B.a. Arbeit-Bachelor Citavi Stil

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Zu Gast im HimalayaTourismus und livelihoods in Kumaon (Uttarakhand, Indien)

Bachelorarbeit vorgelegt zur Erlangung des Grades Bachelor of Arts in Sdasienstudien im Sommersemester 2008 von Marlon Fronhofer Matrikelnummer: 2532538 Heidelberg, 22.08.08

Betreuer der Arbeit: Prof. Dr. Marcus Nsser Abteilung Geographie Sdasien-Institut der Universitt Heidelberg

InhaltsverzeichnisAbbildungsverzeichnis........................................................................................................................3 Tabellenverzeichnis.............................................................................................................................3 1 Einfhrung, Fragestellung und Methodik..........................................................................................4 1.1 Aufbau der Arbeit......................................................................................................................4 1.1.1 Tourismus in Indien...........................................................................................................4 1.1.2 Tourismus in Uttarakhand..................................................................................................5 1.1.3 Tourismus als nationale Prioritt"....................................................................................5 1.1.4 Die unangenehme Attraktivitt des Tourismus..............................................................7 1.2 Fokus und Fragestellung dieser Arbeit......................................................................................8 1.3 Methodik..................................................................................................................................10 2 Konzeptioneller Bezugsrahmen ......................................................................................................11 2.1 Entwicklungstheorien und Tourismus.....................................................................................11 2.1.1 Phase I: Modernisierung Euphorie und Optimismus....................................................12 2.1.2 Phase II: Dependenz - Kritik, Ernchterung und Ablehnung..........................................14 2.1.3 Phase III: Pragmatismus und konstruktive Kritik............................................................16 2.1.4 Phase IV: Alternative Entwicklung und Tourismus .......................................................18 2.1.5 Zusammenfassung: Fehlende Interaktion an der Schnittstelle von Tourismusforschung und Entwicklungstheorie...........................................................................................................20 2.2 Nachhaltige Entwicklung: Holistisches Konzept vs. Sektoransatz.........................................22 2.2.1 Nachhaltige Entwicklung als konzeptionelle Grundlage fr Tourismus.........................26 2.2.2 Der sustainable livelihoods-Ansatz .................................................................................28 3 Fallbeispiel: Auswirkungen der Tourismusinitiative auf die livelihoods-Strategien in Sarmoli und Jaiti.....................................................................................................................................................31 3.1 Grundlegende lokale Rahmenbedingungen und Entstehung der Tourismusinitiative.............32 3.2 Das Sarmoli-Jaiti Van Panchayat Community Based Nature Tourism Programme...............36 3.3 Auswirkungen der Tourismusinitiative auf die livelihoods-Strategien in Sarmoli und Jaiti...39 3.3.1 Kompatibilitt .................................................................................................................41 3.3.2 Strkung der Gemeinschaft..............................................................................................42 3.3.2.1 Demokratische Strukturen und Prozesse der Gemeinschaft knnen durch das Projekt gestrkt werden .......................................................................................................42 3.3.2.2 ... und ein dadurch starkes Van Panchayat ist besser in der Lage mit auen stehenden Akteuren auf verschiedenen Ebenen (lokal bis international) zu agieren...........43 3.3.3 Auswirkungen auf die handlungsermglichenden Schlsselressourcen .........................44 3.3.3.1 Naturkapital..............................................................................................................45 3.3.3.2 Human- und Sozialkapital........................................................................................45 3.3.3.3 Finanz- und Sachkapital...........................................................................................47 3.3.4 Nachteile und Schwchen des Projekts............................................................................48 4 Empfehlungen fr Tourismusinitiativen in Uttarakhand.................................................................49

Literaturverzeichnis...........................................................................................................................51 Anhang I: Ausgewhlte Interviewfragen und Diagramme................................................................59

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AbbildungsverzeichnisAbbildung 1: Internationale Touristenanknfte in Indien....................................................................6 Abbildung 2: Der sustainable livelihoods framework nach DFID.....................................................29 Abbildung 3: Tal des Gori Ganga im nrdlichen Kumaon................................................................33 Abbildung 4: Aufbau der Tourismusinitiative...................................................................................40

TabellenverzeichnisTabelle 1: Tourismus unter Phase I: Modernisierung........................................................................14 Tabelle 2: Tourismus unter Phase II: Dependenz - Kritik, Ernchterung und Ablehnung................16 Tabelle 3: Tourismus unter Phase III: Neoliberaler Pragmatismus....................................................19 Tabelle 4: Tourismus unter Phase IV: Alternative Entwicklung und Tourismus..............................22 Tabelle 5: Nachhaltige Entwicklung: Fundamentale Prinzipien und Ziele........................................28 Tabelle 6: Bewertung der Attraktion verschiedener Destinationen durch indische Touristen...........39

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1 Einfhrung, Fragestellung und MethodikAnhand dieser theoriegeleiteten Arbeit soll unter zu Hilfenahme einer empirischen Fallstudie auf Haushaltsebene ber ein gemeindebasiertes Tourismus-Projekt im indischen Himalaya gezeigt werden, wie Tourismus als berlebensstrategie in die Lebenssysteme der Haushalte integriert wird und welche Auswirkungen Tourismus auf die livelihoods der Gastgeber hat. Die Ergebnisse knnten angesichts der schnell wachsenden Tourismuswirtschaft in Uttarakhand als wertvolle Handlungsempfehlungen fr zuknftige Tourismusprojekte in peripheren Gebirgsregionen dienen. Dabei leistet diese Arbeit an der Schnittstelle der Geographie der Freizeit und des Tourismus und der Geographischen Entwicklungsforschung einen Beitrag zur Konzeptionalisierung von nachhaltigem Tourismus und sustainable livelihoods. Der sustainable livelihoods-Ansatz hilft dabei die theoretisch-konzeptionelle Lcke zwischen Entwicklungstheorie und Tourismusforschung zu schlieen, indem er eine genauere Analyse der vielfltigen Auswirkungen der livelihood-Strategie 'Tourismus' auf die Lebenssysteme der Gastfamilien ermglicht, die ber eine reine kologische und sozio-konomische Perspektive hinausgeht.

1.1 Aufbau der ArbeitIn Kapitel 1 wird zuerst einen berblick ber Tourismus in Indien und Uttarakhand vermittelt. Da Indien und Uttarakhand Tourismus vor allem als Entwicklungsinstrument sehen, stellt sich die Frage nach einer geeigneten Konzeption von Tourismus, da bisherige Modelle an der Schnittstelle von Tourismusforschung und Entwicklungstheorie nur unzureichende Konzepte bereitstellen. In Kapitel 2 verdeutliche ich diese konzeptionelle Schwachstelle anhand einer ausfhrlichen Beschreibung der Gestaltung von Tourismus unter verschiedenen entwicklungspolitischen Paradigmen von den 1960ern bis heute. Darauf aufbauend wird Tourismus als sektorspezifische Anwendung von 'nachhaltiger Entwicklung' konzeptionalisiert. Um den Bogen zwischen Theorie und Praxis zu spannen, wird mit dem sustainable livelihoods Ansatz fr Tourismus ein forschungspragmatisches Instrument vorgeschlagen, mit dem die Auswirkungen von Tourismus auf das Leben der Bereisten im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung verstanden werden knnen. Mit einem konkreten Fallbeispiel wird Vorhergehendes nun in Kapitel 3 veranschaulicht. Aus den Ergebnissen leite ich abschlieend in Kapitel 4 einige konkrete Handlungsvorschlge fr zuknftige Tourismusinitiativen in Uttarakhand ab.

1.1.1 Tourismus in IndienIn der letzten Dekade war die indische Tourismuswirtschaft von hoher Dynamik gekennzeichnet und Indiens Engagement in Tourismus hat dem Land internationale Anerkennung und zahlreiche renommierte Auszeichnungen eingebracht (Ministry of Tourism and Culture 2007). Derzeit ist mit 30,491,000 Menschen jeder 15te indischer Arbeitsplatz in der indischen Tourismuswirtschaft angesiedelt. Diese erwirtschaftet 6,1% des indischen BIP und stellt 6,7% aller Exporte. Der World Travel & Tourism Council (WTTC) prognostiziert der indischen Tourismuswirtschaft ein hohes 4

durchschnittliches Wachstum von jhrlich 7,6% bis 2018. Damit liegt Indien ber dem weltweiten Wachstum der Branche von 4% (Tourism Satellite Accounting 2008)1. Mit Steuererleichterungen, Investitionen, umfangreichen Frderprogrammen, diversen Studien und Masterplnen versucht die indische Regierung den Sektor weiter zu untersttzen (All India Management Association, The Boston Consulting Group 2003; Pannell Kerr Forster Consultants Pvt Ltd Oktober 2003; Ministry of Tourism and Culture 2007). Auch einen weiteren Ausbau des wichtigen Binnentourismus strebt Indien an (Ministry of Tourism and Culture 2003). Zudem rcken fr den 11ten Fnfjahresplan die Himalayastaaten Sikkim, Jammu & Kaschmir, Himachal Pradesh und Uttarakhand in den Fokus der Tourismusfrderung. Fr diese Lnder sollen dabei besondere Anreize zur Entfaltung ihrer Tourismuswirtschaft geschaffen werden (Government of India 2007).

1.1.2 Tourismus in UttarakhandFr Uttarakhand kommen die gnstigen Rahmenbedingungen unionsweiter Tourismuspolitik sehr gelegen. Der Staat im zentralen Himalaya, eine von fnf UNESCOs World Heritage Biodiversity Sites in Indien, hatte 2003 einen Anteil von 3,5% inlndischer Touristen und nur 0,8% auslndischer Touristen am gesamten indischen Tourismusmarkt (Ministry of Tourism 2003). Dies liegt einer Studie zu Folge auch an der fehlenden Wahrnehmung gegenber Uttarakhand als besondere Tourismusdestination im Kontrast zu den grten Konkurrenten Nepal und Himachal Pradesh. Besonders auf internationaler Ebene wird Uttarakhand im Vergleich zu Nepal nicht als klar identifizierbare Gebirgsdestination wahrgenommen (Pannell Kerr Forster Consultants Pvt Ltd Oktober 2003). Dennoch ist Tourismus fr die Wirtschaft Uttarakhands von herausragender Bedeutung. 2005 wuchs der inlndische Tourismus um 18%, der internationale um 24% (Ministry of Commerce and Industry et al.). Die Bedeutung des Tourismus fr Uttarakhand schlgt sich in einer massiven staatlichen Frderung nieder, deren Programm es zum Ziel hat, Uttarakhand auf dem internationalen Tourismusmarkt als eine der fhrenden Destinationen prsent zu machen und zum Synonym fr Tourismus zu werden (Ministry of Commerce and Industry et al.). Dabei sollen die vielfltigen touristischen Ressourcen mit Hilfe des privaten Sektors und der lokalen Bevlkerung auf kologisch sensible Weise genutzt werden. Tourismus soll so zur treibenden Kraft fr die Generierung von Arbeitspltzen und Devisen werden und als Schlsselindustrie die wirtschaftliche und soziale Entwicklung Uttarakhands voranbringen (Department of Tourism 2007).

1.1.3 Tourismus als nationale Prioritt"Grnde fr die gute Leistung und wachsende wirtschaftliche Bedeutung der indischen Tourismuswirtschaft sind vor allem in vernderten politischen Rahmenbedingungen zu finden. Mit einer Umgestaltung der Verantwortungsbereiche mehrerer Ministerien und der Neuausrichtung und1 Trotz des seit 2000 auf internationaler Ebene eingefhrten und allgemein anerkannten Tourism Satellite Account, einem einheitlichen Verfahren zum Erheben tourismusrelevanter Daten, ist es nicht mglich genaue Daten ber Ausma und konomischen Einflu von Tourismus, sowohl international und im Besonderen fr Uttarakhand, zu erheben Theobald 2005b, S. 8; Pannell Kerr Forster Consultants Pvt Ltd Oktober 2003; Singh 2001; Parvez & Rasmussen 2004.

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Strkung des Ministry of Tourism and Culture markieren der indischen Tourismuspolitik. Davor berschnitten sich die Kompetenzbereiche diverser Ministerien in Bezug auf Tourismus, es gab Konflikte und Unstimmigkeiten zwischen mehreren Ministerien und es konnte keine einheitliche Tourismuspolitik formuliert werden (Singh 2001, S. 143; Hannam 2004). Dies nderte sich mit den 10ten Fnfjahresplan (2002-2007) der indischen Regierung, indem der Tourismussektor schlielich als wichtiges Instrumentarium der nationalen Entwicklungspolitik und als nationale Prioritt identifiziert (Government of India 2002) wurde, so dass 2002 endlich eine einheitliche Entwicklungsstrategie fr Tourismus formuliert werden konnte. In der National Tourism Policy 2002 werden dabei anspruchsvolle Ziele formuliert:

die Jahre 2000-2002 den Wendepunkt in

Abbildung 1: Internationale Touristenanknfte in Indien Quelle : (Tourism Satellite Accounting 2008)

The Ministry of Tourism had prepared a draft National Tourism Development Policy with the objective of positioning tourism as a major engine of economic growth and to harness its direct and multiplier effects for employment and poverty eradication in an environmentally sustainable manner. [...]. Sustainability should serve as a guiding star for the new Policy. [...]. It [tourism] must help in eliminating poverty, in ending unemployment, in creating new skills, in enhancing the status of woman, in preserving cultural heritage, in encouraging tribal and local crafts and in improving overall environment and facilitating growth of a more just and social order (Department of Tourism 2002). Es ist anzunehmen, dass in den kommenden Jahren viele neue Tourismusinitiativen in peripheren Gebieten Uttarakhands entstehen werden. Dafr sprechen mehrere Grnde: Im Kontext gnstiger tourismuspolitischer Rahmenbedingungen werden vermehrt attraktive Anreize fr ein Engagement im Tourismus entstehen. Der weltweite Tourismus ist durch stabiles Wachstum gekennzeichnet. Seit 1950 betrug das weltweite Wachstum der internationalen Touristenanknfte im 5 Jahres-Mittel nie weniger als 2,9% (1980-85), Phasenweise waren sogar Wachstumsraten bis 10,6% (1950-1960) zu verzeichnen (UNWTO). Dabei hat sich der Tourismus als sehr krisenrobust erwiesen (UNWTO Januar 2008). Die weltweite Tourismuswirtschaft wird bis 2018 ein wahrscheinliches Wachstum von 4,0%, Sdasien von 7,0% und Indien von 7,6% aufweisen (Tourism Satellite Accounting 2008). Tourismus im Gebirge macht ca. 15-20% des weltweiten Tourismus aus (Mountain Agenda 1999). Angesichts hoher Wachstumsraten in den vergangenen Jahren und der guten Prognosen 6

fr den Indientourismus im Allgemeinen drfte auch Uttarakhand in den kommenden Jahren ein stabiles Wachstum im Fremdenverkehr aufweisen knnen. Tourismus weist eine ausgesprochene Tendenz zur Peripherie (Vorlaufer 1996; Brown et al. 2000; Hannam 2008; Sharpley 2002b; Nepal 2005) auf und kann in strukturschwachen, peripheren Gebieten bei dem Abbau extremer und wirtschafts- und sozialrumlicher Disparitten helfen, und so zu einen Grad an Wohlstand beitragen, wie er niemals von anderen Aktivitten zu erhoffen wre (Ritter 2007, S. 95). Bereits in Uttarakhand touristisch etablierte Destinationen knnen Tourismus in umliegende Regionen tragen und zustzliche wirtschaftliche Wachstumsimpulse geben. Hinsichtlich dieser Grnde ist anzunehmen, dass Tourismus in den kommenden Jahren auch verstrkt in die peripheren Regionen Uttarakhands vordringen wird. Die genauen Motivationen fr die Menschen in Uttarakhand sich in Tourismus zu engagieren werden dabei von Fall zu Fall unterschiedlich sein. Die Fallstudie im Ergebnisteil dieser Arbeit ber eine gemeindebasierte Tourismusinitiative der beiden Drfer Sarmoli und Jaiti sei als Beispiel aufgefhrt. Zusammenfassend lsst sich feststellen, dass von der indischen Bundesregierung, dem Bundesstaat Uttarakhand und auch auf lokaler Ebene Tourismus als Entwicklungsstrategie erkannt wurde, und ein Engagement im Tourismus angestrebt wird.

1.1.4 Die unangenehme Attraktivitt des TourismusDie Tourismuspolitik Indiens verfolgt ehrgeizige Ziele und auch auf lokaler Ebene werden von einem Engagement im Tourismus viele wichtige Vorteile erhofft. Zu Recht, denn Fallstudien und Erfahrungen aus der Entwicklungszusammenarbeit besttigen, dass Tourismus als sektorbergreifende Aktivitt direkt und indirekt zur Errichtung und Erhaltung von Naturschutzgebieten, zum Natur- und Ressourcenschutz, zum Wohlstand und zu verbesserten Lebensbedingungen lokaler Gemeinden, zur Strkung strukturschwacher, peripherer Gebiete, zur sozio-konomischen Revitalisierung zerfallender Gemeinden, zur Frderung der Privatwirtschaft, zur Diversifizierung von Einkommensmglichkeiten fr lndliche Gemeinden und zum Erhalt oder Reaktivierung kulturellen Erbes beisteuern kann. Zudem bringt internationaler Tourismus wertvolle Devisen und trgt damit zum Ausgleich der Zahlungsbilanz eines Landes bei (Gale 2006, S. 113,114; Steck et al. 1999, S. 7). Aber in seiner Ambivalenz liegt die unangenehme Attraktivitt des Tourismus (Steck et al. 1999), da er neben seinen positiven Potential auch eine zerstrerische Kraft darstellt und so Individuum, Gemeinschaft, Umwelt und die Wirtschaft massiv schdigen kann (Gale 2006). Denn eine Bettigung im Tourismus birgt die Risiken marktwirtschaftlicher Mechanismen, in denen Konkurrenzfhigkeit und betriebswirtschaftliche Rentabilitt die zentralen Ziele und gleichzeitig die Voraussetzungen fr ihr Funktionieren darstellen (Steck et al. 1999). Dabei treibt Tourismus als Leitkonomie des 21. Jahrhunderts durch sein enormes volkswirtschaftliches Ausma Prozesse 7

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der technisch-konomischen sowie der kulturellen Globalisierung voran (Hopfinger 2007b). Durch seine Tendenz zur Peripherie (Vorlaufer 1996, S. 172) werden diese in bis dato periphere, lndliche Gebiete mit vorwiegend traditionell lebender Bevlkerung wie Sarmoli-Jaiti getragen (Sharpley 2002b). Vielfltige negative Auswirkungen auf die Menschen, Kultur, Umwelt, regionale und nationale Wirtschaft sind umfangreich dokumentiert worden (Ashley 2000; Batta 2006; Blackstock 20050101; Becker et al. 2007; Cooper & Hall 2008; Gale 2006; Gssling 2002/4; Kiss 2004/5; Liu 2003; Palm 2000; Pamela Godde 1999; Parvez & Rasmussen 2004; Sharpley 2002b; Steck et al. 1999; Strasdas et al. 2007; Telfer 2002; Vorlaufer 1996).

1.2 Fokus und Fragestellung dieser ArbeitAnliegen dieser Arbeit ist es, mit dem sustainable livelihoods-Ansatz (SL-Ansatz) ein geeignetes, forschungspragmatisches Konzept vorzuschlagen, um die Auswirkungen, Wirkungszusammenhnge und Mehrfachbelastungen oben skizzierter Prozesse auf die handlungsermglichenden Schlsselressourcen und die livelihood-Strategien der gebirgsbuerlichen Gesellschaften von Sarmoli und Jaiti zu verstehen. So knnen Handlungsempfehlungen fr zuknftige Tourismusinitiativen in Uttarakhand abgeleitet, livelihood-Strategien durch Tourismus im jeweiligen Kontext sinnvoll ergnzt und potentiell negative Auswirkungen des Fremdenverkehrs minimiert werden. Dies war bisher auf Grund fehlender Konzepte in der Tourismusforschung nur beschrnkt mglich. Denn um problemlsungsorientierte und operationalisierbare Handlungsanweisungen und Empfehlungen abzuleiten, bedarf es an integrierten Anstzen, die sowohl der Komplexitt von Mensch-Umweltbeziehungen im Kontext hoher Vulnerabilitt und Risikominimierung im Gebirge (Nsser 2003; Parvez & Rasmussen 2004) als auch den vielschichtigen Einflssen von Tourismus auf die Lebensgrundlage der Bereisten gerecht werden (Ashley 2000; Gale 2006; Tao, Teresa C. H. & Wall 2008). Ohne ein tieferes Verstndnis darber, wie Tourismus auf diesen Kontext einwirkt, ist Tourismus als Strategie zur Lebenssicherung nicht zu empfehlen. Seit Anfang der 1990er Jahre wird versucht unter dem Paradigma 'nachhaltige Entwicklung' mit dem davon abgeleiteten Konzept des 'nachhaltigen Tourismus' diesen vielschichtigen Verflechtungen von Mensch, Umwelt und Tourismus gerecht zu werden. Dabei wird versucht, den konventionellen Tourismus alternativ und nachhaltig zu gestalten. Fokus dieser Mhen ist aber hauptschlich die negativen Effekte auf die Umwelt zu verringern und den beteiligten Menschen auf breiter Basis vielfltige Vorteile zu schaffen, damit der Tourismus seine eigenes 'Grundkapital' nicht verliert und ewig (sustainable, nachhaltig) weiter betrieben werden kann (Sharpley 2002a; Wall 2007). Ziel sollte jedoch sein, mit einer 'mglichen livelihoodStrategie Tourismus' nachhaltige Entwicklung zu Gunsten aller Beteiligten zu schaffen. Jedoch fehlt es gerade an der Schnittstelle Tourismusforschung und Entwicklungstheorie an der ntigen Interaktion (Telfer 2002, S. 51; Gale 2006), so dass es an einer praktischen Umsetzung der viel strapazierten und fr ihre Unschrfe kritisierten Konzepte 'Entwicklung', 'Nachhaltigkeit', 8

'nachhaltige Entwicklung' und 'nachhaltigen Tourismus' mangelt (Tao, Teresa C. H. & Wall 2008; Wall 2007; Hopfinger 2007b). Entwicklung, Nachhaltigkeit und nachhaltige Entwicklung sind viel strapazierte und umstrittene Begriffe. In der Tourismusforschung bilden diese Termini die Ansatzpunkte fr diverse alternative Tourismusformen wie kotourismus, educational tourism, agrotourism, nature-based tourism, gemeindebasierter Tourismus (community based tourism) und dem allem bergeordnet fr: Nachhaltigen Tourismus. Obwohl sich die Tourismusforschung dieser Konzepte bedient, gibt es kaum eine Interaktion zwischen Tourismusforschung und Entwicklungstheorie (Telfer 2002; Gale 2006; Tao, Teresa C. H. & Wall 2008; Wall 2007). Darber hinaus ist die Tourismusforschung nicht in der Lage ein berzeugendes, sozialwissenschaftlich fundiertes und theoriegesttigtes sowie in sich widerspruchsfreies Konzept von nachhaltigen Tourismus vorzulegen (Hopfinger 2007b, S. 722,723). Fr zwei Dimensionen des Tourismus, Tourismus als wirtschaftliche Aktivitt und Tourismus als Entwicklungsinstrument, stellt sich der Mangel an operationalisierbaren Konzepten fr nachhaltigen Tourismus als besonders nachteilig dar. Denn als Industrie, deren Produkt die natrliche und menschliche Umwelt ist, sollte der Tourismus an deren Integritt und Fortbestand ein hohes Interesse zeigen (Murphy & Price 2005). Die zweite Dimension, Tourismus als Entwicklungsinstrument, steht im Mittelpunkt dieser Arbeit und betrifft die Tatsache, dass eine Bettigung im Tourismus vor allem der Wohlfahrt der lokalen Bevlkerung der Zielgebiete und nicht der Tourismuswirtschaft per se dienen soll. Die Rechtfertigung fr den Aufbau von Tourismus liegt in seinen Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung zugunsten der gastgebenden Gesellschaft (Sharpley 2002b). Der Begriff livelihood dagegen operationalisiert im sustainable livelihoods-Ansatz ist konkreter als 'nachhaltige Entwicklung' und dadurch leichter zu diskutieren, beobachten, beschreiben und quantifizieren (Tao, Teresa C. H. & Wall 2008). Die Leitfragen dieser Arbeit lassen sich daher in zwei Kategorien gliedern: 1. Welche Auswirkungen bringt Tourismus als livelihood-Strategie fr die teilnehmenden Familien mit sich? Was brachte 22 Haushalte der beiden Gemeinden Sarmoli und Jaiti dazu Tourismus als zustzliche livelihood-Strategie zu whlen? Wie wirkt sich diese Strategienderung auf die handlungsermglichenden Schlsselressourcen der Gastfamilien aus? Kann die Tourismusinitiative den hohen Erwartungen nachhaltigen Schutz der natrlichen Ressourcenbasis bei gleichzeitiger Bereitstellung zustzlicher Nutzungsmglichkeiten fr mglichst viele Gemeindemitglieder gerecht werden und als Beispielmodell fr eine gelungene Regionalentwicklung in peripheren Rumen mit gebirgsbuerlichen Gesellschaften durch nachhaltigen Tourismus wertvolle Handlungsempfehlungen fr umliegende Regionen bereitstellen? 9

2. Inwiefern eignet sich ein sustainable livelihoods-Ansatz um diese Fragen zu beantworten? Wie lsst sich durch den sustainable livelihoods-Ansatz ein unklares Konzept wie 'nachhaltige Entwicklung' fr das ebenso vage Konzept 'nachhaltigen Tourismus' aufgreifen um fr Forschung und Praxis einen operationalisierbaren Ansatz zu erstellen?

1.3 MethodikIm Rahmen dieser B.A.-Arbeit wurde keine vollstndige SL-Analyse vorgenommen. Vielmehr sollen einige Aspekte des SL-Ansatzes fr Tourismus an einem konkreten Fallbeispiel verdeutlicht werden um die Kerngedanken dieser, fr die Tourismusforschung unbekannten Herangehensweise zu veranschaulichen. Die empirischen Daten dieser Arbeit beruhen dabei auf einem dreimonatigen Feldaufenthalt bei einer gemeindebasierten Tourismusinitiative, dem Sarmoli-Jaiti Van Panchayat Community Based Nature Tourism Programme in Uttarakhand (vgl. S. 36, Exkurs: 3: Dezentrale Ressourcennutzung: Das Van Panchayat). Der Forschungsschwerpunkt lag whrend des Aufenthaltes auf den handlungsermglichenden Schlsselressourcen der gastgebenden Familien. Der Kontext von Vulnerabilitt sowie eine Analyse der transformierenden Strukturen und Prozesse wurde vernachlssigt. Der sustainable livelihoods framework von DFID2 (vgl. S. 29, Abbildung 2) diente als Grundlage. Primrerhebung: Von Oktober bis Dezember 2007 beherbergten mich acht unterschiedliche Gastfamilien dieses Projekts. Bei jeder der acht Familien verbrachte ich mindestens eine Woche und konnte so durch teilnehmende Beobachtung Einblicke in die Funktionsweise der Haushalte gewinnen. Hierfr dienten viele Gesprche auf Hindi mit Mnnern und Frauen des Haushaltes. Zustzlich fhrte ich bei fnf Frauen und sechs Mnnern von insgesamt zehn Haushalten ausfhrliche standardisierte Interviews durch. Diese Personen waren auch die reprsentativen Vorstnde der Haushalte. Ehepaare wurden wenn mglich getrennt befragt. Die Interviews wurden ohne Dolmetscher auf Hindi durchgefhrt. Jedoch wurde vorher eine englische Version des Fragebogens mit zwei ansssigen Forstwissenschaftlern durchgesprochen, um Missverstndnisse in der bersetzung zu verbessern und um das Vokabular dem lokalen Dialekt und Kontext anzupassen. Ashleys Arbeit The impact of tourism on rural livelihoods-Namibias Experience von 2000 diente als wertvolle Informationsquelle. Anderen wichtige Arbeiten bezglich Tourismus und sustainable livelihoods von Gale, Tao und Wall standen mir zum Zeitpunkt der Feldforschung noch nicht zur Verfgung. Mehrere Experteninterviews wurden mit Malika Virdi, der Initiatorin des Projekts und Sarpanch des Sarmoli-Jaiti Van Panchayats durchgefhrt. Da ein Groteil meiner Aufenthaltsdauer (November, Dezember) auerhalb der Tourismussaison lag, waren leider keine Interviews mit Touristen mglich.2 Department for International Development

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Sekundrerhebungen Da der sustainable livelihoods -Ansatz vor allem im anglo-amerikanischen Sprachraum verbreitet ist, wurde hauptschlich englischsprachige Literatur recherchiert. Statistische Daten wurden dem Census of India 2001 sowie diversen indischen Ministerien entnommen. Die UNWTO und WTTC stellen vor allem tourismusspezifische, statistische Daten auf nationaler Ebene zur Verfgung. Desweiteren wurden mehrere offizielle Antrge, Protokolle und andere graue Literatur ausgewertet, die in unmittelbaren Zusammenhang mit dem Tourismusprojekt stehen und/oder von diesem selbst hervorgebracht wurden.

2 Konzeptioneller BezugsrahmenIn den folgenden Abstzen werde ich nachzeichnen wie die weltweite Entfaltung des Fremdenverkehrs von dem jeweiligen entwicklungstheoretischen Paradigma beeinflusst wurde und welchen Erkenntnisinteressen dabei die deutsche Tourismusgeographie in den entsprechenden Phasen nachging. So wird verstndlich, dass der sustainable livelihoods-Ansatz eine plausible, forschungspragmatische Realisierung fr den seit Ende der 1980er Jahre aufgespannten Theoriebogen des nachhaltigen Tourismus darstellt. Anschlieend werde ich die arbeitsrelevanten Begriffe 'nachhaltige Entwicklung' und 'nachhaltiger Tourismus' konkretisieren und den SL-Ansatz verdeutlichen.

2.1 Entwicklungtheorien und TourismusTourismus wird schon seit den 1960er Jahren auf internationaler- bis hin zur Haushaltsebene als Entwicklungsstrategie diskutiert und mit unterschiedlichen Engagement und Erfolg angewendet. Die Weltbank und Entwicklungsagenturen wie die Deutsche Gesellschaft fr Technische Zusammenarbeit (GTZ) und nahezu alle Regierungen bejahen heute Tourismus als Entwicklungsstrategie und versuchen sein vielfltiges Potential zu nutzen (Gale 2006; Kiss 2004/5; Palm 2000; Pamela Godde 1999; Steck et al. 1999; Theobald 2005a; Sharpley et al. 2002; Strasdas 2001; Hall et al. 2005). Aber in der wissenschaftlichen und entwicklungspolitischen Diskussion sind die Auswirkungen von Tourismus nach wie vor umstritten, da Entwicklung infolge unterschiedlicher politischer, ideologischer und wissenschaftstheoretischer Positionen je nach Interessenlage diverser Akteure unterschiedlich aufgefasst und nicht wertfrei beurteilt werden kann. Zudem unterscheiden sich die Zielgebiete hinsichtlich ihres touristischen Potentials und ihrer Ressourcenausstattung fr alternative Produktionen und verfolgen somit unterschiedliche Entwicklungsziele und -prioritten (Vorlaufer 1996). Es stellt sich vielmehr die zentrale ethische Frage wie die lokalen Akteure der Zielregion Entwicklung fr sich definieren, wie Tourismus auf deren livelihoods3 einwirkt und inwieweit die gastgebende Gemeinde von der Bereitstellung der physischen und kulturellen Ressourcen fr das touristische Produkt nachhaltig profitieren kann (Telfer 2002, S. 60). Die Antwort fllt je nach aktuellen entwicklungstheoretischen Paradigma3 Das Konzept wird unter Kapitel 2.2.2 erklrt.

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anders aus. Folgende Abstze orientieren sich an Vorlaufer (1996, S. 3ff), welcher das Verhltnis von Tourismus und Entwicklung im Wandel der Zeit untersuchte und in drei Phasen aufgliederte. Dem fge ich an Anlehnung an Telfer, welcher in umfangreicher Form The Evolution of Tourism and Development Theory (Telfer 2002) analysierte, eine vierte Phase hinzu. Zustzlich arbeite ich zu den entsprechenden Phasen das jeweilige Erkenntnisinteresse der deutschen geographischen Tourismusforschung heraus. Es zeigt sich, dass die These mehrerer anglo-amerikanischer Forscher auch fr die deutsche Tourismusforschung zutrifft, nach der die wichtige Schnittstelle zwischen Tourismusforschung und Entwicklungstheorie durch mangelnde Interaktion und Zusammenarbeit gekennzeichnet ist (Gale 2006; Sharpley 2002b; Telfer 2002; Wall 2007). Die Tourismusforschung stellt zwar Instrumente zum Aufbau, zur Entfaltung und zur Analyse des Tourismus zur Verfgung, aber diese sollten hauptschlich ein reibungsloses Wachstum, sowie den ungehinderten Fortbestand der Tourismusindustrie gewhrleisten.

2.1.1 Phase I: Modernisierung Euphorie und OptimismusTourismus entwickelte sich seit den 1960er Jahren hauptschlich in der Manier des vorherrschenden entwicklungstheoretischen Paradigma (Telfer 2002). In den 1960er Jahren profitierte der Tourismus von einem optimistischen bis euphorischen (Vorlaufer 1996; Aderhold 2006) Glauben an sein makrokonomisches Potential. Modernisierungstheoretiker propagierten Entwicklung durch wirtschaftliches Wachstum. Tourismus sollte Devisen, Arbeitspltze und vielgestaltige Multiplikatoreffekte schaffen. Dadurch wurde erhofft, dass vor allem Entwicklungslnder schnell zum modernen Westen aufschlieen knnen. Das BIP eines Landes wurde als Mastab seiner Entwicklung aufgefasst und neben der Modernisierung der Wirtschaft sollte auch die gesellschaftliche Entwicklung, orientiert an westlichen Werten, vorangetrieben werden. Tourismus als Instrument lndlicher Regionalentwicklung sollte sich dafr wegen seines Demonstrationseffekts besonders eignen (Telfer 2002). Groe enklavenartige Tourismusprojekte wurden unter grtenteils westlichem Management top down geplant. Der Fokus dieser schnellen ressourcenintensiven Entwicklung lag auf hohen wirtschaftlichen Gewinnen, welche durch den trickle down-Effekt breiten Bevlkerungsschichten zugute kommen sollten. Durch den hohen Kapitalbedarf waren diese Projekte meistens von auslndischen Geldgebern abhngig, weshalb das Management auch unter auslndischer Kontrolle stand. Die Beteiligung der lokalen Bevlkerung an Gestaltung und Management war gering bis kaum vorhanden. Die hauptschlich auf wirtschaftliche Effizienz ausgerichteten Projekte kommodifizierten die Kultur der Gastgeber und vernachlssigten den Ressourcen- und Umweltschutz. Durch den hohen Anteil und Einfluss auslndischer Investoren war die Sickerrate (das Zurckflieen von Deviseneinnahmen aus Tourismus ins Ausland) betrchtlich. (Telfer 2002; Vorlaufer 1996). Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit (EZ) engagierte sich zu dieser Zeit 12

hauptschlich im Infrastrukturausbau und Marketingaktivitten fr Tourismus. Die Einschtzungen gegenber Tourismus waren berwiegend positiv (Palm 2000; Strasdas et al. 2007; Job & Weizenegger 2007). Tabelle 1: Tourismus unter Phase I: Modernisierung EntwicklungsaspekteFokus Mastab der Entwicklung Geschwindigkeit der Entwicklung Wirtschaftliche Verteilung Eigentmer Planung Lokale Partizipation Management Herkunft Beteiligung der Regierung Kapitalaufwand

Tourismus unter Phase I: Modernisierung EigenschaftenWirtschaftlich Groprojekte Schnell trickle down Ausland top down Begrenzt Ausland Hoch bis niedrig Hoch

PositivHohe Profite Hohe Profite Hohe Profite spread effekt Internationales Know-how Internationales Know-how Internationales Know-how Internationales Know-how Subventionen Multiplikatoreffekte

NegativUmweltbelastung lack of community fit Gemeinde hat keine Kontrolle Hauptschlich Eliten profitieren Kapitalflucht Kein lokaler Input Steigende Verdrossenheit/Abneigung Steigende Verdrossenheit/Abneigung Niedriger Gemeinde Input/Verantwortung lack of community fit

(B)Verhltnis zu lokaler Gemeinde und UmweltRessourcenverbrauch Umweltschutz Integration des Hinterlands Verknpfung mit anderen Sektoren Entwicklung und Strkung von Institutionen Gemeinde Vertrglichkeit Hoch Niedrig Niedrig Niedrig Niedrig Niedrig Multiplikatoreffekte Minimierte Kosten Stabiler Warenstrom aus dem Ausland -Kultur als Objekt/Wert Verlass auf auslndische Experten Schutz vor berfremdung Umweltschden Umwelschden Hohe Sickerrate Niedrige Multiplikatoreffekte Kulturelle Erosion Geringe Verflechtung Verdrossenheit

Verhltnis zur Kultur der Gastgeber Kommodifizierung

Quelle: Nach (Telfer 2002). bersetzt aus dem Englischen und verndert von Marlon Fronhofer

Die Fremdenverkehrsgeographie: nomologische Raumwissenschaft Die deutsche Fremdenverkehrsgeographie fasste sich zu dieser Zeit als nomologische Raumwissenschaft auf, die mit Hilfe strukturrumlicher und standorttheoretischer Anstze Regelhaftigkeiten in der rumlichen Verteilung der touristischen Standorte zu ermitteln suchte. Auf der Suche nach allgemein gltigen Gesetzmigkeiten bzw. Regelhaftigkeiten wurden vorwiegend fremdenverkehrsgeographische Fallstudien angefertigt, deren Interesse hauptschlich statistischen Fremdenverkehrsdaten wie Aufenthaltsdauer, Fremdenverkehrsarten, naturrumliche Ausstattung fr die Freizeitnutzung oder die Analyse der Herkunftslnder galt. Darber hinausgehende theoretische Errterungen fehlten aber weitgehend (Brassel & Kollmair 1999; Hopfinger 2007b;

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Steinecke 2006). Erste Forderungen nach einer Einbeziehung der Wechselwirkung zwischen Mensch und Erdoberflche werden laut (Brassel & Kollmair 1999).

2.1.2 Phase II: Dependenz - Kritik, Ernchterung und AblehnungIn den 70er Jahren wurden die negativen Auswirkungen dieser intensiven Entwicklung sichtbar. Eine Phase der Ernchterung setzte ein (Aderhold 2006). Aufgrund des hohen Anteils auslndischen Kapitals und der damit verbundenen hohen Sickerrate ins Ausland wurden die wirtschaftlichen Erwartungen an Tourismus nicht erfllt. Dependenztheoretiker entwickelten Zentrum-Peripherie-Modelle und stellten heraus, dass die Zielregionen (oder auch pleasure periphery) in Form hoher Umweltbelastungen, wirtschaftlicher und struktureller Abhngigkeit von den geldgebenden Industrienationen, hoher Verschuldung und den Verlust kultureller Integritt durch Massentourismus die Kosten zu tragen hatten, whrend die Gewinne hauptschlich an dominierende, auslndische Unternehmen abflossen. Tourismus wird in diesen Modellen auch als Plantagenwirtschaft dargestellt, deren erwirtschafteter Reichtum von den Kolonien zum Mutterland abfliet (Telfer 2002). Statt lndlicher Regionalentwicklung durch Tourismus verschrften sich hingegen disparitre Raumentwicklungen. Auch bei den Bereisten stellt sich zunehmende Skepsis ein. Mit dem Theorem des ungleichen Tausches werden schlielich die steigende Abhngigkeit und Unterentwicklung in den Zielregionen begrndet. Im Rahmen der als Reaktion geforderten Dissoziation versuchten die Regierungen der betroffenen Lnder durch top down-Tourismusstrategien die Tourismusindustrie unter nationale Kontrolle zu bringen. Diese protektionistischen Strategien fhrten zu einer berregulierung der Tourismuswirtschaft und kamen hauptschlich nationalen und regionalen Eliten zugute (Telfer 2002; Gale 2006; Vorlaufer 1996). Das Engagement der deutschen EZ im Tourismus verringert sich in den 1970er Jahren betrchtlich und wird erst gegen Ende der 1990er Jahre wieder aufgenommen (Job & Weizenegger 2007; Strasdas et al. 2007). Die Geographie des Freizeitverhaltens: sozialwissenschaftliche Ausrichtung, vom Raum zum Menschen, sich erholen vs. kritisches Hinterfragen Aus einer Unzufriedenheit an den rein raumwissenschaftlich ausgerichteten Erklrungsanstzen der 1960er Jahre wurde die Fremdenverkehrsgeographie, in Anlehnung an die Neukonzeption der Sozialgeographie unter dem Einfluss der Mnchner Schule, einen grundlegenden Wandel hin zur Geographie des Freizeitverhaltens vollzogen. Kontroverse Diskussionen entstehen, inwieweit die Disziplin als theorieorientierte und handlungszentrierte Sozialwissenschaft betrieben wird und ob sozialwissenschaftliche Erklrungen ebenso streng nomologisch wie naturwissenschaftliche Anstze zu sein haben (Hopfinger 2007a). Zum ersten Mal wird der Mensch systematisch als

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Tabelle 2: Tourismus unter Phase II: Dependenz - Kritik, Ernchterung und Ablehnung Entwicklungsaspekte Tourismus unter Phase II: Dependenz - Kritik, Ernchterung und Ablehnung EigenschaftenFokus Mastab der Entwicklung Geschwindigkeit der Entwicklung Wirtschaftliche Verteilung Eigentmer Planung Lokale Partizipation Management Herkunft Beteiligung der Regierung Kapitalaufwand Wirtschaftlich Gro/klein Schnell Lokale Besitzer Lokale Besitzer top down Hoch Inlndisch Hoch Hoch/niedrig

PositivHohe binnenlndische Profite mixed profits Hohe binnenlndische Profite

NegativUmweltbelastung may lack community fit may lack community fit

Vermehrte Multiplikatoreffekte Hauptschlich Eliten profitieren Vermehrte lokale Kontrolle ffentliche Kontrolle Vermehrte lokale Kontrolle Lokales Wissen Protektionismus Kann Multiplikatoreffekte vermehren Mangelnde Expertise in Tourismus berregulierung Mangelnde Expertise in Tourismus Mangelnde Expertise in Tourismus berregulierung lack of community fit

(B)Verhltnis zu lokaler Gemeinde und UmweltRessourcenverbrauch Umweltschutz Integration des Hinterlands Verknpfung mit anderen Sektoren Entwicklung und Strkung von Institutionen Gemeinde Vertrglichkeit Hoch/niedrig Gemischt Hoch Hoch Hoch Hoch Kann Multiplikatoreffekte vermehren Geringe Kosten Lokale Ressourcen werden benutzt Kulturelle Integritt Strkere Institutionen Akzeptanz seitens der Einheimischen Umweltschden Umweltschden Unsichere Versorgung

Vermehrte Multiplikatoreffekte Unsichere Versorgung Einschrnkungen fr Touristen Mangelnde Expertise in Tourismus Verringerter globaler Markt

Verhltnis zur Kultur der Gastgeber Schutz

Quelle: Nach (Telfer 2002). bersetzt aus dem Englischen und verndert von Marlon Fronhofer

Individuum bzw. Gruppe in das Gedankengebude des Faches integriert (Hopfinger 2007b). Der Mensch wird dabei innerhalb einer Funktionsgesellschaft durch Grunddaseinsfunktionen wie Wohnen, Arbeiten, sich erholen gekennzeichnet. Diese sind raumabhngig, weshalb der Mensch Flchenansprche entwickelt und raumwirksam wird. In der Geographie des Freizeitverhaltens findet gegenber dem standorttheoretischen Ansatz eine umstrittene verhaltenswissenschaftliche Orientierung statt. Das Fach reagiert damit auf die Entstehung neuer Freizeitaktivitten und die wachsende Bedeutung kurzfristiger Erholungsformen. Untersucht wurden Raumstrukturen und Prozesse, die sich aus der Grunddaseinsfunktion sich erholen ergeben. Vor allem planerische Aspekte wurden bercksichtigt. Zu untersuchen galt: Das touristische Angebot (natur- und kulturrumliche Grundlagen), die touristische Nachfrage 15

(Tourismusarten, Herkunft und Sozialstruktur der Touristen), [...], den knftigen Bedarf an Erholungsflche und Freizeitinfrastruktur (Prognose), regionalwirtschaftliche Bedeutung des Tourismus, die Mglichkeiten der freizeit- und tourismusbezogenen Raumordnung und -planung (Steinecke 2006, S. 25). Erstmals rcken die negativen Konsequenzen des schnell wachsenden Tourismussektors ins Interesse (Telfer 2002) und die konomischen Auswirkungen auf die Zielregionen und Staaten der Dritten Welt werden untersucht. So entstehen im Rahmen eines kritischeren Hinterfragens auch erste Anstze zur Beschreibung der kologischen und sozio-kulturellen Auswirkungen auf die Zielregionen (Hopfinger 2007a; Brassel & Kollmair 1999), das fachliche Themenspektrum wird umfangreicher. Dadurch wurde die Notwendigkeit erkannt mit anderen Disziplinen zusammenzuarbeiten, die sich ihrerseits strker mit Freizeit- und Tourismusfragen beschftigen als zuvor. Hierzu zhlen: Wirtschaftswissenschaften, Soziologie, Pdagogik, Psychologie, Politikwissenschaften, Jura, Medizin, Kulturanthropologie, Religionswissenschaften, Sprachwissenschaften, Sportwissenschaften, Landschaftsplanung, Raumplanung, und Stdtebau (Jurczek 2007).

2.1.3 Phase III: Pragmatismus und konstruktive KritikAb Mitte der 1970er Jahre bilden sich zwei grundstzliche Theorie-Lager heraus (Bohle 2007; Vorlaufer 1996). Auf Modernisierungs- und konomischen Wachstumstheorien aufbauend, propagierte das eine Lager eine geplante und kontrollierbare Ausdehnung des Fremdenverkehrs. Die makrokonomischen Vorteile des Tourismus sollten eventuelle negative Begleiterscheinungen ausgleichen. Dem kontrr forderten Vertreter von Imperialismus- und Dependenztheorien fr Entwicklungslnder die Abschottung vom Weltmarkt. Sie sahen grtenteils die negativen Auswirkungen des Fremdenverkehrs und propagierten hchstens einen Tourismus der kleinen Zahl (Vorlaufer 1996). Nach Vorlaufer neigten aber beide Lager zu, zum Teil empirisch nicht belegbaren Pauchalwertungen der jeweils positiven oder negativen Wirkungen des Tourismus. Eine zunehmende Zahl empirischer Studien zeigte, dass aufgrund unterschiedlicher Bedingungen in den Reiselndern Generalisierungen bezglich den Folgen von Tourismus nicht haltbar sind. Man erkannte, dass Tourismus in seinen Auswirkungen auf das Gastland differenzierter beurteilt werden muss: Statt nur wirtschaftliche Aspekte sind ein Zusammenwirken einer Vielzahl von sozialen, konomischen und kulturellen Faktoren fr eine Bewertung von Tourismus in der Zielregion ausschlaggebend (Aderhold 2006). Von der Kritik zur Strategie gelangend setzten sich in den 1980er Jahren pragmatische Anstze durch, die groen Theorien galten als gescheitert (Menzel 1991). Im Zuge neoliberaler Entwicklungstheorien wurde versucht durch eine angepasste Tourismusentwicklung den Fremdenverkehr in die Entfaltung liberalisierter Mrkte einzubinden (Gale 2006; Vorlaufer 1996).

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Diese Phase international ausgerichteter touristischer Entwicklung war durch hoch finanzierte Strukturanpassungsmanahmen groer Institutionen wie EU, Weltbank und internationaler Whrungsfonds gekennzeichnet. Die Einflussnahme des Staates sollte zu Gunsten der Privatwirtschaft vermindert werden. Unter grtenteils auslndischer Fhrung wurden touristische Groprojekte mit geringer Beteiligung lokaler Bevlkerungen top down implementiert. Nationale und transnationale Eliten waren die Nutznieer dieser raschen wirtschaftlichen Entwicklung, mit der demokratische Prozesse nicht Schritt halten konnten (Telfer 2002). Gleichzeitig entstehen vermehrt Initiativen, die unter den Konzepten Kritik am Dritte-Welt-Tourismus und ab den 1980er Jahren unter sanfter Tourismus zu subsumieren sind. Die oben angesprochene Kritik am konventionellen Tourismus institutionalisierte sich in Form diverser Organisationen welche kleinteilige, von lokalen Bevlkerungen partizipativ umgesetzte Tourismusprojekte mit Anspruch auf Umweltvertrglichkeit und echten kulturellen Austausch durchzusetzen versuchten (Strasdas 2001; Telfer 2002). Tabelle 3: Tourismus unter Phase III: Neoliberaler Pragmatismus EntwicklungsaspekteFokus Mastab der Entwicklung Geschwindigkeit der Entwicklung Wirtschaftliche Verteilung Eigentmer Planung Lokale Partizipation Management Herkunft Beteiligung der Regierung Kapitalaufwand

Tourismus unter Phase III: Neoliberaler Pragmatismus EigenschaftenWirtschaftlich Groprojekte Schnell Strukturanpassungsmanahmen Ausland top down Begrenzt Ausland Niedrig Hoch

PositivExport Markt Hohe Profite Hohe Profite Internationale Geldquellen Internationales Know-how Internationales Know-how Internationales Know-how Internationales Know-how Freie Marktentfaltung

NegativVerlust lokaler Kontrolle lack of community fit Verlust lokaler Kontrolle Eliten profitieren Kapitalflucht Kein lokaler Input Steigende Verdrossenheit/Abneigung Steigende Verdrossenheit/Abneigung Begrenzter Schutz lack of community fit

(B)Verhltnis zu lokaler Gemeinde und UmweltRessourcenverbrauch Umweltschutz Integration des Hinterlands Verknpfung mit anderen Sektoren Entwicklung und Strkung von Institutionen Gemeinde Vertrglichkeit Hoch Niedrig Niedrig Niedrig Niedrig Niedrig Vermehrte Multiplikatoreffekte Umweltschden Geringe Kosten Stabiler Warenstrom aus dem Ausland -Kultur als Objekt/Wert Verlass auf auslndische Experten Schutz vor berfremdung Umweltschden Verringerte Multiplikatoreffekte Hohe Sickerrate Kulturelle Erosion Geringe Verflechtung Verdrossenheit

Verhltnis zur Kultur der Gastgeber Kommodifizierung

Quelle: Nach (Telfer 2002). bersetzt aus dem Englischen und verndert von Marlon Fronhofer

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Die Geographie des Freizeit und Fremdenverkehrs: interdisziplinre Ausrichtung und sanfter Tourismus Das als zu einfach empfundene Gesellschaftsmodell und die Dominanz verhaltenswissenschaftlicher Fragestellungen der an der funktionalistischen Sozialgeographie angelehnten Geographie des Freizeitverhaltens wurde whrend der 70er Jahre zunehmend kritisiert. Vor dem Hintergrund des schnell expandierenden Massentourismus entstehen komplexere Fragestellungen. Die Geographie des Freizeitverhaltens wird in den 1980er Jahren zur Geographie des Freizeitund Fremdenverkehrs. Eine schnell wachsende Zahl von Grundlagenuntersuchungen und Fallstudien behandeln neue Forschungsfragen. Zu diesen gehrten nach Steinecke unter anderem Analysen der gesellschaftlichen Ursachen, Steuerfaktoren und Rahmenbedingungen des Tourismus; Bewertung der touristischen Attraktivitt und Eignung von Rumen; Grundlagenuntersuchungen fr die Freizeitinfrastruktur- und Fremdenverkehrsentwicklungsplanung; Untersuchung der rumlichen und zeitlichen Verhaltensmuster und Raumansprche unterschiedlicher soziodemographischer Gruppen; Untersuchung der Wirkungen des Tourismus in Entwicklungslndern; Analysen der wirtschaftlichen Effekte des Tourismus auf kommunaler, regionaler, nationaler und internationaler Ebene und schlielich angeregt durch Jungks Thesen zum sanften Tourismus auch Analysen der kologischen und sozialen Belastungen durch den Tourismus (Steinecke 2006; Hopfinger 2007a). Forscher begannen sich vermehrt in interdisziplinren Arbeitskreisen und Forschergruppen zu engagieren, themenspezifische Lehrbcher und Sammelbnde entstehen. Insgesamt nimmt die Bedeutung der geographischen Freizeit- und Tourismusforschung in fachwissenschaftlicher Hinsicht zu (Jurczek 2007).

2.1.4 Phase IV: Alternative Entwicklung und TourismusParallel zur oben aufgefhrten Entwicklung hufte sich ab den 1970er Jahren aber auch Kritik an den ausschlielich wachstumsorientierten Entwicklungsstrategien. Diese richtete sich zum einen an die normative Basis des allgemein propagierten Entwicklungsziels. Wirtschaftliches Wachstum alleine knne nicht zur allgemeinen Verbesserung der Lebensbedingungen aller Teile der Bevlkerung fhren. Dabei bezog sich die Kritik zum anderen auf die beobachteten negativen Auswirkungen bisheriger Entwicklungsstrategien, welche zur Verschrfung soziokonomischer Disparitten und Armut, hoher Umweltbelastung und zu Konflikten mit kulturellen und sozialen Strukturen betroffener Lnder fhrten. Die 1980er Jahre wurden aufgrund dieser immer gravierender zu Tage tretender Negativwirkungen schlielich als verlorenes Jahrzehnt deklariert (Mller-Mahn 2002). Vor allem internationale und bilaterale Entwicklungsagenturen suchten vermehrt nach alternativen Entwicklungsstrategien. Nichtregierungsorganisationen spielten zunehmend eine wichtige Rolle und konnten, im Vergleich zu Regierungsagenturen weniger durch diverse Verantwortungen belastet, die Interessen lokaler, gemeindebasierter Entwicklungsinitiativen vertreten. Sie trugen viel

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zum Entstehen innovativer, partizipativer bottom up-Anstze und Lsungen fr lokale Probleme bei und lsten damit die vormaligen top down-Entwicklungsstrategien ab (Telfer 2002). Diese neuen entwicklungstrategischen Konzepte, Anstze und Modelle alternativer Entwicklung beinhalteten die Verbindung mehrerer Elemente wie Grundbedrfnisbefriedigung (basic needs), self reliance und Umweltvertrglichkeit (Brunotte 2002). Grassroots empowerment, Partizipation und Geschlechterforschung betonten den neuen Fokus der alternativen Entwicklungsstrategien auf den Menschen. 1987 bringt die Weltkommission fr Umwelt und Entwicklung mit den Report Our Common Future das Konzept nachhaltige Entwicklung erstmals auch in die politische Entwicklungsdebatte ein. Nachhaltige Entwicklung wird darin definiert als: Sustainable development is development that meets the needs of the present without compromising the ability of future generations to meet their own needs. It contains within it two key concepts:

the concept of 'needs', in particular the essential needs of the world's poor, to which overriding priority should be given; and the idea of limitations imposed by the state of technology and social organization on the environment's ability to meet present and future needs(World Commission on Environment and Development 1987, S. 54).

Unter dem Konzept 'Nachhaltigkeit' wird die kologische Umwelt, neben sozialen und wirtschaftlichen Aspekten, erstmals wichtiger Bestandteil von Entwicklungsstrategien (Vorlaufer 1996). Nachhaltige Entwicklung ist seit den 1990er Jahren zum vorherrschenden Paradigma in der Entwicklungstheorie geworden. Die Geographie der Freizeit und des Tourismus: analytische und anwendungsorientierte Regional- und Gesellschaftsforschung Ende der 1980er Jahre werden ber 400 Mio. internationale Touristenanknfte gemeldet (UNWTO), der Freizeit und Reisemarkt boomt, neue Angebotsformen und Nachfragestrukturen entstehen, denen mit klassischen Erklrungskonzepten nicht mehr auf den Grund zu gehen ist (Hopfinger 2007a). Dadurch findet auch eine Diversifizierung der Untersuchungsanstze und eine Spezialisierung der Fragestellungen statt. Steinecke stellt einen zunehmenden Anwendungsbezug hin zur geographischen Fremdenverkehrsentwicklungsplanung und kologischen Fragestellungen speziell zur nachhaltigen Regionalentwicklung fest (Steinecke 2006). Zeitgleich wird die Unzufriedenheit mit dem konventionellen Massentourismus immer deutlicher. Ein Begriffswechsel vom sanften zum sozial- und umweltvertrglichen Tourismus erfolgt. Schlielich griff Anfang der 1990er Jahre die Tourismusforschung die Konzeption von 'nachhaltiger Entwicklung' auf und versuchte diese auf Tourismus zu beziehen. 19

Tabelle 4: Tourismus unter Phase IV: Alternative Entwicklung und Tourismus EntwicklungsaspekteFokus Mastab der Entwicklung Geschwindigkeit der Entwicklung Wirtschaftliche Verteilung Eigentmer Planung Lokale Partizipation Management Herkunft Beteiligung der Regierung Kapitalaufwand

Phase IV: Alternative Entwicklung und Tourismus EigenschaftenNachhaltigkeit Klein Stufenweise Lokale Besitzer Lokal bottom up Hoch Inlndisch Hoch-niedrig Niedrig

PositivUmweltschutz Geringere Auswirkungen Gemeinschaft kann sich anpassen Lokaler Multiplikatoreffekt wird erhht Erhhte lokale Kontrolle Lokale Beteiligung Lokale Entscheidungen Steigendes lokales Humankapital Leitlinien zur Nachhaltigkeit Geringe Umweltbelastung

NegativSchwer zu definieren Niedrigere Profite Niedrigere Profite Niedrigere Profite Mangelnde Expertise im Tourismus Schwer zu koordinieren Mangelnde Expertise im Tourismus Fehlende Erfahrung berregulierung Wenig Investitionen

(B)Verhltnis zu lokaler Gemeinde und UmweltRessourcenverbrauch Umweltschutz Integration des Hinterlands Verknpfung mit anderen Sektoren Niedrig Hoch Hoch Hoch Frdert Nachhaltigkeit Frdert Nachhaltigkeit Gebrauch lokaler Ressourcen Lokaler Multiplikatoreffekt wird erhht Kulturelle Integritt Starke Institutionen Akzeptanz durch Einheimische 'Demonstrationseffekt' Verringert Multiplikatoreffekte Verringert Profite Unbestndige Versorgung mglich Unbestndige Versorgung mglich Restriktionen fr Touristen

Verhltnis zur Kultur der Gastgeber Schutz Entwicklung und Strkung von Institutionen Gemeinde Vertrglichkeit Hoch Hoch

Quelle: Nach (Telfer 2002). bersetzt aus dem Englischen und verndert von Marlon Fronhofer

2.1.5 Zusammenfassung: Fehlende Interaktion an der Schnittstelle von Tourismusforschung und EntwicklungstheorieIm Wandel der Zeit hat das Verhltnis von Tourismus und Entwicklung mehrere Phasen durchlaufen. Ausgehend von dem vorherrschenden Fokus auf wirtschaftliche Entwicklung wurde die Konzeption von Entwicklung kontinuierlich um mehrere Dimensionen erweitert und enthlt nun Konzepte wie 'Partizipation' und 'Nachhaltigkeit'. In den 1960er Jahren dominierten unter dem modernisierungstheoretischen Paradigma die positiven Effekte des Tourismus die Diskussion. Die zweite Phase war durch wachsende Kritik gegenber Tourismus gekennzeichnet, Dependenztheorie war das vorherrschende Paradigma. In Phase III verlief die Diskussion wieder sachlicher, es wurde versucht von der Kritik zur Strategie zu 20

gelangen. Die vierte Phase war von zunehmender Komplexitt und 'postmoderner Unbersichtlichkeit' geprgt, eine Diversifizierung der Untersuchungsanstze fand statt, die Nachhaltigkeitsdebatte wurde in den Entwicklungsdiskurs aufgenommen. Es wurde deutlich, das der weltweite Tourismus in der Manier des jeweiligen entwicklungspolitischen Paradigma konzipiert wurde. Auch die deutsche geographische Tourismusforschung durchlief mehrere Phasen von der deskriptiv arbeitenden Strukturbeschreibung der Fremdenverkehrsgeographie zur Geographie der Freizeit und des Tourismus als einer analytischen und anwendungsorientierten Regional- und Gesellschaftsforschung (Steinecke 2006). Die Tourismusforschung stellte dabei vor allem planerische Instrumente zum Aufbau und zur Entfaltung des Tourismus zu Verfgung. In Anlehnung an die Sozialgeographie verfolgte sie auch verhaltenswissenschaftliche Fragestellungen. In einer Reise vom Idealismus zum Realismus (Dowling 1993) wurde schlielich aus einer Unzufriedenheit gegenber konventionellen Tourismus heraus das Konzept 'nachhaltige Entwicklung' auf Tourismus bertragen. Der daraus entstandene 'nachhaltige Tourismus' galt als erfolgversprechendes Konzept und bis Ende der 1990er Jahre beschftigte sich das Fach intensiv mit der Ausarbeitung und Gestaltung eines nachhaltigen Tourismus (Hopfinger 2007a). Die Motivation hierfr lsst sich mit folgendem Zitat von Murphy aus dem Jahre 1985 am besten verdeutlichen: Tourism is reputed to be the worlds largest industry with estimated revenues of US$3.5 trillion and hiring one worker in nine worldwide in 1995 (World Travel and Tourism Council, 1996) and with 663 million people spending at least one night in a foreign country in 1998 and with expectations that this gure will reach 1.6 billion by 2020 (World Tourism Organization, 1999). It is one industry that should be involved in sustainable development, because it is a resource industry, one which is dependent on natures endowment and societys heritage (Murphy & Price 2005, S. 172, Hervorhebung von mir). Innerhalb des Fachs ist dabei unumstritten, dass sich Tourismusangebot und -nachfrage gleichermaen ndern mssen, damit die Natur, das wichtigste Grundkapital der touristischen Entwicklung, nicht zerstrt wird, die Kultur einer Zielregion erhalten bleibt, die soziale und konomische Lebensqualitt der Bereisten verbessert, gleichzeitig aber auch den Bedrfnissen der Touristen entsprochen wird (Klemm 1998, S. 65). Wie aus den Zitaten deutlich wird, geht es vor allem darum die negativen Effekte auf die Umwelt zu verringern und den beteiligten Menschen auf breiter Basis vielfltige Vorteile zu schaffen, damit der Tourismus seine eigenes 'Grundkapital' nicht verliert und ewig (sustainable, nachhaltig) weiter 21

betrieben werden kann (Sharpley 2002a). Die Welttourismusorganisation der Vereinten Nationen (UNWTO) lie sich zu einer besonders schamlosen Paraphrasierung (Sharpley 2002a) der viel zitierten Formulierung des Brundland Reports von nachhaltiger Entwicklung hinreien: Sustainable tourism development meets the needs of present tourists and host regions while protecting and enhancing opportunity for the future. It is envisaged in such a way that economic, social, and aesthetic needs can be fulfilled while maintaining cultural integrity, essential ecological processes, biological diversity, and life support systems (WTO & WTTC 1996, S. 30). Aus der Sorge heraus, der Tourismus knne sein 'Grundkapital' verlieren musste sich die Tourismusindustrie einen grnen Mantel (Sharpley 2002a) anlegen und 'nachhaltiger Tourismus' wurde zum passenden strategischen Begriff (Brassel & Kollmair 1999) dafr. Zudem ist 'nachhaltiger Tourismus' seit Ende der 1980er Jahre zu dem dominanten Paradigma in der Tourismusforschung und dem Grundsatz und Leitthema der Tourismus- und Entwicklungspolitik vieler Staaten geworden. Auch ein Journal of Sustainable Tourism ist in den 1990er Jahren entstanden. Es gibt 59 verschiedene Zertifizierungsagenturen fr 'nachhaltigen Tourismus' und genauso viele Auffassungen darber, wie 'nachhaltiger Tourismus' zu sein hat (Font 2005). Unzhlige Ratgeber, Konferenzen, Nichtregierungsorganisationen, freiwillige Verhaltenskodizes, Grundsatzerklrungen etc. nehmen sich das Konzept 'nachhaltiger Tourismus' als Grundlage, definieren es aber jeweils fr ihren Kontext anders (Sharpley 2002a). Die daraus resultierende Beliebigkeit und Unschrfe des Konzepts 'nachhaltiger Tourismus', der Bedeutungsverlust sowie die daraus mangelnde Relevanz fr die Praxis werden zunehmend kritisiert (Gale 2006; Hopfinger 2007b; Liu 2003; Murphy & Price 2005; Sharpley et al. 2002; Tao, Teresa C. H. & Wall 2008; Telfer 2002; Wall 2007; Whler). Ich schliee mich dieser Kritik an. Um problemlsungsorientierte und operationalisierbare Handlungsanweisungen fr potentielle Tourismusinitiativen in Uttarakhand geben zu knnen, ist es notwendig, die tourismuszentrierten Konzepte und Definitionen von 'nachhaltiger Tourismus' zu berwinden. Stattdessen ist es ntig den 'nachhaltigen Tourismus' als mgliche, sektorspezifische Anwendung einer breitangelegten und bergeordneten nachhaltigen Entwicklungsstrategie aufzufassen, statt ihn nur als einzelnen Sektor neben anderen Sektoren 'nachhaltig' zu gestalten. Diesen Gedanken werde ich in den folgenden Abstzen darstellen. Als Grundlage dienen hier vor allem die Arbeiten von Ashley, Gale, Liu, Wall, Tao/Wall, Sharpley und Telfer. Der sustainable livelihoods-Ansatz fr Tourismus wird dann als forschungspragmatische Umsetzung der vorhergehenden Argumentation verstndlich.

2.2 Nachhaltige Entwicklung: Holistisches Konzept vs. SektoransatzViele Sektoren haben das Konzept der Nachhaltigkeit aufgegriffen und versucht auf ihren Bereich zu bertragen. Nachhaltige Landwirschaft, nachhaltige Forstwirtschaft, nachhaltige Fischerei und 22

sogar nachhaltige Stdte (Wall 2007) seien als Beispiel aufgefhrt. Mit Konzepten wie 'nachhaltiges Produzieren' oder dem sustainable value-Ansatz sowie dank der groen Auswahl an Definitionen, Indikatoren und Empfehlungen knnen nahezu alle Industriezweige Nachhaltigkeit ihren Ansprchen erforderlich konzipieren. Vielen dieser Auslegungen von Nachhaltigkeit ist neben ihrer Unschrfe und Beliebigkeit vor allem ein gravierender Mangel vorzuwerfen: Nachhaltige Landwirtschaft, - Forstwirtschaft, - Tourismus etc. sind sektorzentrierte Anstze. Dabei wird versucht den jeweiligen Wirtschaftssektor oder auch andere Strategien und Aktivitten, die der Lebenssicherung dienen, nachhaltig zu gestalten um ihr Fortdauern zu gewhrleisten. In der Regel bedingt dies die ausgewogene Bercksichtigung wirtschaftlicher, sozialer und kologischer Aspekte um das 'Grundkapital' des entsprechenden Sektors langfristig (nachhaltig, sustainable) zu erhalten. Ziel der jeweiligen Sektoren oder wirtschaftlichen Aktivitten ist es somit viel mehr deren natrliche, geschaffene und soziokulturelle Ressourcenbasis zu erhalten, als zu einer breit gefassten Entwicklung der Region beizutragen. Letztlich sind die unter dem Schlagwort 'Nachhaltigkeit' konzipierten sektorzentrierten Anstze also nur angewandtes nachhaltiges Ressourcenmanagement (Sharpley 2002a). Dabei konkurrieren die verschiedenen Sektoren um knappe Ressourcen. Tourismus auch nachhaltiger Tourismus beansprucht hierin durch seinen multisektoralen Charakter eine Vielzahl unterschiedlicher Ressourcen anderer Sektoren/wirtschaftlicher Aktivitten einer Region, wie z.B. Land, privates und staatliches Kapital, Wasser, Energie, Aufnahmekapazitten von Mll, Zeit, Prestige, Arbeitspltze etc. (Sharpley 2002a; Tao, Teresa C. H. & Wall 2008; Wall 2007). Obwohl einzelne Sektoren 'nachhaltig' gestaltet sind knnen sie untereinander in Konflikt um knappe Ressourcen geraten (vgl. Exkurs: 1).

Exkurs 1: Konflikt zwischen nachhaltigen sektorzentrierten Anstzen in Indien: Forstwirtschaft vs. TourismusIn dem Artikel Tourism and Forest Management in India: The Role of the State in Limiting Tourism Development beschreibt Hannam den Konflikt zwischen zwei indischen Ministerien dem Ministry of Environment and Forests und dem Ministry of Tourism and Culture. Ministry of Environment and Forests (MoF): Aufgabe ist der Schutz der natrlichen Ressourcen Indiens unter dem Prinzip der Nachhaltigkeit. [...] the Ministry is guided by the principle of sustainable development and enhancement of human well-being (Government of India 2008). Dieses Ministerium gehrt zu den drei mchtigsten und einflureichsten Ministerien Indiens und verfgt dadurch ber einen enormen Beamtenstab und eigenes Territorium (Hannam 2004). Ministry of Tourism and Culture (MoT): Aufgabe ist Planung, Management und Marketing von 23

Tourismus in Indien. Das MoT ist dabei den bundesstaatlichen Tourismusministerien bergeordnet. Auch fr dieses Ministerium ist Nachhaltigkeit oberstes Prinzip: Sustainability should serve as a guiding star for the new Policy (Department of Tourism 2002). In seiner jetzigen Form besteht es erst seit 2000. Obwohl beide Ministerien unter dem Paradigma der nachhaltigen Entwicklung agieren, kommt es zu massiven Konflikten zwischen den beiden Ministerien. Die gemeinsame Schnittstelle human well-being bleibt in diesen Konflikt auf der Strecke. Das MoT will Tourismus entwickeln, das MoF ist dem Naturschutz verpflichtet und sieht Tourismus als groes Umweltproblem (Hannam 2004, S. 342). [...] the Ministry of Environment and Forests in India is involved in the production of a domain of power/knowledge that has specifically excluded tourism development as a viable activity and recasts it as a problem to be overcome or at worst tolerated (Hannam 2004, S. 336). In vielen Bereichen berlappen sich aber die Aufgabenbereiche. Naturschutzparks z.B. sind groe Touristenattraktionen in Indien und sollten auch unter tourismuswirtschaftlichen Aspekten betrieben werden. Zum Schutze der Natur sind diese aber dem MoF unterstellt. Hannam fordert deshalb die Zusammenarbeit beider Ministerien. Auf die Problematik von Tourismus in indischen Naturschutzgebieten machen auch andere Arbeiten aufmerksam (Banerjee 2007; Kent 2005). Auch die Rolle des Forest Department wird hier kritisch beurteilt.

Dadurch knnen durch die Einfhrung von Tourismus z.B. schon bestehende wirtschaftliche Aktivitten anderer Sektoren verdrngt oder massiv behindert werden. Dies kann nicht Sinn einer nachhaltigen Entwicklung sein. Die fundamentalen Prinzipien und Ziele von nachhaltiger Entwicklung sind in Tabelle 5 zum berblick dargestellt.

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Tabelle 5: Nachhaltige Entwicklung: Fundamentale Prinzipien und ZieleFundamentale Prinzipien:

Holistische Herangehensweise: Bercksichtigung globaler, sozialer, kologischer und konomischer Dimensionen Langfristigkeit: Fokus auf langfristiger Existenzfhigkeit globaler kosysteme inkl. dem menschlichen Subsystem Inter- und intra-Generationengerechtigkeit: Mglichkeiten zum Zugang zu und zum Nutzen von Ressourcen fr alle Mitglieder aller Gesellschaften sowohl jetzt als auch fr die Zukunft Verbesserung der Lebensqualitt fr alle Menschen: Bildung Lebenserwartung Mglichkeiten zur Selbstentfaltung Befriedigung der Grundbedrfnisse (basic needs) sowie Zugang zu handlungsermglichenden Schlsselressourcen Grtmgliche Selbststndigkeit: Unabhngigkeit bei der Gestaltung gesellschaftlicher Entscheidungsprozesse Lokale Entscheidungsprozesse fr lokale Bedrfnisse Verringerung der Vulnerabilitt Nachhaltigkeit ist weniger als vollstndig erreichbares Ziel, sondern vielmehr als Prozess in Richtung einer stndig zu optimierenden Vision zu verstehen Nachhaltiges Niveau der Bevlkerungsanzahl Minimaler Verbrauch nicht erneuerbarer Ressourcen Nachhaltiger Gebrauch erneuerbarer Ressourcen Verschmutzung und Emissionen innerhalb der Aufnahmefhigkeit der Umwelt Strategien, die kontinuierlich nach neuen Lsungen suchen um nachhaltige Entwicklung zu ermglichen Internationale und wirtschaftliche Systeme, die einer gerechten Entwicklung und Ressourcennutzung gewidmet sind Technologische Systeme, die fortwhrend nach neuen Lsungen fr Umweltprobleme suchen Globale Zusammenarbeit, die integrative Entwicklungsgrundstze und verbindliche Programme ermglichen Aneignung einer nachhaltigen Lebensweise

Entwicklungsziele:

Nachhaltigkeitsziele:

Voraussetzungen fr nachhaltige Entwicklung:

Quelle: Nach (Sharpley 2002a), bersetzt aus dem Englischen und verndert von Sophia Opperskalski und Marlon Fronhofer

Demnach ist 'Nachhaltige Entwicklung' ein holistisches Konzept und zielt auf die Nachhaltigkeit des ganzen Systems (kosysteme inklusive dem menschlichen Subsystem auf lokaler bis globaler Ebene) ab (Wall 2007; Sharpley 2002a). Innerhalb dieses Systems sollten die einzelnen Sektoren 25

wie Tourismus, Forstwirtschaft, Bergbau etc. sowie die diversen Strategien und Aktivitten zur Lebenssicherung nur Subkomponenten und sektorspezifische Anwendungen des bergeordneten Konzeptes einer nachhaltigen Entwicklung sein (Sharpley 2002a; Tao, Teresa C. H. & Wall 2008; Wall 2007). Die unterschiedlichen wirtschaftlichen Sektoren, Aktivitten, Strategien einer Region mssen sich vor dem Hintergrund einer bergeordneten nachhaltigen Entwicklung rechtfertigen. Es geht darum, die in diesem Sinne bestmgliche Kombination an verschiedenen Aktivitten zu erreichen um vor einem lokalen sowie globalen Hintergrund die knappen Ressourcen optimal nutzen zu knnen. Fr jede Form von Tourismus (Massentourismus, kotourismus, small-scale, large-scale, gemeindebasiert, enklavenartige Resorts etc.) ergibt sich daraus folgende Konzeption:

2.2.1 Nachhaltige Entwicklung als konzeptionelle Grundlage fr Tourismus'Nachhaltigem Tourismus' mssen die Grundprinzipien von 'nachhaltiger Entwicklung' zu Grunde liegen. Denn aus dem bergeordneten Konzept 'nachhaltige Entwicklung' wurde die Konzeption von 'nachhaltiger Tourismus' abgeleitet. 'Nachhaltiger Tourismus' ist somit seinem Wesen nach eine sektorspezifische Anwendung von 'nachhaltiger Entwicklung' mit dem Ziel, zu einer 'nachhaltigen Entwicklung' zu Gunsten der Gesellschaft beizutragen. Deshalb muss jede Form von Tourismus selbst (a) kologisch, konomisch und sozial nachhaltig sein und (b) in stndiger Weise zu den Zielen breit angelegter nachhaltiger Entwicklungsstrategien beitragen. Dabei ist (a) offensichtlich eine Grundvoraussetzung fr (b) (Sharpley 2002a). Diese Definition bringt mehrere entscheidende Implikationen mit sich: 1. Tourismus wird in den Kontext breit angelegter Entwicklungsstrategien gestellt und hat sich damit als geeignetes Mittel fr das Erreichen nachhaltiger Entwicklungsziele zu rechtfertigen. Im Vergleich zu oder in Kombination mit anderen Aktivitten mssen die jeweiligen Vor- und Nachteile von Tourismus fr den entsprechenden regionalen Kontext ergrndet werden, damit hchstmgliche Vorteile fr die Menschen der Destination bei gleichzeitigem effizienten Gebrauch der verfgbaren Ressourcen einer Region erreicht werden knnen (Sharpley 2002a). 2. Verglichen mit anderen Aktivitten kann sich Tourismus deshalb fr einige Gemeinschaften und Staaten nicht als angemessenes Mittel fr eine nachhaltige Entwicklung herausstellen. Auch eine Umorientierung von Tourismus zu anderen Aktivitten darf nicht ausgeschlossen werden (Tao, Teresa C. H. & Wall 2008). Tourismus ist nicht Ziel von Entwicklung, sondern eine von vielen mglichen Strategien um nachhaltige Entwicklung zu erreichen. 3. Die Anforderungen, die im Kontext nachhaltiger Entwicklungsbedrfnisse einer Gemeinschaft an Tourismus gestellt werden, sind von Region zu Region 26

unterschiedlich. Da aber jede Form von Tourismus den Prinzipien einer nachhaltigen Entwicklung entsprechen muss, ist die Trennung zwischen schlechtem konventionellen Massentourismus und guten alternativen Tourismusformen nicht mehr zu rechtfertigen (Sharpley 2002a). Es gilt zu ergrnden, welche Form von Tourismus am Besten dem Ziel einer nachhaltigen Entwicklung dient. Diesen drei Punkten liegt die Gemeinsamkeit zu Grunde, dass Tourismus nicht mehr fr sich genommen betrachtet wird, sondern vor allem in Beziehung zu anderen Sektoren und Faktoren gesetzt wird. In der Tourismusliteratur wird vermehrt darauf hingewiesen, dass es fr die Zukunft wichtig sein wird die intersectoral linkages zu verstehen und zu verbessern (Telfer 2002, S. 72). Besonders in marginalen Gebieten ist dies von groer Bedeutung, da zur Lebenssicherung einer Vielzahl an verschiedenen Aktivitten und Strategien nachgegangen wird. Zudem sind die Bedingungen (Ressourcen, touristisches Potential, politische Rahmenbedingungen, Kultur...) fr jedes Land, jede Region und Individuum anders, weshalb auch unterschiedliche Pfade zu einer nachhaltigen Entwicklung beitragen knnen. Diese gilt es zu ergrnden. Jedoch ist es immer noch nicht mglich konkrete problemlsungsorientierte und operationalisierbare Handlungsanweisungen und Empfehlungen fr Regionen und potentielle Destinationen zu geben, da oben aufgefhrte Konzeptionen von nachhaltiger Entwicklung und davon abgeleitet nachhaltiger Tourismus noch keine Antwort auf folgende Fragen bieten: Was sind die Entwicklungsbedrfnisse einer Region? Wie stehen diese zu einer globalen nachhaltigen Entwicklung? Ist Tourismus im Rahmen einer breit angelegten Strategie zur nachhaltigen Entwicklung fr die jeweilige Region (oder das jeweilige Land) eine geeignete Option? Wenn ja, welche Form von Tourismus eignet sich fr die Region am besten? Wie wirkt sich Tourismus auf die Lebensumstnde der Bevlkerung aus? Es zeigt sich, dass das livelihood Konzept hier einen deutlich fassbareren Ansatz als 'Entwicklung' bietet. In Anbetracht der Vielschichtigkeit nachhaltiger Entwicklung und den oftmals unvergleichbaren Rahmenbedingungen einer Region und den komplexen Interessen und Lebensbedingungen einzelner Akteure bietet der sustainable livelihoods-Ansatz (SL) ein forschungspragmatisches und akteursorientiertes Konzept, welches im Vergleich zu 'Entwicklung' leichter zu diskutieren, beobachten, beschreiben und sogar quantifizieren ist (Wall 2007). Der SLAnsatz inherently reveals the multi-sectoral character of real life, integrating environmental, social and economic issues into a holistic framework, which is an opportunity to promote the sort of cross-sectoral and cross-thematic approach that should be the 27

hallmark of sustainability (Tao, Teresa C. H. & Wall 2008, S. 4). Das zuvor zu eng gefasste, tourismuszentrierte Konzept 'nachhaltiger Tourismus' kann mit Hilfe des SL-Ansatzes wieder in eine holistisch ausgerichtete, nachhaltige Entwicklung eingegliedert werden.

2.2.2 Der sustainable livelihoods-AnsatzIm folgenden wird das livelihoods-Konzept zum berblick dargestellt. Zur Umfangreichen Erluterung sei auf die sustainable livelihoods guidance sheets (DFID 1999) von DFID verwiesen. Der 'sustainable livelihoods'-Ansatz wurde von mehreren teils gegenstzlichen Denkanstzen geprgt (Cahn 2002), geht jedoch in seiner jetzigen weit verbreiteten Form hauptschlich auf berlegungen von Robert Chambers Ende der 1980er Jahre zurck. Die bis heute bekannteste Definition von 'sustainable livelihoods', die auch dem DFID-Ansatz zugrunde liegt, stammt von Chambers und Conway (1992): A livelihood comprises the capabilities, assets (including both material and social resources) and activities required for a means of living. A livelihood is sustainable which can cope with and recover from stresses and shocks and maintain or enhance its capabilities and assets both now and in the future, while not undermining the natural resource base (Scoones 1998). Livelihoods umfassen also alle Fhigkeiten, Ausstattungen und Handlungen, die zur Existenzsicherung notwendig sind (Bohle 2007). Ganz klar im Kontrast zu vorhergehenden Denkanstzen in der Entwicklungsforschung ist der sustainable livelihoods-Ansatz dabei auf die handelnden Akteure4 beziehungsweise ihren livelihoods zentriert (people-centred). Der Mensch steht im Mittelpunkt. Weitere Grundprinzipien konzipieren den Ansatz als dynamisch (wie ja nachhaltige Entwicklung selbst zu verstehen ist), holistisch, fokussiert auf Strken und Mglichkeiten statt nur auf Bedrfnisse und Schwchen, nachhaltig im Sinne der schon dargestellten Prinzipien einer nachhaltigen Entwicklung und bemht die Mikro- mit der Makroebene zu verbinden. Zur Veranschaulichung des SL-Konzepts werden verschiedene sustainable livelihoods frameworks konzipiert. Zu den am meisten verbreiteten gehrt der sustainable livelihoods framework vom Department for International Development (DFID) von 1999 (vgl. Abb. ).

4 Zu den Akteuren zhle ich hier Individuen, Haushalte und Gemeinden.

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Abbildung 2: Der sustainable livelihoods framework nach DFID

Quelle: (DFID 1999)

Bei der Analyse von livelihoods stellen sich nach Scoones 1998 wichtige Schlsselfragen: In einem bestimmten Kontext von strukturellen Rahmenbedingungen (vulnerability context, transforming structures and processes) kann der Akteur auf welche Kombination von handlungsermglichenden Schlsselressourcen (livelihood assets, Aktiva) zurckgreifen um was fr eine Kombination an Strategien und Aktivitten zur Lebenssicherung (livelihood strategies) nachzugehen? Welche Ergebnisse (livelihood outcomes) sollen und werden schlielich dabei erzielt? Und wie wirken sich diese Ergebnisse wiederum auf die Aktiva des Akteurs und damit auf die Fhigkeit die strukturellen Rahmenbedingungen zu beeinflussen aus? Gerade fr marginale Regionen wie z.B. Sarmoli und Jaiti in Uttarakhand erweist sich deshalb der sustainable livelihoods-Ansatz als wertvolles sensibilisierendes Hilfsmittel zur Analyse der Lebensbedingungen, da in dem prekren Kontext hoher Verwundbarkeit im Gebirge und der dadurch bedingten Strategie zur breiten Risikostreuung (Nsser 2003), also der Diversifikation und Kombination diverser livelihood-Strategien, handlungsermglichende Schlsselressourcen wie Land, Geld, Fertigkeiten, Gesundheit, Bildung oder soziale Netzwerke eine zentrale Rolle fr einen aktiven Umgang mit dem Risiko und fr die berlebenssicherung (Bohle 2007, S. 803) spielen. Zu den handlungsermglichenden Schlsselressourcen des Akteurs gehren Humankapital (Wissen, Fhigkeiten, Fertigkeiten, Gesundheit, Arbeitskrfte im Haushalt...), Naturkapital (Land, Wasser, Boden, Biodiversitt...), Sozialkapital (soziale Netzwerke, traditionelle Sicherungssysteme, Prestige...), Sachkapital (Infrastruktur, Produktionsmittel, Wohnraum...) und Finanzkapital 29

(Einkommen, Ersparnisse, Renten, Zugang zu Krediten...). In der Praxis ist es wichtig zu wissen, welche Aktiva von den Beteiligten zeitliche Prioritt erhalten (sequencing) und welche Aktiva als Substitute fr andere dienen (substitution). Wird in einem bestimmten Kontext eine bestimmte Kombination von handlungsermglichenden Schlsselressourcen zuerst angestrebt? Kann erhhtes Humankapital fehlendes Finanzkapital ersetzen? Die livelihoods der Menschen, ihre Handlungsmglichkeiten und ihr Zugang zu Ressourcen werden beeinflusst durch den Vulnerabilittskontext auf der Mikroebene und durch sich verndernde Strukturen und Prozesse auf der Meso- und Makroebene. Der Vulnerabilittskontext umfasst Trends (Ressourcen-, konomische und technologische Trends etc.), Schocks (Naturkatastrophen, konomische Schocks, Konflikte etc.) und Saisonalitt (der Preise, Produktion, Arbeit etc.) und liegt auerhalb der unmittelbaren Kontrolle des betroffenen Menschen. Die sich transformierenden Strukturen und Prozesse umfassen Politik, Gesetzgebung, Institutionen, den privaten Sektor und Kultur und knnen in einem gewissen Ma von den Akteuren, insbesondere wenn sie sich zu Gruppen zusammenschlieen, beeinflusst werden. Abhngig von den Schlsselressourcen und dem jeweiligen Kontext knnen die Akteure unterschiedliche Lebenssicherungsstrategien whlen. Die Schlsselressourcen knnen in unterschiedlicher Art und Weise kombiniert werden, um ein bestimmtes 'livelihood outcome' wie eine Einkommenssteigerung, reduzierte Vulnerabilitt oder Ernhrungssicherung zu erzielen. Das tatschliche Ergebnis, das von dem angestrebten auch abweichen kann, wirkt wiederum auf die Lebenssicherungsbasis zurck (DFID 1999). Bohle und andere besttigen die analytische Brauchbarkeit des Ansatzes bei empirischen Erhebungen (Bohle 2007), dennoch fand der Ansatz innerhalb der Tourismusforschung bislang noch keine Beachtung. Lediglich (Ashley 2000; Lee 2005) und (Gale 2006) sowie erst in jngster Zeit (Wall 2007) und (Tao, Teresa C. H. & Wall 2008) behandelten dieses Thema, verwiesen aber nicht aufeinander (auer Lee und Gale auf Ashley). In der deutschen Tourismusforschung ist mir keine Arbeit bekannt, die Tourismus und sustainable livelihoods konzeptionalisiert. Dabei kann dieser Ansatz helfen die schon angesprochene Lcke an der Schnittstelle von Tourismusforschung und Entwicklungstheorie zu schlieen und somit zu einem umfangreicheren Verstndnis ber die Verflechtung von Entwicklung, Nachhaltigkeit, Tourismus, livelihoods und den Menschen in marginalen Gebirgsregionen Uttarakhands beitragen. Der livelihoods-Ansatz geht von der Prmisse aus, dass es wesentlich ist die verschiedenen Ausstattungen (handlungsermglichenden Schlsselressourcen) der Menschen zu verstehen um zu begreifen welche Optionen sie haben, welche Strategien sie whlen, welche Ergebnisse sie erreichen wollen und in welchen Kontext von Vulnerabilitt sie handeln (Gale 2006). Ashley, Gale, Tao und Wall wendeten den SL-Ansatz bei empirischen Untersuchungen an, um unter anderem zu verstehen, wie sich Tourismus auf die livelihoods der gastgebenden Bevlkerung auswirkt. Dabei wurde deutlich, wie die zustzliche livelihood-Strategie Tourismus zur 30

Diversifikation von livelihoods beitragen kann. Tourismus wird somit: Ein Mittel zur Akkumulation im Sinne einer Erweiterung von Kapital fr Konsum und Investitionen. Ein Beitrag zur Risikostreuung. Eine Strategie zur Adaption an langfristige negative Vernderungen des Einkommens oder anderer wichtiger Ansprche, bedingt durch sich verndernde sozio-konomische oder naturrumliche Rahmenbedingungen. Ein Mittel um Druck von natrlichen Ressourcen zu nehmen (Tao, Teresa C. H. & Wall 2008; Wall 2007). Es wurde klar, dass Tourismus die livelihoods der Zielbevlkerung auf vielfltige Weise positiv und negativ beeinflusst. Der SL-Ansatz zeichnet sich dabei als sensibilisierendes Hilfsmittel aus, das Forschern und Praktikern eine einheitliche begriffliche Basis schafft und somit die Studien vergleichbar macht. Hier mchte ich anknpfen. Anhand einer empirischen Fallstudie auf Haushaltsebene ber ein erst vier Jahre altes, gemeindebasiertes Tourismus-Projekt im indischen Himalaya soll gezeigt werden, wie Tourismus als berlebensstrategie in die Lebenssysteme der gebirgsbuerlichen Haushalte integriert wird und welche Auswirkungen Tourismus auf die livelihoods der Gastgeber hat. Die Ergebnisse knnten angesichts der schnell wachsenden Tourismuswirtschaft in Uttarakhand als wertvolle Handlungsempfehlungen fr zuknftige Tourismusprojekte in peripheren Gebirgsregionen dienen.

3 Fallbeispiel: Auswirkungen der Tourismusinitiative auf die livelihoods-Strategien in Sarmoli und JaitiIn den folgenden Abstzen werde ich die Auswirkungen untersuchen, die das Sarmoli-Jaiti Van Panchayat Community Based Nature Tourism Programme fr die Gemeinschaften von Sarmoli und Jaiti mit sich bringt. Dabei knnen mit dem SL-Ansatz die Wirkungen von Tourismus im Sinne von: Auswirkungen auf die Strategien und Aktivitten der Akteure oder Haushalte, Auswirkungen auf die handlungsermglichenden Schlsselressourcen, Beitrge zu einer Vielzahl an Haushaltszielen und vernderte Mglichkeiten zur Einflussnahme auf externe Strukturen und Prozesse, sowie die Fhigkeit auf den Vulnerabilittskontext einzuwirken um Schocks auszugleichen untersucht werden (Ashley 2000). Dadurch wird eine Analyse der livelihoods-Strategie Tourismus mglich, die den bisherigen Horizont von Kosten und Nutzen wie zum Beispiel Profite und geschaffene Arbeitspltze um viele indirekte, positive und negative Auswirkungen erweitert (Ashley 2000). Um in den kommenden Abstzen den Bezug zu dem SL-Ansatz zu verdeutlichen, werden die entsprechenden Begriffe an passender Stelle in Klammern aufgefhrt. 31

3.1 Grundlegende lokale Rahmenbedingungen und Entstehung der TourismusinitiativeBevor einige livelihoods-Aspekte in Verbindung mit dem Tourismusprojekt verdeutlicht werden soll in den kommenden Abstzen auf grundlegende Rahmenbedingungen (vgl. Exkurs: 2) eingegangen werden. Diese formen den lokalen Kontext fr die Tourismusinitiative. In einer vollstndigen sustainable livelihoods-Analyse sind diese Rahmenbedingungen Teile des Vulnerabilittskontext und der transformierenden Strukturen und Prozesse und somit wesentlicher Teil des SL-Ansatzes (vgl. S. 29, Abbildung 2). Dieser Aspekt bleibt aber in dieser theoriegeleiteten Arbeit unbercksichtigt, da der Fokus hier auf den Einfluss von Tourismus auf die Strategien und handlungsermglichenden Schlsselressourcen der Bewohner von Sarmoli und Jaiti liegt. Naturrumliche und soziokonomische Rahmenbedingungen Das Sarmoli-Jaiti Van Panchayat Community Based Nature Tourism Programme liegt im Gori Ganga-Tal des stlichen Kumaon (vgl. Abbildung 3), einer von zwei Verwaltungseinheiten des indischen Bundesstaats Uttarakhand. Administrativ zum Pithoragarh-Distrikt im uersten Nordosten Uttarakhands gehrend, ist das Gori-Tal als periphere Region zu bezeichnen (Nsser 2006). Erst in den 1970er Jahren erfolgte eine moderne Verkehrsanbindung an den schnell wachsenden Basar Munsiari, in dessen unmittelbarer Nhe Sarmoli und Jaiti liegen. Kumaon erstreckt sich von der nrdlichen Ganges-Ebene ausgehend ber vier Landschaftszonen 180km bis in den Tibetischen Himalaya. Kumaon umfasst somit den unmittelbar westlich an Nepal und sdlich an Tibet grenzenden Abschnitt des zentralen Himalaya und dessen Vorland. Vergletscherte Gebirgsmassive zwischen 6000m und ber 7000m hoch kennzeichnen das Landschaftsbild. Die Region liegt zwischen dem Nanda Devi Biospheren Reservat und dem Askot Musk Deer Sanctuary und zeichnet sich durch hohe Biodiversitt aus (Virdi & Theophilus 2005). Uttarakhand ist einer von fnf Staaten in Indien die zu ''UNESCOs World Heritage Biodiversity Sites'' erklrt wurden (Ministry of Commerce and Industry et al.) und das Biodiversity Conservation Prioritization Project (BCPP) der WWF-Indien hat im Gori Ganga-Tal zwei der 10 wertvollsten Gebiete fr Biodiversitt des westlichen Himalaya identifiziert (Virdi & Theophilus 2005, S. 199). Das meteorologische Amt Indiens teilt das Klima in vier Jahreszeiten auf: Die kalte Saison von Dezember bis Februar, die warme Saison von Mrz bis Mitte Juni, die Regenzeit von Mitte Juni bis September und die Saison zur Zeit des zurckweichenden Monsun (Joshi et al. 1995). Das Gori-Tal bildet einen traditionellen Siedlungsraum der als scheduled tribes ausgewiesenen autochthonen Bevlkerungsgruppe der Bhotiyas (Nsser 2006). Im Subdistrikt Munsiari leben 46546 Menschen und die Bhotiyas stellen 16% der Bevlkerung, dominieren aber in den Drfern Sarmoli und Jaiti. Sarmoli und Jaiti stellen zusammen 280 Haushalte mit insgesamt 1291 Personen 32

Abbildung 3: Tal des Gori Ganga im nrdlichen Kumaon

Quelle: (Nsser 2006, S. 17) (625 Mnner und 666 Frauen) (Census 2001). Die Drfer und deren Gemeindewald liegen in steiler Hanglage und verteilen sich auf 2286m bis 3718m Hhe. Vor dem Indisch-Chinesischen 33

Grenzkrieg 1962 verknpften die Bhotiyas den Anbau von Feldfrchten mit mobiler Tierhaltung in einem mehrgliedrigen Staffelsystem. Diese Tierhaltung war eng an einen florierenden Tauschhandel (Agrarprodukte und Kleidung aus dem Tiefland gegen Salz, Wolle, Felle, Ziegen und Yaks aus Tibet) mit tibetischen Hndlern und Nomaden gekoppelt (Nsser 2006). Noch heute zeugen Gebrauchsgegenstnde und Schmuck von diesem Handel, welcher aber 1962 durch die Grenzschlieung vollstndig zum erliegen kam. Die Grenzschlieung hatte weitreichende Auswirkungen auf die livelihoods dieser Region, da mit dem Tauschhandel die Haupteinnahmequelle ausfiel. Zudem setzte ab den 1950er Jahren durch Landreformen eine verstrkte Sehaftwerdung der Bhotiyas ein. Munsiari Basar erlebte so einen Funktionswandel und entwickelte sich von einer Etappenstation und Wintersiedlung zum heutigen Zentrum der Talschaft. Mit einem Krankenhaus, Schulen und einen Gymnasium, Einkaufs- und Handelsmglichkeiten, einigen Regierungsbros, sowie seit den 1970er Jahren mit einer Verkehrsanbindung und ffentlichen Verkehrsmitteln erlebt Munsiari ein hohes Bevlkerungswachstum. Munsiari-Basar umfasst 2004 ca. 2700 Menschen (Virdi & Theophilus 2005). In der Region dominiert die Subsistenzlandwirtschaft. Die Landwirtschaft ist aber trotz Doppelernten zunehmend unrentabel und eignet sich immer weniger als sustainable livelihood und zwingt die Menschen dadurch zur Migration (Sati 2005). Die zurckbleibenden Frauen stehen so einen kaum zu bewltigenden Arbeitspensum gegenber (Mukherjee 2003). Zudem steht einer steigenden Bevlkerung in Uttarakhand eine sinkende kultivierbare Flche pro Kopf zu Verfgung (Agrawal et al. June 1, 2003). Der Census 2001 gibt nur Teppiche als wichtigstes produziertes, nicht landwirtschaftliches Gut der Drfer Sarmoli und Jaiti an. Die Mnner gehen unterschiedlichen Erwerbsttigkeiten nach. Dazu gehren Ladenbesitzer, Lkw- und Taxifahrer, Beamte, Militr etc. Auch Tourismus spielt eine zunehmende Rolle fr Munsiari.

Exkurs 2: Tourismusrelevante Rahmenbedingungen fr MunsiariKumaon ist touristisch weniger erschlossen als Garhwal, da alle wichtigen Pilgerrouten in Garhwal liegen. Auch fr Abenteuersportarten wie Wildwasserfahrten und Trekking ist Garhwal unter einheimischen Touristen bekannter. Kumaons Image ist dafr etwas diffuser (Pannell Kerr Forster Consultants Pvt Ltd Oktober 2003): Diese Region wird fr seine hhere Abgeschiedenheit, Walddichte, vielen Seen, Gletschern und dem Nanda Devi Biospheren Reservat geschtzt. Tourismus ist von wachsender Bedeutung in Munsiari. Zwischen April 2005 und Mrz 2006 verbrachten 2148/14 inlndische/auslndische Gste 3330/16 Nchte in Munsiari. Die Tagesausflgler hinzugerechnet, berschreiten die 4645 Touristen bei weiten die 2700 Menschen von Munsiari Basar und den umliegenden Drfern (Pannell Kerr Forster Consultants Pvt Ltd Oktober 2003). Das Sarmoli-Jaiti Van Panchayat Community Based Nature Tourism Programme kann somit von einer gut etabl