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3 3 Malnutrition A. Zeyfang 3.1 Fallbeispiel: Unklare Gewichtsabnahme – 44 3.2 Weiterführende Fragen zum Fallbeispiel – 44 3.3 Syndrom Malnutrition – 45 3.3.1 Hintergründe – 45 3.3.2 Klinik – 48 3.3.3 Therapie – 51 3.4 Häufige Kontextfaktoren – 55 3.5 Antworten und Kommentare zu den Fragen – 56

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3 Malnutrition A.Zeyfang

3.1 Fallbeispiel:UnklareGewichtsabnahme –44

3.2 WeiterführendeFragenzumFallbeispiel –44

3.3 SyndromMalnutrition –453.3.1 Hintergründe –453.3.2 Klinik –483.3.3 Therapie –51

3.4 HäufigeKontextfaktoren –55

3.5 AntwortenundKommentarezudenFragen –56

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Kapitel3·Malnutrition44

3.1 Fallbeispiel:UnklareGewichtsabnahme

FrauS.ist83Jahrealtundlebtschonseitüber10JahrenimAlten-undPflege-heim›HausSonnenschein‹.AnfangsbewohntesienocheinkleinesZimmerimBetreutenWohnenundgingzumEssenindenSpeisesaal,wosiemitanderenälterenDamenihrStammplätzchenhatte.SeitJahrenistsienacheinermisslun-genenKnieoperationschmerzgeplagtundstarkgehbehindert,weshalbsieinderZwischenzeitindenPflegebereichumziehenmussteundsichseitherfastnicht mehr aus ihrem Zimmer herausbewegt. Obwohl die Altenpflegekräftebereits seit mehreren Monaten bemerken, dass FrauS. von den gebrachtenMahlzeitenmeistnurprobiertunddasmeistewiederabgetragenwird,schaffensieesdochnicht,FrauS.zuüberreden,mehrzuessen.KurzvorWeihnachtenwirdFrauS.miteinerPneumonieinsKrankenhausgebracht.FrauS.wiegtbeiAufnahme43kgbeieinerKörpergrößevon1,64m.DieStationsleitungderIn-tensivstationbeschwertsichschriftlichimHeimüberdieextremeUnterernäh-rungderBewohnerin,»diewohlaufSparmaßnahmenbeimEssen«zurückzu-führensei.

3.2 WeiterführendeFragenzumFallbeispiel

? Frage1: WelcheFaktorenhabenIhrerMeinungnachzumEntstehenderMalnutritionbeiFrauS.beigetragen,undwelcheanderenFaktorenkönnenSiesichvorstellen,dieamEntsteheneinerMalnutritionimhöherenLebensalterAnteilhaben?

? Frage2: WiekönnenSieeineMalnutritionklinischfeststellen?

? Frage3: WelcheLaborparameterkönnenSiebestimmen,umeineAussageüberdenErnährungszustandzuerhalten?

? Frage4: WiewürdenSieMalnutritionimAltertherapeutischangehen?

? Frage5: WiehäufigfindetsichMalnutritionbeiälterenMenschenungefähr?

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3.3 SyndromMalnutrition

3.3.1 Hintergründe

DefinitionUnter Malnutrition (Mangel- und Fehlernährung) versteht man ein Ungleichge-wicht zwischen Nahrungszufuhr und Nahrungsbedarf. Das Spektrum reicht vom Übergewicht bis zum Untergewicht. Malnutrition ist beim alten Menschen sehr viel häufiger mit Untergewicht (.Abb.3.1) und meist mit einer Fehlernährung verbun-den. Man unterscheidet dabei zwischen einer Proteinmangelernährung (Kwashior-kor) und einer Kalorienmangelernährung (Marasmus). Im höheren Lebensalter liegen jedoch meist Mischformen im Sinne eines Protein-Kalorien-Mangels vor.

! MangelernährungistimhohenLebensaltersehrhäufig.JenachuntersuchterStudienpopulationreichtdiePrävalenzvon16beisonstgesunden,zuHauselebendenSeniorenbishinzuüber50ProzentbeiPflegeheimbewohnern.

3.3·SyndromMalnutrition

.Abb.3.1. UnterernährtegeriatrischePatientin

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Kapitel3·Malnutrition46

OrganischeUrsachenAm Entstehen der Malnutrition bei Frau S. haben verschiedene Faktoren beigetragen. Zum einen ist aufgrund des chronischen Schmerzsyndroms nach misslungener Knie-operation wahrscheinlich schon per se eine Einschränkung des Appetits aufgetreten, möglicherweise deutlich verstärkt durch die Auswirkung von Schmerzmedikamenten, wie zum Beispiel nicht-steroidalen Antirheumatika oder Opioden, die alle eine appe-tithemmende Wirkung entfalten können. Auch der soziale Rückzug mit Wegfallen einer gemeinschaftlich eingenommenen Mahlzeit hat vermutlich zur nachlassenden Nahrungsaufnahme beigetragen. Ist dann bei weiterer Malnutrition bereits die Kraft und somit auch die Mobilität reduziert, kommt es wie in einem Teufelskreis zu einer weiteren Einschränkung der Nahrungsaufnahme. Vermuten kann man auch, dass durch die bereits erfolgte Gewichtsabnahme das Gebiss vielleicht nicht mehr richtig passt und deshalb wiederum die Nahrungsaufnahme behindert wird. Möglicherwei-se könnte auch die Pneumonie auf eine Schluckstörung hinweisen, wie sie im höheren Lebensalter zum Beispiel bei Parkinson-Syndrom, nach Schlaganfall oder bei Demenz häufig vorkommt; diese wird oft weder vom Betroffenen noch von den Angehörigen oder den Pflegekräften richtig wahrgenommen. Weitere wichtige organische Ursachen sind:4 physiologische Faktoren

5 Abnahme des Geschmackssinns (bis 70%)5 Abnahme des Geruchssinns5 verminderter Visus5 Verminderung des Energiebedarfs 5 verringerte Hunger- und Durstempfindlichkeit5 Hypo-Achlorhydrie (verminderte Salzsäureproduktion im Alter), Lak-

toseintoleranz, Spezialdiäten4 pathologische Faktoren

5 Mund und Kiefer (15% der >65-Jährigen., 50% der >80-Jährigen)5 Mundtrockenheit5 Zahnverlust 5 unzureichende zahnärztliche (prothetische) Versorgung5 Krankheiten des Gastro-Intestinaltraktes (häufig nur Appetitlosigkeit)5 zentrale Dysphagie (30% nach Apoplex) 5 Mangelernährung, Zink-Mangel (Teufelskreis)5 Maldigestion und Malabsorption5 sämtliche konsumierende Erkrankungen (Malignome, Tbc, AIDS, Leber-

zirrhose, kardiale Erkrankungen)5 Schluckstörung nach Schlaganfall (30%) bei Parkinson (30–50%) bei Demenz (präfinal >90%)

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MedikamentöseUrsachen4 Antirheumatika, Analgetika: Diclophenac, ASS 1004 Opioide, Opiate: Tramadol, Morphium, auch transkutan5 Antibiotika4 Digitalis, Diuretika4 Laxantien (Abusus)4 Phenothiazine4 Antineoplastische Chemotherapeutika

FunktionelleUrsachen4 soziale Faktoren

5 Armut, Bildungsniveau, Wohnsituation5 hauswirtschaftliche Inkompetenz (Einkaufen, Kochen)5 Vereinsamung (Kochen für eine Person)

4 psychische Faktoren5 belastende Lebensereignisse5 Depression (ca. 25%)5 Demenz (30% der über 85-Jäh.)5 Alkoholismus

! DieUrsachenderMangelernährungsindimhöherenAltervielfältigundum-fassenphysiologischeundpathologischeorganischeUrsachen,Medikamen-tennebenwirkungen(v.a.beiSchmerzmitteln)aberauchpsychischeundsozi-aleFaktoren.

.Abb.3.2. EsseninGemein-schaftinangenehmerAtmos-phäreverbessertdenErnäh-rungszustand

3.3·SyndromMalnutrition

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Kapitel3·Malnutrition48

3.3.2 Klinik

AnthropometrischeMessungenDie einfachste Maßnahme ist es, den Patienten oder Bewohner regelmäßig zu wie-gen und dann in Relation zur Körpergröße den Body-Mass-Index zu bestimmen. Der BMI ist gleich Körpergewicht in Kilogramm durch Körpergröße in Meter im Quadrat.

Körpergewicht in kgBMI = (Größe in m)2

Für Erwachsene <65 Jahren ist in Hinblick auf Adipositas und metabolisches Syn-drom ein Übergewicht zu vermeiden, und es gilt . Tabelle3.1:

! WährendimjüngerenLebensaltereherNormalgewichtbiseinleichtesUnterge-wichtzufavorisierensind,istabca.75JahreneinleichtesÜbergewicht(Body-Mass-Index25–30)einSchutzfaktorbezüglichMorbiditätundMortalität.EinBody-Mass-Indexunter22,7kg/m²bzw.einestärkereGewichtsabnahmeistfürüber75-jährigeeineigenständigerRisikofaktorbezüglichMorbiditätundMor-talität(.Tab.3.2).

.Tab.3.1. BMI

BMI<17,5kg/m2: extremesUntergewicht

BMI17,5–19,9: Untergewicht

BMI20–25: Normalgewicht

BMI25–30: Übergewicht

BMI30–40: AdipositasGradI+II

BMI>40: AdipositasGradIII

.Tab.3.2. WünschenswerteBMI-WertefürÄltereMenschen:Ab65Jahrensindeherhö-hereBMI-Werteanzustreben(n.ESPEN2000)

schwereMalnutrition

leichteMalnutrition

RisikofürMalnutrition

Normal­gewicht

Präadipo­sitas

Adipositas

<18,5 18,5–19,9 20–21,9 22–26,9 27-–29,9 >29,9

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Weitere Möglichkeiten zur klinischen Messung des Ernährungszustands sind zum Beispiel Hautfaltendicke am Oberarm, Wadenumfang (>31 cm), Armspanne geteilt durch Körpergewicht im Quadrat (BMA), Messung der Bioimpedanz (BIA) oder NMR-Bestimmung der Fettmasse. Diese Messungen sind jedoch eher Studien vor-behalten.

LaborEs gibt nur wenige Laborparameter, die mit einem schlechten Ernährungsstatus beim älteren Patienten korrelieren. Albumin und Transferrin sind gute Marker, um den Protein-Status zu evaluieren. Albumin, Präalbumin, Transferrin, Hämoglobin, Cholesterin und die Lymphozytenzahl geben Hinweise auf Protein- und Kalorien-mangel.

Proteine mit kürzerer Halbwertszeit als das Albumin (14 bis 21 Tage) wie Reti-nol-bindendes Protein (RBP) und Präalbumin sind für das Monitoring des Ernäh-rungsstatus bei Akuterkrankungen besser geeignet (. Tab.3.3).

AssessmentEs gibt eine Reihe von möglichen Assessment-Untersuchungen zur Bestimmung des Ernährungszustandes oder zur Entdeckung einer diesbezüglichen Gefährdung. Das weltweit bekannteste Instrument hierfür ist der Mini Nutritional Assessment (MNA). Mit diesem Assessment (. Abb.3.3) kann zuverlässig der Ernährungszu-stand Älterer bestimmt werden. Mittels eines Vorscreenings mit 6 Fragen kann entschieden werden, ob über weitere 12 Fragen ein komplettes Assessment erhoben werden muss.

! AufgrundseinerBeziehungzuprognoserelevantenParameternsolltebeigeria-trischenKrankenhauspatientenprimärdasMNAeingesetztwerden.

.Tab.3.3. LaborparameteralsIndikatorenfürMangelernährung(mitHalbwertszeit)

Mangelernährung mild moderat schwer t1/2

Albuming/l 32–35 28–32 <28 21d

Transferring/l 2,5–3 1,5–2,5 <1,5 8d

Präalbuminmg/l 120–150 100–120 <100 2d

Retinol-bindendesProtein (>26mg/l) 0,5d

Lymphozyten 1500–1800 900–1200 <900

3.3·SyndromMalnutrition

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Kapitel3·Malnutrition50

.Abb.3.3. AnamnesebogenzurBestimmungdesErnährungszustandesältererMenschen(SociétédesProduitsNestléS.A.,Vevey,Switzerland,TrademarkOwners)

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3.3.3 Therapie

AllgemeinAm besten ist es, eine Malnutrition erst gar nicht entstehen zu lassen. Wegen der Heterogenität der Ursachen für Malnutrition in der Geriatrie gibt es keine allge-mein gültigen Therapiekonzepte. Grundkrankheiten wie gastrointestinale Störun-gen, Depression, Hyperthyreose, chronische Schmerzsyndrome und viele andere sind nach Möglichkeit kausal zu behandeln. Diätverordnungen (fettarm, salzarm, Diabetes-Diät etc.) sollten unbedingt kritisch revidiert und gegebenenfalls verän-dert werden. Auch Medikamentenverordnungen sind kritisch zu überprüfen und nach Möglichkeit zu reduzieren. Ernährungstherapeutische Maßnahmen im Alter sollten immer auf einer sorgfältigen Abklärung der verschiedenen Faktoren der Malnutrition basieren. Erkrankungen des Zahn- und Kieferapparates müssen sa-niert werden, eventuell einzeln nicht paarig stehende Zähne entweder entfernt oder durch eine Gebissergänzung wieder zum funktionellen Zustand übergeführt wer-den. Mahlzeiten können auch püriert oder passiert serviert werden, sollten dann aber ansprechend gestaltet werden. Ergotherapeutische Hilfsmittel wie z. B. Griff-verstärkungen können sehr nützlich sein. Neben der Optimierung des Nahrungs-angebots sowie der Beachtung von Umgebungsfaktoren (Präsentation der Mahlzei-ten, angenehmes Ambiente) können auch orale Supplemente den Ernährungszu-stand nachweislich verbessern.

.Abb.3.4. Gebisszustand

3.3·SyndromMalnutrition

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Kapitel3·Malnutrition52

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! UmeineUnterversorgungmitNahrungundFlüssiglkeitnichtzuübersehenkanneinTrink-undEssprotokollhilfreichsein(.Abb.3.5)

ErnährungsberatungDurch stärkeres Würzen der Speisen oder stärkeres Süßen kann dem reduzierten Geschmacksempfinden nachgekommen werden. Eine ansprechende Zubereitungs-weise nicht nur bei pürierten oder anderweitig zerkleinerten Speisen (zum Beispiel durch Dekoration des Tellers mit unzerkleinerten Speisebestandteilen) sowie die Einnahme in einem sozialen Rahmen mit Mitpatienten/Bewohnern oder gemein-sam mit therapeutischem oder pflegerischem Personal steigert die Nahrungsauf-nahme teilweise enorm. Bei der Nahrungsauswahl muss dem reduzierten Gesamt-kalorienbedarf im Alter Rechnung getragen werden, das heißt, es sollten besonders nährstoffdichte Speisen gegeben werden (Fleisch mit Sahnesoße, Nachtischzube-reitungen mit Sahne, etc.). Im Wesentlichen sollten die Ernährungsempfehlungen der DGE, wie sie auch für jüngere Menschen Gültigkeit haben, zum Einsatz kom-men. Restriktive Diäten, wie sie zum Beispiel bei Diabetes oder Fettstoffwechsel-störungen noch vor wenigen Jahren verordnet wurden, sind heute aus geriatrischer Sicht obsolet und sollten nicht mehr dauerhaft verordnet werden.

ParenteraleErnährungIn der Akutsituation, z. B. bei Koma, nach Schlaganfall oder nach prinzipiell rever-sibler Erkrankung wie Myokardinfarkt kann eine volle parenterale Ernährung auch im Alter nützlich sein. Längerfristig überwiegen jedoch meist die Nebenwirkungen und Komplikationen über den potentiellen Nutzen. Vor allem beim alten Patienten sollte möglichst rasch eine enterale Ernährung durchgeführt werden. Eine Ausnah-me ist nur die subkutane Gabe von Flüssigkeit bei Exsikkose bzw. Schluckstörun-gen: Diese kann auch längerfristig, z. B. im Pflegeheim durchgeführt werden und kann oft wiederholte Krankenhauseinweisungen verhindern.

EnteraleErnährung(PEG)Eine enterale Ernährung ist der parenteralen vorzuziehen. Deshalb ist bei Schluck-störungen, soporösem oder komatösem Bewusstseinszustand innerhalb weniger Tage abzuklären, ob und wie eine weitere enterale (›künstliche‹) Ernährung vorzu-nehmen ist.

Zuerst muss jedoch überprüft werden, ob der Betroffene dies auch möchte bzw. ob diesbezüglich eine schriftliche Willensäusserung vorliegt. Kann nicht klar erse-hen werden, ob z. B. die intermittierende künstliche Ernährung, also z. B. über eine transnasale Magensonde, gewünscht oder abgelehnt wird, sollte dies in einer ethischen Fallbesprechung mit den an der Behandlung Beteiligten (Ärzte, Pfleger,

3.3·SyndromMalnutrition

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Kapitel3·Malnutrition54

Therapeuten, Angehörige) besprochen werden. Nicht erst für die Entscheidung zur Anlage einer perkutanen enteralen Gastrostomie (PEG) sollte diese Frage erstmalig in den Raum gestellt werden.

! DieEntscheidungfürodergegeneinelängerfristigeenteraleErnährungmitPEG-SondesollteausethischerSichtimmergutüberdachtsein.

Vereinfacht kann man sagen: Falls eine akute Erkrankung vorliegt, die sich wieder bessern oder zurückbilden kann (z. B. Schluckstörung nach Hirnblutung) sollte die Entscheidung für eine PEG-Sonde rasch und eher positiv erfolgen. Mit liegender PEG-Sonde kann dann auch eine notwendige logopädische Therapie erfolgen, und in vielen Fällen kann die PEG dann nach Rückbildung der Schluckstörung auch wieder entfernt werden. Stellt sich die Prognose nach längerer adäquater Therapie schließlich doch als schlechter heraus, kann auf ein Beschicken der Sonde auch wieder verzichtet werden!

Liegt jedoch eine chronisch-progrediente Erkrankung mit zunehmender Schluckstörung vor (z. B. bei Alzheimer-Demenz) sollte die Entscheidung zur en-teralen Ernährung kritisch überdacht werden. Manche ältere Menschen mit Ernäh-rungsproblemen lehnen aktiv die Nahrungszufuhr ab. Eine ›Zwangsernährung‹ widerspricht hier dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten. Die Einbeziehung Angehöriger zur Entscheidungsfindung ist dabei sinnvoll und wichtig, dennoch muss man sich im Klaren sein, dass ohne Vorliegen einer Betreuung (›Vollmacht‹)

.Abb.3.6. VideofluoroskopischeDarstellungeinerSchluckstörungmitKontrastmittelaspiration(AusGutenbrunner2007)

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für den Bereich der Gesundheitsfürsorge kein Angehöriger das Recht hat, für den Betroffenen zu entscheiden. In unklaren Fällen muss daher das Vormundschafts-gericht eingeschaltet werden. 7 Kap.»Demenz«.

3.4 HäufigeKontextfaktoren

Die Risikofaktoren und häufigsten Ursachen fasst der Merksatz Mealsonwheels zusammen:.

MedikationsEmotionalproblemsAnorexiaLatelifeparanoiaSwallowingdisordersOralfactorsNomoneyWandering(dementia)Hyperthyroidismu. a.Entericproblems(malabsorption)EatingproblemsLowsalt,lowcholesteroldietSocialproblems

3.5 AntwortenundKommentarezudenFragen

? Frage1:WelcheFaktorenhabenIhrerMeinungnachzumEntstehenderMalnutritionbeiFrauS.beigetragen,undwelcheanderenFaktorenkönnenSiesichvorstellen,dieamEntsteheneinerMalnutritionimhöherenLebensalterAnteilhaben?

$ Zum Entstehen der Malnutrition bei Frau S. haben verschiedene Faktoren bei-getragen. Zum einen ist aufgrund des chronischen Schmerzsyndroms nach misslungener Knieoperation wahrscheinlich schon per se eine Einschränkung des Appetits aufgetreten, möglicherweise deutlich verstärkt durch die Auswir-kung von Schmerzmedikamenten, wie zum Beispiel von nicht-steroidaler An-tirheumatika oder Opioden, die eine appetithemmende Wirkung entfalten können. Auch der soziale Rückzug mit dem Wegfallen einer gemeinschaftlich eingenommenen Mahlzeit hat vermutlich zur nachlassenden Nahrungsauf-nahme beigetragen. Ist dann bei weiterer Malnutrition bereits die Kraft und

3.5·AntwortenundKommentarezudenFragen

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Kapitel3·Malnutrition56

somit auch die Mobilität reduziert, kommt es wie in einem Teufelskreis zu einer weiteren Einschränkung der Nahrungsaufnahme. Vermuten kann man auch, dass durch die bereits erfolgte Gewichtsabnahme das Gebiss vielleicht nicht mehr richtig passt und deshalb wiederum die Nahrungsaufnahme behindert wird. Möglicherweise könnte auch die Pneumonie auf eine Schluckstörung hinweisen, wie sie im höheren Lebensalter zum Beispiel bei Parkinson-Syn-drom, nach Schlaganfall oder bei Demenz häufig vorkommt und oft weder vom Betroffenen noch von den Pflegekräften richtig wahrgenommen wird.

Weitere mögliche funktionelle oder organische Ursachen sind weiter vorn im Kapitel beschrieben und lassen sich auch im Merksatz Mealsonwheels be-schreiben.

? Frage2:WiekönnenSieeineMalnutritionklinischfeststellen?$ Die einfachste Maßnahme ist es, den Patienten oder Bewohner regelmäßig zu

wiegen und dann in Relation zur Körpergröße den Body-Mass-Index zu be-stimmen.

Die beste Aussage gibt das Assessment-Instrument MNA. Weitere Möglich-keiten (eher für Studien) sind zum Beispiel die Messung der Hautfaltendicke am Oberarm, Wadenumfang, Armspanne durch Quadrat des Körpergewichts, Messung der Bioimpedanz (BIA) oder NMR-Bestimmung der Fettmasse.

? Frage3:WelcheLaborparameterkönnenSiebestimmen,umeineAussageüberdenErnährungszustandzuerhalten?

$ Albumin, Präalbumin, Transferrin, Hämoglobin, Cholesterin und die Lympho-zytenzahl geben Hinweise auf Protein- und Kalorienmangel. Von klinischer Relevanz ist vor allem die Bestimmung von Serumalbumin, welches durch seine lange Halbwertzeit (21 Tage) einen Aufschluss über den längerfristigen Ernährungszustand gibt. Durch Messung von Präalbumin oder Retinol-bin-dendem Globulin können auch kurzfristige Änderungen des Ernährungszu-stands festgestellt werden.

? Frage4:WiewürdenSieMalnutritionimAltertherapeutischangehen?$ Ernährungstherapeutische Maßnahmen im Alter sollten immer auf einer sorg-

fältigen Abklärung der verschiedenen Faktoren der Malnutrition basieren. Er-krankungen des Zahn- und Kieferapparates müssen saniert werden. Durch stärkeres Würzen der Speisen oder stärkeres Süßen kann dem reduzierten Ge-schmacksempfinden nachgekommen werden. Eine ansprechende Zuberei-tungsweise sowie die Einnahme in einem sozialen Rahmen mit Mitpatienten/Bewohnern oder gemeinsam mit therapeutischem oder pflegerischem Personal steigert die Nahrungsaufnahme. Bei der Nahrungsauswahl muss dem redu-6

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InKürze

zierten Gesamtkalorienbedarf im Alter Rechnung getragen werden, das heißt, es sollten besonders nährstoffdichte Speisen gegeben werden (Fleisch mit Sah-nesoße, Nachtischzubereitungen mit Sahne, etc.). Restriktive Diäten (z. B. bei Diabetes oder Fettstoffwechselstörungen) sind heute aus geriatrischer Sicht obsolet und sollten nicht mehr dauerhaft verordnet werden.

? Frage5:WiehäufigfindetsichMalnutritionbeiälterenMenschenungefähr?

$ Je nach Studienpopulation und untersuchten Parametern findet sich eine Mal-nutrition bei 16 bis weit über 50% der Älteren.

4 UnterMangelernährungverstehtmaneinUngleichgewichtzwischenNah-rungszufuhrundNahrungsbedarf,imAltertrittsiemeistalsUnterernährungauf.JenachuntersuchterPopulationfindetmanMangelernährungbeibiszurHälftederSenioren.

4 NebenorganischenundmedikamentösenUrsachenspielenfunktionelle,psychischeundsozialeFaktoreneinewichtigeRolle.

4 DerBMIreichtzurEinschätzungdesErnährungszustandsalleinnichtausundsolltedurchErnährungsassessment(z.B.denMNA)ergänztwerden.

4 TherapeutischsindnährstoffdichteErnährung,SupplementeundgeeigneteZubereitungsformen(z.B.passiertoderpüriert)geeignet.AuchdieAbklä-rungpsychischerundsozialerRahmenbedingungenistwichtigundkanninErnährungsinterventionenumgesetztwerden.

4 ParenteraleoderenteraleErnährung(z.B.PEG)solltenurbesonderenSitua-tionenvorbehaltenbleibenundbedarfeinerkritischenethischenAbwä-gung.

3.5·AntwortenundKommentarezudenFragen