Fir-ma Nivea, Homepage des deutschen Bundestages, Homepage der Umweltschutzgrup-pe Greenpeace) und somit nicht das Individuum als Sender agieren lassen. Ein Grenz-fall zwischen organisationseigenen und persönlichen Homepages sind Webseiten, dieMitglieder innerhalb von Organisationen vorstellen: Hier gibt es nicht selten im Sinneder Corporate Identity normative Vorgaben zur inhaltlichen und formalen Gestaltung,die den Entscheidungsspielraum der dargestellten Personen hinsichtlich ihrer individu-ellen Selbstpräsentation einschränken.

Abgesehen von diesen im Sonderfall auftretenden sozialen Einschränkungen unter-

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liegt jedes Homepage-Projekt technischen Restriktionen, die sich etwa aus den Vorga-ben des Webspace-Anbieters (z. B. Speicherplatz-Beschränkung) und des verwendetenWeb-Editors (z. B. voreingestellte Farbauswahl) ergeben und nur bei entsprechendemfinanziellen Einsatz und fortgeschrittener Webkompetenz zu umgehen sind (vgl. Ber-ker, 1999). Alle genannten Typen von Homepages sind jedoch auf technischer und text-wissenschaftlicher Ebene gleichermaßen als elektronische Hypertexte zu kennzeichnen(Storrer, 2000).

Obwohl von der persönlichen Home-„Page“ die Rede ist, meint man nicht nur dieStartseite eines Webangebots, sondern die gesamte Web-„Site“, also alle inhaltlich zu-sammengehörigen Web-Seiten, die eine Person(engruppe) als ihre persönliche Home-page anbietet. Der korrekte Begriff „Homesite“ hat sich jedoch in der Homepage-For-schung nicht durchgesetzt und wird deswegen auch in dem hier vorliegendenÜberblicksaufsatz nicht verwendet. Zudem ist zu beachten, dass „HomeSite“ bereits alsName eines bekannten Web-Editors aus dem Hause Macromedia & Allaire eingeführtist und sich somit als Suchbegriff für inhaltliche Recherchen zum Thema „persönlicheHomepage“ nicht eignet.

1.2 Kommunikationswissenschaftliche Relevanz der persönlichen Homepage

Eine Kommunikationswissenschaft, die in Anlehnung an die anglo-amerikanische Tra-dition einen weitgefassten Medien- und Kommunikationsbegriff favorisiert, der media-tisierte und nicht-mediatisierte Individual- und Gruppenkommunikation einschließt,hat keine Probleme, die persönliche Homepage als relevanten Forschungsgegenstandanzuerkennen. Denn als spezifische, in nennenswertem Umfang verbreitete (siehe Kap.3.1.1) Variante der intra- und interpersonalen sowie intra- und intergruppalen Online-Kommunikation wäre sie per se untersuchenswert. Schließlich wissen wir noch immerzu wenig darüber, wie und mit welchen Konsequenzen sich Menschen das Internet undseine verschiedenen Kommunikationsdienste praktisch aneignen. Eine Untersuchungdieser Aneignungsprozesse, die am individuellen Verhalten und Erleben ansetzt, wirdsich vor allem an sozial- und medienpsychologischen Theorien und Konzepten orien-tieren (vgl. Kap. 2).

Eine Kommunikationswissenschaft, die den im deutschsprachigen Raum dominie-renden publizistischen Medien- und Kommunikationsbegriff favorisiert, wird die per-sönliche Homepage dagegen auf den ersten Blick eher als randständig – wenn nicht garirrelevant – einordnen: Nicht von Institutionen und Unternehmen, sondern von Indivi-duen produziert, nicht von einem Massenpublikum, sondern oft nur von einzelnen In-teressenten(gruppen) rezipiert, leistet die persönliche Homepage allenfalls einen margi-nalen Beitrag zur öffentlichen Kommunikation, mag man einwenden. Diese Einschät-zung ist jedoch diskussionswürdig, wobei nicht nur empirische Argumente (z. B.tatsächliche Reichweite persönlicher Homepages), sondern auch theoretische und kon-zeptuelle Überlegungen (z. B. Verständnis von öffentlicher Kommunikation) ins Feldzu führen sind. Der vorliegende Aufsatz plädiert für eine Betrachtung persönlicherHomepages gerade auch innerhalb der am publizistischen Medienbegriff orientiertenKommunikationswissenschaft.

1.3 Persönliche Homepages und öffentliche Kommunikation

Der Stellenwert der persönlichen Homepage im Bereich der öffentlichen Kommunika-tion ist bislang kaum explizit diskutiert worden. Die fehlende Auseinandersetzung mit

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dem Thema könnte als Indiz dafür gewertet werden, dass viele Kommunikationswis-senschaftler/innen persönliche Homepages tatsächlich für einen irrelevanten Gegen-standsbereich halten. Die zurückhaltende Thematisierung könnte jedoch auch der Tat-sache geschuldet sein, dass sich die Homepage-Forschung erst etabliert und viele ihrerBeiträge durch sehr verstreute Publikationsorte und geringe wechselseitige Zitierungschwer zugänglich sind. Ziel des vorliegenden Beitrages ist es, den Forschungsstand zupersönlichen Homepages breiteren Kreisen innerhalb der Kommunikationswissen-schaft bekannt zu machen, um damit einen dezidiert kommunikationswissenschaftli-chen Diskurs zu persönlichen Homepages anzustoßen. Drei Thesen zur Bedeutung derpersönlichen Homepage für die öffentliche Kommunikation könnten diesen zukünfti-gen Diskurs strukturieren. Sie werden im Folgenden anhand diverser Beispiele erläu-tert.

These 1: Persönliche Homepages sind Medien der Massenkommunikation.

Im Sinne einer publizistischen Egalisierung bietet das Internet die Möglichkeit, dass auchEinzelpersonen durch den Erwerb entsprechender Medienkompetenz bzw. die Inan-spruchnahme einschlägiger Dienstleister zu vergleichsweise geringen Kosten professio-nelle Online-Publikationen erstellen und damit potenziell Massenpublika erreichen,was vormals nur institutionalisierten Medienanbietern möglich war. Zuweilen tretenpersönliche Homepages in ein Konkurrenz- oder Ergänzungsverhältnis zu herkömmli-chen Massenmedien. Eine Vorreiterrolle nehmen hier Personen des öffentlichen Lebensein, die via Homepage ihre ohnehin bereits etablierte mediale Präsenz direkt mitgestal-ten wollen. Prominente Beispiele sind etwa der Autor Stephen King, der in dem Bestre-ben, sich von Verlegern zu emanzipieren, den Fortsetzungs-Roman „The Plant“ von2000 bis 2001 via Download über seine persönliche Homepage vertrieb und jede Wochemehrere Tausend Leserinnen und Leser fand (www.stephenking.com) oder die Justiz-ministerin Herta Däubler-Gmelin, die auf den Vorwurf, ihre 1975 an der UniversitätBremen eingereichte Dissertationsschrift sei nie publiziert worden, unmittelbar reagier-te, indem sie das Dokument Ende 2000 auf ihre persönliche Homepage stellte (www.daeubler-gmelin.de).

Mit Hilfe einer persönlichen Homepage wurde Anfang 2001 in der Joschka-Fischer-Affäre Mediengeschichte geschrieben (Welzel, 2001):

„Bettina Röhl hat auf altem Photomaterial einen Polizisten-prügelnden Au-ßenminister in spe erkannt und diese Nachricht an den Stern verkauft. Da mandort jedoch Bedenken hatte, als erstes Medium mit der Enthüllung der Fi-scherschen Vergangenheit aufzumachen, erschien nur ein 30-Zeiler im Stern.Eine Meldung, die es in sich hatte, denn sie nannte die Homepage-Adresse vonRöhl und diese Homepage (www.bettinaroehl.de) wiederum zeigte die eigent-lich altbekannten Photos, auf denen Fischer neu entlarvt worden war. Ein neu-er Köpfe-Skandal war da, lanciert im Netz, und Röhls Homepage fand mit täg-lich 4000 Zugriffen, so ihre Aussage gegenüber politik-digital, regen Zulauf.“

Persönliche Homepages, die von Prominenten stammen, die brisante Inhalte anbieten,über die in den Massenmedien berichtet wird oder die aus anderen Gründen ein di-sperses Publikum anziehen, können unter Verbreitungsperspektive den Medien derMassenkommunikation zugerechnet werden, obwohl die Anbieter (bei unterschiedli-chem Professionalisierungsgrad) als Individuen keine organisierten medialen Akteuresind.

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These 2: Persönliche Homepages sind Medien der öffentlichen Gruppenkommunikation.

Im Zuge der gesellschaftlichen Individualisierung und der Pluralisierung der Lebens-modelle werden Gruppenöffentlichkeiten als Teilöffentlichkeiten wichtiger, weil siespezifische Identifikations- und Orientierungsfunktionen erfüllen, die den Main-stream-Medien fehlen. Indem persönliche Homepages explizit bestimmte Zielgruppenadressieren, sich untereinander nach Maßgabe thematischer Ähnlichkeit zu Webringszusammenschließen (z. B. www.webring.com) und im Sinne von Crossmedia-Strate-gien zusätzliche Kommunikationswege integrieren (z. B. Newsboards, Chat-Rooms,Zeitschriften, Events), werden soziale Netzwerke bzw. soziale Gruppen mit reger Bin-nenkommunikation geschaffen. Die Netzöffentlichkeiten setzen teilweise auf bereitsetablierte Offline-Netzwerke auf, konstituieren sich teilweise aber auch erst im Netz(vgl. Döring, 1999: 369ff.). Da ein Großteil dieser intragruppalen Kommunikationnetzöffentlich verläuft, können Interessierte und Außenstehende (sofern sie onlinesind) das Kommunikationsgeschehen unbemerkt beobachten und sich bei Bedarf auchselbst beteiligen. Gerade die Gruppenkommunikation im Netz, die oft als Ursache von„Tribalisierung“ und Zersplitterung von Öffentlichkeit kritisiert wird, bietet durchihren öffentlichen Charakter trotz Differenzierung neue Chancen gesellschaftlicher In-tegration: Gruppenspezifische Diskurse, die sonst in nicht-öffentlichen oder schwerzugänglichen Räumen stattfinden (z. B. Treffen von Selbsthilfegruppen, Fangemein-schaften oder Scientific Communities) werden im Netz breiteren Kreisen zugänglich,man kann sich jeweils an den Quellen informieren und selbst partizipieren.

Legt man zugrunde, dass in den hochtechnisierten Ländern die Internet-Adoptions-rate die 50%-Schwelle teilweise bereits überschritten hat, so kann Online-Diskurseneine öffentliche Wirkung zugeschrieben werden, auch wenn sie nur teilweise im Zugeintermedialen Agenda-Settings von den Massenmedien aufgegriffen werden. Compu-terspiele-Fans oder von Depression Betroffene, die sich online informieren, werdenwomöglich von den zahlreichen, qualitativ hochwertigen persönlichen Homepages ih-rer Peer Communities stärker beeinflusst als von nicht-persönlichen Webangebotenoder Offline-Medien. Richard (2000) beschreibt, wie sich die Position von Mädchen undFrauen in den Jugendkulturen Punk, Gruftie sowie Techno- und House-Szene u. a.durch selbstbestimmte Webpräsenzen verändert und teilweise auch neue Stilbildungenhervorgebracht hat (z. B. cyberchicks, netgrrls). Im Bereich der Internet-Forschung fin-den die entscheidenden Diskussionen mittlerweile netzöffentlich statt über entspre-chende Homepage-Publikationen und Online-Foren, so dass wissenschaftliche Print-medien häufig nur noch mit zeitlicher Verzögerung das nachbereiten, was in der Fachöf-fentlichkeit durch Online-Kommunikation bereits bekannt ist.

Bei politischen Kampagnen und Demonstrationen, die darauf hinauslaufen, dass dieBeteiligten ihre Homepages dauerhaft mit einem bestimmten Banner versehen (z. B.„Free Speech Online. Blue Ribbon Campaign«; www.eff.org/br/) oder an einem be-stimmten Tag den Content ihrer Site sperren (z. B. Internet-Demonstration gegen dieRegierungsbeteiligung der FPÖ am 2. Februar 2001; www.popo.at/demo/) ist neben dernetzöffentlichen Wirkung oft auch eine Resonanz in den Offline-Massenmedien ange-strebt. Das Vorgehen bei einer Netzdemonstration ist einfach: Websites, die sich betei-ligen wollen, können sich online in eine Liste eintragen und ersetzen ihre Startseite für24 Stunden durch einen einheitlichen Banner.

Community Organizer interessieren sich dafür, wie sie öffentliche Gruppenkommu-nikation, die sonst selbstorganisiert entsteht, initiieren und vorstrukturieren können,um damit bestimmte Zielgruppen anzuziehen, Publikums- bzw. Kundenbindung zu er-

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höhen und zielgerichtete Werbemaßnahmen zu realisieren (Döring, 2001a). Als Com-munity Organizer betätigen sich sowohl herkömmliche Medienunternehmen mit ihrenOnline-Präsenzen (z. B. www.sat1.de) als auch neue Akteure (z. B. www.metropo-lis.de). Im Rahmen des Community-Building werden den potenziellen Mitgliedern ty-pischerweise Möglichkeiten eingeräumt, ein persönliches Profil oder eine persönlicheHomepage einzurichten. Je besser die kommunikativen Funktionen von persönlichenHomepages bekannt sind, umso eher können entsprechende Vorgaben dahingehend op-timiert werden, dass aktive Teilöffentlichkeiten entstehen. So versucht der Online-Buchshop Amazon (www.amazon.com) seine Kundschaft durch Leserrezensionen,Online-Foren und persönliche Profile in eine Kommunikationsgemeinschaft zu über-führen, um damit weiteren Wareneinkauf anzuregen. Die solitäre Buchrezeption in öf-fentliche Kommunikationskontexte einzubetten, mag jedoch abgesehen von den kom-merziellen Implikationen auch rezeptionstheoretisch interessante (und möglicherweisesogar wünschenswerte) Folgen haben.

Persönliche Homepages, die im Kontext netzöffentlicher Gruppenkommunikationpubliziert und rezipiert werden, sind in dreierlei Weise für die Auseinandersetzung mitöffentlicher Kommunikation von Belang: Sie können relevante Teil- und Fachöffent-lichkeiten (mit)konstituieren, sie können zum intermedialen Agenda-Setting beitragenund sie werden im Rahmen des Community Building zur Vorstrukturierung von spezi-fischen (z. B. produktzentrierten) teilöffentlichen Kommunikationsprozessen einge-setzt.

These 3: Persönliche Homepages sind Medien der Individual- und Gruppenkommuni-kation und dienen den Massenmedien als Ressourcen.

Selbst wenn man den direkten Beitrag persönlicher Homepages zur Massenkommuni-kation bzw. öffentlichen Gruppenkommunikation aufgrund zu geringer direkter Rezi-pientenbeteiligung in Frage stellt, bleiben indirekte Effekte zu berücksichtigen, dieüber Medienproduzenten vermittelt werden. Bemerkenswert sind beispielsweise Ver-suche von Medienunternehmen und Medieninstitutionen, das Genre „persönlicheHomepage“ als Format zu übernehmen: Die Diary Entertainment GmbH produziertseit 1999 eine Diary-Soap (www.diary.de) nach dem Vorbild der auf persönlichen Ho-mepages publizierten Online-Tagebücher (Döring, 2001b), wobei gecastete Diaristengegen Honorar netzöffentlich über ihr „reales Leben“ schreiben. Die vom ZDF pro-duzierte Web-Soap Etage Zwo drehte sich um fünf fiktionale Start-up-Unterneh-mer/innen, die wöchentlich in dreiminütigen Video-Clips zu sehen waren sowie fort-laufend über ihre persönlichen Homepages und sonstigen Online-Aktivitäten präsen-tiert wurden. Die im November 2000 ehrgeizig gestartete Web-Soap wurde wie ihrRTL-Pendant Zwischen den Stunden jedoch nach wenigen Monaten wieder eingestellt.Vielleicht hatten die Medienproduzenten unter anderem nicht richtig erkannt, was denReiz authentischer persönlicher Homepages ausmacht und wie man dieses Format an-sprechend umsetzt.

Einen möglicherweise sehr großen, wenn auch kaum systematisch untersuchten Ein-fluss auf die Massenmedien haben persönliche Homepages im Kontext journalistischerOnline-Recherchen. Dies betrifft das Beschaffen von Ideen und Informationen sowiedas Auffinden und Ansprechen von Interview-Partnern oder sonstigen Kontaktperso-nen, auf die man ohne ihre persönliche Online-Präsenz nie aufmerksam gewordenwäre.

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2. Theorien zur persönlichen Homepage

Es ist ausdrücklich nicht das Ziel dieser Literaturübersicht, ein bestimmtes kommuni-kationswissenschaftliches Homepage-Modell vorzuschlagen oder die im letzten Ab-schnitt entwickelten kommunikationswissenschaftlichen Thesen zur Bedeutung vonpersönlichen Homepages für die öffentliche Kommunikation theoretisch zu elaborierenund zu prüfen. Diese Aufgaben obliegen der zukünftigen kommunikationswissen-schaftlichen Homepage-Forschung (vgl. Kap. 4), die freilich vorliegende theoretischeBeiträge kennen und ggf. aufgreifen sollte. Die Theoriebildung in der sozialwissen-schaftlichen Homepage-Forschung kreist bislang darum, dass es sich bei der persönli-chen Homepage um Identitätskonstruktion und Selbstdarstellung per computervermit-telter Kommunikation handelt.

2.1 Identitäts-Theorien

Während der traditionelle Identitäts-Begriff von der Konstanz und Einheitlichkeit derIdentität ausgeht, wird postmoderne Identität als Patchwork (Keupp, 1997) oderPastiche (Gergen, 1991: 150) von unabhängigen und teilweise auch widersprüchlichenTeil-Identitäten verstanden, die in alltäglicher Identitätsarbeit (Keupp & Höfer, 1997)immer wieder neu zu konstruieren und aufeinander zu beziehen sind. Analog wird auchdas Selbst heute nicht mehr als homogenes und statisches Gebilde, sondern als dynami-sche und multiple Struktur verstanden, die sich aus diversen Selbst-Aspekten zusam-mensetzt (Hannover, 1996). Das multiple Selbst wird auch als dialogisches Selbst theo-retisch modelliert, wobei die einzelnen Selbst-Aspekte dann die Stimmen in einem in-neren Dialog darstellen (Hermans & Kempen, 1993). Während die Selbst-Aspekte zu-sammengenommen sämtliche auf die eigene Person bezogenen Inhalte und die auf ihnenoperierenden Prozesse umfassen, sind mit Teil-Identitäten nur die besonders relevantenSelbst-Aspekte gemeint (vgl. Döring, 1999: 255ff.). „Identität“ ist demnach der engere,„Selbst“ der weitere Begriff (Greve, 2000).

Den Konzepten „Patchwork-Identität“, „multiples Selbst“, „dynamisches Selbst“und „dialogisches Selbst“ gemeinsam ist der Fokus auf Konstruiertheit, Veränderungund Vielfältigkeit. Eben diese Aspekte finden sich in persönlichen Homepages wieder:Die Homepage ist naturgemäß immer „under construction“, sie wird durch Updates re-gelmäßig auf den neuesten Stand gebracht und vereint in ihrer Hypertext-Strukturdurch interne und externe Links mühelos diverse disparate und diachrone Selbst-Aspek-te und Teil-Identitäten (Chandler, 1998; Miller & Mather, 1998; Turkle, 1995: 259;Wynn & Katz, 1997). Kein anderes Medium scheint so passungsgenau wie die persönli-che Homepage die heutigen Anforderungen an Identitätsarbeit zu erfüllen: „Wherewebpages are experienced as being emotionally close to their authors as well as physi-cally detached from them, this can facilitate a sense of dialogue with oneself“ (Chandler& Roberts-Young, 1998: o. S.). Der Homepage-Bau fordert zum systematischen Beant-worten der identitätskritischen „Wer bin ich?“-Frage auf und unterstützt die Internali-sierung der jeweiligen Antworten. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf unsere mar-ginalisierten Teil-Identitäten, die sich im WWW selbstbestimmt definieren und mit an-deren Selbst-Aspekten verknüpfen lassen, was das Gefühl von Selbstintegration undSelbstwirksamkeit fördern kann (Hevern, 2000; Lillie, 1998; Wynn & Katz, 1997). AlsMedium des Selbstausdrucks und der Selbstkonstruktion stellt die Homepage dement-sprechend eine wichtige und potenziell heilsame (vgl. Pennebaker, 1997) Variante unse-rer intrapersonalen Kommunikation dar, sei es für eine begrenzte Lebensphase (z. B.

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Studium, Schwangerschaft, Coming-Out, Bewältigung eines Traumas) oder für einenoffenen Zeithorizont: „Die persönliche Homepage im Web ist […] die rund um die Uhrvon überall her erreichbare Basisstation unserer Aktivitäten. Gut geplant und regel-mäßig gepflegt repräsentiert sie unseren jeweils aktuellen Status als komplexes Indivi-duum mit vielfältigen Beziehungen und Interessen. Sie unterstützt unsere Wünsche undPläne für die Zukunft“ (Klinger, 2001).

2.2 Selbstdarstellungs-Theorien

Da die persönliche Homepage im WWW veröffentlicht wird und potenziell ein großesund heterogenes Publikum erreicht, ist sie auch ein wichtiges interpersonales Mediumder Eindrucksregulation (impression management) und Selbstdarstellung (self presenta-tion). Wann immer andere Menschen unser Verhalten direkt beobachten oder davonKenntnis erhalten können, achten wir darauf, welchen Eindruck wir hinterlassen (Leary,1996; Mummendey, 1995). Aus Sicht des Impression Management sind nur Situationen„privat“, in denen wir allein und unbeobachtet sind. Alle anderen Situationen sind „öf-fentlich“, wobei je nach konkretem Adressatenkreis unterschiedliche Öffentlichkeitenzu unterscheiden sind. Wir bemühen uns in unserem öffentlichen Alltag generell um si-tuationsadäquates Verhalten: Um nützliche Eindrücke zu erzeugen und schädliche zuvermeiden, setzen wir bestimmte assertive und defensive Techniken der Eindrucks-steuerung ein. Dies können etwa Selbstlob oder Entschuldigungen sein, die man neben-bei im Gespräch äußert. In bestimmten Situationen tritt die Eindrucksregulation als ex-plizite Selbstdarstellung ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Dies ist etwa in Bewer-bungssituationen, beim Blind Date oder beim biografischen Interview der Fall sowie inder medialen Kommunikation, die diesen Face-to-Face-Begegnungen vorausgeht odernachfolgt (z. B. Bewerbungsunterlagen, Kontaktanzeige). Die Selbstdarstellungsfor-schung, die entscheidend von dem Soziologen Erving Goffman (1959) und seiner Metapher des „Theaterspielens im Alltag“ geprägt wurde, betont ausdrücklich dieprosozialen Aspekte der Eindruckssteuerung und distanziert sich damit von dem nega-tiv konnotierten Alltagsverständnis der Eindruckssteuerung als unfairer Manipulationund der Selbstdarstellung als egozentristischer Angeberei. Nach Jones (1990) sind vorallem fünf Selbstdarstellungs-Strategien zu unterscheiden: 1. ingratiation (sympathischwirken), 2. intimidation (überlegen wirken), 3. self-promotion (kompetent wirken),4. exemplification (moralisch vorbildlich wirken) und 5. supplication (hilfsbedürftigwirken).

Für eine elaborierte Selbstdarstellung ist die persönliche Homepage gut geeignet(Chandler, 1998; Karlsson, 1998; Miller, 1995; Wynn & Katz, 1997): Man kann sich um-fänglich und ungestört über sich selbst äußern, dabei auf diverse Modalitäten und Co-des zurückgreifen, unterliegt in der Veröffentlichung keiner redaktionellen Kontrolleund erreicht mit vergleichsweise geringem Aufwand sowohl disperse als auch sehr klei-ne und spezialisierte Publika. Bisher war es wenigen ausgewählten Menschen vorbehal-ten, sich vor einer breiten Öffentlichkeit präsentieren zu dürfen; heute stehen großeBühnen der Selbstdarstellung prinzipiell allen webkompetenten Menschen offen. Dabeikann es darum gehen, bestimmten Publika einen Eindruck von der eigenen Person undpersonalen Identität zu vermitteln (z. B. potenziellen Arbeitgebern, Chat-Freunden,Fachkollegen), um damit Kontaktchancen und Vernetzung zu verbessern (Erickson,1996). Es kann aber auch Aufklärungsarbeit intendiert sein für eine bestimmte kollek-tive Identität bzw. soziale Gruppe, zu der man gehört und deren Bild in der Öffent-lichkeit man beeinflussen möchte (Hevern, 2000). Während das Eindrucksmanagement

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bei der zeitgleichen Kommunikation (Face-to-Face, Telefon, Chat) flexibel und nuan-ciert auf Adressatenreaktionen eingehen kann, sind Webautoren mit einem chronischenInformationsmangel konfrontiert, sowohl was die Zusammensetzung ihres Publikumsals auch deren Erwartungen und Bewertungen betrifft.

2.3 Theorien der computervermittelten Kommunikation

Bei der computervermittelten interpersonalen Kommunikation (CvK) tauschen räum-lich getrennte Personen zeitversetzt oder zeitgleich digitale Botschaften (Texte, Bilderusw.) aus. Bislang ist die computervermittelte Kommunikation in der Praxis noch sehrtextlastig, so dass sich CvK-Theorien auf die sozialen Konsequenzen einer digitalenTextkommunikation konzentrieren. Aus der Vielzahl der theoretischen Modelle, diejeweils einzelne Aspekte der computervermittelten Kommunikation in den Mittelpunktstellen (siehe zum Überblick Döring, 1999: 209ff.), lassen sich zwei Kontroversenherauskristallisieren, die für persönliche Homepages besonders relevant sind: Zum einendie Frage nach der Vollständigkeit oder Unvollständigkeit und zum anderen die Fragenach der Authentizität oder Inauthentizität netzbasierter Selbstaussagen.

Das technikdeterministische Kanalreduktions-Modell geht davon aus, dass die web-basierte Selbstdarstellung letztlich immer als defizitär wahrgenommen wird und allen-falls blasse und unvollständige Personeneindrücke vermittelt. Gemäß dem nutzerzen-trierten Modell der sozialen Informationsverarbeitung (Walther, 1992) könnte eine ela-borierte Website jedoch im Informationsgehalt mit einer persönlichen Begegnung mit-halten. Denn das Modell der sozialen Informationsverarbeitung geht davon aus, dassKommunikationspartner medienbedingte Informationsmängel erkennen und im Zugeihres sozialen Austauschs aktiv durch Zusatzinformationen beheben. Die Theorie derhyperpersonalen Interaktion (Walther, 1996) sagt sogar voraus, dass bei einer positivenEinstellung auf Seiten der Rezipienten die Website als besonders evokative Informati-onsquelle andere Arten der Informationsgewinnung über eine Person übertreffenkann. Informationslücken werden nämlich gemäß dem Modell der hyperpersonalenInteraktion bei positiver Voreinstellung im Sinne von Wunschdenken gefüllt, so dassder Personeneindruck eine besonders positive Tönung erhält. Es werden im Einzelfallsogar Verliebtheitsgefühle als Folge der Homepage-Rezeption berichtet (vgl. Döring,2000c).

Prozesse der Eindrucksbildung beim Website-Besuch wären also mit der Eindrucks-bildung bei anderen Formen der persönlichen oder mediatisierten Begegnung zu ver-gleichen (Sherman, End, Kraan, Cole, Martin & Klausner, 1999; Sherman, End, Kraan,Cole, Campbell, Klausner & Birchmeier, 2001). Dies gilt nicht nur für die Dimensionder Informationsmenge bzw. sozialen Präsenz, sondern auch für die Authentizität. Beider computervermittelten Kommunikation ist die Kontrolle über die Äußerungen er-höht: Wir können uns überlegter, selektiver und bei Bedarf auch anonymisierter prä-sentieren als in Face-to-Face-Szenarien und stehen nicht so stark unter Konfrontations-und Handlungsdruck. Dies kann einerseits zu erhöhter Selbstoffenbarung und Authen-tizität ermutigen (z. B. Selbst-Outing auf der eigenen Homepage), andererseits aberauch bewusste Maskerade und Täuschung begünstigen (z. B. gezielte Auslassungen oderFalschangaben). Indikatoren für den Grad der Authentizität einer Website sind subjek-tive Authentizitätsbewertungen der Besitzer und Besucher der Seite (Buten, 1996) so-wie objektive Vergleiche mit anderen Informationsquellen über die dargestellte Person.Wo sich eine Homepage auf den Dimensionen Informationsgehalt und Authentizitäts-grad positioniert, ist dabei nicht vom Medium determiniert, sondern hängt wesentlich

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von unseren Nutzungsmotiven und Aneignungskompetenzen ab, die in den identitäts-und selbstdarstellungsbezogenen Homepage-Theorien tendenziell hoch veranschlagtwerden.

3. Befunde zur persönlichen Homepage

Die meisten empirischen Arbeiten, die sich mit der Produktion, Klassifikation und Re-zeption von persönlichen Homepages befassen, haben explorativen und deskriptivenCharakter. Hypothesenprüfende Studien auf der Basis der im vorigen Kapitel darge-stellten Theorien sind bislang selten.

3.1 Produktion persönlicher Homepages

Anhand der bisherigen Befundlage lassen sich sechs zentrale Fragen zur Homepage-Produktion vorläufig beantworten.

3.1.1 Wer besitzt eine persönliche Homepage?

Bevölkerungsumfragen zur Internetnutzung konzentrieren sich vorwiegend auf die Re-zeption fremder Webangebote und vernachlässigen die Produktion eigener WWW-Sei-ten. So fehlen Fragen zu eigenen Web-Publikationen im GfK-Online-Monitor ebensowie in den ARD/ZDF-Online-Studien. Die wenigen Daten, die über die Verbreitungdes Homepage-Besitzes vorliegen, deuten darauf hin, dass bis heute nur eine Minderheitvon maximal 10 Prozent der Vernetzten eine eigene Homepage betreibt:• Im SensoNet-Fragenspiegel (Giger, 1998) gaben von n=240 Befragungspersonen im

deutschen Online-Panel 9 Prozent an, eine persönliche Homepage zu besitzen. • Doll, Petersen und Rudolf (2000) befragten Schüler/innen und Studierende aus Dres-

den und Halle schriftlich zu ihrer Internetnutzung. Dabei stellte sich heraus, dass ineiner Stichprobe von n=440 Gymnasiasten (16–17 Jahre) 9 Prozent eine eigeneHomepage eingerichtet hatten und in einer Stichprobe von n=244 Studierenden ver-schiedener Fachbereiche 11 Prozent (E-Mail-Mitteilung von Jörg Doll vom 4. Juli2000).

• Thomas Berker (1999) ermittelte für die Universität Frankfurt am Main anhand einerLog-File-Analyse des Web-Servers, dass von den n=11.706 eingeschriebenen Nut-zer/innen des Rechenzentrums nur n=409 (3,5%) eine Homepage angelegt hatten(Stichtag 1.3.1998).

• Anhand von Linklisten kontrastierte Döring (2001c) die Zahl der registriertenHomepages an verschiedenen bundesdeutschen Hochschulen mit der Zahl der Stu-dierenden, wobei sich im Mittel eine Homepage-Prävalenz von 2,1 Prozent ergab.

Unter den Homepage-Betreibern scheinen sich besonders viele Studierende zu befin-den: Buten (1996) zog eine Zufallsauswahl von n=422 persönlichen Homepages im US-Bundesstaat Pennsylvania und kontaktierte deren Besitzer/innen per E-Mail. Von denn=121 Respondenten waren 73 Prozent Studierende. Auffällig ist zudem, dass Home-page-Besitz unter männlichen Netzaktiven verbreiteter ist als unter weiblichen: Im Sam-ple von Buten (1996) befanden sich 14 Prozent Frauen. Zwei Jahre später stellten Millerund Mather (1998) bei einer Analyse sämtlicher im Yahoo!-Directory aufgelistetenHomepages fest, dass 75 Prozent von Männern stammten und 15 Prozent von Frauen(auf 10% der Homepages war keine eindeutige Geschlechtsreferenz zu finden). Obwohlder Anteil der Frauen unter den Studierenden bei rund 50 Prozent liegt, zeichnen sie nur

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für 13 Prozent der auf Hochschulservern zu findenden Homepages verantwortlich (sie-he Tab. 1).

Tab. 1: Homepage-Besitz bei Studierenden ausgewählter bundesdeutscher Hochschu-len (Döring, 2001c: 223, Stand: Mai 2000)

Hochschule Studierende Homepages HomepagesStudierende Frauen

(% an Studierenden) (% an HPs)

HU Berlin 34.495 521 (1,5%) 69 (13%)TU Berlin 27.700 651 (2,0%) 65 (10%)HS Bremen 6.500 29 (0,4%) 1 (03%)Universität Bremen 17.958 919 (5,0%) 176 (19%)Universität Gießen 20.075 429 (2,1%) 87 (20%)Universität Hannover 26.815 639 (2,0%) 41 (06%)Universität des Saarlandes 17.000 281 (1,6%) 24 (08%)TU Dresden 25.111 257 (1,0%) 33 (13%)Universität Jena 14.692 409 (3,0%) 51 (12%)

Gesamt 2,1% 13%

Die Zugehörigkeit zu bestimmten Berufsfeldern (z. B. Bundespolitik, Webdesign) oderStudienfächern (z. B. Medienwissenschaft) erhöht die Wahrscheinlichkeit, sich eineHomepage einzurichten. Darüber hinaus sind eigene Netzkompetenz (Berker, 1999,GVU, 1997), Homepage-Engagement im sozialen Netzwerk sowie die Beteiligung anChat-Communities wichtige Prädiktoren eigenen Homepage-Baus (Karlsson, 1998,2000). Trotz des populären Narzissmus- bzw. Exhibitionismus-Verdachtes unterschie-den sich die n=96 zufällig ausgewählten Homepage-Besitzer der Universität Hannover(96% Männer, 4% Frauen, Durchschnittsalter: 26 Jahre) auf den Dimensionen „Offen-heit“, „Gehemmtheit“, „soziale Orientierung“, „Leistungsorientierung“ und „Lebens-zufriedenheit“ des Freiburger Persönlichkeits-Inventars FPI nicht signifikant von derstatistischen Norm (Albat et al., 1998). (Die anderen FPI-Skalen waren nicht Teil der Er-hebung.)

3.1.2 Wie intensiv werden persönliche Homepages gepflegt?

96 Prozent der n=110 von Killoran (1998) befragten Homepage-Besitzer (Angaben zurStichprobenkonstruktion fehlen) gaben an, ihre Homepage nach der Ersterstellung be-reits mindestens einmal verändert zu haben und auch weitere Veränderungen zu planen.68 Prozent der Respondenten von Buten (1996) arbeiteten mindestens einmal im Monatan ihrer Website. Diesen Hinweisen auf intensive Homepage-Pflege steht der Befundvon Berker (1999) gegenüber, dass 26 Prozent der Homepages an der Universität Frank-furt am Main laut Serverstatistik über ein ganzes Jahr hinweg völlig unverändert blieben,was eher von Vernachlässigung zeugt. Von den n=96 zufällig ausgewählten studenti-schen Homepage-Besitzern an der Universität Hannover arbeitete laut Selbstauskunftdie Mehrheit (56%) selten oder nie an der Homepage, während nur eine kleine Minder-heit von 7 Prozent oft oder sehr oft Updates machte (Albat et al., 1998). Angesichts derHeterogenität der Stichproben und Erhebungsinstrumente lassen sich die Befunde nichtaggregieren. Eine beträchtliche Bandbreite im tatsächlichen Homepage-Engagement

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bleibt festzuhalten. Während die Update-Frequenz nicht mit der Bestehensdauer derHomepage korrelierte (Buten, 1998), zeigte sich ein positiver Zusammenhang zwischenWartungshäufigkeit und Umfang der Website (Berker, 1999). Befragungen zur Art derUpdates fehlen; allerdings lässt sich anekdotisch auf manchen Homepages anhand einer„Update-History“ oder „What’s New“-Rubrik nachvollziehen, welche Veränderungenwann vorgenommen wurden.

3.1.3 Wie werden Form und Inhalt persönlicher Homepage erzeugt?

Sowohl beim Design als auch beim Content wird auf bestehende Homepages als Vorla-gen und Materialressourcen zurückgegriffen: 95 Prozent der n=121 Befragungspersonenvon Buten (1996) gaben an, beim Bau ihrer persönlichen Homepage Elemente aus an-deren Homepages zu übernehmen. Eine Inhaltsanalyse von n=400 zufällig ausgewähl-ten persönlichen Homepages von Studierenden an vier US-amerikanischen Hochschu-len ergab, dass 43 Prozent der Sites durch Verwendung von geschütztem BildmaterialCopyright-Verletzungen begingen (Herbeck & Hunter, 1998). Abgesehen von solchenjuristischen Implikationen ist ein Collage-artiger Produktionsprozess aus Sicht post-moderner Identitäts-Theorien durchaus als bedeutungsvolle Selbstkonstruktion zu le-sen (siehe Kap. 2.1). Zudem werden im Bereich der Texte neben Fundstücken aus altenund neuen Medien (z. B. Zitate, Sprüche, Witze) auch Eigenproduktionen angeboten.Diese Textbeiträge lehnen sich an tradierte bürokratische, biografische, journalistischeund künstlerische Textsorten an und weisen damit insgesamt einen hohen Grad an Iden-tifizierbarkeit und Authentizität auf (vgl. Kap. 2.3): Sozialstatistische Angaben, tabella-rischer und/oder narrativer Lebenslauf, Zeugniskopien und Arbeitsproben, Urlaubsbe-richte, Hochzeits- und Kinder-Fotos, Online-Tagebücher, To-do-Listen, In/Out-Li-sten, Selbst-Interviews, Gedichte, Erzählungen, Zeichnungen usw. sind zu finden (Ba-tes & Lu, 1997; Chandler, 1998; Döring, 2001c; Karlsson, 1998; Miller, 1995; Miller &Mather, 1998; Walker, 2000). Außerdem wird nicht selten die im Wort „Homepage“steckende Metapher des elektronischen Zuhause aufgegriffen: Mein Fahrrad, meinAuto, mein Computer, mein Haustier, meine elektrische Eisenbahn, mein Saxophon –derartiges Inventar wird durch detaillierte Beschreibungen und kommentierte Foto-Do-kumentationen vorgeführt (Bates & Lu, 1997: 334ff.; Miller, 1999). Aus textwissen-schaftlicher Perspektive vollziehen die heutigen Homepage-Autorinnen und -Autorengerade den Prozess der Konventionalisierung eines neuen Genres (vgl. Kap. 3.3.2), in-dem sie sich inhaltlich und formal aneinander orientieren, einander sogar teilweise di-rekt kopieren (Saint-Georges, 1998; Dillon & Gushrowski, 2000).

3.1.4 An welche Publika richten sich persönliche Homepages?

Die Befragungsstudie von Buten (1996) ergab anhand von sechs (nicht ganz trennschar-fen) Kategorien, dass Homepage-Betreiber (zumindest auf Nachfrage) ein sehr hetero-genes Publikum unterstellen, das sich vom engsten persönlichen Umfeld (Freunde, Fa-milie) über Netzbekanntschaften, Arbeitskollegen und Menschen mit ähnlichen Inter-essen bis zu unbekannten Zufallsgästen („browsers“) erstreckt. In direkten Publi-kumsansprachen auf der Homepage (Döring, 2001c: 228) spiegelt sich diese Vielfaltwieder, wobei tendenziell Mitglieder des eigenen sozialen Netzwerkes oder einer be-stimmten Bezugs-Gruppe wichtigere Adressaten sind als die abstrakte Netzöffentlich-keit (vgl. Kap. 1.3), die aufgrund von Sprachbarrieren ohnehin nur bedingt adressierbarist. Das „Patchwork“-Publikum, das auf eine Homepage zugreift, ist aus Selbstdarstel-

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lungs-Perpektive besonders schwer zu handhaben und weicht von Face-to-Face-Kon-texten ab, in denen wir es mit kleineren und segregierteren Publika zu tun haben (sieheKap. 2.2). So berichteten etwa die von Chandler und Roberts-Young (1998) interview-ten n=25 walisischen Jugendlichen, dass sie sich teilweise schämten, wenn Mitschüleroder Lehrer ihre Homepages entdeckten, die sie eigentlich für Chat-Freunde entworfenhatten. Haase (1999) analysierte n=48 Homepages lesbischer Frauen, wobei sich anhandder Publikumsansprachen zeigte, dass die Homepage-Autorinnen jeweils ganz spezi-fische Zielgruppen im Blick hatten: In über der Hälfte der Fälle (57%) waren alle In-teressierten unabhängig von Geschlecht oder sexueller Orientierung eingeladen, „amLeben einer Lesbe teilzuhaben“, wie eine Autorin es mit aufklärerischem und publizi-stischem Impetus formulierte. Ausdrücklich „nur für Lesben“ waren 17 Prozent derHomepages vorgesehen, 8 Prozent nur für Frauen, egal ob homo- oder heterosexuellund 8 Prozent nur für Schwule und Lesben. In 2 Prozent der Fälle wurden ausdrücklichLesben, Schwule, Bi- und Transsexuelle angesprochen. Nur bei 8 Prozent der Seitenwurde keine Zielgruppe spezifiziert.

3.1.5 Aus welchen Gründen werden persönliche Homepages erstellt?

Hevern (2000) betont auf der Basis von n=20 Interviews mit schwulen und behindertenHomepage-Besitzern, dass sich im Homepage-Bau die Motivation zu positiver Selbst-Konstruktion (Self S-Motive) ebenso artikuliert wie die Motivation zur Kontaktauf-nahme mit anderen (Other O-Motive). Ebenso kennzeichnet Killoran (1999) persönli-che Homepages anhand einer Inhaltsanalyse gleichermaßen als personale Projekte (Mo-tiv Selbstkonstruktion, Freiheit von Fremddefinition) und soziale Projekte (Motiv Zu-gehörigkeit, Freiheit zur Kontaktaufnahme). Die interpersonale Ausrichtung vonHomepages wird auch von Dominick (1999: 655, „social association“, „linkage“ func-tion), Erickson (1996, „social hypertext“), Groth (1998, 1999, „knowledge net“) undKarlsson (1998, 2000, „socio-textual networks“) hervorgehoben und entspricht letztlichjener nicht-kommerziellen, humanen Vision vom WWW, die der Web-Erfinder TimBerners-Lee (2000: 226ff.) propagiert.

Der Hauptgrund für das Betreiben einer persönlichen Homepage ist aber nicht nurdie Förderung der intra- und interpersonalen sowie intra- und intergruppalen Kommu-nikation. Auch politische Ziele und öffentliche Aufklärung, wie sie beispielsweise inganz unterschiedlichem Zusammenhang von dem eingangs erwähnten Jeremy Bambersowie von Petra Raissakis anstrebt werden, sind nicht zu vergessen (vgl. hierzu Hevern,2000; Kennedy, 2000). Nicht selten geht es auch um das ökonomische Motiv, mit derWebpräsenz Gewinne zu erzielen, um das autodidaktische Motiv, die eigene Web-Kom-petenz zu verbessern oder um das organisatorische Motiv, durch die Link-Sammlung aufder Homepage schneller auf bestimmte Webseiten zugreifen zu können (Buten, 1996).Schließlich sind extrinsische Motive, die etwa auf schlichte Aufgabenerfüllung hinaus-laufen, ebenfalls in Rechnung zu stellen (Befring, 1997), wie der folgende Meta-Kom-mentar auf einer Homepage (zitiert nach Döring, 2001c: 229) eindrücklich illustriert:

„Naja, ich gebe es ja zu, wenn ich nicht müsste, würde ich nie auf die Idee kom-men eine Homepage zu machen …ich habe auch gar keine Lust dazu … schondeshalb nicht, weil ich nicht weiß, was ich schreiben soll!!! Gott, bin ich heutewieder unkreativ!! Aber der Prof. Hefele hat ja gesagt, auch wenn man einenschlechten Tag hat, muss ein Landschaftsarchitekt kreativ sein können …aberdas hilft mir im Moment auch nicht weiter! Nun gut, um einen ersten Eindruck

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von mir zu bekommen, könnt ihr ja mal mein wunderhübsches Bildchen be-trachten, oder Euch an meinem ,tabellarischen‘ Lebenslauf erfreuen!! Außer-dem habe ich noch ein paar Links und E-Mail-Adressen für Euch!“

3.1.6 Zeigen sich Geschlechtseffekte bei der Homepage-Produktion?

Entgegen der im Zusammenhang mit „virtueller Identität“ verbreiteten These von derMaskierung und vom Geschlechterwechsel (vgl. Döring, 2000b: 200ff.) zeigt sich aufpersönlichen Homepages eine große Bereitschaft, authentische und nachprüfbare In-formationen über die eigene Person zu liefern. Die überwältigende Mehrheit der vonButen (1996) befragten Homepage-Besitzer bewertete sowohl die eigenen Homepages(91%) als auch die Homepages anderer Menschen (78%) als zuverlässige, unverfälschteSelbstdarstellungen. Dabei wird kein anderer Selbst-Aspekt so häufig und so deutlich(Namensangabe, Foto) präsentiert wie das Geschlecht (Döring, 2001c: 229). Vergleichtman nun die Homepages von Frauen und Männern, so deuten die Inhaltsanalysen vonBefring (1997), Dominick (1999), Miller und Arnold (2000) sowie Miller und Mather(1998) darauf hin, dass sich bekannte geschlechtsspezifische Kommunikationsstile imNetz reproduzieren, etwa wenn Männer ihren Status betonen, nüchterne oder technik-bezogene Designs wählen und die neueste Netztechnologie einsetzen, während Frauenmehr Publikumsansprachen und autobiografische Narrationen einbauen sowie eher aufflorale Muster zurückgreifen.

Hier sollten jedoch auf der Basis explorativer Studien nicht vorschnell affirmativeAussagen getroffen werden. Die quantitative Inhaltsanalyse von Dubi, Lauper-DelPon-te, Schlapbach und Witschi (1998) zeigte mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede zwi-schen Homepages von Männern und Frauen. Die Feinanalysen von Karlsson (1998) undStern (1999) verdeutlichen anhand der Homepages von n=2 schwedischen und n=10nordamerikanischen Schülerinnen, wie sich subversive Gender-Konstruktionen quali-tativ erschließen lassen. Kibby (1997) argumentiert, dass die Präsenz von Körperlichkeitauf der persönlichen Website Frauen nicht automatisch nur im Sinne ungewollter Se-xualisierung viktimisiert, sondern auch ein selbstbestimmter Beitrag zur Identitätskon-struktion sein kann (vgl. dazu auch Stern, 2000). Das typische Selbstdarstellungs-Di-lemma von hochqualifizierten Frauen, nämlich die Kollision von Weiblichkeit mitKompetenz, Macht und Autonomie, ist auch beim Homepage-Bau virulent: So berich-teten die n=27 von Miller und Arnold (2001) interviewten, als Dozentinnen bzw. Pro-fessorinnen an englischen und nordamerikanischen Universitäten tätigen Homepage-Besitzerinnen von der Sorge, ihr als strukturell bedroht wahrgenommener professionel-ler Status könnte durch private Selbstdarstellung auf der Homepage unterminiert wer-den. Insgesamt beschrieben sie jedoch genau wie die n=17 von Kennedy (2000) perE-Mail befragten feministisch identifizierten Homepage-Autorinnen die Publikations-möglichkeiten im Web als einen positiven Beitrag zur Emanzipation. Dasselbe Resümeezogen auch die von Podlas (2000) persönlich interviewten n=15 in der Sexindustrie täti-gen Frauen, deren Arbeitsbedingungen sich dank eigener Homepage nicht zuletzt durchdie stärkere Unabhängigkeit von Männern deutlich verbessert hatten. Ob und inwieweitder Online-Boom (semi-)kommerzieller Sex-Sites insgesamt geschlechtsspezifischeViktimisierung verstärkt oder reduziert, wird jedoch kontrovers diskutiert (vgl. Döring,2000a).

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3.2 Klassifikation persönlicher Homepages

Wechselt man von einer an den Homepage-Autorinnen und -Autoren orientierten Pro-zess-Perspektive zur Produkt-Perspektive so stellt sich die Frage, anhand welcher At-tribute persönliche Homepages sinnvoll zu beschreiben und zu klassifizieren sind. So-wohl für die kulturelle Bewertung des Homepage-Phänomens als auch für die empiri-sche Wirkungsforschung ist es entscheidend, das gesamte Spektrum der verschiedenenHomepage-Varianten zu kennen, um dann ggf. für einzelne Homepage-Typen diffe-renzielle Aussagen zu treffen. Eine erschöpfende Taxonomie wurde bislang nicht ent-wickelt, so dass hier nur Klassifikations-Ansätze berichtet werden können.

Einer inhaltlichen Betrachtung vorgeordnet sind grundlegende Differenzierungengemäß Existenzform (Hompepage nicht abrufbar: „nominelle Homepage“ versusHomepage abrufbar: „faktische Homepage“) und Konstruktionsstatus (Vorankündi-gung einer Homepage: „projektierte Homepage“ versus Homepage mit substanziellenInhalten: „realisierte Homepage“). Bei den realisierten Homepages wiederum ist gemäßinhaltlichem Fokus zu unterscheiden, ob das Webangebot u.a. selbstbezogene Informa-tionen enthält und somit explizit identitätskonstruierende und selbstdarstellerischeFunktionen hat („expressive Homepage“) oder ob die Homepage auf eine Vorstellungder Person verzichtet und allein bestimmten Themen oder Services gewidmet ist („in-strumentelle Homepage“). Obwohl die Heterogenität von persönlichen Homepagesunbestritten ist, wird doch immer wieder die gut gepflegte Website, die schwerpunkt-mäßig der expressiven Selbstdarstellung gewidmet ist, als „typische Homepage“ postu-liert (z. B. von Erickson, 1996; Wallace, 1999, S. 33; Wynn & Katz, 1997). Bei einer In-haltsanalyse von n=279 zufällig ausgewählten studentischen Homepages fand Döring(2001c) jedoch, dass nur 42 Prozent der in Hochschulverzeichnissen aufgelisteten per-

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Abb 1: Häufigkeitsverteilung von sechs Grundtypen persönlicher Homepages (HP)(Döring, 2001c: 225)

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sönlichen Homepages dem Bild der typischen expressiven Selbstdarstellungsseite ent-sprachen (siehe Abb. 1).

Interessiert man sich im Zusammenhang mit persönlichen Homepages für Effekte derSelbstdarstellung und Eindrucksbildung, so sind Binnendifferenzierungen der Katego-rie „expressive Homepage“ sinnvoll, wie sie etwa von Miller (1995) gemäß der darge-stellten sozialen Rollen und Merkmale (1. eigene Person, 2. eigene Person als Organisa-tionsmitglied, 3. eigene Familie, 4. eigene Interessen, 5. eigene Kompetenzen) oder vonWalker (2000) gemäß Darstellungsstil (1. categorical, 2. relational, 3. narrative) vorge-nommen werden. Zudem ist die Art der Publikumsorientierung – z. B. Adressierungvon persönlichen Bekannten versus Unbekannten – ein Faktor (Walker, 2000: 106ff.).

Interessiert man sich dagegen für Fragen der Webkompetenz und Professionalisierungindividueller Web-Autorinnen und -Autoren, so wären Klassifikationen einschlägig, dietechnische und strukturelle Kriterien berücksichtigen, wie sie auch zur Beschreibungnicht-persönlicher Homepages herangezogen werden (z. B. Navigation, Textumfang,Linkangebot, Komplexität, Auffälligkeit, Originalität, vgl. Wirth & Brecht, 1999: 164).

Soll die Bedeutung von persönlichen Homepages für die öffentliche Kommunikationuntersucht werden (vgl. Kap. 1.3), sollten auch instrumentelle Homepages in den Blickgenommen werden. Als Klassifikationskriterien wären dann etwa die Reichweite im Sin-ne von Seitenabruf-Statistiken, die Beteiligung an Webrings, der Verlinkungsgrad, diePositionierung in Suchmaschinen oder die Erwähnung in Massenmedien einschlägig.

3.3 Rezeption persönlicher Homepages

Rezeptionsprozesse sind wesentlich seltener untersucht worden als Produktionspro-zesse und konzentrieren sich im Wesentlichen auf vier Fragen.

3.3.1 Wie intensiv werden persönliche Homepages rezipiert?

Berker (1999) wertete die Protokolldateien (20.1. – 4.2.1998) des Proxyservers der Uni-versität Frankfurt am Main aus und stellte fest, dass die meisten Seitenabrufe auf dieGruppe der sexualbezogenen Websites entfielen (24%). Persönliche Homepages aufkommerziellen Providerservern belegten jedoch mit 13 Prozent bereits den zweitenPlatz bei allen Seitenabrufen der Frankfurter Hochschulangehörigen. PersönlicheHomepages werden besonders dann zu beliebten Surfzielen, wenn sie bestimmte Ser-vices bieten (z. B. Archive mit erotischen Geschichten, Software-Sammlungen, Sach-und Fachinformationen, Online-Tagebücher usw.). In solchen Fällen steht dann aufRezipientenseite nicht die Bildung eines Personeneindrucks vom Homepage-Betreiberim Zentrum, sondern vielmehr ein konkreter inhaltlicher Nutzen, wie ihn instrumen-telle persönliche Homepages in Reinform liefern (siehe Kap. 3.2).

Aber auch zum Zweck der sozialen Vernetzung und Kooperation besteht im privatenwie im beruflichen Bereich Anlass, persönliche Homepages aufzusuchen, sei es umChat-Bekanntschaften besser kennen zu lernen (Karlsson, 2000) oder Kollegen zu fin-den, die im selben Bereich arbeiten (vgl. Bly, Cook, Bickmore, Churchill & Sullivan,1998; Groth, 1998, 1999).

Tauscher und Greenberg (1997) verfolgten sechs Wochen lang das Surf-Verhalten vonn=23 erfahrenen Web-Usern und stellten fest, dass nur wenige Webseiten mehrfach auf-gesucht wurden, während die meisten Abrufe nur einmal (60%) oder zweimal (19%) er-folgten. Von den 23 Untersuchungsteilnehmern besaßen 18 eine eigene Homepage, wo-bei diese typischerweise zu den am häufigsten abgerufenen Webseiten der jeweiligen

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Person gehörte. Nur bei 2 der 18 Homepage-Besitzer rangierte der Abruf der eigenenSeite nicht auf der Top 15-Liste. Bei 9 Homepage-Besitzern war die eigene Homepagesogar die am häufigsten abgerufene Seite überhaupt, weil sie über ihre externen Links alsSprungbrett für Webrecherchen genutzt wurde. Dieser Befund bestätigt die bereits beiden Motiven zum Homepage-Bau getroffene Aussage, dass Homepages neben derSelbstdarstellungs-Funktion auch noch ganz andere (z. B. organisatorische) Aufgabenerfüllen (vgl. Kap. 3.1.5).

Wann, wie häufig und von welchen Rechneradressen aus einzelne Dokumente der ei-genen Homepage von Besuchern heruntergeladen werden, lässt sich mit Webstatistik-Programmen registrieren. Die Popularität der eigenen Seite mag zu weiterem Home-page-Engagement anspornen. Grundinformationen über das Publikum können zudemselbstdarstellerisch ausgewertet werden (vgl. Kap. 2.2): Bemerken Homepage-Autorenetwa, dass die eigene Homepage häufig von internationalen Rechneradressen abgerufenwird, mögen sie einen Ausbau des englischsprachigen Content in Erwägung ziehen. EinManko vieler kostenloser Webstatistiken besteht darin, dass die eigenen Seitenabrufenicht herausgefiltert werden und damit den Eindruck von der Popularität der eigenenHomepage deutlich verzerren.

3.3.2 Welche Erwartungen werden an das Genre „Persönliche Homepage“ gestellt?

Dillon und Gushrowski (2000) analysierten mehr als 100 persönliche Homepages hin-sichtlich einzelner Elemente (z. B. Seitentitel, E-Mail-Adresse, Udate-Datum, Inhalts-verzeichnis, Fotografien, Kurzbiografie, Gästebuch usw.) und ihrer Auftretenshäufig-keiten. Anschließend legten sie die Liste der Elemente (ohne die Häufigkeitsangaben)einer Stichprobe von n=57 Studierenden vor, die angeben sollten, welche Elemente derListe auf einer guten persönlichen Homepage nicht fehlen dürfen. Es stellte sich heraus,dass die Erwartungen der befragten Studierenden an gute persönliche Homepages mitder Häufigkeitsverteilung auf den vorfindbaren Homepages sehr gut übereinstimmten.Die fünf wichtigsten Elemente sind in Tabelle 2 dargestellt. Von diesen Genre-definie-renden Merkmalen sind Homepage-Elemente zu unterscheiden, die nur selten auf exis-tierenden Homepages zu finden sind und deren Vorhandensein von den Homepage-Re-zipienten (bislang) auch nicht erwartet wird (z. B. Sound-Files). In einem Experimentkonnten Dillon und Gushrowski (2000) die Validität der Genre-typischen Merkmaleüberprüfen: Sie legten Versuchspersonen acht Homepages als Stimulusmaterial vor.Diese Homepages ließen sich nach der Anzahl der auf ihnen realisierten Genre-typi-schen (bzw. untypischen) Elemente in eine Rangreihe bringen. Diese objektive Rang-reihe konnte durch die subjektiven Urteile der Rezipienten repliziert werden, die ein-schätzen sollten, wie gut ihnen die Homepages gefielen.

Tab. 2: Genre-typische Merkmale bei persönlichen Homepages (Dillon & Gushrowski, 2000: 203)

realisierte HP-Elemente erwartete HP-Elemente% von n=100 Homepages % von n=57 Befragten

E-Mail-Adresse 82 86Externe Links 68 72Willkommensgruß 67 511-4 Grafiken 60 52Biografische Angaben 56 49

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Wo persönliche Homepages im Berufsleben eine Rolle spielen, wird die Publikationvon arbeits- und projektbezogenen Informationen zur Norm (vgl. Groth, 1998, 1999).Homepage-Anbieter und Homepage-Besucher treten teilweise auch in Diskurse überdie Seitengestaltung ein, etwa indem Homepage-Besitzer in ihrem Willkommensgrußdas Publikum gleich um Gestaltungsvorschläge bitten oder Homepage-Besucher per E-Mail oder per Gästebuch Mängel monieren und Wünsche (z. B. nach einem Portraitfo-to) anmelden.

3.3.3 Unterscheiden sich webbasierte Personeneindrücke von Face-to-Face-Ein-drücken?

Sherman et al. (1999) ließen n = 30 Versuchspersonen jeweils Teilmengen von 86 au-thentischen Homepages auf vier Dimensionen einschätzen: 1. Gesamteindruck von derPerson des Homepage-Besitzers, 2. Sympathie, 3. wahrgenommene Ähnlichkeit und 4.Vollständigkeit des Eindrucks. Zu Vergleichszwecken schätzten dieselben Versuchs-personen dann noch eine Person, die sie persönlich gut kannten, und eine Person, die sienur flüchtig kannten, auf denselben vier Skalen ein (einfaktorielles Messwiederholungs-design). Es stellte sich heraus, dass sich die Personeneindrücke auf der Basis des Home-page-Besuches im Durchschnitt nicht signifikant von den auf der Basis flüchtiger Face-to-Face-Kontakte gebildeten Eindrücken unterschieden, jedoch hinter den positivenEindrücken über vertraute Personen zurückblieben. Sherman et al. (1999) interpretierendiesen Befund als Falsifikation sowohl des Kanalreduktions-Modells als auch des Mo-dells der hyperpersonalen Interaktion. Tatsächlich kann das Ergebnis am besten mit demModell der sozialen Informationsverarbeitung interpretiert werden (siehe Kap. 2.3): Dercomputervermittelte Personeneindruck ist weder per se negativ, noch per se positiv,sondern zunächst provisorisch, so dass Informationslücken durch weitere soziale Kom-munikation schrittweise geschlossen werden könnten.

3.3.4 Unterscheiden sich webbasierte Personeneindrücke von den Erwartungen der Homepage-Besitzer?

Unabhängig davon, ob Personen sich Face-to-Face oder auf einer Homepage präsentie-ren – in beiden Konstellationen überschätzen sie den Eindruck, den sie bei anderen hin-terlassen. In der Homepage-Bedingung ist diese Diskrepanz offensichtlich besondersgroß: Die meisten Homepage-Besitzer scheinen es selbstdarstellerisch darauf anzulegen,sympathisch (ca. 60%) oder kompetent (ca. 30%) zu wirken (Dominick, 1999: 653) undüberschätzen dabei, wie sympathisch und wie ähnlich sie von Homepage-Besucherntatsächlich wahrgenommen werden (Sherman et al., 1999; Sherman et al., 2001). DerMangel an unmittelbarem (und möglicherweise negativem) Feedback mag im Homepa-ge-Szenario dazu führen, dass ein selbstwertschützender Positivitäts-Bias stärker zu Bu-che schlägt. Zudem könnte die homepagetypische einseitige Selbstoffenbarung eine Rol-le spielen (vgl. Wynn & Katz, 1997): Wenn Homepage-Besitzer Privates über sich of-fenbaren, imaginieren sie aufmerksame und wohlgesonnene Adressaten. Und dies istauch nicht vollkommen illusorisch, schließlich ist das WWW ein Pull-Medium. Dies hatzur Folge, dass überwiegend mit interessierten Homepage-Besuchern zu rechnen ist, diesich eben auch in Gästebüchern und per E-Mail anerkennend und unterstützend äußernund somit intendierte Identitätskonstruktionen bekräftigen (vgl. Hevern, 2000, Kenne-dy, 2000). Diese Form der Selbstselektion des Publikums entfällt, wenn im ExperimentHomepages vorgelegt werden, die man sonst nicht betrachtet hätte.

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4. Ausblick

Wer eine persönliche Homepage anbietet, vollzieht im WWW als Individuum den Rol-lenwechsel vom Rezipienten zum Produzenten eines öffentlichen Medienangebots.Schätzungsweise 10 Prozent der Onlinerinnen und Onliner beteiligen sich bislang andiesem Unterfangen, wobei die Beteiligung häufig ohne großes Commitment erfolgt,wie die Fülle der nominellen und projektierten sowie der seit Monaten und Jahren un-veränderten Homepages zeigt.

Andererseits gibt es jedoch die engagierten Homepage-Autorinnen und -Autoren, de-nen bewusst ist, dass sie sich mit dem Betreiben einer persönlichen Website psycholo-gisch und publizistisch auf Neuland begeben. Sie lassen in Befragungen sowie in Meta-Kommentaren auf ihren Homepages einerseits Enthusiasmus, andererseits aber aucheine kritische Reflexion über Sinn und Legitimität ihrer netzweiten Veröffentlichungenerkennen. Mit der sozialen Riskanz dieser kulturell unvertrauten Form von Selbstex-pression setzen sie sich auseinander, wobei Selbstironie ein verbreitetes Stilmittel ist.Während Rubio (1996) diesen Stil aus marxistischer Sicht als postmoderne Eitelkeit ab-lehnt, entdeckt Killoran (2000) subversives Potenzial darin, im kommerzialisiertenWWW die Methoden des Selbst-Marketing zu parodieren, wie es etwa Alex tut, der sei-ne persönliche Homepage gleich unter der Domain www.selbstironie.de anbietet. Auchpublizistische Mängel – sowohl hinsichtlich Content als auch dessen Gestaltung – sindfür engagierte Homepage-Anbieter/innen durchaus ein Thema: Versprechen zur Qua-litätssteigerung werden abgegeben, Entschuldigungen vorgebracht und Publikums-rückmeldungen erbeten (Berker, 1999; Döring, 2001c).

Während Netzbefürworter die persönliche Homepage gern mit heilsamer Identitäts-arbeit in Verbindung bringen (z. B. Turkle, 1995: 259), monieren kritische Stimmen ei-nen Zuwachs an belanglosem und geschmacklosem Datenmüll: „Was so teilweise insNetz gespeist wird, dient wohl mehr dem eigenen Ego, ist aber für Dritte oftmals gelin-de gesagt eine Zumutung ohne jeglichen Informationswert“ (Schierl, 1997: 72). Dochvielleicht sind Homepage-Betreiber in Wirklichkeit schlechtere Psychotherapeuten undbessere Publizisten, als man bislang meinte. Wie verbreitet und nachhaltig identitätssi-chernde und selbsttherapeutische Effekte des Homepage-Baus sind, ist jedenfalls nochoffen. Es scheint lohnenswert, endlich auch jene Inhalte von persönlichen Homepagesgenauer unter die Lupe zu nehmen, die nicht der direkten Selbstdarstellung dienen unddie Bestandteil gruppenöffentlicher Diskurse sind. Eine systematische Untersuchungder vielfältigen Bezüge zwischen persönlichen Homepages und öffentlichen Kommuni-kationsprozessen, wie sie in Kap. 1.3 thesenartig entwickelt wurden, steht aus. Auch einestärkere Integration einschlägiger kommunikationswissenschaftlicher Konzepte (wiez. B. Glaubwürdigkeit, Selektion, Privatheit und Öffentlichkeit) in die Homepage-For-schung ist wünschenswert. Schließlich sind juristische und ethische Belange ein unter-beleuchtetes Feld, obwohl auf persönlichen Homepages häufig urheberrechtlich ge-schütztes Material verwendet und Privates über Dritte mitgeteilt wird, etwa in Form derlegendären Party-Schnappschüsse. Gut übertragbar sind die Vorarbeiten der experi-mentellen Selbstdarstellungsforschung auf den Einsatz von persönlichen Homepages imRahmen von Public Relations-Maßnahmen: Dass die persönliche Homepage von Wolf-gang Thierse bei ihm selbst als Auftraggeber gut ankommt, ist eine Sache, welchen Ein-druck sie bei unterschiedlichen Gruppen von Bürgerinnen und Bürgern hinterlässt, eineandere.

Nicht zu vergessen ist, dass ein breites Spektrum an mehr oder minder profanen, in-ternen und externen Motiven zum Auf- und Abbau von persönlichen Homepages führt.

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Eine Homepage-Forschung, die sich vom Psychologismus befreien will, ohne dafür diepublizistische Perspektive zu verabsolutieren, muss im Sinne einer Fokuserweiterungverstärkt beispielsweise auch autodidaktische, künstlerische, spielerische, organisatori-sche und vor allem ökonomische Aspekte einbeziehen.

Literatur

Sämtliche im Fließtext und im Literaturverzeichnis aufgeführten Webadressen (URL) wurden am13. Februar 2001 zuletzt geprüft und waren verfügbar. Die Zitierung bezieht sich auf die Webpu-blikationen, wie sie zum Stichtag vorlagen.

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Avatare: Parasoziale Beziehungen zu virtuellen Akteuren

Tilo Hartmann / Christoph Klimmt / Peter Vorderer

Mit der Verbreitung interaktiver Medienangebote sind auch virtuelle Charaktere, sogenannte Avatare, entstanden. Avatare arbeiten zum Beispiel als automatische Assisten-ten auf Internetseiten. Andere werden zu virtuellen „Stars“ aufgebaut, die in verschie-denen Medien erscheinen. Der Beitrag stellt das Phänomen „Avatare“ vor und diskutiertdie Frage, wie sie von Mediennutzer/innen wahrgenommen werden. Dabei wird auf dasKonzept der parasozialen Beziehungen von Horton & Wohl zurückgegriffen. Anschlie-ßend werden zwei voneinander unabhängig durchgeführte Befragungsstudien vorge-stellt, welche die Art und das Ausmaß der parasozialen Bindungen zwischen Medien-nutzer/innen und verschiedenen Avataren beleuchten. Vor dem Hintergrund dieserErgebnisse und der prognostizierten Evolution virtueller Akteure werden abschließendDesiderata für die künftige medien- und kommunikationswissenschaftliche Forschungdiskutiert.

1. Avatare – die Bewohner der digitalen Welt

Wer heute im Internet surft, Virtual-Reality-Umgebungen aufsucht oder Computer-spiele spielt, trifft immer häufiger auf künstliche Personen, die sich als „Assistenten“,„Freunde“ oder „Stellvertreter“ anbieten. Die Rede ist von „Avataren“. Ursprünglichstammt der Begriff „Avatar“ aus dem Sanskrit und bezeichnet eine Gottheit, die sichvorübergehend zu den Menschen herabgelassen hat (Klussmann, 2000). Im Kontext derNeuen Medien wurde er durch den Science-Fiction-Roman „Snowcrash“ von Neal Ste-phenson (1995) populär, in dem Begegnungen in virtuellen Räumen mit Hilfe von Ava-taren, „Stellvertretern“ im Netz, stattfinden. So stand der Begriff „Avatar“ zunächst aus-schließlich für grafische Repräsentationen von Nutzern in Chat-Rooms (Trzka, 1998),Multi-User-Dungeons (MUDs; vgl. Krotz, 1996), Online-Spielen (Schmidt, 1998) undVirtual-Reality-Umgebungen (Ueberhorst, 1995). Entsprechend definiert Döring(1999, S. 98) Avatare als „Stellvertreter, virtuelle Repräsentanten der materiegebundenenWesen, die sie ins Leben gerufen haben“.

Im Zuge der technischen Weiterentwicklung interaktiver Medien, insbesondere vonComputerspielen und dem World Wide Web, entstanden in den vergangenen Jahren je-doch auch neue Formen von Avataren (vgl. Abbildung 1). Ihre Evolution vollzog sichweg von der „elektronischen Marionette“ (Fritz, 2000, S. 12), die vollkommen von derSteuerung durch wirkliche Menschen abhängig ist, hin zum „virtual actor“ (Lombard &Ditton, 1997, o. S.), der dank „künstlicher Intelligenz“ selbstständig mit Mediennutzern„interagieren“ kann. Damit einher geht die Entwicklung und Veränderung der äußerenErscheinung von Avataren. Mit aufwendiger Technik wird das Aussehen der künst-lichen Charaktere mittlerweile so „realistisch“ und attraktiv wie möglich gestaltet (vgl.Bente & Otto, 1996).

Oftmals dienen „intelligente“ Avatare als Helfer, etwa indem sie den Besuchern einerWebseite bei der Navigation assistieren oder den Kunden einer Internet-Bank als „Be-rater“ zur Seite stehen. Neben diesen instrumentellen Einsatzformen existieren aberauch Versuche, Avatare als „Stars“ oder „Marken“ aufzubauen, die in verschiedenenMedienangeboten und Themenumfeldern präsent sind und die innerhalb bestimmter

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Zielgruppen große Popularität erreichen sollen. Beispiele sind die Computerspiel-Figur„Lara Croft“ und der Internet-Avatar „E-Cyas“ (Endo-Cybernetic Artificial Star, vgl.Schmidt, 1998). Sie treten beide nicht nur in ihrer jeweiligen digitalen „Heimat“ auf, son-dern erscheinen auch in Medienumfeldern, die üblicherweise Prominenten aus Fleischund Blut vorbehalten sind, so zum Beispiel in Musikvideos, Fernsehshows oder Publi-kumszeitschriften. Fiktive Lebensläufe und Persönlichkeitsprofile sollen den virtuellenStars „Charakter“ und „Tiefe“ verleihen. Bekannte und beliebte Avatare lassen sich vonihren Eigentümern für unterschiedlichste Zwecke einsetzen. Zum Aufgabenspektrumvon Star-Avataren gehören unter Anderem Werbespots, die „Arbeit“ als Fotomodellund Auftritte als Moderator(in) in unterschiedlichen Medienangeboten (Jöckel, 1997;Höflich, 1998; Blittkowsky, 1999).

Über diese Entwicklungen darf allerdings nicht übersehen werden, dass sich die bis-lang existierenden Avatare sehr deutlich von menschlichen Prominenten unterscheiden.Die Fähigkeit, mit Mediennutzern sozial zu interagieren, ist in den meisten Fällen nochnicht sehr weit entwickelt und muss oftmals dadurch kompensiert werden, dass die an-geblichen Kommunikate des Avatars in Wahrheit von Redakteuren verfasst werden.Von vollkommen selbstständigen virtuellen Figuren kann also noch keine Rede sein,wenngleich rudimentäre Formen der Interaktion bereits ohne menschliche Steuerungdes Avatars möglich sind.

Vor dem Hintergrund der Existenz und Evolution virtueller Akteure stellt sich dieFrage, wie die Nutzer interaktiver Medienangebote mit Avataren umgehen. WerdenAvatare als echte Stars betrachtet, die man bewundern und bejubeln kann? Oder geltensie als virtuelle Abziehbilder, die zu „dumm“ und „unecht“ wirken, als dass man sieernst nehmen könnte? Diese Fragen werden im Folgenden erörtert. Als theoretischerRahmen bietet sich das ursprünglich kommunikationswissenschaftliche Konzept derparasozialen Interaktionen und Beziehungen an, das die Relation zwischen Mediennut-zern und Medienfiguren beschreibt und erklärt (vgl. unten: 2.). Nach einer kurzen Ein-führung in dieses Konzept werden zwei unabhängig voneinander entstandene empiri-sche Studien über parasoziale Beziehungen zu Avataren vorgestellt, die erste Hinweise

Hartmann / Klimmt / Vorderer · Avatare

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Abbildung 1: Populäre Avatare. Von links nach rechts: E-Cyas (von www.e-cyas.com),Kyoko Date (von www.horipro.co.jp) und Lara Croft (von www.tomb-raider.com)

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zu der Frage liefern, inwiefern Mediennutzer Avatare schon heute als eigenständige so-ziale Persönlichkeiten auffassen und sie als Interaktionspartner ernst nehmen (vgl. un-ten: 3.). Zum Abschluss werden Perspektiven aufgezeigt, wie die Erforschung virtuellerAkteure und ihrer Bedeutung für die Rezipienten theoretisch und methodisch weiter-geführt werden könnte (vgl. unten: 4.).

2. Parasoziale Interaktionen und Beziehungen

2.1 Das interaktionistische Rezeptionsverständnis von Horton und Wohl und seine Wei-terentwicklungen

Das auf Horton und Wohl (1956; Horton & Strauss, 1957) zurückgehende Konzept derparasozialen Interaktionen und Beziehungen beschreibt das Phänomen, dass Rezipien-ten mit einer medial (durch Radio, Fernsehen und Film) vermittelten Figur, genannt„Persona“, sozial interagieren. Als Persona betrachteten Horton und Wohl hauptsäch-lich Menschen, die in nicht-fiktionalen Fernsehsendungen agieren, wie Quiz-Master,Ansager und Interviewer. Ausgangspunkt der sozialen Interaktion zwischen Personaund Rezipienten ist die „illusion of a face-to-face relationship“ (Horton & Wohl,1956/1986, S. 185). Obwohl die „Interaktionspartner“ durch die mediale Vermittlungvoneinander getrennt sind, verhalten sie sich – so die Annahme – wie in einer sozialenKommunikationssituation:

Die Medienfiguren sprechen die Rezipienten an, als ob sie sie sehen könnten, ver-wenden mimische und gestische Signale der interpersonalen Kommunikation, laden dieZuschauer zur Teilnahme an der Interaktion ein und versuchen, den Eindruck eines po-sitiven, geradezu freundschaftlichen Verhältnisses zwischen sich selbst und dem Publi-kum zu vermitteln. Neben solchen direkt auf das (vermutete) Publikum bezogenen In-teraktionsangeboten trägt auch die Kommunikation der Akteure innerhalb des Me-dienangebots zur Überwindung der Wahrnehmung medialer Vermittlung und damit zurHerstellung einer scheinbar sozialen Relation zwischen Persona und Rezipienten bei:„The most usual way of achieving this ambiguity is for the persona to treat his suppor-ting cast as a group of close intimates. ... The member of the audience, therefore, … tendsto believe that this fellowship includes him by extension“ (Horton & Wohl, 1956/1986,S. 189). Darüber hinaus wird versucht, über Darstellungseffekte, wie zum Beispiel durchNahaufnahmen der Personae, die Illusion von Nähe zum Publikum zu erzeugen (vgl.auch Meyrowitz, 1978).

Die Rezipienten sind also ein eingeplanter Teil der medialen Inszenierung. Ihnen wirdvon den Personae des Medienangebots eine Rolle innerhalb des Geschehens nahe gelegt.Ob sie diese „appropriate answering role“ (Horton & Wohl, 1956/1986, S. 191) akzep-tieren, können die Zuschauer oder Hörer jedoch selbst entscheiden. Lassen sie sich aufdas Angebot ein, erleben sie die Rezeption wie eine soziale Interaktion mit den Me-dienfiguren: Sie ist geprägt durch „Prozesse der Personenwahrnehmung und -beurtei-lung, Attributionen, soziale Vergleiche und Validierungen, Verhaltensantizipationenund personenbezogene innere Verbalisierungen“ (Gleich, 1997, S. 41).

In dieser Hinsicht ist der Umgang der Rezipienten mit Medienfiguren eine Spielartder normalen zwischenmenschlichen Interaktion (Horton & Wohl, 1956; Gleich, 1996).Para-sozial ist diese Form der Interaktion, weil die „Anwesenheit“ der Personae nurmedial vermittelt ist, die Personae also die Gegenwart und Aufmerksamkeit von Inter-aktionsteilnehmern nur antizipieren können, und weil es – zumindest bei den nicht-in-teraktiven Medien – keinen Rückkanal von den Zuschauern zu den Medienfiguren gibt.

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Insofern erscheint es notwendig, „zwischen unmittelbarer, zweiseitiger Face-to-Face-Kommunikation und mittelbarer, einseitiger Kommunikation mit Medienfiguren“(Keppler, 1996, S. 11, Hervorhebung im Original) zu trennen. Denn zum einen gehenmit der medialen Vermittlung der sozialen Situation bestimmte Beschränkungen und Ei-genheiten der Interaktion einher, zum anderen spielt das Wissen um die Medialität derSituation für das Erleben der Zuschauer eine entscheidende Rolle (Wulff, 1996). So istes den Zuschauern zum Beispiel möglich, die ihnen zugedachte Rolle zurückzuweisen.Dadurch eröffnen sich neue Wege, die soziale Situation zu „lesen“, zum Beispiel durcheine kritische Abschätzung der Leistung einer Persona oder durch eine hämisch-herab-lassende Sichtweise „dilletantischer“ Auftritte von „Möchtegern-Stars“ (vgl. auch Vor-derer & Knobloch, 1996). In echten Kommunikationssituationen sind solche Verhal-tensweisen sanktioniert. Weil die Zuschauer aber wissen, dass die Personae ihre Reak-tionen nicht registrieren, können sie bei parasozialen Interaktionen im Vergleich zu or-tho-sozialen Interaktionen zusätzliche Freiheitsgrade ausnutzen und genießen. Aberauch wenn die Rezipienten die angebotene Rolle innerhalb der parasozialen Interaktionakzeptieren und selbst wenn ihnen die Medialität der Situation bewusst bleibt (Hippel,1993; Wulff, 1996), können die Zuschauer das „conversational give and take“ (Horton& Wohl, 1956/1986, S. 186) einer parasozialen Interaktion wie eine wirkliche sozialeSituation erleben.

Aus einer Reihe parasozialer Interaktionen zwischen einem Rezipienten und einerPersona entwickelt sich in der Wahrnehmung des Rezipienten eine andauernde Bezie-hung zur Persona. Entsprechend wird „die unmittelbare, während der Rezeption statt-findende ,Begegnung‘ zwischen Rezipient und Medienakteur als parasoziale Interaktionbezeichnet und die über die einzelne ,Begegnung‘ hinausgehende Bindung des Zu-schauers an eine Persona als parasoziale Beziehung“ (Vorderer, 1998, S. 698, Hervorhe-bung im Original). Sowohl bei Horton und Wohl (1956) als auch im überwiegenden Teilder an ihnen orientierten kommunikationswissenschaftlichen Forschung wurden dieKonstrukte „parasoziale Interaktion“ und „parasoziale Beziehungen“ nicht ausreichendpräzise voneinander getrennt. In vielen Studien wurden die beiden Begriffe synonymverwendet (z. B. Rubin & McHugh, 1987; Perse & Rubin, 1989). Auch das am häufigs-ten verwendete Instrument zur Messung parasozialer Bindungen von Rubin, Perse &Powell (1985) heißt „Parasocial Interaction Scale“, misst aber zumindest auch in Teilenparasoziale Beziehungen (Gleich, 1997). Hippel (1992) und Gleich (1996; 1997) argu-mentieren jedoch wie Vorderer (1998), dass es durchaus sinnvoll, wenn nicht gar not-wendig ist, die beiden Begriffe inhaltlich voneinander zu unterscheiden. Denn die überdie einzelnen Rezeptionssituationen hinweg existierenden parasozialen Beziehungengelten als ein zentrales Motiv für die regelmäßige Zuwendung zu bestimmten Medien-angeboten wie Nachrichtensendungen (Rubin, Perse & Powell, 1985), TV-Serien (Vor-derer, 1996b) oder Talkshows (Trepte, Zapfe & Sudhoff, im Druck): Sie können das Be-ziehungsnetzwerk von Mediennutzern bereichern und darüber hinaus für schüchterne(Vorderer & Knobloch, 1996) oder einsame (Fabian, 1993) Rezipienten sogar als Ersatzfür echte Sozialkontakte dienen.

2.2.Parasoziale Beziehungen zu virtuellen Akteuren

Wenn die parasozialen Bindungen an Figuren aus „klassischen“ Medienangeboten eineso zentrale Rolle für die Zuwendung der Rezipienten zu diesen Angeboten spielen, liegtes nahe, das Konzept auch auf virtuelle Akteure in den „neuen“ Medien anzuwenden.Denn die Schöpfer von Avataren versuchen, sie als getreue Abbilder echter Menschen

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zu gestalten, beispielsweise durch fotorealistische Gesichtszüge, „natürliche“ Gesten,die direkte Ansprache der Nutzer oder durch E-Mail- und Chat-Kommunikation (z. B.Snoddy, 2000). Die Zielsetzung, Star-Avataren eine möglichst große Attraktivität fürparasoziales Beziehungshandeln der Rezipienten zu verleihen, ist deutlich erkennbar.Entsprechend lässt sich die eingangs formulierte Fragestellung präzisieren: Wie stellensich parasoziale Beziehungen zu den heute existierenden Avataren dar? Welche Perso-nen entwickeln besonders starke parasoziale Bindungen an Avatare? Gibt es Unter-schiede zwischen Avataren und Fernsehfiguren bezüglich der Bindungsintensität und -qualität?

Obwohl bereits Horton und Wohl (1956/1986, S. 186) parasoziale Bindungen nichtnur für menschliche Personae, sondern auch für „puppets … anthropomorphicallytransformed into ,personalities‘“ angenommen haben, ist es offensichtlich, dass Avata-re, sollen sie als „Anbieter“ parasozialer Beziehungen fungieren, wesentlich stärkereBarrieren in der Wahrnehmung und den Einstellungen der Rezipienten überwindenmüssen als Personen aus dem Fernsehen. So könnte die Virtualität der Avatare ein er-stes Hindernis für die Entstehung parasozialer Bindungen sein. Denn damit solche Bin-dungen zustande kommen, müssen die virtuellen Akteure zunächst einmal von den Re-zipienten als „soziale Wesen“ eingestuft werden. Was aber spricht dafür, dass die nochimmer deutlich als Computergraphiken erkennbaren Avatare im Auge des Betrachtersals „Personen“ und nicht als „Dinge“ erscheinen? Reeves und Nass (1996) konnten zei-gen, dass schon schwache Anzeichen sozialen Verhaltens seitens eines Computers genü-gen, um seine Nutzer zu veranlassen, mit ihm ähnlich wie mit einem Menschen zu in-teragieren (vgl. auch Moon & Nass, 1996; Lombard & Ditton, 1997). Zu ähnlichen Er-gebnissen kommen die ersten Erprobungen von künstlichen „Agenten“ in Virtual-Rea-lity-Umgebungen (z. B. Bates, 1994; Reilly, 1996; Robinson 1997).

Ein zweites Problem, das Avatare überwinden müssen, damit parasoziale Bindungenzu den Mediennutzern entstehen, ist ihre eingeschränkte Kommunikationsfähigkeit.Nur wenn eine vergleichsweise „natürliche“ Form der Konversation mit einem virtuel-len Charakter möglich ist, hat er die Chance, als Gegenstand von Beziehungshandlun-gen ausgewählt zu werden. Schon seit den 50er Jahren des vergangenen Jahrhundertswird an der kommunikativen Kompetenz von Computerprogrammen gearbeitet (Tu-ring, 1950), wobei mittlerweile auch paraverbale Kommunikationsformen simuliertwerden (Bente & Otto, 1996; Vilhjálmsson & Cassel, 1998). Die Erfolge dieser Be-mühungen dokumentieren Evaluationsstudien wie die von Cassel und Vilhjálmsson(1999), in der Versuchspersonen einen Avatar mit weiter entwickelten Kommunikati-onsfähigkeiten „natürlicher“ fanden als einen virtuellen Akteur, der mit weniger Kon-versationskompetenz ausgestattet war. Insofern scheinen die technischen Vorausset-zungen für eine parasoziale Beziehung zwischen Mediennutzern und virtuellen Akteu-ren auf Seiten der Avatare gegeben zu sein (vgl. auch Bente, Petersen, Krämer & Busch-mann, 1999).

Entsprechend hat es bereits einige Versuche gegeben, das Verhalten von Mediennut-zern gegenüber virtuellen Akteuren als parasoziales Beziehungshandeln zu konzeptua-lisieren und empirisch abzubilden. Krotz (1996, S. 89) weist darauf hin, dass sich durchVirtual-Reality-Technologien neue „Kommunikationsformen“ entwickeln, die als„Ausdifferenzierung zwischen sozialer und parasozialer Interaktion“ (ebd.) verstandenwerden können, und dass der Zugang Horton und Wohls geeignet sei, sich der Interak-tion mit den neuen Medien und ihren Personae zu nähern. Bente und Otto (1996) skiz-zieren die Möglichkeiten, nonverbales Kommunikationsverhalten mit virtuellen Figu-ren zu simulieren und parasoziale Interaktionen zwischen VR-Nutzern und diesen

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Figuren anzustoßen. Mit einer empirischen Untersuchung weisen sie nach, dass dieMediennutzer das Verhalten der virtuellen Akteure ähnlich wie das echter Interaktions-partner bewerten. Und Rettberg (1999) befasst sich mit dem „Star-Kult“ um Lara Croftund führt die Popularität der Videospiel-Heldin auf die parasozialen Bindungen derSpieler zurück.

3. Zwei empirische Studien zu parasozialen Beziehungen mit virtuellen Akteuren

Trotz der oben erwähnten theoretischen und empirischen Ansätze, das Konzept der pa-rasozialen Beziehungen auf virtuelle Akteure anzuwenden, steht die Forschung zur so-zialen Bedeutung von Avataren noch am Anfang. Im Folgenden werden zwei Befra-gungsstudien vorgestellt, welche die parasozialen Bindungen an Avatare wie E-Cyasund Lara Croft beleuchten.

Studie 1

Fragestellung

Im Mittelpunkt der Untersuchung standen so genannte Star-Avatare, also virtuelle Ak-teure, die nicht als Assistenten oder Helfer, sondern als eigenständige Persönlichkeitenkonzipiert sind. Star-Avatare werden von ihren Schöpfern hauptsächlich für Maßnah-men im Bereich der Produktvermarktung und Kundenbindung eingesetzt (vgl. oben: 1.).Es stellt sich daher die Frage, ob sich eine empirische Anwendung des Konzepts der pa-rasozialen Beziehungen auf virtuelle Prominente als fruchtbar erweist und wie sich dieparasozialen Beziehungen zu Star-Avataren darstellen. Denn es ist nach wie vor unklar,ob „VR-Bewohner ebenso zu unserem Bekanntenkreis zählen [werden] wie wirklichePersonen“ (Bente & Otto, 1996, S. 219). Diese bedeutende Rolle im Beziehungsnetz-werk von Mediennutzern wird zumindest Fernsehcharakteren zugeschrieben (Gleich,1996; 1997) und wird zweifelsohne auch von den Unternehmen, die hinter den Star-Avataren stehen, angestrebt (Jöckel, 1997). Außerdem sollte untersucht werden, inwie-fern sich weibliche und männliche Internetnutzer hinsichtlich der Beziehungsintensitätzu „männlichen“ und „weiblichen“ Avataren unterscheiden. Interaktionseffekte zwi-schen dem Geschlecht der Rezipienten und dem Geschlecht der Persona haben sich be-reits in früheren Studien als relevant für das Ausmaß der parasozialen Bindungen er-wiesen (Vorderer & Knobloch, 1996). Daher sollte geprüft werden, ob sich dieses Mus-ter auch in den Beziehungen zu Avataren wiederfinden lässt.

Methode

In einer explorativ angelegten Online-Befragung wurde untersucht, wie viele Star-Ava-tare den Teilnehmern bekannt sind, und wie intensiv ihre parasoziale Bindung zu ihrembevorzugten Avatar ausfällt. Die Kenntnis von Star-Avataren wurde mittels einer Listevon 15 virtuellen Akteuren abgefragt; ein nicht existierender Avatar („Leila Loo“) wur-de aufgeführt, um die Sorgfalt der Teilnehmer bei der Kenntnisabfrage zu kontrollieren.Außerdem bestand die Möglichkeit, bis zu drei weitere Avatare selbstständig zu ergän-zen. Weiterhin wurde erhoben, wie attraktiv der Avatar in den Augen der Teilnehmerist. Diese Frage ist nach den Erkenntnissen der bisherigen Forschung relevant für dasAusmaß und die Qualität von parasozialen Beziehungen (Gleich, 1997). Sie wurde mitdem fünffach gestuften Item „Ich finde, [Name] ist attraktiv“ operationalisiert, wobei

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die Endpunkte mit „stimme nicht zu“ bzw. „stimme voll und ganz zu“ bezeichnet wa-ren. Zur Messung der parasozialen Beziehungen wurde eine modifizierte Variante derParasocial-Interaction-Scale (Rubin, Perse & Powell, 1985) eingesetzt. Sie ist ein häufigverwendetes, wenn auch wiederholt kritisiertes (Gleich, 1997) Instrument zur Erfassungvon parasozialen Interaktionen und Beziehungen. Einer der Hauptkritikpunkte ist ge-nau diese fehlende Differenzierung zwischen Interaktion und Beziehung. Dennochwurde die Skala als Grundlage für die Messung parasozialer Bindung herangezogen, al-lerdings um einige Items vekürzt und in Teilen umformuliert, damit die Items besser aufden Kontext der Star-Avatare anwendbar waren (vgl. ausführlich zur Skalenbildung:Hartmann, 2001). Die Endpunkte der Likert-Skala waren mit „trifft überhaupt nichtzu“ bzw. „trifft voll und ganz zu“ benannt. Auf die Befragung wurde in Internetange-boten, die eine thematische Nähe zu Avataren besitzen, hingewiesen, zum Beispiel aufwww.cycosmos.de, der „Heimat“ von E-Cyas. Über einen als „Umfrage über Avatare“betitelten Hyperlink konnten interessierte Personen zu dem Online-Fragebogen gelan-gen. Die Stichprobe war also selbst rekrutiert.

Ergebnisse

Insgesamt nahmen 422 Personen an der Befragung teil. 58 Prozent der befragten Perso-nen waren weiblich, 41 Prozent männlich. Das Durchschnittsalter betrug etwa 23 Jahre(M = 22.80, SD = 7.29). Vergleicht man die Stichprobe hinsichtlich dieser Merkmale mitder Gesamtheit der deutschen Internet-Nutzer, wie sie in der ARD/ZDF-Online-Stu-die (van Eimeren & Gerhard, 2000) beschrieben wird, so entspricht die Altersverteilungin der Stichprobe ungefähr der Verteilung in der Online-Nutzerschaft; jedoch sindFrauen in der Stichprobe im Vergleich zu den Ergebnissen der ARD/ZDF-Studie deut-lich überrepräsentiert.

Kenntnis und Beliebtheit von Avataren. 19 Personen gaben an, den nicht existieren-den Kontroll-Avatar zu kennen. Deshalb wurden auch ihre sonstigen Angaben zurKenntnis von Avataren nicht berücksichtigt. Insgesamt sind den Befragten durch-schnittlich zwei Avatare (M = 2.06, SD = 1.35) bekannt. Am häufigsten wurden die Star-Avatare Lara Croft (72 Prozent Bekanntheitsgrad), E-Cyas (68 Prozent) und E-ve (21Prozent) genannt. Als Lieblings-Avatare wurden hauptsächlich Lara Croft (43 Prozentder Stichprobe) und E-Cyas (36 Prozent) ausgewählt; die restlichen Nennungen bezo-gen sich entweder auf weniger bekannte Star-Avatare oder aber auf Helfer-Avatare (vgl.oben: 1.), die im vorliegenden Kontext nicht relevant sind. E-Cyas scheint insbesonde-re bei weiblichen Internetnutzern beliebt zu sein: 76 Prozent der Teilnehmer, die E-Cyas als Lieblings-Avatar nannten, waren weiblich (bei Lara Croft: 47 Prozent). DreiViertel der Befragten hatten ihren Lieblings-Avatar im vergangenen halben Jahr in Zeit-schriften angetroffen; 63 Prozent waren ihm bzw. ihr im Internet begegnet, und an drit-ter Stelle folgt das Fernsehen (49 Prozent). Am häufigsten begegneten die Befragtenihrem Lieblings-Avatar in „sonstigen“ Medienangeboten (durchschnittlich 16.25 Mal[SD = 23.80] in den vergangenen sechs Monaten), in „Software“-Programmen (14.54Mal [SD = 23.20]) und im Internet (13.04 Mal [SD = 19.60]).

Parasoziale Beziehungen zu Avataren. Über alle genannten Lieblings-Avatare hinwegerreicht die Skala zur parasozialen Beziehung einen vergleichsweise hohen internen Re-liabilitätswert (Cronbachs α = .94), ist somit also gut einsetzbar. Fasst man die Skala zueinem Mittelwert-Index zusammen, ergibt sich eine sehr schwache durchschnittlicheBeziehungsintensität. Der Mittelwert liegt deutlich unter dem Skalenmittelpunkt (M =1.77, SD = .82; Skalenmittelpunkt = 3). Die beiden am häufigsten ausgewählten Avatare

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Lara Croft (M = 1.86, SD = .81) und E-Cyas (M = 1.77; SD = .85) unterscheiden sichhinsichtlich der mittleren Beziehungsintensitäten sowohl vom Gesamtmittelwert alsauch untereinander (t(295) = .56, ns) nur in geringem Maße.

Dimensionen der parasozialen Beziehung zu Avataren. In verschiedenen Studien überparasoziale Beziehungen (z. B. Vorderer, 1996a; Visscher & Vorderer, 1998; Gleich,1997) hat sich die Skala zur Messung parasozialer Bindungen als mehrdimensional er-wiesen. Deshalb wurde auch in der vorliegenden Studie eine Faktorenanalyse (Haupt-komponentenanalyse mit VARIMAX-Rotation) durchgeführt, um die inhaltliche Qua-lität der parasozialen Bindung an Avatare differenzierter erfassen zu können (vgl. Ta-belle 1). Die Faktorenanalyse parasozialer Beziehungen ergab zwei Hauptkomponen-ten, die zusammen 63 Prozent der Varianz aufklären. Fünf Items, die keinem der beidenFaktoren trennscharf zugeordnet werden konnten, wurden ausgeschlossen. Der ersteFaktor umschreibt eine enge freundschaftliche Beziehung, in der die Medialität desLieblings-Avatars von den Nutzern weitestgehend ausgeblendet wird. Personen, diehohe Werte auf dieser Dimension erreichen, betrachten also den Avatar als „echten“

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Tabelle 1: Mittlere Zustimmung (auf einer Skala von 1-5), Standardabweichungen undFaktorenladungen der Items auf den zwei Dimensionen parasozialer Bezie-hung. Es werden nur Faktorladungen >.45 dargestellt.

Item M SD Faktorladungen(n=320) Faktor Faktor

1 2

Manchmal passiert es mir, dass ich in Gedanken oder auch 1.29 0.84 .83tatsächlich irgendetwas zu [Name] sage

Ich glaube, [Name] und ich sind uns ziemlich ähnlich 1.41 0.91 .82

Wenn ich [Name] sehe, kommt es mir vor, als wenn ich mit 1.50 1.03 .77Freunden zusammen wäre, dann fühle ich mich wohl

Auch wenn ich gerade nicht auf der Homepage von [Name] 1.42 0.90 .74bin, versuche ich, möglichst viel über [Name] zu erfahren, um sie/ihn noch besser kennen zu lernen

Wenn ich [Name] begegne, kann ich mir immer gut ein Bild 1.67 1.10 .69über sie/ihn machen, z. B. über ihre/seine Persönlichkeit

In manchen Situationen fühle ich mich an [Name] erinnert 1.85 1.21 .59

Wenn [Name] auf einem bestimmten Internetangebot 2.03 1.24 .82auftauchen würde, dann würde ich mir dieses Internet-angebot bestimmt anschauen

Ich finde es angenehm, das Bild von [Name] zu Hause 2.17 1.29 .81auf meinem Bildschirm zu sehen

Wenn in Zeitungen oder Zeitschriften etwas über [Name] 2.33 1.37 .73stünde, würde ich es auf jeden Fall lesen

Wenn [Name] seine/ihre Meinung oder auch persönlichen 1.81 1.19 .70Gefühle zum Ausdruck bringt, ist das jeweilige (Internet-)Angebot für mich attraktiver

Mir würde sofort auffallen, wenn [Name] mal nicht wie 2.12 1.27 .70gewohnt auf einem Internetangebot auftauchen würde

Wenn es möglich wäre, würde ich [Name] gerne einmal 1.98 1.39 .53persönlich kennen lernen

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Freund, dessen Virtualität einer engen Verbundenheit nicht im Wege steht. Der Faktorwird entsprechend als quasi-reale Beziehungsdimension bezeichnet; er erklärt 32 Pro-zent der Gesamtvarianz. Demgegenüber entspricht der zweite Faktor einer medialenBeziehungsdimension, denn er umfasst Items, welche die Vermitteltheit und Künstlich-keit des Avatars in den Vordergrund stellen. Diese Medialität ist ein bewusst erlebter Be-standteil der Relation zum virtuellen Akteur. Für Personen, die hohe Werte auf derzweiten Dimension erreichen, besitzen demzufolge Avatare eher ästhetische als sozialeQualität. Die Beziehung zum Avatar ist durch das Wissen um die Irrealität des Avatarsgeprägt: Er kann zwar interessant sein und zu wiederholter Interaktion einladen, docher bleibt an sein Medium gebunden. Der Faktor „mediale Beziehungsdimension“ erklärt31 Prozent der Gesamtvarianz. Das Item „Wenn es möglich wäre, würde ich [den Lieb-lings-Avatar] gerne einmal persönlich kennen lernen“ lässt sich im Rahmen dieses Fak-tors nur schlecht interpretieren. Eine inhaltliche Verbindung zur medialen Beziehungs-dimension könnte man darin sehen, dass das Item eine Differenzierung zwischen „per-sönlicher Bekanntschaft“ und „medial vermittelter Bekanntschaft“ impliziert: Weil derLieblings-Avatar nur aus den Medien bekannt ist, kann überhaupt erst der Wunsch ent-stehen, ihn persönlich kennen zu lernen.

Die Mittelwerte der beiden Beziehungsdimensionen weichen kaum vom geringenDurchschnittswert der Gesamtskala ab, wobei die mediale Beziehungsdimension (M = 2.07, SD = .99, Cronbachs α = .89) etwas intensiver ausfällt als die quasi-reale (M = 1.50, SD = .79, Cronbachs α = .86). Die höhere Ausprägung der medialen Dimen-sion findet sich auch wieder, wenn man nur die Personen betrachtet, die sich für den glei-chen Lieblings-Avatar entschieden. Bei Befragten, die Lara Croft als bevorzugten Ava-tar angegeben haben, ist die mediale Beziehungsdimension ausgeprägter (M = 2.10, SD = 1.00) als die quasi-reale Dimension (M = 1.53, SD = .83). Der Unterschied zwi-schen medialer (M = 2.02, SD = 1.00) und quasi-realer (M = 1.46, SD = .78) Bezie-hungsdimension findet sich ebenso bei dem männlichen Star-Avatar E-Cyas. Insofernmacht sich die Abhängigkeit virtueller Akteure von ihrer medialen Vermittlung im em-pirischen Beziehungsmuster bemerkbar: Die parasozialen Bindungen zu Avataren sindeher durch das Bewusstsein der Medialität geprägt und besitzen kaum die Qualitäteneiner „echten“ sozialen Beziehung.

Die zentrale Größe, die mediale Beziehungen zu Avataren fördert, ist deren wahrge-nommene Attraktivität. Wer einen virtuellen Akteur als attraktiv beschreibt, neigt auchzu intensiveren medialen Beziehungen mit ihm oder ihr (r = .49, p < .01), ist also moti-viert, die Medienangebote, in denen der Avatar erscheint, zu nutzen, wobei dessen oderderen Aussehen allein noch keine „Freundschaft“ oder enge Bindung verursacht. Dennim Vergleich dazu spielt die Attraktivitätseinschätzung für die quasi-reale Beziehungs-dimension eine geringere Rolle (r = .28, p < .01).

Die Rolle des Geschlechts von Rezipienten und Persona. Die Intensität der zwei ex-trahierten Beziehungsdimensionen lässt sich anhand der Mittelwerte der jeweils zuge-ordneten Items bestimmen. Vergleicht man die Intensität der Beziehungsdimensionenvon Frauen und Männern zu weiblichen bzw. männlichen Star-Avataren, so ergebensich vier mögliche Verknüpfungen. Innerhalb der medialen Beziehungsdimension be-sitzen Männer die intensivsten Beziehungen zu weiblichen Star-Avataren, vor Bezie-hungen von Frauen zu männlichen Star-Avataren. Etwas schwächere Beziehungen lie-gen ferner von Frauen zu weiblichen Star-Avataren vor, und die schwächsten Bezie-hungen innerhalb der medialen Beziehungsdimension besitzen Männer zu männlichenStar-Avataren (vgl. Tabelle 2). Eine Varianzanalyse bestätigt den Interaktionseffekt(F(1,333) = 9.56, p < .01). Haupteffekte für das Geschlecht der Befragten (F(1,333) = 1.69,

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ns) und für das Geschlecht des Avatars (F(1,333) = .26, ns) können hingegen nicht aus-gemacht werden.

Tabelle 2: Intensität der medialen parasozialen Beziehung (Mittelwerte auf einer Ska-la von eins bis fünf) in Abhängigkeit vom Geschlecht der Befragten und desLieblings-Avatars.

Geschlecht der Befragten Mediale parasoziale Mediale parasoziale Beziehung zu männlichen Beziehung zu weiblichen

Avataren (M und SD; Avataren (M und SD;Anzahl der Fälle) Anzahl der Fälle)

Männlich 1.75 2.30(.86) (.95)

n = 35 n = 107

Weiblich 2.10 1.89(1.04) (1.00)

n = 107 n = 93

Innerhalb der quasi-realen Beziehungsdimension findet sich dagegen weder ein Inter-aktionseffekt zwischen dem Geschlecht der Befragten und des Star-Avatars (F(1,333)= .61, ns), noch ergeben sich Haupteffekte für das Geschlecht der Befragten (F(1,333) = .03, ns) oder das Geschlecht des Avatars (F(1,333) = .26, ns).

Diskussion

Die parasozialen Beziehungen der Befragten zu ihrem selbst ausgesuchten Lieblings-Avatar sind nur schwach ausgeprägt. Es finden sich keine Hinweise darauf, dass virtu-elle Akteure bereits das Potenzial besitzen, feste „Freunde“ von Internetnutzern zu wer-den. Die Rezipienten wahren ihnen gegenüber eine gewisse Distanz, wobei sie die Er-scheinung der virtuellen Figuren sehr wohl als attraktiv empfinden können. Dennochgibt es Anzeichen dafür, dass auch zu virtuellen Akteuren Ansätze parasozialer Bezie-hungen entstehen. Die Dimensionierung der parasozialen Beziehung in quasi-reale Be-ziehungsdimension einerseits und mediale Beziehungsdimension andererseits entspre-chen recht gut der Einteilung, die Vorderer (1998) vornimmt. Insofern legt die gefunde-ne Zwei-Faktoren-Lösung nahe, dass zu Avataren strukturell ähnliche Beziehungsmu-ster bestehen wie zu Fernsehfiguren. Dafür spricht auch, dass gegengeschlechtlicheparasoziale Beziehungen etwas intensiver zu sein scheinen als gleichgeschlechtliche, wasebenfalls ein aus dem Fernsehbereich bekanntes Muster (Vorderer & Knobloch, 1996)darstellt. Avatare sind also offensichtlich in der Lage, Medienpublika an sich zu binden –wenn auch nicht sehr fest –, jedoch nicht, indem sie starke parasoziale Beziehungenknüpfen, sondern indem sie ästhetische Präferenzen bedienen, zum Beispiel das Modelleines schönen Menschen verkörpern. Diese Erkenntnisse können jedoch noch nicht alsgesichert gelten, weil die Mittelwerte der verschiedenen Avatare auf der Skala zu para-sozialen Beziehungen sehr gering ausfallen. Zukünftige Untersuchungen müssen hierweitere Klärung erbringen.

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Studie 2

Fragestellung

Studie 2 konzentrierte sich auf einen einzigen virtuellen Akteur, nämlich auf Lara Croft,die Protagonistin der mittlerweile fünfteiligen Computerspiele-Reihe Tomb Raider. Siedürfte neben dem Videospiel-Helden Mario die bekannteste virtuelle Figur sein, dennzum einen gehören die Tomb Raider-Spiele zu den meist verkauften Titeln weltweit, undzum anderen ist Lara Croft auch in zahlreichen anderen Medienangeboten in Erschei-nung getreten: Sie „spielt“ in einem Musikvideo („Männer sind Schweine“) mit, gibt „In-terviews‘, füllt dank ihrer „körperlichen“ Erscheinung ganze Bilderstrecken in Zeit-schriften und ziert zahlreiche Fanposter (vgl. auch Rettberg, 1999). Insofern kann sie alsMischform aus Stellvertreter- und Star-Avatar begriffen werden, denn während desComputerspielens agiert sie unter der vollständigen Kontrolle durch die Spieler, bei ihrensonstigen Medienauftritten wird sie dagegen als selbstständige Persona inszeniert. Esliegt daher nahe zu vermuten, dass Lara Croft den Mediennutzern und Computerspie-lern „Angebote“ für parasoziale Beziehungen unterbreitet. Sie könnte ebenso als be-liebter und bewunderter „Star“ fungieren wie zum Beispiel die Action-Helden aus Kinooder Fernsehen. In der Studie wurde deshalb ein Vergleich der parasozialen Beziehungzu Lara Croft mit der Bindung an eine beliebte Figur aus Film oder Fernsehen angestellt.Ziel der Untersuchung war es herauszufinden, inwiefern die parasozialen Beziehungenzu einer – besonders bekannten – virtuellen Figur hinsichtlich ihrer Intensität und Qua-lität den parasozialen Bindungen zu einer besonders populären Fernsehfigur ähnlich sind.

Methode

Im Rahmen einer größeren Studie über Computer- und Videospiele (vgl. auch Klimmt,2001; Klimmt & Vorderer, 2001) wurden die parasozialen Beziehungen zu Lara Croftund zu einer von den Teilnehmern genannten Lieblingsfigur aus Film oder Fernsehenerhoben. Dazu kam die in der Forschung über parasoziale Beziehungen bewährte Ska-la von Rubin, Perse und Powell (1985) in der modifizierten Form von Vorderer undKnobloch (1996) zum Einsatz. Durch die Modifikationen sollte die 20-Item-Skala spe-ziell die Qualität der parasozialen Beziehungen besser erfassen. Die Teilnehmer fülltendie Skala zunächst in Bezug auf Lara Croft aus, nannten anschließend ihre bevorzugteFigur aus Film oder Fernsehen und beantworteten dann die Skala erneut, dieses Mal inBezug auf die genannte Film- bzw. Fernsehfigur. Für den Durchlauf, der Lara Croft be-traf, wurden einige Items so umformuliert, dass sie besser zum Kontext der Computer-spiele passten. So wurde beispielsweise das Item „Ich freue mich darauf, [Name derLieblingsfigur] in der nächsten Folge wieder zu sehen“ umformuliert in „Ich freue michdarauf, Lara Croft in der nächsten Tomb Raider-Folge wieder zu sehen“ (siehe Anhang).In beiden Varianten waren die Endpunkte der Likert-Skala mit „trifft überhaupt nichtzu“ bzw. „trifft voll und ganz zu“ bezeichnet. Zusätzlich wurde abgefragt, wie vieleTomb Raider-Titel die Teilnehmer besaßen und wie sie diese bewerteten. Der Fragebo-gen wurde an 5000 Personen aus der Kundendatenbank eines großen Computerspiele-Unternehmens verschickt. Er umfasste insgesamt elf Seiten. Unter den Teilnehmernwurden zahlreiche Preise verlost. Die Fragen konnten auf Wunsch auch online beant-wortet werden; auf den wortgleichen Internet-Fragebogen wurde im Anschreiben hin-gewiesen.

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Ergebnisse

Insgesamt schickten 349 Personen den Fragebogen ausgefüllt zurück (Rücklaufquote:sieben Prozent). Die überwiegende Mehrheit (95 Prozent) der Teilnehmer war männ-lich; das Durchschnittsalter lag bei etwa 21 Jahren (M = 20.76 Jahre; SD = 8.91 Jahre).Rund 26 Prozent der Befragten nutzte das Internet zur Beantwortung. Lieblingsfigurenaus Film und Fernsehen nannten 325 Teilnehmer. Unter den 131 genannten Personaebefanden sich höchst unterschiedliche Charaktere, zum Beispiel das Pokémon Pikachuund Marcel Reich-Ranicki. Mit Abstand am häufigsten genannt wurden Bart und Ho-mer Simpson aus der Zeichentrickserie „Die Simpsons“. Es folgten Al Bundy sowieAgent Moulder aus der Mystery-Serie „Akte-X“. Die Befragten besaßen im Durch-schnitt zwei (M = 2.06; SD = 1.36) der zum Erhebungszeitpunkt erhältlichen vier TombRaider-Titel; nur knapp 15 Prozent der Teilnehmer besaßen kein eigenes Tomb Raider-Spiel. Insofern war der Avatar Lara Croft in der Stichprobe sehr gut bekannt.

Die Skalen zur parasozialen Interaktion erzielten zufriedenstellende Reliabilitätswer-te. Sowohl für Lara Croft (Cronbachs α = .94) als auch im Durchlauf für die Lieblings-person aus Film und Fernsehen (über alle genannten Figuren hinweg: Cronbachs α = .90)ergeben sich akzeptable interne Konsistenzen. Die Auswertung beinhaltete vier Schrit-te. Zunächst wurden die Skalen zur parasozialen Beziehung zu Mittelwert-Indizeszusammengefasst und für Lara Croft und die genannte TV-Lieblingsfigur gegenüber-gestellt. Anschließend wurden die Lieblings-TV-Personen nach ihrem Geschlechtgetrennt betrachtet und die parasozialen Bindungen zu ihnen erneut mit Lara Croft ver-glichen. Im dritten Schritt wurde eine Subgruppe von TV-Personae Lara Croft gegen-übergestellt, und zwar die Gruppe der Zeichentrick-Charaktere. Sie sind hinsichtlichihrer Darstellungsform ähnlich „abstrakt“ wie die Computerfigur Croft und wurdendeswegen einem gesonderten Vergleich unterzogen. Im letzten Schritt wurden Zusam-menhänge zwischen dem Ausmaß der parasozialen Beziehung zu Lara Croft und be-stimmten in der bisherigen Forschung als zentral erachteten Merkmalen wie Dauer der„Bekanntschaft“ zur Persona betrachtet.

Vergleich der Indizes. Das Ausmaß der parasozialen Beziehung zu Lara Croft (M = 2.14; SD = .80) fällt geringer aus als zur Lieblingsfigur aus Film und Fernsehen (M = 2.60; SD = .80). Der Unterschied ist signifikant (t(321) = -11.43; p < .01). Wie schonin Studie 1 erreicht der virtuelle Akteur also nur einen geringen Wert in der Skala zurparasozialen Beziehung und bleibt zusätzlich auch deutlich hinter der Lieblings-TV-Fi-gur zurück.

Vergleich von weiblichen und männlichen TV-Personen mit Lara Croft. Angesichtsdes betont bzw. übertrieben weiblichen Aussehens von Lara Croft lag es nahe, den Ver-gleich der parasozialen Beziehungen zu verfeinern, indem das Geschlecht der TV-Per-son berücksichtigt wird (vgl. Tabelle 3). Da die überwiegende Mehrheit der Befragtenmännlich ist, konnte eine Geschlechterdifferenzierung auf Seiten der Teilnehmer nichtrealisiert werden.

Die parasozialen Beziehungen zu weiblichen TV-Figuren erzielten den höchsten Wertim Indexvergleich. Vorderer und Knobloch (1996) fanden ebenfalls, dass männliche Be-fragte starke Bindungen zu weiblichen TV-Figuren wie Pamela Anderson berichten. DieBeziehung zu Lara Croft fällt im Vergleich zu den weiblichen TV-Figuren deutlichschwächer aus. Bei den Personen, die eine männliche TV-Figur bevorzugten, bestehtdieser Abstand zwischen TV-Figur und Lara Croft ebenfalls; jedoch liegen die Werte imVergleich zu der Subgruppe mit weiblichen Lieblingsfiguren etwa einen halben Skalen-punkt niedriger – sowohl für die TV-Figur als auch für Lara Croft. Insofern lässt sich

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die parasoziale Beziehung zu Lara Croft eher mit der zu einer weiblichen TV-Figur alsmit der Bindung an eine männliche Figur vergleichen. Bei genauer Betrachtung erreichtLara Croft nämlich bei den Items aus der Skala „… ist erotisch“ und „Ich finde … at-traktiv“ die höchsten Werte und wird dort nur von jungen TV-Heldinnen wie Buffy,der Dämonenjägerin übertroffen. Das von Vorderer und Knobloch (1996) berichteteBeziehungsmuster zwischen männlichen Rezipienten und weiblicher Persona scheintalso auch auf Lara Croft zuzutreffen.

Vergleich der parasozialen Beziehungen zu Lara Croft mit den Beziehungen zu Zei-chentrick-Figuren. Lara Croft unterscheidet sich von TV-Personae durch ihre ver-gleichsweise unrealistische Erscheinung. Dies gilt jedoch nicht im Vergleich zu einerSubgruppe von TV-Personae, nämlich zu Zeichentrickfiguren. Sie sind ebenfalls weni-ger genaue Abbilder von „echten“ Menschen. Daher werden die parasozialen Bezie-hungen zu Zeichentrickfiguren (u. a. Homer und Bart Simpson, Kenny und Stan ausSouth Park) mit den Bindungen an Lara Croft verglichen. Insgesamt wählten 87 Befragteeine Zeichentrickfigur als Lieblings-Persona. In dieser Subgruppe unterscheiden sich dieIndex-Werte für Lara Croft (M = 2.07, SD = .77) und die Lieblings-TV-Figur (M = 2.18,SD = .66) nur geringfügig (t(84) = -1.79, ns). Zum Vergleich: Der Index-Wert der para-sozialen Beziehung zu den übrigen (fotorealistischen) Personae (M = 2.77, SD = .77) liegtdeutlich höher als der Wert für die Zeichentrickfiguren (t(317) = 6.24, p < .01). Insofernlässt sich die parasoziale Bindung an Lara Croft eher mit der an Zeichentrickfiguren alsmit der an TV-Personae aus Fleisch und Blut vergleichen.

Korrelate von parasozialen Beziehungen zu Lara Croft. In der bisherigen empirischenForschung über parasoziale Beziehungen (im Überblick: Gleich, 1997; Vorderer, 1998)fanden sich immer wieder Zusammenhänge zwischen der parasozialen Beziehung zuTV-Personen und anderen Merkmalen, die auch Horton und Wohl (1956) schon postu-liert hatten, zum Beispiel zwischen der parasozialen Beziehung und der Dauer der „Be-kanntschaft“ mit der Persona (vgl. Perse & Rubin, 1989). Im letzten Auswertungsschrittwurden daher die Zusammenhänge zwischen dem Index-Wert der parasozialen Bindungan Lara Croft und der Anzahl der Tomb Raider-Spiele, die die Befragten besaßen, so-wie der Bewertung dieser Spiele betrachtet. Je mehr Tomb Raider-Spiele eine Person be-sitzt, so ist zu vermuten, desto mehr Zeit hat sie auch mit Lara Croft verbracht, pflegtalso eine länger andauernde „Bekanntschaft“ mit ihr. Darüber hinaus wurde untersucht,ob Personen, die intensivere parasoziale Bindungen an TV-Figuren berichten, auch zueiner stärkeren Bindung an Lara Croft neigen. Die Analyse dieser Zusammenhänge kann

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Tabelle 3: Vergleich der parasozialen Beziehung zu Lara Croft und zur Lieblings-TV-Figur, aufgeschlüsselt nach Geschlecht der genannten TV-Figur

Mittelwert PSB- Mittelwert PSB- t-Wert im Ver- αIndex zu Lara Index zur TV- gleich zu Lara Croft (SD) Figur (SD) Croft (df)

Personen, die eine weibliche Lieblings- 2.49 2.97 –4.64 p < .01TV-Figur nannten (.96) (.78) (47)(n = 48)

Personen, die eine männliche Lieblings- 2.09 2.54 –10.31 p < .01TV-Figur nannten (.77) (.78) (273)(n = 274)

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weitere Hinweise zu der Frage liefern, inwiefern sich das Verhältnis der Mediennutzerzum virtuellen Akteur Lara Croft mit dem zu einer TV-Persona vergleichen lässt. Ähn-lich wie bei TV-Serienfiguren hängt auch bei Lara Croft das Ausmaß der parasozialenBeziehung mit der Länge des Kontakts zusammen. Die Anzahl der von den Befragtenbesessenen Tomb Raider-Spiele korreliert relativ hoch mit der parasozialen Bindung (r = .42, p < .01). Auch die über 10er-Skalen erhobene Bewertung der Spiele weist einendeutlichen Zusammenhang mit der parasozialen Beziehung zu Lara Croft auf (für TombRaider 3: r = .48, p < .01 und für Tomb Raider 4: r = .43, p < .01). Schließlich zeigt sichein deutlicher Zusammenhang zwischen der parasozialen Beziehung zu Lara Croft undder Beziehung mit der Lieblings-TV-Figur (r = .60, p < .01). Wer sich also auf eine in-tensive Bindung an eine Fernsehfigur einlässt, fühlt sich auch eher dem virtuellen Ak-teur Croft verbunden.

Diskussion

Die virtuelle Akteurin Lara Croft ist offensichtlich nicht in der Lage, parasoziale Bezie-hungen anzubieten, deren Intensität mit den Bindungen zu Film- oder Fernsehfigurenvergleichbar ist. Gleichwohl lassen sich Anzeichen zumindest für schwache Bindungenfinden. So wirkt sich die wahrgenommene Attraktivität, die bereits bei TV-Heldinnenfür intensivere Beziehungen sorgt, auch auf die Relation zu Lara Croft aus. Die nicht fo-torealistische, sondern gezeichnete Darstellungsform der Figur Croft macht sie hin-sichtlich der Beziehungsintensität vergleichbar mit TV-Zeichentrickfiguren und unter-scheidet sie deutlich von „echten“ TV-Personae. Schließlich finden sich bei den paraso-zialen Bindungen an Croft Korrelate, die als typisch für die Bindung an Personae gel-ten, nämlich die Dauer der Bekanntschaft und die positive Bewertung desMedienangebots, in dem die Persona auftritt. Insofern hat die Studie einige Hinweisedarauf geliefert, dass Computerspieler parasoziale Beziehungen zu einer virtuellen Ak-teurin entwickeln, dass diese Bindungen jedoch deutlich schwächer ausgeprägt sind alsbei Fernsehcharakteren und vor allem von der von männlichen Mediennutzern emp-fundenen Attraktivität der weiblichen Persona Croft getragen werden. Jedoch ist esdurchaus denkbar, dass sich die gefundenen Intensitätsunterschiede zwischen LaraCroft und der Fernseh-Figur einebnen, wenn sich die Befragten nicht nur ihre Lieblings-TV-Figur, sondern auch ihre Lieblings-Spiel-Figur aussuchen dürfen. In der vorliegen-den Studie war Lara Croft als Spiel-Figur vorgegeben worden und muss deswegen nichtzwangsläufig bei den Befragten so populär gewesen sein wie die selbst gewählte Lieb-lings-TV-Figur. Andererseits handelte es sich bei der Stichprobe um überwiegend in-tensive Nutzer von Tomb Raider-Spielen, so dass insgesamt ein Vergleich zwischenCroft und Fernsehfigur auch nicht völlig unangemessen erscheint.

4. Schlussbetrachtung und Ausblick

Um die Frage zu klären, wie Mediennutzer mit virtuellen Akteuren umgehen, erweistsich der Zugang der parasozialen Beziehungen (Horton & Wohl, 1956; Horton &Strauss, 1957) theoretisch und empirisch als fruchtbar. Für diese Bewertung spricht, dasssich die Dimensionalisierung der in Studie 1 angewendeten Skala mit der Einteilung inanderen Untersuchungen zu parasozialen Beziehungen (Visscher & Vorderer, 1998;Vorderer, 1998) deckt und dass sich in Studie 2 Zusammenhänge zwischen der para-sozialen Beziehung zu Lara Croft, der Dauer der „Bekanntschaft“ und der Bewertungder Tomb Raider-Spiele finden, was ebenfalls mit den Ergebnissen aus dem Fernsehbe-

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reich korrespondiert (Perse & Rubin, 1989). Es ergeben sich also in den Daten struktu-relle Ähnlichkeiten zu den Erkenntnissen der Forschung über parasoziale Beziehungenzu Fernseh-Personae.

Die beiden vorgestellten Befragungsstudien über parasoziale Bindungen an Avatarezeigen, dass virtuelle Akteure, wie sie heute im Internet und in Computerspielen zumEinsatz kommen, in der Perspektive der Rezipienten eine andere Kategorie darstellen alsFiguren aus Film und Fernsehen. Die parasozialen Beziehungen sind wenig intensiv undvon der Medialität, der Abhängigkeit des virtuellen Akteurs von der Darstellung in einerkünstlichen Medienumgebung, geprägt. So wahren die Mediennutzer eine gewisse Dis-tanz zu den „neuen Prominenten“ wie E-Cyas oder Lara Croft. Von der geradezu über-schwenglichen Bewunderung und Verehrung, wie sie typisch ist für Fans von TV-Stars(Leets, DeBecker & Giles, 1995), sind die Beziehungen zu Avataren weit entfernt: DieBezugspersonen (die Avatare) sind dem Namen und dem Aussehen nach den Medien-nutzern bekannt, also kognitiv repräsentiert; sie besitzen jedoch nur eine geringe emo-tionale Relevanz.

Wenngleich Avatare für die Befragten beider Studien keine Bedeutung im Sinne vonFreunden oder guten Bekannten haben, wissen die Mediennutzer doch die ästhetischenQualitäten virtueller Akteure zu schätzen. Der Zusammenhang zwischen der Attrakti-vität des Avatars und der Stärke der „medialen“ parasozialen Beziehung wird in beidenStudien deutlich und ist auch aus der Forschung im Fernsehbereich bekannt (Gleich,1997; Vorderer & Knobloch, 1996). In diesem Zusammenhang ist auch das Ergebnisplausibel, dass gegengeschlechtliche parasoziale Beziehungen intensiver ausgeprägt sindals gleichgeschlechtliche.

Insgesamt scheinen also die heute verfügbaren Avatare in der Lage zu sein, den Rezi-pienten bzw. ihren „Zielgruppen“ zu gefallen, als bewunderte Stars oder gar Freundeeignen sie sich weniger. Es ist jedoch abzusehen, dass virtuelle Akteure in Zukunft vorallem an Interaktionskompetenz gewinnen werden (Bente & Otto, 1996; Bente, Peter-sen, Krämer & Buschmann, 1999). Während ihre äußere Erscheinung also bereits auf dieZustimmung der Rezipienten trifft und zur Publikumsbindung beiträgt, werden Avat-are auch ihre „inneren“ Fähigkeiten verbessern. Auf diese Weise für den Dialog mit denMediennutzern gerüstet, dürften virtuelle Akteure der kommenden Generationen auchals Bezugsperson für stärkere parasoziale Bindungen in Betracht kommen. Weil jedochmit verbesserten Konversationsfähigkeiten das Wissen der Rezipienten um die Virtua-lität von Avataren nicht gelöscht werden kann, wird abzuwarten bleiben, bis zu wel-chem Maße sich die parasozialen Beziehungen zu ihnen tatsächlich denen zu menschli-chen Prominenten angleichen werden.

Angesichts der zunehmenden Bedeutung von Virtual-Reality-Systemen in zahlrei-chen Anwendungsbereichen sollte die medienpsychologische Forschung mit der Ent-wicklung insbesondere virtueller Charaktere Schritt halten. Je mehr und je komplexereAvatare die digitalen Welten bewohnen, desto größere Erkenntnispotenziale bergenUntersuchungen darüber, wie Mensch und Avatar miteinander interagieren. Dies giltnicht nur, aber auch für den Bereich der interaktiven Unterhaltung (Durkin & Aisbett,1999; Vorderer, 2000; Klimmt, 2001). Für entsprechende Studien müssen allerdings neueErhebungsinstrumente entwickelt werden. An der in den vorgestellten Studien zugrun-de gelegten Standard-Skala von Rubin, Perse und Powell (1985) wurde bereits im Kon-text des ursprünglichen Einsatzgebiets, nämlich der TV-Figuren, Kritik geübt (Hippel,1992; Gleich, 1997). Entsprechend stellt sich die Frage, inwiefern das Instrument für dieAnwendung auf virtuelle Akteure geeignet ist. Bereits die hier beschriebenen erstenAnnäherungen an parasoziale Beziehungen zu Avataren stießen an Grenzen der Skala,

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die zahlreiche Modifikationen unvermeidlich machten. In diesem Zusammenhang bie-tet es sich an, das Konzept der parasozialen Beziehungen sowohl in theoretischer Hin-sicht als auch mit Blick auf seine empirische Messung stärker an die Erkenntnisse der So-zialpsychologie anzubinden (zu dieser Forderung vgl. Gleich, 1997). Denn wer die In-teraktion zwischen Mensch und Avatar untersucht, betrachtet keine „Intimacy at a Di-stance“ (Horton & Wohl, 1956/1986, S. 185) wie beim Fernsehen, sondern eine „direkteInteraktion mit wechselseitiger Kontingenz zwischen Mediennutzer und Bildschirm-person“ (Bente & Otto, 1996, S. 225). Insofern kann das mittlerweile recht alte Konzeptder parasozialen Beziehungen uns helfen, die Rezeption der neuen Medien zu verstehen.Eine Weiterentwicklung erscheint jedoch sowohl in theoretischer wie auch in methodi-scher Hinsicht dringend geboten.

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Anhang: Items zur parasozialen Beziehung (nach Vorderer & Knobloch, 1996), in der für die Anwendung auf Lara Croft modifizierten Variante

• Wenn ich Lara Croft auf dem Bildschirm sehe, kommt es mir vor, als wenn ich mitFreunden zusammen wäre, dann fühle ich mich wohl.

• Lara Croft ist erotisch.• Ich freue mich darauf, Lara Croft in der nächsten „Tomb Raider“-Folge wiederzu-

sehen.• Wenn Lara Croft eine Figur in einem anderen Spiel wäre, würde ich es auf jeden Fall

spielen.• Ich habe den Eindruck, dass Lara Croft ähnliche Dinge wichtig sind wie mir.• Wenn in Zeitungen oder Zeitschriften etwas über Lara Croft stünde, würde ich es auf

jeden Fall lesen.• Es kommt sogar vor, dass ich Lara Croft vermisse, wenn ich Tomb Raider längere

Zeit nicht gespielt habe.• Ich würde Lara Croft gerne einmal persönlich kennen lernen.• Ich leide mit, wenn Lara Croft Probleme hat.• Ich finde Lara Croft attraktiv.• Manchmal überlege ich mir, wie ich mich verhalten würde, wenn ich in der gleichen

Situation wäre wie Lara Croft.

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• In besonders spannenden Situationen kommt es schon mal vor, dass ich Lara Croftetwas zurufe, wie z. B. „Pass auf“.

• Wenn ich Probleme habe, überlege ich mir manchmal, wie Lara Croft sich selbst inmeiner Situation verhalten würde.

• Manchmal vergleiche ich das Leben von Lara Croft mit dem Leben von Verwandten,Freunden und Bekannten.

• Ich bewundere Lara Croft.• In vielen Punkten ähnelt das Leben von Lara Croft meinem Leben.• Auf Lara Croft kann man sich verlassen.• Ich wäre gerne wie Lara Croft.• Manchmal vergleiche ich mein Leben mit dem Leben von Lara Croft.• Ich empfinde Lara Croft als echte Person.

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Sprechen im freien RadioEine Fallanalyse zu Möglichkeiten alternativen Hörfunks

Jan Pinseler

In den 90er Jahren hat sich die Zahl der lizenzierten freien Radios in der BundesrepublikDeutschland vervielfacht. Aus den Selbstbeschreibungen freier Radios und theoretischenÜberlegungen aus ihrem Umfeld lässt sich ableiten, dass das Potenzial dieser Sender vorallem darin besteht, das Medium Hörfunk zu „entzaubern“, eine Sprache des Alltagsauch im Hörfunk zu verwenden und unterschiedliche subjektive Standpunkte zu Gehörzu bringen. Anhand einer konversationsanalytischen Untersuchung von Sendungen descoloRadio in Dresden wird gezeigt, dass die Besonderheit freier Radios darin besteht,dass hier sowohl Gespräche möglich sind, die strukturell die Form von Nachrichtenin-terviews haben, als auch Gespräche, die eher Gesprächen im Alltag ähneln. Daraus folgt,dass im freien Radio nicht nur andere Themen als in anderen Medien vorkommen kön-nen, sondern dass es aufgrund der größeren Nähe zur Alltagssprache auch anderen Per-sonen möglich ist, den Hörfunk selbstbestimmt als Kommunikationsmittel zu nutzen.

1. Einleitung

Derzeit gibt es nach Angaben des Bundesverbandes Freier Radios dreiundzwanzig freieRadios in der Bundesrepublik.1 Die meisten dieser Radiosender haben erst in den letz-ten fünf bis acht Jahren eine Lizenz erhalten. Dabei ist die Situation in den verschiede-nen Bundesländern sehr unterschiedlich. Während etwa in Baden-Württemberg, Hes-sen oder Niedersachsen nichtkommerzielle Lokalradios in den jeweiligen Landesme-diengesetzen vorgesehen sind und dementsprechend viele solche Radiosender existieren,werden freie Radios zum Beispiel in Bayern und Sachsen wie private Hörfunksender be-handelt und sind in einer schwierigeren rechtlichen Lage. Obwohl es freie Radios alsoseit einigen Jahren fast in der ganzen Bundesrepublik gibt, werden sie von der Kommu-nikationswissenschaft fast vollständig ignoriert.2 Im Folgenden soll zunächst kurz dieEntwicklung der freien Radios in der Bundesrepublik nachgezeichnet werden. In die-sem Zusammenhang wird vor allem auf die Diskussion inner- und außerhalb freier Ra-dios über die Möglichkeiten und Potenziale freie Radios eingegangen. Daran schließteine konversationsanalytische Untersuchung von Gesprächen in einem freien Radio an.Aus der Kontrastierung dieser Ergebnisse mit konversationsanalytischen Studien zu

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1 Vergleiche www.freie-radios.de/bfr/bfr-karte.pdf (Stand: 28. Februar 2001). Nicht mitgezähltwurden Radiogruppen, die im Rahmen des Bürgerfunks in Nordrhein-Westfalen senden.

2 Ausnahmen sind Weichler (1987), der die freien Radios in den Gesamtzusammenhang einer„Theorie alternativer Kommunikation“ einbindet und dabei eine detaillierte BestandsaufnahmeFreier Radios in der BRD bis Mitte der achtziger Jahre leistet. Kleinsteuber (1991), derhauptsächlich einen internationalen Vergleich nichtkommerzieller Radios vornimmt, gibt fürDeutschland den freien Radios eine Mitschuld daran, dass nichtkommerzielle lokale Hörfunk-stationen nicht entstanden seien (1991: 355). Vogel (1991) hat allgemein Formen der Bürgerbe-teiligung am Rundfunk analysiert und geht dabei am Rande auch auf freie Radios ein, verkenntjedoch deren Formen von Zugangsoffenheit und wird daher deren Senderealität nicht gerecht.Für die Hessische Landesmedienanstalt hat Merz (1998) die als nichtkommerzielle Radios inHessen lizenzierten Sender untersucht.

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Nachrichteninterviews einerseits und zu Gesprächen im Alltag andererseits soll schließ-lich abgeleitet werden, inwieweit sich freie Radios in ihrer Praxis von anderen Hör-funksendern unterscheiden.

2. Freie Radios in der Bundesrepublik

2.1 Entwicklung und gesellschaftliche Rahmenbedingungen

In der Bundesrepublik hat sich vornehmlich in den letzten fünf bis zehn Jahren eine sehrvielfältige Szene nichtkommerzieller lokaler Fernseh- und – vor allem – Hörfunksenderentwickelt. Dazu gehören einerseits schon länger eine ganze Reihe von OffenenKanälen, andererseits eine Vielzahl nichtkommerzieller Lokalradios. Während OffeneKanäle grundsätzlich offen für jede Sendung sind,3 haben nichtkommerzielle Lokalra-dios feste Redaktionen, die über die auszustrahlenden Sendungen entscheiden. Unter-schiede bestehen jedoch auch innerhalb der nichtkommerziellen Lokalradios hinsicht-lich ihres Selbstverständnisses.

Eine große abgrenzbare Gruppe machen die Radios aus, die sich selbst als „freie“ Ra-dios bezeichnen und im Bundesverband Freier Radios (BFR) vereinigt sind. Freie Ra-dios zeichnen sich – so kann aus ihren Selbstbeschreibungen gefolgert werden – in Ab-grenzung zu öffentlich-rechtlichen und privaten Sendern sowie zu Ausbildungs- undUniversitätsradios dadurch aus, dass sie feste Strukturen haben, die offen sind für Mit-arbeit und diese zu ermuntern versuchen. Die Strukturen freier Radios sollen dement-sprechend zum einen die Zugänglichkeit und die Offenheit nach außen herstellen undzum anderen Einschaltmöglichkeiten schaffen, indem das Programm selbst klar undnachvollziehbar strukturiert ist. Das Ziel besteht darin, ein gemeinsames Senden zu be-fördern. Die Redakteure sollen miteinander über das kommunizieren und diskutieren,was gesendet werden soll. Ziel freier Radios ist nicht die vereinzelte Herstellung vonSendungen, sondern die gemeinsame Erstellung eines zusammengehörenden Produkts.Ihre Finanzierung versuchen die freien Radios zu einem großen Teil aus Mitgliedsge-bühren und Spenden zu sichern. Sie schließen Werbung als Einnahmequelle grundsätz-lich aus.4

„freies radio ist der versuch, ein medium aus seinem verwertungszusammenhang zulösen. ziel ist dabei die emanzipation der hörenden und sendenden innerhalb der kon-ventionellen medienlandschaft“ (Freies Sender Kombinat, 1994: 8). Mit Emanzipationist dabei gerade keine medienpädagogische Erziehung zum richtigen Hören oder Sen-den gemeint, sondern die prinzipielle Austauschbarkeit von Hörenden und Sendenden,die Möglichkeit, das Medium Hörfunk eigenverantwortlich zu nutzen.

Als die freien Radios in der alten Bundesrepublik entstanden, waren sie vor allem Aus-druck eines Bedürfnisses nach selbstbestimmten Medien. Einer der ersten bundesdeut-schen politischen Piratensender war 1975 der Piratensender Unfreies Westberlin, dessenZiel erklärtermaßen darin bestand, bisher „unterdrückte oder verfälschte Nachrichten“an die Öffentlichkeit zu bringen (Network Medien-Cooperative, 1983: 134; vgl. auchWeichler, 1987). Freie Radios in den siebziger und achtziger Jahren wollten Medien der

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3 Vergleiche zu Offenen Kanälen etwa Kamp (1989) oder Jarren, Grothe & Müller (1994).4 Vergleiche zum Beispiel Freies Sender Kombinat (1994), Freundeskreis Lokal-Radio Hannover

e. V. (1995) und Radio-Initiative Dresden (1994). Eine Ausnahme ist Radio Z, das Werbung sen-det.

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Gegenöffentlichkeit sein. Sie wollten unterdrückte Nachrichten verbreiten, solche Mel-dungen, die in den öffentlich-rechtlichen Medien nicht zu hören und in den Zeitungennicht zu lesen waren. Betroffen von der Nichtbeachtung durch die etablierten Rund-funkveranstalter sahen sich vor allem die neuen sozialen Bewegungen, die im Gefolgeder Rebellion von 1968 entstanden waren und zunehmend erstarkten. Genannt seienhier die Anti-AKW-Bewegung, die Hausbesetzerbewegung und die Friedensbewegung.Sie alle kamen in den öffentlich-rechtlichen Sendern entweder gar nicht vor oder fühl-ten sich in ihren Anliegen ignoriert, verzerrt oder falsch dargestellt (vgl. Network Me-dien-Cooperative, 1983: 110).5 Die Forderungen nach einer unvermittelten Kommuni-kation, nach eigenen Medien wurden immer lauter, die „Bürger“ begannen sich zu weh-ren, da sie „sich ständig vergeblich fragen müssen, wo ihre unverstellte Alltagsrealität inden Programmen bleibt“ (Faecke & Haag, 1977: 110 – 111). Aus dieser Frustration bil-dete sich seit Mitte der siebziger Jahre auch eine alternative Medienpraxis heraus. Dieseversuchte, selbstbestimmte und selbst kontrollierte Strukturen für eine eigene Medien-arbeit zu schaffen und nicht, wie etwa noch die Studentenbewegung, die bestehendenMedien zu verändern (vgl. Network Medien-Cooperative, 1983: 106 – 107).

Parallel dazu hatte sich ab Mitte der siebziger Jahre in Westdeutschland die Diskussi-on um die Einführung des privaten Rundfunks intensiviert, und es wurde immer klarer,dass es privat-kommerzielle Betreiber von Hörfunk und Fernsehen geben würde. Mitdieser Debatte wurde zum einen die Selbstverständlichkeit aufgebrochen, mit der die öf-fentlich-rechtliche Organisationsform als einzig mögliche Organisationsform vonRundfunk galt. Zum anderen wurde aber auch die Frage gestellt, wer denn die ökono-mische Kontrolle über die Sender ausüben solle. Das öffentlich-rechtliche Rundfunk-system, das lange Zeit kaum kritisiert wurde, stand plötzlich zur Disposition. Alterna-tiven wurden überhaupt erst einmal denkbar.

2.2 Anspruch und Potenzial freier Radios

Als Vorläufer der bundesdeutschen freien Radios können die radios libres gelten, die inItalien bereits seit 1975 bestanden und großen Eindruck auf die westdeutsche Linkemachten (vgl. Ruoff, 1978: 5). Bedeutsam für die Wahrnehmung der italienischen freienSender in der Bundesrepublik waren die „politisierten“ Radios, allen voran Radio Alicein Bologna und Radio Popolare Milano.6 Diese Sender füllten das Radioprogramm nicht(nur) mit anderen Inhalten, sie brachen auch sehr weit gehend mit den Prinzipien, wiebis dahin Radio gemacht wurde. Wichtigste Ziele dieser Radios waren dabei erstens diekollektive Produktion der Sendungen und die Selbstorganisation des Senders, zweitensder freie Zugang für Betroffene zum Radio und drittens die Unvermitteltheit der Kom-munikation.7

Diese italienischen Erfahrungen wurden zwar theoretisch reflektiert, jedoch kaumpraktisch auf bundesdeutsche Verhältnisse übertragen. Für die Praxis westdeutscherfreier Radios wurden vielmehr die kritischen Medientheorien von Brecht (1932/1975)und Benjamin (1934/1966), Anders (1956), Enzensberger (1970/1997) und Negt/Kluge(1972) wichtig. Während Brecht und Benjamin einen Weg aufzeigten, wie sich das Me-

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5 Vergleiche zur Rolle der Kommunikation in den neuen sozialen Bewegungen auch Roth (1991).6 Für einen Einblick in die Praxis von Radio Alice vergleiche Kollektiv A/traverso (1977); ver-

gleiche auch Eco & Grieco (1978).7 Vergleiche FRED (1977), Le Paige (1977) und Ruoff (1978).

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dium (Brecht) beziehungsweise der Autor (Benjamin) zu verändern hätten, versuchteinsbesondere Enzensberger, das Medium durch Unterwanderung zu verändern. Insge-samt zeichnen sich diese kritischen Medientheorien durch eine sehr große Nähe zu denbestehenden Medien aus, brachen mit diesen nicht grundsätzlich, sondern wollten die-se umgestalten oder einem emanzipatorischeren Gebrauch zuführen.8

War es in den 70er und 80er Jahren noch grundlegendes Prinzip freier Radios in derBundesrepublik, Gegenöffentlichkeit herzustellen (vgl. Network Medien-Cooperative,1983; Weichler, 1987), so kam das Konzept der Gegenöffentlichkeit in den 90er Jahrenimmer mehr in die Kritik und war immer weniger für die Praxis freier Radios hand-lungsleitend. Das Konzept der Gegenöffentlichkeit orientiere sich an den bürgerlichenMedien, spiegele dessen Inhalte nur, kritisierte zum Beispiel die Amsterdamer Auto-rengruppe Bilwet um Geert Lovink: „Das Ziel bestand in Korrektur und Ergänzung“(Agentur Bilwet, 1993: 44 – 45). Freie Radios müssten sich hingegen das Recht nehmenzu senden, ohne sich an den bürgerlichen Medien zu orientieren und diese ständig kor-rigieren zu wollen.9 Diese Strategie scheint auch weniger radikalen Vertreterinnen frei-er Radios die erfolgversprechendste: Das Konzept der Gegenöffentlichkeit, so die auto-nome a.f.r.i.k.a.-gruppe (1998), gehe vom Sender-Kanal-Empfänger-Modell aus. Genaudeshalb funktioniere der Versuch so selten, andere Inhalte über freie Radios zu trans-portieren. In Anlehnung an die Semiotik und die Cultural Studies argumentieren sie,dass erst das Zusammenspiel zwischen Adressat, Botschaft, Kommunikationssituationund Code bestimme, wie eine Botschaft gelesen werde. Ziel künftiger Gegenöffentlich-keit müsse daher sein, Bedingungen zu schaffen, unter denen von der Normalität ab-weichende Bedeutungen möglich werden (1998: 44 – 48).

In ihrer Auseinandersetzung mit der Praxis von Radio Alice in Bologna verwirft auchKatja Diefenbach (1998) das Modell der Gegenöffentlichkeit, da es sich auf die Inhaltevon Kommunikation konzentriere und es in diesem Modell darum gehe, richtigere,wahrere Informationen zu verbreiten (1998: 66). Die Form des Gesagten sei aber ge-nauso wichtig wie die Botschaft, da die Sprache selbst nicht nur ein Mittel, sondern„Machtformation“ sei (1998: 68). Radio Alice habe drei wichtige Debatten eingeführt:Erstens die Debatte um das Radio als Sender der Bewegung, in dem die Akteure selbstzu Wort kommen. Zweitens die Debatte um Sprache als Praxis, also um die praktischeBedeutung dessen, wie im Radio gesprochen wird. Und drittens die Debatte um die In-formatisierung der Gesellschaft als kapitalistischem Prozess, in dem Information zurWare wird (1998: 71 – 79).

In Anlehnung an Enzensberger (1997) unterscheidet Ulrich Wenzel zwischen einerrepressiven und einer emanzipatorischen Radioproduktion. Er betont, dass die re-pressive Form von Rundfunkästhetik in allen Formen von Radios stattfindet (Wen-zel 1998a: 28). Sendungen dieser Art informierten niemanden, sondern vereinheit-lichten und verdichteten das Publikum.10 Aufgabe einer emanzipatorischen Radio-

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8 Ein Beispiel, diese Theorien in diesem Sinne auch anzuwenden, ist ein von Dieter Baacke (1974)herausgegebener Sammelband. Darin werden Medientheorien, die die bürgerlichen Medien an-greifen und kritisieren, von Medienarbeitern aus diesen bürgerlichen Medien auf ihre Brauch-barkeit für deren Medienpraxis hin untersucht.

9 Vergleiche auch Lovink (1992) und Agentur Bilwet (o. J.).10 Vergleiche zu der Verdichtung und Vereinheitlichung des Publikums durch eine repressive Ra-

dioästhetik auch Wenzel (1998b); zur Diskussion um Einschaltquoten und Durchhörbarkeit imfreien Radio auch Klug & Wenzel (1996).

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praxis wäre es hingegen, die Bedingungen des Sprechens und Hörens zu ändern, also „nicht Sinn zu stiften, sondern Sinn rekonstruktiv zu befragen und gleichzeitig zudekonstruieren“ (1998a: 28). Marcel Stötzler geht in seiner Analyse des Sprach-gebrauchs im freien Radio von der Unterscheidung Humboldts zwischen einemGeschäftsgebrauch der Sprache, in dem Sprache als Zeichen gebraucht wird, und einemrednerischen Gebrauch der Sprache, in dem sie eine Sprache des Verstandes und desGefühls ist, aus (1998: 7). Der rednerische Gebrauch der Sprache sei die Sprache des Feierabends und der befreiten Zeit und müsse daher auch die Sprache des freienRadios sein. Nur ein ungenauer Sprachgebrauch böte die Möglichkeit der Subver-sion und Abweichung. Da Medienpraxis eine Dimension gesellschaftlicher Praxis sei,müsse sie sich fragen, welchen Beitrag sie zur Überwindung des Kapitalismus leistenkönne.

Zusammenfassend lässt sich aus den angeführten theoretischen Überlegungen ableiten, worin das emanzipatorische Potenzial freier Radios vor allem bestehen könn-te: • Zum Ersten bietet freies Radio die Möglichkeit zur Entzauberung des Mediums Hör-

funk. Indem freies Radio vorführt, dass Jede Radio machen kann, dass Jeder ein Ex-perte des Alltags ist, nimmt es dem Radio in seiner herkömmlichen Form die Aurades allwissenden, immer Recht habenden Mediums. Zudem zeigt freies Radio, wieRadio gemacht wird, und entblößt damit seine Techniken, auch die der Manipulationund Verzerrung.

• Zweitens kann freies Radio den Akteuren das Wort geben und durch die Einbezie-hung der Hörer Debatten initiieren. Über Ereignisse wird nicht aus einem anderenBlickwinkel berichtet, sondern es wird darüber von denjenigen berichtet, die Akteu-re dieser Ereignisse sind. Freies Radio ist kein Stellvertreter gesellschaftlicher Kräfte,sondern es erteilt diesen Kräften selbst das Wort. Schon 1977 postulierte die FRED,die italienische Vereinigung demokratischer Radiosender: „Es ist nicht wichtig zu be-richten, dass in der Soundso-Schule das Direktorzimmer besetzt gehalten wird; son-dern wichtig ist, daß die Schüler, die die Aktion durchführen, es selbst sagen und sichbeim Sprechen gleichzeitig über den Sender hören“ (1977:141).

• Eine solche Praxis hat zur Konsequenz, dass sich auch die Sprache des freien Radiosgrundsätzlich von der anderer Radios unterscheidet. Die Sprache des freien Radiosist daher, drittens, die Sprache des Alltags, nicht die Sprache des Geschäftsgebrauchs.Während Letztere darauf angewiesen ist, ihren Gegenstand möglichst genau und ein-deutig zu bezeichnen, keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, lebt ein freiesRadio gerade von einem ungenauen Sprachgebrauch, der das Nicht-Ganz-Verstehenund das Missverständnis einkalkuliert. Erst dies ermöglicht eine produktive Ausein-andersetzung mit den Inhalten des freien Radios. So sendet ein freies Radio keine ab-geschlossenen Botschaften, sondern Anstöße für eine Auseinandersetzung, die wei-tergeführt werden muss.

• So folgt dann viertens auch, dass Objektivität nicht die Zielstellung eines freien Ra-dios sein kann. Freies Radio muss subjektiv sein. Aber nicht subjektiv im Sinne einerredaktionellen Linie, sondern immer wieder subjektiv einen anderen Standpunkt ein-nehmend, je nachdem, wer gerade spricht. Diese Subjektivität wird vor den Hören-den nicht verschleiert, sondern muss es ihnen ermöglichen, sich mit den Positionender Sendenden auseinander zu setzen.

Freies Radio bietet also keinen alternativen Journalismus an, der den Hörenden zwarsagt, was richtig und was falsch ist, nur eben anders als die anderen Radiosender. Freies

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Radio macht gar keinen Journalismus. Es kann hingegen grundsätzlich das Verhältniszwischen Hörerinnen und Macherinnen verändern, indem die Hörerinnen prinzipielljederzeit zu Macherinnen werden können, indem die Rückkopplung der Hörer in dieSendungen eingeplant ist und der Sender selbst in der Verfügungsgewalt von Macherin-nen und Hörerinnen liegt.

3. Gespräche im freien Radio: eine Konversationsanalyse

3.1 Methodisches Vorgehen

Da dieses Potenzial ausschließlich auf der Grundlage theoretischer Überlegungen zufreien Radios gewonnen wurde, soll im Folgenden empirisch überprüft werden, ob undwie sich das tatsächliche Programm eines freien Radios von dem anderer Sender unter-scheidet. Dazu wurden insgesamt zwölf aktuelle Informationssendungen der MonateDezember 1998 sowie April und Mai 1999 bei coloRadio in Dresden mittels einer Kon-versationsanalyse untersucht. Diese Methode ermöglichte es, vor allem die Organisati-on der in diesen Sendungen geführten Gespräche zu analysieren, den Schwerpunkt derUntersuchung also nicht auf die Inhalte der getätigten Äußerungen zu legen, sondern zuuntersuchen, ob die Besonderheit freier Radios tatsächlich, wie oben angenommen, vorallem in dem von ihnen organisierten spezifischen Verhältnis von Hörern und Machernliegt.

Ursprünglich wurde die Konversationsanalyse von Harvey Sacks und EmanuelSchegloff in den 60er Jahren für die Analyse alltäglicher Gespräche entwickelt. Dabeigeht es ihr um die Frage, wie Menschen in ihren alltäglichen Interaktionen Wirklich-keit reproduzieren. Ziel der Konversationsanalyse ist es, grundlegende Strukturen undRegelmäßigkeiten in sozialen Interaktionen zu bestimmen (vgl. Heritage, Clayman & Zimmerman 1988: 80) und zu zeigen, wie diese Ordnung in den Gesprächen mani-fest wird (vgl. Bergmann 1981: 16). Grundannahme der Konversationsanalyse ist da-her, dass die Ordnung in den Gesprächen eine von den Beteiligten jeweils situa-tionsabhängig produzierte, in den Interaktionen ausgehandelte Ordnung ist, an dersich die Beteiligten auch selbst orientieren und die sowohl wiederholbar ist, als auch wiederholt auftritt. Aufgabe des Forschers ist es, diese Ordnung zu entdeckenund zu beschreiben und sie vom konkreten Gesprächsgegenstand verallgemeinerndund abstrakt darzustellen (vgl. Psathas 1995: 2 – 3). Eine solche grundlegende Ord-nung muss es geben, da prinzipiell die Interaktionsform Gespräch bei jeglichem Gradvon Bekanntheit der Gesprächspartnerinnen und zwischen jeglichen Personen mög-lich ist. Um dies zu ermöglichen, muss dieses System von Gesprächsregeln gleich-zeitig kontextfrei und kontextsensitiv sein. Das heißt, das zugrunde liegende Sys-tem ist unabhängig vom Kontext des Gespräches, passt sich aber in dem konkre-ten Gespräch dem Kontext an (vgl. Sacks, Schegloff & Jefferson 1974: 699 – 700). Der Kontext ist dabei in den Handlungen der an der Interaktion Beteiligten vorfindbar.Er wird in der Interaktion reflektiert und verändert (vgl. Heritage & Greatbatch 1991:94).

Die Praktiken mittels derer alltägliche Gespräche geführt werden, sind grundlegendePraktiken der Interaktion. Institutionalisierte Interaktionen bauen auf diesen all-täglichen Praktiken auf und können durch ihre Abweichungen von diesen alltägli-chen Praktiken beschrieben werden (vgl. Heritage & Greatbatch, 1991). Insbesondereim angelsächsischen Sprachraum sind eine Reihe von konversationsanalytischenStudien zu Nachrichteninterviews unternommen worden. Daraus lassen sich die

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folgenden Unterschiede zwischen Nachrichteninterviews und Alltagsgesprächen be-schreiben:11

1. Im Nachrichteninterview gibt es lediglich Redezüge der Formen „Frage“ und „Ant-wort“, wobei die Art des Redezuges für die Beteiligten vorher festgelegt ist: Die In-terviewerin fragt und der Interviewte antwortet. Dies hindert die Interviewerin je-doch prinzipiell nicht daran, ihre Frage einzuleiten und zu begründen. Der Inter-viewte erkennt aber den einleitenden Charakter dieser Fragevorbereitungen und war-tet deshalb mit seinem Redezug, bis eine Frage formuliert wurde. Interviewerin undInterviewter arbeiten also gemeinsam an der Produktion der Form „Nachrichtenin-terview“.

2. Die Beteiligten vermeiden die Äußerung von Rezipientensignalen. Während in all-täglicher Kommunikation das Verständnis des Gesagten durch Äußerungen wie„ah“, „ja“ oder „hm“ bestätigt wird oder gerade Gehörtes durch Äußerungen wie„gut“ oder „genau“ bewertet werden, sind diese Signale in Nachrichteninterviewskaum zu finden. Die Interviewer enthalten sich sogar systematisch irgendwelcher Be-wertungen.

3. In Nachrichteninterviews sind die einzelnen Redezüge meist sehr lang. Sie bestehenaus vielen Einheiten, die ohne Rezipientensignale aneinander gereiht werden. Dieselangen Redezüge erwarten Interviewerinnen auch von den Interviewten, was sich im-mer dann deutlich zeigt, wenn die Interviewten nur ganz kurz antworten. Dann ent-steht meist eine kurze Pause.

4. Das Recht der Zuweisung von Redezügen ist extrem asymmetrisch verteilt. Die In-terviewten können Gespräche weder eröffnen noch beenden, sie können sich selbstkein Rederecht zuweisen, außer wenn mehrere Personen gleichzeitig interviewt wer-den. Die Interviewerinnen haben das Vorrecht, das Thema des Gespräches zu be-stimmen, und Interviewte müssen große Anstrengungen unternehmen, um im Fra-ge-Antwort-Schema zu bleiben, wenn sie eine Frage nicht beantworten wollen.

Mittels der konversationsanalytischen Untersuchung der Sendungen bei coloRadio inDresden sollte nun festgestellt werden, welche Regeln die Beteiligten für die Organisa-tion ihrer Gespräche im freien Radio verwenden, wie sich also die Institution freies Ra-dio in den Sendungen durch die Handlungen der Beteiligten bildet. So kann herausge-arbeitet werden, welche Alltagsmethodologie die Beteiligten verwenden, um den spezi-ellen Ausschnitt von Wirklichkeit und sozialer Ordnung, den freies Radio darstellt, zuerzeugen. Untersucht werden muss dazu die alltägliche Produktion der sozialen Wirk-lichkeit „freies Radio“. Ist diese Alltagsmethodologie freigelegt, dann können – auch imVergleich mit Studien zum Sprechen im Alltag einerseits und zum Sprechen in Nach-richteninterviews andererseits – Schlussfolgerungen gezogen werden, was ein freies Ra-dio tatsächlich leisten kann.

3.2 Beispiele

Die Untersuchung zeigt, dass es eine Vielzahl unterschiedlicher Systeme von Ge-sprächsorganisationen im freien Radio gibt. Im Folgenden wird diese Vielfalt an einemBeispiel dargestellt, in dem sich die unterschiedlichen Systeme von Gesprächsorganisa-tionen, die in der Analyse vorgefunden wurden, wiederfinden. Die folgenden Ausschnitte

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11 Vergleiche zum Folgenden Heritage, Clayman & Zimmerman (1988); Heritage (1985) und He-ritage & Greatbatch (1991).

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stammen aus einem Interview, das im Magazin, einer regelmäßigen Informationssen-dung auf coloRadio, am 10. Dezember 1998 ausgestrahlt wurde und in dem sich die Mo-deratorin mit einer Abgeordneten über eine Sitzung des Dresdner Stadtrates unterhält.12

(01) Transkript: coloRadio-Magazin, 10.12.98, Ausschnitt: Stadtrat, Elli-Moderatorin, Vera-am Telefon

1. Elli: [a=ha;]2. Vera: [und ] muss ne sehr große mehrheit geben. und3. (-) die frau, die de- die jetz gewählt worden4. is, war vorschlag des obs, seine5. Wunschkandidatin; hat- war aber nich, eh ich6. sag ma; nich die idealfrau von (.) vielen7. frauen im stadtrat. also es war (-) wir finden8. sie sympathisch; aber es war nich die frau;9. die wir uns fachlich und auch so von der10. zusammenarbeit der frauenprojekte her mit- als11. Gleichstellungsbeauftragte gewünscht hätten.12. die frauenprojekte ham ne andere frau (-)13. favorisiert. und eh wir hatten eigentlich14. gehofft, dass wir im stadtrat dann noch mal15. darüber diskutieren können, zumal zwei16. ausschüsse sich damit beschäftigt hatten im17. stadtrat, und zu verschiedenen voten (-)18. gekommen sind. die einen- der eine ausschuss19. hat die kandidatin des oberbürgermeisters20. favorisiert, marianne schulz, aus meißen, der21. andere ausschuss hat die- eine andere22. kandidatin favorisiert; doktor pino olbricht23. aus dresden; die auch eine bündnisgrüne ist.24. (- -) aber die diskussion hat=s nicht gegeben;25. und das wurde ganz schnell abgestimmt; und eh26. frau (.) marianne schulz ist neue27. Gleichstellungsbeauftragte.38. Elli: und wie kam es jetz zu- dass dass genau sie (.)29. in der abstimmung favorisiert wurde?30. Vera: genau; weil eben (.) die meisten stadträte31. sich dann dazu gar nicht geäußert haben.32. (- - -)

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12 Die unterschiedlichen Systeme lassen sich an vielen Beispielen aus unterschiedlichen Sendun-gen zeigen. Um den inhaltlichen Kontext deutlich zu machen, beschränkt sich die Darstellungder Ergebnisse im Folgenden auf ein Beispiel, in dem sich alle diese Systeme finden. Das heißtjedoch nicht, dass die Analyse nur für dieses eine Beispiel vorgenommen wurde. Für die Orga-nisation des Gespräches spielt es – wie sich aus dem Vergleich mit anderen Gesprächen ergibt –keine Rolle, dass es sich bei der Gesprächspartnerin um die Inhaberin einer (wenn auch sehr be-schränkten) politischen Machtposition handelt. Ein Verzeichnis der verwendeten Transkrip-tionssymbole findet sich im Anhang.

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Bei diesem Transkriptausschnitt fällt zuallererst auf, dass er mit einem verhältnismäßiglangen Redezug von Vera, der interviewten Stadträtin, beginnt. Dies ist typisch zumin-dest für den ersten Teil des Gespräches zwischen Vera und Elli. Mit einem Rezeptions-signal zeigt Elli in Zeile 01 kurz an, dass Vera ruhig weiterreden soll (auch vorher ginges schon um das selbe Thema). Vera nutzt die Gelegenheit dann auch ausgiebig. DieÜberlappung in den Zeilen 01 und 02 zeigt dabei, dass sie eigentlich auch noch gar nichtzum Ende gekommen war. Der sehr lange Redezug von Vera besteht dann aus einerVielzahl kleiner Einheiten, die im Prinzip schon für sich einen abgeschlossenen Rede-zug bilden könnten. Durch die stark fallende Intonation in Zeile 27 sowie den zusam-menfassenden Satz in den Zeilen 25 bis 27 signalisiert Vera der Moderatorin, dass sie nundoch mit ihrem Redezug zu Ende ist und gibt Elli die Chance, sich selbst als nächsteSprecherin auszuwählen. Dies tut Elli dann auch und nutzt ihren Redezug für eineNachfrage zu Veras Ausführungen, die diese aber nicht beantworten kann.

Bis hierhin sieht das Gespräch zwischen Elli und Vera wie ein ganz gewöhnlichesNachrichteninterview aus. Elli produziert Redezüge, die als Fragen interpretierbar sind,Vera produziert Redezüge, die als Antworten gedeutet werden können und Elli unter-lässt – von ihrem „aha“ in Zeile 01 einmal abgesehen – spontane Empfangsbestätigun-gen. Ähnlich geht es auch erst einmal weiter.

(02) Transkript: coloRadio-Magazin, 10.12.98Ausschnitt: Stadtrat (Fortsetzung)Elli Moderatorin, Vera am Telefon

33. (- - -)34. Elli: also-35. (- -) 36. ehm beschlussvorlage, abstimmung, und damit37. gut.38. Vera: ja. ja. nu. die wollten einfach ne39. entscheidung treffen.40. Elli: und (.) wie könnte man das in zukunft41. verhindern?=weil, es gibt ja nun m=mehr leute42. die mit och ner gleichstellungsbeauftragten43. Zusammenarbeiten müssen,44. Vera: ich glaube frauenpolitik is n thema was45. unheimlich eingefordert werden muss. ich erlebe46. (.) den stadtrat schon als also so ein eh man47. sagt oft old men network; also will sagen, die48. entscheidensten leute sind meistens männer; es49. gibt relativ wenig frauen im stadtrat und noch50. relativ wenig jüngere frauen; ich bin nun51. inzwischen mit dreiundreißig immer noch die52. jüngste stadträtin; was ich wirklich sehr53. schade fi(h)inde,

Die Pausen in den Zeilen 33 und 35 machen deutlich, dass Elli eigentlich eine längereAntwort von Vera erwartet hatte. Diese hatte lediglich drei Zeilen (Zeilen 30 – 32) fürihre Antwort benötigt, also einen sehr kurzen Redezug getan. Elli weist sich dann aberselbst das Rederecht zu, obwohl sie in dem Moment — wie die Pause in Zeile 35 deut-

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lich macht — gar nicht sofort etwas zu sagen weiß. Damit erkennt sie an, dass sie als In-terviewerin das Recht und die Pflicht hat, das Rederecht zuzuweisen, also auch zu redenhat, wenn niemand sonst redet. In diesem Fall „rettet“ sich Elli in eine Standardformu-lierung von Interviewern, indem sie der Interviewten eine kooperative Wiederholung13

anbietet. Sie formuliert deren Positionen noch einmal zusammenfassend (Zeilen 36 – 37)und gibt Vera damit die Möglichkeit, ihre Äußerung noch einmal zu bekräftigen, was sieauch tut (Zeilen 38 – 39). Darauf stellt Elli eine Frage nach der Konsequenz dieser Ent-scheidung, die Vera eigentlich nicht beantwortet. In ihrem Redezug in den Zeilen 44 bis53 führt sie stattdessen ein anderes Thema ein, das die Moderatorin gerne aufnimmt, wiedie Fortsetzung des Gespräches zeigt.

(03) Transkript: coloRadio-Magazin, 10.12.98, Ausschnitt: Stadtrat (2. Fortsetzung)Elli-Moderatorin, Vera-am Telefon

54. Elli: ja: [is auch ]55. Vera: [haha und] man muss, man muss wirklich sehen56. dass jetzt mal jüngere frauen kandidieren. und57. da auch in stadtrat kommen; und da power58. machen.59. (- - -)60. Elli: [( ) ]61. Vera: [und ] von=ner öffentlichkeit her müssen wir62. auch power machen. also mein vorschlag;63. coloradio macht mal eine sendung über64. gleichstellungspolitik in dresden. also wir65. brauchen ja in jedem fall n neuanfang. das amt66. war lange unbesetzt, die frauenprojekte ham67. darunter gelitten, ham jetz auch eh im68. haushalt eh sehr sehr=sehr um ihre gelder69. ringen müssen; nich völlig erfolglos; aber70. auch nich völlig erfolgreich, die situation is71. da natürlich auch prekär.72. Elli: gut. machst=u mit bei der sendung?73. Vera: gerne,74. Elli: könnten wir uns drauf einichen.75. Vera: o=[kay ]76. Elli: [okay,] was gab=s sonst noch?77. Vera: das war=s eigentlich.78. Elli: nun gut; (-) dann dank=ich dir erst ma für79. heute.80. Vera: auf bald. tschü=[hüß ]81. Elli: [tschüß.]

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13 Damit ist Heritages „cooperative recycle” gemeint (1985: 106 – 108). Dies bedeutet, dass eineInterviewerin einem Interviewer eine Nachfrage stellt, die es ihm ermöglicht, seine schon dar-gelegte Position noch einmal ausführlich zu erläutern.

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In Zeile 54 beginnt Elli dann die Form des Interviews zu durchbrechen. Nicht nur akzeptiert sie die Themensetzung durch die Interviewte, sie stimmt dieser auch nochexplizit zu, verlässt also ihren neutralen Standpunkt als Moderatorin. Dies nimmtwiederum Vera zum Anlass, in den Zeilen 55 bis 58 einen politischen Aufruf zu täti-gen. Mit einer Pause (Zeile 59) zeigt sie der Moderatorin dann an, dass sie ihren Rede-zug beendet hat. Die Moderatorin reagiert darauf nicht sofort, was dazu führt, dass so-wohl Moderatorin als auch die Interviewte gleichzeitig zu reden anfangen und sich so-mit ihre Äußerungen für einen kurzen Zeitraum überlappen (Zeilen 60 und 61). Elliüberlässt Vera wiederum den Redezug, die daraufhin noch einmal zum Handeln auf-fordert.

Interessant ist vor allem, dass sie hier im Radio das Radio selber thematisiert, wennVera in den Zeilen 62 bis 64 vorschlägt, coloRadio solle mal eine ganze Sendung derGleichstellungspolitik widmen. Noch erstaunlicher, jedenfalls im Kontext eines Nach-richteninterviews, ist die Reaktion der Moderatorin auf diesen Vorschlag. Sie fragt nach,ob sich Vera denn an der Produktion einer solchen Sendung beteiligen würde (Zeile 72),was diese zusagt (Zeile 73). Die Selbstverständlichkeit mit der beide diese Selbstthema-tisierung des Senders behandeln — weder reagiert die Moderatorin in irgendeiner Artirritiert auf den Vorschlag der Interviewten, noch ist diese verwundert über die Idee El-lis, Vera solle sich an der Produktion dieser Sendung beteiligen — zeigt, dass es für bei-de nichts Außergewöhnliches ist, dass in diesem Sender öffentlich über die Art und Wei-se der Produktion von Sendungen geredet wird, und dass Sendungen nicht von bezahl-ten Redakteurinnen, sondern interessierten Laien produziert werden. Offensichtlichwird hier dieses Wissen auch bei den Hörern vorausgesetzt.

Mit dem Abschluss dieser Abmachung durch die Moderatorin in Zeile 74 erhält die-ses Gespräch dann endgültig eine andere Struktur. Inhaltlich kehren die Gesprächspart-nerinnen zwar noch einmal zum Interviewthema, der Sitzung des Stadtrates zurück, vonder Form her, also insbesondere in Bezug auf die Regeln des Sprecherwechsels und desRechtes der Redezugzuweisung, führen Elli und Vera nun aber ein Gespräch, dass sicheher an den Regeln von Alltagsgesprächen orientiert. Es gibt vergleichsweise kurze Re-dezüge, kurze Überlappungen und das Recht der Redezugzuweisung liegt nicht mehralleine bei der Moderatorin. Die beiden Gesprächspartnerinnen sind also von einem Ge-spräch, das von den Regeln der Gesprächsführung her einem Nachrichteninterview sehrähnlich ist, übergegangen zu einem Gespräch, das eher nach den Regeln von Gesprächenim Alltag funktioniert. Diesen Übergang haben sie völlig unauffällig und anstrengungs-los bewältigt, ohne dass bei einem einfachen Hören ein Bruch im Gespräch auffällig ge-worden wäre. Offensichtlich verfügen also die Beteiligten dieses Gespräches über dieFähigkeit, ein Nachrichteninterview zu führen, ebenso wie ein alltägliches Gespräch zuführen. In ihrem Gespräch im Radio sind sie dann in der Lage, zwischen diesen beidenGesprächsarten zu wechseln.

Diese beiden Pole kann man in Anlehnung an Atkinson (1982) als Orientierung aufeine formelle Interaktion und Orientierung auf eine informelle Interaktion bezeichnen.Dabei zeichnet sich die Orientierung auf eine formelle Interaktion dadurch aus, dass sichdas Gespräch nach den für Nachrichteninterviews üblichen Regeln richtet. Insbesonde-re besteht es aus verhältnismäßig langen Redezügen. Diese beinhalten jeweils mehrereEinheiten, die jede für sich einen abgeschlossenen Redezug bilden könnten. Die an demGespräch Beteiligten enthalten sich der Äußerung von Rezipientensignalen. Die Mode-ratorin tätigt ausschließlich Äußerungen, die als Frage interpretiert werden können. Sietrifft Vorkehrungen, ihre Neutralität aufrecht zu erhalten. Die Interviewte hingegentätigt ausschließlich Äußerungen, die als Antwort interpretierbar sind. Die Beteiligten

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folgen in ihrem Gespräch im Wesentlichen einem vorher vor allem von der Moderato-rin festgelegten Plan. Das Recht der Redezugzuweisung liegt ausschließlich bei der Mo-deratorin. Das Gespräch wird ausschließlich für das mithörende Publikum geführt. DieModeratorin zeigt durch ihre Äußerungen, dass sie selbst das Erfragte schon weiß, undbenutzt den Bezug auf die Hörerinnen für Fragebegründungen.

Eine Orientierung auf eine informelle Interaktion zeichnet sich hingegen durch diefolgenden Eigenschaften aus: Das Gespräch weist die für Alltagsgespräche typischenMerkmale auf. Insbesondere sind die einzelnen Redezüge relativ kurz. Es kommt zu vie-len, aber kurzen Überlappungen. Die an dem Gespräch beteiligten Personen zeigendurch Rezipientensignale ihrem Gesprächspartner ihre Aufmerksamkeit und ihr Ver-stehen oder Nichtverstehen an. Der Verlauf des Gespräches zeigt einen relativ hohenGrad an Spontaneität, und die Redezüge der Beteiligten sind stärker als bei der formel-len Orientierung aufeinander bezogen. Das Recht der Redezugzuweisung liegt nichtausschließlich bei der Moderatorin. Ihr bleibt es aber vorbehalten, das Gespräch zueröffnen und zu beenden. Das Gespräch wird sowohl für die Beteiligten als auch für dasmithörende Publikum geführt. Die Gesprächsbeteiligten lassen erkennen, dass ihnen dieExistenz des mithörenden Publikums bewusst ist. Ihr Gespräch zeigt aber auch, dass dieModeratorin aus einem Interesse für den Gesprächsgegenstand heraus fragt und ihr dieAntworten nicht vorher bekannt sind.

In einer Vielzahl von Beispielen lassen sich die verschiedenen Ausprägungen dieserRegeln sowie das Vorkommen von Zwischenstufen in den Gesprächen im Magazin voncoloRadio zeigen. Die Besonderheit von Gesprächen im freien Radio besteht also gera-de in der Möglichkeit, zwischen diesen beiden Polen mühelos hin und her zu wechseln.Sogar innerhalb eines einzigen Gespräches ist es möglich, dass von einer Orientierungzu einer anderen Orientierung gewechselt wird. Die Regeln des Sprecherwechsels sindin diesen Gesprächen in unterschiedlichem Ausmaß vorher festgelegt. Sie sind allerdingsnie völlig undeterminiert, da selbst in den Gesprächen, die ansonsten sehr stark Ge-sprächen im Alltag ähneln, zumindest das Recht der Eröffnung und der Beendigung vonGesprächen beim Moderator liegt.

4. Zusammenfassung

Wie oben beschrieben, können Abweichungen vom Regelsystem für die Organisationvon Gesprächen im Alltag zurückgeführt werden auf den institutionellen Kontext, indem diese Gespräche geführt werden. Zusammenfassend lassen sich damit folgende, inder Institution „freies Radio“ mögliche kommunikativen Praktiken beschreiben:1. Im freien Radio können Gespräche realisiert werden, die Nachrichteninterviews

sind, die also Personen die Gelegenheit geben, auf Fragen zu Geschehnissen und Ein-stellungen zu antworten, wobei beide (oder alle) Gesprächspartner nicht aus ihrenRollen als „Interviewerin“ beziehungsweise „Interviewter“ fallen.

2. Zusätzlich können im freien Radio aber auch Gespräche geführt werden, die es denBeteiligten erlauben, die Rollen „Interviewer“ und „Interviewte“ zu verlassen. Diesbedeutet insbesondere, dass der Interviewer keine Vorkehrungen mehr treffenmuss, um seine Neutralität zu wahren, und die Interviewte selber Themen setzenkann.

3. Die Agierenden im freien Radio sind in der Lage, zwischen diesen Gesprächsformenzu wechseln. Dies kann von Gespräch zu Gespräch, aber auch innerhalb eines Ge-spräches geschehen.

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Obwohl sich die Untersuchung auf Sendungen in einem freien Radio beschränkt hat,scheint eine Verallgemeinerung für alle bundesdeutschen freien Radios aufgrund ähn-licher Praxis zumindest plausibel. Eine Verallgemeinerung der getroffenen Aussagen fürnichtkommerzielle Radios, die sich nicht als freie Radios verstehen, scheint jedoch nichtzulässig, da die untersuchten Formen von Gesprächen eng mit dem eingangs beschrie-benen Selbstverständnis freier Radios zusammenhängen. Wo vor allem der Anspruchnicht besteht, zum einen das Verhältnis zwischen Hörerinnen und Machern zu verän-dern und zum anderen vorrangig diejenigen zu Wort kommen zu lassen, die sonst kaumeine oder gar keine Chance haben, ihre Meinungen im Rundfunk zu verbreiten, da wer-den auch die im Programm vorfindbaren Gesprächsstrukturen andere sein. Ebenfallsnicht übertragbar sind die Ergebnisse dieser Untersuchung auf Offene Kanäle. Da dortredaktionelle Strukturen – wenn überhaupt – nur in Teilbereichen existieren, könnenAussagen über Gesprächsorganisationen im Offenen Kanal immer nur in Bezug auf re-daktionell zusammenhängende Programmteile gemacht werden. Für beide Rundfunk-arten wie für andere freie Radios gibt es jedoch bis jetzt keine empirischen Daten, diezum Vergleich herangezogen werden könnten.

Für die freien Radios lässt sich konstatieren, dass den dort Agierenden mehr Mög-lichkeiten der Äußerung zur Verfügung stehen, als wenn sie ihre Gespräche nur über dieForm des Nachrichteninterviews realisieren könnten. Dies bedeutet, dass im freien Ra-dio nicht nur andere Themen als in anderen Medien vorkommen können, sondern dassdie Art, wie Gespräche im freien Radio organisiert werden können, eine andere als inprofessionellen Medien ist. Die größere Alltagsnähe, die die Strukturen der Gesprächeim freien Radio auszeichnet, ermöglicht es auch denjenigen, die nicht über die Kompe-tenz verfügen, ein Nachrichteninterview zu geben, trotzdem Gespräche im freien Radiozu führen. Die freien Radios können also eine wesentliche Bereicherung der Medien-landschaft sein, wenn sie genau diese Art der Kommunikation in ihren Sendern beför-dern und nicht vorrangig alternativen Journalismus betreiben. Andere Themen kommenheute auch in anderen Medien vor, werden dort aber häufig ihres gesellschaftskritischenPotenzials beraubt. Dieses gesellschaftskritische Potenzial können die freien Radiosihnen zurückgeben, wenn sie ein Sprechen im Radio aktiv befördern, das Beteiligungermöglicht und herausfordert. Auf diesem Weg können sie das ihnen innewohnendePotenzial auch einlösen.

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Transkriptionssymbole

[ Beginn einer Überlappung oder Simultansprechen] Ende einer Überlappung oder Simultansprechen= schneller, unmittelbarer Anschluss(.) (-) (- -) (- - -) sehr kurze Pause; kurze, mittlere, längere Pause (0,25s; 0,5s; 0,75s)( ) Äußerung unverständlichso(h)o Lachpartikel beim Redenja betont gesprochen? stark steigende Intonation, schwach steigende Intonation; schwach fallende Intonation. stark fallende Intonationwaru- Abbruch eines Wortes oder einer Äußerung

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Weiterentwicklung oder Auslaufmodell?

Systemtheoretische Ansätze in der Journalis-musforschung – eine Sammelrezension

Stefan FrerichsBausteine einer systemischen Nachrichten-theorieKonstruktives Chaos und chaotische Kon-struktionenWiesbaden: Westdeutscher Verlag, 2000. – 446 S.ISBN 3-531-13505-8

Martin Löffelholz (Hrsg.)Theorien des Journalismus.Ein diskursives Handbuch

Wiesbaden: Westdeutscher Verlag, 2000. – 579 S.ISBN 3-531-13341-1

Stefan WeberWas steuert Journalismus? Ein System zwischen Selbstreferenz undFremdsteuerungKonstanz: UVK, 2000. – 200 S.(Reihe Forschungsfeld Kommunikation; 12),ISBN 3-89669-293-3

Einer Theorie zu bescheinigen, dass sie (be-reits) den Mainstream der Forschung ausmacht,ist ein ambivalentes Kompliment. Zum einenwird der betreffenden Theorie damit zuge-schrieben, dass sie einen wichtigen Platz ein-nimmt, zum anderen ist es nicht gerade intel-lektuell anregend, den Mainstream zu bilden –man will doch lieber zur Avantgarde gehören.Die Systemtheorie hat sich zweifelsohne in derJournalismusforschung etabliert. Ob sie diesetatsächlich dominiert, lässt sich nur schwer be-urteilen, denn das würde bedeuten, dass sich dieMehrheit der WissenschaftlerInnen diesen An-satz einverleibt hat und andere Paradigmen nur(noch) einen minoritären Status haben.

In der Journalismusforschung könnte mandurchaus zu diesem Eindruck gelangen, aller-dings resultiert er daraus, dass vor dem Auf-kommen der Systemtheorie dieses Gebiet ziem-lich untheoretisch beforscht wurde. Praktischim Alleingang hat Manfred Rühl seit Ende der60er Jahre die Systemtheorie in die Journalis-musforschung eingeführt und in der Folgezeiteinige Redaktionsstudien angeregt. Ab Mitteder 70er Jahren knüpfte Siegfried Weischenberg

daran an. Dominierendes Paradigma blieb je-doch die empirisch-analytische Verhaltens-theorie, wie sie von den Mainzer Kommunika-tionswissenschaftlern Hans Mathias Kepp-linger und Wolfgang Donsbach in zahlreichenStudien vertreten wurde. Eine breite Übernah-mewelle der Systemtheorie rollte erst im Gefol-ge des Funkkollegs „Medien und Kommunika-tion“ zu Beginn der 90er Jahre an. Nicht nurWeischenberg selbst und nach wie vor Rühlblieben im Geschäft, sondern etliche Disserta-tionen vertieften den systemtheoretischen An-satz.

Anfang des neuen Jahrzehnts ist die Zeit reiffür eine Bilanz, und dafür eignen sich die dreiim Folgenden näher vorzustellenden Publika-tionen. Insbesondere stellt sich die Frage, obdie Entwicklung der mittlerweile etabliertenSystemtheorie stagniert und einen saturiertenStillstand erreicht hat oder ob sie sich weiter-entwickelt und möglicherweise sogar kon-kurrierende Paradigmen einbeziehen kann. Umes vorwegzunehmen: Die konstruktivistischeSystemtheorie ist noch lange nicht am Ende ih-rer Erklärungskraft, sondern durchaus in derLage, sich intern auszudifferenzieren, Kritikkonstruktiv zu verarbeiten und Fehler zu behe-ben.

1. Stefan Weber: Was steuert Journalismus?Ein System zwischen Selbstreferenz undFremdsteuerung

Die Monografie von Stefan Weber mit dem ab-sichtlich doppeldeutigen Titel „Was steuertJournalismus?“ zeugt von einem Unbehagenmit einigen Prämissen und Konsequenzen vonSystemtheorie und Konstruktivismus. Es mageine eigenwillige Interpretation des gleicher-maßen theoretisch ambitionierten wie empiri-schen Forschungsberichts sein, wenn man dieStudie in erster Linie als Versuch auffasst, dieDefizite der Systemtheorie im empirischen Be-reich zu beheben, aber von hier aus lassen sichviele Anstrengungen Webers plausibel machen.Für Weber ist die Systemtheorie Luhmanns zuvoraussetzungsreich und zugleich zu restriktiv.Die asymmetrische Modellierung von Systemund Umwelt sperrt seiner Auffassung nach zuviele Fragestellungen aus bzw. vorentscheidetihre Beantwortung. Wenn ein (soziales) Systemvon vornherein als autopoietisch und autonombestimmt wird, dann kann eben dies nicht mehrempirisch überprüft (und gegebenenfalls kriti-siert) werden. Weber deutet sichtbare Trends

LITERATUR

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Besprechungen

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des Journalismus als Indizien für eine möglicheEntdifferenzierung des Journalismus, für dieAufhebung seiner Autonomie und Autopoiese.Dazu zählen die zunehmende Orientierung amwirtschaftlichen Kriterium der Profitabilität,die Anreicherung journalistischer Berichter-stattung mit Unterhaltungselementen oderauch die organisatorische Vermischung derjournalistischen Redaktion mit der Anzeigen-abteilung, um nur einige Faktoren zu nennen.

Sein Vorschlag: Wenn die theoretische Mo-dellierung mit weniger Prämissen belastet wird,kann sie empirisch offener sein. Dazu ergänzter Luhmanns Systemtheorie mit Rodrigo Jo-kischs Distinktionstheorie. Diese lässt offen,ob mit einer symmetrischen Differenz oder miteiner asymmetrischen Unterscheidung gestar-tet wird. Sie umfasst als Systemelemente nebenKommunikation (auf der gesellschaftlichenEbene) auch Entscheidungen (auf der organisa-torischen Ebene) sowie Handlungen und Er-fahrungen (auf der Akteursebene) und ist inso-fern (vermeintlich?) empiriefreundlicher. Luh-manns Autopoiese-Verständnis ist binär (di-chotom), unempirisch, weil nicht messbar,sondern schon vorausgesetzt, und unzeitlich,weil nicht evolutionär. Diese Probleme lösensich auf, wenn Autopoiese graduell verstandenwird: Es gibt dann ein Mehr oder Weniger, wasa) messbar ist und b) historisch-evolutionär dif-ferenziert werden kann.

Allerdings – und hier setzt meine Kritik ein– benennt Weber die Kosten dieser prämissen-armen Variante der Systemtheorie nicht. DerVerweis auf einen zirkulären Konstitutions-prozess von Theorie, Method(ologi)e, Empirieund Praxis scheint mir für die Problemlösungnicht ausreichend, weil in der Forschungspra-xis die Zirkularität unterbrochen werden muss(und auch ständig wird!). Wenn wir für die Er-forschung des Journalismus mit einer (theoreti-schen) Distinktion starten, wie sollen wir dannJournalismus definieren (also aus seiner Um-welt ausgrenzen), wenn nicht asymmetrisch,also perspektivisch einseitig bzw. aus einerRichtung. Die (empirische) Erforschung vonJournalismus setzt immer bereits ein (theoreti-sches) Vorverständnis von Journalismus vor-aus. Es mag sein, dass Luhmanns Systemver-ständnis zu wenig offen ist für empirische For-schung, aber der Umkehrschluss, eine völligoffene Theorie zu entwickeln, ist meines Er-achtens illusionär. Wenn Weber etwa beobach-tet, dass Journalismus eher nach ökonomischen

Profitabilitätskriterien seligiert als nach genuinjournalistischen Kriterien, setzt er mit dieserUnterscheidung (und nicht Differenzierung?)die Autopoiese des Systems Journalismus vor-aus, sonst würde er etwas anderes beobachten.Es ist wahrscheinlich eine Paradoxie in Luh-manns Theorie, dass es soziale System gibt odereben nicht, dass sie autopoietisch und autonomsind oder nicht (logische Dichotomie) und dasssie sich trotzdem entwickelt haben müssen(empirische Gradualität). Diese Paradoxie aufKosten der einen (nämlich theoretischen) Seiteaufzulösen, überschätzt meines Erachtens dieMöglichkeiten der Empirie – darauf komme ichweiter unten zurück. Trotzdem ist die Motiva-tion Webers, sich mit der Empirieferne Luh-manns nicht abzufinden, verständlich.

Ein anderer Vorschlag, mit dem Dilemmaumzugehen, lautete seinerzeit1, Autopoieseund Autonomie sowohl theorielogisch als auchempirisch zu verstehen und die Begriffe damitzu verdoppeln. Grundlage dafür war diegrundlegende Differenz (in Jokischs Sinn nichtUnterscheidung) von Theorie und Empirie, de-ren Überbrückung logisch nicht bruchlos, son-dern nur per plausibler Inferenz erfolgen kann.Autopoiese im theoretisch-logischen Bereichkann demzufolge nicht identisch sein mit Au-topoiese im empirischen Bereich. Dass Weberdiesen Vorschlag ablehnt, ist aus seiner Positi-on konsequent, aber meines Erachtens mit zuvielen theoretischen Folgekosten verbunden.Jede Empirie belastet die Theorie mit logischenProblemen, in den meisten Fällen nur deren Pe-ripherie, aber in Form der methodischen Ope-rationalisierung auch das Zentrum.

Neben der Ergänzung der Systemtheorie mitder Distinktionslogik geht es Weber auch dar-um, den (radikalen) Konstruktivismus um einenon-dualistische Erkenntnistheorie zu erwei-tern. Der Grund liegt darin, dass der Kon-struktivismus die Richtung des realistischenDualismus nur umdreht, aber nicht aufhebt.Während im (hypothetischen) Realismus da-von ausgegangen wird, dass die (objektive)Welt die Erfahrungen schafft, behauptet derKonstruktivismus, dass die Erfahrung die Welterschafft. Die non-dualistische Philosophie Jo-sef Mitterers will auf solche Polarisierungen

Besprechungen

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1 Vgl. Scholl, Armin; Weischenberg, Siegfried (1998):Journalismus in der Gesellschaft : Theorie, Metho-dologie und Empirie, Opladen, S. 51 ff., 147 ff.

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völlig verzichten, um damit ontologisierendenVorstellungen zu entkommen. Zur Realitätwird eine konsequent agnostische Haltung ein-genommen. Über eine unerkennbare Wirklich-keit wird nichts gesagt, nicht einmal, dass sieunerkennbar ist, denn wie sollte ich das wissen?Ziel einer solchen nochmaligen Radikalisierungdes Konstruktivismus ist die Auflösung dieseskonstruktivistischen Paradoxes und die Frei-setzung des Konstruktionsbegriffs für die em-pirische Forschung.

Ich stimme mit Weber überein, dass vieleKonstruktivisten begrifflich dem Dualismusnoch ein wenig verhaftet sind. Allerdings sollteauch hier an mögliche Folgekosten gedachtwerden. Die non-dualistische Erkenntnistheo-rie ist wie der radikale Konstruktivismus einetypische Beobachtung zweiter Ordnung. Be-obachter erster Ordnung sind dagegen in ersterLinie Realisten. Das Beharren von (vielen)Journalisten an der objektiven Wirklichkeitund der wahrheitsgemäßen Berichterstattungist ein Beleg dafür; in zynischen oder selbstkri-tischen Momenten sind sie sich der Konstru-iertheit ihrer Fakten bewusst. Konstruktivis-mus und Realismus bewegen sich demzufolgenicht auf einer logischen Ebene, deswegenmuss ihre Kontroverse auch unentscheidbarsein. Die Rede, dass alle Beobachtung Kon-struktion sei, ist deshalb nicht tautologisch,weil die Konstituenten der Konstruktion un-terschiedlich sind. Konstruktivismus ist derStartpunkt der Beobachtung (zweiter Ord-nung), der dazu dient, verschiedene Konstruk-tionsmechanismen (empirisch) zu erforschen.Es ist kein performativer Widerspruch, dassdiese Erforschung selbst wieder eine Konstruk-tion ist, sondern es ist nur eine reflexive Selbst-anwendung. Die Verlagerung des Konstrukti-onsbegriffes auf die Beobachtung erster Ord-nung, um ihn damit zu gradualisieren, beraubtihn seiner kritischen (soll man sagen dekon-struktivistischen?) Funktion und suggeriert,dass es sich dabei um Erfindungen, bewussteFälschungen (wie im Boulevardjournalismus)und dergleichen handelt, während der reprä-sentationistische Journalist (etwa einer Qua-litätszeitung) subjektiv wahrhaftig berichtet.Diese Verlagerung des Konstruktionsbegriffsin das subjektive Bewusstsein verschenkt je-doch seinen logischen Wert. Der Dualismuswird in der non-dualistischen Philosophie nurnach unten gereicht in den Bereich der Beob-achtung erster Ordnung, bleibt aber dort beste-

hen. Deshalb bedeutet Heinz von FoerstersSatz, dass die Erfahrung die Welt erzeuge, auchkeine bloße Umkehrung der realistischen Prä-ferenz für die objektive Welt, weil der Weltbe-griff der Realisten und der (radikalen) Kon-struktivisten völlig unterschiedlich ist. DieWelt ist bei von Foerster nicht der Gegenpolzur Erfahrung, sondern dessen Produkt.

In diesem Zusammenhang ist die AnalogieWebers zum Agnostizismus interessant: Ist derAgnostiker nicht doch ein praktischer Atheist,weil nur der Gläubige gläubig ist, während derAgnostiker und der Atheist beide ungläubigsind, nur aus verschiedenen Gründen? DerStreit zwischen Konstruktivisten und Non-Dualisten ist in (forschungs-) praktischer Hin-sicht irrelevant, wenngleich theoretisch interes-sant. Gemeinsam ist die (praktische) Ableh-nung des Realismus, auch wenn dieser angeb-lich nur hypothetisch oder kritisch ist.

An diesem Punkt endet die theoretische Ar-beit Webers noch nicht, denn er unternimmt ei-nen klassifikatorischen Ordnungsversuch zurIntegration der verschiedenen systemtheoreti-schen Ansätze. Sein Vorschlag zur theoreti-schen Flurbereinigung mündet in eine zwei-fache Hierarchisierung der Modellierung vonSystemen: Die interne Hierarchisierung siehtvor, Systeme auf mehreren Ebenen zu beob-achten: Akteure bzw. Interaktionen, Organisa-tionen, Produkte (Texte), Gesellschaft. DasZiel besteht auch hier in der theoretischen Vor-bereitung empirischer Forschung. Die externeHierarchisierung ordnet die unterschiedlichenSystemmodellierungen von Luhmann, Marcin-kowski, Kohring/Hug, Blöbaum und anderenAutoren. Auf der obersten oder abstraktestenEbene differenziert er das System Medienkom-munikation gegen interpersonelle Kommuni-kation aus, danach Publizistik als Subsystemder Medienkommunikation gegen Öffentlich-keit und auf der gesellschaftlich konkretestenEbene Journalismus gegen andere publizisti-sche Formen (PR, Werbung, Unterhaltungusw.). Hierarchisierungen haben gegenüber additiv-heterarchischen Ordnungen den Vor-teil, dass sie informativer und damit für For-schungszwecke konkreter sind.

Allerdings sehe ich in dem Ordnungsversucheinige konkrete Schwierigkeiten: Mit der abs-trakten Modellierung des Systems Medien-kommunikation handelt sich Weber auch nochdie medienvermittelte Individualkommunika-tion (Telefon, E-Mails usw.) ein. Diese lässt

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sich in den disjunkten Untereinheiten der Pu-blizistik und Öffentlichkeit nicht wiederfin-den, denn sie sind ja private Kommunikation.Inwiefern kann Öffentlichkeit Produkt vonund gleichzeitig Bedingung für Publizistik sein,wenn beiden Subsystemcharakter zugeschrie-ben wird? Wieso wird ferner Öffentlichkeit inPublikum und andere Öffentlichkeiten und dasPublikum wiederum in aktuelles und potenzi-elles Publikum unterteilt? Wieso wird demLeistungssystem Journalismus ein aktuellesund ein potenzielles Publikum gegenüberge-stellt? Die hierarchische Klassifikation scheintlogisch nicht zwingend zu sein. Wahrscheinlichgenügt doch allein eine unterscheidungstheore-tische, asymmetrische Modellierung von Sys-tem und Umwelt dem Kriterium logischerKonsistenz. Verschiedene Systemmodellierun-gen müssen wohl ferner heterarchisch bleiben,weil die Problembestimmungen zu unter-schiedlich sind. Die von Weber aufgeführtenAutoren behandeln eben unterschiedliche Pro-bleme, sodass ihre Modellierungen nicht inein-ander überführbar und hierarchisierbar sind.Die theoretische Modellierung muss allein demForschungszweck folgen, alle ambitionierterenVersuche nehmen logische Inkonsistenzen –meines Erachtens ohne Not – in Kauf.

Der empirische Teil der Studie besteht aus ei-ner standardisierten Befragung von 522 öster-reichischen Journalisten. Weber stellt einigeFragen, die ermitteln sollen, ob der Journalis-mus sich selbst steuert oder fremdgesteuert ist.Die Fragen sind nicht notwendig dem system-theoretischen Paradigma verhaftet, sondernkönnten auch in einem verhaltenstheoretischenKontext gestellt werden. Insofern muss ihresystemtheoretische Interpretation immer erstbegründet werden. Besonders begründungsbe-dürftig sind mehrere Selbsteinschätzungsfra-gen, weil diese scheinbar eher auf das Bewusst-sein journalistischer Akteure zielen als auf sys-temische Parameter. Zwar ist es nicht prinzipi-ell falsch, von den Befragten Einschätzungenzu verlangen, allerdings dürfen diese nicht vagesein wie etwa die Frage danach, wie viel Pro-zent der behandelten Themen auf journalisti-schen oder virtuellen Quellen basieren. Außer-dem macht Weber eine Menge von Aussagenüber zeitliche Unterschiede, obwohl die Befra-gung eine Querschnittsuntersuchung ist. Dieexpliziten Fragen nach Unterschieden zwi-schen früher und heute sind dagegen erneuteher vage und in ihrem Wert begrenzt.

Insgesamt betont Weber mehrfach die Diffe-renz zwischen tatsächlichen Phänomenen derHeteropoietisierung und dem subjektiven Be-wusstsein, das die Journalisten davon haben,aber eine Überbrückung dieser Differenz wirdnicht argumentativ hergestellt. So ist auch dasOszillieren zwischen Selbst- und Fremdsteue-rung weniger ein empirischer Befund als eine(sinnvolle) theoretische Behauptung. Umge-kehrt sind einige systemtheoretische Interpre-tationen der Daten nicht zwingend, wenngleichnahe liegend. Dennoch gibt die Studie eineMenge von Indizien für die Richtigkeit system-theoretischer Analysen. Interessant erscheintaus einer Metaperspektive, dass empirischeForschung, wenn sie aus systemtheoretischerWarte durchgeführt wird, nicht nur zu anderenErgebnisinterpretationen führt, sondern dasssich das Verhältnis von Theorie und Empirieebenfalls verändert. Die Kopplung wird nichtmehr einseitig wie im Kritischen Rationalismuszugunsten der Empirie interpretiert, wonachtheoretische Behauptungen verifiziert oder fal-sifiziert werden, sondern ist beidseitig undwechselseitig begründungsbedürftig.

2. Stefan Frerichs: Bausteine einer systemi-schen Nachrichtentheorie – Konstrukti-ves Chaos und chaotische Konstruktio-nen

Einen empirisch wesentlich bescheidenerenAnspruch als Webers Studie hat die Abhand-lung von Stefan Frerichs über die journalistischeNachrichtenproduktion. Der Autor ist Journa-listik-Wissenschaftler und tätiger Journalist.Seine Beobachtungen sind nicht streng metho-disch kontrolliert, sondern Reinterpretationendes journalistischen Alltags aus der Perspektivedes (radikalen) Konstruktivismus und der Cha-ostheorie. Mit dem Konstruktivismus verab-schiedet er sich in struktureller Hinsicht von re-präsentationistischen Vorstellungen, wonachjournalistische Nachrichten (mehr oder weni-ger gut) eine außerjournalistische Wirklichkeitabbildeten bzw. dazu in der Lage seien. In pro-zessualer Hinsicht impliziert die Chaostheorieeine Abkehr von linearer Aussagenproduktionhin zu nicht-linearen Zusammenhängen bei derEntstehung von Nachrichten.

Interessant ist dabei, dass sich Frerichs expli-zit von Luhmanns Systemtheorie absetzt undsoziale Systeme personal definiert. Damit argu-mentiert er a) nicht auf der Makro-Ebene funk-tionaler Gesellschaftssysteme, sondern auf der

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organisatorischen Meso-Ebene und konzipiertb) nicht Kommunikationen, sondern Kognitio-nen und Handlungen als Basiseinheiten vonSystemen. Dass dies nicht unproblematisch ist,werde ich weiter unten erörtern.

Nach der „Grundsteinlegung“, die in das ge-samte Buch einführt, baut er die beiden „Eck-steine“ der Chaostheorie und des Konstrukti-vismus auf. Beide Kapitel sind so klar und über-sichtlich geschrieben, dass man sie hervorra-gend als Lehrbucheinführung benutzen kann.Der Autor definiert alle Begriffe sehr verständ-lich und hat dafür penibel recherchiert – sogardie vollständigen zweiten Vornamen der zitier-ten WissenschaftlerInnen, die üblicherweisenur abgekürzt erwähnt werden.

Als „Stützsteine“ bezeichnet er die folgendeKritik der klassischen Nachrichtenforschung.Diese Kritik bezieht sich auf die Vorstellungeines linearen Nachrichtenflusses und die Kon-zeption objektiver Nachrichten. Oft argumen-tiert Frerichs mit bekannten Nachrichtentheo-rien gegen diese selbst. Alle Ausführungenwerden ausführlich belegt und immer wiederdurch Definitionen systematisiert. Auf dieseWeise entsteht eine konstruktive Auseinander-setzung, welche die klassischen Theorien – die-se freundlich einvernehmend – in die eigeneKonzeption integriert.

Ebenfalls zu den Stützsteinen gehören diekonstruktivistischen und chaostheoretischenReinterpretationen der Nachrichtenprodukti-on. Im fünften und sechsten Kapitel werden diebeiden Leittheorien auf den Nachrichtenjour-nalismus angewendet, was zunächst jedoch nureine Begriffsübertragung und Beschreibungmit neuer Perspektive ist. Deutlich wird aberauch der Mehrwert dieser Theorien gegenüberden bisher gehandelten Theorien. Sie sind prä-ziser und – der Autor weiß das aus seiner viel-fältigen journalistischen Praxis – praxisnähertrotz ihres hohen Abstraktionsgrades. In die-sen Kapiteln werden zudem populäre Missver-ständnisse korrigiert, etwa dass Chaos mit Zu-fälligkeit und folglich mit Unerklärbarkeitgleichzusetzen wäre oder dass KonstruktionBeliebigkeit von Welterzeugung impliziere.Frerichs gebraucht die Theoriebegriffe wie Un-schärfe und Selbstorganisation nicht als schönklingende Wissenschaftsmetaphorik, sondernkonkret als Beschreibungs- und Erklärungsin-strument. Auch dies ist ein Ausweis der Serio-sität seines Vorgehens.

Die individualistische Ausgangsbasis des

Konstruktivismus führt dazu, dass auch infor-male Rollen und Persönlichkeitseigenschaftenals Erklärungsfaktoren berücksichtigt werden(sollen). Dem Autor gelingt es, bestimmte Pro-zesse der Nachrichtenentstehung chaostheo-retisch zu interpretieren und daraus chaostheo-retische Thesen abzuleiten. Damit wird dieTheorieninnovation bis zum vorletzten Schrittvorangetrieben. Was noch fehlt, ist eine Forma-lisierung der Thesen, die einen echten empiri-schen Test ermöglicht, der über die beispielhaf-te Illustration hinausgeht.

Immerhin bleibt Frerichs nicht bei seinentheoretischen Überlegungen stehen, die fürsich genommen bereits eine Dissertation vollgerechtfertigt hätten, sondern bemüht sich umeine explorative Empirie. Für die Untersu-chung der Ereignisentwicklung und die „Über-prüfung“ der chaostheoretischen Thesen sam-melte er das vollständige Material von siebenNachrichtenagenturen zu einem unerwartetenEreignis. Darüber hinaus diente ein ein- bisdreitägiger Besuch bei den Nachrichtenredak-tionen von acht öffentlich-rechtlichen, vier pri-vat-kommerziellen Hörfunksendern und vondrei Nachrichtenagenturen der Beobachtungder stundenaktuellen Berichterstattung. Mitdieser Methode identifiziert er 13 Arbeits-schritte von der ersten Ereigniswahrnehmungbis zur publizierten Nachricht und klassifizierter die Redaktionsorganisationen. Es handeltsich hierbei nicht um eine systematische Ein-zelfallstudie, sondern eher um einen unsyste-matischen Vergleich. Dem jeweils ersten, be-schreibenden Teil folgt die Ableitung der The-sen. Dies ist nicht die schlechteste Art, glei-chermaßen induktiv und deduktiv zu Thesenzu gelangen. Geradezu nebenbei wird der imKonstruktivismus und in der Systemtheorie sowichtige Kopplungsbegriff präzisiert, dies al-lerdings nicht durch eine Definition, sonderndurch die qualitativen Auswirkungen derKopplung: Koordination, Kooperation, Kon-sens, Konvention, Kreativität und Kontrolle.

Dennoch setzt hier die Kritik an Frerichs’Vorgehensweise ein. Die Thesen (S. 298 ff.) ent-halten zumeist nicht Zusammenhangspostulatemehrerer Variablen, sondern beschreiben eherdie Operationalisierungsbereiche der einen Va-riablen Qualität der Nachrichtenkonstruktion.Der Qualitätsbegriff als abhängige Variablewird selbst allerdings nicht definiert.

Problematisch ist ferner die oben bereits erwähnte Unterstellung einer Emergenz vom

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System „Mensch“ bzw. von der Person auf dassoziale System der (Nachrichten-)Redaktion,das wiederum als Teil des Systems Nachrich-tenjournalismus angesehen wird. Frerichs stelltsich damit gegen das Verständnis von Luhmannund Rühl, ohne die Frage, wie der Übergangvon Person zu Organisation und zu Funktions-system möglich sei, ausreichend beantwortenzu können. Wenn tatsächlich persönliche Cha-rakteristika der Nachrichtenredakteure in ein-zelne Entscheidungen der Nachrichtenkon-struktion eingehen, so ist dies nicht mehr aufeben diese persönlichen Eigenschaften – undFrerichs meint hier nicht nur die berufsbezoge-nen, sondern prinzipiell alle individuellen Ei-genschaften – zurückführbar. Der Grund dafürbesteht darin, dass trotz Makrostabilität (desJournalismus) Mikrodiversität (der Journa-listen als Personen!) möglich und notwendigist. Emergenz ist gerade dadurch definiert, dasssie nicht umkehrbar ist. Es wäre schon for-schungsökonomisch unmöglich, alle mögli-chen individuellen Eigenschaften zu erfassen,um je individuell diejenigen zu identifizieren,die in bestimmten Situationen handlungsrele-vant werden könnten. Welche Persönlichkeits-merkmale im Einzelnen eine Rolle spielen beider Nachrichtenkonstruktion, ist nicht vorher-sehbar – so müsste man mit dem Chaostheore-tiker Frerichs gegen ihn selbst argumentieren.Da folglich nur wenige Variablen erhoben wer-den können, ist die Konzentration auf syste-misch-professionelle Eigenschaften der Jour-nalisten und der Organisationen erforderlich.Der Erkenntnisgewinn der Systemtheorie be-steht gerade darin, die Mikrostrukturen der in-dividuellen Persönlichkeit als Rauschen auszu-blenden und trotzdem die Makrostrukturenbeobachten zu können. Persönlichkeitsmerk-male interferieren a) eher zufällig statt systema-tisch und b) eher punktuell statt generell. DasHauptproblem besteht dann nicht in der Iden-tifikation aller möglicher Einflüsse, sondern inder Auswahl der relevanten Variablen: Wieweit reichen das Geschlecht, die politische Ein-stellung usw. systematisch (= überzufällig) insystemische Abläufe hinein?

Frerichs dehnt schließlich den Anspruch sei-ner Studie über den analytischen Wert aus undformuliert qualitätsbezogene und ethische Im-plikationen aus Chaostheorie und Konstrukti-vismus. Dies ist keineswegs ungewöhnlich, dadiese Basistheorien selbst stets den Zusammen-hang zur Ethik hergestellt haben. Der Katalog,

den Frerichs zusammenstellt, deckt sich dabeidurchaus in weiten Bereichen mit herkömmli-chen Anforderungsprofilen, er ist jedoch theo-retisch deutlich besser hergeleitet und besser andie Praxis angepasst, als dies ohne Konstrukti-vismus und Chaostheorie und deren Übertra-gung auf die Redaktionsorganisation und dieNachrichtenkonstruktion möglich gewesenwäre. Allerdings ist deutlich zu trennen zwi-schen der Normbegründung und der Norm-durchsetzung, wie wir von Habermas lernenkönnen. Eine Norm lässt sich nur dann durch-setzen oder anwenden, wenn es die Umständeerlauben und die betreffenden Normanwenderdie Normbegründung als solche akzeptieren.Die Akzeptanz der Norm kann man – neben ei-ner guten Begründung – dadurch steigern,wenn man nachweisen kann, dass die Normauch funktioniert und nicht als bloßes Ideal un-erreichbar ist. Für die Journalistik und Journa-lismusforschung bedeutet dies, dass sie ihrenormativen Vorschläge gut und verständlichbegründen muss, um Resonanz im Journalis-mus zu erreichen. Ein Buch wie dieses istglaubwürdig und einer verständnisorientiertenBeziehung zwischen Wissenschaft und Praxisförderlich, weil es von einem Praktiker stammt,der sich die Mühe gemacht hat, theoretisch zuarbeiten, um für die Praxis einen Nutzen zu er-reichen.

3. Martin Löffelholz (Hrsg.): Theorien desJournalismus – Ein diskursives Handbuch

Ein sehr ambitioniertes Buch zu den aktuellenJournalismustheorien hat Martin Löffelholzherausgegeben. Es trägt im Untertitel den ver-blüffenden Titel „Ein diskursives Handbuch“,will also sowohl den Stand des Theoriewissenskanonisieren als auch diskutieren. Und das isteinigermaßen gelungen. Vielleicht sind nichtalle Arten von Journalismustheorien vertreten,aber alle vertretenen erhalten genug Raum. Da-bei ist das Buch nicht neutral, sondern hatquantitativ wie qualitativ eine klare Präferenzfür systemtheoretische Ansätze. Dies lässt sichaus dem Entstehungskontext erklären, denn dieVeröffentlichung basiert auf den Ergebnisseneiner Tagung der DGPuK-Fachgruppe „Jour-nalistik und Journalismusforschung“, bei derseinerzeit (Januar 1998) ebenfalls die System-theorie im Mittelpunkt gestanden hatte. Aller-dings geht sie weit über den Tagungsschwer-punkt hinaus und wird mit Sicherheit ein Stan-dardwerk, das sowohl für Einführungs- als

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auch für fortgeschrittene Lehrveranstaltungenwertvoll ist.

Welche Arten von Kritik werden in demBuch an der Systemtheorie geübt? Da ist dieKritik zu nennen, die ihrerseits ihre paradigma-tische Herkunft verschweigt und zu dem Ein-druck verleiten könnte, dass sie über den oderjenseits der Paradigmen steht. Dies gilt für dieAufsätze von Kepplinger, Esser und Haller.Ferner kommt die Kritik aus einem anderen Pa-radigma zu Wort, etwa in den Aufsätzen vonKlaus, Lünenborg oder Renger. Dagegen ste-hen die Vertreter der Systemtheorie Rühl,Kohring und Görke mit beiden Beinen im Pa-radigma. Den anspruchsvollen Versuch der Pa-radigmenverbindung unternehmen Neuberger,Bucher, Raabe und Weber. Auf Webers Auf-satz will ich nicht mehr gesondert eingehen,weil die darin dargelegte Position im Wesentli-chen der im oben besprochenen Buch ent-spricht. Die folgende Auseinandersetzung er-folgt deshalb nach dieser selbst gewählten Ord-nung, die nicht der des Buches entspricht.

Beginnen wir mit denjenigen Autoren, dieim Rahmen der Systemtheorie argumentieren.Der Herausgeber selbst eröffnet den Blick aufdas gesamte Buch aus einer metatheoretischenund historischen Position. Dieser Artikel fasstden Theorie- und Empirie-Begriff ebenso her-vorragend zusammen wie die Theoriegeschich-te der Journalismus. Der didaktische Wert wirdnoch gesteigert durch die zwölf eingebautenTextausschnitte. Diese Eröffnungsbilanz istdeshalb unbedingt empfehlenswert für Ein-führungsseminare in die Journalismusfor-schung. Manfred Rühls zweite Einführung indie Theoriegeschichte kann durch diese Vorla-ge direkt auf den Wert der Systemtheorie bzw.von so genannten Supertheorien eingehen. DerAutor äußert seine Bedenken gegenüber einerVerunreinigung der Systemtheorie durch dentheoriefremden Import empirischer For-schung, wenn diese auf einen methodologi-schen Individualismus hinausläuft. Ob und wieempirische Forschung ohne methodische Indi-viduen möglich überhaupt ist, damit setzt sichder Autor nicht auseinander. Mit seinem Bei-trag ist jedenfalls die theoretische Ausrichtungdes Bandes markiert; es geht in erster Linie umsystemtheoretische Modellierungen des Jour-nalismus, denn sogar die meisten kritischen Ar-tikel beziehen sich auf die Systemtheorie.

Auch die dritte „Einführung“, die MatthiasKohring in die Systemtheorie Luhmanns gibt,

ist hervorragend als Einführungstext geeignet.Der Zusatznutzen dieses Artikels besteht darin, dass er die unterschiedlichen system-theoretischen Modellierungen von Journalis-mus, Öffentlichkeit, Publizistik und Massen-medien gegeneinander abwägt und insoferneine Art Flurbereinigung durchführt sowie denBlick frei macht für die nachfolgenden speziel-leren Themen, mit denen sich systemtheoreti-sche Journalismusforscher beschäftigen. Dassder Autor dabei nur auf den Nutzen system-theoretischen Denkens eingeht und die Kostenziemlich pauschal abweist, tut dem Artikel kei-nen Abbruch, denn die Einnahme einer Meta-Position kann an dieser Stelle des Buches (im-merhin schon Kapitel 3) nicht mehr der Zwecksein. Dafür geht Alexander Görke mehr auf dietheoretischen Einwände ein und weist Wege,diesen zu begegnen. In einigen Fällen erweistsich bereits der Weg (der Argumentation) alsdas Ziel (der Rechtfertigung der Systemtheo-rie); insofern sind Görkes Ausführungen einBeleg für die theoretische Flexibilität (nicht Im-munität!) der Systemtheorie; sie birgt eineMenge kreatives Potenzial.

Martin Löffelholz thematisiert das Verhält-nis von Journalismus und Public Relations als ko-evolutionäre Intersystem-Beziehung.Wenn beide als Leistungssysteme von Öffent-lichkeit angesehen werden und beiden dieFunktion der Herstellung von Öffentlichkeitzugeschrieben wird, stellt sich allerdings dieFrage nach ihrer Differenzierbarkeit. Die Aus-differenzierung in die drei Ebenen der interak-tionalen, organisatorischen und funktionalenInter-Relationen von PR und Journalismusstellt den Versuch dar, auch anderen Ansätzen(Handlungstheorie und Steuerungstheorie) ge-recht zu werden. Für nicht sinnvoll halte ichden Akteursbegriff, der Akteure als Einheit derDifferenz von Bewusstsein und Organismusversteht. Akteure werden in der Handlungs-theorie eher als Einheit der Differenz von Be-wusstsein und Handlung modelliert, was so-zialwissenschaftlich gesehen allemal anschluss-fähiger ist als den Organismus einzubeziehenund die Akteure damit auf monadische Indivi-duen zu reduzieren. Der Artikel macht deut-lich, dass sich die Systemtheorie um die Inte-gration anderer Ansätze bemühen muss, aberauch, dass dies nicht ohne Weiteres möglich ist.

Frank Marcinkowski und Thomas Brunsweisen darauf hin, dass die Ausdifferenzierungvon Autopoiesis und struktureller Kopplung

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nötig ist, um die scheinbar paradoxe Beziehungzwischen operativer Geschlossenheit und in-formatorischer Offenheit zu begründen. Wenndie Beziehung von Massenmedien (Journalis-mus) und Politik in der Beschaffung und struk-turellen Verfestigung von Irritationschancenund Resonanzhoffnungen besteht, dann ist eineauf Kausalität und Linearität begründete Empi-rie ungeeignet. Die Autoren verweisen auf neuestatistische Methoden neuronaler Netze und aufKlassifikationsmodelle, was sicherlich berech-tigt ist. Allerdings fehlt derzeit die Kompetenzsozialwissenschaftlicher Empiriker, diese Ver-fahren anzuwenden oder auch nur zu verstehen.So gesehen ist etwa der Verweis auf logistischeRegressionen als vermeintliche Verbesserunggegenüber linearen Regressionen einseitig, weilbeide Verfahren an dem Prinzip der Kausalitätfesthalten. Eine Alternative bietet vielleicht dienicht-kausale Interpretation bestehender statis-tischer Verfahren, denn Kausalität ist diesenMethoden nicht inhärent, sondern eine wissen-schaftstheoretische Zuschreibung.

Bernd Blöbaum nimmt in seinem Aufsatzeine evolutionstheoretische Perspektive ein undbeschäftigt sich mit den Strukturen des Journa-lismus, weil nur deren historische Entwicklungbeschreibbar ist, sodass man auf die System-funktion immerhin indirekt schließen kann. Diedringende Frage, ob sich ein Strukturwandel ir-gendwann auf die Funktionserfüllung des Sys-tems auswirkt, wird am Schluss gestellt, kannaber nicht beantwortet werden. Auch Klaus-Dieter Altmeppen beschäftigt sich mit der funk-tionalen Autonomie des Journalismus, die nichtim Widerspruch zu verschiedenen Abhängig-keiten auf organisatorischer Ebene steht: Dafunktionale Teilsysteme der Gesellschaft vonOrganisationen abhängig sind, bietet sich aufder strukturellen Ebene ein Einfallstor für ex-terne Einflüsse, die als Rahmenbedingungen or-ganisationellen Entscheidens limitierend, aberdamit noch nicht steuernd wirken.

Die handlungstheoretischen Gegenvorschlä-ge zur Systemtheorie sind ihrerseits sehr hete-rogen. Hans-Jürgen Buchers Verknüpfung vonBinnen- und Außenperspektive, von Hand-lungs- und Systemtheorie wird argumentativüber Phänomene dritter Art – unbeabsichtigteFolgen individuellen Handelns – hergestellt.Dazu setzt er sich sowohl vom zu engen Hand-lungsbegriff Luhmanns ab als auch von Ak-teurstheorien, die mehr den Handelnden als dieHandlung im Fokus haben. Individuelle Hand-

lungen und ihre Intentionalität müssen nichtmentalistisch interpretiert werden, sondern ha-ben indexikalischen Charakter und dienen derRekonstruktion von Funktionen. In eine ähnli-che Richtung geht auch Klaus-Dieter Altmep-pens Analyse des Entscheidungshandelns inRedaktionen als koordinierendes Handeln.Während Bucher zwischen Handlungsmusterund vollzogener Handlung differenziert, un-terscheidet Altmeppen zwischen Handlungs-entwurf und Handlungsvollzug. Diese Kon-zeption ist an Peter M. Hejls konstruktivisti-sches Verständnis von synreferenziellen Orga-nisationen anschließbar, denkbar wäre auch einBezug zu Achim Baums an Habermas angeleg-te Theorie journalistischen Handelns.

Beide Vorschläge lassen sich in erster Linieauf Organisationen beziehen, wohingegen dieBeiträge von Christoph Neuberger und Johan-nes Raabe stärker auf das Individuum, auf deneinzelnen Journalisten abzielen. Neuberger re-aktiviert die Akteurstheorie unter Bezugnahmeauf Schimanks systembezogene Akteurskon-stellation. Meines Erachtens basiert diese Ver-bindung von Akteurstheorie und Systemtheo-rie jedoch auf dem Missverständnis, dass Sys-temtheorie nur routiniertes Handeln erklärenkönne. Die Differenz der beiden Theorien seheich eher durch die unterschiedlichen Bezugs-ebenen bedingt. Während die SystemtheorieLuhmannscher Prägung konsequent makro-analytisch vorgeht, bemühen sich die hand-lungstheoretischen Ansätze eher um eineMeso- oder Mikroanalyse. Die Verknüpfungfunktioniert allerdings nicht reibungslos. Dasgilt auch für Raabes Versuch, das Verhältniszwischen dem gesellschaftlichen PhänomenJournalismus und dem (individuellen) Be-wusstsein journalistischer Akteure im An-schluss an den Soziologen Wil Martens zuklären. Die Integration des theoretischen Indi-vidualismus basiert nicht zuletzt auf einemMissverständnis vom Konstruktivismus: Ko-gnitive Autonomie wird nämlich von Raabefälschlicherweise als Abgeschiedenheit von so-zialen Einflüssen interpretiert.

Sowohl Neuberger als auch Raabe scheinendavon auszugehen, dass Akteur und/oder Be-wusstsein zunächst zu trennen seien vom So-zialen. Dies ist jedoch eher eine Frage der Refe-renz- oder Systemebene, weniger eine katego-rische oder ontologische Differenz. Die Sys-temtheorie hat durch die Konzepte derInterpenetration und der strukturellen Kopp-

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lung bereits den Weg der Verbindung vorge-zeichnet. Dabei vereinseitigt sie konsequentden Blickwinkel, indem sie entweder vom psy-chischen oder vom sozialen System aus denktund beobachtet; eine Metaperspektive hält siedagegen nicht für möglich, ohne den Gegen-stand zu reontologisieren. Aus diesem Grundbin ich skeptisch gegenüber derartigen Versu-chen der Theorienintegration, weil diese nurfür die Integrationsleistung werben, ohne denPreis der geringeren logischen Kohärenz zunennen. Viel wichtiger erscheint mir dagegendie Kopplung von Theorie und Empirie alszwei nicht aufeinander zu reduzierende Pro-grammtypen des wissenschaftlichen Systems,wie sie von Löffelholz und Marcinkowski undBruns angedacht werden. Hier ist es in der Tatüberlegenswert, ob ein methodologischer Indi-vidualismus ohne einen theoretischen Indivi-dualismus zu haben ist.

Mehr auf Konkurrenz als auf Integration set-zen die VertreterInnen kulturwissenschaftli-cher Ansätze. Den drei in diesem Band versam-melten AutorInnen gemeinsam ist die Umstel-lung der Kommunikator- auf die Publikums-perspektive. So benennt Rudi Renger dasInteresse der Cultural Studies dahingehend,dass dieser Ansatz sich weniger mit den jour-nalistischen Aussagen und den Bedingungen,unter denen sie entstehen, beschäftigt, sondernvielmehr mit der Alltagsressource journalisti-scher Inhalte und dem kulturellen Handeln, diesich aus der Beziehung zwischen Text und Le-ser ergeben. Es stellt sich dabei jedoch die Fra-ge, ob diese Interessenverschiebung nicht eherein Ausweichen gegenüber der systemtheoreti-schen Journalismusforschung bedeuten, so dassdie Cultural Studies eher komplementär alskompetitiv zu verstehen wären. Insofern kon-kurrieren die Cultural Studies überhaupt nichtmit anderen Theorien der Journalismusfor-schung, sondern mit Theorien im Bereich derPublikums- und Wirkungsforschung.

Margret Lünenborg nennt als konkrete For-schungslücken, deren sich die Cultural Studiesannehmen wollen, vor allem die Vernachlässi-gung des Publikums und die Zentrierung aufpolitischen Nachrichtenjournalismus. Mit ei-ner kulturwissenschaftlichen Perspektive wäreauch der europäische Vergleich sinnvoll zu be-werkstelligen. Auch hier ist zu fragen, ob dieBehebung vermeintlicher Lücken nicht auf ei-nen ganz anderen Forschungsgegenstand hin-ausläuft. Die Benennung offener Forschungs-

felder ist jedenfalls kein hinreichender Grundfür einen Theorienwechsel. Warum sollte esmit systemtheoretischer Perspektive nichtmöglich sein, Unterhaltungsjournalismus oderUnterhaltungsphänomene allgemein zu unter-suchen? Dass kulturelle Unterschiede im Län-dervergleich eine Rolle spielen, ist plausibel,aber wie dominierend diese im Vergleich zu an-deren Unterschieden sind, bleibt zu klären.Dehnt man allerdings den Kulturbegriff so weitaus, dass alles Kultur ist, dann ist dieser diffe-renzlose Begriff seinerseits zu begründen bzw.dann müssen Sekundärdifferenzen eingeführtwerden, die einen Vergleich überhaupt erstmöglich machen.

Elisabeth Klaus reinterpretiert in ihrem Bei-trag empirische Ergebnisse zur Geschlechter-differenz im Journalismus aus der Sicht derCultural Studies, die ihrer Meinung nach dieAnalyse der Machtverhältnisse ermöglichen,während Machtfragen von der Systemtheorieausgespart oder untergeordnet werden. Frauengelten als unterhaltungsorientierter als Männerund sind in Informationsressorts unterreprä-sentiert. Da Informationsjournalismus höherbewertet wird als Unterhaltungsjournalismusund höheres Prestige verspricht, ist der Einzugvon Frauen in die Nachrichtenredaktion be-sonders hart umkämpft, so die Autorin. Aller-dings gibt es Gegenbeispiele: Männer sind be-sonders im prestigearmen Sportressort sehrstark überrepräsentiert. Ebenfalls nicht erklär-bar mit dieser Argumentationslinie ist der star-ke Anteil von Frauen in der Öffentlichkeitsar-beit. Möglicherweise sind dies Indizien dafür,dass Frauen nicht qua Geschlecht der Zugangzu bestimmten Berufssparten schwer fällt bzw.schwer gemacht wird, sondern dass sich histo-risch gewachsene, aber überkommene und ge-genwärtige Funktionszuschreibungen überla-gern. Sollten sich Frauen auch in Männerdomä-nen etablieren können, dann spricht vieles fürdie These, dass Geschlecht ein sekundäresMerkmal darstellt oder dazu geworden ist. In-sofern sehe ich auch die These, dass Geschlech-terdefinitionen nicht eindeutig seien und dassGeschlecht eine vieldimensionale Kategorie sei,durchaus nicht im Widerspruch zur konstruk-tivistischen Systemtheorie.

Ebenfalls grundlegende Kritik an der sys-temtheoretischen Modellierung des Journalis-mus üben mehrere Autoren, die scheinbar nichtaus der Perspektive eines bestimmten Paradig-mas argumentieren, sondern versuchen, die ei-

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gene Position jenseits von Paradigmen über-haupt zu markieren. Eine verblüffende Selbst-bezichtigung finden wir in Kepplingers Prob-lemaufriss des Journalismus: Der Autor ist seitMitte der 80er Jahre Systemtheoretiker, waswohl deshalb eines besonderen Hinweises be-durfte, weil in seinem Theorien-Supermarktsystemtheoretische Konzepte wie System, Au-tonomie und Autopoiesis unsortiert neben Per-sonen (Journalisten), Einflüssen und Wirkun-gen (auf die Rezipienten) sowie Eigeninteres-sen (der Journalisten) platziert werden. Das„Eigeninteresse“ des Autors scheint darin zuliegen, Preise für Wissenschaftsfähigkeit zuverteilen: „Wer die Möglichkeit eines Ver-gleichs zwischen journalistischen Realitätsdar-stellungen mit der entsprechenden Realität er-kenntnistheoretisch bestreitet, bestreitet damitauch die Möglichkeit eines Vergleichs wissen-schaftlicher Journalismusdarstellungen mitihrem Gegenstand und stellt sich folglichaußerhalb der empirischen Wissenschaft.“ (S. 90)

Wahrscheinlich führt dieses Wissenschafts-verständnis zu der Ansicht, dass sich zahlreicheAnnahmen (hier: Hypothesen) nicht aus derSystemtheorie ableiten lassen – mit diesem ansich trivialen Pauschalurteil können System-theoretiker leben. Auf die daraus geschlossenereduzierte Leistungsfähigkeit der Systemtheo-rie und ihrer Restkategorisierung als bloßesOrdnungsschema wird man sich dagegen nichteinlassen können, denn das käme einer Selbst-immunisierung und damit Untauglichkeit derSystemtheorie gleich bzw. dem Eingeständnis,die Systemtheorie sei nur ein Systemmodell.

So argumentiert auch Esser in seinem Artikel(S. 134); er klassifiziert die Systemtheorie (ab-fällig?) als totale Theorie und führt aus: „EineTheorie sollte immer Angaben über die Vor-aussetzungen und Randbedingungen enthalten,unter denen die Aussagen gelten sollen und siesollte die Möglichkeit zulassen, Hypothesenüber künftige Ergebnisse und Veränderungenzu bilden.“ (S. 138) Was beinhaltet diese For-derung anderes als das Postulat der Reflexivität,also die Auffassung, eine Theorie solle als ihreigener Gegenstand vorkommen? Gerade dieTheorien mittlerer Reichweite vermögen diesim Unterschied zu Supertheorien (und dazugehört nicht nur die Systemtheorie, sondernzum Beispiel auch die Kritische Theorie) nichtund müssen – folgt man der Doktrin des Kriti-schen Rationalismus – sich selbst als Gegen-

stand ausnehmen. Am Beispiel der vergleichen-den Journalismusforschung bewertet Esser diediesbezüglichen systemtheoretischen Bemü-hungen als wenig empiriegesättigt. Als ob diesein Merkmal einer Theorie an sich wäre. Viel-mehr hängt der Empiriegrad einer Theorie vonder jeweiligen Ausarbeitung in Bezug auf dieFragestellung ab. Die Tatsache, dass eine Theo-rie einen abstrakten Theoriekern hat, impliziertnicht in einem Nullsummenspiel, dass ihr des-halb der Empirieteil fehle. Umgekehrt fehlt den(rein) empirischen Theorien mittlerer Reich-weite die Grundlagenlogik – hier zum Beispieldie Entwicklung einer Theorie des Vergleichs.Einen Vergleichsmaßstab zu entwickeln, be-deutet nicht nur, empirische Gegenstände aufder Basis einer einheitlichen methodischenGrundlage miteinander in Beziehung zu set-zen, sondern theoretisch (also vor der empiri-schen Beobachtung) bestimmte Gleichsetzun-gen vorzunehmen, ohne die überhaupt keineDifferenzen beobachtet werden können. Nureine reflexive Theorie ist in der Lage, die Diffe-renz von Identität und Differenz in den Griffzu bekommen, ohne ständig dezisionistische(also nicht theorieimmanente) Begründungenanführen zu müssen. Die Theoriebrille ent-scheidet folglich, was als Identisches und Diffe-rentes überhaupt beobachtbar ist. Diesschmälert die Leistung einer Theorie mittlererReichweite nicht, zeigt allerdings, dass System-theorie als Supertheorie und Theorien mittlererReichweite auf unterschiedlichen Ebenen ange-siedelt sind. Ein Theorienvergleich aus einerMetaperspektive ist nicht möglich, denn ober-halb von Supertheorien kann niemand stehen.Man wird also die Systemtheorie nur mit ande-ren Supertheorien vergleichen können und da-bei einen (zu legitimierenden) Standpunkt ein-nehmen müssen. Alles andere ist Vorspiege-lung einer erkenntnistheoretisch naiv-realisti-schen Objektivität.

Auch Haller lehnt die Supertheorie System-theorie ab. Der Autor beklagt sich über die Dis-tanz zwischen Wissenschaft und Praxis („dis-parate Paradigmen“, S. 105), steht er dochselbst mit einem Bein hier und mit dem anderendort. Schuld an dieser Kluft sei in erster Liniedie (System-)Theorie, die sich in die falscheRichtung entwickelt habe, weil sie praxisrele-vante Aspekte des Journalismus ausblende.Dies scheint eine vornehme Reformulierungseines Redebeitrages auf der Tagung der Fach-gruppe zu sein. Dort hatte er gefordert, die wis-

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senschaftliche Beschäftigung mit Journalismushätte ihren Gegenstand, die journalistische Pra-xis, zu rechtfertigen (was man für weite Teileder PR-Forschung durchaus feststellen kann).Auch wenn dies nicht so gemeint war, dass jedeeinzelne journalistische Entscheidung legiti-miert werden soll, impliziert die Forderungdoch ein unkritisches Plädoyer für angewandteForschung, deren Zielsetzungen außerwissen-schaftlich bestimmt werden. Dazu passt auchdie harmonisierte Sichtweise vom Gegenstandder Journalismusforschung, welche die Über-einstimmung zwischen den Kommunikations-absichten der Journalisten und den Kommuni-kationserwartungen des Publikums ziemlichüberzeichnet. In dem Artikel werden Theorie-versatzstücke von Habermas verwendet (S. 114f.), dieser wird aber nicht zitiert, auch nichtGottschlich oder Baum, die das Konzept desverständigungsorientierten Handeln in dieJournalismusforschung eingeführt haben.

Haller kritisiert die Unfähigkeit der System-theorie, einen Binärcode für Journalismus zuformulieren. Er bringt Beispiele für vermeint-lich fehlerhafte Zuordnungen und kritisiertsystemtheoretische Bemühungen als abstrak-ten Griff ins Leere, der „an den Realien“ vor-beiziele. Hallers Gegenvorschläge laufen aufeine Entkleidung der (System-)Theorie vonihrem logischen Gehalt hinaus, damit sie empi-risch überprüfbar sind. So ist das vergiftete Loban die „demoskopische Unternehmung“ (S.116) der Studie „Journalismus in Deutschland“zu verstehen bei gleichzeitiger Kritik ihrer sys-temtheoretischen Argumentationsbasis. DieseAmputation hat allerdings zur Folge, dass vieleempirische Ergebnisse schlechter interpretier-bar gewesen wären, als dies im systemtheoreti-schen Rahmen erfolgte. Was Haller darüberhinaus mit der Synchronisation der formalenund materialen Bedingungen von Theorienmeint, kann man sich gut ausmalen, wenn manbedenkt, dass er als Gewährsmann HelmutSpinner, einen dogmatischen Popperianer, an-führt. Es geht um die Zurechtstutzung vonTheorie zu einem logisch billigen Empirieliefe-ranten, und das auf der Basis eines erkenntnis-theoretisch realistischen Empirieverständnis-ses. Die Ablehnung eines solchen Wissen-schaftsverständnisses sollte nicht in die Rich-tung gedeutet werden, dass wissenschaftlicheBemühungen, weil sie die Praxis nur irritierenkönnen, deshalb eine provozierende oder dis-tanzierende Haltung einnehmen sollen. Eine

verständigungsorientierte Herangehensweisehalte ich für berechtigt und anstrebenswert, siehat jedoch mit purer Auftragsforschung nichtszu tun, sondern sollte kritische Impulse geben.

Etwa so versteht auch Ulrich Pätzold dieAufgabe der Journalistik. Die Sollvorstellun-gen resultieren aus der Kombination mit ande-ren benachbarten Wissenschaften und be-schränken sich auf realisierbare Vorschläge,versuchen also, den prägenden Charakteristikades Journalismus gerecht zu werden. HorstPöttker überträgt solche normativen Vorstel-lungen auf den Journalismus selbst, wenn erihm die Aufgabe zuweist, Öffentlichkeit her-zustellen, um den als negativ bewerteten Fol-gen der funktionalen Ausdifferenzierung derGesellschaft entgegenzuwirken. Die aus diesernormativen Sichtweise abgeleiteten Qualitäts-kriterien des Journalismus seien gegenstands-und publikationsbezogen. Ähnlich argumen-tieren auch Hans Heinz Fabris und BarbaraThomaß; sie wollen die Qualitätsdebatte unddie Ethikdebatte durch Ausdifferenzierung derEbenen von den gesellschaftlichen Randbedin-gungen bis zu den journalistischen Akteurenvoranbringen. Alle diese Bemühungen umKonkretisierungen sind nicht falsch, allerdingsschließen sie kaum noch an den theoretischenDiskurs des gesamten Buches an. ThorstenQuandts den Band abschließende Frage nachdem Ende des Journalismus durch die Heraus-forderungen der Online-Kommunikationmacht ein ganz neues Fass auf und will nicht sorecht zum Gesamtthema passen, denn der Au-tor ignoriert ziemlich konsequent die im Titelseines Aufsatzes selbst gestellte Frage und be-schäftigt sich mehr mit dem Erklärungswertvon Theorien der Wirkungsforschung.

Kommen wir abschließend zur Kritik desBandes: Der Theorienüberblick ist auf keinenFall vollständig. So fehlt etwa der Ansatz derMünchner Schule um Wagner, Starkulla undderen Weiterführungen oder der kritisch-theo-retische Ansatz, den Baum im Anschluss anHabermas vertritt. Bei den kulturwissenschaft-lichen Ansätzen sind die Cultural Studies gleichmehrfach vertreten, wohingegen der theore-tisch ambitioniertere kulturelle Konstruktivis-mus, den Siegfried J. Schmidt entwickelt hatund der Journalismus als makroanalytischeHandlungsrolle konzipiert, unberücksichtigtbleibt.

Weiterhin werden die im fünften Hauptka-pitel behandelten ausgewählten Problemfelder

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nur sporadisch an die Theoriedebatte der vori-gen vier Hauptkapitel zurückgebunden und dieDringlichkeit ihrer Bearbeitung wird nicht be-gründet, so dass ihre Auswahl etwas willkür-lich erscheint. Außerdem scheint es eher ein he-terogenes Restkapitel zu sein, denn die Aufsät-ze von Lünenborg und Klaus sind teilweisegrundlegend und gehören zu den Herausforde-rungen der Systemtheorie. Pätzolds Definitionder Journalistik ist ebenfalls eher programma-tisch als anwendungsbezogen, wohingegenQuandts Frage nach dem Ende des Journalis-mus weniger als theoretische Herausforderungoder Weiterentwicklung denn als speziellesProblemfeld (des Online-Journalismus) anzu-sehen ist.

Die Einleitungen der Hauptkapitel durchLöffelholz und Quandt sind für eine Schnell-orientierung hilfreich, aber fast immer zu bravformuliert, als ob sie die folgenden Artikel je-weils rechtfertigen müssten. Dabei nimmt derHerausgeber schon mutig Stellung in seinemhervorragenden einleitenden Aufsatz. Auch indieser Doppelrolle zeigt sich der Kompromiss-charakter des Buches in Konzeption (Hand-buch und Diskurs) und Komposition (Grund-lagenbeiträge und anwendungsbezogene Arti-kel), der nicht immer gelingt; dafür ist die Qua-lität der Beiträge zu unterschiedlich.

Ein richtiger Diskurs findet nicht statt; zwarsind viele AutorInnen sehr meinungsfreudigund regen damit möglicherweise einen Diskursan, aber die Auseinandersetzung ist nichtwechselseitig oder mehrzügig und in der Regelnoch nicht einmal die eigene Position abwä-gend, also auch innerhalb der Artikel nicht dis-kursiv angelegt. Ebenso sind die vielen hand-buchtypischen Querverweise nicht immer hilf-reich und notwendig, sondern scheinen viel-fach automatisch erstellt worden zu sein undoft beliebig. Dennoch ist das Buch wichtig, umdie Theoriedebatte auf hohem Niveau zu insti-tutionalisieren. Und dazu ist das Buch bestensgeeignet.

Armin Scholl

Erika Fischer-Lichte / Isabel Pflug (Hrsg.)

Inszenierung von Authentizität

Tübingen: Francke, 2000. – 366 S.

ISBN 3-7720-2941-8

Der vorliegende Sammelband präsentiert For-schungsergebnisse aus unterschiedlichen Teil-

projekten des seit 1996 bestehenden DFG-Schwerpunktprogramms „Theatralität. Thea-ter als kulturelles Modell in den Kulturwissen-schaften“, das sich mit der zunehmenden Be-deutung theatraler Prozesse für die europäischeKultur auseinandersetzt. Vier Schwerpunktestrukturieren die Präsentation der Forschungs-ergebnisse in dem Buch: Begriffsgeschichte vonAuthentizität, Inszenierung von Authentizitätin den Künsten, Inszenierung von Authenti-zität in den Medien und Inszenierung von Au-thentizität in fremden und vergangenen Kultu-ren.

Ausgangspunkt der Projektarbeiten desDFG-Schwerpunktprogramms bildete diemittlerweile etablierte Überzeugung, „dass sichdas Selbstverständnis einer Kultur außerhalbEuropas/Nordamerikas nicht nur in Textenund Monumenten formuliert, sondern auch (...)in theatralen Prozessen.“ (11) Gleichzeitig stel-len neuere Entwicklungen, so die Herausgebe-rin Erika Fischer-Lichte, die Überzeugungvom besonderen Charakter der europäischenKultur in Frage. „Unsere Gegenwartskulturkonstituiert und formuliert sich zunehmendnicht mehr in Werken, sondern in theatralenProzessen,“ (11) was wiederum die Überzeu-gung von der Unterscheidbarkeit der europäi-schen Kultur brüchig werden lasse. Dieses Pro-blem der Unterscheidbarkeit bildet neben der„Debatte um Status und Begriff von Wirklich-keit“ (23) einen thematischen Schwerpunkt derlaufenden Forschungsarbeiten.

Erika Fischer-Lichte arbeitet in ihrer denvorliegenden Sammelband einleitenden be-griffshistorischen Übersicht grundlegendeAspekte des Inszenierungs- und Theatralitäts-begriffs heraus. Aus ihrer Sicht wird eine Ver-lagerung der Anwendungsbezüge im Verlaufder historischen Entwicklung erkennbar: „Wasim 17. Jahrhundert der Theaterbegriff bewerk-stelligen sollte, scheint heute der Begriff derInszenierung leisten zu sollen.“ (13) Grundle-gende Aspekte der aktuellen Untersuchungenzur Theatralität seien: 1. Performance, 2. Insze-nierung, 3. Korporalität und 4. Wahrnehmung.

Die Attraktion des Inszenierungsbegriffsliegt in seiner vielschichtigen Anwendbarkeit.Mit dem Inszenierungsbegriff lassen sich Phä-nomene aus ganz unterschiedlichen Bereichender Gesellschaft und Kultur beschreiben. For-men der Performancekunst (Bormann, Brand-stetter, Malkiewicz, Reher) lassen sich ebensoanalysieren wie filmische (Meyer), musikali-

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sche (Zenck) oder literarische (Neumann) Ins-zenierungen von Authentizität.

Die Inszenierungen von Authentizität stehenim Zentrum der Untersuchungen. Sie zeigen,wie sich etwa durch den Einfluss der Medien-vermittlung das Erscheinungsbild der Politikgewandelt hat: „Politik wird nur noch als sym-bolische Inszenierung in den Medien erfahrbar:Kohl und Mitterand Hand in Hand auf denSchlachtfeldern des ersten Weltkrieges von Ver-dun oder ein britischer Gesundheitsminister,der auf dem Höhepunkt der BSE-Krise Rind-fleisch verzehrt.“ (22) Inszenierungen ersetzendie Argumentationsführung verbaler Diskurse.

Eine Mischung aus ethnologischen und kul-turhistorischen Analysen kennzeichnet dieBeiträge, die sich mit der Inszenierung vonAuthentizität in vergangenen und fremdenKulturen befassen. Hier hätte statt der isolier-ten Untersuchungen die Fragestellung nachden Besonderheiten der europäischen Kulturstärker herausgearbeitet werden können. Inden unterschiedlichen Schwerpunkten desSammelbandes treten Bruchstellen zwischenden Disziplinen in Erscheinung, die jedochwieder als Ausgangspunkt für neue For-schungsarbeiten dienen können. Die sich stän-dig aktualisierenden vielfältigen Inszenierungs-formen in Politik, Kultur, aber auch in derWirtschaft, bieten sicherlich eine Vielzahl vonForschungsgebieten für die unterschiedlichenDisziplinen des Schwerpunktprogramms.

Joan Kristin Bleicher

Michael Bodin

Ausgebrannt ... über den „Burnout“ imJournalismus

Ursachen und Auswege

Wiesbaden: Westdeutscher Verlag, 2000. – 142 S.

ISBN 3-531-13448-5

Sind JournalistInnen gestresster und früher„ausgebrannt“ als VertreterInnen anderer Be-rufsgruppen? Einige Fakten und Fiktionen, dieMichael Bodin in seinem Buch zitiert, legeneine Bejahung dieser Frage nahe. Zum Beispielbeträgt einer Studie von 1983 zufolge die ge-mittelte Lebenserwartung von deutschen Jour-nalistInnen lediglich 61 Jahre, immerhin dreiJahre mehr als die der Gastwirte. In Schweden

hingegen unterscheidet sich die Mortalitätsrateder schreibenden Zunft nicht vom Bevölke-rungsdurchschnitt. Die nachweisbar umfang-reichen und unregelmäßigen Arbeitszeiten,Zeitdruck, Wissensdefizite und verschiedenesoziale Stressoren (Stichwort „Redaktions-klima“) können zum Gefühl von Überforde-rung beitragen. Empirisch lediglich schwachbelegt ist der Roman- und Film-Mythos desunablässig rauchenden und Whisky oder ande-re Rauschmittel konsumierenden Reporters.Stress als komplexe, dynamische und unange-nehm erlebte Interaktion zwischen Individuumund Umwelt ist eine zentrale, aber nicht dieeinzige Komponente im Burnout-Prozess.

Arbeitsunzufriedenheit und Burnout hän-gen zusammen, obwohl beide Phänomenenicht gleichzusetzen sind. Die in etlichen Stu-dien gefundene hohe Arbeitszufriedenheit vonJournalistInnen scheint gegen ihren vermehr-ten Burnout zu sprechen. Doch solche Befundesind nur wenig aussagekräftig, denn eine hoheArbeitszufriedenheit kann in sehr vielen, wennnicht gar in den meisten Berufen beobachtetwerden, selbst in denen, die eine überpropor-tionale Frequenz an Ausgebrannten aufweisen(z. B. in der Medizin). Möglich ist auch, dassder Stress größer und der Burnout im Journa-lismus deshalb häufiger sind, weil JournalistIn-nen zum einen psychische Abwehrmechanis-men gegenüber größeren und kleineren Kata-strophen entwickeln müssen und zum anderenbei ihnen durch die ständige Aktualisierungund Addition von Informationen eine kontext-lose Sinnleere entstehen könnte. Beide Ursa-chefaktoren bedingen möglicherweise Zynis-mus und Unempfindlichkeit.

Michael Bodins eigene Untersuchung wurdedurch drei Forschungsfragen (Ausmaß desBurnouts im Journalismus, dessen Ursachen-komplexe und mögliche Gegenstrategien) so-wie neun, willkürlich zusammengewürfelteHypothesen geleitet. Den Fragebogen mitfünf- und siebenstufigen Rating-Skalen beant-worteten 66 von 213 angeschriebenen Zei-tungs-, Agentur- und HörfunkjournalistInnen,wobei nicht thematisiert wird, wie das Samplezustande kam und ob die Nicht-Beantworte-rInnen vielleicht deshalb nicht geantwortethaben, weil sie zu gestresst waren. Unklar istauch, weshalb TV-JournalistInnen nicht einbe-zogen wurden, ob die HörfunkjournalistInnenfür öffentlich-rechtliche Sender oder privateAnbieter arbeiteten, und wann die Untersu-

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chung überhaupt stattfand. Ein Satz im Vor-wort legt die Vermutung nahe, dass die Datenbereits 1996 erhoben wurden.

Nach einer zumeist redundanten Methoden-diskussion (z. B. S. 62: „Prozentwerte geben an,wie groß der Anteil der Befragten (bezogen auf100) ist,...“) präsentiert Bodin die hypothesen-relevanten Ergebnisse systematisch und über-sichtlich. Zwar leidet jede/r fünfte Journalist/inan Burnout, vor allem Jüngere, eher Frauen undinsbesondere Agenturjournalist/innen. Dochim Vergleich zu anderen Sozialberufen ist dasAusgebranntsein im Journalismus eher unter-durchschnittlich verbreitet. JournalistInnenmit hohen Burnout-Werten erleben zumeistberuflich-private Rollenkonflikte. Sie könnensignifikant häufiger als ihre KollegInnen dieAnforderungen an ihren Beruf nicht mit ihremPrivatleben (Familie, Partnerschaft, Freund-schaft) vereinbaren. Eine idealistische (pädago-gisch motivierte) Berufsauffassung selbst ist of-fenbar kein Grund für Ausgebranntsein. Ob-wohl wenig Recherchezeit und ZeitdruckStress erzeugen, haben die journalistischen An-sprüche nur einen geringen Einfluss auf denBurnout. Ausgebrannte erhalten zwar für ihreArbeit wenig Feed-back, vor allem von den Pu-blika, doch sind die Korrelationen zwischenBurnout und Rückmeldung zu schwach, umklare Aussagen treffen zu können.

Bodins Ergebnisse vermitteln zwar zahlrei-che Denk- und damit Forschungsanstöße, abergenerell ist zu bemängeln, dass die sozialisato-rischen, inner- und außermediären sowie diegesellschaftlichen Einflussfaktoren auf dasStress- und/oder Burnout-Erleben von Journa-listInnen zu wenig systematisiert wurden. Sowäre es hilfreich gewesen, wenn Michael Bodinseinen Hypothesen z. B. das Zwiebelmodellvon Weischenberg (vgl. z. B. Scholl & Wei-schenberg, 1998) oder das von Shoemaker &Reese (1991) zugrunde gelegt hätte.

Lobenswert ist, dass sich Bodin nicht auf dieempirische Darstellung beschränkt, sondernauch aufzeigt, wie man den Burnout im Jour-nalismus in den Griff bekommen kann, etwadurch langfristige Planung, Dienst- und Ur-laubspläne, flexible Arbeitszeiten, Sabbatjahr,Job-Rotation, mehr Feedback von Vorgesetz-ten, einen veränderten Führungsstil („primusinter pares“), Reflexion, Supervision (in Semi-naren) sowie individuelle Gegenstrategien(z. B. „in Bezug auf die Verlockungen des Ak-tualitäten-Konsums“).

Die Literaturliste von Bodin ist nachlässig:falsche Namenswiedergabe, Buchdopplungen,fehlende Zeitschriftenseiten und uneinheitlicheAuflistung der Publikationen. Trotz aller in-haltlicher und formaler Kritik sollte man Bo-dins Buch dennoch nicht ignorieren, denn esbietet nicht nur einen Überblick über die vor-handenen theoretischen Ansätze zu Stress undBurnout, sondern auch relativ aktuelle, empiri-sche Daten, die den Stellenwert des Burnout imJournalismus verdeutlichen.

Karin Böhme-Dürr

Literatur:Scholl, A.; Weischenberg, S. (1998): Journalis-

mus in der Gesellschaft. Opladen.Shoemaker, P. J.; Reese, St. D. (1991): Media-

ting the message. Theories of influences onmass media content. New York.

Jostein Gripsrud (Ed.)

Television and Common Knowledge

London/New York: Routledge, 1999. – 209 S.

ISBN 0-415-18929-2

Das Buch ist – bis auf drei Beiträge –das Ergeb-nis eines 1995 durchgeführten Colloquiums desProjekts „Rhetoric, Knowledge, Mediation“ ander norwegischen Universität Bergen. DerBand liefert einen Überblick über möglicheTheorieansätze und Konzepte, mit denen Fern-sehen auf einer allgemeinen Ebene sozialwis-senschaftlich untersucht werden kann. VomAllgemeinen zum Besonderen voranschreitendumkreist der Reader allerdings eher die ein-gangs umrissene Problemstellung, als dass er siewirklich ausführlich erörtert. Was unter„Common Knowledge“ wirklich gemeint istund wie dieser ja etwas schillernde Begriff zufassen ist, bleibt letztlich unklar.

Im ersten Abschnitt werden Konzepte derÖffentlichkeit(en) (public sphere[s]) skizziert.Graham Murdock (Bergen) folgt einem an Ha-bermas orientierten Modell und sieht die um-fassenden Funktionen der Öffentlichkeit mitihren festgeschriebenen bürgerlichen Rechtendurch eine „Politische Ökonomie des Populis-mus“ unterminiert. Eine Gegenposition be-zieht Daniel Dayan (Oslo), indem er in der vonihm konstatierten Partikularisierung der Öf-fentlichkeit, der Entstehung zahlreicher Teilöf-fentlichkeiten, eine Chance für soziale, kultu-

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relle und ethnische Minderheiten sieht, eineIdentität zu erhalten. Vor allem die versprengtlebenden Mitgliedern einer Gemeinschaft er-halten durch die Medien die Chance, weiterhin(zumindest medial vermittelt) in der Gemein-schaft zu leben. Jostein Gripsrud (Bergen) un-tersucht mit Blick auf Bourdieu die „Felder“,die sich für Akademiker und Journalisten kul-turell als Öffentlichkeit herausbilden, wie derunterschiedliche Habitus der beiden Gruppenmit der Struktur der Fernsehöffentlichkeit kol-lidiert. Dass sich die Wissenschaften im Fernse-hen unterschiedlich präsentieren und diese Dif-ferenz sich wiederum auf die gesellschaftlicheBewertung der Wissenschaft auswirkt, ist eineweitere These Gripsruds, die jedoch breiter alsdurch einige plakative Beispiele nachgewiesenwerden müsste. Dass umgekehrt für die Ver-mittlung von Wissenschaft im Fernsehen heutebesondere Qualifikationen benötigt werden,die nicht zum akademischen Habitus gehören,liegt nahe, ist als Einsicht nicht besonders neu.

Der zweite Abschnitt beschäftigt sich mitden soziokulturellen Funktionen der Medien.John Ellis (Bergen) sieht im Fernsehen eineInstitution, die in einem „offenen Prozess“ diegesellschaftlichen Themen, Probleme etc.„durcharbeitet“, sie „in Formen“ bringt, zu„Stories“ verarbeitet, ohne jeweils Lösungenanzubieten. Ellis diskutiert diese These anhandverschiedener Genres (Soaps, Dokumentatio-nen, Sport, Fiction etc.) und arbeitet verschie-denen Strategien und Formen heraus. So span-nend Ellis’ Ansatz ist, analytisch bleibt das Pro-blem, dass dieser „Verarbeitungsprozess“ letzt-lich nur theoretisch gefasst wird, weil demanalytischen Beobachter das „Rohmaterial“ fürdiese mediale Verarbeitung selbst immer nur inmedialer Form präsentiert wird. Ein klassischhermeneutisches Problem also. Roger Silver-stone (London) stellt Zugänge zur Produkti-onsanalyse vor, die von allgemeinen Kultur-theorien über die Rhetorik, Spiel- und Perfor-mance-Theorien bis zu Narrationstheorien rei-chen, in der Fülle der Ansätze aber auch einengewissen Grad von Beliebigkeit aufweisen. AlsBeispielmaterial, auf das aber nicht weiter ein-gegangen wird, bedient er sich dabei seiner Pro-duktionsanalysen von Wissenschaftsdokumen-tationen, die er in den achtziger Jahren publi-ziert hat. Sonya Livingstone (London) beschäf-tigt sich explizit mit der Wissensvermittlungund -erzeugung durch das Fernsehen und un-terscheidet Wiedererkennen und Entdecken als

zentrale Aktivitäten, die sie in einen größerenRahmen der Kontextualisierung mit unter-schiedlichen Aneignungsformen einordnet. Pe-ter Larsen (Bergen) orientiert sich in seinemAnsatz, Fernsehen, Technik und Bewusstseinin einem Zusammenhang zu sehen, an Michelde Certeau und betrachtet Fernsehen unterdem Gesichtspunkt der Herstellung kulturellerRäume, wobei die Reisemetaphorik, die Kar-tensymbolik, „Travel Stories“ etc. vielleichtauch einmal problematisiert werden könnte.Heuristisch ist ein solcher Ansatz interessant,aber die Reisetopik setzt ja wiederum ein be-stimmtes Bild von Bewusstseinsorganisationvoraus.

Der dritte Abschnitt betrachtet das Themades Bandes stärker von den Produkten aus,sieht Genre-Konstruktion (bzw. Formatpro-blematik) und Wissenserzeugung in einem en-gen Zusammenhang. Klaus Bruhn Jensen (Ko-penhagen) und David Morley (London) be-schäftigen sich mit den Nachrichten, Morleyvor allem mit der Herstellung eines Verständ-nisses von Welt durch die Nachrichten. AndersJohansen geht mit Hilfe von Versuchsreihen,die den mimisch-gestischen Ausdruck einerPerson im Fernsehen dokumentieren. Überra-schenderweise gibt es hier keinen Verweis aufdie Physiognomik. John Corner (Liverpool)untersucht Dokumentationen und Suzanne deCheveigné analysiert französische Wissen-schaftssendungen. Corners Auseinanderset-zung mit den Dokumentarismusdiskursen undden verschiedenen Stilen des Dokumentaris-mus mit Blick auf die BBC-Produktionen derneunziger Jahre führt immerhin dahin, dass erverschiedene Konzepte kurz skizziert und vierTrends im BBC-Fernsehdokumentarismusausmachen kann. Hier wird eine sonst im Buchseltene Konkretion erreicht.

Die Zugangsweisen, die hier von den ver-schiedenen Autoren zum Verhältnis von Fern-sehen und Alltagswissen vorgestellt werden,liefern einen explizit sozialwissenschaftlichenEinstieg. Dies erklärt sich nicht zuletzt auchaus der wissenschaftlichen Herkunft der Refe-renten. Die eher aus den Text- und Kulturwis-senschaften kommenden Ansätze, die sich aufTextanalyse, Dramaturgie, auf die Traditionender Genre- und Formanalyse beziehen, sindweitgehend ausgeblendet oder kommen nursehr am Rande in den Blick. Das ist bedauer-lich, und der Mangel zeigt sich besonders an dernur peripheren Beschäftigung mit dem großen

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Bereich der Fernsehfiktion, den im Grunde nurEllis anspricht.

Ebenso nachteilig, aber bei einem solchenKonferenzband wohl nicht anders möglich, istder Verzicht auf die Anwendung der Konzepteauf Beispiele. Dadurch bleibt vieles im Unge-fähren. Diese Vorgehensweise stärkt damit diemögliche Suggestion deutschsprachiger Leser,man könne die hier angesprochenen Konzepteproblemlos auch auf deutsche Fernsehverhält-nisse anwenden. Dass gelegentlich mit be-stimmten Kategorien Anderes gemeint ist alsim deutschsprachigen Bereich, bleibt damit vie-len deutschsprachigen Lesern eher unsichtbar.Trotzdem ein lesenswerter Überblick.

Knut Hickethier

Claudia Mast

Programmpolitik zwischen Markt und Moral

Entscheidungsprozesse über Gewalt im Deut-schen Fernsehen – eine explorative Studie(unter Mitarbeit von Karen Exner, ClausHoffmann, Marc Liesching, Esther Lorenz,Anette Scharf)

Opladen/ Wiesbaden: Westdeutscher Verlag,1999. – 392 S.

ISBN 3-531-13346-2

Über wenige Themen ist seit der Ausbreitungdes Fernsehens, vor allem seit der Entstehungprivater Programme so heftig gestritten, soideologiebelastet spekuliert, so kühl analysiert,aber auch so folgenlos gewarnt worden wieüber Gewalt im Fernsehen und deren Wirkun-gen auf das Publikum. Lassen sich dieser Frageheute noch neue, interessante, weiterführendeAspekte abgewinnen? Die von Claudia Mastvorgelegte Studie rechtfertigt ihr Erscheinendurch drei gewichtige Vorzüge: Zum einendurch die überzeugende Gliederung der Be-schreibung von Entscheidungsprozessen überGewaltdarstellungen in fünf ausgewählten Ver-antwortungsbereichen: Markt, Medienrecht,Medienpublikum, Rundfunkunternehmen undJournalismus, ergänzt um ein Kapitel zu dendrei Einflussfaktoren Kontrollinstanzen, Wer-bung und Image. Zum Zweiten durch die vor-urteilsfreie, aber keineswegs voraussetzungslo-se Herangehensweise der einzelnen Autorin-nen und Autoren, die ihre sehr lesenswerten ex-plorativen Studien präzise an Personen, Sachenund Zusammenhängen orientiert haben. Und

zum Dritten durch den sowohl medientheore-tischen als auch medienpraktischen – zugleichdamit auch medienkritischen – Gehalt der Ar-beit, die sie als geeignete Grundlage vor allemfür Erwachsenenbildung und Schulunterrichtempfiehlt, was sich nicht von allen Publikatio-nen zum Thema Mediengewalt sagen lässt.

„Die vorliegenden Forschungsarbeiten sindzwar thematisch vielfältig, aber auch disparat“zitiert die Herausgeberin eine Feststellung derDFG-Kommission Medienforschung; dadurchentstehe insgesamt der Eindruck von bruch-stückhaften, zerstückelten Befunden, zwischendenen kein Zusammenhang bestehe, die einan-der sogar widersprächen. Dem setzt ClaudiaMast einen Ansatz entgegen, der einerseits dieInterdependenz verschiedener Teilsysteme desMediums Fernsehen in den Blick nimmt undgenauer untersucht, andererseits Medienmana-ger, Produzenten und Kommunikatoren alsHandelnde in einem medienspezifischen Inter-aktionsprozess begreift, durch deren Entschei-dungsverhalten Gewaltdarstellungen entwederermöglicht oder verhindert werden können.Wie sich diese Entscheidungsträger im Span-nungsfeld zwischen Markt und Moral bewe-gen, wurde für die Studie durch Gespräche mit55 im Anhang namentlich genannten Expertenermittelt, darunter Jugendschutzbeauftragte,Programmplaner, Medienforscher, Programm-einkäufer, Drehbuchautoren, Produzenten, lei-tende Redakteure sowie Vertreter von Auf-sichts- und Kontrollgremien, und zwar sowohlbei ARD und ZDF als auch bei sieben Privat-sendern. Überzeugend begründet wird diesesForschungsinteresse „hinter den Kulissen“damit, dass es Einflussfaktoren benennt, „diemit realistischer Aussicht auf Erfolg Entschei-dungsprozesse wenn schon nicht modifizieren,so doch zumindest offenlegen können“.

Dabei kommen zuweilen unerwartete Er-kenntnisse zu Tage. So beispielsweise, dass dieWerbewirtschaft als wichtige Finanzierungs-quelle vor allem für die privaten Fernsehanbie-ter gegenüber Gewaltdarstellungen eher nega-tiv eingestellt ist, weil sie – ungeachtet hoherReichweiten – nachteilige Auswirkungen aufihre Produkte befürchtet, wenn diese in einemgewaltbesetzten Programmumfeld erscheinen:„Werbung wirkt sich eher regulierend in Rich-tung familienfreundliche Programme aus“. Beiknapper werdenden Werbegeldern und einemdadurch schärfer werdenden Wettbewerb umWerbeaufträge ist es also keineswegs zwingend,

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dass es zu der oft beschworenen Spirale der Ge-walt in fiktionalen Sendungen, also Filmen undUnterhaltungssendungen, kommen muss.

Andererseits macht sich im journalistischenBereich, bei den Gewaltdarstellungen in Nach-richtensendungen etwa, der Wettbewerb zwi-schen den Programmveranstaltern dadurchnachteilig bemerkbar, dass Redaktionen mei-nen, auf bestimmte Bilder nicht verzichten zukönnen, wenn diese in konkurrierenden Pro-grammen gezeigt werden. „Sie können die öf-fentlich-rechtliche Messlatte der moralischenWerte nicht so anlegen, daß Sie Dinge gar nichtzeigen, die andere zeigen“ wird ein Redakteureiner öffentlich-rechtlichen Anstalt zitiert:„Dann wird Ihnen nämlich vorgeworfen, daßSie die Wirklichkeit schönen. Das ist ein sehrschmaler Grat, auf dem Sie sich da bewegen“.Am Anfang hätten Privatsender, um sich vonARD und ZDF abheben zu wollen und um beimPublikum Aufmerksamkeit erregen zu können,häufiger auf Gewalt, Unfälle und ähnliche The-men gesetzt, doch habe man dort bald eingese-hen, dass mit allzu sensationellen Darstellungenauf Dauer keine Kompetenz zu gewinnen sei.Doch Regelwerke helfen nicht viel weiter: „JedeGewaltszene ist wieder neu und unterscheidetsich von der anderen. In diesem Bereich gibt eskeine juristische Handhabe, sondern da gibt esnur diesen sensiblen Umgang mit täglich neuenund anderen Szenen.“ Gleichwohl verzichtetdas Kapitel über den VerantwortungsbereichMedienrecht nicht auf eine umfangreiche Dar-stellung der juristischen Vorgaben und Kon-trollinstanzen für das Programm. Sie umfasstden Jugendschutz, die straf- und die zivilrecht-lichen Bestimmungen und die Grundsätze fürdie Programmverantwortung bei den öffent-lich-rechtlichen wie bei den privaten Anbietern.Dargestellt werden auch die Aufgaben und Ar-beitsweisen der Freiwilligen Selbstkontrolle derFilmwirtschaft, der Bundesprüfstelle für ju-gendgefährdende Schriften und der FreiwilligenSelbstkontrolle Fernsehen, wobei die durch dieEG-Fernsehrichtlinie von 1989 und durch dieVereinbarung des Europarates von 1989 aufge-worfenen Fragen ebenfalls berücksichtigt wer-den.

Für medienwissenschaftlich und medien-praktisch Tätige mögen viele der in der Studiemitgeteilten Erkenntnisse und Einsichten nichtunbedingt neu oder überraschend sein. Den-noch überzeugt die Arbeit durch die Kohärenz,mit der die komplexen Sachverhalte gesehen

und dargestellt werden und vor allem durch daserkennbar starke, in der Sache begründete En-gagement der Herausgeberin, ihrer Mitautorin-nen und Mitautoren.

Manfred Jenke

Jo Reichertz

Die frohe Botschaft des Fernsehens

Kulturwissenschaftliche Untersuchung media-ler Diesseitsreligion

Konstanz: UVK, 2000. – 277 S.

(Reihe: Passagen & Transdenzen; 10)

ISBN 3-87940-744-4

Die Wechselwirkungen zwischen dem Fernse-hen und kulturellen Kontexten können als einbesonders schwieriges Gebiet der Kommuni-kationsforschung angesehen werden, da sie sichder empirischen Überprüfung weitgehend ent-ziehen. Mehr als andere Systeme ist Kultur imhohen Grade kohärent und erfordert daher denVorgriff auf das Ganze; das belegbare Detail-wissen muss ausgedeutet werden, damit es„Sinn macht“. Allerdings öffnet sich auf dieseWeise auch der abschüssige Weg zur Spekulati-on, dem sowohl die geisteswissenschaftlicheHermeneutik als auch die (qualitative) Sozial-forschung methodische Riegel vorzuschiebenversuchen.

Die Gefahr allzu weit reichender Schlussfol-gerungen ist umso größer, je weniger der Ana-lyse ein theoretisches Konzept zugrunde liegtund je mehr sich wissenschaftliches Tun aufeinzelne Plausibilitätsbefunde verlässt. Rei-chertz’ Studie nimmt mit den Ausführungen zufunktionalen Äquivalenten und zur sozialenDifferenzierung auf Denkfiguren des Struktur-funktionalismus Bezug. Der Verfasser geht da-von aus, dass das Fernsehen Angebote bereit-hält, die in früheren Zeiten der Volksreligionvorbehalten waren. Fortschreitende sozialeDifferenzierung sorgt nach seiner Ansichtdafür, dass Institutionen in ein Konkurrenz-verhältnis treten, Aufgaben neu verteilt werdenund Spezialisierungen stattfinden. Das Fernse-hen sei im Verlaufe dieser Entwicklung zu einerArt Gnadenanstalt geworden, die Transzen-denzbedürfnisse erfülle.

Dieser Gedanke einer religiösen Sinnhaftig-keit der TV-Unterhaltung ist keineswegs neu.Besonders in den 50er Jahren – worauf Knut

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Hickethier hingewiesen hat – war das MediumFernsehen faszinierend genug, um quasi-litur-gische Formen des Umgangs zustandekommenzu lassen. Aber auch mit Blick auf aktuelle Er-scheinungen wurden immer wieder Parallelenzwischen Fernsehnutzung und religiösen Prak-tiken herausgearbeitet. Reichertz kennt dieseForschung, setzt sich aber kaum mit ihr argu-mentativ auseinander.

Im Zentrum der Überlegungen steht das„performative Fernsehen“, genauer, die For-mate für performative Fernsehauftritte. Die Be-sonderheit dieser Sendungen ist darin zu sehen,dass „es dort zu .... Handlungen kommt, die beiden Akteuren und den Beobachtern Affekteauslösen“ (S. 29). Gemeint sind also die Beicht-und Bekenntnis-Talkshows sowie Kontakt-und Surprise-Shows. Den Schwerpunkt derAnalyse bildet die Traumhochzeit, die nachAnsicht des Verfassers ein eigenes Format dar-stellt; mehr als 100 Seiten des Buches widmet erder von der niederländischen Moderatorin Lin-da de Mol moderierten Sendung für Heirats-willige.

Der Ertrag der Studie ist allerdings eher be-scheiden. Die Bewerbung zur Traumhochzeitfolge einem irrationalen Impuls, das Fernsehensei für die Kandidaten eine heilige Instanz, de-ren Logik man nicht kenne, die schon beste-hende Verbindung zwischen den Partnern wer-de durch das Fernsehen verklärt und ins Trans-zendente erhoben. Diese Deutung der zu Pro-tokoll gegebenen Emotionen wird mitstrukturell-funktionalen Argumentationen ineinen Zusammenhang gebracht, der sich eben-so gut auf Hochzeitsbräuche allgemein bezie-hen könnte. Das Treueversprechen vor Zeugen,so wird argumentiert, ziele auf die Exklusivitätder Beziehung ab und regele den Umgang mitanderen. Die Allgemeinheit werde aufgefor-dert, die Einhaltung der eingegangenen Ver-pflichtungen zu kontrollieren, so dass sowohlInnen- als auch Außendruck das Paar verbin-den. Wenig überzeugend ist die Schlussfolge-rung, die Gesellschaft habe die Fernseh-Traumhochzeit geschaffen, um durch Poten-zierung der Zahl von Zeugen zur Stabilität vonEhen beizutragen. Tatsächlich beziehen sichdiese Erwägungen ja auf die Kandidaten, nichtauf die Zuschauer. Für die 83 Paare, die sich seitBeginn der Sendung im Jahre 1992 vor laufen-der Kamera das Jawort gaben, wäre ein derarti-ger, mit dem Ziel der „Kontinuitätssicherung“betriebener Aufwand etwas hoch. Dazu muss –

von der makrosoziologischen Perspektive ausgesehen – die Öffentlichkeit der zivilen Trau-ung, die in der Regel ohne Fernsehkamerasstattfindet und im Grenzfall nur durch die bei-den Trauzeugen hergestellt wird – ausreichen.

Aus demselben Grunde, nämlich der Konti-nuitätssicherung, war die Hochzeit zu den ver-schiedensten Epochen nicht privat. Im bürger-lichen Zeitalter hatte selbst das Eheversprechendokumentiert zu werden, ergaben sich dochdaraus, bis zur Möglichkeit der Klage auf Scha-densersatz (Kranzgeld), zahlreiche Folgen. Fürdie tendenzielle Nivellierung von Intimgren-zen, das heißt für den Niedergang des Privaten,ist die Traumhochzeit also ein eher ungeeigne-tes Beispiel. Die Fernsehhochzeit kontrastiertnicht mit traditionellen Vermählungsritualen;sie potenziert nur, was in der Hochzeit ohnehinschon angelegt ist, den Vertrag, das feierlicheRitual, das Fest, an dem in früheren Zeiten häu-fig als Vertreter des anonymen Teils der Öf-fentlichkeit auch völlig Fremde teilnahmen,den großen Auftritt, ja die Show.

Als Motiv für die Paare, sich für die Traum-hochzeit zu bewerben, mag die Hoffnung aufStabilität eine Bedeutung haben. Neben demmateriellen Zugewinn könnte die Definitions-macht des Publikums als Mittel herhalten, sichselbst und den Partner in die Rolle glücklichVerheirateter zu bringen und damit andere Op-tionen auszuschalten. Für Reichertz ist aller-dings etwas anderes entscheidend, nämlich dasreligiöse Bedürfnis, eine höhere Instanz anzu-rufen, von ihr auserwählt zu werden und dieBeziehung durch diese von außen kommendeMacht heiligen zu lassen. Dass die Traumhoch-zeit derartigen Erwartungen nachkommt,meint Reichertz mit der Analyse der Trau-Rede nachweisen zu können. Tatsächlich aberentscheidet sich Willi Weber, der Standesbeam-te aus der Traumhochzeit, für einen schlichten,zivilen Text. Mit „Herzlich willkommen“ be-grüßt er das Brautpaar und fährt fort mit„Schön, dass ihr gekommen seid.“ Seine Redeist nicht religiöser als die seiner TV-losen Kol-legen, und auch eine banale Formulierung „dasSchöne an dieser Sendung ist“ muss noch nichtauf den „Sendungscharakter“ seiner – zumal si-mulierten – Amtshandlung schließen lassen.Warum sollte Willi Weber aufgrund einer An-sprache, wie sie bei solchen Anlässen auch inganz normalen Standesämtern üblich ist, ein„praktizierender Magier“ (S. 189) sein?

Reichertz kommt zu Schlussfolgerungen, die

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durch das Material und die Methoden nicht ge-deckt sind. Es scheint, als wenn sich einem vor-gegebenen Interpretationsschema auch wider-ständige Sachverhalte fügen müssen. So wirdapodiktisch festgestellt, dass es den Kandidatennicht in erster Linie um materiellen Gewinngeht (S. 201). Aber zwei Interviews mit Teil-nehmern der Show können wohl nicht dieMöglichkeit ausschließen, dass sich Traumpaa-re primär wegen der zu erwartenden Sachprei-se und Geschenke, deren Wert auch im fünf-stelligen Bereich liegen kann, für die „Traum-hochzeit“ oder andere Formate des performati-ven Fernsehens melden. Schließlich gibt esgenügend Freiwillige, die sich wegen materiel-ler Gewinne sogar mit völlig Fremden in einenWohncontainer begeben.

Überhaupt ist nicht nachvollziehbar, wie dieumfangreichen methodischen Überlegungen(S. 45ff.) in der Untersuchung zum Tragenkommen. Zuweilen, so zum Beispiel bei der In-terpretation des Interviews mit dem Kandida-tenpaar Eva und Ralf, geht der Autor, wie erselbst zugibt, von einer „schlichten Hermeneu-tik“ (S. 155) aus. Vielleicht sind es – genau sowie bei Big Brother – wenig religiöse Motive,die junge Paare ins Fernsehstudio bringen.Auch das Bedürfnis nach Beachtung könnte dieKandidaten dazu veranlassen, ihr Treuever-sprechen vor einem Millionenpublikum abzu-geben. Der Verfasser vermag mit Hilfe seinesAuswertungsverfahrens diese These ebensowenig auszuschließen wie andere, zum Beispieldie, dass bei der Traumhochzeit die „Erlebnis-rationalität“ im Vordergrund steht. Am we-nigsten dürften es die von Reichertz zitiertenScheidungsziffern sein, die – in der Hoffnungauf Stabilisierung – die Paare bei Linda de Molvorstellig werden lassen. Auch die Frage „Hal-ten die Ehen der Traumhochzeitspaare wirk-lich länger?“ (S. 211) führt an die Grenze desempirisch Verkraftbaren.

Die eher randständig behandelten Surprise-Shows bieten gleichfalls nicht mehr Belege fürdie religiös-kirchlichen Funktionen dieserFernsehformate. Mag sein, dass das Mediumund seine rheinisch-niederländischen Reprä-sentanten Wünsche erfüllen, manchmal auchauf wunderbare Art und Weise. Aber wird da-mit ein grundlegender Funktionswandel imKontext langfristiger sozialer Differenzie-rungsprozesse bestätigt? Zwischendurch istperformatives Fernsehen, wie Reichertz fest-stellt, auch „Turnier“ und „Groschenroman“

(S. 147). An anderer Stelle wiederum wird her-ausgearbeitet, dass das Fernsehen ein funktio-nales Äquivalent für Pädagogik (!) sei. Geradeeine allgemein kulturwissenschaftliche Fra-gestellung bedarf einer stringenten Bearbei-tung. Reichertz nimmt zu viele Argumentati-onslinien auf und hinterlässt Verwirrung.Wenn das Fernsehen die Kirchen beerbt, wer-den die religiösen Tendenzen ja wohl noch zu-nehmen. Im Augenblick ist davon aber nichtviel zu spüren.

Klaus Plake

Annette von Kalckreuth

Geschlechtsspezifische Vielfalt im Rundfunk

Ansätze zur Regulierung von Geschlechts-rollenklischees

Baden-Baden: Nomos 2000. – 245 S.

ISBN 3-7890-6693-1

„Die Verpflichtung des Rundfunks zu Plura-lität bindet ihn [daher] auch an die Darstellungund Vermittlung der unterschiedlichen Le-bensrealitäten der Bevölkerung, und zwar so-wohl der männlichen als auch der weiblichen.Was ein vielfältiges Frauenbild anbelangt, wirdder Rundfunk diesem Anspruch in seinen Pro-grammen jedoch nicht gerecht“ (S. 17). Mit die-ser Hypothese eröffnet die Autorin die Einlei-tung ihres ursprünglich an der UniversitätAugsburg als juristische Dissertation entstan-denen Werks, das auf fast 250 Seiten eine zer-mürbende Vielzahl von Feldern beschreibt, aufdenen es im Bereich des Rundfunks um dieGleichberechtigung der Geschlechter (tatsäch-lich oder vermeintlich) schlecht bestellt ist. Diepräzise und – wie in juristischen Arbeiten üb-lich – detaillierte Gliederung des Werkes ver-stärkt diesen Eindruck noch, zumal die – sehrhilfreichen – Zusammenfassungen am Ende derKapitel jeweils wie Variationen desselben The-mas anmuten. Diese Wiederholungen sind frei-lich nicht der Autorin anzulasten: Wer sich wiesie aufmacht, die „(…) rechtlichen Rahmenbe-dingungen, unter denen die Ausstrahlung desstereotypen Frauenbildes erfolgt bzw. unterdenen eine Regulierung des Fernsehfrauenbil-des möglich ist (…)“ (S. 18), einer umfassendenAnalyse zu unterziehen, der darf sich auf trau-rige Déjà-vu-Erlebnisse gefasst machen.

Die Arbeit konzentriert sich fast ausschließ-lich auf das Fernsehen und dort wiederum auf

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den Programmbereich, die besondere Proble-matik des Frauenbildes in der Werbung bleibtdemnach unberücksichtigt. Ziel der Untersu-chung ist zu ermitteln, wie Geschlechtsrollen-klischees im Rundfunk durch rechtliche Steue-rung – und zwar sowohl im Hinblick auf dieprogrammliche als auch im Hinblick auf diepersonelle Ebene – vermieden werden könnenund „(…) die bestehende Bandbreite weiblicherLebensrealitäten angemessen zum Ausdruckgelangen (…)“ (S. 22) kann.

Im ersten Kapitel „Das Frauenbild im Rund-funk und seine Wirkungen“ versucht die Auto-rin zunächst eine „Bestandsaufnahme der Ste-reotypisierung und Sexualisierung von Frauenim Rundfunk“ (S. 23). Dieses Kapitel ist einesder schwächeren des Buches. Die Wirkungsde-batte wird naturgemäß sehr verkürzt wiederge-geben, und auch die mangelnde Differenzie-rung der Darstellung von programmlicher undpersoneller Ebene im Unterkapitel „Die ge-schlechtsstereotype Darstellung von Frauen imRundfunk“, das sich faktisch nicht nur mit derDarstellung, sondern auch mit der Repräsen-tanz von Frauen im Rundfunk befasst, trägtnicht zur Deutlichkeit bei. So muss dieses Ka-pitel, in dem die Ergebnisse zahlreicher mehroder weniger einschlägiger Studien nur sehrknapp referiert werden können, selbst mit eini-gen Stereotypen leben, etwa der Aussage, Frau-en seien im Fernsehen „(…) in der Mehrheit se-xuell attraktiv und provokativ angezogen(…)“(S. 36) oder der – nicht zutreffenden – Behaup-tung, Kinder säßen „immer häufiger und län-ger“ vor dem Fernsehgerät (S. 52).

Die folgenden Kapitel sind weitaus erhellen-der. Das zweite Kapitel befasst sich mit denverfassungsrechtlichen Implikationen für eineRegulierung von Geschlechtsrollenklischeesim Fernsehen. Die Autorin schlägt dabei vor,den „(…) Defiziten abwehrrechtlicher Grund-rechtsdogmatik (…)“ (S. 55), die sich beispiels-weise als blind für die strukturelle Benachtei-ligung von Frauen erweise, durch das Einbe-ziehen objektiv-rechtlicher Grundrechtsdi-mensionen zu begegnen. Sie kommt zu demSchluss: „Nur durch eine geschlechtsspezifi-sche Betrachtungsweise der Rundfunkfreiheitkönnen die Defizite in der Wahrnehmunggrundrechtlich geschützter Freiheiten fürFrauen sichtbar werden“ (S. 87). Von Kalck-reuth hält es für zulässig (und wohl auch für ge-boten), wenn der Gesetzgeber ein Kriterium„geschlechtsspezifische Vielfalt“ entwickeln

und regeln würde, denn gerade „staatliche Ab-stinenz“ (S. 57) könne hier dazu beitragen,Grundrechtsgewährleistungen zu stören. Vor-schläge für eine mögliche Ausgestaltung des ge-setzlichen Rahmens macht die Autorin im wei-teren Verlauf der Arbeit immer wieder, nach-dem sie im dritten Kapitel die entsprechendennormativen Grundlagen aufbereitet hat. Dabeiweist sie nicht wenige der bestehenden gesetz-lichen Grundlagen als „blutleere[r] Verweis[e]“(das Gebot der Meinungsvielfalt, S. 91) oder„nicht umsetzbare[n] normative[n] Proklama-tion“ (die verschiedenen Gleichberechtigungs-klauseln der Landesmediengesetze, S. 97)zurück, die ihr kaum operationalisierbar undinsofern ungeeignet für die Absicherung einesvielfältigen und gleichberechtigten Frauenbil-des scheinen. Insbesondere die Programmnor-men seien zurzeit in hohem Maße auf die Kon-kretisierung durch Rundfunkanstalten undRundfunkaufsicht angewiesen. Wie und in wel-chem Maße dies bereits erfolgt, untersucht dieAutorin für den öffentlich-rechtlichen (Kapitel4) und den privaten (Kapitel 5) Rundfunk sepa-rat. Ausführlich werden hier redaktionelleMaßnahmen, Frauenfördermaßnahmen, for-malisierte (Beschwerde-)Verfahren der Auf-sichtsinstanzen (Rundfunkräte und Landesme-dienanstalten) und (tatsächliche oder vermeint-liche) Defizite der Kontrolle unter die Lupe ge-nommen. Das Fazit der Autorin: Im Bereichder öffentlich-rechtlichen Veranstalter stellt sie„(…) eine sehr begrenzte Sensibilisierung (…)“(S. 138) fest, im Bereich der privaten Veranstal-ter „(…) ein relativ diffuses Problembewusst-sein (…)“ (S. 156). Struktureller Konservativis-mus des Systems sei zu beklagen, daneben fehl-ten Sanktionsmittel oder überhaupt die Kennt-nis sanktionsfähiger Vorgänge.

Ganz anders dagegen, so schildert es die Au-torin im ländervergleichenden sechsten Kapi-tel, sei es in Kanada, wo die Regulierung vonGeschlechtsrollenklischees bereits einen deut-lichen Vorsprung habe. Zwar habe sich keinesder in Kanada erprobten diesbezüglichen Re-gulierungsmodelle wirklich bewährt, aber eshabe sich ein Bewusstsein für das Thema ent-wickelt. Ob man sich ein Pendant der kanadi-schen „Guidelines on Sex-Role Portrayal“, diedie Autorin im Anhang des Buches abdruckt,wirklich wünschen sollte? Immerhin hat manes dort mit durchaus komplexen Leitlinien wieder folgenden zu tun: „Stereotyping in CBCprograms is acceptable only when it is essential

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to the realization of a program purpose.“ VielFantasie braucht man nicht, um sich auszuma-len, wie Veranstalter und Regulierer auch hier-zulande in endlosen Debatten die Frage derdramaturgischen (Nicht-)Notwendigkeit ste-reotyper Darstellungen diskutieren würden,gäbe es eine entsprechende konkretisierendeVorschrift.

Man muss der Autorin zugute halten, dassihr dieses Problem wohl bewusst ist. Sieschließt ihre Arbeit daher mit einer Vielzahlhöchst unterschiedlicher Vorschläge zur Regu-lierung von Geschlechtsrollenklischees ab.Vordringlich scheinen ihr dabei der Erlass einesergänzenden Programmgrundsatzes zur Her-stellung geschlechtsspezifischer Vielfalt ein-schließlich der entsprechenden Konkretisie-rungen (in Form etwa von Richtlinien oderStrukturkonzepten) sowie das weite Feld derpersonellen Frauenförderung. Viele dieserVorschläge wird man weitaus schneller gut-heißen als umsetzen können, andere wiederumscheinen schon recht weit von der Praxisentfernt – etwa der Gedanke, Zulassungsver-fahren grundsätzlich als öffentliche Anhörun-gen durchzuführen, in denen sich die Zuschau-er „ein Bild über die Eignung des Bewerbers“(S. 199) machen können. Es spricht aber für dasBuch, dass die Autorin auf allen Ebenen nachLösungen des von ihr als Problem beschriebe-nen Phänomens sucht – und dies tut sie in sehrübersichtlicher, bis auf wenige Ausnahmensorgfältig recherchierter und auch für Nicht-Juristen gut verständlicher Form. Wer einensubstanziellen Überblick über die entsprechen-de Forschung sucht, der wird ihn in diesemBuch nicht finden. Eine gute Anschaffung ist esjedoch für diejenigen, die sich einen Überblicküber die – mindestens aus weiblicher Perspek-tive oft mit Recht so bezeichneten – Schwächendes Systems verschaffen wollen – und überMöglichkeiten, kleinere oder größere Schrittein eine andere Richtung zu tun. Dass das Buchdie Leser trotz dieser Fülle an Informationenrecht ratlos zurücklässt, muss denn auch nichtam Buch liegen.

Dagmar Schütte

Klaus Kamps (Hrsg.)

Trans-Atlantik – Trans-Portabel?

Die Amerikanisierungsthese in der politischenKommunikation.

Wiesbaden: Westdeutscher Verlag, 2000. – 340 S.

ISBN 3-531-13508-2

Nur selten passiert es, dass Kommunikations-phänomene zur selben Zeit sowohl auf wissen-schaftliche als auch auf publizistische Resonanzstoßen – und sich dann auch noch derselbenBegrifflichkeiten bedienen. Die so genannte„Amerikanisierung“ der politischen Kommu-nikation ist einer dieser Fälle. Zuletzt habeninsbesondere der Bundestagswahlkampf 1998und der nordrhein-westfälische Landtagswahl-kampf 2000 in diesem Zusammenhang für eineFülle meist kritischer und besorgter Medien-stimmen gesorgt, die im Import von Wahl-kampfelementen aus den USA das beginnendeEnde der politischen Kommunikationskulturin Deutschland sahen.

Entgegen derartiger publizistischer Stereo-type, die „Amerikanisierung“ als moderneForm der Kolonialisierung betrachten, be-mühen sich die seit Mitte der neunziger Jahresprunghaft angestiegenen wissenschaftlichenPublikationen zumeist um eine differenziertereAnalyse der vielfältigen Veränderungen der po-litischen Kommunikation in Deutschland. Hierreiht sich der vorliegende Sammelband nahtlosein. Aus unterschiedlichen Perspektiven wer-den in insgesamt sechszehn Beiträgen Ursa-chen, Symptome und Einzelphänomene der sogenannten „Amerikanisierungsthese“ beleuch-tet.

Präsentiert werden zunächst drei theoriege-leitete bzw. begriffsdefinitorische Beiträge(Klaus Kamps, Patrick Donges, ChristinaHoltz-Bacha), deren Anspruch es ist, den dif-fusen Catch-All-Begriff „Amerikanisierung“zu entwirren und von seinen negativen Kon-notationen zu befreien. Als Einstieg zu emp-fehlen ist hier vor allem der Beitrag von Don-ges, der die verschiedenen Implikationen, Subjekte und Gegenstände der Amerikanisie-rungsthese ausdifferenziert und sie mit Globa-lisierungs- und Modernisierungsansätzen kon-frontiert. Dabei wird deutlich, dass es bei derFrage der „Amerikanisierung“ vor allem umden Grad der Professionalisierung modernerpolitischer Kommunikation geht. Noch unklar

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ist jedoch, ob und wie man diesen messen kann.Holtz-Bacha versucht dies anhand eines Ver-gleiches der politischen Kommunikationsbera-ter in den USA und Deutschland sowie auf derEbene der Kampagnenstrategien. Ihrem Fa-zit einer „bedingten Amerikanisierung“ (S. 52) kann nicht widersprochen werden. Inabgewandelter Form findet es sich auch in fastallen Beiträgen des Bandes wieder, die kultu-relle und strukturelle Adaptionsgrenzen for-mulieren. Angesichts solcher relativ stabilerConstraints stellt sich jedoch die Frage, ob einVergleich zwischen den USA und Deutschlandnicht zu immer demselben Ergebnis kommenmuss, ob die Amerikanisierungs- bzw. „Im-portthese“ nicht prinzipiell auf die falsche Spurführt. Als analytisch sinnvolle Alternative bötesich vor allem der im Band mehrfach angespro-chene Modernisierungsansatz an, wonach diezu beobachtenden Veränderungen der politi-schen Kommunikation ihre Ursache in sichwandelnden sozialen und medialen Rahmenbe-dingungen haben. Als Bezugspunkt würde hierder – zeitlich variierende ( Grad der Modernitätbzw. der Professionalität der politischen Kom-munikation die USA als Vergleichsobjekt er-setzen, die dann die Rolle eines Vorreiters undnicht, wie es die „Amerikanisierungsthese“suggeriert, eines Vorbildes einnähmen.

Neben diesen einleitenden und grundlegen-den Beiträgen widmet sich der Band z.T. in(empirisch) vergleichender Perspektive (USAund Deutschland), z.T. am Beispiel von Einzel-fallanalysen (USA oder Deutschland) verschie-denen Facetten moderner politischer Kommu-nikation wie z. B. „Personalisierung“, „Enter-tainisierung“, „Spin Doctoring“ etc.. Die Ein-zelbeiträge sind vier größeren Abschnitten(„Wahlkämpfe und Strategien“, „Macht undBeobachtung“, „Akteure und Medien“ sowie„Pop und Prognosen“) zugeordnet, wobei an-dere Bündelungen sicherlich auch denkbar undsinnvoll gewesen wären.

Im ersten Abschnitt finden sich die Beiträgevon Christina Holtz-Bacha (s. o.), GerhardVowe/Jens Wolling und Christoph Bie-ber. Vowe/Wolling kontrastieren mit Blick aufDeutschland das Oberflächenphänomen„Amerikanisierung von Wahlkämpfen“ mitdem Konzept des politischen Marketings. Die-ses können sie überzeugend als dauerhaftesMuster politischer Kommunikation skizzieren,wenn auch die empirische Überprüfung an-hand einer Befragung in Dresden nur exempla-

rischen Charakter hat. Innovativ ist jedoch ihrAnsatz, die Notwendigkeit politischen Marke-tings aus Sicht der Nutzer und nicht – wie üb-lich – aus Sicht der Parteien zu begründen. DieBedeutung des Internets für politisches Marke-ting unterstreicht Christoph Bieber mit Blickauf die US-Präsidentschaftswahlen des Jahres2000. Die Digitalisierung der Kampagne wirdhier als ein wesentlicher Bestandteil der „Ame-rikanisierung“ herausgestellt. Ernüchternd istjedoch die Einschätzung des Autors, dass sichdie interaktiven Potenziale des Netzes auf demRückzug befänden: virtuelle Gemeinschaftenwürden durch den virtuellen Markt ersetztwerden (S. 104).

Der Abschnitt „Macht und Beobachtung“umfasst drei Beiträge, deren gemeinsamer An-ker die Rolle des Journalismus darstellt. Denumfassendsten Blick richten hierbei MiriamMeckel und Armin Scholl auf deutsche undamerikanische Journalismuskulturen, die sieanhand von Arbeits- und Berufsrollen verglei-chen. Langfristig sehen die Autoren angesichtskultureller Unterschiede keine „Amerikanisie-rung“, sondern eher einen ökonomisch beding-ten Trend zur Globalisierung. Frank Essers Fo-kus ist im Gegensatz dazu ausschließlich auf dieUSA gerichtet, wo er die Professionalisierungder Politikvermittlung am Beispiel des „SpinDoctoring“ der Clinton-Administration be-schreibt. Leider beschränkt sich Esser vor allemdarauf, zwei einschlägige US-amerikanischePublikationen, die Einblicke hinter die Kulis-sen politisch-medialer Interaktionen geben, zureferieren. Inwieweit das Konzept des „SpinDoctoring“ auf andere Kontexte übertragbarist, bleibt weitgehend unbeantwortet. Ebensomit der Clinton-Administration beschäftigensich Klaus Kamps und Heike Scholten. AmBeispiel der so genannten „Lewinsky-Affäre“,deren Rezeption in Deutschland und der Dis-kussion um die Rolle der Medien wird Skanda-lisierung als weiteres Merkmal von „Amerika-nisierung“ herausgearbeitet. Allerdings wirdnicht ganz deutlich, ob es sich hier tatsächlichum ein „amerikanisches“, kulturell spezifischesoder gar um ein „neues“ Phänomen handelt.

Dem umfangreichsten Abschnitt des Bandessind fünf Beiträge zugeordnet, die sich mit„Akteuren und Medien“ beschäftigen; jedochspielt der Aspekt der politischen Kommunika-tion in dem vergleichend angelegten und par-teiengeschichtlich orientierten Beitrag vonChristoph Strünck eine eher marginale Rolle.

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Anders ist dies bei Marion G. Müller, derenBlick auf die expressive Seite von Parteien ge-richtet ist. Gewohnt detailreich vergleicht sierituelle bzw. zeremonielle Strukturen von Par-teitagen der Jahre 1999 und 2000 in den USAund Deutschland, wobei die Wahlparteitagevon SPD, CDU und FDP Ähnlichkeiten undeine Orientierung am US-Vorbild offenbaren.Auch der Blick Patrick Rösslers und ArturMeinzolts auf den „Pseudo-Wahlkampf“ imVorfeld der deutschen Präsidentenwahl 1999verdeutlicht, dass „Amerikanisierung“ kein all-umfassendes Phänomen ist. Die inhaltsanalyti-schen Befunde belegen vielmehr, dass sich dasin diesem Fall wenig professionelle Kommuni-kationsmanagement kaum in der Pressebe-richterstattung niederschlägt. Leider wird dieRolle des Fernsehens hierbei nicht untersucht.Dieses steht im Mittelpunkt der longitudinalvergleichenden Inhaltsanalyse von Frank Mar-cinkowski und Volker Greger zur Frage der„Personalisierung“ der TV-Nachrichtenbe-richterstattung. Die Autoren entdecken imVergleich der Jahre 1977 und 1998 eine Zunah-me an Symbolisierung und Hierarchisierung,während der Grad der Privatisierung der Be-richterstattung auf niedrigem Niveau verharrt.So zeigt sich eine „wechselseitige Verstärkung“(S. 194) von Parteien- und Medienpersonalisie-rung, ohne dass mit dem gewählten Instrumen-tarium die Ursachen dieser Veränderungen be-nannt werden könnten.

Einen Blick auf die Selbstdarstellung und dassich professionalisierende Kommunikations-management des Bundestages wirft letztlichStefan Marschall. Am deutlichsten wird hierder oben beschriebene Modernisierungsansatzvertreten und eine Absage an „Importthesen“erteilt, denn „blindes Kopieren verbietet sichallemal“ (S. 260). Überzeugend arbeitet der Au-tor zudem heraus, dass zunehmende Transpa-renz des Parlaments dessen Effizienz eherblockiert, und dass auch die Professionalisie-rung des Kommunikationsmanagements nichtzwangsläufig in ein verstärktes Wissen über dasParlament münden.

Der letzte Abschnitt des Bandes beinhaltetdrei Untersuchungen zum Komplex „Pop undPrognosen“, wobei die Beiträge von StefanieKuhne („Bilder-Krisen – Krisen-Bilder“) undRudolf Maresch („Europa – mon amour“) denprimären, auf politische Kommunikationspro-zesse bezogenen Fokus des Bandes ausweiten.Leider schimmern durch beide Beiträge die zu

Beginn formulierten, publizistisch verbreitetenStereotype des modernen US-amerikanischenImperialismus durch, von denen der vorliegen-de Band wohl eigentlich Abschied nehmen will.Hier irritieren insbesondere die essayistischformulierten Bedenken Mareschs gegen das„amerikanische Interface“. Im Beitrag Jörg-Uwe Nielands wird dagegen wiederum eingrößerer Bogen geschlagen, der die Verschmel-zungen von Populärkultur und politischerKommunikation sowie deren Auswirkungenfür das Verständnis von Politik unter Jugendli-chen betrachtet.

Insgesamt bietet der Band eine Fülle an un-terschiedlichen Ansätzen und Einzelstudien,die im Ganzen deutlich machen, dass es derzeitnoch keinen common sense darüber gibt, wasunter „Amerikanisierung“ zu verstehen ist.Hier führt die programmatische Frage des Ban-des „Trans-Atlantik – Trans-Portabel?“ auf dierichtige Spur, indem sie solche Studien in Fragestellt, die sich auf die Überprüfung des Trans-fers US-amerikanischer politischer Kommuni-kationselemente auf den deutschen Kontext be-schränken. Tatsächlich geht es eben nicht umdas Übertragen oder Kopieren, sondern umvielfältige modernisierungsbedingte, gesell-schafts- und kulturspezifische Veränderungender politischen Kommunikation. In diesemSinne spiegeln die Beiträge in ihrer Vielfalt derPerspektiven und der präsentierten Befunde dieKomplexität eines sich im Fluss befindendenForschungsgegenstandes, wodurch sich derBand auf jeden Fall zur kritischen Lektüreempfiehlt.

Jens Tenscher

Roberta E. Pearson / Philip Simpson (eds.)

Critical Dictionary of Film and TelevisionTheory

London/New York: Routledge 2001. – 498 pp.

ISBN 0-415-16218-1

In den letzten Jahren sind mehrere Überblicks-werke entstanden, die die neuen Trends undThemen der Filmtheorie zusammenfassten.Robert Stam, Robert Burgoyne und Sandy Flit-terman-Lewis machten mit ihrem nützlichenNew Vocabularies in Film Semiotics. Structura-lism, Post-Structuralism and Beyond (Lon-don/New York: Routledge 1992) den Anfang.In sechs Kapiteln gaben die Autoren einen kon-sistenten Überblick über Großbereiche der

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Forschung wie Filmsemiotik, Narratologie,Psychoanalyse und Intertextualität. Kurze Zeitspäter entstanden gleich mehrere Lexika, dieauch über filmtheoretische Fragen informierenwollten: Frank E. Beavers Dictionary of FilmTerms – The Aesthetic Companion to Film Ana-lysis (New York: Twayne Publishers 1994), Su-san Haywards Key Concepts in Cinema Studies(London/New York: Routledge 1996) und dasvon Steve Blandford, Barry Keith Grant undJim Hillier herausgegebene The Film StudiesDictionary (London: Arnold 2001). In deut-scher Sprache erschien das von Rainer Rotherkoordinierte Sachlexikon Film (Reinbek: Ro-wohlt 1997), und das von Thomas Koebnerherausgegebene Sachwörterbuch des Films(Stuttgart: Reclam i.V.) wird den Reigen ergän-zen.

Das Critical Dictionary, das hier anzuzeigenist, versucht nicht nur zu referieren, sondernauch einen eigenen inhaltlichen Akzent zu set-zen. Stärker als alle anderen Nachschlagewerkeder letzten Jahre berichtet es vor allem von derin England geführten medientheoretischenDiskussion – mit ihren gesellschaftspolitischenTraditionen und Untertönen in der Traditionder Theorien Althussers und Gramscis, mit dermassiven Zuwendung zu Fragen des Neo- oderPostkolonialismus, mit den neueren Ansätzenzu einer Gender-Theorie des Kinos und desFernsehens. Nach eigenem Bekunden habendie Herausgeber den Zugang in drei große Fel-der gegliedert: Unter contexts verstehen sie sol-che Bezüge der Film- und Fernsehtheorie, diein Nachbardisziplinen verweisen und allgemei-nere Konzepte der Soziologie, Kulturtheorieoder Philosophie benennen, die für Medienfra-gen zentral gewesen sind (Konzepte wie body,memory oder the popular). Die zweite undkomplexeste Gruppe ist media systems be-nannt. Sie gliedert sich in die vier Unterberei-che Produktion, Marketing, Text und Zuschau-erschaft. Die dritte Großgruppe schließlichheißt media studies und benennt Felder wie co-gnitive theory, queer theory oder auch das älte-re marxistische base and superstructure, die ei-gene medienanalytische Zugänge fundiert ha-ben. Auf diese diversen Felder beziehen sichvor allem die größeren, meist fünfseitigen Arti-kel. Daneben verzeichnet das Wörterbuch eineVielzahl von Stichworten, die oft nur sehr kurzerläutert werden (im Umfang von einer Viertel-seite bis zu etwa einer Seite). Außerdem werdenbiografische Kurzeinträge angeboten, die nicht

nur wichtige Vertreter der Film- und Fernseh-wissenschaft vorstellen, sondern auch Theorie-produzenten, die in der Medienanalyse ein-flussreich gewesen ist. Die meisten Artikel um-fassen kurze bibliografische Hinweise, die ausschließlich auf englischsprachige Texte ver-weisen.

Die Mischung der Zugänge ist nicht unpro-blematisch und führt immer wieder zu Überra-schungen. Da stehen Namen wie Adorno,Brecht, Freud oder Gadamer neben GérardGenette, Roman Jakobson oder Ferdinand deSaussure. Es folgen Nietzsche, Peirce, Propp,Pudovkin, John Reith (der erste BBC-Direk-tor), der Internet-Philosoph Howard Rhein-gold, der aus der postkolonialistischen Diskus-sion bekannte Edward Said und der amerikani-sche Filmkritiker Andrew Sarris. Es ist durch-aus unklar, nach welchen Kriterien die ca. 80Namen in die Liste des Wörterbuchs aufge-nommen wurden – so ist John Fiske genannt,John Hartley oder David Morley dagegen feh-len. Figuren wie John Berger oder FriedrichNietzsche scheinen für eine Geschichte derFilmtheorie eher peripher zu sein.

Ähnliche Irritationen verursachen auch dieSachtermini. Von den Genres ist z. B. unklar,ob das Wörterbuch eher Genres der Film- oderder Fernsehgeschichte (und ihrer gegenwärti-gen Praxis) verzeichnen will. Aufgelistet sind:chat/talk show, cop show/police drama, danceand film, documentary, drama, faction, familymelodrama, fantasy, horror, infotainment/info-mercials, live television, melodrama, music andfilm, musical, quiz shows, romance, science fic-tion, serial, series, single play, situation comedy,soap opera, sport and television und western.Die Liste ist sicherlich unvollständig, so bedeu-tende Programmgruppen wie Werbung, Feuil-leton und Feature, Magazinsendungen etc. feh-len vollständig. Die Einträge sind zum großenTeil ungemein kurz gehalten und könnendarum nur selten über die Stereotypifizierungvon Programm und Produktion wirklich Be-richt ablegen. Nur der Sportartikel geht überfünf Seiten und gibt einen einigermaßen ange-messenen Eindruck von der Komplexität derMaterie.

Die Bezüge zu den Bezugswissenschaften,aus denen die Film- und Fernsehtheorie Mo-delle und Terminologien gewonnen hat, sindoft bis zur Oberflächlichkeit reduziert. So fin-den sich zwar Hinweise auf die linguistischenGrößen Phonem und Morphem, auf Syntagma

Besprechungen

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und Paradigma, auf Denotation und Konnota-tion, doch sind die produktiven Auseinander-setzungen um eine „Sprache des Films“ kaumin diesem terminologischen mickymousingwiederzugeben. Ähnliches ließe sich sogar voneiner Beschreibungssprache des Films selbstbehaupten. So findet die Kamera (als cameralens/camera style sowie als depth of field) zwareinen Eintrag, und auch die Montage ist ge-nannt (als continuity editing sowie als point-of-view shot), die Zeitbehandlung ist mit flash-back erwähnt, doch fehlen in allen Fällen über-geordnete Artikel. Der 21-Zeiler framingbezieht sich auf Goffmans Rahmenanalyse,Überlegungen zur Bildkomposition, zum Bild-Rahmen oder zur Bedeutung des off-screensgibt das Dictionary nur in äußerst verknappterund unbefriedigender Form (image, mise-en-scène). So zentrale Beschreibungsgrößen wie„Stil“ oder „Text“ werden nur kurz in einseiti-gen Artikeln vorgestellt und können die kom-plexen Arbeiten kaum repräsentieren, die unterihrem Rubrum entstanden sind. Differenzenzwischen den beiden Medien und auch medien-genealogische Informationen können in dieserKürze nicht mehr artikuliert werden.

Ein äußerst zwiespältiger Eindruck entstehtalso, der noch dadurch verschärft wird, dassmanche der kürzeren Artikel oft auf eine diszi-plinäre Sicht des Gegenstandes eingeengt sind(wie z. B. der psychoanalytisch vereinseitigteArtikel pleasure oder der ausschließlich aufFoucault eingeschränkte Absatz discourse ana-lysis).

Von größerem Belang sind die langen Arti-kel: Hier können die verschiedenen histori-

schen Stufen, die eine Diskussion oder ein The-mengebiet durchlaufen haben, eingehenderdargestellt werden; diese Artikel machen denWert des Wörterbuchs aus. Manche Artikelsind höchst informativ geraten (z.B. institutionoder cult film and television), manche sindrecht neutral (aber dennoch informativ, mannehme reading and reception theory). Für dieKritik des enzyklopädischen Wörterbuchs zurMedienwissenschaft ist der Befund folgenreich.Weniger wäre mehr gewesen – mehr artikellan-ge Nachzeichnungen von manchmal kompli-zierten und langwierigen Diskussionen sind inder gegenwärtigen Situation der Film- undFernsehwissenschaft offensichtlich ein ange-messeneres Mittel der Selbstdarstellung und -vergewisserung als ein glossarisches Verfah-ren. Lexika und Einführungswerke deuten dar-auf hin, dass sich Wissenschaften konsolidie-ren, den Stoff wissenschaftlicher Arbeit am Ge-genstand in Lehrbuchwissen umsetzen. DieWissenschaften von Film und Fernsehen habensich nicht so sehr terminologisiert als vielmehrdiskursiviert. Terminologien der Beschreibungentstammen vielfach anderen Disziplinen – dieAdaption der Modelle aus allgemeineren Theo-rien des Psychischen, des Sozialen, des Signifi-kativen etc. und die Kontextualisierung der Ge-genstände der Film- und Fernsehwissenschaftin deren Horizont sind die Aufgaben, die an-stehen. Darum ist das Format der Enzyklopä-die eher dem angemessen, was heute Film- undFernsehwissenschaft ausmacht, als die Misch-form, die das Dictionary anbietet.

Hans J. Wulff

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Zeitschriftenlese

AfPJg 32 (2001) Nr 2

Tschentscher, Axel: Gebührenpflichtigkeit desInternet- und Handy-Rundfunks?. – S. 93 – 97Der Beitrag untersucht die Gebührenpflichtigkeit desInternet- und Handy-Rundfunks. Während die Frageinsbesondere hinsichtlich des Internetradios schon alsaufgeworfen gelten kann, wird sie sich bei den Mobil-funkangeboten mit Einführung der UMTS-Handysstellen. Der Verfasser untersucht die Frage zunächstanhand des Rundfunkbegriffes, im Folgenden geht erauf die Frage der Vereinbarkeit der Rundfunkgebührmit höherrangigem Recht ein (dabei stellt sich insbe-sondere die Frage der Verhältnismäßigkeit einer Ge-bührenpflicht).

Dittl, Stephan: Die Umsetzung der Free-TV-Schutzliste der TV-Richtlinie in den EU-Mit-gliedstaaten. – S. 98 – 100

Schricker, Gerhard: Gratisverteilung von Ta-geszeitungen und das Gesetz gegen unlauterenWettbewerb. – S. 101 – 106

Stahlschmidt, Michael: Der Schutz des allge-meinen Persönlichkeitsrechts in Österreichund die Rechtsfolgen bei Verletzungen. – S. 106– 109

Comm/EntJg 22 (2000) Nr 3-4

Hoefges, Michael; Rivera-Sanches, Milagros:„Vice“ advertising under the supreme court’scommercial speech doctrine: the shifting CEN-TRAL HUDSON analysis. – S. 345 – 389Der Aufsatz setzt sich mit der Frage auseinander, wel-che Möglichkeiten der Regierung zur Verfügung ste-hen, die Verbreitung schädlicher Produkte (Tabak,Alkohol, Glücksspiel u.a.) zu regulieren. Der Beitraganalysiert die Rechtsprechung des Supreme Court von1986-1999 und kommt zu dem Ergebnis, dass im Hin-blick auf Werbung für schädliche Produkte ein erheb-licher Wandel der Auffassung des Supreme Court zubeobachten ist. Danach scheinen heute Werbeäuße-rungen für derartige Produkte, solange sie der Wahr-heit entsprechen und den Verbraucher nicht irre-führen, den gleichen Schutz zu genießen, wie Äuße-rungen etwa im politischen Kontext. Den Autoren zu-folge erhält damit kommerzielle Kommunikationheute einen höheren Schutz durch das First Amend-ment, das amerikanische Grundrecht der Kommuni-kationsfreiheit, als je zuvor.

Soma, John T.; Norman, Natalie A.: Interna-tional take-down policy: A proposal for theWTO and WIPO to establish international co-

pyright procedural guidelines for internet ser-vice providers. – S. 391 – 440

Die mit der Nutzung des Internet verbundenen Risi-ken im Hinblick auf Verletzungen des Copyright sindGegenstand dieses Beitrags. Angesichts der globalenStruktur des Netzes schlägt der Beitrag vor, eine prag-matische Lösung anzustreben, bei der Internet ServiceProvider in das Verfahren einbezogen werden. Für siesollten international einheitliche Verfahrensregelnverbindlich werden, die die Benachrichtigung überbekannt gewordene Copyright-Verletzungen, Infor-mation ihrer Kunden über Copyrights usw. enthaltensollten.

McPherson, Edwin F.: The talent agencies act:does one year really mean one year?. – S. 441 –452

King, Stacey H.: The „law that it deems applic-able“: ICANN, dispute resolution and the pro-blem of cybersquatting. – S. 453 – 507

Der Beitrag gibt einen Überblick über das Verfahren,das die „Internet Corporation for Assigned Namesand Numbers (ICANN) für Beschwerden über dieVergabe von Internet-Namen etabliert hat. Der Bei-trag zeichnet die Entstehung nach und diskutiert, in-wieweit damit ein faires und objektives Verfahren zurVerfügung steht.

Communicatio SocialisJg 34 (2001) Nr 1

Lehmann, Karl: Die Stimme erheben: Würdi-gung von Medienbischof Hermann Josef Spital.– S. 5 – 8

Brosius, Hans-Bernd; Ziegler, Walther: Mas-senmedien und Suizid: praktische Konsequen-zen aus dem Werther-Effekt. – S. 9 – 29

Rademacher, Lars: „Zeig mir, wer du wirklichbist…“: was wir sehen, wenn wir Big Brothersehen: sieben Lesarten eines Medienereignisses.– S. 30 – 51

Pörksen, Bernhard: Sind soziale Systeme auto-poietisch?: Im Gespräch mit Humberto R. Ma-turana. – S. 52 – 58

Pörksen, Bernhard: Ist der Journalismus auto-poietisch?: Thesen und Anregungen zur De-batte über die Art der Steuerung und dieEigengesetzlichkeit eines sozialen Systems. – S. 59 – 65

Blöbaum, Bernd: Autonom und abhängig: zurAutopoiesis des Journalismus. – S. 66 – 76

Kohring, Matthias: Autopoiesis und Autono-

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mie des Journalismus: zur notwendigen Unter-scheidung von zwei Begriffen. – S. 77 – 89

Weber, Stefan: Journalismus: autopoietischesSystem oder oszillierende Form?. – S. 90 – 98

Marcinkowski, Frank: Autopoietische System-vorstellungen in der Theorie der Massenmedi-en: Vorschläge und Einwände. – S. 99 – 106

Kopp, Matthias: Die Nachrichten (wie die Vö-gel) von den Dächer verkünden … Anmerkun-gen zur Papstbotschaft anlässlich des Medien-sonntags 2001. – S. 107 – 111

Die Predigt von den Dächern: das Evangeliumim Zeitalter globaler Kommunikation; Papst-botschaft zum 35. Welttag der Sozialen Kom-munikationsmittel im Jahr 2001. – S. 112 – 114

Communication ResearchJg 28 (2001) Nr 2

McDonald, Daniel G.; Glynn, Carol J.; Kim,Sei-Hill: The Spiral of Silence in the 1948 Pre-sidential Election. – S. 139 – 155

Anhand eines Datensatzes von der amerikanischenPräsidentenwahl von 1948, bei der zur Überraschungaller Truman gewann, wird die Theorie der Schweige-spirale überprüft. Für diesen Fall scheint die Annah-men der Theorie zu stimmen, dass soziale IsolationFurcht im Hinblick auf die Äußerung abweichenderMeinungen erzeugt und sich dies auf Wahlen aus-wirkt.

Peiser, Wolfram; Peter, Jochen: Explaining In-dividual Differences in Third-Person Percep-tion: A Limits/Possibilities Perspective. – S. 156 – 180

Leshner, Glenn: Critiquing the Image: TestingImage Adwatches as Journalistic Reform. – S. 181 – 207

Yanovitzky, Itzhak; Stryker, Jo: Mass Media,Social Norms, and Health Promotion Efforts:A Longitudinal Study of Media Effects onYouth Binge Drinking. – S. 208 – 239

CommunicationsJg 25 (2000) Nr 4

Huysmans, Frank; Lammers, Jan; Renckstorf,Karsten: Television viewing and the temporalorganization of daily life in households: A mul-tilevel analysis. – S. 357 – 370

Hollander, Ed: Online Communities as Com-munity Media: A Theoretical and AnalyticalFramework for the Study of Digital Communi-ty Networks. – S. 371 – 386

Tidhar, Chava E.; Friedman-Pappo, Arielle:Reading Music Videos: A Study Among IsraeliAdolescents. – S. 387 – 405

Hijmans, Ellen; Peters, Vincent: Groundedtheory in media research and the use of theComputer. – S. 407 – 432

Computer und RechtJg 17(2001) Nr 4

Alpert, Frank: „Vorvertragliche“ Vergütungs-ansprüche bei Webdesignern, Werbeagenturenund EDV-Dienstleistern beim Werkvertrag. –S. 213-219

Neumamnn, Holger; Bosch, Tobias: Rechts-schutz für Wettbewerber im Rahmen des tele-kommunikationsrechtlichen Entgeltregulie-rungsverfahren: zugleich eine Besprechung zuVG Köln vom 7.9.2000. – S. 225 – 231„Zwischen Dezember 1997 und Ende 1998 stellte dieDeutsche Telekom AG (DTAG) insgesamt drei Ent-geltgenehmigungsanträge für den Zugang zur Teil-nehmeranschlussleitung (TAL). Stets nahm sie dieseAnträge kurz vor Ablauf der Entscheidungsfristen derRegulierungsbehörde (RegTP) wieder zurück, da siejeweils erwartete, dass die Entgeltgenehmigungsent-scheidung aus ihrer Sicht negativ (d.h. zu niedrig) aus-fallen würde. Dies hatte zur Folge, dass sich dieRegTP außerstande sah, die Höhe der TAL-Zugangs-entgelte festzusetzen. […]“ Mit der Entscheidung desVG Köln vom 7.9.2000 – 1 K 10354/98, die in diesemBeitrag besprochen wird, wurde die RegTP auf dieKlage eines Wettbewerbers der DTAG hin verpflich-tet, trotz der erfolgten Antragsrücknahme über dieTAL-Zugangsentgelte zu entscheiden. „In der Ent-scheidung des VG Köln werden wesentliche Fragendes Drittschutzes des Entgeltgenehmigungsverfah-rens gemäß §§ 24 ff. TKG und der subjektiven Rech-te der Wettbewerber des marktbeherrschenden Un-ternehmens angesprochen. Die Verfasser begrüßenden grundlegenden Ansatz des Verwaltungsgerichtshinsichtlich der drittschützenden Wirkung des Ent-geltgenehmigungsverfahrens und entwickeln diesenfort, indem nicht nur grundsätzlich die Möglichkeitder Durchführung des Entgeltgenehmigungsverfah-rens als Amtsverfahren, sondern darüber hinaus auchein eigenes Antragsrecht der Wettbewerber gefordertwird.“

Klengel, Jürgen Detlef W.; Heckler, Andreas:Geltung des deutschen Strafrechts für vomAusland aus im Internet angebotenes Glücks-spiel: ein Beitrag zur Frage des Erfolgsorts beiabstrakten Gefährdungsdelikten und zugleich

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eine Besprechung der Entscheidung des BGHvom 12.12.2000. – S. 243 – 248

Der Beitrag beschäftigt sich mit der Frage des Er-folgsortes bei abstrakten Gefährdungsdelikten undsetzt sich mit der Entscheidung des BGH vom12.12.2000 (CR 2001, H. 4, S. 260 ff) auseinander, beider es um die Strafbarkeit der Verbreitung der Ausch-witzlüge im Internet von einem im Ausland stehendenServer aus geht.

Bock, Andreas: Verbraucherschutz durch elek-tronische Agenten?: ein Plädoyer für die Re-form des Gütezeichenrechts. – S. 249 – 259

Härting, Niko: Gesetzentwurf zur Umsetzungder E-Commerce-Richtlinie. – S. 271 – 276Die Bundesregierung hat einen Gesetzesentwurf zurUmsetzung der E-Commerce-Richtlinie erarbeitet,nachdem die Bundesministerien für Wirtschaft undJustiz bereits am 1.12.2000 ein erstes Arbeitspapiervorgelegt hatten. Die Richtlinie soll durch ein Gesetzüber rechtliche Rahmenbedingungen für den elektro-nischen Geschäftsverkehr (Elektronischer Geschäfts-verkehr-Gesetz – EGG) umgesetzt werden. Das EGGist ein Artikelgesetz, das grundlegende Änderungendes Teledienstegesetzes (TDG) vorsieht. Darüber hin-aus sind zahlreiche Änderungen des Teledienstedaten-schutzgesetzes (TDDSG) geplant, die allerdings nichtim Zusammenhang mit der Umsetzung der Richtliniestehen. In den Beitrag wird der Inhalt dieses Gesetzesskizziert.

Computer und Recht internationalJg 2 (2001) Nr 2

Gibson, Christopher: Digital dispute resoluti-on: Internet Domain Names and WIPO’s Role.– S. 33 – 38

Lubitz, Markus: Jurisdiction and Choice ofLaw for Electronic Contracts: an English Per-spective. – S. 39 – 45

Nimmer, Raymond T.: Napster and the „New“Old Copyright. – S. 46 – 49

ConvergenceJg 7 (2001) Nr 1

Bode, Lisa: „Ananova“ in The Kingdom ofShadows. – S. 11 – 16Als „Königreich der Schatten“ beschrieb Maxim Gor-ki seine ersten Eindrücke von der Begegnung mit demMedium Film im Jahr 1896, ein Zeitpunkt, an dem die-ses Medium von technischer Perfektion weit entferntwar. Die Verfasserin versucht, die Beschreibung desalten „neuen“ Mediums Film durch die Zeitgenossenmit den Berichten zum Launch der virtuellen Nach-richtenpräsentatorin (Ananova) zu vergleichen.

Stern, Andrew: Deeper conversations with in-teractive art: or why artists must program. – S. 17 – 24Der Autor beschreibt die Bedeutung von Program-mierkenntnissen, die für die Entwicklung von inter-aktiven computerbasierten Kunstwerken unerlässlichsind, um das interaktive Potential dieser Kunstformauszuschöpfen.

Hulsbus, Monica: Virtual practices, complexepistemologies. – S. 25 – 33Am Beispiel verschiedener Kinofilme, die sich mitHackern beschäftigen, wird versucht, die Entwick-lung dieser Figuren im jeweiligen Kontext darzustel-len. Dabei wird versucht, das Dargestellte mit theore-tische Debatten zu verknüpfen.

Nilsson, Andreas; Nuldén, Urban; Olsson, Da-niel: Mobile media: the convergence of mediaand mobile communications. – S. 34 – 39Anhand von drei Fallstudien zu Großereignissen stel-len die Autoren verschiedene Elemente mobiler Kom-munikation vor. Dabei werden die Möglichkeiten ver-schiedener Endgeräte und Übertragungsstandardsund die jeweiligen Angebote diskutiert.

Gerlach, Neil; Hamilton, Sheeryl N.: Cyber,Inc: business restructuring literature and/as cybertheory. – S. 40 – 60Die Autoren bemühen sich, nachzuweisen, dass Lite-ratur zur Unternehmensentwicklung in vielen Fällen„Anleihen“ bei der Kybernetik nimmt, und damit zurBildung einer „Cybertheory“ beiträgt, die vor allemneoliberale und kapitalistische Elemente enthält.

Valsamis, Peter: Machines drumming. – S. 61 –73Im Mittelpunkt des Aufsatzes steht die Frage, welcheAuswirkungen der Einsatz automatischer Rhythmus-geräte auf die Entwicklung der Musik haben. Für denAutor ist dabei das Erleben des „Groove“, die unmit-telbare körperliche Erfahrung, die sich in Bewegungausdrückt, von besonderer Bedeutung.

Kac, Eduardo: The origin and development ofrobotic art. – S. 76 – 113Der Autor gibt einen Überblick über die Entwicklungder „Robotic Art“, die sich als Kunstform etabliert. Erversucht, einen Rahmen für die Beschreibung und dasVerständnis solcher Kunstwerke zu geben und er-gänzt seine Darstellung durch eine umfangreicheChronologie zur Entwicklung dieser Kunstform.

Federal Communications Law JournalJg 53 (2001) Nr 2

Bell, Bernard W.: Filth, filtering, and the FirstAmendment: ruminations on public libraries’use of Internet filtering software. – S. 191 – 238Dem Beitrag zufolge stellen sich staatlicher Regulie-rung von Kommunikation durch das Internet neue

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Aufgaben, die auch zu neuen verfassungsrechtlichenProblemen führen. Während es früher vornehmlichum die Frage ging, unter welchen Voraussetzungenund mit welchen Mitteln der Staat beschränkend In-formationsquellen regulieren konnte, tritt nun dieFrage in den Blick, wie die Regeln zu beurteilen sind,nach denen der Staat selbst Zugang zu Informationenschafft. Der Beitrag thematisiert dies anhand der Fra-ge, wie es verfassungsrechtlich zu bewerten ist, dassöffentliche Bibliotheken über Filter-Software dieNutzung bestimmter Inhalte sperren. Der Beitragkommt zu dem Schluss, dass dies vor dem FirstAmendment – dem Grundrecht auf Kommunikati-onsfreiheit der amerikanischen Verfassung – zulässigist, allerdings nur unter bestimmten, im Beitrag ausge-führten Bedingungen.

Bonnett, Thomas W.: Is ISP-Bound Traffic Lo-cal or Insterstate?. – S. 239 – 280Der Beitrag setzt sich mit einer Frage auseinander, diedie Kompetenzabgrenzung zwischen bundesstaatli-cher und einzelstaatlicher Aufsicht im Telekommuni-kationsbereich zum Gegenstand hat. Es ist Rechtsstreitüber die Frage entstanden, inwieweit Datenverkehr,der zu Internet Service Providern (ISP) entsteht, als lo-kaler oder überregionaler Verkehr einzustufen ist, mitFolgen für die Regulierungskompetenzen. Der Beitragstellt dar, wie die „Publicly Switched Telephone Net-works“ (PSTN) in das „network of networks“, das In-ternet, integriert sind und welche Folgen dies für dieTelekommunikationsregulierung hat. Der Beitragmahnt einen regulatorischen Paradigmenwechsel an,der eine technikneutrale Wettbewerbssteuerung imTelekommunikationsbereich ermöglicht.

Black, Tricia E.: Taking Account of the Worldas it will be: the shifting course of U.S. encryp-tion policy. – S. 289 – 314Die Verschlüsselungstechnologie ist in den letztenJahren Gegenstand zahlreicher Debatten über Sicher-heit im Internet gewesen. Der Beitrag stellt dar, dassder Wandel der Politik der US-Regierung in diesemBereich auf die Erkenntnis zurückzuführen ist, dasseine starke, nicht regulierte Verschlüsselungstechno-logie für die Weiterentwicklung des Internet und derdamit verbundenen Wirtschaftsbereiche essentiell seinwird. Der Beitrag merkt an, dass das Verständnis derVerschlüsselung und der rechtlichen Grundlagen inder Bevölkerung dafür eine zentrale Bedeutung erhält.

Yarbrough, Tanya L.: Connecting the world:the development of the global information in-frastructure. – S. 315 – 342Die International Telecommunications Union (ITU)hat dem Beitrag zufolge eine zentrale Rolle bei derEntwicklung einer Global Information Infrastructure(GII) erlangt. Der Beitrag stellt die Konzeption vorund beschreibt die Akteure, die bei der Implementa-tion eine zentrale Rolle erhalten. Abschließend wirddargestellt, unter welchen Bedingungen die Entwick-lung von GII besonders erfolgversprechend erscheint.

Rothstein, Nicole A.: Protecting privacy andenabling pharmaceutical sales on the Internet: acomparative analysis of the United States andCanada. – S. 343 – 376

Journal of CommunicationJg 50 (2000) Nr 4

Meyers, Reneé A.; Brashers, Dale E.; Hanner,Jennifer: Majority-Minority Influence: Iden-tifying Argumentative Patterns and PredictingArgument-Outcome Links. – S. 3 – 30

Papa, Michael J.; Singhal, Arvind; Law, Sweety:Entertainment-Education and Social Change:An Analysis of Parasocial Interaction, SocialLearning, Collective Efficacy, and ParadoxicalCommunication. – S. 31 – 55

Harwood, Jake: Communication Media Use inthe Grandparent-Grandchild Relationship. – S. 56 – 78

Albada, Kelly Fudge: The Public and PrivateDialogue About the American Family on Tele-vision. – S. 79 – 110

Stromer-Galley, Jennifer: On-Line Interactionand Why Candidates Avoid It. – S. 111 – 132

D’Alessio, Dave; Allen, Mike: Media Bias inPresidential Elections: A Meta-Analysis. – S. 133 – 156

Roberto, Anthony J.; Meyer, Gary; Johnson,Amy Janan: Using the Extended Parallel Pro-cess Model to Prevent Firearm Injury and Death: Field Experiment Results of a Video-Based Intervention. – S. 157 – 175

Galperin, Hernan: Regulatory Reform in theBroadcasting Industries of Brazil and Argenti-na in the 1990s. – S. 176 – 191

Jg 51 (2001) Nr 1

Barker, Valerie; Giles, Howard; Noels, Kim-berly: The English-Only Movement: A Com-munication Analysis of Changing Perceptionsof Language Vitality. – S. 3 – 37

Putnam, Linda L.: Shifting Voices, Oppositio-nal Discourse, and New Visions for Communi-cation Studies. – S. 38 – 51

Sundar, S. Shyam; Nass, Clifford: Conceptuali-zing Sources in Online News. – S. 52 – 72

Sender, Katherine: Gay Readers, Consumers,and a Dominant Gay Habitus: 25 Years of theAdvocate Magazine. – S. 73 – 99

M&K 49. Jahrgang 3/2001

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Henning, Bernd; Vorderer, Peter: Psychologi-cal Escapism: Predicting the Amount of Televi-sion Viewing by Need for Cognition. – S. 100 –120

Andsager, Julie L.; Weintraub Austin, Erica;Pinkleton, Bruce E.: Questioning the Value of Realism: Young Adults’ Processing of Messages in Alcohol-Related Public ServiceAnnouncements and Advertising. – S. 121 – 142

Rössler, Patrick; Brosius, Hans-Bernd: DoTalk Shows Cultivate Adolescents’ Views ofthe World?: A Prolonged-Exposure Experi-ment. – S. 143 – 164

McCoy, Mary E.: Dark Alliance: News Repairand Institutional Authority in the Age of theInternet. – S. 164 – 193

Journal of Communication InquiryJg 25 (2001) Nr 2

Abramson, Bram Dov: The Specter of Diaspo-ra: Transnational Citizenship and InternationalCinema. – S. 94 – 113

Lynch, Christopher: Ritual Transformationthrough Michael Jackson’s Music Video. – S. 114 – 131

DeChaine, D. Robert: From Discourse to GolfCourse: The Serious Play of Imagining Com-munity Space. – S. 132 – 146

Kensicki, Linda Jean: Deaf President Now!:Positive Media Framing of a Social Movementwithin a Hegemonic Political Environment. –S. 147 – 166

Worthington, Nancy: A Division of Labor: Di-viding Maternal Authority from Political Activism in the Kenyan Press. – S. 167 – 183

Bekerman, Zvi; Neuman, Yair: Joining TheirBetters Rather than Their Own: Modern/Post-modern Rhetoric of Jewish FundamentalistPreachers. – S. 184 – 199

Kommunikation & RechtJg 4 (2001) Nr 4

Habersack, Mathias: Die besondere Miss-brauchsaufsicht gemäß §32 PostG – Teil II. – S.177 – 190„§ 32 PostG sieht eine sektorspezifische Aufsicht überdas Verhalten marktbeherrschender Postdienstunter-

nehmen vor. Teil I des Beitrags führte zunächst in Re-gelungshintergrund, Konzeption und Zielsetzung desPostG ein, stellte sodann die einzelnen Regulierungs-instrumentarien des PostG dar, um schließlich denAnwendungsbereich des §32 PostG zu bestimmen.Teil II des Beitrags hat Tatbestand und Rechtsfolgendes § 32 PostG sowie einzelne Missbrauchstatbestän-de zum Gegenstand.“

Strunk, Günther: Umstellung des Vertriebs aufdas Internet: Betriebswirtschaftliche Motiveund steuerliche Konsequenzen. – S. 190 – 196

Borges, Georg: Prozessuale Formvorschriftenund der elektronische Rechtsverkehr. – S. 196 –208

Wimmer, Norbert: Die erweiterte Nutzungprivater Grundstücke für Telekommunikati-onslinien. – S. 208 – 213

Spoerr, Wolfgang: Zusammenschaltung undTelekommunikations-Entgeltregulierung inder Krise?: Anmerkung zu VG Köln, Urteilvom 18.12.2000. – S. 213 – 216

Jg 4 (2001) Nr 5

Dörr, Dieter: Öffentlich-rechtlicher Rundfunkund Gebührenregelung unter dem Druck desGemeinschaftsrechts. – S. 233 – 237„Obgleich zum Hörfunk und Fernsehen in den Ge-meinschaftsverträgen der Europäischen Union bisherausdrückliche Regelungen fehlen, werden der Einflussdes Gemeinschaftsrechts und die Frage der Finanzie-rung des öffentlichen-rechtlichen Rundfunks in Zu-kunft immer größere Bedeutung gewinnen. Dies er-gibt sich nicht zuletzt aus der Beihilferegelung imEGV, die geeignet ist, nicht nur die gewohnte Finan-zierung über Gebühren, sondern auch die bisherigeRolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und seineverfassungsrechtlichen Aufgaben im dualen Systemder Bundesrepublik in Frage zu stellen. Der Beitragsetzt sich mit den europarechtlichen Entwicklungenauseinander und kommt dabei zu dem Schluss, dasssich der öffentlich-rechtliche Rundfunk in der ge-wohnten Form sehr wohl mit dem Gemeinschafts-recht vereinbaren lässt.“

Eschweiler, Wilhelm: Die Regulierungsbehör-de im Spannungsfeld zwischen Unabhängigkeitund Weisungsunterworfenheit. – S. 238 – 241„In der Antike war die geöffnete ,,Büchse der Pan-dora“ Sinnbild für Unheil. In der Dichtung ,,Werkeund Tage“ erzählt Hesiod (um 700 v. Chr.), wie dasÜbel in die Welt gekommen sei: durch ein Weib, dasalle Götter mit ihren Gaben ausgestattet hätten, dasaber den Deckel von einer Büchse hob, aus der alleÜbel herausgeflogen seien. Hat der Gesetzgeber imTelekommunikationsbereich mit der Institutionalisie-rung der Regulierungsbehörde für Telekommunikati-on und Post (RegTP) als obere Bundesbehörde undder Einräumung eines Weisungsrechts des Bundes-

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wirtschaftsministeriums (BMWi) im Telekommuni-kationsgesetz (TKG) bildlich gesprochen die ,,Büchseder Pandora“ geöffnet und damit Raum für eine Viel-zahl von Einflussmöglichkeiten in diesem volkswirt-schaftlich wichtigen Bereich geschaffen? Oder ist ins-besondere die im Schrifttum kontrovers diskutierteFrage eines Weisungsrechts im Einzelfall lediglich einakademischer Streit ohne praktischen Bezug? In die-sem Beitrag soll es um das Verhältnis der RegTP zumBMWi gehen, also um die sensible Frage, ob rechtli-che Eingriffsmöglichkeiten des zuständigen Ministe-riums als Aufsichtsbehörde zulässig sind.“

Vellen, Michael: Vorsteuerabzug aus elektroni-schen Rechnungen. – S. 242 – 250

Imping, Andreas; Pohle, Jan: Der Mobilfunk-vertrag: Rechtsnatur und Gestaltung. – S. 251 –256

Mankowski, Peter: Die „Biet & Flieg“-Ent-scheidung: Preisangaben und Internet?. – S. 257– 259

Media AsiaJg 27 (2000) Nr 4

Anuar, Mustafa K.: Malaysian Media and Democracy. – S. 183 – 189 und 199

Gloria, Glenda M.: Media and Democracy inthe Phillipines. – S. 191 – 196

Merrill, John C.: Democracy and the Press: TheReality and the Press. – S. 197 – 199

Giok-Ling, Ooi: Civil Society, Democracy andthe Role of the Media in Singapore. – S. 200 –205 und 222

Barisoth, Sek: Media and Democracy in Cam-bodia. – S. 206 – 209 und 220 – 222

Media Perspektiven(2001) Nr 3

Ridder, Christa-Maria; Engel, Bernhard: Mas-senkommunikation 2000: Images und Funktio-nen der Massenmedien im Vergleich: Ergebnis-se der 8. Welle der ARD/ZDF-Langzeitstudiezur Mediennutzung und -bewertung. – S. 102 –125

Steemers, Jeanette: Onlineaktivitäten der BBC:Gratwanderung zwischen Public-Service-Ver-pflichtungen und kommerziellen Zielen. – S. 126 – 132

Oehmichen, Ekkehardt: Aufmerksamkeit undZuwendung beim Radio hören: Ergebnisse ei-

ner Repräsentativbefragung in Hessen. – S. 133– 141

Behne, Klaus-Ernst: Musik-Erleben: Abnut-zung durch Überangebot?: Eine Analyse empi-rischer Studien zum Musikhören Jugendlicher.– S. 142 – 148

(2001) Nr 4

Darschin, Wolfgang; Kayser, Susanne: Tenden-zen im Zuschauerverhalten: Fernsehgewohn-heiten und Programmbewertungen im Jahr2000. – S. 162 – 175„Auch wenn im Jahr 2000 durchschnittlich fünf Mi-nuten länger ferngesehen wurde als 1999, kann dieFernsehnutzung in den letzten Jahren insgesamt alsstabil bezeichnet werden. So zeigten sich auch im ver-gangenen Jahr erneut die bekannten Unterschiede imFernsehverhalten der west- und ostdeutschen Bürger,und auch die verschiedenen Nutzungsschwerpunkteöffentlich-rechtlicher und privater Programme blie-ben bestehen. … Diesen unterschiedlichen Nutzungs-schwerpunkten entsprechen auch die Images der Sen-der. Öffentlich-rechtliche Programme gelten als se-riös, glaubwürdig und anspruchsvoll, ihre tagesaktu-elle Berichterstattung und ihre Professionalitätwerden geschätzt. Dagegen wird die Informations-kompetenz der Privatsender deutlich geringer bewer-tet, sie erscheinen kompetenter in Sachen Entspan-nung, Spaß und gute Laune. …“

Feierabend, Sabine; Simon, Erik: Was Kindersehen: eine Analyse der Fernsehnutzung 2000von Drei- bis 13-Jährigen. – S. 176 – 188„Die Fernsehnutzung von Kindern im Alter von dreibis 13 Jahren hat sich in den letzten Jahren quantitativkaum verändert. Neue Angebote führen also nicht ge-nerell dazu, dass Kinder mehr Zeit mit dem Fernsehenverbringen, allerdings verschieben sich die Marktan-teilsverhältnisse der Programme. … Marktführer beiden Drei- bis 13-Jährigen bleibt SuperRTL, gefolgtvon RTL, RTL II; ProSieben und dem Kinderkanalvon ARD und ZDF, der allerdings nur von 6.00 bis19.00 Uhr auf Sendung ist. Bei den drei- bis sieben-jährigen Kindern belegt der Kinderkanal hinter SuperRTL den zweiten Platz, während ab einem Alter vonzwölf Jahren spezielle Kinderprogramme kaum nochgefragt sind. Mädchen schalten öffentlich-rechtlicheProgramme eher ein als Jungen, und außerdem sindöffentlich-rechtliche Angebote im Westen Deutsch-lands beliebter als im Osten. …“

Grajczyk, Andreas; Klingler, Walter; Schmitt,Sibylle: Mediennutzung, Freizeit- und The-meninteressen der ab 50-Jährigen: Ergebnisseder SWR-Studie „50+“ und weiterer Studien. –S. 189 – 201

Digitales Fernsehen in Deutschland: Markt,Nutzerprofile, Bewertungen: ARD-Studie„Repräsentativbefragung von Digital-TV-Nutzern“. – S. 202 – 219

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„… Die hier vorgestellte, im Auftrag der ARD-Me-dienkommission durchgeführte Repräsentativ-Befra-gung von rund 1000 Digital-TV-Nutzern ab 14 Jahrenzeichnet ein Nutzerprofil des digitalen Fernsehens.Demnach sind Männer und jüngere Altersgruppenunter den Digitalnutzern überrepräsentiert. Digital-user besitzen außerdem eine überdurchschnittlichhohe formale Bildung und sind meistens berufstätig.Der typische Digitalnutzer ist ein Pay-TV-Konsu-ment, der über ein vergleichsweise hohes Einkommenverfügt, aktiv, gesellig und an Technik interessiert ist.…“

Schenk, Michael u.a.: Nutzung und Akzeptanzdes digitalen Pay-TV in Deutschland: Ergeb-nisse einer bundesweiten Umfrage. – S. 220 –234

Media Perspektiven Dokumentation(2001) Nr I

Staatsvertrag über den Rundfunk im vereintenDeutschland in der Fassung des fünften Rund-funkänderungsstaatsvertrages (in Kraft seit 1. Januar 2001). – S. 1 – 52

Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Zu-lässigkeit von Fernsehaufnahmen in Gerichts-verhandlungen und bei der Verkündung vonEntscheidungen vom 24. Januar 2001: 1 BvR2632/95, 1 BvR 622/99. – S. 53 – 67

ARD-Richtlinien zur Sicherung des Jugend-schutzes vom 22. Juni 1988 in der Fassung vom28. November 2000. – S. 69 – 71

medien + erziehungJg 45 (2001) Nr 2

Pickl, Daniela: Von der Kunstkritik zum Me-dienjournalismus: Zur Geschichte der deut-schen Medienberichterstattung. – S. 74 – 78„Mit den Veränderungen der Medienlandschaft, dasheißt mit der Einführung des privaten-kommerziellenRundfunks in Deutschland hat sich auch die Medien-kritik zumindest in der Presse etabliert.“

Schmiderer, Claudia: Sich in den Medien überMedien informieren: Fragen zur Medienseiteder Süddeutschen Zeitung. – S. 79 – 80

Vollberg, Susanne: Der schwierige Umgang mitder Selbstreflexion: Wie berichtet das Fern-sehen über das Fernsehen?. – S. 81 – 83„Für das in den 70er Jahren eingeführte Genre der me-dienkritischen Magazine im Fernsehen scheint heutekein Interesse mehr zu bestehen. Die Kritik am eige-nen Medium findet weder bei den Machern noch beimPublikum Beifall.“

Androutsopoulos, Jannis: „selbst, wenn es inder Bravo steht“: Medien über Medien in derJugendkultur. – S. 86 – 93„In jugendkulturellen Szenemedien gibt es eine Son-derform von Medienreferenzen: Durch Bezugsrah-men auf Bravo, Viva und andere Massenmedien gren-zen sich „Experte“ von der breiten Konsumentenmas-se ab.“

Ernst, Annette; Pullich, Leif: Fernstudium Me-dien (FESTUM): ein medienpädagogisches Zu-satzstudium. – S. 95 – 100Die Vermittlung von Medienkompetenz in der Schu-le scheitert häufig an der fehlenden medienpädagogi-schen Qualifikation der Lehrenden. Seit dem 1. Aprildiesen Jahres bietet das „Fernstudium Medien“ (FES-TUM) der Fernuniversität Hagen Lehrerinnen undLehrern ein umfangreiches Weiterbildungsangebot, indem sowohl anwendungsbezogene als auch analy-tische und konzeptionelle Kenntnisse und Fertigkei-ten vermittelt werden. Der Beitrag gibt u.a. einenÜberblick über das Curriculum des Zusatzstudiums.

medien praktischJg 25 (2001) Nr 2

Aufenanger, Stefan: Wie die neuen MedienKindheit verändern: kognitive, kommunikativeund soziale Einflüsse der Mediennutzung. – S. 4 – 7Medien und besonders den sogenannten neuen Medi-en werden häufig pauschalisierend negative Wirkun-gen auf Kinder und Jugendliche unterstellt. Der Autorbricht diese Vorurteile auf und skizziert anhand kognitiver, kommunikativer und sozialer Fähigkeitensowohl positive als auch negative Trends zur Verän-derung von Kindheit durch Medien.

Erlinger, Hans Dieter: Kinder, Medien undKultur: Überlegungen zu Aufgaben der Me-dienerziehung. – S. 8 – 13

Wiedemann, Dieter: Brauchen Kinder Kinder-medien?: ein Plädoyer für ein neues Verständ-nis von Kindheiten im 21. Jahrhundert. – S. 14– 18„Natürlich brauchen Kinder Medien, und das könnenauch Zielgruppenangebote sein, die sich vorrangig aufbestimmte Altersgruppen orientieren. Sie müssen aberauch in und durch die Medien, aber insbesondere auchaußerhalb der Medien, Chancen bekommen, eine Er-oberung und Inbesitznahme der Welt zu erproben.“(S. 18)

Neuß, Norbert: Computereinsatz in Kinderta-gesstätten: Erfahrungen und Praxisvorschläge.– S. 19 – 22Der Autor beschreibt exemplarisch, wie sich Compu-ter im Kindergarten integrieren lassen und schildertErfahrungen aus verschiedenen Praxisprojekten. Dar-über hinaus werden Anregungen zur Planung undRealisierung von medienpädagogischen Projekten mitdem Computer gegeben.

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Bestandsaufnahme zum Kinderfernsehen: einpädagogischer Blick auf das Fernsehangebotund die Nutzung durch die Kinder. – S. 23 – 28

Kohm, Roland: Medienkompetenz in Kinder-garten: ein Begriff in der Anwendung. – S. 28 –32Anhand der Dimensionen Medienkunde, Mediennut-zung, Medienkritik und Mediengestaltung beschreibtder Autor Realisierungsmöglichkeiten von medien-pädagogischen Projekten, die bereits im Kindergartenzur Entwicklung von Medienkompetenz beitragenkönnen.

Kellermann, Doris: Medienwelten als Lernwel-ten: Ergebnisse eines Projekts des DeutschenJugendinstituts. – S. 32 – 36Den Ergebnissen aus dem DJI-Projekt „Lebensweltenals Lernwelten“ zufolge rangieren Medien hinter denFreizeitinteressen Sport und Bewegung, Spiel. Über-raschend ist, dass dem Computer – von den Jungenmehr als von den Mädchen – ein größeres Interesseentgegengebracht wird als dem Fernsehen. Die Pro-grammvorlieben beim Fernsehen konzentrieren sichauf die Unterhaltungsangebote. Welche subjektiveBedeutung und welchen Informationswert diese fürKinder und Jugendliche haben können, wird am Bei-spiel zweier Falldarstellungen illustriert.

Hausmanninger, Thomas: Angriff der Kon-trolleure: Teil 1; welche Ethik braucht das In-ternet?. – S. 48 – 53

Buschmann, Gerd: Das Exodus- und Weg-Symbol in der Werbung: zur religiösen Grun-dierung der Warenästhetik. – S. 54 – 59

Robert, Sven: Internetsucht, gibt es das?: zurDiskussion eines neuen Medienphänomens. –S. 60 – 63

Multimedia und RechtJg 4 (2001) Nr 4

Boehme-Neßler, Volker: Steueroase Internet?:Eine Einführung in steuerrechtliche Problemeim E-Commerce. – S. 203 – 208

Ernst, Stefan: Die Verfügbarkeit des SourceCodes: Rechtlicher Know-how-Schutz beiSoftware und Webdesign. – S. 208 – 213„Fragen der Offenlegung und Herausgabe des SourceCodes gehören zu den grundlegenden Problemen desSoftwarevertragsrechts, da im Quelltext das Wissenund die Fähigkeiten des Programmierers kodifiziertwerden. Während der Anwender die umfassendeÜbergabe aller sein Programm betreffenden Informa-tionen anstrebt, auch um vom Programmierer unab-hängig zu sein, ist es dessen Bestreben, so viel wiemöglich geheim zu halten, um weiterhin „im Geschäftzu bleiben“. Zuweilen jedoch ist der angestrebte

Schutz aus unterschiedlichen Gründen lückenhaft.Dies gilt insbesondere bei der Erstellung von Inter-netseiten. Der folgende Beitrag befasst sich mit Fragendes technischen und rechtlichen Schutzes des Pro-grammierer-Know-hows.“

von Hammerstein, Christian: National Roaming im UMTS-Markt. – S. 214 – 218

Hain, Karl-E.: Die Europäische Transparenz-Richtlinie und der öffentlich-rechtliche Rund-funk in Deutschland. – S. 219 – 224Der Verfasser nimmt zu der kontrovers diskutiertenFrage Stellung, ob nach der Änderung der Transpa-renzrichtlinie für die öffentlich-rechtlichen Rundfun-kanstalten in Deutschland die Pflicht zur getrenntenBuchführung besteht. Das Amsterdamer Protokollüber den öffentlich-rechtlichen Rundfunk schließtseiner Ansicht nach die Anwendung der Richtlinie aufdie Anstalten nicht von vornherein aus: Die Rund-funkgebühren stellten staatliche Beihilfen dar, die An-stalten seien nicht im Hinblick auf den vollen Umfangihrer Aktivitäten betraut und seien somit in verschie-denen Geschäftsbereichen tätig. Auch das KEF-Ver-fahren könne nicht zum Ausschluss der Geltung derPflicht zur doppelten Buchführung im Hinblick aufdie Anstalten führen.

New media & societyJg 3 (2001) Nr 1

Lievrouw, Leah A.: New media and the ‘plura-lization of life-worlds’: A role for informationin social differentiation. – S. 7 – 28Die Autorin stellt auf der Basis neofunktionalistischerKonzeptionen Überlegungen dazu an, wie sich dieneuen Medien auf soziale Differenzierung und Plura-lisierung von Lebenswelten auswirken

Mitra, Ananda: Marginal voices in cyberspace.– S. 29 – 48Der Text geht der Bedeutung des Internet für Mar-ginalisierte, insbesondere für Immigranten aus undbeschäftigt sich mit der Frage, ob und wie sich übervirtuelle Communities neue Reflektionsinstanzen unddarauf aufbauend eine ,Voice in the Internet’ ausbil-den.

Rössler, Patrick: Between online heaven andcyberhell: The framing of ‘the internet’ by tra-ditional media coverage in Germany. – S. 49 –66In dem Text geht es um die Frage, wie die ,alten’ Me-dien das Internet zur Kenntnis genommen und es dar-gestellt haben. Dabei wird auf den Framing-AnsatzBezug genommen und empirisch auf die Daten einerInhaltsanalyse von Spiegel, Stern und Focus zurück-gegriffen.

Bakardjieva, Maria; Smith, Richard: The inter-net in everyday life: Computer networkingfrom the standpoint of the domestic user. – S. 67 – 83

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Die Autoren gehen auf der Basis kulturwissenschaft-licher Überlegungen und in einem ,quasi-ethnogra-phischen’ Design der Frage nach, wie und wozu häus-liche Internet-user das Internet nutzen und wie siedarin neue Sinnzusammenhänge für sich konstitu-ieren. Dies geschieht unter dem Begriff der ,little be-havior genres’, ein Begriff, den Volosinov verwendethat.

Rantanen, Terhi: The old and the new: Com-munications technology and globalization inRussia. – S. 85 – 105

Public Opinion QuaterlyJg 64 (2000) Nr 4

Curtin, Richard; Presser, Stanley; Singer,Eleanor: The effects of response rate changeson the index of consumer sentiment. – S. 413 –428

Todorov, Alexander: The accessibility and applicability of knowledge: predicting contexteffects in national surveys. – S. 429 – 451

Blais, André; Nevitte, Neil; Gidengil, Elisa-beth: Do people have feelings toward leadersabout whom they say they know nothing!. – S. 452 – 463

PublizistikJg 46 (2001) Nr 1

Averbeck, Stefanie: Die Emigration der Zei-tungswissenschaft nach 1933 und der Verlustsozialwissenschaftlicher Perspektiven inDeutschland. – S. 1 – 19

Wolling, Jens: Skandalberichterstattung in denMedien und die Folgen für die Demokratie: dieBedeutung von Wahrnehmung und Bewertungder Berichterstattung für die Einstellung zurLegitimität des politischen Systems. – S. 20 – 36„Die Befürchtung, dass durch politische Skandale derDemokratie Schaden zugefügt werden könnte, wirdimmer dann, wenn politische Affären öffentliche Auf-merksamkeit erregen, verstärkt diskutiert. Da die Bür-ger vor allem durch die Medien von solchen Skanda-len erfahren, stellt sich die Frage, ob eine häufige Be-richterstattung über politische Skandale einen negati-ven Effekt auf die Beurteilung der Legitimität desdemokratischen Systems hat. Anhand von Umfrage-und Inhaltsanalysedaten wurde überprüft, ob ein Ein-fluss der Berichterstattung auf die Einstellung der Be-völkerung gegenüber dem demokratischen Systemfestzustellen ist. Dabei stellte sich heraus, dass nebenanderen Faktoren die Nutzung bestimmter Zeitungenund die Nutzung von Informationsangeboten, die vie-le unpolitische Beiträge enthalten, einen negativen Ef-fekt auf die Einstellung zum demokratischen System

haben. Negative Wirkungen der Skandalberichterstat-tung konnten dagegen nicht nachgewiesen werden.Weiter gehende Analysen zeigen dann aber, dass dieWahrnehmung und Bewertung der Berichterstattungeinen deutlichen Effekt auf die Einstellung zur Legiti-mität der Demokratie haben. Wahrnehmung und Be-wertung der Berichterstattung, das Politikverständnisund die Einstellungen zum politischen System stellenein komplexes kognitives Gefüge dar, das sich alsnicht unproblematisch erweist.“

Schrape, Klaus; Trappel, Josef: Das Geschäftmit der Prognose. – S. 37 – 56

Lauf, Edmund: „.96 nach Holsti“: zur Reliabi-lität von Inhaltsanalysen und deren Darstellungin kommunikationswissenschaftlichen Fach-zeitschriften. – S. 57 – 68

RTkomJg 53 (2001) Nr 1

Wilmer, Thomas: Das neue Fernabsatzgesetz:ein Segen für den E-commerce?. – S. 5 – 12

Kairo, Janne; Paulweber, Michael: High Tech-nology Industries, Private Restraints on Inno-vation, and EU Antitrust Law: the EuropeanApproach to Market Analysis of R&D Com-petition. – S. 13 – 28

Studies in Communication SciencesJg 1 (2001) Nr 1

Colombetti, Marco: A language for artificialagents. – S. 1 – 32

Cantoni, Lorenzo; Paolini, Paolo: HypermediaAnalysis: Some insights from semiotics and an-cient rhetoric. – S. 33 – 53

Richeri, Giuseppe: Das digitale Fernsehen unddie Entwicklung der audiovisuellen IndustrieEuropas. – S. 107 – 127

Garnham, Nicholas: Information society theo-ry as ideology: A critique. – S. 129 – 166

Venzin, Markus: The concept of foresight in times of uncertainty and ambiguity. – S. 167 –194

Tolley’s Communications JournalJg 6 (2001) Nr 2

Spiller, Richard: Insurance and the e-commer-ce revolution. – S. 50 – 55

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Márton, Lidia: The impact of EU competitionlaw on the financing of public service broadca-sters. – S. 56 – 61

Norman, Helen: Protecting the advertisingfunctions of trade marks. – S. 39 – 45

Corbett, Susan: The digital photograph: in-tellectual property of … whom?. – S. 46 – 49

Trends in CommunicationJg 31 (2001) Nr 7

Melody, William H.: Convergence on the nextgeneration Internet. – S. 7 – 13

Konert, Bertram: Broadcasting via Internet:New Models of Business and Financing. – S. 15– 39

Pieper, Frank; Opdemom, Peter: Convergenceand Regulation: Deutsche Telecom’s Perspec-tive. – S. 41 – 53

Hoogenboezem, Jaap: Convergence and Regu-lation: Comments and Recommendations. – S. 55 – 68

Zeitschrift für Urheber- und MedienrechtJg 45 (2001) Nr 4

Hucko, Elmar: Zum Sachstand in Sachen Ur-hebervertragsgesetz: ein Blick in die Werkstattdes Bundesministeriums der Justiz. – S. 273 –275

Dietz, Adolf: Die Pläne der Bundesregierungzu einer gesetzlichen Regelung des Urheber-

vertragsrechts: ein Beitrag aus der Sicht derEntwurfsverfasser. – S. 276 – 281

Reber, Nikolaus: Die Pläne der Bundesregie-rung zu einer gesetzlichen Regelung des Urhe-bervertragsrecht: ein Beitrag aus rechtsverglei-chender Sicht (Deutschland/USA). – S. 282 –288

Schimmel, Wolfgang: Die Pläne der Bundesre-gierung zu einer gesetzlichen Regelung des Ur-hebervertragsrecht: ein Beitrag aus der Sichtvon Journalisten und Schriftstellern. – S. 289 –299

Kreile, Johannes: Die Pläne der Bundesregie-rung zu einer gesetzlichen Regelung des Urhe-bervertragsrecht: ein Beitrag aus der Sicht derFilm- und Fernsehproduzenten. – S. 300 – 305

Weber, Peter: Die Pläne der Bundesregierungzu einer gesetzlichen Regelung des Urheber-vertragsrecht: ein Beitrag aus der Sicht des öf-fentlich-rechtlichen Fernsehens. – S. 311 – 314

Poll, Günter: Die Pläne der Bundesregierungzu einer gesetzlichen Regelung des Urheber-vertragsrecht: ein Beitrag aus der Sicht der Spit-zenorganisation der deutschen Filmwirtschaft(SPIO). – S. 306 – 310

Schaefer, Martin: Einige Bemerkungen zumProfessorenentwurf für ein Urhebervertrags-recht: ein Beitrag aus der Sicht der DeutschenLandesgruppe der IFPI e. V.. – S. 315 – 316

Spautz, Wolfgang: Was sagt uns die „Zauber-flöte“ zum Urhebervertragsrecht?: ein Beitragaus der Sicht der Deutschen Orchester Vereini-gung e. V.. – S. 317 – 323

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Page 139: Avatare-ParasozialeBeziehung Zu Virtuellen Akteurenn

Literaturverzeichnis

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Tätigkeitsbericht für die Jahre 1999 und 2000. –Köln: IRÖ, 2001. – 76 S. (Reihe Arbeitspapieredes Instituts für Rundfunkökonomie an derUniversität zu Köln; 143)

21 Kommunikationswissenschaft und -forschung

Medienwissenschaft: ein Handbuch zur Ent-wicklung der Medien und Kommunikations-formen: Teilband 2/ Leonhard, Joachim-Felix(Hrsg.). – Berlin: Walter de Gruyter GmbH &Co.KG, 2001. – 1788 S. (Handbücher zurSprach- und Kommunikationswissenschaft;15/2)

Mönchhalfen, Christoph: Marktforschung viaInternet: eine Delphi-Studie zur Einschätzungzukünftiger Möglichkeiten kommunikativerErhebungsinstrumente. – Bochum: BochumerUniversitätsverlag, 2001. – 115 S. (Kommuni-kationsforschung aktuell; 4)

22 Journalismus. Medienberufe

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31 Kommunikation

Bolz, Norbert: Weltkommunikation. – Mün-chen: Fink, 2001. – 184 S.

Literaturverzeichnis

419

11 Bibliographien. Lexika12 Jahrbücher. Geschäftsberichte

21 Kommunikationswissenschaft und -forschung22 Journalismus. Medienberufe23 Publizistische Persönlichkeiten24 Medieninstitute. Bibliotheken. Datenbanken

31 Kommunikation32 Kommunikationspolitik33 Lokalkommunikation. Bundesländer

41 Massenkommunikation Politik42 Massenkommunikation Gesellschaft43 Massenkommunikation Kultur

51 Telekommunikation. Informationsgesellschaft52 Neue Technologien. Multimedia

61 Internationale Kommunikation62 Europa Kommunikation

71 Massenmedien, allgemein72 Medien Bildung73 Medien Ökonomie74 Medien Recht75 Rundfunk76 Werbung

81 Publikum. Mediennutzung82 Rezeptionsforschung83 Kinder Jugendliche Medien91 Literatur zu einzelnen Ländern

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Page 140: Avatare-ParasozialeBeziehung Zu Virtuellen Akteurenn

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Pörksen, Bernhard: Abschied vom Absoluten:Gespräche zum Konstruktivismus. – Bonn:Carl-Auer Verl., 2001. – 237 S. (Konstruktivis-mus und systemisches Denken)

32 Kommunikationspolitik

„Dominus Iesus“ – Anstößige Wahrheit oderanstößige Kirche?; Dokumente, Hintergründe,Standpunkte und Folgerungen. – Münster: LitVerlag, 2001. – 349 S. (Wissenschaftliche Pa-perbacks; 9)

33 Lokalkommunikation. Bundesländer

Möhring, Wiebke: Die Lokalberichterstattungin den neuen Bundesländern: Orientierung imgesellschaftlichen Wandel. – München: Rein-hard Fischer, 2001. – 245 S. (Medien Skripten;36)

Regionalisierung im Rundfunk: eine Bilanz derEntwicklung seit 1975/ Klingler, Walter; Lersch,Edgar (Hrsg.). – Konstanz: UVK, 2001. – 160 S.(Jahrbuch Medien und Geschichte; 2001)

41 Massenkommunikation Politik

Berens, Harald: Prozesse der Thematisierungin publizistischen Prozessen: Ereignismanage-ment, Medienresonanz und Mobilisierung derÖffentlichkeit am Beispiel von Castor undBrent Spar. – Wiesbaden: Westdeutscher Verl.,2001. – 335 S. (Studien zur Kommunikations-wissenschaft; 48)

Dahlem, Stefan: Wahlentscheidung in der Me-diengesellschaft: Theoretische und empirischeGrundlagen der interdisziplinären Wahlfor-schung. – Freiburg: Alber, 2001. – 578 S. (Al-ber-Reihe Kommunikation; 27)

Kocks, Klaus: Glanz und Elend der PR: zurpraktischen Philosophie der Öffentlichkeitsar-beit. – Wiesbaden: Westdeutscher-Verlag,2001. – 231 S.

Öffentlichkeit und Vertraulichkeit: Theorieund Praxis der politischen Kommunikation/

Depenheuer, Otto (Hrsg.). – Wiesbaden: West-deutscher Verl., 2001. – 198 S.

Politik und Fernsehen: inhaltsanalytische Un-tersuchungen/ Rölle, Daniel; Müller, Petra;Steinbach, Ulrich W. (Hrsg). – Wiesbaden: Dt.Univ. Verlag, 2001. – 302 S.

Rinck, Annette: Interdependenzen zwischenPR und Journalismus: eine empirische Unter-suchung der PR-Wirkungen am Beispiel einerdialogorientierten PR-Strategie von BMW. –Wiesbaden: Westdeutscher-Verlag, 2001. – 325S.

Zerfall der Öffentlichkeit?/ Jarren, Otfried;Imhof, Kurt; Blum, Roger (Hrsg). – Wiesba-den: Westdeutscher Verl., 2000. – 307 S. (Me-diensymposium Luzern; 6)

42 Massenkommunikation Gesellschaft

Ludes, Peter: Multimedia und Multi-Moderne:Schlüsselbilder: Fernsehnachrichten undWorld Wide Web – Medienzivilisierung in derEuropäischen Währungsunion. – Wiesbaden:Westdeutscher, 2001. – 326 S.

Morley, David: Home territories: media, mobi-lity and identity. – London: Routledge, 2001. –340 S.

Tabubruch als Programm: Privates und Intimesin den Medien/ Herrmann, Friedrich; Lünen-borg, Margret (Hrsg.). – Opladen: Leske, 2001.– 199 S.

43 Massenkommunikation Kultur

Duncker, Christian: Verlust der Werte?: Wer-tewandel zwischen Meinungen und Tatsachen.– Wiesbaden: Dt. Univ.-Verl., 2000. – 193 S.

Jahnel, Andrea: Argumentation in internatio-nalen Fernsehdiskussionen. – München: Iudici-um Verlag, 2001. – 407 S.

Neiss, Oliver Magnus: Kultur im deutschenFernsehen. – Frankfurt am Main: Lang, 2001. –184 S. (Europäische Hochschulschriften, Reihe30; 82)

Scherfer, Konrad: Deutsche Fernsehpreise: Ar-gumente für Fernsehqualität. – Frankfurt am

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Main: Lang, 2001. – 310 S. (Medien und Fiktio-nen; 2)

www.otello.de: Klassik nur noch im Internetoder per pay?; Symposium aus Anlass des 85.Geburtstages von Professor Dr. Heinz Hüb-ner/ Dörr, Dieter (Hrsg.) . – Frankfurt amMain: Lang, 2001. – 66 S. (Studien zum deut-schen und europäischen Medienrecht; 9)

51 Telekommunikation. Informationsgesell-schaft

Die Internet-Ökonomie: Strategien für die di-gitale Wirtschaft/ Zerdick, Axel (Hrsg.). – Ber-lin: Springer-Verlag, 2001. – 371 S.

52 neue Technologien. Multimedia

Lohlker, Rüdiger: Islam im Internet: neue For-men der Religion im Cyberspace. – Hamburg:Deutsches Orient-Institut, 2001. – Elektroni-sche Ressource (Hamburger Beiträge: Medienund politische Kommunikation – Naher Ostenund islamische Welt; 3)

Medien, Texte und Maschinen: angewandteMediensemiotik/ Hess-Lüttich, Ernest W.B.(Hrsg.) . – Wiesbaden: Westdeutscher Verl.,2001. – 264 S.

Navarra, Christine: Wie interaktiv ist das In-ternet?: Nutzungsmöglichkeiten und erforder-liche Medienkompetenz. – Stuttgart: IbidemVerl., 2001. – 114 S.

61 internationale Kommunikation

Ertel, Tanja Nadine: Globalisierung der Film-wirtschaft: die Uruguay-Runde des GATT;eine Analyse zu Ökonomie, Politik und Kulturvon Film unter besonderer Berücksichtigungder Mediengeschichte und der Positionen derVerhandlungspartner EG und USA. – Frank-furt am Main: Lang, 2001. – 523 S. (EuropäischeHochschulschriften, Reihe 05; 2672)

71 Massenmedien, allgemein

Ein bemerkenswerter Fall: Joseph, Sebnitz unddie Presse. – Dresden: Sachsenwerbung, 2001. –78 S.

Gentechnik in der Öffentlichkeit: Wahrneh-mung und Bewertung einer umstrittenen Tech-nologie/ Hampel, Jürgen; Renn, Ortwin(Hrsg.). – Frankfurt: Campus Verl., 2001. – 410S.

Gesundheitskommunikation/ Jazbinsek, Diet-mar (Hrsg.) . – Opladen: Westdeutscher Verl.,2000. – 338 S.

Jertz, Walter: Krieg der Worte, Macht der Bil-der: Manipulation oder Wahrheit im Kosovo-Konflikt?. – Bonn: Bernad & Graefe, 2001. –140 S.

Jung, Matthias; Niehr, Thomas; Böke, Karin:Ausländer und Migranten im Spiegel der Pres-se: ein diskurshistorisches Wörterbuch zurEinwanderung seit 1945. – Wiesbaden: West-deutscher, 2001. – 190 S.

Meyn, Hermann: Massenmedien in Deutsch-land. – Konstanz: UVK, 2001. – 314 S.

72 Medien Bildung

Behrens, Ulrike:. Teleteaching is easy?:Pädagogisch-psychologische Qualitätskriteri-en und Methoden der Qualitätskontrolle fürTeleteaching-Projekte. – Landau: Verl. Empiri-sche Pädagogik, 2001. – 297 S. (Erziehungswis-senschaft; 4)

Gapski, Harald: Medienkompetenz: eine Bestandsaufnahme und Vorüberlegungen zueinem systemtheoretischen Rahmenkompe-tenz. – Wiesbaden: Westdeutscher Verl., 2001.– 333 S.

Johnson, Lesley L.:Media, education, and change.– New York: Lang, 2001. – 182 S. (Studies in thePostmodern Theory of Educations; 106)

74 Medien Recht

Dörr, Dieter: Sport im Fernsehen: die Funktio-nen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks beider Sportberichterstattung. – Frankfurt amMain: Lang, 2001. – 74 S. (Studien zum deut-schen und europäischen Medienrecht; 8)

Dürr, Mathias: Der Gegendarstellungsan-spruch im Internet. – Sinzheim: Pro Universi-tate, 2000. – 346 S.

Literaturverzeichnis

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Kibele, Babette: Multimedia im Fernsehen: diegesetzlichen Grundlagen audiovisueller Infor-mations- und Kommunikationsdienste auf derBasis des deutschen und europäischen Medien-rechts. – München: Beck, 2001. – 258 S. (Schrif-tenreihe Information und Recht; 18)

Liberalisierung der Telekommunikationsord-nungen: ein Rechtsvergleich/ Koenig, Christi-an; Kühling, Jürgen; Schedl, Hans (Hrsg). –Heidelberg: Verl. Recht und Wirtschaft, 2001.– 264 S. (Schriftenreihe Kommunikation &Recht; 9)

Das neue Fernabsatzgesetz: Umsetzung in On-linehandel und klassischem Vertrieb/ Becker,Rolf (Hrsg.). – München: High Text Verl.,2001. – 134 S.

Recknagel, Ralf: Das Recht der Gegendarstel-lung bei Meldungen von Nachrichtenagentu-ren. – Baden-Baden: Nomos Verl., 2000. – 205S. (Nomos Universitätsschriften Recht; 347)

Schreier, Torsten: Das Selbstverwaltungsrechtder öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten.– Frankfurt am Main: Lang, 2001. – 402 S. (Stu-dien zum deutschen und europäischen Medien-recht; 7)

Stamm, Barbara: Die Entgeltregulierung imTelekommunikationsgesetz. – Berlin: Duncker& Humblot, 2001. – 411 S. (Schriften zu Kom-munikationsfragen; 28)

75 Rundfunk

Gehrau, Volker: Fernsehgenres und Fernseh-gattungen: Ansätze und Daten zur Rezeption,Klassifikation und Bezeichnung von Fernseh-programmen. – München: Fischer, 2001. – 297S. (Angewandte Medienforschung; 18)

Hörfunk-Jahrbuch 2000/2001/ Ory, Stephan;Bauer, Helmut G. (Hrsg.). – Berlin: Vistas,2001. – 218 S.

Pickel, Küsse und Kulissen: Soap Operas imFernsehen/ Claudia Cippitelli; Schwanebeck,Axel (Hrsg). – München: R. Fischer, 2001. –211 S.

Produktionssteuerung im öffentlich-rechtlichenRundfunk/ Kops, Manfred (Hrsg.). – Köln: In-stitut für Rundfunkökonomie, 2001. – 103 S.

(Arbeitspapiere des Instituts für Rundfunkö-konomie an der Universität zu Köln; 144)

Radio erobert neue Räume: Hörfunk – global,lokal, virtuell. – Eine Dokumentation derNürnberger Radiotage 1999/ Schwanebeck,Axel; Ackermann, Max (Hrsg.). – München:Fischer, 2001. – 278 S.

Rösch, Bert: Zeitungsverleger-Fernsehen inWest-Berlin von 1960 bis 1986. – Hamburg:Universität, Mag.Arb., 2001. – 161 S.

76 Werbung

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81 Publikum. Mediennutzung

Burckhardt, Wolfgang: Förderung kindlicherMedienkompetenz durch die Eltern: Grundla-gen, Konzepte und Zukunftsmodelle. – Opla-den: Leske + Budrich, 2001. – 407 S. (Schriften-reihe Medienforschung der LFR; 40)

Klemm, Michael: Zuschauerkommunikation:Formen und Funktionen der alltäglichen kom-munikativen Fernsehaneignung. – Frankfurtam Main: Lang, 2001. – 397 S. (Sprache im Kon-text; 8)

Meyen, Michael: Mediennutzung: Mediafor-schung, Medienfunktionen, Nutzungsmuster.– Konstanz: UVK Medien, 2001. – 235 S. (Rei-he Uni-Papers; 17)

82 Rezeptionsforschung

Theoretische Perspektiven der Rezeptionsfor-schung/ Rössler, Patrick; Hasebrink, Uwe(Hrsg). – München: Fischer, 2001. – 198 S. (An-gewandte Medienforschung; 17)

Weiß, Ralph: Fern-Sehen im Alltag: zur Sozial-psychologie der Medienrezeption. – Wiesba-den: Westdeutscher Verl., 2001. – 410 S.

83 Kinder Jugendliche Medien

Caviola, Sandra: Vorschulkinder und Gewaltim Kinderprogramm: eine qualitative Untersu-chung zur Rezeption gewalthaltiger Fernsehin-halte durch Vorschulkinder. – Münster: Lit,

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2001. – 430 S. (Aktuelle Medien- und Kommu-nikationsforschung; 14)

Decius, Marc; Panzieri, Ralf: „Wir sind dasNetz“: Chancen und Risiken des Internets fürKinder und Jugendliche – ein praktischer Leit-faden. – Weinheim: Beltz, 2001. – 144 S. (BeltzTaschenbuch; 53)

Kutschera, Norbert: Fernsehen im Kontext ju-gendlicher Lebenswelten: eine Studie zur Me-dienrezeption Jugendlicher auf der Grundlagedes Ansatzes der kontextuellen Mediatisation.– München: KoPäd, 2001. – 560 S. (KoPädHochschulschriften)

Teletubbies & Co: schadet Fernsehen unserenKindern?/ Neuß, Robert; Koch, Claus (Hrsg).– Weinheim: Beltz, 2001. – 191 S. (Beltz Ta-schenbuch; 826)

91 Literatur zu einzelnen Ländern

Hampf, Michaela: Freies Radio in den USA: diePacifica-Foundation, 1946–1965. – Münster:Lit, 2001. – 206 S. (Studien zur Geschichte, Po-litik und Gesellschaft Nordamerikas; 15)

Kinder- und Jugendmedien in Österreich:Traummännlein Teletubbies Talkshows/ Paus-Haase, Ingrid u.a. (Hrsg.) . – Wien: öbv undhpt, 2001. – 192 S.

Sen, Krishna; Hill, David T.: Media, culture andpolitics in Indonesia. – New York: OxfordUniversity Press, 2000. – 245 S.

Wittmann, Frank: Die Folgen der Globalisie-rung für das senegalesische Mediensystem. –Hamburg: Institut f. Afrika-Kunde, 2001. – 52 S. (Focus Afrika; 17)

Literaturverzeichnis

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English Abstracts

Thomas Vesting: Broadcasting law faces the challenges of networking logic. Reflec-tions on a horizontal broadcasting order for the economy of attention (Das Rund-funkrecht vor den Herausforderungen der Logik der Vernetzung. Überlegungen zu einer horizontalen Rundfunkordnung für die Ökonomie der Aufmerksamkeit),pp. 287 – 305

The article highlights some of the challenges facing broadcasting law as a result of newdevelopments in information technology and media economics (“multimedia”). Thesechallenges are attributed to a new kind of networking logic, which, according to one ofthe article’s main theses, tends to make the possibility of sustaining the dual broadcast-ing system in its current form improbable in the long term. The answer to the new brandof networking logic is seen in a new organisational model, which takes up systems-the-oretical notions of “self-organisation”. This new model accentuates, first and foremost,the need to retain cultural and economic innovative capability including the accompa-nying requirements. Finally, the article attempts to concretise in greater detail the im-plications of this model for the regulation of broadcasting.

Stefan Wehmeier: Economicisation of television. An article on the combination ofsystem and actor (Ökonomisierung des Fernsehens. Ein Beitrag zur Verbindungvon System und Akteur), pp. 306 – 324

This article stands in the tradition of surmounting the dualism of systems and actor the-ory. With exemplary reference to the economicisation of television the explanatory po-tential of an integrated systems/actor theory is also outlined for communications re-search. A number of premises of the systems-theoretical perspective that predominatesin communications research are initially criticised and the integrated systems/actor per-spective subsequently outlined on the basis of approaches developed since the mid-Eighties by the Max Planck Institute for Social Research. The application of this per-spective to communications research is taking place through the process of the eco-nomicisation of television that began in the year 1984. It is argued that the dimensionsand mechanisms of the structural change of television can be better exposed by a dove-tailed observation of partially systemic horizons of orientation, institutional orders andactor constellations than by using a purely systems-theoretical perspective. The follow-ing consequences are identified: on the one hand, the distortion of the code of the func-tional system mass media by the code of economics; on the other hand, a loss of trust bythe population in the expert system of the mass media.

Nicola Döring: Personal websites on the WWW. A critical overview of the state ofresearch (Persönliche Homepages im WWW. Ein kritischer Überblick über den For-schungsstand), pp. 325 – 349

Personal websites are web offerings, which are operated by individual persons. The ar-ticle begins with the delimitation and definition of this personalised form of online pub-lication and discusses its relevance for communications research. It is argued that per-sonal websites not only serve individual and group communication, but can also makea contribution to public communication in different ways. The literature on personal

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websites, which is sometimes hard to access, is subsequently discussed. The theoreticalcontributions presented focus on the fact that the personal website constitutes a con-struction of identity and a presentation of self via computer-mediated communication.Approximately thirty studies exist on the production, classification and recipience ofpersonal websites. The article reports of the most important findings, which were gath-ered via content analyses, log file analyses, oral and written surveys, and experiments,and outlines perspectives for future website research in the field of communications re-search.

Tilo Hartmann / Christoph Klimmt / Peter Vorderer: Avatars: parasocial relation-ships with virtual characters (Avatare: Parasoziale Beziehungen zu virtuellen Ak-teuren), pp. 350 – 368

The rise of interactive media has fostered the development of virtual characters(“avatars”). Some avatars are used as automatic personal assistants to visitors of web-sites, others are promoted as virtual stars and appear in various media. This article in-troduces the phenomenon “avatars” and discusses the question how virtual charactersare perceived by media users. The concept of parasocial relationships (Horton & Wohl,1956) is used as a theoretical framework. Subsequently, two surveys which address thequality and intensity of parasocial relationships with avatars are presented. Based on theresults of these studies and the anticipated future development of virtual characters, sug-gestions for further research are discussed.

Jan Pinseler: Talking on free radio. A case analysis on the possibilities of alternativeradio broadcasting (Sprechen im Freien Radio. Eine Fallanalyse zu Möglichkeiten al-ternativen Hörfunks), pp. 369 – 383

During the Nineties there was a sharp increase in the number of licensed free radio sta-tions in the Federal Republic of Germany. Their own self-descriptions and the theoret-ical reflections voiced in this environment indicate that the main potential of these radiostations is their ability to “demystify” the medium, to use a language of everyday life onradio too, and to articulate a variety of subjective points of view. With reference to a con-versation analysis study of programmes broadcast on coloRadio in Dresden the articleshows that the special characteristic of free radio is the fact that both discussions are pos-sible which have the structural form of news interviews as well as discussions which tendto resemble discussions in everyday life. This means that the topics voiced on free radionot only differ from those in other media, but that, due to the proximity to everydaylanguage, different persons are also given the possibility to use radio as a means of com-munication in a self-determined way.

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Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dieses Heftes

PD Dr. Joan Kristin B le i cher , Institut für Germanistik II, Universität Hamburg, Von-Melle-Park 6, 20148 Hamburg, E-Mail: [email protected]. Dr. Karin Böhme-Dürr , Institut für Medienwissenschaft, Heinrich-Heine-Universität, Universitätsstraße 1, 40225 Düsseldorf, E-Mail: [email protected]. Nicola Dör ing , Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft, TU Il-menau, Postfach 10 05 65, D-98684 Ilmenau, E-Mail: [email protected]. Tilo Har tmann , Institut für Journalistik und Kommunikations-forschung, Hochschule für Musik und Theater Hannover, Hohenzollernstr. 47, 30161Hannover, E-Mail: [email protected]. Dr. Knut Hicke th i e r , Institut für Germanistik II, Universität Hamburg, Von-Melle-Park 6, 20148 Hamburg, E-Mail: [email protected] J enke , Falkenweg 7, 23683 ScharbeutzDipl.-Medienwiss. Christoph Kl immt , Institut für Journalistik und Kommunikati-onsforschung, Hochschule für Musik und Theater Hannover, Hohenzollernstr. 47,30161 Hannover, E-Mail: [email protected] P inse l e r , M.A., Kamenzer Straße 19, 01099 Dresden, E-Mail: [email protected]. Dr. Klaus P l ake , Lehrstuhl für Erziehungssoziologie unter besonderer Berück-sichtigung der Sozialisationstheorie, Universität der Bundeswehr Hamburg, Postfach700822, 22039 Hamburg, E-Mail: [email protected]. Armin Scho l l , Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, West-fälische-Wilhelms-Universität, Bispinghof 9-14, 48143 Münster, E-Mail: [email protected]. Dagmar Schüt t e , Landesanstalt für Rundfunk, Zollhof 2, 40221 Düsseldorf, E-Mail: [email protected] Jens Tenscher , M.A., Institut für Politikwissenschaft, Universität Koblenz-Landau,Kaufhausgasse 9, 76829 Landau, E-Mail: [email protected]. Dr. Thomas Ves t ing , Juristische Fakultät, Universität Augsburg, Universitäts-str. 2, 86135 Augsburg, E-Mail: [email protected]. Dr. Peter Vordere r , Institut für Journalistik und Kommunikationsforschung.Hochschule für Musik und Theater, Hohenzollernstr. 47, 30161 Hannover, E-Mail: [email protected]. Stefan Wehmeie r , Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft, Lehr-stuhl Öffentlichkeitsarbeit/PR, Universität Leipzig, Augustusplatz 9-11, 04109 Leipzig,E-Mail: [email protected]. Dr. Hans J. Wul f f , Institut für Neuere Deutsche Literatur und Medien, Univer-sität Kiel, Leibnizstraße 8, 24118 Kiel, E-Mail: [email protected]

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Hinweise für Autorinnen und Autoren

Die wissenschaftliche Vierteljahreszeitschrift „Medien & Kommunikationswissen-schaft“ (bis Ende 1999 „Rundfunk und Fernsehen – Zeitschrift für Medien- und Kom-munikationswissenschaft“) wird seit 1953 vom Hans-Bredow-Institut herausgegebenund redaktionell betreut. Die Zeitschrift ist ein interdisziplinäres Forum für theoreti-sche und empirische Beiträge aus der gesamten Medien- und Kommunikationswissen-schaft.Für die Publikation in „Medien & Kommunikationswissenschaft“ kommen folgendeTextsorten in Betracht:• Aufsätze sollen ein Moment originärer theoretischer Leistung beinhalten bzw. einen

theoretisch weiterführenden Argumentationsgang bieten;• Berichte sollen Befunde zu einem ausgewiesenen Problem von theoretischer oder

medienpraktischer Relevanz darstellen;• Unter der Rubrik Diskussion sollen Beiträge erscheinen, die innerhalb eines wissen-

schaftlichen Diskurses Position beziehen und die Diskussion voranbringen können.Dabei können auch spekulative Betrachtungen fruchtbar sein.

• Literaturberichte/-aufsätze sollen Literatur bzw. ausgewählte Literatur zu be-stimmten Problemstellungen systematisch und vergleichend zusammenfassen undeine Übersicht über den Stand der Theorie und/oder Empirie geben.

Die Redaktion bietet außerdem die Möglichkeit zur Stellungnahme und Erwiderung zupublizierten Beiträgen der oben genannten Kategorien. Stellungnahmen und Erwide-rungen, die den in „Medien & Kommunikationswissenschaft“ üblichen inhaltlichen undformalen Standards entsprechen und geeignet sind, die wissenschaftliche Diskussion zufördern, werden im nächstmöglichen Heft publiziert. Die Redaktion räumt dabei demAutor bzw. der Autorin des Beitrages, auf den sich die Stellungnahme bezieht, die Mög-lichkeit einer Erwiderung ein.Manuskripte, die zur Publikation in „Medien & Kommunikationswissenschaft“ einge-reicht werden, dürfen nicht anderweitig veröffentlicht sein und bis Abschluss des Be-gutachtungsverfahrens nicht anderen Stellen zur Veröffentlichung angeboten werden.Im Sinne der Förderung des wissenschaftlichen Diskurses und der kumulativen For-schung sowie der Qualitätssicherung legt die Redaktion bei der Begutachtung von Beiträ-gen besonderen Wert darauf, dass größtmögliche Transparenz hinsichtlich der verwen-deten Daten hergestellt wird. Autorinnen und Autoren empirischer Beiträge verpflich-ten sich mit der Einreichung des Manuskripts, dass sie die Art und Weise der Datener-hebung bzw. den Zugang zu Datenbeständen, die von Dritten (z. B. Datenbanken) zurVerfügung gestellt worden sind, ausreichend dokumentieren, um so die Voraussetzungenfür Sekundäranalysen und Replikationen zu schaffen. Zugleich erklären sie sich bereit,die verwendeten Daten bei wissenschaftlich begründeten Anfragen im Rahmen der je-weils gegebenen Möglichkeiten für weitere Analysen zur Verfügung zu stellen.Formalien:• Manuskripte sind der Redaktion in dreifacher Ausfertigung zuzuschicken.• Da die eingereichten Manuskripte anonymisiert begutachtet werden, sind zwei Ti-

telblätter erforderlich: eines mit Angabe des Titels und der Namen und Anschriftender Autorinnen und Autoren, eines ohne Anführung der Namen und Adressen. DasManuskript selbst darf keine Hinweise auf die Autorinnen und Autoren enthalten.

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• Beizufügen ist eine kurze Zusammenfassung des Beitrags (max. 15 Zeilen), die demLeser als selbständiger Text einen hinreichenden Eindruck vom Inhalt des jeweili-gen Beitrags vermittelt.

• Der Umfang der Beiträge soll 20 Manuskriptseiten (55.000 Zeichen) nicht über-schreiten.

• Die Manuskriptseiten müssen im DIN A4-Format (einseitig), anderthalbzeilig be-schrieben und mit ausreichendem Rand versehen sein.

• Gliederung des Textes: Jedes Kapitel und Unterkapitel sollte mit einer Überschrift(in Dezimalzählung) versehen sein.

• Hervorhebungen im Text sind kursiv oder fett zu kennzeichnen.• Für Hinweise und Literaturbelege bestehen wahlweise zwei Möglichkeiten:

a) durch Angabe von Autor, Erscheinungsjahr und Seitenziffer im fortlaufendenText – z. B.: . . . (Müller, 1990: 37 – 40) . . . –, wobei der vollständige bibliographi-sche Nachweis über ein Literaturverzeichnis im Anschluss an den Beitrag erfolgt; b) über durchnumerierte Anmerkungsziffern, wobei der Text der Anmerkung aufder entsprechenden Seite aufgeführt wird.

Über eine Annahme des Manuskripts und den Zeitpunkt der Veröffentlichung ent-scheidet die Redaktion auf der Grundlage redaktionsinterner und externer Gutachten.Dem/der Autor/in wird die Redaktionsentscheidung schriftlich mitgeteilt. Im Falle ei-ner Entscheidung für Überarbeitung, Neueinreichung oder Ablehnung legt die Redak-tion die Gründe für ihre Entscheidung offen. Dazu werden die anonymisierten Gut-achten, evtl. auch nur in Auszügen, zugesandt. Das Begutachtungsverfahren ist in derRegel sechs Wochen nach Eingang des Manuskripts abgeschlossen; falls die Begut-achtung längere Zeit erfordert, werden die Autor/inn/en benachrichtigt. Von jedem Originalbeitrag werden 20 Sonderdrucke kostenlos zur Verfügung gestellt.Weitere Sonderdrucke können bei Rückgabe der Fahnenkorrektur an die Redaktionschriftlich gegen Rechnung bestellt werden.Verlag und Redaktion haften nicht für Manuskripte, die unverlangt eingereicht werden.Mit der Annahme eines Manuskripts erwirbt der Verlag von den Autorinnen und Au-toren alle Rechte, insbesondere auch das Recht der weiteren Vervielfältigung zu ge-werblichen Zwecken im Wege des fotomechanischen oder eines anderen Verfahrens.

Anschrift der Redaktion: Hans-Bredow-Institut Heimhuder Straße 21, 20148 Hamburg (Tel. 0 40/45 02 17-41)

Medien & KommunikationswissenschaftHerausgegeben vom Hans-Bredow-Institut für Medienforschung an der Universität HamburgISSN 1615-634XDie Zeitschrift sowie alle in ihr enthaltenen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Jede Ver-wertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung desVerlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen unddie Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden, 2001. Printed in Germany.Bezugsbedingungen: Die Zeitschrift erscheint vierteljährlich (4 Hefte jährlich), Jahresabonnement 98,– DM, Jah-resabonnement für Studenten 50,– DM (gegen Nachweis), Einzelheft 29,– DM, jeweils zuzügl. Versandkosten(inkl. MwSt); Bestellungen nehmen der Buchhandel und der Verlag entgegen; Abbestellungen vierteljährlich zumJahresende. Zahlung jeweils im Voraus an Nomos Verlagsgesellschaft, Postscheckk. Karlsruhe 736 36-751 undStadtsparkasse Baden-Baden, Konto 5-002 266.Verlag und Anzeigenannahme: Nomos Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, 76520 Baden-Baden,

Telefon: (0 72 21) 21 04-0, Telefax: 21 04 27.

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