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Bachelorarbeit Josia Tiedtke Postkoloniale Perspektiven auf die deutschen Freiwilligendienste in Namibia Eine rassismuskritische Analyse von Rundbriefen und Blogeinträgen deutscher Freiwilliger Wintersemester 2015/16 Abgabetermin: 26.02.2016 Referentin: Prof. Dr. A. Caspari Korreferent: U. Bredow

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BachelorarbeitJosia Tiedtke

Postkoloniale Perspektiven auf diedeutschen Freiwilligendienste in Namibia

Eine rassismuskritische Analyse vonRundbriefen und Blogeinträgen deutscher Freiwilliger

Wintersemester 2015/16Abgabetermin: 26.02.2016

Referentin: Prof. Dr. A. CaspariKorreferent: U. Bredow

Page 2: Bachelorarbeit...Bachelorarbeit Josia Tiedtke Postkoloniale Perspektiven auf die deutschen Freiwilligendienste in Namibia Eine rassismuskritische Analyse von Rundbriefen und

Danksagung

An erster Stelle möchte ich meiner wundervollen Frau Anna danken. Danke für Deine Geduld

und Dein Verständnis, wenn ich mich mal wieder tagelang in die Nationalbibliothek zurück-

gezogen habe, oder in so manchen Gesprächen gedanklich ganz woanders war! Danke auch

für die regelmäßigen Ermutigungen und die Korrekturlese!

Ein besonderer Dank gilt ebenso meinen Eltern, die mich bei meinem Wunsch ein Studium

der Sozialen Arbeit im zweiten Bildungsgang aufzunehmen unterstützt haben. Zudem schätze

ich ihre kritischen Rückmeldungen während meines Freiwilligendienstes in Sierra Leone. Sie

bezeichneten meine damalige Arbeitshaltung und Selbstpositionierung als Herrenmenschen-

tum und gaben mir so eine erste postkoloniale Perspektive auf meinen eigenen Freiwilligen-

dienst. Das hat damals ein Umdenken in mir ausgelöst und zur Themenwahl der vorliegenden

Arbeit beigetragen.

Ferner möchte ich die Gelegenheit nutzen mich bei allen Rundbriefschreiber_innen und

Blogger_innen zu bedanken, die ihre privaten Schreiben zur Verfügung gestellt haben. Mit

der Bereitschaft, ihre Berichte einer rassismuskritischen Analyse unterziehen zu lassen, haben

sie viel Mut bewiesen.

Zu guter Letzt danke ich außerdem Alexandra Caspari und Udo Bredow, die meine Bache-

lorarbeit betreut haben. Vielen Dank für das rege Feedback und den gewinnbringenden Aus-

tausch bei den gemeinsamen Arbeitstreffen!

I

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Vorbemerkungen

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit einer rassismus- und kolonialkritischen Analyse

von Rundbriefen und Blogeinträgen deutscher Freiwilliger. Dabei sollen insbesondere die Zu-

sammenhänge zwischen Sprache und (postkolonialer) Macht herausgestellt werden. Auch die

folgende Arbeit ist von dieser Thematik betroffen. So wird an einigen Stellen, etwa durch die

Rekonstruktion des kolonialen Diskurses oder das ausführliche Zitieren der Rundbriefe und

Blogeinträge, Rassismus und koloniales Gedankengut reproduziert. Dies ist zunächst unab-

dingbar um eine Analyse des Materials vornehmen zu können. Um sich dennoch inhaltlich

von (Kolonial-)Rassismus und Eurozentrismus zu distanzieren, werden in der vorliegenden

Arbeit verschiedene alternative Schreibweisen und Begriffe verwendet. Ferner wird auf einen

gendersensiblen Sprachgebrauch geachtet. Im Folgenden wird die Auswahl jener Schreibwei-

sen und Begriffe erläutert, damit sich das Lesen der Arbeit erleichtert bzw. verständlicher ge-

staltet. Der Begriff Rassismus wird dabei in Abgrenzung zur landläufigen Meinung nicht als

Abneigung oder Böswilligkeit gegenüber bestimmten Menschengruppen definiert, sondern

beschreibt vielmehr ein gesellschaftliches System, in dem soziale, wirtschaftliche, politische

und kulturelle Beziehungen für das Fortbestehen der Weißen Alleinherrschaft wirken. Es han-

delt sich demnach also nicht etwa um persönliche oder politische Einstellungen, hingegen um

ein globales Gruppenprivileg, das Weiße Menschen und ihre Interessen konsequent bevor-

zugt. Sobald das Verhalten eines Individuums diese Privilegien verstärkt oder reproduziert

kann unabhängig von der subjektiven Intention folglich von einer Teilhabe an Rassismus ge-

sprochen werden (vgl. Arndt; Ofuatey-Alazard 2011: 37).

Um sich von älteren und eurozentrischen bzw. hierarchisierenden Bezeichnungen wie bspw.

'Erste' und 'Dritte Welt' bzw. 'Industriestaat' und 'Entwicklungsland' abzugrenzen, werden in

dieser Arbeit stattdessen die Begriffspaare Globaler Süden und Globaler Norden verwendet.

Der Begriff Globaler Süden wird dabei als „eine im globalen System benachteiligte gesell-

schaftliche, politische und ökonomische Position“ (Glokal e.V. 2013: 8) verstanden und um-

fasst jene Länder, die gemäß des Ausschusses für Entwicklungshilfe (DAC) der Organisation

für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) „official development assistan-

ce“ bedürfen. Demzufolge gehören Namibia und 145 weitere Länder in Afrika, Asien, Latein-

amerika und Osteuropa dem Globalen Süden an (vgl. OECD 2014). Der Globale Norden hin-

gegen ist synonym mit der sogenannten 'G20', den zwanzig bedeutendsten Industrie- und

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Schwellenländern (vgl. Bundesregierung 2014). Diese Gruppe, der auch die Bundesrepublik

Deutschland angehört, profitiert aus der defizitären Stellung des Globalen Südens und verkör-

pert eine mit Vorteilen bedachte Position (vgl. Glokal e.V. 2013: 8). Obgleich diese alternati-

ven Bezeichnungen ebenso homogenisierend wirken wie ihre Vorgänger, handelt es sich da-

bei um die derzeit üblichen Gegenentwürfe (vgl. Kontzi 2015: 17).

Ferner werden rassistische Begriffe, die in der Kolonialzeit entstanden sind oder durch sie ge-

prägt und abwertend umgedeutet wurden, im Folgenden in Anführungszeichen gesetzt. Die-

sen Begriffen liegt eine 'rassen'- und 'kultur'theoretische Semantik zugrunde und sie reprodu-

zieren somit rassistische Stereotype (vgl. Čupić; Fischer 2015: 7). Begriffe wie 'Eingebo-

rene_r', 'Ureinwohner_in', 'Stamm' (in Bezug auf Völker), 'Häuptling', 'Dschungel', 'Busch',

'Buschmänner', 'Naturreligion', 'Exotik', 'Zivilisation', 'Entwicklung' ebenso wie 'Rasse' und

'Neger' werden daher durch Anführungszeichen markiert. Zudem werden die Adjektive Weiß

und Schwarz, sobald sie sich auf Menschen beziehen, groß geschrieben, um den konstrukti-

vistischen Mechanismus, der hinter diesen Bezeichnungen steht, hervorzuheben (vgl. Kontzi

2015: 17).

Abschließend bleibt zu bemerken, dass in der vorliegenden Arbeit Gebrauch vom Gen-

der_Gap gemacht wird um bei der Bezeichnung von Menschen auch jene sozialen Geschlech-

ter und Geschlechtsidentitäten miteinzubeziehen, die in der herkömmlichen zweigeschlechtli-

chen Schreibweise keinen Platz finden.

III

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Inhaltsverzeichnis

Danksagung.................................................................................................................................I

Vorbemerkungen........................................................................................................................II

1. Reise und 'Rasse'.....................................................................................................................1

2. Postkoloniale Theorie.............................................................................................................4

2.1 Hauptpositionen postkolonialer Theorie – Die Ansätze von Said, Spivak und Bhabha. .7

2.2 Kontinuitäten zwischen dem Kolonial- und Entwicklungsdiskurs................................12

2.3 Postkoloniale Studien über westliche Freiwilligendienste im Globalen Süden.............15

3. Untersuchungsfeld und Methodologie..................................................................................17

3.1 Die Landschaft deutscher Auslandsfreiwilligendienste.................................................17

3.2 Die koloniale Vergangenheit Namibias.........................................................................19

3.3 Auswahl der Materialien und Bestimmung der Methode..............................................21

4. Diskursanalyse......................................................................................................................23

4.1 Analyse der Materialien.................................................................................................23

4.2 Zusammenfassende Bewertung......................................................................................33

5. Der Weg zu einem weltbürgerlichen Freiwilligendienst......................................................34

I Literaturverzeichnis................................................................................................................38

II Rundbriefe und Blogeinträge................................................................................................45

a) G-FD Teilnehmende (GF1-GF7).....................................................................................45

b) P-FD Teilnehmende (PF1-PF3).......................................................................................69

IV

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1. Reise und 'Rasse'

Bereits der bedeutende Philosoph Immanuel Kant setzte in seinen rassentheoretischen Werken

und Vorträgen die Begriffe Reise und 'Rasse' miteinander in Verbindung. Denn obgleich er

Königsberg Zeit seines Lebens kaum verlassen hat, führte er basierend auf verschiedenen For-

schungsreiseberichten1 das Konzept der 'Rasse' in den deutschsprachigen Raum überhaupt erst

ein (vgl. Steyerl 2002: 29). Ohne Amerika oder Afrika je bereist zu haben kam er so zu fol-

gendem (Fehl-)Schluss:

„In den heißen Ländern reift der Mensch in allen Stücken früher, erreicht aber nicht

die Vollkommenheit der temperierten Zonen. Die Menschheit ist in ihrer größten Voll-

kommenheit wohl in der Race der Weißen. Die gelben Indianer haben schon ein gerin-

geres Talent. Die Neger sind weit tiefer, und am tiefsten steht ein Theil der amerikani-

schen Völkerschaften“ (Kant 1802: 316).

Diese Äußerung illustriert wie Rassismus aus Reiseberichten generiert werden kann und zeigt

gleichzeitig auf, dass den Erzählungen von Reisenden eine große Bedeutung in ihren Her-

kunftsländern beigemessen wird. Schnell wird den Berichtenden ein Expert_innenstatus über

die betreffenden Länder verliehen. Das vermeintliche 'Wissen' dieser 'Expert_innen' ist daher

keine neutrale Kategorie, sondern stellt ein indirektes Machtinstrument dar. Durch die schein-

bar zuverlässigen Informationen der Reisenden können (rassistische) Konstruktionen weiter

gefestigt und legitimiert werden (vgl. Horstmann 2009: 8). Eine Untersuchung der Schreiben

lässt daher nicht nur Rückschlüsse auf die Selbst- und Fremdbilder der Verfasser_innen zu,

sondern bietet ebenso Möglichkeiten die Zusammenhänge zwischen Sprache und Macht zu

analysieren. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich dahingehend mit einer rassismuskriti-

schen Analyse von Reiseberichten (hier: Rundbriefe und Blogeinträge) deutscher Freiwilli-

gendienstleistender in Namibia. Ihre Reiseberichte können das Afrikabild der Lesenden nach-

haltig prägen. Als vermeintliche 'Expert_innen' besitzen sie die Macht und Autorität diskursi-

ves 'Wissen' zu zementieren, bzw. neue 'Wahrheiten' über die 'Anderen' zu konstruieren (vgl.

ebd.: 13).

1 Ab Mitte des 19. Jahrhundert veranstalteten einige deutsche Organisationen, wie etwa die „Gesellschaft fürErdkunde zu Berlin“ oder die „Deutsche Gesellschaft zur Erforschung des äquatorialen Afrika“ sogenannteForschungsreisen um geographischen Interessen zur Erforschung des Kontinents nachzukommen (vgl. Horst-mann 2009: 4).

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Das Interesse junger Deutscher an sogenannten Auslandsfreiwilligendiensten ist sehr groß

und wächst stetig. Alleine im Jahr 2014 entschlossen sich 7.270 Freiwillige in etwa 131 ver-

schiedene Nationen zu reisen um dort lokale Projekte zu unterstützen (vgl. AKLHÜ 2015:

25ff.). Etwa 76% dieser Freiwilligen wählten ein Zielland im Globalen Süden (vgl. AKLHÜ

2014: 20). Vor allem der entwicklungspolitische Freiwilligendienst 'weltwärts' – ein renom-

miertes Förderprogramm des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und

Entwicklung (BMZ) – bietet entsprechende Programme an. So sind bspw. annähernd 70% der

in Afrika tätigen deutschen Freiwilligen Teil des weltwärts-Programms (vgl. AKLHÜ 2015:

22ff.). Ähnlich wie andere internationale Dienste verspricht auch dieser seinen Bewerber_in-

nen Menschen aus anderen Kulturen auf Augenhöhe zu begegnen und zu lernen wie man sich

für eine gerechtere und zukunftsfähige Welt einsetzten kann (vgl. weltwärts o.J.(a)). Welt-

wärts versteht sich dabei als globaler Lerndienst, der für eine Wertschätzung der Vielfalt von

Leben und 'Entwicklung' wirbt (vgl. Scheller; Stern 2012: 7). Der Lernerfolg soll durch Vor-

und Nachbereitungskurse sowie eine pädagogische Begleitung während des Auslandseinsat-

zes gewährleistet werden. Insbesondere die Begleitung der Freiwilligen stellt dabei ein Tätig-

keitsfeld der Sozialen Arbeit dar. Staatlich geregelte Freiwilligendienste wie etwa weltwärts

haben die Vorbereitung und Begleitung der Freiwilligen bereits fest in ihre Richtlinien inte-

griert und setzen 25 verpflichtende Seminartage voraus (vgl. weltwärts 2007: 12). Aber auch

die privatrechtlich geregelten Dienste bieten durchschnittlich zehn Tage Vorbereitung und

etwa sieben Tage pädagogische Begleitung an (vgl. AKLHÜ 2015: 20). Die Ergebnisse einer

Freiwilligenbefragung des weltwärts-Rückkehrjahrgangs 2013 scheinen den Lernerfolg der

Bemühungen zu bestätigen. In der Befragung schreibt die überwiegende Mehrheit der Frei-

willigen (94%) ihrem Dienst einen (sehr) positiven Einfluss auf ihre Offenheit gegenüber an-

deren Kulturen und Menschen zu (vgl. uzbonn 2014: 12). Ebenso sei ihre Motivation soziale

und gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen (87%), ihr Verständnis globaler Zusam-

menhänge (91%), sowie ihr Interesse an entwicklungspolitischen Fragen (90%) durch ihre

Teilnahme maßgeblich gesteigert worden (vgl. ebd.). Dirk Niebel, ehemaliger Bundesminister

für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, bezeichnete weltwärts folgerichtig als

erfolgreich. Das Programm habe einen Beitrag für eine Welt frei von Not, Hunger und Armut

geleistet (vgl. Scheller; Stern 2012: III).

Doch schneiden deutsche Freiwilligendienste auch aus Sicht ihrer Partnerländer im Globalen

Süden so positiv ab? Oder könnte es sein, dass ausgerechnet Freiwillige, die sich für eine ge-

rechtere Welt einsetzen wollen, aufgrund ihrer von kolonialen Diskursen geprägten Denk-

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und Wahrnehmungsmuster, (unbewusst) zur Verfestigung der Machtasymmetrien zwischen

Nord und Süd beitragen? Im Hinblick auf die Kolonialgeschichte und die damit einhergehen-

den (post-)kolonialen Legitimierungsdiskurse ist anzunehmen, dass sich deutsche Freiwillige

nicht unvoreingenommen auf den Weg in die ehemaligen Kolonien begeben. Ihre Selbst- und

Fremdbilder sind von kolonialen und rassistischen Diskursen beeinflusst und erschweren eine

Begegnung auf Augenhöhe. Sie kommen aus einer Gesellschaft, die durch Rassismus struktu-

riert ist und verfügen aufgrund der postkolonialen Weltordnung über rassistische Privilegien,

auch wenn sie diese oft nicht wahrnehmen (vgl. Goel 2011: 27). Darüber hinaus ist zu vermu-

ten, dass der starke Kontrast, zwischen den mehrheitlich Weißen Freiwilligen, die über ein

hohes Bildungsniveau, Mobilität im globalen Raum2 und eine verhältnismäßig wohlhabende

Herkunft verfügen, und den Zielgruppen vor Ort, die typischerweise zu den Marginalisiertes-

ten der jeweiligen Gesellschaften gehören, einen erheblichen Einfluss darauf hat, wie Freiwil-

lige in den Projekten wahrgenommen werden (vgl. Walther 2013: 33ff.). Es stellt sich daher

die Frage, ob internationale Dienste rassismus- und privilegienkritisch ausgerichtet sind und

ob Themen wie (Post-)Kolonialismus und 'Critical Whiteness' Bestandteil der Vor- und Nach-

bereitungskurse sind. Mit der Behandlung dieser Fragen soll ein Perspektivenwechsel und

eine Kritik dominanter (Weißer) europäischer Wahrnehmungen vom Globalen Süden vorge-

nommen werden.

Damit schließt die vorliegende Arbeit an eine Reihe postkolonialer Studien an, die sich be-

reits mit ähnlichen Fragestellungen beschäftigt haben. In jenen Arbeiten wurden westlichen

Freiwilligendiensten eine (Re-)Produktion von kolonialem 'Wissen' nachgewiesen. Im

deutschsprachigen Raum sei hier besonders Buckendahl (2012) erwähnt, der qualitative Inter-

views mit tansanischen Partnerorganisationen von weltwärts durchgeführt hat, sowie Kontzi

(2015), die mit Hilfe einer Diskursanalyse die Internetpräsenz von weltwärts untersucht hat.

Weiterhin sind eine Reihe theoretischer Arbeiten veröffentlicht worden, die postkoloniale Per-

spektiven auf deutsche Freiwilligendienste werfen (u.a. Haas 2012; Glokal e.V. 2013).

Die vorliegende Arbeit wird am Beispiel des Partnerlandes Namibia mit Hilfe von Perspek-

tiven, Theorien und Methoden der Postkolonialen Theorie untersuchen, wie deutsche Freiwil-

lige in ihren Rundbriefen und Blogeinträgen kolonial(-rassistische) Stereotype reproduzieren

und die bis heute wirksamen Herrschaftsstrukturen zementieren. Wirken deutsche Freiwilli-

gendienste möglicherweise eher kontraproduktiv auf den 'Fortschritt' der Partnerländer?

2 Der polnisch-britische Soziologe und Philosoph Zygmunt Bauman spricht von einer 'Stratifizierung der Mo-bilität im globalen Raum'. Diese sei Ausdruck der Polarisierung der Weltbevölkerung in globalisierte Reicheund lokalisierte Arme (vgl. Steyerl 2002: 41). Der deutsche Freiwilligendienst ermöglicht in diesem Sinneeine Begegnung von Globalisierungsgewinnern und Globalisierungsverlierern.

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2. Postkoloniale Theorie

Das folgende Kapitel veranschaulicht den Forschungsbereich, dem jene Studien und damit

auch diese Arbeit zugeordnet werden können. Nach einer Einführung in Postkoloniale Theo-

rie, wird ein für die vorliegende Arbeit entscheidender Diskursstrang behandelt, der sich mit

den Kontinuitäten zwischen dem kolonialen und entwicklungspolitischen Diskurs beschäftigt.

Die Inhalte dieses Theoriekapitels bieten die Grundlage der später folgenden Analyse.

Postkoloniale Theorie bezeichnet eine Forschungsrichtung, die sich kritisch mit historischen

und gegenwärtigen Machtverhältnissen beschäftigt, die im europäischen Kolonialismus ent-

standen sind und bis heute fortwirken (vgl. Heinze 2015). Um den Terminus 'postkolonial'

bzw. 'Postkolonialismus' einordnen zu können, ist es sinnvoll das Begriffspaar zu separieren.

Der Begriff Kolonialismus bezeichnet bekannterweise die von Europa ausgehende Inbesitz-

nahme auswärtiger Territorien ab dem 16. Jahrhundert, die darauf abzielte den europäischen

Nationalstaaten Vorteile für ihre Ökonomien zu verschaffen. Legitimiert über 'Rasse'- und

'Kultur'-Diskurse und basierend auf „physischer, militärischer, epistemologischer und ideolo-

gischer Gewalt“ umfasste das europäische Kolonialreich mehr als drei Viertel der Erde (vgl.

Castro Varele; Dhawan 2015: 27). Besonders Großbritannien kolonisierte in dieser Zeit weite

Teile des amerikanischen, afrikanischen und asiatischen Kontinents. Aber auch Deutschland

verfügte territorial gesehen zeitweise über das drittgrößte und an der Bevölkerungszahl ge-

messen fünftgrößte Kolonialreich. Die heutigen Staaten Namibia, Tansania, Togo, Kamerun,

Nigeria, Ghana, Ruanda, Burundi, Papua-Neuguinea, die Republik der Marshall-Inseln, die

Republik Nauru, die nördlichen Marianeninseln, Palau, die Föderierten Staaten von Mikrone-

sien und West-Samoa standen vollständig oder teilweise unter deutscher Kolonialherrschaft

(vgl. Arndt; Ofuatey-Alazard 2011: 116). Das Präfix „post“ verweist bei der Begrifflichkeit

des Postkolonialismus auf den historischen Prozess nach dem Zweiten Weltkrieg, in dem ehe-

malige Kolonien die politische Unabhängigkeit von ihren ehemaligen Kolonisator_innen er-

langten (vgl. Aydin 2003: 18). Postkoloniale Theoretiker_innen stellen allerdings in gewisser

Weise genau diese Unabhängigkeit in Frage und zeigen auf wie hartnäckig sich koloniale

Weltbilder und koloniale Machtverhältnisse gehalten haben. Mit Praktiken wie der „Verande-

rung“3 (Othering) werden nichtwestliche Gesellschaften auch nach dem offiziellen Ende des

3 Die 'Veranderung' wird als wichtiger Mechanismus von Rassismus und als Kerngedanke des Kolonialismus verstanden. Bei der Veranderung werden andere Menschen auf bestimmte (i.d.R. defizitäre) Merkmale und Eigenschaften reduziert und als Teil einer (scheinbar) homogenen Gruppe, die diese Eigenschaften teilt, gesehen. Auf diese Weise wird das eigene Selbst in Abgrenzung zum 'Anderen' definiert und positiv aufgewertet (vgl. Glokal e.V. 2013: 14).

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Kolonialismus weiterhin als 'unterentwickelt' und defektiv dargestellt. Diese Nachwirkungen

prägen unsere heutige Außenpolitik, Entwicklungszusammenarbeit (EZ) sowie unser euro-a-

merikanisches Selbstverständnis (vgl. Fischer-Tiné 2010). Kolonialismus kann, so die Postko-

loniale Theorie, daher nicht als abgeschlossene historische Episode behandelt werden. Der

prominente Literaturwissenschaftler Bhabha stellt fest, dass es keinen Bruch zwischen kolo-

nialer und nachkolonialer Ära gibt und Kolonialismus nicht in der Vergangenheit feststecke.

Vielmehr lasse sich eine Kontinuität bestimmen. Der Postkolonialismus beschreibt demnach

nicht eine Zeit nach dem Kolonialismus, sondern stattdessen eine voranschreitende koloniale

Gegenwart (vgl. Harding; Parsons 2011: 4).

Die Forschungsrichtung der Postkolonialen Theorie nahm vor etwa vier Jahrzehnten in den

USA ihren Anfang. Dabei wird die vielbeachtete Studie „Orientalism“ des Literaturwissen-

schaftlers Edward Said allgemein als Gründungsdokument angesehen. Zusammen mit Gayatri

Spivak und Homi K. Bhabha gehört Said heute zu den ältesten und gleichzeitig prominentes-

ten und meist rezipierten Theoretiker_innen des Postkolonialismus. Mit eben diesen drei Be-

gründern war Postkoloniale Theorie ursprünglich ausschließlich in den Literatur- und Kultur-

wissenschaften verortet. Mittlerweile hat sich die Forschungsrichtung in viele weitere Diszi-

plinen, wie etwa den Geschichts-, Sozial- und Regionalwissenschaften, ausgeweitet und ist so

zu einem interdisziplinären Forschungsbereich avanciert (vgl. Fischer-Tiné 2010).

Ebenso konnte sich Postkoloniale Theorie auch international durchsetzen. Wie bereits kon-

statiert beschränkte sich die Forschung zunächst ausschließlich auf den US-amerikanischen

Raum. Erst mit etwas Verzögerung erreichte die Forschungsrichtung den europäischen Konti-

nent. Besonders die ehemaligen Kolonialmächte Großbritannien, Frankreich und die Nieder-

lande beschäftigten sich dabei mit ihrer jüngeren Geschichte.

In den 1990er Jahren entwickelte sich schließlich eine globale Diskussion und auch im

deutschsprachigen Raum wurde begonnen sich mit postkolonialen Forschungsfragen zu be-

schäftigen. Auch wenn der sogenannte wilhelminische Kolonialismus relativ kurzlebig (ca.

1884-1919) und geographisch verhältnismäßig überschaubar war, messen ihm deutsche Ver-

treter_innen der Postkolonialen Theorie eine große Bedeutung für den weiteren Verlauf der

deutschen Geschichte bei. Insbesondere das heutige Namibia wird dabei zum zentralen

Schauplatz der Forschung. In zahlreichen Arbeiten wurde der Frage nachgegangen, ob es

möglicherweise Kontinuitäten zwischen dem Genozid an den Herero und dem Genozid an

den europäischen Juden gibt (vgl. Fischer-Tiné 2010, Čupić; Fischer 2015).

Die eingangs erwähnte anfänglich eher geringe Beteiligung deutscher Wissenschaftler_in-

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Page 11: Bachelorarbeit...Bachelorarbeit Josia Tiedtke Postkoloniale Perspektiven auf die deutschen Freiwilligendienste in Namibia Eine rassismuskritische Analyse von Rundbriefen und

nen an der Diskussion könnte an der relativ kleinen Rolle Deutschlands im europäischen Ko-

lonialismus liegen. Andere Erklärungsansätze besagen, dass dies damit zusammenhänge, dass

die eigene Beteiligung am Kolonialismus im kollektiven Gedächtnis der Deutschen weder

verankert noch aufgearbeitet sei, da die Aufarbeitung des Nationalsozialismus das Gedenken

an den Kolonialismus verdrängt habe (vgl. Melber 1992: 44). Doch selbst aus Kreisen des

Postkolonialismus wurde sich anfangs gegen eine spezifisch deutsche postkoloniale For-

schung ausgesprochen. Deutschland ist, so führt Said in „Orientalism“ aus, schließlich nie

eine imperiale Pioniermacht gewesen und daher in Hinblick auf die anglo-französisch-ameri-

kanische Erfahrung des Orients nachrangig (vgl. Said 1978: 16ff.). Entgegen dieser Auffas-

sung stellt Spivak fest, dass im 19. Jahrhundert insbesondere deutsche Philosophen wie Kant,

Hegel oder Marx in ihren Schriften eine „europäische ethnisch-politische Selbstrepräsentati-

on“ des Okzidents produzierten. Eben diese philosophischen Autoritäten seien in jener Zeit

kulturell und intellektuell gesehen die Hauptquellen orientalischer Gelehrsamkeit gewesen

(vgl. Castro Varele; Dhawan 2015: 11).

Die zahlreichen Arbeiten im Bereich der Postkolonialen Theorie, die in den letzten Jahrzehn-

ten erschienen sind, haben aufgezeigt, dass die gegenwärtigen Beziehungen zwischen Globa-

lem Norden und Süden von Denkmustern und Herrschaftsstrukturen geprägt sind, deren Wur-

zeln sich bis in die Kolonialzeit zurückverfolgen lassen. Verschiedene wissenschaftliche Dis-

ziplinen haben gemeinsam Perspektiven, Theorien und Methoden erarbeitet, um diese Zusam-

menhänge aufzuzeigen und eine Dekonstruktion bzw. endgültige Dekolonialisierung zu for-

dern (vgl. Heinze 2015). Mit dem Ziel Widerstand gegen Kolonialismus, kolonialistische

Ideologien und ihre Hinterlassenschaften zu leisten (vgl. Castro Varele; Dhawan 2015: 17),

beschäftigen sich postkoloniale Perspektiven dabei insbesondere mit dem diskursiven Kräfte-

feld, das der Kolonialismus hinterlassen hat. Dieses Kräftefeld wird im Sinne Foucaults von

Wissen und Macht gestaltet und über Diskurse bestimmt (vgl. Danielzik 2013: 27; Kontzi

2015: 43ff.). Nach Foucault geben Diskurse ein Wissen über die Beschaffenheit der Welt vor.

Sie bestimmen wie über die Welt gesprochen werden kann, wie mit einem Land umgegangen

wird und schließlich auch wie sich das betreffende Land selbst positioniert (vgl. Scholtes

2011: 2). Diskurse enthalten somit zweifelsohne Macht und Machtverhältnisse, da jenes pro-

duzierte Wissen zur allgemeingültigen Wahrheit wird, gleichzeitig aber nicht von allen

gleichberechtigt hervorgebracht werden kann (vgl. Danielzik 2013: 26). In diesem Zusam-

menhang wird daher auch die Terminologie 'epistemische Gewalt', die das Verhältnis zwi-

schen Wissen und Macht beschreibt, verwendet. Sie bestimmt über „Erkenntnisverfahren und

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Page 12: Bachelorarbeit...Bachelorarbeit Josia Tiedtke Postkoloniale Perspektiven auf die deutschen Freiwilligendienste in Namibia Eine rassismuskritische Analyse von Rundbriefen und

-wirkungen (…), die in einem bestimmten Moment und in einem bestimmten Gebiet akzepta-

bel sind“ (Foucault 1992: 32). Postkoloniale Denker_innen hinterfragen und kritisieren diese

diskursbedingte Produktion von Wissen über die 'Anderen' und die damit einhergehende Re-

produktion kolonialer Machtasymmetrien. Sie zeigen alternative Deutungsmuster auf, indem

sie herausarbeiten, dass die Welt eben nicht eurozentrisch ist, sonder lediglich innerhalb des

kolonialen Diskurses so gesehen und beschrieben wird. Sie fordern eine Dekonstruktion der

europäischen Entwicklungsimperative. Der Westen müsse als Norm dezentralisiert und domi-

nantes Wissen verlernt werden (vgl. Danielzik 2013: 26).

2.1 Hauptpositionen postkolonialer Theorie – Die Ansätze von Said,

Spivak und Bhabha

Um einen grundlegenden Überblick über die aktuellen Hauptpositionen postkolonialer Theo-

rie zu geben, werden im Folgenden die Ansätze und Arbeiten von Said, Spivak und Bhabha

vorgestellt, die sowohl die Begründer als auch die bis heute einflussreichsten Figuren der

Postkolonialen Theorie sind.

Edward Said

In seiner im Jahre 1978 erschienenen Studie „Orientalism“ entwickelt Said ein Konzept, das

heute als generischer Begriff dafür gilt, wie dominante Kulturen 'andere' Kulturen repräsentie-

ren und damit erst produzieren (vgl. ebd.: 30ff.). Das Konzept des Orientalismus fußt auf ei-

ner Foucault'schen Diskursanalyse und weist die enge Verbindung zwischen europäischer

Wissensproduktion über den Orient (in Form von Texten, Repräsentationen und Studieninhal-

ten) und dem kolonialem Machtapparat nach (vgl. Castro Varele; Dhawan 2015: 97).

Said untersucht in seiner Studie eine breite Auswahl von Werken verschiedener Gelehrter und

Schriftsteller_innen des 18. bis 20. Jahrhunderts, die teilweise selbst als Administrator_innen

oder Berater_innen der Kolonialmächte fungierten. Das Material umfasst dabei nicht aus-

schließlich wissenschaftliche Texte, sondern ebenso Reiseberichte, journalistische Schriften,

Belletristik und religiöse Texte (vgl. Said 1978: 23). Insbesondere die wissenschaftlichen

Texte stammen häufig von sogenannten 'Orientexperten' bzw. 'Orientalisten', die eine profes-

sionelle Wissensproduktion über den Orient betrieben. Diese selbsterklärten Expert_innen

waren i.d.R. britische Akademiker_innen, die sich zwischen 1780 und 1830 intensiv mit der

indischen Kultur und Sprache befassten. Sie galten landläufig als 'Indienbegeisterte'. Ihre Auf-

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gabe war es das 'Andere' zu untersuchen und begreifbar zu machen (vgl. Castro Varele; Dha-

wan 2015: 98ff.).

Dieses Wissensarchiv trug maßgeblich zur Produktion kolonisierter Subjekte, Kolonisator_in-

nen und auch des Orients als Ganzes bei und wird von Said als Bestandteil des kolonialen

Diskurses angesehen. Das Wissensarchiv, das dabei kontinuierlich hergestellt und akkumu-

liert wurde, trug maßgeblich zur Kultivierung des Mythos vom 'faulen Orientalen' bei. Der

Orient wurde als Ort konstruiert, der über keine dynamischen und positiven Mechanismen

verfügt (vgl. Said 1995: 48). Dies stärkte die kulturelle und ökonomische Dominanz des Wes-

tens erheblich und wurde für die Einführung, Erhaltung und Legitimierung der europäischen

Kolonialherrschaft instrumentalisiert. Die Stärkung der europäischen Superiorität wurde mit

der Veranderung der Menschen des Orients ermöglicht. Dabei wurden die Kolonisierten, ba-

sierend auf einer 'rassen'- und 'kultur'theoretischen Definition, als Gegenbild der Europäer_in-

nen dargestellt (vgl. Ziai 2010: 403). So kommt bereits der deutsche Philosoph Georg Wil-

helm Friedrich Hegel zu dem Schluss, dass „der Neger [sic!] (…) den natürlichen Menschen

in seiner ganzen Wildheit und Unbändigkeit dar[stellt]“ (Hegel, Georg o.J., zit. n. Melber,

1992: 29). In diesem Sinne ruft die Veranderung die Bildung einer binären Opposition hervor,

wobei die eine Seite die Negation der anderen bildet. Der Okzident nimmt in diesem dichoto-

men Repräsentationssystem die überlegende Position ein. Das Denkmodell ermöglicht es

schließlich Gesellschaften in maskulin/feminin, rational/emotional, entwickelt/unterentwi-

ckelt, zivilisiert/primitiv, modern/traditionell, erwachsen/kindlich etc. einzuteilen und sie in

diesem Ungleichheitsverhältnis zu fixieren (vgl. Danielzik 2013: 28).

Gayatri Spivak

Während Said den Kolonialismus noch als uniformen Diskurs von Unterdrückung und Aus-

beutung konzeptualisiert, wendet sich Spivak eher den Widersprüchlichkeiten von Koloniali-

sierungs- und Dekolonialisierungsprozessen zu. Eines ihrer bedeutenden Konzepte in diesem

Zusammenhang ist jenes der „enabling violation“ (Spivak 1996: 19) – der befähigenden Ver-

letzung. Nach diesem Modell sind Kolonialisierungsprozesse zwar grundsätzlich destruktiver

Natur, können aber gleichwohl auch mit der Eröffnung neuer Möglichkeiten einhergehen4.

Spivak plädiert dafür, diese Befähigung strategisch zu nutzen, während die Verletzungen neu

4 Die postkoloniale Theoretikerin Nikita Dhawan überträgt dieses Konzept auf die deutsche Migrationspolitik.Sie sieht in der zwanghaften Bedingung für Migrant_innen Deutsch zu lernen eine klassische 'befähigendeVerletzung'. Der Zwang stellt zwar ihres Erachtens zweifelsohne eine Verletzung der Migrant_innen dar,könne die migrierenden Personen aber ebenso befähigen sich etwa Zugang zum Arbeitsmarkt zu verschaffenund ihre Handlungsmacht zu stärken (vgl. Dhawan 2014).

8

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verhandelt werden sollten (vgl. Spivak 2008: 363). So bezeichnet sie auf der einen Seite die

postkoloniale und neoimperialistische Wirklichkeit als „the child of rape“ (Spivak 1996: 19)

und verurteilt die internationale Arbeitsteilung zwischen Süden und Norden. Auf der anderen

Seite betont sie allerdings auch die damit einhergehenden Vorzüge, wie etwa die der zivilisa-

torischen Kraft eines globalen 'socialized capital' (vgl. ebd.: 5).

Ein weiterer wichtiger Schwerpunkt von Spivaks Arbeiten, der sie von postkolonialen Theo-

retikern wie Said und Bhabha unterscheidet, ist ihre Fokussierung auf das „sexed subaltern

subject“ (Spivak 1994: 103). In ihrem im Jahre 1988 erschienenen Klassiker „Can the subal-

tern speak?“ (1994) arbeitet Spivak heraus, dass die subalterne (marginalisierte) Frau doppelt

verletzlich ist. Einerseits wird sie in Folge des Kolonialismus ökonomisch ausgebeutet und

andererseits in Folge des eingeführten patriarchalen Systems zur Unterordnung gezwungen

(vgl. Castro Varele; Dhawan 2015: 163). Die Kategorie der Subalternität erfährt eine Unter-

drückung über die Dimensionen 'Rasse', Klasse und Geschlecht (vgl. Ziai 2010: 404).

In diesem Kontext kritisiert Spivak auch den euro-amerikanischen Feminismus, der die

Subalterne häufig in einer paternalistischer Manier repräsentiert und sie dabei romantisiert

und viktimisiert (vgl. Spivak 1988: 138). Mit diesem „kolonialistischem Wohlwollen“ (Castro

Varele; Dhawan 2015: 164) werden die Artikulationsversuche der Subalternen nicht wahrge-

nommen. Die Subalterne wird zur 'Anderen' gemacht und ihre Stimme wird ihr genommen, da

sie von westlichen Feminist_innen als Objekte im Diskurs behandelt und konstruiert wird.

Spivak warnt, dass dies zum Weiterbestehen des ohnehin übermächtigen Herrschaftssystems

beiträgt und fordert ein Modell des Zuhörens, das zum Sprechen ermächtigt (vgl. ebd.:

164ff.).

Homi K. Bhabha

Bhabha ist Professor für Englisch und amerikanische Literatur an der Harvard University und

ebenso wie Spivak indischer Herkunft. In Abgrenzung zu Said, der primär die Diskurse der

Kolonisator_innen untersuchte und Spivak, die sich vor allem mit den (marginalisierten) Ko-

lonisierten beschäftigt, legt Bhabha einen besonderen Fokus auf das „Dazwischen“ – die Be-

ziehung zwischen den beiden Parteien (vgl. ebd.: 223).

Das Said'sche Orientalismuskonzept stellt die Beziehungen zwischen Kolonisierenden und

Kolonisierten als dualistisch dar, als klare binäre Oppositionen (z.B. maskulin/feminin, ratio-

nal/ irrational und fortschrittlich/primitiv). Bhabha kritisiert diese Darstellung als vereinfachte

9

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Homogenisierung und Totalisierung und argumentiert, dass die koloniale Macht niemals aus-

schließlich auf Seiten der Kolonisator_innen verortet war. Um dies zu veranschaulichen weist

er in seinen Werken häufig die Handlungsmacht (agency) der Kolonisierten in Form von Ver-

handlung und Widerstand nach (vgl. ebd.: 221ff.). Seine vielbeachteten Konzepte Hybridität

und Mimikry, die im Folgenden vorgestellt werden, fordern so die binäre Logik von Said her-

aus. Sie stellen die Beziehung zwischen den beiden Parteien als dynamisch und ambivalent

dar und zeigen auf, dass Identitäten weder festgestellt noch fixiert werden können (vgl. Bhab-

ha 1994: 129ff.):

Bhabha führte den Begriff der Hybridität in den Kontext postkolonialer Theorie ein, um die

dynamische Beziehung und die Vermischung bzw. Transformation von Kulturen in Folge von

Kolonialisierungsprozessen zu beschreiben. Ursprünglich stammt der Begriff aus der Biologie

und beschreibt eine „aus [einer] Kreuzung verschiedener Arten hervorgegangene Pflanze

[oder ein] aus [einer] Kreuzung verschiedener Rassen hervorgegangenes Tier“ (Duden o.J.

(a)). Das 'hybride Objekt' innerhalb des Postkolonialismus ist folgerichtig also eine Misch-

form verschiedener Kulturen. Die binäre Logik Saids wird mit dem Konzept der Hybridität

grundlegend in Frage gestellt. Es impliziert, dass sämtliche Kulturen unrein, gemischt und hy-

brid sind und sich in einem kontinuierlichen Prozess der Hybridität befinden (vgl. Bhabha

1994: 129ff.).

Hybridität kann somit auch eine ambivalente Wende der kolonialen Machtverhältnisse zwi-

schen Kolonisator_innen und Kolonisierten einleiten. Die koloniale Administration wurde be-

kanntlich mitunter mit einer Zivilisationsmission legitimiert. Das 'mystische', 'primitive' und

'einfältige' kolonisierte Subjekt (vgl. Bhabha1994: 82) sollte zivilisiert werden. Der kulturelle

Transformationsprozess verhindert aber nun diese koloniale Repräsentation/Darstellung der

Kolonisierten und zerstört so den Spiegel der Repräsentation, der Wissen als allgemeingültig

und uniform darstellt (vgl. ebd.: 37). Die Identität der kolonialen Autorität wird durch die Hy-

bridisierung destabilisiert, da die Kolonisierten durch die subversive Aneignung der dominie-

renden Kultur gleichzeitig ihre Kategorie des Anderen zurückweisen und so die koloniale

Herrschaftsstruktur umkehren (vgl. Ziai 2010: 405). Kultur wird dann „in erster Linie [zu]

ein[em] dialogische[n] Prozess, der auf die Unterminierung der Rationalität des hegemonialen

Moments und auf deren Ersetzung durch einen alternativen hybriden Ort der kulturellen Ver-

handlung zielt“ (Aydin 2003: 21).

In Anlehnung an die Kategorie Hybridität entwickelt Bhabha das Konzept der Mimikry. Auch

dieser Begriff wurde der Biologie entlehnt und bezeichnete ursprünglich die „Fähigkeit be-

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Page 16: Bachelorarbeit...Bachelorarbeit Josia Tiedtke Postkoloniale Perspektiven auf die deutschen Freiwilligendienste in Namibia Eine rassismuskritische Analyse von Rundbriefen und

stimmter Tiere, sich zu schützen, indem sie sich der Gestalt oder Farbe solcher Tiere anpas-

sen, die von ihren Feinden gefürchtet werden bzw. sich auf irgendeine Art gegen Feinde

schützen können“ (Duden o.J.(b)). Das Konzept der Mimikry ist nach Bhabha Ausdruck der

bereits beschriebenen europäischen Zivilisationsmission. Der Kolonisierende verlangt vom

kolonisierten Subjekt seine äußerliche Form anzunehmen, europäische Werte und Normen zu

internalisieren. Es handelt sich dabei allerdings nicht um eine vollständige Nachahmung, also

nicht um eine Assimilation, sondern um eine partielle Anpassung bzw. Repräsentation. Gefor-

dert wird eine Spiegelung mit Markierung; ein verfremdetes Element der eigenen Identität.

Die eroberte Kultur soll sich der europäischen angleichen und doch anders bleiben (vgl. Ca-

stro Varela; Dhawan 2015: 89ff.).

„Colonial mimicry is the desire for a reformed recognizable Other, as a subject of a

difference that is almost the same, but not quite. Which is to say, that the discourse of

mimicry is constructed around an ambivalence; in order to be effective, mimicry must

continually produce (...) its difference“ (Bhabha 2004: 122).

Diese kleine Differenz ist nicht unerheblich. Bhabha bezeichnet sie als „the difference bet-

ween being English and being Anglicized“ (ebd.: 128). Um dies praktisch zu veranschauli-

chen führt Bhabha das Beispiel der kolonialen Erziehungsbestimmung in Indien an. Jenes

Vorhaben sollte bestimmte koloniale Subjekte zu sogenannten 'europäischen Eingeborenen'

machen, die dann als „Dolmetscher“ zwischen der Kolonialmacht und den Unterdrückten fun-

gieren sollten (vgl. Bhabha 2000: 129). „Eine Klasse von Menschen, indisch in Blut und

Hautfarbe, doch englisch im Geschmack, in den Ansichten, in der Moral und im Intellekt“

(Macaulay, T.B. 1958, zit. n. Bhabha, 2000: 129).

Auf der einen Seite wirkt diese Differenz herrschaftsstabilisierend, da die ähnlichen und

doch anderen Kolonisierten in einer untergeordneten Position fixiert werden. Sie ahmen die

'wahren' Engländer nur nach. Auf diese Weise kann die koloniale Zivilisierungsmission er-

folgreich und kontinuierlich legitimiert werden. Auf der anderen Seite kann Mimikry, ähnlich

wie das Konzept der Hybridität auch als Mittel zum Aufstand genutzt werden, da ihm ein Stö-

rungseffekt inne wohnt. Den Kolonisierten wird ein verzerrter Spiegel vorgehalten. Im Raum

zwischen Mimikry und 'Mockery', d.h. zwischen Nachahmung und Spott, ergeben sich Räume

der Handlungsmacht (vgl. Castro Varele; Dhawan 2015: 233ff.). Dabei wandelt sich „the am-

bivalence of colonial authority repeatedly (...) from mimicry – a difference that is almost

nothing but not quite – to menace – a difference that is almost total but not quite“ (Bhabha

2004: 131). So wird eine Gegenmacht zur hegemonialen Macht herausgebildet. Wichtig ist je-

doch, dass Mimikry i.d.R. kein aktiver Widerstand ist, sondern durch den hegemonialen Dis-

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Page 17: Bachelorarbeit...Bachelorarbeit Josia Tiedtke Postkoloniale Perspektiven auf die deutschen Freiwilligendienste in Namibia Eine rassismuskritische Analyse von Rundbriefen und

kurs, sprich durch die Kolonisator_innen selbst bedient wird. Mimikry kann trotzdem auch

bewusst von Seiten der Kolonisierten angewendet werden, die sich mit der Maskerade bessere

Berufschancen oder Bildungsmöglichkeiten erhoffen. Dies hat allerdings starke Auswirkun-

gen auf die Selbstwahrnehmung und die Identitätsbildung der Kolonisierten. Trotz großer An-

strengungen sind sie dazu verdammt stets in ihrer Stellung als „other“ und „not quite“ verhaf-

tet zu bleiben.

2.2 Kontinuitäten zwischen dem Kolonial- und Entwicklungsdiskurs

Die überschriebene Andeutung, der gegenwärtige Entwicklungsdiskurs weise Kontinuitäten

zum kolonialen Diskurs auf, klingt auf den ersten Blick bestenfalls ironisch. Denn Entwick-

lungspolitik wird von seinen Akteur_innen geradezu in Abgrenzung zum Kolonialismus defi-

niert und als Versuch, die koloniale Geschichte zu überwinden, propagiert. Auch in der oft zi-

tierten Antrittsrede des ehemaligen US-Präsidenten Harry S. Truman, die heute als Grün-

dungsdokument der Entwicklungspolitik gilt, wird dies deutlich. In jener Rede stellt er fest,

dass „the old imperialism-exploitation for foreign profit has no place in our plans“ (Truman

1949). Durch die Bereitstellung von wissenschaftlichen und industriellen Errungenschaften

des Westens soll den 'unterentwickelten Gebieten' ('underdeveloped areas') zu Verbesserung

und Wachstum verholfen werden (vgl. ebd.).

Diesem noblen Selbstverständnis stehen insbesondere Theoretiker_innen des Post-Develop-

ment entgegen, einem Ansatz, der die gesamte Idee von 'Entwicklung' kritisch hinterfragt.

Diese Kritik hat nach Ziai (2010: 408) Pionierarbeit für postkoloniale Perspektiven auf 'Ent-

wicklung' geleistet und soll daher nachstehend kurz skizziert werden. Die Grundthese der

Post-Development-Ansätze ist, dass das Konstrukt 'Entwicklung' gescheitert ist, da es globale

Ungleichheiten erhält bzw. diese sogar noch verstärkt (vgl. Buckendahl 2012: 25). Entwick-

lungspolitische Maßnahmen wie etwa die EZ seien daher entschieden abzulehnen, da sie ent-

gegen ihrer Selbstpräsentation kein Hilfsinstrument seien, sondern vielmehr eine Industrie,

die in ihren Zielländern über eine große Macht verfüge. Selbst Truman räumte ein, dass die

Industrienationen enorm von der EZ profitiere, da sich der Handel mit Ländern, denen ein in-

dustrieller und ökonomischen Fortschritt gelingt, deutlich verbessere (vgl. Truman 1949).

Was Truman noch als „great benefit for all countries“ (vgl. ebd.) bezeichnet, ermöglicht laut

Ansätzen des Post-Development einen neokolonialen Zugriff der Industrieländer auf die soge-

nannten 'Entwicklungsländer'. Post-Developent-Denker_innen fordern und konzipieren daher

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Alternativen zur 'Entwicklunghilfe'. Die grundlegenden Forderungen jener Konzepte sind na-

heliegend: Befreiung, Emanzipation und Selbstbestimmung (vgl. Scholtes 2011: 3). Eine be-

deutende Stimme innerhalb des Post-Developent-Diskurses kann dem deutschen Soziologen

Wolfgang Sachs zugeordnet werden. In seinen Publikationen bezeichnet er das Zeitalter der

'Entwicklung' als sich dem Ende zuneigend. Dies begründet er damit, dass sich vier entschei-

dende Grundvoraussetzungen des Entwicklungsdiskurses als falsch erwiesen haben:

1. Die massiven ökologischen Probleme, mit denen die Welt gegenwärtig konfrontiert

wird, wurden zum größten Teil von sogenannten entwickelten Ländern herbeigeführt.

Somit haben die Industrienationen ihre Vorbildfunktion endgültig verloren und bewie-

sen, dass dem westlichen Entwicklungsweg keineswegs nachgeeifert werden sollte.

2. Entwicklungspolitik ist innerhalb des Kalten Krieges entstanden; eingebettet zwischen

Kapitalismus und Kommunismus. Aufgrund der veränderten politischen Wirklichkeit

muss der Entwicklungsdiskurs daher als ahistorisch bezeichnet werden.

3. Anstatt eine Umverteilung des Reichtums zu ermöglichen, hat die EZ Hunger, Miss-

wirtschaft und Schulden vergrößert und damit noch weiter zur sozialen Polarisierung

beigetragen.

4. Entwicklungspolitik hat die globale Wirklichkeit nach euro-amerikanischem Vorbild

geformt. Somit wurde eine kulturelle Homogenisierung forciert und die kulturelle

Vielfalt zunehmend reduziert (vgl. Sachs 1993: 9).

Postkoloniale Theoretiker_innen setzen die Kritik des Post-Development in Verbindung mit

Kolonialismus und zeigen weitere Kontinuitäten zwischen dem Kolonial- und Entwicklungs-

diskurs auf. Insbesondere im englischsprachigen Raum (Kapoor 2008; McEwan 2009, Kotha-

ri 2011) wurden innerhalb dieses Diskursstranges Forderungen laut, Entwicklungspolitik müs-

se Postkoloniale Theorien konzeptionell in ihre Programme integrieren um die Reproduktion

postkolonialer Machtverhältnisse zu vermeiden. In Deutschland beschäftigte sich insbesonde-

re Aram Ziai (2004, 2006, 2007, 2010) mit diesem Themenbereich.

Einer der Kritikpunkte ist, dass das Entwicklungsparadigma eurozentrisch ist, da 'Entwick-

lung' als unilinearer, universaler und zielgerichteter Prozess verstanden wird, an dessen Spitze

sich der Globale Norden selbst verortet. Mit dieser Quasi-Inbesitznahme der Moderne defi-

niert sich der Westen als zeitlichen Zielpunkt von Entwicklung (vgl. Danielzik 2013: 28). Die

Vorstellung eines unilinearen Fortschritts impliziert, dass es nur den einen Weg (und zwar

den westlichen) gibt und schließt jegliche Pluralität im Bezug auf Fortschritt kategorisch aus.

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Postkoloniale Theoretiker_innen sehen in diesem Eurozentrismus verschiedene Kontinuitäten

zum Kolonialismus. In kolonialer Manier wird die Welt weiterhin zweigeteilt: „The West and

the Rest“ (Hall 1992: 276). Während das Element der 'Entwicklung' im kolonialen Diskurs

noch 'unterentwickelte Völker und Menschen' beschrieb, wird heute zwar von 'unterentwi-

ckelten Ländern und Regionen' gesprochen, das Ergebnis bleibt allerdings weitestgehend

identisch: Die 'Unterentwickelten' werden als rückständig und Teil einer defizitären Kultur

konstruiert, deren einzige Hoffnung die Adaption der westlichen Kultur (Produktivität, Mo-

dernität) darstellt (vgl Ziai 2004: 3). Der Globale Norden definiert sich also nach wie vor als

die Norm und in Abgrenzung zum Globalen Süden, der somit zur defizitären Abweichung sei-

ner selbst wird. Durch Veranderung wird die Gruppe der Anderen homogenisiert und in ihrer

unterlegenen Identität fixiert (vgl. Danielzik 2013: 29). Nach altem kolonialen Muster werden

dabei binäre Oppositionen hergestellt: entwickelt/unterentwickelt, Fortschritt/Stagnation,

Technologie/Handarbeit, Modernität/Tradition, hohe/niedrige Produktivität, Wohlstand/Ar-

mut, usw. (vgl. ebd.). Analog zum Kolonialdiskurs wird 'Entwicklung' und 'Fortschritt' also

immer noch mit Indikatoren wie Bruttosozialprodukt, Lebenserwartung oder Schulbildung ge-

messen, während Aspekte wie der nachhaltige Umgang mit der Natur, Gastfreundschaft oder

familiäre Netzwerke nicht berücksichtigt werden (vgl. ebd.). Die zahlreichen Entwicklungs-

helfer_innen und Expert_innen, die aus dem Norden kommen, um den Menschen in Süden zu

helfen, verfestigen diese Strukturen. Sie verfügen natürlicherweise über problemlösendes

Wissen, um den armen Menschen im Süden zu helfen. Die Möglichkeit, dass auch im Norden

Probleme bestehen, die möglicherweise mit Hilfe von Bewohner_innen des Globalen Südens

gelöst werden können, ist im Entwicklungsdiskurs undenkbar (vgl. Ziai 2004: 4). Post-Deve-

lopment-Denker_innen merken an dieser Stelle an, dass das Wirtschaftswachstum und Kon-

sumverhalten des Globalen Nordens stets mit Umweltzerstörung und Ressourcenknappheit

einhergeht. Somit diskreditiert sich die Vorbildfunktion des euro-amerikanischen Entwick-

lungsmodells von selbst (vgl. Danielzik 2013: 30).

Ein weiterer postkolonialer Kritikpunkt an der Entwicklungspolitik ist die sogenannte 'Schein-

amnesie' – eine Ausblendung von Kolonialismus, Rassismus und Kapitalismus innerhalb des

Entwicklungsdiskurses (vgl. Danielzik 2013: 29). In der defizitorientierten Darstellung des

Globalen Südens wird der Einfluss des Kolonialismus größtenteils ausgeklammert. Besten-

falls wird die gemeinsame Kolonialvergangenheit als Begründung der EZ angeführt, wobei

Kolonialismus stets außerhalb Europas verlagert wird und als Teil der ehemals kolonisierten

Region verstanden wird. Nicht aber als kontinuierliches Phänomen, das Einfluss auf das Welt-

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bild und die makroökonomischen Strukturen hat (vgl. ebd.). Die Ursachen von Armut werden

stattdessen weiterhin bei der 'Rückständigkeit' und 'Unfähigkeit' der Länder des Südens gese-

hen (vgl. Markmiller 1995: 12ff.). Aspekte wie etwa, dass die strukturelle Abhängigkeit des

Südens nahtlos aus der kolonialen Ausbeutung hervorgegangen ist (vgl. ebd.: 14), sozioöko-

nomische Gleichheit dem global wirksamen Kapitalismus widerspricht und dass das Konzept

der '(Unter-)Entwicklung' als Teil der kolonialen Herrschaftsstrategie eingeführt wurde (vgl.

Danielzik 2013: 30) werden gänzlich ausgeblendet. Markmiller bezeichnet diese Amnesie als

„blanken Zynismus“ (Markmiller 1995: 12ff.), da insbesondere die wachsende Schuldenlast

vieler afrikanischer Staaten die Abhängigkeit vom Globalen Norden erhöht hat und ihr eige-

ner Handlungsspielraum somit kontinuierlich verringert wurde. Die 'Industrienationen' haben

die Länder des Globalen Südens bis heute in ihrer kolonialen Rolle belassen: Als Lieferanten

billiger Rohstoffe und Käufer ihrer Industriegütern (vgl. ebd.). Ziai bezeichnete diese Amne-

sie auch als Entpolitisierung. Das Konzept der 'Entwicklung' würde suggerieren, dass die Ar-

mut des Südens selbstverschuldet sei und dass sämtliche 'Probleme' der 'unterentwickelten'

Länder durch technische, unpolitische Eingriffe von Entwicklungsinstitutionen und -projekte

gelöst werden könnten. Durch die Bezeichnung 'Entwicklungsprobleme' würden allerdings

Ursachen wie Machtverhältnisse, Privilegien und Exklusion kategorisch ausgeschlossen wer-

den (vgl. Ziai 2010: 401). Postkoloniale Theoretiker_innen legen die Zusammenhänge zwi-

schen (Post-)Kolonialismus und Armut offen und fragen welche Verantwortung der Globale

Norden „für diese Welt, die Reichtum um den Preis der Armut hervorbringt“ (ebd.: 12) trägt.

2.3 Postkoloniale Studien über westliche Freiwilligendienste im

Globalen Süden

Aus eben diesem Diskursstrang sind in den letzten Jahren schließlich einige Arbeiten entstan-

den, die postkoloniale Ansätze in Verbindung mit westlichen Freiwilligendiensten im Globa-

len Süden setzen. Freiwilligendienste werden dabei im weiteren Sinne als entwicklungspoliti-

sche Projekte verstanden (Buckendahl 2012: 7). In den Arbeiten wurde aufgezeigt, dass jene

Freiwilligendienste koloniales Wissen (re-)produzieren und damit zur Verfestigung von

Machtasymmetrien der Nord-Süd-Beziehung beitragen. Kate Simpson (2004) befasste sich in

diesem Zusammenhang erstmals mit englischen Freiwilligen, die im Rahmen des sogenannten

„gap years“ einen Dienst im Globalen Süden verrichten. Sie kam zu dem Ergebnis, dass so-

wohl die aussendenden Organisationen als auch die Freiwilligen an einer Reproduktion ste-

reotyper Bilder über die 'Dritte Welt' beteiligt waren. Im Folgenden werden vier Arbeiten vor-

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Page 21: Bachelorarbeit...Bachelorarbeit Josia Tiedtke Postkoloniale Perspektiven auf die deutschen Freiwilligendienste in Namibia Eine rassismuskritische Analyse von Rundbriefen und

gestellt, die in den letzten drei Jahren in Deutschland erschienen sind. Alle vier lassen sich in

den oben beschrieben Themenschwerpunkt verorten und haben somit eine hohe Relevanz für

die Forschungsfrage, der in der vorliegenden Thesis nachgegangen wird.

Lou Paul Buckendahl formuliert im gleichnamigen Buch eine „Empfänger-Kritik am "welt-

wärts"-Programm“. Der (damalige) Umstand, dass ausschließlich deutsche Freiwillige in die

Einsatzländer entsendet werden, und die Empfänger vor Ort keine Gelegenheit hätten an Re-

verse-Programmen5 teilzunehmen, würde einen entscheidenden postkolonialen Kritikpunkt

verkörpern. In seiner Interviewforschung befragt er Tansanier über ihre Einschätzungen und

Kritiken an der Einseitigkeit des weltwärts-Programms (vgl. Buckendahl 2012: 8).

Auch Haas verfolgt einen ähnlichen Ansatz und zeigt auf welchen Mechanismen und tiefe-

ren Logiken Freiwilligendienste wie weltwärts basieren. Dabei werden insbesondere Ambiva-

lenzen und Asymmetrien offengelegt und diese im Spiegel postkolonialer Theorieansätze be-

trachtet (vgl. Haas 2012: VII).

Seit einiger Zeit verlegt der Verein Glokal e.V. eine Broschüre, die Berichte und Erzählun-

gen von Auslandsaufenthalten rassismuskritisch betrachtet. Dabei werden zentrale Themen

wie Kolonialismus und Rassismus in Zusammenhang mit Auslandsaufenthalten gesetzt und

die Wirkungsmacht von Sprache und Bildern beschrieben (vgl. Glokal e.V. 2013: 5).

Kontzi untersucht mit Hilfe einer Diskursanalyse die Internetpräsenz des entwicklungs-

politischen Freiwilligendienstes weltwärts. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass weltwärts trotz

seines Selbstanspruchs „die Welt ein Stück mehr zusammenzubringen“, in kolonialer Manier

Fremd- und Selbstbilder herstellt und global-gesellschaftliche Machtverhältnisse reproduziert.

Kontzi fordert eine rassismus- und privilegienkritische Ausrichtung der Freiwilligendienste.

Nur so könnten sich diese aus ihrer Verstrickung mit kolonialem Gedankengut befreien (vgl.

Kontzi 2015: 232).

5 Mittlerweile organisiert weltwärts Reverse-Programme: „Um den Anspruch eines entwicklungspolitischenLern- und Austauschdienstes konsequent zu erfüllen, wurde 2013 die Süd-Nord Komponente eingeführt“(weltwärts o.J.(b)). Insgesamt standen den im Jahre 2014 7.270 internationalen Freiwilligen aus Deutschland1.484 Reverse-Teilnehmer aus dem Ausland gegenüber (vgl. AKLHÜ 2015: 12).

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3. Untersuchungsfeld und Methodologie

Im vorangegangen Kapitel wurde der theoretische Rahmen der Analyse formuliert, sowie

Grundannahmen zur Methodologie angestellt. Bevor die Datensätze im folgenden Kapitel un-

tersucht und ausgewertet werden, soll nun in diesem Kapitel das Untersuchungsfeld struktu-

riert und die Auswahl der Methode begründet werden.

3.1 Die Landschaft deutscher Auslandsfreiwilligendienste

Gemäß einer aktuellen soziodemographischen Studie des Arbeitskreises Lernen und Helfen in

Übersee (AKLHÜ) (2015) ist die durchschnittliche deutsche Freiwillige weiblich (68%), Abi-

turientin (89%), zwischen 18-20 Jahre alt (81%) und hält sich zwischen 11 und 13 Monaten

(86%) in Indien oder Südafrika auf (ebd.: 8ff.). Doch wie gelangt sie nach Neu-Delhi oder

Kapstadt und wie ist ihr Freiwilligendienst organisiert? Nachstehend findet sich eine kurze

und prägnante Betrachtung deutscher Auslandsfreiwilligendienste. Wie bereits anfangs ausge-

führt, ist die Nachfrage an internationalen Freiwilligendiensten hierzulande sehr groß. Aus

den einst überschaubaren 'Internationalen Friedensdiensten', die nach Ende des Zweiten Welt-

krieges in West- und Ostdeutschland entstanden, hat sich eine heterogene Vielzahl verschie-

dener Freiwilligenprogramme herausgebildet (vgl. Stemmer 2009: 19). Die Inhalte und Zah-

len des folgenden Kapitels geben einen Überblick über diese Programme und stützten sich da-

bei vor allem auf Studien und Publikationen des AKLHÜ, der im Auftrag des Bundesministe-

rium für Familie, Senioren, Frauen u. Jugend (BMFSFJ) über internationale Freiwilligen-

dienste informiert. Eine weitere Quelle stellt der aktuelle Evaluationsbericht des entwick-

lungspolitischen Freiwilligendienstes weltwärts dar (Scheller; Stern 2012). Obgleich die vor-

liegende Arbeit keine Eingrenzung auf einen spezifischen Freiwilligendienst vorsieht, ist jener

Bericht maßgeblich für deutsche Freiwilligendienste im Globalen Süden, da die Mehrheit der

entsprechenden Freiwilligen im Rahmen des weltwärts-Programms ausgesendet werden.

Grundsätzlich können deutsche Auslandsfreiwilligendienste in (staatlich) geregelte (G-FD)

und privatrechtlich geführte (P-FD) Dienste unterteilt werden. Während beide Dienstarten

ihre Programme von Deutschland aus koordinieren, unterscheiden sie sich vor allem durch

ihre Finanzierung und gesetzliche Verankerung.

Etwa 90% der Dienste gehören zu den G-FD und werden mit Ausnahme des 'Anderen

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Page 23: Bachelorarbeit...Bachelorarbeit Josia Tiedtke Postkoloniale Perspektiven auf die deutschen Freiwilligendienste in Namibia Eine rassismuskritische Analyse von Rundbriefen und

Dienstes im Ausland' (ADiA) mit öffentlichen Mitteln gefördert. Neben dem ADiA gehören

außerdem der 'Europäische Freiwilligendienst' (EFD), das 'Freiwillige Soziale oder Ökologi-

sche Jahr im Ausland' (FSJ/FÖJ), der 'Internationale Jugendfreiwilligendienst' (IJFD) sowie

kulturweit und weltwärts zu den staatlich geregelten Diensten. Die Programme werden von

unterschiedlichen Bundesbehörden (Auswärtiges Amt, BMZ, BMFSFJ), der EU oder direkt

vom Bund gefördert und durch Gesetze und verbindliche Richtlinien geregelt (vgl. AKLHÜ

2015: 7). Mit über 5.000 Einsatzplätzen in rund 80 Ländern stellt weltwärts heute den bedeu-

tendsten G-FD Deutschlands dar. In Ländern des Globalen Südens werden bereits die meisten

Programme durch weltwärts geregelt. Das BMZ, Initiator und Förderer von weltwärts, stellt

dafür jährlich bis zu 70 Millionen Euro zu Verfügung und strebt mittelfristig an bis zu 10.000

Freiwillige pro Jahr zu entsenden (vgl. Scheller; Stern 2012: 11). Die Kosten für die Freiwilli-

gendienste (inkl. Unterkunft, Verpflegung, Reisekosten, Versicherung, Taschengeld) werden

dabei anteilig vom BMZ (75%) und der jeweiligen Entsendeorganisation (25%) getragen, da-

durch entstehen bei den Freiwilligen keine Kosten (vgl. weltwärts .o.J.(c)). Die zentrale Rolle

bei der Durchführung der Freiwilligendienste fällt den Entsendeorganisationen zu. Es handelt

sich dabei um deutsche gemeinnützige Organisationen mit entwicklungspolitischer Ausrich-

tung, die für die Weitervermittlung der Freiwilligen in die Projekte der Aufnahmeorganisatio-

nen zuständig sind. Ferner sind sie mit der Verwaltung und Steuerung der Dienste, sowie der

pädagogischen Begleitung der Freiwilligen betraut. Diese Betreuung, inklusive der Vor- und

Nachbereitungskurse, sollen maßgeblich zum Erfolg der Freiwilligendienste beitragen. Ge-

genwärtig kooperiert weltwärts mit 228 Entsendeorganisationen, von denen neun mitunter

nach Namibia entsenden (vgl. weltwärts 2015).

Die Freiwilligendienste auf privatrechtlicher Basis machen etwa 10% der internationalen

Dienste aus und sind ähnlich konzipiert wie die Entsendeorganisationen der G-FD. Allerdings

werden hier die Verträge direkt zwischen den Freiwilligen und Aufnahmeorganisationen ge-

schlossen. Anders als die G-FD werden sie normalerweise nicht mit öffentlichen Geldern ge-

fördert und verfügen über keine gesetzlichen Grundlage oder Richtlinien (vgl. AKLHÜ 2015:

7). Dadurch entstehen bei den Freiwilligen Kosten von je nach Aufnahmeland ca. 7.000€ bis

10.000€ im Jahr (vgl. Stemmer 2009: 25).

Sowohl den P-FD als auch den Entsendeorganisationen der G-FD stehen derzeit vier Ser-

vice- und Beratungsinstitutionen zur Verfügung, die eine öffentlich wirksame Zertifizierung

der Programme anbieten: Nord-Süd-Brücken, fid Qualitätsmanagement, QUIFD und die Ser-

vicestelle für internationale Freiwilligendienste.

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3.2 Die koloniale Vergangenheit Namibias

Mit etwa 80 Freiwilligen pro Jahr gehört Namibia zu den beliebten Zielländern deutscher

Freiwilliger (vgl. AKLHÜ 2015: 26). Die vorliegende Arbeit setzt ihren Fokus allerdings

noch aus einem weiteren Grund auf die junge Republik6 im südlichen Afrika, die innerhalb

der deutschsprachigen Postkolonialen Theorien eine wichtige Rolle einnimmt:

Am 9. Juli letzten Jahres fanden sowohl in Deutschland als auch in Namibia an vielen Orten

Gedenkfeiern statt. Das Ende der deutschen Kolonialherrschaft im damaligen „Deutsch-Süd-

westafrika“ jährte sich zum einhundertsten Mal. Genug Anlass der zahllosen Menschen zu ge-

denken, die zwischen 1884 und 1915 Opfer einer brutalen und rücksichtslosen Besatzungs-

macht wurden (vgl. TAZ 2015a). Besonders die Geschehnisse der Jahre 1904-1908 rückten

ins Zentrum der Gedenkfeiern. Der Krieg des Deutschen Reiches gegen die Herero und Nama

forderte bis zu 100.000 Menschenleben, schätzungsweise 80 Prozent der Hererobevölkerung

(vgl. Kwesi 2009: 5), und fand als 'erster Völkermord des 20. Jahrhunderts' Einzug in die Ge-

schichtsschreibung (vgl. Zimmerer 2014: 1). Die Ethnie der Herero, die vor der deutschen In-

vasion viele Jahrhunderte erfolgreiche Subsistenzwirtschaft betrieb, wurde durch deutsche

Kolonisator_innen systematisch enteignet, zurückgedrängt und zur Zwangsarbeit genötigt

(vgl. Markmiller 1995: 82ff.). Die Unterdrückten entschieden sich daher für einen bewaffne-

ten Widerstand gegen die deutsche Besatzungsmacht, der schließlich in einen Vernichtungs-

krieg gegen sie umschlug. "Aufräumen, aufhängen, niederknallen bis auf den letzten Mann,

kein Pardon" (Zimmerer 2014: 2) lautete in etwa die Anordnung des Oberbefehlshabers Lo-

thar von Trotha. Ohne Rücksicht auf Frauen und Kinder wurden die meisten Herero und

Nama in der direkten Konfrontation getötet (vgl. ebd.). Fliehende wurden in die Omahe-

ke-Wüste getrieben, in der sie verhungern und verdursten mussten, da ihnen jeder Zugang zu

Wasserstellen verwehrt wurde. Die Überlebenden wurden schließlich in sogenannte Konzen-

trationslager interniert, in denen viele wegen der grausamen Bedingungen und Zwangsarbeit

starben (vgl. Wieczorek-Zeul 2004). Diesem Völkermord folgte schließlich ein totalitärer und

von Apartheid gekennzeichneter Kolonialstaat (vgl. Čupić; Fischer 2015: 68).

Laut Auswärtigem Amt (2014a) erwächst aus eben dieser Kolonialgeschichte eine „beson-

dere Verantwortung Deutschlands“, der staatlich in Form einer „besonders intensiven bilatera-

len Beziehung“ (ebd.) Rechnung getragen werden soll. Dies äußert sich insbesondere in der

deutsch-namibischen EZ, für die seit 1990 über 800 Millionen Euro bereitgestellt wurde

6 Namibia erlangte erst 1990 als bislang letztes afrikanisches Land die Unabhängigkeit. Unmittelbar nach demEnde der deutschen Kolonialherrschaft im Jahre 1915 wurde das Land durch das südafrikanische Apartheid-regime besetzt (vgl. Melber 2009: 18).

19

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(höchste deutsche Leistung pro Kopf in Afrika). Erklärtes Ziel des deutschen Engagements in

Namibia ist es, die Spätfolgen von Kolonialismus und Apartheid, wie etwa weit verbreitete

Armut und hohe Arbeitslosigkeit, zu beseitigen und die Politik der nationalen Versöhnung zu

unterstützen (vgl. ebd.). Dies gelingt nur teilweise und oft wird die Verantwortung für kolo-

niale Verbrechen sehr zögerlich bis gar nicht wahrgenommen. Erst vor knapp zwölf Jahren

entschuldigte sich die deutsche Regierung erstmalig für den brutalen Vernichtungskrieg gegen

die Herero. Anlässlich der Gedenkfeierlichkeiten zu eben diesem Krieg sprach Heidemarie

Wieczorek-Zeul, die damalige Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-

wicklung, von einer historisch-politischen, moralisch-ethischen Verantwortung und Schuld

und bat um die „Vergebung unserer Schuld“ (vgl. Wieczorek-Zeul 2004). Trotzdem wurde

der Hererokrieg erst im Juli vergangenen Jahres offiziell als „Kriegsverbrechen und Völker-

mord“ anerkannt (vgl. TAZ 2015b). Nun bleibt abzuwarten, ob sich die deutsche Regierung

ihrer Verantwortung tatsächlich stellt und auf die Schadensersatzforderungen der Nachkom-

men der Überlebenden (vgl. Ovaherero Traditional Authority 2015), sowie der regierenden

Partei SWAPO (vgl. Lela 2015) eingeht.

Auch in Namibia versuchen viele Menschen den kolonialen Nachwirkungen entgegenzuwir-

ken. So wurde im Jahr 2013 das Reiterstandbild in Windhoek, das 1912 als Denkmal für die

deutschen Kriegstoten des Hererokrieges errichtet wurde, entfernt. Stattdessen wurde ein

Denkmal für die namibischen Opfer des Krieges errichtet (vgl. Auswärtiges Amt 2015). Eine

weitere nicht übersehbare Erinnerung an die koloniale Vergangenheit stellt die Weiße Min-

derheit von etwa 20.000 Deutschnamibier_innen dar, die sich in Anlehnung an die deutsche

Kolonialzeit häufig selbst als 'Südwester' bezeichnet (vgl. Namibiana 2013). Mit deutschspra-

chigen Schulen, Sportvereinen, Kirchen, sowie einem Radiosender und der 'Allgemeinen Zei-

tung' nehmen die Deutschstämmigen einen nicht übersehbaren Teil des öffentlichen Lebens

ein (vgl. Melber 2009: 18). Als direkte Nachfahren deutschen Siedler_innen profitieren sie

auch heute noch von der damaligen kolonialen Ausbeutung des Landes und haben weiterhin

den höchsten Lebensstandard aller namibischen Bevölkerungsgruppen (vgl. ebd.: 19). So ver-

fügen sie über einen erheblichen Teil der kommerziell produzierenden Farmen und bilden

auch in den Bereichen Handwerk, Einzelhandel, Gastronomie und Tourismus die Elite des

Landes und damit einen integralen Bestandteil der namibischen Wirtschaft (vgl. GIZ 2016).

Anders als etwa in Simbabwe wurden die Deutschnamibier_innen vor der Enteignung ihres

Farmlandes verschont, obgleich die meisten ihrer Ländereien durch Betrug und Unter-

drückung in ihren Besitz gelangt sind. Allerdings hat die SWAPO vor kurzem beschlossen,

dass weiße Farmer_innen ihr Land in Zukunft nur noch an den Staat, nicht aber an Privatper-

20

Page 26: Bachelorarbeit...Bachelorarbeit Josia Tiedtke Postkoloniale Perspektiven auf die deutschen Freiwilligendienste in Namibia Eine rassismuskritische Analyse von Rundbriefen und

sonen verkaufen dürfen. „So sollen Schwarze auch wieder im weißen Kernland siedeln kön-

nen. Kaufen statt Enteignen“ (vgl. Das Erste 2015: 00:41:35). Auch das ist ein Zeichen der

aktuellen Bestrebungen, die deutsche Vorherrschaft endgültig hinter sich zu lassen.

Namibia stellt als ehemalige deutsche Kolonie eine besonders sensible Umgebung für den

deutschen Freiwilligendienst dar. Die Bundesrepublik trägt eine besondere Verantwortung,

die Reproduktion von kolonialen Machtverhältnissen unbedingt zu vermeiden. Um dies ge-

währleisten zu können, ist es äußerst wichtig, dass sich deutsche Freiwillige, die ihren Dienst

in Namibia verrichten, über die koloniale Vergangenheit des Landes und das Weiterbestehen

(post-)kolonialer Machtasymmetrien bewusst sind. Insofern ist Namibia als Forschungsobjekt

für die vorliegende Arbeit besonders geeignet.

3.3 Auswahl der Materialien und Bestimmung der Methode

Bei der Auswahl des Forschungsgegenstandes handelt es sich nicht um eine Vollerhebung,

sondern um eine qualitative und explorative Auswahl des Materials. Dazu gehören 20 Rund-

briefe oder Blogeinträge, die von zehn deutschen Freiwilligen zwischen 2013 und 2015 wäh-

rend ihres Dienstes in Namibia verfasst wurden. Pro 'Proband_in' wurden je zwei Datensätze

ausgewählt. Die zehn Freiwilligen lassen sich in sieben G-FD Teilnehmende (GF1-GF7) und

drei P-FD Teilnehmende (PF1-PF3) unterteilen. Bei der Auswahl wurde versucht, die gesam-

te Trägerlandschaft sowie die Ergebnisse der erwähnten soziodemographischen Studie (vgl.

AKLHÜ 2015) zu berücksichtigen. Entsprechend sind alle G-FD Teilnehmende Teil des welt-

wärts-Programms, wurden allerdings von fünf verschiedenen Entsendeorganisationen ausge-

sendet. Die Programme der P-FD Teilnehmenden wurden über zwei verschiedene privatrecht-

lich geführte Dienste organisiert. Des weiteren sind sieben Freiwillige weiblichen Ge-

schlechts, alle zehn Abiturient_innen und auch die Altersstruktur entspricht dem vom

AKLHÜ ermittelten Mittelwert.

Die vorliegende Arbeit wirft postkoloniale Perspektiven auf die deutschen Freiwilligendiens-

te, nicht aber auf die Teilnehmenden der Programme. Die zu formulierende Kritik gilt daher

den Diensten und nicht einzelnen Individuen. Aus diesem Grunde wurden alle personenbezo-

gene Daten in den angehängten Rundbriefen und Blogeinträgen anonymisiert. Sämtliche Na-

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Page 27: Bachelorarbeit...Bachelorarbeit Josia Tiedtke Postkoloniale Perspektiven auf die deutschen Freiwilligendienste in Namibia Eine rassismuskritische Analyse von Rundbriefen und

men oder andere Identifikationsmerkmale (Organisationen, Orte) wurden durch Pseudonyme

ersetzt, um die Identifizierung der betreffenden Personen auszuschließen.

Als Untersuchungsmethode wird – wie in den meisten postkolonialen Studien – auch in der

vorliegenden Arbeit die Diskursanalyse verwendet. In Übereinstimmung mit dem foucault-

schen Diskursverständnis, das bereits im zweiten Kapitel skizziert wurde, will die Diskursana-

lyse Macht- und Herrschaftsverhältnisse in Diskursen aufdecken und Bruchstellen innerhalb

der instabilen Konstruktionen aufzeigen. Diskurse werden maßgeblich durch kommunikative

Prozesse, insbesondere durch Sprache, bestimmt. Entsprechend werden bei der Diskursanaly-

se schriftliche und mündliche Texte, die auch als Diskursbeiträge bezeichnet werden, unter-

sucht. Im Unterschied zur qualitativen Inhaltsanalyse werden dabei allerdings weniger einzel-

ne Datensätze, sondern vielmehr Konstellationen von Äußerungen und Beziehungen zwischen

verschiedenen Diskursbeiträgen (bspw. Regelmäßigkeiten) behandelt (vgl. Ullrich 2008:

19ff.).

Die Rundbriefe und Blogeinträge werden also als Diskursbeiträge des postkolonialen Dis-

kurses verstanden. Es wird davon ausgegangen, dass die Artikulation der Wahrnehmungen

von Freiwilligen aus Konstruktionen bestehen, die diskursiv geschaffenes 'Wissen' reprodu-

zieren, zementieren oder diesem entgegenwirken können (vgl. Horstmann 2009: 2). In der fol-

genden Analyse soll untersucht werden, ob dieser Wissensproduktion Rassismus, Eurozentris-

mus und (post-)koloniale Stereotypisierung immanent ist. Da der zu untersuchende Diskurs

ein abstraktes Konzept ist, kann dies allerdings nicht direkt aus den Materialien abgelesen

werden, sondern soll mit Hilfe der folgenden heuristischen Analysefragen aus ihnen freigelegt

und untersucht werden (vgl. Kontzi 2015: 106):

1. Welche Aussagen und Begriffe lassen sich regelmäßig finden und wie werden diese

miteinander in Verbindung gesetzt?

2. Welche diskursiven Strategien lassen sich dabei regelmäßig ausmachen?

3. Wie positionieren die Freiwilligen sich selbst und die Menschen in ihrer Umgebung?

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4. Diskursanalyse

4.1 Analyse der Materialien

Zu Beginn der Analyse soll nicht verschwiegen werden, dass unter den analysierten Beiträgen

durchaus auch solche Fragmente zu finden sind, die Armut auf Kolonialismus und Apartheid

zurückführen (vgl. GF3-2, GF5-1, PF3-2), oder stellenweise stärker die Gemeinsamkeiten als

die Unterschiede zwischen der namibischen und deutschen 'Kultur' hervorheben (vgl. GF3-1).

Entsprechend der Forschungsfrage wird der Fokus der Analyse allerdings auf jene Regelmä-

ßigkeiten gelegt, die als postkolonial ausgelegt werden können. Anhand der sich wiederholen-

der Themen in den Rundbriefen und Blogeinträgen wird versucht herauszuarbeiten, wie die

Freiwilligen sich selbst als Expert_innen und die 'Schwarzen' als vermeintlich unterlegen kon-

struieren und damit eine postkoloniale 'Zivilisationsmission' rechtfertigen. Für eine bessere

Übersicht der Analyse werden die Themen unter sechs verschiede Schwerpunkte gruppiert.

Die Konstruktion der 'Anderen'

„Mit den Mitarbeitern ist es weiterhin sehr schwierig zusammenzuarbeiten, weil man

sich (außer von unserem „Chef“, der bei der UN arbeitet- seit kurzem der einzige

Weiße außer uns) oft ausgenutzt fühlt, da die Afrikaner gern all ihre Arbeit auf uns

abwälzen, obwohl sie dafür bezahlt werden. Außerdem ist es einfach eine ganz an-

dere Mentalität (…) Fast jeder ist unglaublich unzuverlässig und oft wird dir mitten

ins Gesicht gelogen. Egal wo, egal wer, egal wie: hier bekommen die Leute echt wenig

auf die Reihe“ (PF1-2).

Dieses Diskursfragment illustriert den Prozess der Veranderung, der von Said in Orientalism

(1978) beschrieben wird. Mit Hilfe der homogenisierenden und defizitären Darstellung der

'Anderen' wurden die Bewohner_innen der kolonisierten Gebiete abgewertet und die europäi-

sche Superiorität gestärkt. Die daraus entstandenen binären Oppositionen zwischen Oxident

und Orient wie bspw. rational/emotional, entwickelt/unterentwickelt, zivilisiert/primitiv etc.

wurden schließlich genutzt um die Kolonialisierung zu legitimieren (siehe Kapitel 2.1: Said).

In den hier analysierten Materialien lassen sich neben dem obigen Zitat auch viele weitere de-

fizitorientierte Darstellungen der 'Anderen' finden. Die 'Schwarzen', so die Freiwilligen, seien

irrational, unzuverlässig, passiv, unehrlich, faul, Kindeswohl-gefährdend (Körperstrafe), trieb-

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gesteuert, unfähig, unorganisiert, hilfebedürftig, verantwortungslos, unpünktlich, ungebildet,

desinteressiert und chaotisch (vgl. GF2-1, GF2-2, GF4-1, GF4-2, GF6-1, GF7-1, PF1-1, PF1-

2, PF3-2 [teilweise in anderer Wortwahl]). Analog zu Said's Beobachtungen werden diese Zu-

schreibungen auch in den vorliegenden Datensätzen nicht etwa bestimmten Individuen, son-

dern vielmehr der scheinbar homogenen Gruppe der 'Anderen' zugeordnet. Den 'Anderen'

wird so ihre Individualität abgesprochen, wodurch sie zu anonymen und sprachlosen Objekten

werden (siehe Kapitel 2.1: Spivak). Ferner ermöglichen die Zuschreibungen seitens der Be-

schreibenden eine Herausbildung des eigenen positiven Gegenbildes der 'Schwarzen' als Ex-

pert_innen, die 'Anderen' hingegen werden als unterlegen positioniert und in dieser Stellung

fixiert (vgl. Glokal e.V. 2013: 16).7

Während die Gruppe der 'Anderen' im kolonialen Diskurs noch hauptsächlich unter dem Be-

griff 'Neger' zusammengefasst wurde, setzten sich in den vorliegenden Materialien die Termi-

nologien 'Schwarze' und 'Afrikaner_innen' durch. Dennoch erinnern die Adjektive, mit denen

die Gruppe beschrieben wird, an koloniale Konstruktionen von vermeintlich „wilden, ge-

schichts- und kulturlosen, unzivilisierten und triebhaften“ (Horstmann 2009: 10) Menschen.

Die offensive und kontinuierliche Konzentration auf Mängel und Defizite bei Beschreibungen

von Bewohner_innen des Globalen Südens wird in der postkolonialen Literatur daher auch als

„kolonialer Blick“ (Glokal e.V. 2013: 30) bezeichnet. Besonders signifikant ist, dass es sich

dabei stets um eine eurozentrische Perspektive handelt und die Kritik damit auf einem euro-

päischen Wirtschafts- und Gesellschaftsverständnis basiert (siehe Kapitel 2.2). Aussagen wie,

„generationsübergreifendes Wohnen sei schrecklich“ (vgl. GF2-1) oder besonders qualitative

Bildung würde man in Namibia an der 'Deutschen Höheren Privatschule' finden (vgl. GF5-1),

können aus einer nicht-europäischen Perspektive anders beurteilt werden. Sicherlich können

bspw. auch jene Menschen hochgebildet sein, die niemals Bildungseinrichtungen nach westli-

chem Vorbild besucht haben (vgl. Glokal e.V. 2013: 30). Ein weiterer postkolonialer Kritik-

punkt an der Veranderung der Menschen im Globalen Süden ist die Scheinamnesie, die mit

ihr einhergeht (siehe Kapitel 2.1). Durch die Verknüpfung von Defiziten mit der Gruppe der

'Anderen' werden historische und aktuelle Machtverhältnisse ausgeblendet. Dies führt dazu,

dass die Defizite als integraler Bestandteil der 'afrikanischen Kultur' beschrieben werden:

„Das Internet funktioniert mal wieder nicht wirklich.. Lauter so typisch afrikanische Sachen,

an die man sich wohl gewöhnen muss!“ (PF1-1). Die mangelhafte Internet-Infrastruktur wird

hier als typisch afrikanisch bezeichnet und implizit mit Zuschreibungen wie unorganisiert,

7 Weiteres Beispiel: „Die Babys werden hier auch ganz anders erzogen, als in Deutschland, aber ich habe michsehr schnell an die teilweise sehr abschreckenden Methoden gewöhnt“ (GF4-2).

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Page 30: Bachelorarbeit...Bachelorarbeit Josia Tiedtke Postkoloniale Perspektiven auf die deutschen Freiwilligendienste in Namibia Eine rassismuskritische Analyse von Rundbriefen und

chaotisch oder unfähig erklärt. Erklärungsansätze wie etwa, dass der Infrastrukturausbau in

Ländern des Globalen Südens oftmals aus Mangel an Geldmitteln scheitert und dies wieder-

um als Folge von Kolonialismus, Kapitalismus und Imperialismus gesehen werden kann, tau-

chen (mit wenigen Ausnahmen) in den untersuchten Materialien nicht auf. Ein anderes Bei-

spiel für die Ausblendung von Kolonialismus sind jene Diskursfragmente, die das 'namibische

Schulsystem' als defizitär kritisieren (vgl. GF2-1, GF4-2, GF7-1, PF1-2) und dabei (vermut-

lich unbewusst) auslassen, dass eben dieses Schulsystem von deutschen Kolonisator_innen

eingeführt wurde und Teil einer Herrschaftsstrategie war (vgl. Kontzi 2015: 140).

Auch die Bezeichnung 'Afrikaner_innen' für die Schwarzen Menschen aus dem Arbeitsum-

feld der Freiwilligen stellt eine eurozentrische und homogenisierende Sichtweise dar. Die Er-

fahrungen der Freiwilligen mit einigen Namibiern werden auf einen gesamten Kontinent und

seine Bewohner_innen projiziert. Den vielfältigen Völkern und Kulturkreisen wird man so al-

lerdings nicht gerecht. Auch im Kolonialismus wurden alle Bewohner_innen Afrikas als ein-

heitliche Gruppe gesehen. Das Ergebnis: eine willkürliche Kolonial- und Grenzpolitik.8

Eine weitere regelmäßig auftretende Strategie in den Rundbriefen und Blogeinträgen ist die

Darstellung der 'Anderen' als (hilfebedürftige) Kinder und die daraus abgeleitete Rechtferti-

gung zur 'erzieherischen Beratung'. Einige der Freiwilligen beschreiben die Menschen als un-

fähig ihr Leben zu meistern (vgl. GF4-1, GF4-2 GF7-1, PF1-1, PF1-2), faul (vgl. PF1-1, PF1-

2) und ferner würden sich selbst Erwachsene wie Kinder benehmen9 (vgl. GF2-2). Von die-

sem infantilen Verhalten zeigt sich PF1 genervt (vgl. PF1-1) und GF5 schreibt er müsse Ge-

duld lernen (vgl. GF5-1). Somit nehmen einige der Freiwilligen selbst die Rolle des Erwach-

senen ein, der geduldig wartet, dass sich die 'Kinder' nach seinen Vorstellungen entsprechend

'entwickeln' (vgl. Kontzi 2015: 144). Diese „Infantilisierungsstrategie“ (Kontzi 2015: 143)

wurde auch im Kolonialismus verwendet und diente zur Legitimierung der sogenannten 'Zivi-

lisationsmission', die letztendlich die Ausbeutung und Unterdrückung in den Kolonien einlei-

tete (vgl. ebd.:142).

8 Eckert sieht in dieser Willkür „eines der Grundübel in Afrika“ (Eckert 2009: 6). Indem die Grenzen ohneRücksicht auf die tatsächlichen Verbindungen der einzelnen Völker gezogen wurden, wurden einerseitsGroßfamilien auf unterschiedliche europäische Verwaltungs- und Sprachgebiete verteilt und andererseits ver-feindete Völker zwangsweise vereint (vgl. ebd.).

9 „Die Eltern hätten so stolz auf ihre Kleinen sein können, da sie sich alle größte Mühe gegeben haben. Aberanstelle dessen war es in der Aula die ganze Zeit über sehr laut, die Erwachsenen haben geredet, sind herumgelaufen und man konnte die Kinder nicht verstehen. Das tat mir schrecklich leid. Wenn sich noch nicht ein-mal die Eltern benehmen können, ist es kein Wunder, dass die Kinder auch so werden“ (GF2-2).

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Auch die Darstellung der weiblichen Subalternen als sprachloses und anonymes Objekt stellt

eine Kontinuität zum Kolonialdiskurs dar (siehe Kapitel 2.1: Spivak) und trägt zur Intfatilisie-

rung der Menschen bei:

„Hier »probieren« nämlich die Männer viele Frauen durch und wenn man verhütet,

ist man »kein richtiger Mann«. Somit sind 16-jährige Mädchen oft schon Mütter und

viele Frauen haben so viele Kinder, dass sie sie gar nicht versorgen können (oder

wollen?). Es gibt jedoch viel zu wenige Waisenhäuser, wodurch für viele der einzige

»Ausweg« der Müllplatz ist [Tötung der Kinder – Anm. d. Verf.], vor allem natürlich

wenn man ein behindertes Kind bekommt“ (PF1-2).

Die Viktimisierung und Veranderung der weiblichen Subalternen reproduziert die (scheinbar

implizit kritisierten) Geschlechterverhältnisse und lässt außen vor, dass diese „historisch ge-

wachsen und gesellschaftlich umkämpft sind“ (Glokal e.V. 2013: 37). Auch der deutsche Ko-

lonialismus prägte und veränderte die Geschlechterbeziehungen in Namibia. So konstatiert

Kontzi, dass „durch die Verbreitung von Christentum, westlichen Erziehungssystemen und

vor allem kapitalistischen Arbeitszwängen wurden Gesellschaftsmodelle mit weniger hierar-

chischen bzw. anders strukturierten Geschlechterverhältnissen verunglimpft, die zuweilen

fließenden Übergänge zwischen männlich und weiblich, heterosexuell und homosexuell ver-

eindeutigt (bzw. homosexuelle Praktiken unter Strafe gestellt) und durch europäische Ge-

schlechternormen die gesellschaftliche Position von Frauen insgesamt verschlechtert“ (Kontzi

2015: 37).

Das Abenteuer des 'wahren Afrikas'

„Ort X selbst zeigt Afrika so, wie man es sich genau vorstellt, denn Ort X liegt irgend-

wo mitten im Land. Bis zur nächsten Stadt sind es 120Km, es gibt keine Fenster oder

Türen in den Häusern und die Toiletten sind nicht in, sondern neben den Häusern. Zur

Toilette muss sich jeder sein eigenes Wasser mitnehmen“ (GF1-1).

In diesem Diskursfragment stellt sich eine Freiwillige als Abenteurerin dar, die die widrigen

und extremen Bedingungen des 'wahren Afrikas' meistert. Dieses Narrativ ist in der kolonia-

len Zeit entstanden und konstruiert den Globalen Süden als 'wild', ungebändigt und schmutzig

(vgl. Glokal e.V. 2013: 28). Es geht auf binäre Oppositionen wie modern/traditionell, 'entwi-

ckelt'/'unterentwickelt' und geregelt/chaotisch zurück (vgl. ebd.: 34). Selbst wenn die als „ty-

pisch für Afrika“ gesehenen Mängel dabei teilweise als „spannend“ und „super“ bezeichnet

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Page 32: Bachelorarbeit...Bachelorarbeit Josia Tiedtke Postkoloniale Perspektiven auf die deutschen Freiwilligendienste in Namibia Eine rassismuskritische Analyse von Rundbriefen und

werden, wird das Bild von einem 'rückständigen' Afrika reproduziert. So beschreibt eine Frei-

willige „viel Trubel, viel gehupe und ein leichtes Chaos“ (GF6-1) als „super Eindruck“ und

„Afrika fast wie man es sich vorstellt“. An einer anderen Stelle wird ein Township als „Afrika

Pur“ (ebd.) bezeichnet. Während die defizitären Beschreibungen des vermeintlich 'wahren

Afrikas' die Bewohner_innen des Globalen Südens in ihrer unterlegenen Position fixieren,

stärken sie gleichzeitig die überlegene Position der Freiwilligen. Denn je widriger und aben-

teuerlicher die Erfahrung 'Afrika' beschrieben wird, desto mehr werden die Berichtenden zu

Held_innen, die allen Schwierigkeiten getrotzt und „überlebt“ haben. (vgl. Glokal e.V. 2013:

29). Somit kann der Expert_innenstatus weiter gefestigt werden.

Das Gegenbild der 'Schwarzen' – die Selbstpositionierung als Expert_in

„Mein Dienst in der Vorschule ist sehr wichtig. Ich merke es immer wieder. Ich habe

hier schon so viel erreicht. (…) Doch nicht alles läuft so, wie es sollte. Es gibt viele

organisatorische Probleme, aber auch die Lehrer brauchen viel Unterstützung. Des-

halb sind X1 [Andere Freiwillige – Anm. d. Verf.] und ich da. Wir geben Hilfestellun-

gen und Lösungen für Probleme, die dort auftreten“ (GF4-1).

Indem sich Freiwillige selbst als Alleskönner_innen und Experten_innen darstellen, bilden sie

(in ihrer Konstruktion) das positive Gegenbild der 'Anderen'. So versichern einige der Schrei-

benden der Berichte ferner, dass ihre Arbeit „auch echt stressig sein [kann]. Es gibt viele Auf-

gaben, die eigentlich von zwei Lehrern zusammen gemacht werden müssen oder die in die

gleiche Zeit fallen. Aber ich glaube mich trotzdem gut geschlagen zu haben!“ (GF1-2) oder

dass sie „noch härter an einer ständigen Verbesserung arbeiten“ (PF1-2) wollen.10

Während diese Fragmente die Selbstpositionierung als Expert_in explizit darstellen, wurde

die vermeintlich eigene Überlegenheit ebenso bereits in den vorangegangenen The-

menschwerpunkten implizit ausgedrückt. Durch die defizitäre Darstellungen der Menschen

('Schwarze') und der Umgebung ('Afrika') entsteht ein dichotomen Repräsentationssystem. In-

dem viele der Freiwilligen die Position des Be- bzw. Abwertenden einnehmen, grenzen sie

sich vom 'Anderen' ab und nehmen eine überlegene Position ein. Durch die Bewertung der

'Anderen' als bspw. 'unterentwickelt', 'primitiv' und kindlich, wird ihre eigene Identität als po-

sitives Gegenbild konstruiert, also mit den entsprechenden gesetzlichen Attributen

10 Weiteres Beispiel: „Zwar haben wir sicher viel von dem entspannten Leben schon angenommen (können unsgar nicht mehr vorstellen, wie man die unglaublich stressige Zeit vor dem Abi überlebt hat), doch das niedri-ge Niveau bei vielen Dingen versuchen wir durch Böll, Goethe uns Zeh irgendwie zu kompensieren“ (PF1-2).

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Page 33: Bachelorarbeit...Bachelorarbeit Josia Tiedtke Postkoloniale Perspektiven auf die deutschen Freiwilligendienste in Namibia Eine rassismuskritische Analyse von Rundbriefen und

'entwickelt', 'zivilisiert' und erwachsen versehen (siehe Kapitel 2.1: Said).

Darüber hinaus zeigt sich die Selbstpositionierung als Expert_in auch in den sich wiederho-

lenden Verbesserungsvorschlägen:

„An einem Abend haben wir alle Eltern zu Projekt X zu einem Elternabend eingela-

den, um einige wichtige Dinge zu besprechen. (…) Außerdem erklären wir noch, was

wir in der nächsten Zeit vorhaben und sprechen über einige Probleme, zum Beispiel

das Auf-Toilette-gehen, das Naseputzen, das Kranksein oder das schlechte Englisch

der Kinder. (…) Wir betonen auch noch einmal ganz stark, dass die Kinder nicht zur

Strafe geschlagen werden sollen, weil es keinen Sinn hat einem Kind beibringen zu

wollen, dass es keine anderen Kinder schlagen darf, wenn es dafür mit Schlägen be-

straft wird! Ganz abgesehen davon lehnen wir Gewalt gegen Kinder sowieso grund-

sätzlich ab und auch Projekt X ist ein gewaltfreier Ort, an dem sich jedes Kind gebor-

gen und sicher fühlen soll!“ (GF7-1).

Die Freiwillige in diesem Beispiel nimmt die erweiterte Rolle der beratenden Expertin ein, die

weiß, welche erzieherischen Maßnahmen angebracht sind. Weiterhin werden dabei die Defizi-

te der 'Anderen' in den Mittelpunkt gestellt um die eigene Überlegenheit zu festigen. Diese

Strategie lässt sich auch bei weiteren Proband_innen ausmachen. So finden bspw. auch GF2

und GF3 dass die Kinder in ihrem Umfeld ihre englischen Sprachkenntnisse vertiefen sollten.

Eigene Defizite, wie etwa die Unkenntnis der jeweiligen Muttersprache der Gesprächspart-

ner_innen, bleiben unerwähnt. Stattdessen wird selbstverständlich erwartet, dass die Kinder

der englischen (Kolonial-)Sprache mächtig sind.

Die Verbreitung europäischer Wissenssysteme – Postkoloniale 'Zivilisationsmission'

Aus dem Umstand, dass die 'Anderen' im diskursiven Wissenssystem der Freiwilligen auf ei-

ner anderen Stufe der Entwicklung und Aufklärung verortet werden, wird schließlich, analog

zum kolonialen Diskurs, auch in einigen der vorliegenden Diskursbeiträgen eine 'Zivilisati-

onsmission' abgeleitet (siehe Kapitel 2.1: Bhabha).

„In Sachen Disziplin hatte ich schon einen kleinen Erfolg. Ich hab einen Jungen nach

sitzen lassen. (…) Letzen Endes saßen wir knapp 2 h in diesem Raum, aber er hat

dann doch noch seine Aufgabe beendet. Die Lehrer fanden das ziemlich beeindru-

ckend, weil ihnen ein anderer Weg gezeigt wurde, wie man die Kinder disziplinieren

kann. Auch waren sie sehr interessiert daran. Man merkt schon, dass sie etwas verän-

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Page 34: Bachelorarbeit...Bachelorarbeit Josia Tiedtke Postkoloniale Perspektiven auf die deutschen Freiwilligendienste in Namibia Eine rassismuskritische Analyse von Rundbriefen und

dern wollen, aber einfach nicht wissen, was sie anstelle der Schläge machen sollen“

(GF2-1).

Die Selbstwahrnehmung dieser Freiwilligen erinnert an koloniale Legitimierungsdiskurse, die

Kolonialisierungsprozesse als „Bürde des weißen Mannes zu zivilisieren“ (Horstmann 2009:

8) und gewinnbringend für die Bewohner_innen der Kolonien darstellten.11 Es ist dabei offen-

sichtlich welche Erziehungsmaßnahme (Körperstrafe/Nachsitzen) die überlegene und 'richti-

ge' ist. Auch andere Freiwillige beschreiben in ihren Reiseberichten, wie sie europäische Wis-

senssysteme verbreiten, um „Hilfestellungen und Lösungen für Probleme, die dort auftreten“

(GF4-1) zu geben. Insbesondere das Erziehungswesen soll nach deutschem Vorbild verändert

werden. Es sollen Disziplin (vgl. GF2-1, PF1-1), Elternabende (vgl. GF7-1) und ein euro-a-

merikanisches E-Learning-System eingeführt werden (vgl. PF1-2) und das möglichst für ganz

„Namibia, und irgendwann hoffentlich (…) ganz Afrika“ (ebd.).

Die Verbreitung europäischer Wissenssysteme stellte eine wichtige Dimension im europäi-

schen Kolonialismus dar (vgl. Glokal e.V. 2013: 11). Der aktuelle Stand an 'Wissen' und

'Wahrheit' wurde zur Norm erhoben, anhand der die Kolonisierten bewertet wurden (vgl.

ebd.). In der Postkolonialen Theorie wird dieses Verhalten als eurozentrisch kritisiert, da 'Ent-

wicklung' als unilinearer, universaler und zielgerichteter Prozess verstanden wird, an dessen

Spitze sich der Globale Norden selbst verortet (siehe Kapitel 2.2).

Der Expert_innenstatus der Freiwilligen wird dabei durch die Führungspositionen, die sie als

Teil der 'Zivilisationsmission' regelmäßig einnehmen, weiterhin gefestigt. Diese werden ihnen

i.d.R. von namibischen Mitarbeiter_innen der Aufnahmeorganisationen zugeteilt. So wird

bspw. eine Freiwillige kurz nach ihrer Ankunft zur Programmleiterin des 'World-Aids-Day'

ernannt (vgl. PF1-1) und viele weitere schildern wie ihre Kolleg_innen sie um Hilfe bitten:

„Ich merke auch, wie die Lehrer meine Arbeit und meinen Aufwand wertschätzen.

Sehr interessant war für mich die letzte Woche, da mich am Montag eine der Lehre

rinnen angesprochen hat und gesagt hat, dass sie diese Woche komplett Unterricht

machen möchte und ich ihr bitte jeden Tag Feedback geben soll, wie ihr Unterricht

war. Und er war sehr gut. Die Kinder haben super aufgepasst und wirklich etwas ge

lernt und auch sehr viel Spaß gehabt dabei. Das freut mich sehr, weil ich so auch mer

11 So behaupteten bspw. Prof. Wiedenfeld und Müllendorff in einem Bericht über eine 'Ostafrika-Expedition'im Jahre 1908, dass die Kolonisierten „die Wohltat der europäischen Herrschaft" empfänden (Müllendorff,Prosper 1910, zit. n. Horstmann, 2009: 9) und sie es selbst fühlten, "daß die Lehren der Europäer ihnen vonVorteil sind" (Wiedenfeld, Kurt 1911, zit. n. Horstmann, 2009: 9).

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ke, dass auch wenn ich dann gehen werde, wird doch einiges so weitergehen, wie ich

mir das wünsche“ (GF4-2).

In Bezug auf Bhabha und sein Konzept der Mimikry könnte dieses Zitat entweder als Form

des Widerstands oder als tatsächliche internalisierte Unterdrückung gedeutet werden (siehe

Kapitel 2.1: Bhabha). Als Form der Widerstands könnte das Verhalten der Lehrerin als Mas-

kerade verstanden werden. Durch die scheinbare Akzeptanz der Weißen Überlegenheit (hier

bzgl. des Schulsystems) könnte sich die betreffende Person etwa bessere Berufschancen er-

hoffen. Oder aber es handelt sich um eine tatsächliche Verinnerlichung der europäische Werte

und Normen und die Lehrerin sieht in der Freiwilligen eine Vertreterin dieser Werte. Dieser

Ansatz lässt sich aufgrund eines singulären Beitrags allerdings nicht belegen. Fest steht, dass

globale und postkoloniale Herrschaftsverhältnisse zementiert werden, wenn Weiße unausge-

bildete Freiwillige Führungspositionen übernehmen.

Die Ausbeutung der 'Ressource Kind'

„Morgens beginnt der Tag mit Sportunterricht in der Grundschule mit den Klassen 1.

und 2., anfangs war das der [sic!] dröge, da die Kinder jeden Tag das gleiche machen

müssen und mir auch nicht so viel Verantwortung übertragen wurde, sodas ich im

Grunde die ganze Zeit nur daneben stand, während X4 (mein Sportteamkollege) Sport

mit den Kindern macht, das hast sich jetzt aber enorm verbessert, ich habe die Klas-

sen manchmal jetzt so gut wie allein und es bringt echt viel Spaß“ (GF62).

In den Rundbriefen und Blogeinträgen beschreiben viele Freiwillige ihre Arbeit mit Kindern

wiederholend als erfüllend und erfreuend. Die Anerkennung und Zuneigung, die sie dabei von

den Kindern erhalten, wirke ermutigend und mache sie glücklich (vgl. GF1-2, GF2-1, GF6-2,

PF1-2).12 Vier der zehn Proband_innen waren unter anderem in einer (Vor-)Schule (GF2,

GF4, GF6, PF1) und drei in einem Waisenhaus (GF6, PF1, PF3) tätig. Bemerkenswert ist in

diesem Zusammenhang, dass vergleichbare Einsätze in Deutschland nicht realisierbar wären,

da hierzulande nur jene Freiwillige im Erziehungsdienst eingesetzt werden dürfen, die über

eine entsprechende pädagogische Ausbildung verfügen (vgl. Hessisches Ministerium für So-

ziales und Integration 2014: 6). Und selbst weltwärts reguliert in seinem Rückkehrkonzept,

dass nur jene zurückgekehrten Freiwillige einen Einsatz in deutschen Schulen, Kindergärten,

12 Weiteres Beispiel: „Dabei hat eine Mutter von einem Kind aus meiner Klasse noch etwas total Süßes erzählt. Ihre Tochter X scheint Zuhause nur noch von mir zu erzählen und sie war einmal wohl sogar richtig sauer, weil ich nicht in der Schule war. Deshalb wollte sie nie wieder zur Schule! Es waren einfach total ermutigende Worte, die mir gezeigt haben, dass ich wirklich mein Bestes gegeben habe und dafür werde ich von den Kindern richtig belohnt!“ (GF1-2).

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Kindertagesstätten oder außerschulischen Einrichtungen durchführen dürfen, die über eine

vorangegangene Qualifizierung verfügen (vgl. weltwärts 2014: 10). Der Einsatz im Partner-

land jedoch setzt keine vergleichbare Qualifizierung voraus. Die Einsatzvoraussetzungen für

'hier' und 'dort' sind demnach asymmetrisch.

Insbesondere die Arbeiten in den Waisenhäusern sind dabei als sehr kritisch zu bewerten.

Zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten und Studien über die Bindungstheorie haben aufge-

zeigt, dass eine Fluktuation von Mitarbeiter_innen in Heimen eine sehr große emotionale Her-

ausforderung für die Kinder- und Jugendlichen darstellt, da die meisten von ihnen bereits

zahlreiche Beziehungsabbrüche in ihren Herkunftsfamilien erfahren haben (vgl. Krug 2015:

27ff.; Baur u.a. 1998: 22ff.). Dennoch organisieren deutsche Freiwilligendienste weiterhin

kurzzeitige Einsätze in Waisenhäusern des Globalen Südens. Der Risikofaktor für weitere

emotionale Traumata der Kinder bei ständig wiederkehrender Abreise von liebgewonnen

Freiwilligen wird vernachlässigt und stattdessen auf das zunehmende Interesse an Besuchen

und Helfen in Waisenhäusern eingegangen (vgl. Czarnecki u.a. 2015: 11). Neben der mögli-

chen Traumatisierung der Kinder birgt dies zusätzlich die Gefahr, dass sich in den Partnerlän-

dern Strukturen bilden, die entsprechend der 'Nachfrage' Waisenhäuser gründen. So führen

Czarnecki u.a. den Umstand, dass etwa 85% der Kinder in kambodschanischen Waisenhäu-

sern mindestens noch einen lebenden Elternteil haben (vgl. Unicef 2011: 37), darauf zurück,

dass skrupellose Hintermänner den Eltern der Kinder falsche Hoffnungen machen (Waisen-

haus als Bildungseinrichtung), um schließlich mit neu gegründeten Waisenhäusern den 'Be-

darf' der Freiwilligen zu decken (vgl. Czarnecki u.a. 2015: 11). Dieses Beispiel veranschau-

licht wie Kinder im Kontext des deutschen Freiwilligendienstes als Ressource missbraucht

werden und erinnert an die Ausbeutung materieller Ressourcen innerhalb der kolonisierten

Gebiete, die keine Gegenleistung für die Bewohner_innen der Kolonien vorsah.

Verharmlosung und kolonialer Sprachgebrauch

„Die größte Spannungen herrschen hier zwischen den verschieden Stämmen der

Ureinwohner, wie ich in meinem Kurs 'Intercultural Studies' schon lernen konnte“

(PF2-2).

Sowohl der Terminus 'Stamm' als auch 'Ureinwohner_in' finden ihren Ursprung im kolonialen

Diskurs und wurden bewusst in Abgrenzung zu den bestehen Begriffen Volk und

Einwohner_in eingeführt. Das Konstrukt 'Ureinwohner_in' entspricht dem 'Anderen' der sich

zur Norm erhebenden Weißen 'Einwohner_innen'. Das Präfix 'ur' ist dabei synonym mit Attri-

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buten wie 'unterentwickelt' und 'primitiv' (vgl. Arndt 2004: 117).

Der Begriff 'Stamm' ist ebenfalls negativ konnotiert und „im Sinne einer Verhältnisbestim-

mung aus westlicher Sicht als 'geringer', nicht ernst zu nehmen, weniger bedeutsam und kei-

neswegs gleichberechtigt mit europäischen/westlichen“ (Arndt; Ofuatey-Alazard 2011: 123)

Völkern verortet.

Auch andere Freiwillige verwenden Begriffe, die aus der Kolonialzeit stammen oder in ihr

abwertend umgedeutet wurden. So findet sich in einem Rundbrief der Begriff 'Mischling'

(PF1-2), dem eine eindeutig rassentheoretische Semantik zugrunde liegt. Ein weiterer Freiwil-

liger bezeichnet seinen Blog als 'Buschtrommel', mit der er seinen Leser_innen „die Gescheh-

nisse und Bilder zu 'trommeln'“ (PF2-1) möchte. In einem wiederum anderen Bericht werden

Wohnhäuser als 'Hütten' benannt (vgl. PF3-2). All diese Begriffe sind Teil eines Netzes von

Assoziationen (vgl. Glokal e.V. 2013: 21). Durch Begriffe wie 'Ureinwohner_in' werden so

kolonial-rassistische Stereotype wie naturverbunden, 'primitiv', 'wild', 'unzivilisiert', ungebil-

det, 'unterentwickelt', hilfsbedürftig abgerufen (vgl. ebd.). Dieses Assoziationen bestimmen

maßgeblich über die Wahrnehmungen der beteiligten Akteur_innen.

Ein weiteres wiederkehrendes Phänomen in den untersuchten Diskursbeiträgen ist die Ver-

harmlosung des deutschen Kolonialismus in Namibia. So bewertet etwa ein Freiwilliger die

geplante Demontage des Reiterstandbildes (siehe Kapitel 3.2) als Fehlentscheidung:

„Geschichte lässt sich nicht ungeschehen machen. Das Vorhaben des Präsidenten, die

Statue komplett abzubauen, ist daher nicht richtig. Auf einer Gedenktafel, die an dem

Reiterstandbild angebracht ist, an die gefallenen deutschen Soldaten in den Kriegen

gegen die Herero und Nama zu erinnern, finde ich auch richtig“ (GF5-2).

Die Inschrift der besagten Gedenktafel lautet: „Zum ehrenden Angedenken an die tapferen

deutschen Krieger, welche fuer Kaiser und Reich zur Errettung und Erhaltung dieses Landes

waehrend des Herero- und Hottentottenaufstandes 1903 bis 1907 und waehrend der Kalahari-

Expedition 1908 ihr Leben liessen. Zum ehrenden Angedenken auch an die deutschen Buer-

ger, welche den Eingeborenen im Aufstande zum Opfer fielen. (…)" (Zeller 2015). Diese

Worte sind der Inbegriff von Kolonialrassismus und Eurozentrismus. Der brutale und feige

Völkermord an den Herero und Nama wird hier als „Errettung und Erhaltung des Landes“ be-

zeichnet und die deutschen Kriegsverbrecher_innen als ehrenvoll und tapfer betitelt. Darüber

hinaus handelt es sich bei dem Denkmal auch um eine Demonstration von Herrschaft, die den

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politischen Machtanspruch der deutschen Kolonialist_innen symbolisieren soll(te)13 (vgl.

ebd.). Dass die Demontage nun ausgerechnet von einem deutschen Freiwilligen kritisiert wird

ist somit deplatziert und unberechtigt.

Ein weiteres Beispiel für die Verharmlosung der deutschen Kolonialisierung Namibias stellt

die positive Darstellung des 'deutschen Erbes' dar. So stellt einer der Freiwilligen fest, dass

„der deutsche Einfluss (...) auch bei der Namensgebung von Städten, Stadtvierteln oder der

Straßen deutlich [wird] (z.B Ludwigsdorf, Pionierspark)“ (PF2-2). Der hier verwendete Be-

griff 'Einfluss' ist durch seine positive Konnotation ungeeignet um die Rolle der deutschen

Kolonisator_innen in der Geschichte Namibias zu beschreiben. Laut Duden ist 'Einfluss' eine

durch Ansehen und Geltung begründete bestimmende Wirkung auf jemanden oder etwas (vgl.

Duden o.J.(c)). Dies beschreibt nicht im Ansatz, wie das deutsche Kaiserreich das gesamte

Land gewaltsam besetzte und die besagten 'deutschen Stadtviertel' durch Zwangsarbeiter_in-

nen errichten ließ. Ähnlich wie die von Danielzik beschriebene Scheinamnesie innerhalb des

Entwicklungsdiskurses (siehe Kapitel 2.2) dient die Strategie der „Entnennung der Geschich-

te“ (Kontzi 2015: 134) auch in diesem Zusammenhang dafür die eigene Verantwortung nicht

zu übernehmen und die 'Anderen' als defizitär darzustellen.

13 Zur Einweihung des Reiterstandbildes sagte Gouverneur Dr. Theodor Seitz unter großer Beteiligung derdeutschen Bevölkerung: „Den Toten zur Ehre ist dieses Denkmal gesetzt, den Lebenden zum Ansporn, zu er-halten und auszubauen, was in einem schweren Kampfe von aufopfernder Vaterlandsliebe errungen wurde.(...) Der eherne Reiter der Schutztruppe, der von dieser Stelle aus in das Land blickt, verkündet der Welt, daßwir hier die Herren sind und bleiben werden" (Seitz, Theodor 1912, zit. n. Zeller, 2015).

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4.2 Zusammenfassende Bewertung

Die Analyse der Materialien liefert einen empirischen Beleg für die Aktualität postkolonialer

Thesen. Innerhalb des deutschen Freiwilligendienstes lassen sich vielfache Kontinuitäten zum

kolonialen Diskurs ausmachen. Obgleich die Kolonialgeschichte und ihre Nachwirkungen in

den untersuchten Reiseberichten weitestgehend unerwähnt bleiben, sind die Denk- und Wahr-

nehmungsmuster der Freiwilligen von ihr geprägt. So konstruieren sich einige der

Proband_innen selbst als überlegene Expert_innen, die den 'Anderen' bei ihrer 'Entwicklung'

helfen. Die gegenwärtigen politischen und ökonomischen Verhältnisse, die als Folge von Ko-

lonialismus einen hohen Beitrag für die unterlegene Position Namibias im globalen System

leisten, werden nur an sehr wenigen Stellen des Materials benannt. Durch dieses Auslassen

der Kolonialgeschichte wird die Verantwortung für die Verhältnisse im Globalen Süden aus-

schließlich bei den dort lebenden Menschen gesehen. Folglich nimmt die Mehrzahl der Rund-

briefschreiber_innen und Blogger_innen im Rahmen einer postkolonialen 'Zivilisationsmissi-

on' die Rolle der beratenden Entwicklungshelfer_innen ein.

Indem die Analyse einige der Strategien, Mechanismen und Herrschaftsverhältnisse innerhalb

des Materials offengelegt hat, konnte herausgestellt werden, dass die Konstruktionen der 'An-

deren' auf Eurozentrismus, Stereotypisierung und (Kolonial-)Rassismus gründen. Das Resü-

mee der Analyse kann dementsprechend mit den Worten des nigerianischen Publizisten Akin

Euba geschlossen werden:

„Westliche Korrespondenten schildern meistens nicht afrikanische Kultur,

sondern geben westliche Ansichten über afrikanische Kultur wieder“

(Euba, Akin 1982, zit. n. Zurmühl, 1995: 87)

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5. Der Weg zu einem weltbürgerlichen Freiwilligendienst

Die vorliegende Arbeit wurde mit einem Zitat von Kant eröffnet, das illustriert wie Rassismus

entstehen bzw. reproduziert werden kann. Im letzten Kapitel soll Kants Philosophie ein zwei-

tes Mal rezipiert werden. In Anlehnung an sein Konzept des Weltbürgerrechts werden im Fol-

genden Überlegungen angestellt, die für ein neues anti-koloniales Selbstverständnis der hiesi-

gen Freiwilligendienste plädieren.

In der im Jahre 1795 erschienen Schrift 'Zum ewigen Frieden' beschreibt Kant wie die glo-

bale Welt in einen 'wirklichen Friedenszustand' überführt werden kann. Neben den Grundvor-

aussetzungen eines reformierten Staats- und Völkerrechts muss nach Kant außerdem ein

Weltbürgerrecht eingeführt werden, um den „süßen Traum“ (Kant 1795: 4) des ewigen Frie-

dens zu ermöglichen. Nach diesem Konzept ist die Welt als gemeinschaftlicher Besitz der

Menschheit zu betrachten, wo alle Menschen folglich das gleiche Recht haben sich an jedem

beliebigen Ort der Erde aufzuhalten. Dieses Recht müsse, so Kant, allerdings auf die Bedin-

gungen der 'allgemeinen Hospitalität' beschränkt sein, d.h. eine friedliche Haltung der Besu-

chenden und Gastgebenden vorausgesetzt werden.14 (Post-)Kolonialismus stellt nach Kant

demnach eine Verletzung des Weltbürgerrechts dar und wird als 'inhospitales Betragen' kriti-

siert (vgl. ebd.: 39ff.). Ein 'weltbürgerlicher Freiwilligendienst' wäre also eine Angelegenheit,

die den postkolonialen Machtasymmetrien zwischen Nord und Süd entgegenwirkt und somit

zur Völkerverständigung beiträgt bzw., in einer kantischen Terminologie: den Traum vom

'ewigen Frieden' näherbringt.

Die Analyseergebnisse zeigen, dass deutsche Freiwillige in Namibia derzeit entgegen ihres

Selbstverständnisses vielmehr an einer Zementierung der ungleichen Herrschaftsverhältnisse

beteiligt sind. Es ist davon auszugehen, dass die Selbst- und Fremdbilder, die innerhalb der

Reiseberichte artikuliert werden, das Afrikabild der Leser_innen prägen und zur Verfestigung

dominanter (Weißer) europäischer Wahrnehmung vom Globalen Süden beitragen. Wenn der

deutsche Freiwilligendienst tatsächlich einen Beitrag dafür leisten will, dass der Süden nicht

weiterhin ausgebeutet wird, müssen postkoloniale Perspektiven auf die Programme angewen-

det werden und eine anti-koloniale, sowie rassismus- und privilegienkritische Neuausrichtung

der Dienste stattfinden. Im Folgenden werden einige Ansätze aufgezeigt, die einen solchen

Wandel einleiten können. Auch wenn die vorliegende Arbeit keine Patentlösung für die Über-

14 Kants Weltbürgerrecht ist in postkolonialen Kreisen durchaus umstritten. So werfen ihm Spivak und Steyerlvor, sein Konzept des Weltbürgerrechts koexistiere mit der Naturalisierung von Unterdrückung im Begriffder 'Rasse' (vgl. Steyerl 2002: 33). Andere Stimmen bemerken hingegen, dass der Gedanke der Hospitalitätanti-koloniales Denken geradezu fordert bzw. Kolonialismus als Missbrauch desgleichen gewertet werdenmüsse (vgl. Bacin u.a. 2013: 331).

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Page 41: Bachelorarbeit...Bachelorarbeit Josia Tiedtke Postkoloniale Perspektiven auf die deutschen Freiwilligendienste in Namibia Eine rassismuskritische Analyse von Rundbriefen und

windung kolonialen Gedankenguts anbieten kann, ist es trotzdem sinnvoll für eine weltbür-

gerliche und damit anti-koloniale Freiwilligenarbeit zu werben.

Im Hinblick darauf, dass diese Bachelorarbeit in der Sozialen Arbeit verortet ist, soll der Fo-

kus jener Ansätze auf die pädagogischen Begleitkonzepte der Freiwilligenprogramme gelegt

werden. Diese Fokussierung bedeutet allerdings nicht, dass die alleinige Verantwortung für

die formulierte Kritik bei den Freiwilligen gesehen wird. Ebenso sind auf Ebene der Bundes-

ministerien und Entsendeorganisationen grundsätzliche Neuausrichtungen erforderlich. Ferner

bedarf es in Deutschland allgemein einer aktiven und öffentlichkeitswirksamen Erinnerungs-

kultur der Kolonialgeschichte, um der Gleichgültigkeit, Distanziertheit und fehlenden Verant-

wortungsübernahme entgegenzuwirken (vgl. Arndt; Ofuatey-Alazard 2011: 118). Aus Grün-

den des Umfangs der vorliegenden Arbeit wird auf diese Bereiche allerdings nicht eingegan-

gen.

Die Begleitkonzepte stellen einen geeigneten Anwendungsbereich für Postkoloniale Theorie

dar und können direkt an den Analyseergebnissen dieser Arbeit ansetzen. Wie bereits er-

wähnt, stellt die Begleitung der Freiwillen, bestehend aus Vor- und Nachbereitungsseminaren,

sowie der pädagogischen Begleitung, ein potenzielles Arbeitsfeld für Sozialarbeiter_innen

dar. Diese Berufsgruppe eignet sich auch für die Vermittlung rassismus- und privilegienkriti-

scher Inhalte. Gemäß des Deutschen Berufsverbandes für Soziale Arbeit (DBSH) gehört die

Förderung sozialer Gerechtigkeit, sowie die Achtung von Menschenrechten und Menschen-

würde zu den elementaren Kernbereichen sozialarbeiterischer Berufsethik (vgl. DBSH o.J.).

Die besondere Qualität der Praxis liegt dabei in der Integration verschiedener Wissenschaften

und in der analytischen und handlungsorientierten Durchdringung von 'System und Lebens-

welt' (vgl. Ballweg u.a. o.J.: 5). Damit ist die Soziale Arbeit geeignet, eine praktische Anwen-

dung postkolonialer Perspektiven in der Seminararbeit der Freiwilligendienste umzusetzen.

Bislang müssen Entsendeorganisationen bereits unter anderem ein pädagogisches Konzept

vorweisen, um sich für eine Kooperation mit G-FD zu qualifizieren, kolonialkritische Inhalte

sind dabei allerdings nicht erforderlich. Folglich bieten nur wenige Entsendeorganisationen

Workshops zu 'Critical Whiteness' oder Postkolonialismus an, wobei diese selbst dann eine

untergeordnete Rolle in den Seminare einnehmen (vgl. Kontzi 2015: 232). Es ist daher not-

wendig, dass staatlich geregelte Freiwilligenprogramme wie weltwärts ihre Richtlinien und

Qualitätsanforderungen entsprechend korrigieren. Ferner sollten Service- und Beratungsinsti-

tutionen wie QUIFD nur jene Entsendeorganisationen zertifizieren, die über ein privilegien-

und kolonialkritisches Begleitkonzept verfügen. P-FD sind von diesen Maßnahmen nicht be-

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Page 42: Bachelorarbeit...Bachelorarbeit Josia Tiedtke Postkoloniale Perspektiven auf die deutschen Freiwilligendienste in Namibia Eine rassismuskritische Analyse von Rundbriefen und

troffen und müssen individuell und selbstverantwortlich auf die Kritik, die in Arbeiten wie der

vorliegenden formuliert wird, reagieren.

Wie eine solche Neuausrichtung in der Praxis aussehen könnte, wurde bereits in verschiede-

nen Arbeiten diskutiert. So fordert etwa die Autorin und Anti-Rassismus Trainerin Urmila

Goel (2011), dass sich die Freiwilligen über den gesamten Zyklus von der Vorbereitung über

den Projekteinsatz bis zur Nachbereitung mit strukturellen Machtungleichheiten und ihrer ei-

genen (ungewollten) Verstrickung in Rassismus auseinandersetzen (vgl. ebd.: 27ff.). Ent-

scheidend ist dabei, dass die Referent_innen und Betreuer_innen im Vorfeld ebenso rassis-

mus- und privilegienkritsche Weiterbildungen erhalten, um eine fachgerechte Vermittlung der

Inhalte gewährleisten zu können. Die Freiwilligen sollten, so Goel, lernen, ihre eigenen Privi-

legien im Rassismus zu reflektieren und entsprechend Verantwortung dafür zu übernehmen

(vgl. ebd.: 28). Auch die Diplom-Pädagogin Friederike Walther, die selbst als Referentin in

der pädagogischen Begleitung eines G-FD tätig ist, fordert Kolonialismus, Postkolonialismus

und 'Critical Whiteness' in die Seminararbeit zu integrieren. Nur so könnten die Freiwilligen

hinsichtlich ihrer Positionierung in der globalen Welt sensibilisieren werden (vgl. Walther

2013: 39). In ihrer Studie „Freiwilligendienste in Ländern des globalen Südens“ (2013) entwi-

ckelt sie eine pädagogische Agenda, um die Reflexion der Freiwilligen in Bezug auf Postko-

lonialismus anzuregen. Dabei sollen sich die Freiwilligen insbesondere mit ihrem persönli-

chen Hintergrund, ihren eigenen Selbst- und Fremdbilder, sowie dem postkolonialen Kontext

und den damit einhergehenden Herrschaftsverhältnissen zwischen Nord und Süd auseinander-

setzen (vgl. ebd.: 19).

Sollte den deutschen Freiwilligendiensten eine derartige Neuausrichtung gelingen, könnten

Freiwillige tatsächlich lernen, wie man sich für eine gerechtere und zukunftsfähige Welt ein-

setzen kann. Denn bevor Gleichheit hergestellt werden kann, muss real existierende Ungleich-

heit erkannt werden. Erst wenn die eigene Reproduktion dieser Ungleichheit reduziert wird,

stellt der deutsche Freiwilligendienst einen Gewinn für alle Beteiligten dar.

„Auf diese Art können entfernte Welttheile mit einander friedlich in Verhältnisse

kommen (…) und so das menschliche Geschlecht endlich einer weltbürger-

lichen Verfassung immer näher [gebracht werden]“ (Kant 1795: 41ff.).

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II Rundbriefe und Blogeinträge

a) G-FD Teilnehmende (GF1-GF7)

1. G-FD Teilnehmerin – Erster Datensatz (GF1-1)

Hallo mein Lieben,

ich habe nun Sommerferien und kann mich ein wenig von dem Lärm der Kinder erholen. Am Samstag bin ich al-lerdings wieder zu einem Kindergarten gefahren, doch dieser war weit außerhalb von Stadt X. Wir sind zusam-men mit ein paar Leuten aus dem Chor und aus der Kirche, nach Ort X gefahren. Ort X ist ein Flüchtlingslager,in welchem hauptsächlich Angolaner leben. Auf dem Weg dorthin konnten wir am Straßenrand Affen, Warzen-schweine und Antilopen beobachten. In Ort X angekommen, haben wir zunächst gegrillt, während die Kinderdurchgehend für uns Lieder gesungen haben! Dann hieß es Geschenke verteilen... Die Kinder waren so aufgeregtund haben sich total über ihre Geschenke gefreut! Jedes Kind wurde einzeln vom Weihnachtsmann aufgerufenund hat das Geschenk erhalten. Allerdings sind die Kinder tanzend und singen nach vorne gekommen, was ihreFreude nochmal sehr zum Ausdruck gebracht hat. Es hat mir total viel Spaß gemacht und ich konnte mich sehran der Freude und Neugier der Kinder erfreuen! Ich wusste wieder ganz genau, wofür ich den Tag vorher alleGeschenke gepackt hatte und warum ich die Organisation "X" unterstütze.

Ort X selbst zeigt Afrika so, wie man es sich genau vorstellt, denn Ort X liegt irgendwo mitten im Land. Bis zurnächsten Stadt sind es 120Km, es gibt keine Fenster oder Türen in den Häusern und die Toiletten sind nicht in,sondern neben den Häusern. Zur Toilette muss sich jeder sein eigenes Wasser mitnehmen.

Mit den Leuten aus dem Chor verstehe ich mich total gut und ich habe wirklich total viel Spaß am Singen. AmSonntag hatte ich sogar die Ehre, als Einzige ein Solo zu singen. Insgesamt durfte ich das am Sonntag drei Malsingen :) Leider wird der Chor momentan immer kleiner, da so gut wie alle aus Land X kommen. Nun sind Som-merferien, alle haben frei und wollen zu ihren Familien. Dadurch löst sich der Chor leider etwas auf, doch wirmachen tapfer, als kleine Gruppe, weiter :)

Da ich schon nächsten Montag Geburtstag habe und bald Weihnachten ansteht, kommt wieder ein wenig Heim-weh auf... Deshalb freue ich mich immer wieder über sehr ausführliche Skype-Gespräche, die mir sehr helfen,mein Heimweh zu verarbeiten. Ich habe super viel Spaß daran, mit meiner Familie zu skypen, wie ich euch mitden folgenden Fotos beweisen möchte... [Bilder der Familie - Anm. d. Verf.] Samstag kommt schon meine aller-liebste Schwester, worauf ich mich unbeschreiblich doll freue! Dann geht es mit dem Reisen, mit Unternehmun-gen und super viel Spaß los! Ich versuche euch zwischendurch zu berichten, was wir so alles erlebt haben :)

Liebste Grüße aus dem sonnigen Namibia!

Eure GF1

1. G-FD Teilnehmerin – Zweiter Datensatz (GF1-2)

Hallo liebe Leser,

Nun geht meine Zeit hier in Namibia so langsam vorüber und es ist nur noch ein guter Monat, bis ich wieder inDeutschland bin. Irgendwie verfliegt die Zeit hier wie im Flug und ich habe das Gefühl, erst ein paar Monate inStadt X1 zu sein.

Nun hatte ich seit X1 Abreise die "Schulklasse X" die ganze Zeit alleine und teilweise war es echt anstrengendund teilweise total super! Ich konnte einfach mal mein ganz eigenes Programm durchziehen, was den Kindernwohl sehr gut gefallen hat, denn sie haben fleißig mitgemacht. Doch eine Klasse ganz alleine zu haben, kannauch echt stressig sein. Es gibt viele Aufgaben, die eigentlich von zwei Lehrern zusammen gemacht werdenmüssen oder die in die gleiche Zeit fallen. Aber ich glaube mich trotzdem gut geschlagen zu haben!

Letzte Woche hatten wir Elternabend und wir wurden schon offiziell verabschiedet, was für mich ein ganz komi-sches Gefühl war. Dabei hat eine Mutter von einem Kind aus meiner Klasse noch etwas total Süßes erzählt. IhreTochter X scheint Zuhause nur noch von mir zu erzählen und sie war einmal wohl sogar richtig sauer, weil ichnicht in der Schule war. Deshalb wollte sie nie wieder zur Schule! Es waren einfach total ermutigende Worte, diemir gezeigt haben, dass ich wirklich mein Bestes gegeben habe und dafür werde ich von den Kindern richtig be-

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lohnt!

Zudem hatte ich ja schon letztes Mal erwähnt, dass wir nun neue Mitbewohnerinnen haben. Nun sind wir einerichtige Mädels-WG und es macht echt Spaß! X2 kommt aus Deutschland und sie wird für 3 Monate in Namibiableiben und in einer Schule in Ort X arbeiten, während X3 aus Manchester kommt und in einem Kinderheim ar -beitet. Ich verstehe mich wirklich gut mit ihnen und der frische Wind in der WG tut uns echt gut!

Das Wochenende haben X4 und ich in Stadt X2 verbracht. Einer kleinen Stadt, welche ungefähr eine Stunde vonStadt X1 entfernt liegt. Dort wohnen Freunde von uns, welche auch schon öfters bei uns zu Besuch waren. Lei-der war es dort sehr kalt und auch in Stadt X1 ist es deutlich kühler, denn der WINTER ist da! Und glaubt mir,nachts friert es teilweise...Es ist also echt kalt!! Ab Morgen geht es für uns in die Schule nach Ort X und wir sindschon sehr gespannt, wie es dort werden wird. Ich werde euch in Kürze davon berichten.

Vielen Dank fürs Lesen und ganz liebe Grüße!

Eure GF1

2. G-FD Teilnehmerin – Erster Datensatz (GF2-1)

Hallo alle zusammen,

ich bin jetzt schon 7 Wochen hier in Ort X und fühle mich ziemlich wohl hier. Ich finde mich gut zurecht, weißgrößtenteils wo ich alles zu finden habe und finde immer wieder zu unserem Haus zurück.

Vor ca. 3 Wochen haben wir die Bekanntschaft mit 2 Holländerinnen gemacht, die in Block X (ärmster Blockvon Ort X) leben und dort ein gutes Projekt betreuen. Einen Sonntagmittag wurden wir zu ihnen eingeladen, siehaben uns nach der Kirche abgeholt und dann sind wir zusammen zu ihnen gefahren. Die leben in einem „Kid-scenter“ mit noch 5 anderen Holländern und bieten Vor-, als auch Nachmittagsunterricht an. Für die Kinder ausBlock X, da diese keine Unterstützung von ihren Eltern bekommen (wenn diese noch leben) und meist als Mut-tersprache Nama oder Oschiwambo sprechen. Dadurch haben sie enorme Probleme, dem Unterricht in der Schu-le zu folgen. Da sie nicht wie die anderen Schüler nur Englisch lernen müssen, sondern erst einmal Afrikaans.Der Vormittagsunterricht ist für diejenigen Kinder, die zu alt sind in die Schule zu gehen, aber auf dem Stand ei-nes Erstklässlers sind. Der Nachmittagsunterricht ist als Wiederholung für die Kinder gedacht. Eine Art Nachhil-feunterricht. Die Klassen bestehen aus rund 9 Kindern. Die Kinder bekommen dort auch Essen und werden ver-sorgt. Da es nur eine begrenzte Anzahl an Plätzen gibt, werden montags und freitags Projekte angeboten, an de-nen dann alle Kinder kommen können (200-300). An diesen Tagen werden christliche Werte vermittelt und eini-ge Spiele dazu gespielt. An 2 Tagen gibt es Sportunterricht, nach dem sich die Kinder dann auch duschen kön-nen (das können sie in ihrem Zuhause nicht). Die Idee des Projekts besteht aus drei Teilen; Bildung, Sport undLandwirtschaft. Den Teil der Landwirtschaft gibt es, damit sich das Center viele Sachen, wie z. B. Gemüse, nichtkaufen muss, aber auch um Arbeitsplätze zu schaffen. Besonders für diejenigen Menschen, die nicht fähig sind,andere Berufe zu erlernen und auszuüben. Außerdem gibt es noch einen Teil, in dem junge Frauen, die sehr frühschwanger geworden sind und ein Baby zu versorgen haben, unterstützt werden. Sie fertigen handgemachte Sa-chen, geben es dem Center und bekommen dafür Babyprodukte und Essen gestellt. Absichtlich kein Geld, weilsich die meisten davon Alkohol kaufen würden. Die gefertigten Sachen werden dann in einem kleinen Laden vondem Kidscenter verkauft. Nach dem Essen sind wir dann noch zusammen durch den Block gefahren. Es istschrecklich, wie die Menschen dort leben müssen. In winzigen Blechhütten, generationenübergreifend und meistohne Strom und Wasser. Es gibt auch Kinder, die dort alleine leben, weil alle ihre Angehörigen gestorben sind.Letzte Woche hat es 3 Tage am Stück geregnet. Das war der erste Regen diesen Jahres und alle waren sehrglücklich darüber. Die Vorstellung, wie es in Block X während dieser Tage aussah, ist schrecklich. Jetzt hab icheuch mal einen „kleinen“ Einblick in die Arbeit anderer Freiwillige geben.

Zurück zu mir und meinem Projekt. Glücklicherweise hab ich einen neuen Stundenplan bekommen und kannjetzt die Kinder besser kennen lernen, da ich nicht mehr in so vielen verschiedenen Klassen eingeteilt bin. Nebenden Fächern Arts, Mathe und Sport ist jetzt noch Englisch in der 4. Klasse dazu gekommen. Unter der Wochehab ich ziemlich viel Unterricht vorzubereiten und Noten zu vergeben. Die Notenvergabe in Arts war für micheine ziemliche Herausforderung. Es waren über 90 Frühlingsbilder (3 Klassen) und bei einer solchen Anzahl ge-recht zu bewerten, ist wirklich schwer. Mühe gegeben haben sich ja alle Kinder. In Mathe durfte ich auch schondie Tests von 3 Klassen korrigieren, aber das ging relativ schnell. Letzte Woche hab ich auch eine Stunde Nach-hilfeunterricht in Mathe gegeben. Es war gut, man so kann viel besser auf die Kinder eingehen.

Wir haben ein schönes Artsprojekt mit den 1. Klassen. Es gibt 3 Klassen, die X1, X2 und ich betreuen. Wöchent-lich wechselt die Klasse. X1 übernimmt den Teil der Musik, X2 Drama und ich Kunst. So kann man sich richtigdarauf vorbereiten und auch mal ein aufwendigeres Projekt machen, das sich dann 3 Wochen lang wiederholt.Die Arbeit mit den Kleinen macht richtig Spaß. Alle sind immer sehr dankbar und freuen sich, mich zu sehen.

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Am Freitag den 20.09. waren wir auf einer Kirmes in Ort X. Wir hatten einen sehr schön Abend und viel Spaß.Hauptsächlich waren wir bei der Familie unserer Sekretärin der Schule. Wenn wir von Einheimischen zum Esseneingeladen sind oder auch sonst in Unterhaltungen, sprechen wir mit ihnen Englisch und die Einheimischen un-tereinander Afrikaans. Es wäre schön, wenn wir bald ganze Zusammenhänge verstehen würden, um dem Ge-sprächsverlauf folgen zu können. Unser Sprachkurs in Afrikaans hat noch immer nicht richtig angefangen. Unse-re Wochenenden sind immer sehr verplant, aber schön. Leider komme ich dann immer nur kurz zur Ruhe. AmMontag, den 23.09. bin ich daheim geblieben. Mein Magen war ziemlich verstimmt. Ich vermute, dass ich Sams-tagabend etwas Falsches gegessen hab, X3 ging es ähnlich. Mittlerweile haben wir schon 3 Stromausfälle mitbe -kommen. Das kommt hier wohl hin und wieder mal vor. In Sachen Visum gibt es endlich mal eine gute Nach-richt: Es gab eine Verwechslung. Nicht ich bin diejenige, die den Antrag erneut stellen muss, sondern X1. Ichhab mein Visum bis zum 14.08.2014 eingetragen und daran wird sich auch nichts mehr ändern. Letztes Wochen-ende haben wir in Stadt X mit 2 Freiwilligen aus dem Norden verbracht. X3 konnte leider aus gesundheitlichenGründen nicht mitkommen. Es war trotzdem wirklich schön und wir hatten uns verständlicherweise viel zu er-zählen. Leider läuft es bei ihnen im Projekt nicht so gut, wie gewünscht. Sie fühlen sich ziemlich überflüssig undsind mehr in ihrem Haus, als das sie irgendetwas arbeiten können. Hier noch ein paar Bilder von dem Wochen-ende: X1 und ich: X2, X1 und ich: X1, X4, X2, ich und X5: Pool von Guesthouse X: Wir vorm Guesthouse X,Abreise:

In Sachen Disziplin hatte ich schon einen kleinen Erfolg. Ich hab einen Jungen nachsitzen lassen. Ihn überhauptnach der Schule in der Klasse zu behalten, war schon nicht einfach, da er am ersten Tag einfach weg gerannt ist.Am zweiten Tag hat er es wieder versucht, wurde aber mit der Hilfe eines Lehrers zurück geholt. Kurz zusam-mengefasst hab ich ihn 1. Korinther 13 abschreiben lassen (auf Englisch), er sollte dann noch mal die falsch ge-schriebenen Wörter aufschreiben, den Text vorlesen und in einem Satz zusammen fassen. Nach dem Abschrei-ben hat er sich geweigert weiter zu machen. X1 ist mit mir länger geblieben und hatte seine Tasche. Er hat 3xden Klassenraum verlassen und angekündigt, er würde ohne Tasche nach Hause gehen. Zwischendurch wollte eruns drohen und uns Angst machen. Letzen Endes saßen wir knapp 2 h in diesem Raum, aber er hat dann dochnoch seine Aufgabe beendet. Die Lehrer fanden das ziemlich beeindruckend, weil ihnen ein anderer Weg gezeigtwurde, wie man die Kinder disziplinieren kann. Auch waren sie sehr interessiert daran. Man merkt schon, dasssie etwas verändern wollen, aber einfach nicht wissen, was sie anstelle der Schläge machen sollen. Morgen wer-den wir mit X6 und ihrem Mann auf eine Farm fahren. Dort wird ein 21. Geburtstag stattfinden, von einemMann, den wir noch nicht kennen gelernt haben, aber das wird bestimmt interessant werden. Geplant ist es schonmorgen früh los zu fahren, damit wir uns noch die Farm und die Tiere anschauen können. Ich freu mich drauf.

Ich wünsche euch allen ein schönes, erholsames Wochenende!

Liebe Grüße GF2

2. G-FD Teilnehmerin – Zweiter Datensatz (GF2-2)

Hallo liebe Freunde und Verwandte,

jetzt lebe ich bereits knappe 4 Monate in Ort X und habe ein ganzes Schultrimester miterleben dürfen. Für dieKinder war es das letzte Schultrimester, für mich das erste. Direkt nach meinem letzten Rundbrief hatten wir dieEhre von der deutschen Reisegruppe, die die vorherige Woche ein paar Spenden für unsere Schule aus Deutsch-land mitgebracht haben, zu einer Safari-Tour auf der Unterkunft X eingeladen zu werden. Es war einfach nur be-eindruckend und ein toller, kurzer Ausflug unter der Woche! Die Gruppe hat keine Kosten gescheut, unserenTransport finanziert (die Lodge ist 30 km nördlich von Stadt X) und ist noch für unsere Zimmer, die Safari-Tour,Getränke und Essen aufgekommen. Am Donnerstag den 30.10. hat uns X6 und ihr Sohn X7 nach der Schule zuder Lodge gefahren und dann ging es auch schon 1 Stunde nach unserer Ankunft auf eine Safari-Tour durch das10000 Hektar große Grundstück. Mit 2 solchen Safari-Jeeps haben wir die Umgebung erkundet und waren somithautnah bei den Tieren. Aufgrund der momentanen Dürre importiert der Besitzer der Lodge Gras aus Südafrika,um seine Tiere, seinen Lebensunterhalt, vor dem Aussterben zu bewahren. Zu meinem Erstaunen haben wir rela-tiv häufig Giraffen zu Gesicht bekommen. Die Nashörner sind wohl eine ziemliche Seltenheit in Namibia. Sonah neben ihnen zu sitzen war sowohl beeindruckend, als auch beängstigend. Die Springböcke machen ihremNamen wirklich alle Ehre. Die Art, wie sie springen sieht sehr belustigend aus und mehr so, als würden sie da-durch langsamer voran kommen, als wenn sie rennen würden. Dabei machen sie einen Buckel und springenmehr hoch, als weit. In der Abenddämmerung und in der Nacht kommen einige Tiere zu der Grünfläche, die sichdirekt bei der Bar und dem Restaurant befindet. Dazu gehören hauptsächlich Gnus, Warzenschweine und Spring-böcke. Es war ein tolles Erlebnis so nah bei den Tieren zu sein und neben ihnen zu essen und zu trinken. Amnächsten Morgen haben X1 und ich uns noch ein bisschen am Pool entspannt. Dabei ist eine Horde Erdmänn-chen an uns vorbei gezogen. Leider waren sie zu schnell, um ein Foto von ihnen zu machen. Ein Erdmännchenwar besonders neugierig und ist zurückgeblieben und kam wenige Meter an mich heran. Wir haben wirklich tolle

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Stunden auf der Unterkunft X verbracht, mit netten Gesprächen und haben viel zu sehen bekommen. Daran wer-de ich mich gerne zurück erinnern. Wir sind sehr dankbar für die Großzügigkeit der Stadt X1 in Deutschland. Siewollten uns gerne etwas Gutes tun, weil ihnen gefällt was wir machen. Am darauffolgenden Wochenende habenwir Besuch von X8, einer deutschen Freiwilligen, die wir vor einigen Wochen in einem Backpackers in Stadt Xkennen gelernt haben, bekommen. Wir hatten einen sehr schönen Tag am Ort X2.

Am Samstag den 09.11. waren wir zum ersten Mal auf einer Hochzeit. X6 hat es ermöglicht, dass wir auf dieHochzeit ihrer Nichte gehen konnten um neben einem 21. Geburtstag eine andere große namibische Feier mitzu-erleben. Typisch afrikanisch wurde von alt bis jung viel getanzt. Wie es der Zufall - aber nicht ich – wollte,musste ich am Eröffnungstanz teilnehmen. Die Trauung fand in einer schönen Kapelle abseits von Stadt X statt.Nachdem einige Fotos gemacht wurden, sind wir dann weiter zu der Feier gefahren, die auf einer Farm mit eini-gen Bungalows und Pool, gehalten wurde. Die Feier war wirklich schön, sehr ähnlich zu einer deutschen Hoch-zeit. Nur das die jeweils 4 Brautjungfern und Trauzeugen nicht im Programm mitgemischt haben, sondern fürdie Bedienung der Gäste zuständig waren. Es ist sehr einfach Kontakte zu knüpfen, da die Menschen sehr offenund interessiert sind. Übernachtet haben wir bei X6 Schwester X9, die mit ihrer Familie in Stadtteil X, einemsehr schönen Stadtteil von Stadt X, gemeinsam mit ihrem Mann X10 und einem Sohn und einer Tochter, lebt.X10 ist Arzt in Stadt X und hat Medizin in Stadt X2 in Deutschland studiert. X9 arbeitet in einer Bank. Dement -sprechend hat die Familie sehr viel Geld und ich konnte seit langem wieder in einem sehr bequemen Bett schla-fen. Am Sonntag sind wir dann nochmal mit den engsten Familienangehörigen des Brautpaars zusammen ge-kommen und haben gegrillt. Abends fand die Weihnachtsfeier der Schule statt, auf der die Kinder klassenweisegetanzt, gesungen oder etwas aufgesagt haben. Die Eltern hätten so stolz auf ihre Kleinen sein können, da siesich alle größte Mühe gegeben haben. Aber anstelle dessen war es in der Aula die ganze Zeit über sehr laut, dieErwachsenen haben geredet, sind herum gelaufen und man konnte die Kinder nicht verstehen. Das tat mirschrecklich leid. Wenn sich noch nicht einmal die Eltern benehmen können, ist es kein Wunder, dass die Kinderauch so werden. Wir haben Kinder an der Schule, die noch nie von ihren Eltern gehört haben, dass sie stolz aufsie sind. Schön ist es die typischen Weihnachtslieder, wie „Oh du Fröhliche“ oder „Stille Nacht“, auf Afrikaanszu hören. Nach dem zweiten Mal hören kann man schon problemlos mitsingen, weil es sich ein bisschen wie ge-brochenes Deutsch anhört.

Am 15.11. haben wir für das X-Ehepaar gekocht. Die beiden sind immer sehr hilfsbereit und lieb uns gegenüberund wir wollten ihnen gerne mal etwas zurück geben. Da sie sehr interessiert an unserer Kultur und dem deut -schen Essen sind, haben wir ihnen ein „typisch-deutsches“ 3-Gänge-Menu aufgetischt. Zur Vorspeise gab esselbstgemachte Laugenbrötchen mit selbstgemachter Kräuterbutter. Als Hauptgericht gab es Kohlrouladen, Kar-toffeln mit Möhren und Erbsen und zum Schluss Mehlpfannkuchen mit Vanilleeis und heißen Kirschen. AmDonnerstag mussten wir schon mit dem Kochen anfangen, da wir nur 2 Kochtöpfe und nur 2 Herdplatten habenAber alles in allem hat es zu unserer Verwunderung sehr gut geschmeckt und wir hatten einen schönen Abend.Die darauffolgende Woche haben wir dann auch mal die Aunties (die Putzfrauen der Schule) zum Essen eingela -den, was wir vorgekocht und nach dem Unterricht in der Schule aufgewärmt haben. Die Aunties werden nochvon einigen Lehrern schlecht behandelt, weil sie in deren Augen einen schlechteren Rang haben und nur Putz-frauen seien. Wenn die Lehrer eine Feier in der Schule haben, sollen die Aunties immer mithelfen, dürfen aberbeim Essen nicht dabei sitzen, sondern müssen in der winzigen Küche die Reste essen. Ich denke, über unser Es-sen haben sie sich sehr gefreut. Wir hatten ein bisschen Angst uns nicht mit ihnen unterhalten zu können, weilsie nur schlecht Englisch sprechen können, aber es hat gut geklappt und die Stimmung war gut.

Wir sind einen Samstagvormittag mit auf eine kleine Farm in der Nähe von Ort X1 gefahren. X11 und X7 (X6Mann und Sohn) sollten beim Markieren der Rinder mithelfen, X2 und X5 haben sie dabei begleitet. Das Mar-kieren wird in Namibia noch mit Brenneisen gemacht und war wohl kein schöner Anblick. Währenddessen ha-ben X1, X6 und ich das Mittagessen vorbereitet. In der Schule ging es die letzten Wochen eher ruhiger zu. DieSchüler der Upper-Primary haben ihre ganzen Klassenarbeiten geschrieben. In allen Fächern bis auf Arts undSport. Vorher wurden noch einige Wiederholungen gemacht, ansonsten hat in den letzten 3 Wochen kein richti-ger Unterricht mehr stattgefunden. Anfangs hab ich nur X12, einem Jungen aus einer 5.Klasse, Nachhilfeunter-richt gegeben, weil er große Probleme in Mathe hat. Nach ein paar Einheiten war immer noch keine Besserungin Sicht. Selbst die einfachsten Aufgaben hat er nicht lösen können. Nach einigen Gesprächen mit Mrs X, dieMathelehrerin der 5. Klassen, hat sich herausgestellt, dass X12 wohl familiäre Probleme hat, da seine Eltern ihnenorm unter Druck setzen und nicht verstehen können, dass ihr Kind nicht in allen Fächern so gut ist, wie sie esgerne hätten. X12 war wohl nicht immer so schlecht in Mathe, ich hab auch gemerkt, dass er sich einfach nichtauf die Aufgaben konzentrieren konnte. Über seine Probleme wollte er auch nicht mit mir sprechen. Ich hatte dasGefühl, dass ihn die Nachhilfe nur noch mehr unter Druck setzt. Nur Ihm eine solche Bevorzugung zu geben, ob-wohl es weit mehr Kinder in den Klassen nötig hatten Nachhilfe zu bekommen, fand ich unfair. Deswegen habich dann beschlossen allen Kindern der 5. Klassen die Möglichkeit zu geben nachmittags länger zu bleiben. X1hat mich dann dabei unterstützt. Wir hatten insgesamt 4 Einheiten in denen wir die ganzen Themen für die Klau-suren durchgegangen sind. Es waren immer 10 bis 15 Kinder da und einige auch sehr dankbar für unsere Hilfe.Trotzdem sind die Ergebnisse in den Klassenarbeiten sehr schlecht ausgefallen. Viele Kinder, die die Nachhilfe

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nötig gehabt hätten, sind nicht gekommen und ich denke, dass manche, die gekommen sind, zu Hause nicht mehrgelernt haben, um das Gelernte zu vertiefen. In Mathe haben die Kinder mit die größten Defizite. In allen Jahr-gangsstufen. Einen Tag haben X1 und ich den Vertretungsunterricht bei einer 6. Klasse übernommen. Es liefganz gut, wir haben ihnen Aufgaben in Mathe und Naturwissenschaften gegeben, damit sie beschäftigt sind undnoch mal ein paar Themen wiederholen können. Am Montagnachmittag den 25.11. bekam Mrs. X eine SMS desSchulministeriums, in der ihr mitgeteilt wurde, dass die Kinder bereits am kommenden Freitag Ferien bekom-men. Geplant war ursprünglich der darauffolgende Mittwoch. Es ist schon verrückt, wie einfach und schnell sichhier Pläne ändern. Am 27.11. war der Tag an dem die letzten Arbeiten geschrieben wurden. An diesem Tag ha-ben wir 50 Hot-Dogs mehr verkaufen können. X6 hatte die schöne Idee für einen Pyjama Jive, bei dem ein DJkam, der Musik in der Aula aufgelegt hat und die Kinder über 30min lang einfach nur tanzen konnten, um denStress der Klausuren loszuwerden und entspannt in die Ferien gehen.

Das letzte Wochenende haben wir bei X9 und ihrer Familie verbracht. Wir haben ein paar Weihnachtseinkäufeerledigt und Sonntagmorgen haben wir einen deutschen Gottesdienst in der Chistuskirche besucht. Nicht nur,dass die Kirche wunderschön ist, auch der Gottesdienst war toll. Es gab sogar ein kleines Grippenspiel und dieMenschen waren uns gegenüber auch sehr freundlich. Da am Sonntag die Busse nach Ort X ausgebucht waren,sind wir noch einen Tag länger geblieben. In der Schule hat keine Arbeit auf uns gewartet, deswegen war dasziemlich problemlos. Als wir dann zurück in Ort X waren, mussten wir feststellen, dass wir unseren Schlüsselverloren haben. X6 kam uns dann zur Hilfe und das erste was sie sagte, war: „Habt ihr schon bei den Nachbarnnachgefragt?“. Wir waren erst mal verwundert, wieso unsere Nachbarn unseren Schlüssel haben sollten. Es hatsich dann herausgestellt, dass die Wahrscheinlichkeit groß ist, dass sie denselben Schlüssel haben, hier gibt es dakeine große Auswahl. Also könnte man auch einfach die Türen offen lassen, das einzige, was schützt, ist dieAlarmanlage. Wir haben für weniger als 1,-€ zwei Ersatzschlüssel nachgekauft.

Zum Abschluss des Trimesters hatten wir am Donnerstag mit den ganzen Lehrern eine Abschlussfeier am OrtX2 wo wir einen überdachten Grillplatz gemietet hatten. Es gab den ganzen Tag über gutes Essen. Wie ihr sehenkönnt, geht es mir noch immer gut. Im Laufe des letzten Monats hatten wir eine kleine Mottenplage. JedenAbend, wenn ich in mein Zimmer kam, haben 2-3 Motten auf mich gewartet, obwohl Fenster und Türen ge-schlossen waren. Aber das ist jetzt auch wieder vorbei. Die Regenzeit ist im vollen Gange, glücklicherweisekühlt es dadurch ab und man kann wieder durchatmen. Erst eben hatten wir ein kurzes, aber heftiges Gewitter.Zum Glück ist dieses Mal der Strom nicht ausgefallen. Bis Mitte Januar werde ich Ferien haben und eine Zeitlang auf X6 Farm und über Weihnachten und Sylvester in Ort X3 sein. Laut Gerüchten ist Ort X3 sehr deutsch,von der Architektur bis zum Essen. Ich hoffe das wird mir ein bisschen helfen meine Heimat nicht zu sehr zuvermissen.

Ich wünsche euch allen ein gesegnetes Weihnachtsfest und einen guten Rutsch ins Jahr 2014. Eure GF2

3. G-FD Teilnehmerin – Erster Datensatz (GF3-1)

Liebe Familie, Freunde und Unterstützer,

Zuallererst möchte ich mich für die vielen lieben Mails und Nachrichten bedanken, die mich nach meinem erstenRundbrief erreicht haben. Ich freue mich immer sehr, von Euch zu hören! Und jetzt ist es Zeit für den Rundbriefzur Halbzeit meines Freiwilligendienstes in Namibia! Sechs Monate sind mittlerweile vergangen, seit ich inStadt X aus dem Flugzeug gestiegen bin - ein halbes Jahr. Und in der Zeit seit meinem letzten Rundbrief ist wie -der viel passiert, deshalb geht es direkt weiter.

Update: Sprachen

Ich hatte ja schon in meinem ersten Rundbrief von den verschiedenen Sprachen erzählt, die hier gesprochen wer-den. Zumindest im Bereich Afrikaans gab es jetzt für mich eine Veränderung, ich nehme nämlich seit Novembereinmal in der Woche Unterricht in Ort X, zusammen mit zwei Freiwilligen vom Roten Kreuz und X1, der Fraudes Jugenddiakons in der deutschen Gemeinde in Ort X1. X1 und X2 sind fast gleichzeitig mit mir in Namibiaangekommen und obwohl die beiden in der deutschen Gemeinde in einem ganz anderen Umfeld leben und arbei-ten als ich in Ort X2, ist es natürlich sehr schön für mich, mich mit den beiden über unsere Erfahrungen in die-sem Land austauschen zu können und zusätzlich so auch Einblicke in die deutsche Gemeinde zu gewinnen.

Update: Projekt X 2015

Für 2015 sind ein paar neue Dinge geplant. Im November letzten Jahres hatten wir eine Year End Function, zuder auch Frauen aus anderen Städten in Namibia eingeladen waren, die von Projekt X gehört hatten und überle -gen, ähnliche Projekte aufzubauen. X3 hat dafür von den Anfängen von Projekt X erzählt und für 2015 sind jetztmehrere Besuche in anderen Städten in Namibia geplant, um sich mit den anderen Projekten auszutauschen. Den

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Beginn des Jahres hat X3 sich für jede Frau des Projektes einzeln Zeit genommen und sogenannte „one on one“-Gespräche geführt. Zu X3 haben alle ein sehr vertrauensvolles Verhältnis und ziehen sie deshalb auch bei per-sönlichen Problemen zu Rate und weil diese Gespräche deshalb auch sehr persönlich waren, fanden sie auchwirklich unter vier Augen statt.

Außerdem ist für Mai eine fünftägige Reise nach Kapstadt in Südafrika geplant. Bis jetzt steht u.a. ein Besuchvon Robben Island auf dem Programm, der Insel, die während der Apartheid als Gefängnis genutzt wurde undderen berühmtester Häftling Nelson Mandela, der erste schwarze Präsident Südafrikas, war. Da Namibia vor sei-ner Unabhängigkeit von Südafrika verwaltet wurde und sich dadurch auch die Apartheidspolitik Südafrikas inNamibia ausbreitete, genießt Mandela auch in Namibia besondere Popularität. Diese Reise wird sicherlich sehrinteressant und wir sind zurzeit dabei, alles vorzubereiten. Für viele der Frauen ist es die erste Reise ins Ausland,wodurch ich im Moment damit beschäftigt bin, zusammen mit den Frauen Reisepassanträge auszufüllen, da jaalle einen Reisepass benötigen.

Besuche im Gefängnis von Ort X3

In meiner Straße befindet sich nur wenige 100m von meinem Haus entfernt das sogenannte Centre X, in demverschiedenste Einrichtungen einzelne Räume anmieten können. Dort arbeitet u.a. X4, die beim Ministry ofYouth, Sports & Culture für den Bereich Kunst zuständig ist. Ich habe sie durch einen Zufall kennen gelernt undkonnte deshalb auch Teile ihrer Arbeit kennenlernen. X4 besucht regelmäßig die Frauen, die im Gefängnis vonOrt X3 inhaftiert sind und bastelt mit ihnen. Zum einen, um ihnen im Gefängnisalltag ein bisschen Abwechslungzu verschaffen, zum anderen, weil sie hofft, ihnen dadurch auch eine Möglichkeit zu geben, nach ihrer Haftstrafeaußerhalb des Gefängnisses wieder Fuß zu fassen und nicht rückfällig zu werden. Ich habe sie mehrfach ins Ge-fängnis begleitet und so zum ersten Mal ein Gefängnis betreten, noch dazu in Namibia. Wir haben vor allem mitPapier gebastelt, weil die Bastelarbeiten nicht zu material-aufwändig sein dürfen, und u.a. Bilder-rahmen, Uhrenund Körbchen aus aufgerollten Papierstreifen hergestellt. In der Weihnachtszeit habe ich gezeigt, wie manBascetta-Sterne bastelt, und als wir am nächsten Tag wiederkamen, warteten schon einige fertige Sterne auf uns.Dafür habe ich von den Frauen gelernt, wie man aus Palmenblättern und Streifen alter Maismehlsäcke Teller undSchüsseln her-stellen kann, die ich bisher nur in Souvenirläden gesehen hatte, das war ziemlich interessant. DasGanze ist ziemlich aufwändig und dauert ziemlich lange, aber ich habe jetzt einen kleinen Vorrat an getrockne-ten Palmenblättern zu Hause und arbeite immer mal wieder an meiner Schale weiter (die bisher aber noch wenignach Schale aussieht…). Nach ein paar Besuchen haben mich dann einige der Frauen sogar mit in ihre Zellen ge-nommen, um mir ihre fertigen Arbeiten und ihren Raum zu zeigen. Für mich waren diese Gefängnisbesuche sehrinteressante Erfahrungen, aber auch bedrückend, auch wenn ich ja jedes Mal wusste, dass ich das Gefängnisnoch am selben Tag ohne Probleme wieder würde verlassen können.

Wahlen in Namibia

Am 28. November waren in Namibia Präsidentschafts- und Parlamentswahlen. Am Wochenende, an dem dieWahlen stattfanden, war ich gerade in Stadt X und als meine Freunde morgens meinten, sie würden schnell wäh-len gehen, haben wir alle noch nicht damit gerechnet, dass sie vor dem Wählen zunächst sechs Stunden würdenanstehen müssen. Namibia ist das erste Land in Afrika, das elektronisch gewählt hat, leider sind aber am Wahl-tag viele der Wahlautomaten kurzfristig ausgefallen, einer der Gründe für das lange Anstehen. Gegen Mittag ha-ben eine der Mitbewohnerinnen, die Südafrikanerin ist und deshalb auch nicht wählen durfte, und ich unserenwartenden Freunden dann Campingstühle und Wasser vorbei-gebracht, wodurch ich selbst die beeindruckendenWarteschlangen vor den Wahllokalen sehen konnte, diese war in einem Einkaufszentrum, aber viele Menschenhaben auch sehr lange draußen in der Sonne gestanden und gewartet. Weil versprochen wurde, dass alle, die bis9 Uhr abends in der Schlange stehen um zu wählen, auch wählen dürfen, wurde an vielen Orten noch bis in dieNacht bzw. den nächsten Morgen gewählt. Sehr deutlich gewonnen hat dann am Ende mit knapp 87% HageGeingob, der Präsidentschaftskandidat der SWAPO, die seit der Unabhängigkeit Namibias 1990 unterbrechungs-frei die regierende Partei war und ist. Der neue Präsident gehört allerdings zum ersten Mal nicht dem Volk derOvambo an, anders als die beiden vorherigen Präsidenten seit der Unabhängigkeit 1990. Das ist vielleicht aucheiner der Gründe für das auch für hiesige Verhältnisse sehr eindeutige Wahlergebnis, weil sich dadurch die Stim-men verschiedener Volksgruppen noch stärker auf einer Partei vereinen. In meinem Umfeld haben sich zumin-dest viele sehr darüber gefreut, dass der dritte Präsident nicht derselben Volksgruppe wie die beiden vorherigenangehört.

Konfirmation Anfang Dezember waren in unserer Gemeinde die Konfirmationen. Weil X3 das Wochenende ü-ber nach Stadt X musste, habe ich das Wochenende mit X5 verbracht und war so auch live bei den Vorbereitun-gen einer der Konfirmandinnen, X5 Tochter X6, dabei, die von ihrer Mutter, Oma und Uroma eingekleidet und

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frisiert wurde. Am meisten Zeit hat dann am Morgen das Binden des Damara-Kopftuches durch X6 Uroma inAnspruch genommen. Unter dem weißen Tuch ist noch ein zweites, das dafür sorgt, dass das Tuch vorne einebestimmte Form hat und X6 Uroma hat das zwar mit sehr geübten Handgriffen gemacht, aber es war wohl dochschwieriger als es aussah. Der Gottesdienst selbst war mit 5 Stunden der längste, bei dem ich bis jetzt war, dennzum Einen war alles enthalten, was hier in einen normalen Gottesdienst gehört, also z.B. das Singen zum Ge-burtstag, dann kamen aber noch zwei Taufen dazu, die Einsegnung der gut 90 Konfirmanden hat natürlich auchetwas gedauert und dann wurde mit den Konfirmierten und ihren Familien noch Abendmahl gefeiert. Bei so ei-nem langen Gottesdienst ist es dafür dann ganz normal, dass immer mal Leute aufstehen und sich etwas zu trin-ken oder zu essen kaufen und dann wiederkommen. Zum Konfirmationsgottesdienst gehört auch dazu, dass dieKonfirmierten am Ende des Gottesdienstes gemeinsam ein Lied vortragen und der Pastor hat ein paar Tage vor-her entschieden, dass ich das doch dieses Jahr übernehmen und mit den Konfirmanden ein deutsches Lied einstu-dieren könne. Ich habe mich für den Kanon „Lobe den Herrn, meine Seele“ entschieden und ein großes Plakatmit dem Text gebastelt, das wir als Hilfe in der Kirche aufgehängt haben und die gut 90 Konfirmierten haben dasdann wirklich sehr gut gemacht, obwohl der Gottesdienst so lange gedauert hat und zumindest ich gegen Endeschon ziemlich erschöpft war.

Esmes Hochzeit

Im Dezember hat X7, eine Frau vom Projekt X geheiratet, und ich war so zu meiner ersten namibischen Hoch-zeit eingeladen und sehr gespannt. Der Gottesdienst fand vormittags statt, die Feier dann abends. Mir war vor derHochzeit von einigen namibischen Hochzeitstraditionen erzählt worden und war dann etwas überrascht davon,wie die Hochzeit wirklich abgelaufen ist. Beim sogenannten #A !oas (das ist Khoekhoegowab, die Klicklautewerden mit Sonderzeichen dargestellt) ein paar Tage vor der Hochzeit wird eigentlich sowohl von der Familieder Braut als auch von der des Bräutigams eine Kuh geschlachtet und dann ein Teil des Fleisches getauscht, umzu symbolisieren, dass die beiden Familien jetzt zusammen gehören. Das Fleisch wird dann anschließend auf derHochzeitsfeier serviert. Bei dieser Hochzeit war es aber so, dass die Kuh schon zerlegt geliefert wurde, weil espraktischer ist. Beim Auszug aus der Kirche wurde das Brautpaar mit Reis beworfen und während der Feier ver-suchten dann viele unverheiratete Frauen, den Brautstrauß zu fangen – die Hochzeit hat sich also eigentlich garnicht groß von Hochzeiten in Deutschland unterschieden. Am Anfang war ich davon etwas überrascht, aber eswar natürlich trotzdem schön. Und es ist sicherlich auch eine wichtige Erfahrung, dass sich viele Dinge gar nichtso groß unterscheiden, nicht nur Hochzeiten.

„Nein, das sehe ich anders…“

In den letzten Wochen hat mich auch dieses Erlebnis beschäftigt: In meinen ersten Wochen hat mir einmal eineFrau, die bei uns zu Besuch war, gesagt, dass es meine Aufgabe sei, täglich das Haus zu fegen und zu wischen,das sei die Aufgabe der jüngeren Frauen, die in einem Haus leben, und außer mir wären ja nur X3 und die dreiJungs da. X3 war bei diesem Gespräch dabei und erwiderte nichts, deshalb nahm ich an, dass sie dem zustimmenwürde und habe am nächsten Tag begonnen, täglich das Haus zu fegen und zu wischen, bis mich X3 nach eini-gen Tagen darauf ansprach und fragte, warum ich ständig das Haus fegen würde. Etwas verwirrt habe ich ihr er-klärt, dass das die andere Frau doch gesagt hätte, woraufhin X3 meinen verwirrten Blick erwiderte. Wir konntendas Ganze dann aber auflösen: Ich hatte die Tatsache, dass sie nicht widersprochen hatte, als Zustimmung ge-wertet, in Wahrheit wollte X3 die andere Frau aber nicht unnötig aufregen oder gar verletzen, indem sie ihr wi -dersprach, sondern ließ diesen Ratschlag unkommentiert stehen. Im Nachhinein ist das natürlich sehr schlüssig,aber ich habe da gemerkt, wie sehr ich es doch gewohnt bin, dass man sich positioniert und dabei auch einerkritischen Auseinandersetzung nicht immer aus dem Weg geht. Auch in der Schule haben wir ja häufig die Auf -gabe bekommen, uns eine Meinung zu etwas zu bilden und diesen Standpunkt dann zu verteidigen. Dass eineAufforderung einfach so im Raum stehen gelassen wurde, war für mich deshalb einfach irritierend, weil ich esgewohnt bin, dass diskutiert wird. Wobei X3 Vorgehen tatsächlich für ein sehr viel entspannteres Gesprächskli-ma sorgt – denn genaugenommen würde die andere Frau ja ohnehin nicht merken, ob wir ihren Ratschlag befol -gen würden oder nicht, wofür also unnötig für schlechte Stimmung sorgen? Es fällt mir auch auf, dass insbeson-dere Kinder ihren Eltern eigentlich nicht widersprechen und der Umgangston generell sehr viel respektvoller ge-genüber älteren ist, als ich es aus meinem Kontext manchmal doch gewöhnt bin. Außerdem kommen gerade denMädchen größere Aufgaben im Haushalt zu, was fegen und wischen, Wäsche waschen und kochen angeht. Sehrdeutlich wurde mir das, als die 13-jährige Tochter einer Frau aus dem Projekt bei uns zu Besuch war und vormeinen Augen sehr geübt Abendessen für 6 Personen zubereitete und ich sehr beeindruckt daneben stand undmir doch auch ein bisschen ungeschickt daneben vorkam.

Braai zu Weihnachten und Neujahr

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Vor Weihnachten hatte ich eigentlich ein bisschen Angst, wurde mir doch vorher von den meisten gesagt, ichmüsste mit einem Weihnachtsstimmungstief und Sehnsucht nach Zuhause rechnen. Umso schöner war Weih-nachten dann wirklich: am Ersten Weihnachtsfeiertag sind wir mit vielen Verwandten nach Ort X3 an den Strandgefahren zum Braai, also zum Grillen. Grillen, bzw. eben Braai auf Afrikaans, gehört hier viel mehr zum Alltagals in Deutschland, und ich dachte immer, Deutsche würden viel grillen. Namibier grillen aber noch viel häufi -ger! Das sieht man z.B. daran, dass eigentlich alle, die außer uns auch am Strand waren, und da war es sehr voll,auch gegrillt haben und deshalb am Strand bereits festinstallierte, gemauerte Grills stehen. Es gibt in Langstrand,etwa 10km von hier, auch ein Freibad, das zwar auch ein Schwimmbecken und eine Rutsche hat, der eigentlicheGrund, warum die Menschen dort hinfahren, ist aber, um zu grillen. Dafür stehen rund um das Schwimmbeckenwieder viele Grills und Sitzmöglichkeiten und auch wir waren dort schon zum Grillen. Weihnachten haben wiraber am Strand und nicht im Schwimmbad gegrillt und hinterher zusammengesessen und erzählt, das war sehrschön und gemütlich. Am zweiten Weihnachtstag haben wir uns dann bei X3 Sohn zum großen Familienessengetroffen (der übrigens einen Grill im Haus hat, quasi wie ein Ofen und mit Schornstein, nur halt nicht zum Hei-zen, sondern zum Grillen), auch hier wurde natürlich gegrillt und nach dem Essen haben wir gemeinsam eine Art„Tabu“ gespielt, etwas schwierig für mich, aber ich war im Endeffekt überrascht, wie viele namibische Schoko-riegel, Getränke und Supermarktketten ich doch schon anhand einer kurzen Beschreibung benennen konnte. Indiesem Sinne war Weihnachten wirklich schön für mich und ich habe mich in meiner neuen, wirklich großen Fa-milie sehr wohlgefühlt. Namafrauen, die sich gut kennen, begrüßen sich übrigens mit einem kleinen Kuss aufden Mund, wenn sie sich treffen, und beim Familienessen wurde dann auch ich mehrfach in Verbindung mit demSatz „Du gehörst doch jetzt zur Familie“ von verschiedenen Verwandten geküsst. Zunächst etwas irritierend fürmich, aber doch irgendwie schön, dass ich so lieb aufgenommen wurde. Auch Neujahr haben wir am Strand ver-bracht, wie viele andere Leute auch, der Strand war wirklich sehr voll. Abends haben wir gegrillt und dann um’sLagerfeuer sitzend gewartet, dass es Mitternacht wird. Das neue Jahr wurde auch hier mit einem Feuerwerk be-grüßt, nur eben am Strand und nicht in der Kälte. Während der Dämmerung haben wir dann einen Potjiekos(eine Art Eintopf in einem großen, gusseisernen Potjie/Topf) zum Frühstück vorbereitet.

Dies und Das

1. Maelie Pap, der feste Brei, der aus Maismehl hergestellt wird, begegnet mir mittlerweile in immer vielfältige-ren Formen: beim Braai mit der Familie gab es manchmal Pizza Pap, dabei stellt der Pap quasi den Teig dar, derdann mit Tomatensoße, Gemüse und Gewürzen belegt und anschließend mit Käse überbacken wird und geradejetzt im Sommer gibt es als Zwischenmahlzeit manchmal Pap mit Omaere, einer Art Buttermilch, und ein biss-chen Zucker. Eine Freundin aus meiner Youth arbeitet bei Air Namibia und war im Dezember in Deutschland,u.a. in Hannover, und hat dort einen Laden entdeckt, der namibische Lebensmittel importiert – das sind natürlichganz wunderbare Neuigkeiten, denn dann weiß ich jetzt schon, wo ich nach meiner Rückkehr doch noch MaizeMeal und Boerewors kaufen kann und muss nicht auf neuentdeckte Lieblingsessen verzichten.

2. Für mich geht es jetzt im Februar zum Zwischenseminar nach Kapstadt, wo ich mich mit drei meiner Mitfrei -willigen der Organisation X1 und einigen Freiwilligen anderer Organisationen über unsere bisherigen Erfahrun-gen und unsere weiteren Erwartungen werde austauschen können. Darauf freue ich mich schon sehr. In Namibiagibt es zwar grundsätzlich wohl vergleichsweise viele deutsche Freiwillige, diese leben und arbeiten aber zumGroßteil in Stadt X, wodurch ich bis jetzt außer im Afrikaansunterricht kaum in Kontakt mit anderen Freiwilli -gen gekommen bin. Ort X ist einfach sehr klein. Zwar genieße und schätze ich dies auch sehr, weil ich mich da -durch auf mein Leben hier konzentrieren kann und nicht Gefahr laufe, mich in eine Art „deutsche Blase“ zurück-zuziehen, aber ich freue mich auch einfach schon sehr auf die Möglichkeit des Austausches mit anderen Jugend-lichen in ähnlichen Situationen und mal zu hören, wie die anderen dieses halbe Jahr so erlebt ist.

Ich hoffe, ich konnte Euch wieder einen kleinen Einblick in mein Leben in Namibia liefern und wünsche Euchalles Gute. Also macht’s gut und alles Liebe aus Namibia!

Eure GF3

3. G-FD Teilnehmerin – Zweiter Datensatz (GF3-2)

Liebe Familie, Freunde und Unterstützer, und wieder ist unglaublich schnell unglaublich viel Zeit vergangen undvor Euch liegt bereits Rundbrief Nummer 3. In diesem Abschnitt meines Freiwilligendienstes war ich durchZwischenseminar und Besuch aus Deutschland viel unterwegs, habe Zuhause in Ort X aber auch einige neueDinge begonnen. Insgesamt ist es mittlerweile so, dass ich manchmal in den Kalender schaue und feststelle, dassschon wieder eine ganze Woche vergangen ist, ohne dass ich es richtig bemerkt habe, weil schon wieder so vielVerschiedenes passiert ist. Ein paar meiner persönlichen Highlights der letzten drei Monate habe ich hier wieder

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für Euch zusammengetragen:

Zwischenseminar in Kapstadt & Urlaub

Im Februar war das Zwischenseminar in Kapstadt. Mit dabei waren drei Freiwillige der Organisation X1, die ichschon von den Vorbereitungsseminaren kannte, (X8 aus Botsuana und X9 und X10 aus Südafrika) und 16 weite -re Freiwillige anderer christlicher Organisationen. Wir hatten 5 Tage lang Zeit und Möglichkeit uns über unsereErfahrungen auszutauschen, gemeinsam zu überlegen, was jeder von uns persönlich in den nächsten sechs Mo-naten noch erreichen und ausprobieren möchte, und auch den Umgang mit entstandenen Schwierigkeiten undProblemen zu diskutieren. Insgesamt waren das fünf wirklich bereichernde und augenöffnende Tage und beson-ders prägend war für mich die Erfahrung, dass, obwohl wir uns eigentlich gegenseitig kaum kennen, wir durchunsere ähnlichen Erfahrungen ganz schnell einen sehr tiefen Zugang zueinander finden, den man im Kontakt mitFreunden in Deutschland zur Zeit vielleicht manchmal vermisst. Alle zusammen sind wir auch auf den Tafelberggewandert, bzw. 15 sind tatsächlich bis oben gelaufen, aber es wird die meisten von Euch vermutlich nicht über -mäßig überraschen, dass ich zu den Fünfen gehört habe, die sich bereits nach 30 Minuten wieder an den Abstieggemacht und dann doch die Seilbahn genommen haben… Angekommen sind wir trotzdem alle irgendwie ir-gendwann oben auf dem Berg.

Nach dem Zwischenseminar bin ich aber nicht direkt wieder zurück nach Ort X geflogen, sondern noch einigeTage bei X11 und X12 eingezogen, die im wunderschönen Kapstadt leben und arbeiten. So konnte auch ich eineknappe Woche sowohl vom Leben in einer Großstadt, als auch vom WG-Leben mit anderen deutschen Jugendli-chen profitieren, wir waren im Kino und auf einem Passenger-Konzert und haben abends gemeinsam gekochtund am Sonntag „Tatort“ geguckt. An einem Tag war ich mit den beiden in der New World Foundation imTownship Lavenderhill, wo die beiden arbeiten, und konnte so auch noch Einblick in ein weiteres Projekt, indem Freiwillige arbeiten, gewinnen. Bei meinen kleinen Alleingängen durch die Touristenhotspots in Kapstadt,während X11 und X12 gearbeitet haben, habe ich vor allem über die Internationalität Kapstadts gestaunt. Aufder Überfahrt nach Robben Island bin ich mit einer US-amerikanischen Familie ins Gespräch gekommen, die ge-rade in Kapstadt zu Besuch ist; auf der Zugfahrt am Morgen ins Zentrum Kapstadts mit einer brasilianischenStudentin, die in Kapstadt gerade an ihrer Master Thesis schreibt; und in der Blue Bird Garage, dem mit Abstandschönsten indoor Markt (mit dem leckersten Essen), auf dem ich jemals war, mit einer Belgierin, die jetzt inKapstadt lebt und mit der ich ein paar Worte auf Französisch gewechselt habe, worüber ich mich sehr gefreuthabe. Wirklich toll, so viele so unterschiedliche Menschen zu treffen - Kapstadt ist definitiv nicht nur optisch zueiner meiner Lieblingsstädte geworden!

Besuch aus Deutschland

Ende März habe ich Besuch aus Deutschland bekommen, meine Mutter und meine Schwester sind in der erstenHälfte der deutschen Osterferien nach Namibia gereist um mich zu besuchen. Wir waren zuerst gemeinsam imNorden Namibias im Etosha Nationalpark und haben dort ein paar wirklich sehr schöne Tage in verschiedenenLodges verbracht, sind selbst mit dem Auto durch den Park gefahren und haben uns bei einer geführten Safari imPark alle die Tiere zeigen lassen, die wir alleine unmöglich entdeckt hätten. Es sei denn, sie haben so wie aufdem Foto einfach die Straße überquert, da waren die Elefanten dann wirklich nicht zu übersehen. Aber auchsonst gab es viel zu gucken, Löwen, Nashörner, Giraffen, Zebras, Hyänen, Springböcke, Kudus, … Ein wirklichbeeindruckendes und sehr schönes Erlebnis, das auch erklärt, warum gerade Etosha bei Touristen so beliebt ist.Anschließend sind wir zu mir nach Hause nach Ort X gefahren und haben einige Tage mit X3 verbracht. Außer-dem hat meine Einsatzstelle, die Projekt X Women’s Charity Group, ein großes gemeinsames Grillen mit großenMengen Fleisch organsiert, typisch namibisches Braai eben, was für meine Familie auch ein sehr beeindrucken-des Erlebnis war. Außerdem waren wir gemeinsam bei einer meiner Chorproben und beim Kids Club, wo dieKinder sehr begeistert waren, dass meine Mutter und Schwester bei einer großen Runde „Gubbel, gubbel“ mitge-spielt haben. Am Sonntag haben wir den Gottesdienst in meiner Gemeinde hier in Stadtteil X besucht, und weilder Pastor wusste, dass meine Mutter auch Pastorin ist, wurde sie direkt aufgefordert, im Gottesdienst auch nochein paar Worte zu sagen. Insgesamt habe ich diesen im Rückblick zwar doch recht kurzen, aber intensiven Be -such meiner Familie sehr genossen. Meine Mutter sagte sehr treffend, „man wird sich ja nicht fremd“. Tatsäch-lich war es nach einer recht emotionalen Begrüßung am Flughafen zwischen uns schnell so wie immer, wenn wirzusammen sind, ein sehr, sehr schönes, familiäres, geborgenes Gefühl. Umso schwerer fiel es mir dann, meineFamilie am Ende wieder gehen zu lassen, während ich noch gut vier Monate in Namibia bleiben würde. Mich hatjemand gefragt, ob ich, wenn ich gekonnt hätte, einfach mit in das Flugzeug nach Hause eingestiegen wäre undich habe ganz klar „Nein“ geantwortet. Für dieses eine Jahr bin ich jetzt hier zuhause und es hätte sich absolutnicht richtig angefühlt, plötzlich abzureisen; trotzdem fiel mir der Abschied sehr schwer und natürlich freue ichmich sehr darauf, meine Familie und dann auch meinen Vater, der im März leider in Stadt X in Deutschland blei-ben und arbeiten musste, wieder in den Arm nehmen zu können. So weit ist es aber noch nicht und ich freue

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mich jetzt erstmal über diesen schönen Urlaub, bei dem ich die Gelegenheit hatte, gemeinsam mit meiner Fami-lie das Land noch etwas weiter zu erkunden und dabei viele schöne Stunden mit den beiden zu verbringen.

//Gan !Haob

Mit der ganzen Gruppe von Projekt X waren wir im März außerdem auf der Farm //Gan !Haob (dt.„Fleischfarm“. Die Sonderzeichen stellen zwei der vier verschiedenen Klicklaute der Sprache Khoekhoegowabdar. Wie wichtig die sind, wurde mir erst neulich klar, als ich mich mit zwei Jugendlichen meines Chores einenAbend zusammen gesetzt und mir von ihnen ein bisschen Khoekhoegowab erklären lassen hatte. Ganz stolz ver-kündete ich, ich würde nähen, und alle nickten und stimmten mir zu, ich würde schlafen. Die Worte für „nähen“und „schlafen“ sind fast identisch, bis auf den Klick zu Beginn des Wortes. Dadurch, dass mir die saubere Arti-kulation der Klicklaute schwer fällt, entstehen also die schönsten Missverständnisse…) Auf //Gan !haob habenwir ein Wochenende lang gezeltet und der Farmbesitzer hat erklärt, wie er begonnen hat zu farmen und Tippszum Farmen bzw. im Speziellen zur Rinderhaltung gegeben. Einige der Frauen besitzen auch einzelne Rinder,die bei Bekannten auf der Farm leben, als finanzielle Absicherung. Mein persönliches Highlight war dann, dassich eine der Kühe melken durfte, und nach ein bisschen Probieren ging das sogar recht gut. Die Rinder der Farmsind das ganze Jahr über draußen. Einen Stall gibt es nicht, stattdessen laufen die Rinder frei im weitläufigen Ge-lände rum und kommen vor allem zu ihrer Farm, weil es dort Wasser gibt. Wenn man mit dem Auto durch’sLand fährt, stehen an und auf der Straße auch immer mal wieder Rinder. Die Rinder sehen schon anders aus alsin Deutschland, zum Einen handelt es sich natürlich um eine andere Rasse, die besser an das meist eher trockeneKlima hier angepasst ist, aber die Rinder bewegen und ernähren sich auch anders, weil sie ja ihr gesamtes Lebenunter freiem Himmel verbringen und herumlaufen, und die Namibier sind schon zu Recht stolz auf die Fleisch-qualität, die sie gerne betonen.

Kreativworkshops

X3 und ich haben für meine zweite Hälfte überlegt, wie ich mich jetzt auch persönlich noch weiter in das Projekteinbringen kann und es war ihre Idee, dass ich Kreativworkshops mit den Frauen durchführen soll. Wie ihr wisst,nähe und bastele ich ja sehr gerne und habe das auch hier schon häufig getan, war immer mal wieder bei X13 zuBesuch um an ihrer Nähmaschine zu nähen und habe auch Zuhause immer mal wieder an verschiedenen Dingengearbeitet. Einmal in der Woche nähe und bastele ich jetzt mit einem Teil der Frauen kleinere Gebrauchsgegen-stände. Im März haben wir mit verschiedenen Materialien Glückwunschkarten gebastelt, dafür hatte ich ein paarverschiedene Muster vorbereitet und dann entstanden am Ende ganz viele individuelle und verschiedene Karten.Im April haben wir dann kleine Taschen genäht und anschließend mit Bändern, Perlen und Knöpfen verziert, dieIdee hatte ich, als ich zu Fuß in Stadtteil X unterwegs war. Auf dem Weg zur Kirche komme ich jedes Mal anverschiedenen kleinen Verkaufsständen vorbei, die u.a. Süßigkeiten und Obst verkaufen, und einmal saß da eineFrau, die Löcher in kleine, weiße, kalkige Dinger gebohrt hat. Wie sich herausstellte, waren das Stückchen vonStraußeneierschale, in die sie zuerst ein Loch gebohrt hat um sie anschließend rund zu schleifen. Ich habe hinter-her gelesen, dass die San, eine Volksgruppe hier im südlichen Afrika, schon seit vielen Generationen Schmuckaus Straußeneierschale herstellen und mittlerweile gibt es ähnlichen Schmuck aus Straußeneierschale auch inmanchen Craftcentres für Touristen zu kaufen. Ich wollte irgendwas mit den Straußeneierschaleperlen verzierenund habe sie auf Stoff aufgenäht und daraus ist dann die Idee mit den kleinen Taschen entstanden. Ich habe im-mer viel Freude in den Workshops, die Atmosphäre ist so, dass man sich dabei gut unterhalten kann, dadurch ler-ne ich viele der Frauen nochmal persönlicher kennen und es entstehen immer viele schöne Dinge am Ende, dasist schön zu sehen und macht uns allen viel Spaß.

Englischunterricht

Unsere zweite Idee war, dass ich ein bisschen Englischunterricht im Projekt geben könnte, und auch das macheich jetzt einmal in der Woche. Englisch ist zwar die Amtssprache in Namibia, es ist aber dennoch so wie inDeutschland ja eigentlich auch, dass ältere Erwachsene nicht so gut Englisch sprechen, weil es in der Schulefrüher vielleicht noch nicht so eine große Rolle gespielt hat. Dennoch ist Englisch hier im Alltag einfach wichti -ger als in Deutschland, weil Formulare bei Behörden oder bei der Bank meistens auf Englisch sind. Am meistenSpaß macht uns dabei eigentlich der freie Kommunikationsteil, den ich mir in meiner DELF AG aus der Schul-zeit abgeguckt habe: man bekommt eine bestimmte Situation vorgegeben und soll dann zu zweit eine Unterhal-tung entwickeln. Es ist sehr schön zu sehen, wie einige der Frauen dabei wirklich aus sich heraus gehen und ganzlebhafte Diskussionen mit vielen überzeugenden Argumenten führen. Ich denke, dass das einfach dabei hilft,sich auch im Alltag zu überwinden und keine Angst davor zu haben, Englisch zu sprechen. Viele trauen sichmanchmal nicht, aus Angst, Fehler zu machen, und ich denke, dieses freie drauf-los-Diskutieren ist da sehr hilf-reich. Mir macht es viel Freude, mich jetzt auch ganz persönlich noch weiter in Projekt X einbringen zu können.

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Miteinander leben

Namibia hat eine sehr kleine Einwohnerzahl, gut 2,1 Millionen, das sind deutlich weniger Einwohner als Berlinhat, obwohl Namibia flächenmäßig mehr als doppelt so groß ist wie Deutschland. Weite Teile sind aufgrund derNamib, der namensgebenden Wüste in Namibia, aber einfach nicht bewohnbar. Die Bevölkerung Namibias be-steht aus relativ vielen verschieden, kleineren Volksgruppen, den Gruppen der Ovambo, die den größten Teil derBevölkerung ausmachen, der Nama, der Damara, der San, der Himba, der Herero und sehr vielen andere kleinenGruppen, darunter auch etwa 20.000 Deutsche. Diese vielen verschiedenen Gruppen mit teils sehr unterschiedli-chen Kulturen leben in Namibia sehr friedlich neben- und miteinander und bemühen sich weitestgehend um einharmonisches Miteinander. Deutlich wird das immer wieder, es gibt zum Beispiel mehrsprachige Zeitungen, diemehrere dieser verschiedenen Gruppen als Zielgruppen haben. Auf einer Autofahrt während des Besuchs meinerFamilie haben wir eine deutsche Kindersendung im namibischen Radio gehört, in der viele Informationen überdie Himba einfach und kindgerecht vorgestellt wurden. Am wichtigsten war dabei eigentlich der abschließendeSatz, dass es doch wichtig sei, etwas über die Menschen zu wissen, mit denen man in einem Land zusammenlebt. Auch während der abendlichen Nachrichten im Fernsehen habe ich vor kurzem einen namibischen Politikeretwas sehr Ähnliches sagen gehört.

Ich denke, gerade wenn man mit so vielen verschiedenen Menschen zusammen lebt, ist es wichtig, offen auf-einander zuzugehen und sich mit dem anderen zu beschäftigen. Das verhindert, dass Vorurteile oder ungerecht-fertigte Ängste voreinander entstehen, und gibt die Möglichkeit eines vorurteilsfreien und auch sehr bereichern-den Zusammenlebens. Damit möchte ich nicht sagen, dass Vorurteile, ungerechtfertigte Ängste und sogar Ras-sismus in Namibia nicht existieren, alles ist mir schon begegnet. Ich hatte Begegnungen mit Deutschen, die micheigentlich kaum Zuhause absetzen wollten, weil „die Schwarzen“ doch zu „Messerstechereien“ neigen würden.Oder mich offen dafür bemitleideten, dass ich in Stadtteil X leben und „ständig“ Mielie Pap (Maisbrei) essen„müsse“, denn das sei ja schließlich „deren Grundnahrungsmittel“. Mein Einwand, Mielie Pap äßen wir ver-gleichsweise selten und ich sei wirklich noch nie mit einem Messer bedroht worden, wurde einfach mit einem„Doch, doch, das ist da so.“ entkräftet. Viele dieser Vorurteile scheinen sehr tief verankert zu sein. Und auch dieeinzelnen Volksgruppen haben durchaus Vorurteile gegenüber den anderen Teilen der Bevölkerung. Mir wirdzum Beispiel immer wieder erzählt, eine bestimmte Volksgruppe in Namibia würde Hunde essen. Ich weiß bisheute nicht, ob das nun stimmt oder nicht, aber es geht auch mehr darum, wie verächtlich immer wieder davongesprochen wird. Außerdem wurde bei uns Zuhause vor einigen Wochen nachts eingebrochen, während wir allegeschlafen haben, und mir wurde anschließend von mehreren Seiten erklärt, dass als Einbrecher eigentlich nurZugehörige einer ganz bestimmten Volksgruppe in Frage kämen, weil diese „am kriminellsten“ seien. Auf dereinen Seite bemühen sich auch wirklich viele um ein friedliches Zusammenleben, es ist immer wieder die Redevon „One Namibia, One Nation“, also dass alle gemeinsam Namibia sind, auch oder gerade weil sie sich vonein-ander unterscheiden und Namibia dadurch eben sehr vielfältig ist. Dieses Motto wurde auch in einem Lied derRegierung zur Feier von 25 Jahren Unabhängigkeit im März aufgegriffen, das regelmäßig im Fernsehen lief undzu dem es eine Art Flashmob gab, der verschiedene traditionelle Tanzformen enthielt und verband. Irgendwannhatten das fast alle auf ihren Handys und wir haben auch bei den Young Adults mal einen Samstag lang einen ei-genen Tanz dazu entwickelt. Auf der anderen Seite bin ich aber auch regelmäßig mit sehr vielen Vorurteilen undRassismus konfrontiert und habe den Eindruck, dass viele in ihrem Alltag dann doch auch gerne unter sich blei -ben. Das ganze Thema ist in Namibia manchmal recht kompliziert und auch die Apartheidsvergangenheit spieltdabei eine Rolle. Ich hoffe, es ist mir dennoch gelungen, meine Eindrücke bezüglich Vorurteilen und Rassismusmöglichst sachlich und sowohl schöne, als auch negative Erlebnisse darzustellen.

Dies und Das

1. Was einem bei der Fahrt durch’s Land mit einem Navigationssystem oder einer Karte auffällt, ist, dass es injedem Ort eine Sam Nujoma Street, eine Sam Nujoma Avenue oder einen Sam Nujoma Drive zu geben scheint.Sam Nujoma war der erste Präsident in Namibia nach der Unabhängigkeit 1990 und wird auch immer wieder als„Gründungsvater“ bezeichnet. Er spielt für die Namibier so eine große Rolle, dass man beim Reisen wirklich denEindruck hat, dass in jedem Ort eine Straße nach ihm benannt ist. Angeblich gibt es tatsächlich nur zwei Orteohne eine nach Sam Nujoma benannte Straße.

2. Was es auch überall gibt, ist Biltong. Biltong ist getrocknetes Fleisch, das man überall kaufen kann, an jederTankstelle und in jedem Supermarkt. In größeren Städten gibt es sogar ganze Läden, die sich auf verschiedensteSorten Biltong spezialisiert haben und ausschließlich Biltong anbieten. Außerdem gibt es in größeren Su-per-märkten Biltongtheken, so wie es in Deutschland z.B. Theken für Aufschnitt gibt, die dann unterschiedlichgewürztes Biltong anbieten. Biltong gibt es in Stückchen, in Sticks und auch als getrocknete Wurst, das heißtdann allerdings Droëwors, auf Deutsch „Trockenwurst“.

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Damit verabschiede ich mich von Euch und hoffe, Euch wieder einen kleinen Einblick in mein Leben in Nami-bia und die Gedanken, die mir in letzter Zeit so durch den Kopf gingen, gegeben zu haben. Für mich beginntjetzt bereits das letzte Viertel meines Freiwilligendienstes und ich hoffe sehr, in diesen drei Monaten noch ein-mal so viel aufnehmen und lernen zu können wie möglich und freue mich auch schon wieder auf die vielen neu-en Eindrücke.

Macht es gut, ganz viele Grüße und alles Liebe aus Namibia!

4. G-FD Teilnehmerin – Erster Datensatz (GF4-1)

Hallo ihr Lieben,

ihr verfolgt ja schon eine ganze Weile meinen Freiwilligendienst in Namibia. Dies wird mir alles durch die Or -ganisation X ermöglicht. Da ich auch durch "Weltwärts" unterstützt werde, fallen für mich keine Kosten an. Da-für aber für meine Entsendeorganisation. Da es für die Organisation X das erste Jahr ist, in dem sie mit "Welt-wärts" zusammen arbeiten, merken sie erst nach und nach, welche Kosten abgedeckte werden und welche sieselber tragen müssen. Ich darf hier ein super Jahr erleben und lerne für mich selber viel dazu. Ich war noch nie soglücklich über eine Entscheidung, die ich getroffen habe. Natürlich gibt es auch nicht so gute Situation hier.Aber hat man die nicht überall? Mein Dienst in der Vorschule ist sehr wichtig. Ich merke es immer wieder. Ichhabe hier schon so viel erreicht. Den Kindern ein gutes Umfeld aufzubauen ist sehr wichtig und ihnen eine guteBildung zu geben auch. Beides bekommen sie in der Vorschule X. Doch nicht alles läuft so, wie es sollte. Es gibtviele organisatorische Probleme, aber auch die Lehrer brauchen viel Unterstützung. Deshalb sind X1 und ich da.Wir geben Hilfestellungen und Lösungen für Probleme, die dort auftreten. Gleichzeitig sind wir aber auch fürunsere Kinder da. Es ist wichtig, dass es diese Freiwilligen-Stelle gibt und dass diese auch weiterhin bestehenbleibt. Wer meinen Dienst und meine Organisation unterstützen möchte, ist damit immer willkommen. Ihr helftdamit nicht nur mir, sondern auch meinen Kindern.

Jede Art von Spende hilft. Einmalige, monatliche, kleine und große.

Ich danke euch, dass ihr immer wieder hier lest, was ich erlebe. Es ist schön zu wissen, dass ihr mich nicht ganzvergesst und ich in euren Gedanken bin.

Hier sind die Bankdetails:

(...)

Ganz liebe Grüße und ein fettes Danke aus dem sonnigen und etwas regnerischem Namibia

eure GF4

4. G-FD Teilnehmerin – Zweiter Datensatz (GF4-2)

Noch 39 Tage und ich bin wieder in Deutschland... Ich habe das Gefühl, dass die Zeit nur noch so rennt und mirhier alles durch die Finger fluscht. Aber noch ist es ja nicht vorbei. Ihr werdet euch alle denken können, dass ichmeinem Abflug mit gemischten Gefühlen entgegen schaue. Ich werde Namibia unglaublich vermissen. MeineKinder, meine Freunde und einfach das wunderschöne Land. Aber ich freue mich auch unglaublich darauf nachHause zu kommen. Ich habe Deutschland unglaublich zu schätzen gelernt. Es gibt vieles, was es nun einmal hiernicht gibt und wofür wir sehr dankbar sein sollten.

Nach wie vor arbeite ich in Stadtteil X und habe auch beschlossen, dass ich bis zum Schluss dort bleiben werde.Es gibt einfach immer wieder etwas, was ich dort machen kann und ich merke auch, wie die Lehrer meine Arbeitund meinen Aufwand wertschätzen. Sehr interessant war für mich die letzte Woche, da mich am Montag eine derLehrerinnen angesprochen hat und gesagt hat, dass sie diese Woche komplett Unterricht machen möchte und ichihr bitte jeden Tag Feedback geben soll, wie ihr Unterricht war. Und er war sehr gut. Die Kinder haben superaufgepasst und wirklich etwas gelernt und auch sehr viel Spaß gehabt dabei. Das freut mich sehr, weil ich soauch merke, dass auch wenn ich dann gehen werde, wird doch einiges so weitergehen, wie ich mir das wünsche.Nachdem jetzt die größeren Kinder "versorgt" sind, werde ich mich den jüngeren widmen. Ich werde ab kom-mender Woche anfangen, auch mit den Kleineren eine kurze Gruppenstunde zu haben. Ich möchte mit ihnen ma-len, basteln und sie an den neuen Ablauf gewöhnen. Momentan bin ich ansonsten dabei Spielzeug zu bastelnoder zu besorgen. Ich lerne hier, dass die Kinder nicht unbedingt die neusten und abgefahrensten Sachen brau-chen, solange sie damit etwas anfangen können. So bastele ich am meisten einfach aus Abfall viele Sachen:Sandkastenspielzeug, Musikinstrumente etc

Außerdem habe ich auch wieder eine ganz neue Seite an mir kennen gelernt. Ich muss ehrlich gestehen, dass ich

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ja Babys süß und so fand, aber länger als ein oder zwei Stunden mit denen zu verbringen, war dann doch meis -tens eine Geduldsprobe für mich. Aber hier haben wir sechs Babys, um die ich mich auch mit kümmern mussund am Anfang habe ich die meistens abgeschoben, aber inzwischen sind die ganz Kleinen mir richtig ans Herzgewachsen. Jeden Morgen werde ich von ihnen mit unverständlichen Gebrabbel begrüßt und die hängen auchständig an mir rum. Die Babys werden hier auch ganz anders erzogen, als in Deutschland, aber ich habe michsehr schnell an die teilweise sehr abschreckenden Methoden gewöhnt.

Seit einer Woche bin ich jetzt alleine als Freiwillige in den Schulen. X1 ist am letzten Sonntag zurück nachDeutschland geflogen. Deshalb hatten wir auch das komplette letzte Wochenende volle Bude bei uns. Wir hattenzwei sehr schöne Abschiedsfeiern mit unseren Freunden und unserer afrikanischen Familie. Den Sonntag sindwir dann noch zu einem Denkmal gefahren, dass X1 noch nicht gesehen hatte. Es ist der Heroes Acre. Das ist eingroßer Obelisk, der auf einem Platz steht, wo man die namibischen Helden begraben hat. Es ist sehr eindrucks -voll und wenn man den Hügel ganz nach oben läuft, hat man nochmal einen unglaublichen Ausblick auf Stadt X.So hatten X1 und ich nochmal einen schönen letzten Tag zusammen.

Die Weltmeisterschaft konnte ich auch hier in vollen Zügen genießen und mich an unserem Sieg erfreuen. Ichhabe immer wieder bei anderen Leuten geschaut und es war mal ein ganz anderes Gefühl, wenn mal nicht allenur für Deutschland sind. Unser Nachbar ist Amerikaner, unsere ehemalige Gastfamilie kommt aus Ghana, mei-ne eine Mitbewohnerin ist Engländerin und dann gibt es noch diese ganzen anderen, die Teams, wie Brasilien,Portugal, Niederlande etc unterstützt haben. Es war immer kunterbunt und gerade das hat eine super Atmosphäregeschaffen.

Ich durfte auch endlich in den Genuss kommen und das berühmte Kapana essen. Das ich eigentlich einfach nurgegrilltest Fleisch. Wir sind dazu zu einem Markt in Stadtteil X gefahren und dort wird am Morgen die Kuh ge -schlachten, zerlegt und dann über den Tag wandert diese auf den Grill. Das Fleisch schmeckt unglaublich gutund ich habe sehr selten bis jetzt so frisches und zartes Fleisch gegessen. Ich muss sagen, das Fleisch hier werdeich doch schon sehr vermissen.

In meinen letzten Wochen passiert auf jeden Fall nochmal einiges. Ich werde nach Ort X1 fahren, wahrschein-lich nochmal umziehen, mit der Jugendgruppe nach Ort X2 reisen (das liegt ganz im Norden an der Grenze zuAngola), dann kommen die neuen Freiwillige...

Es bleibt wie immer spannend hier.

Was kommt, wenn ich wieder in Deutschland bin. Ich weiß es immer noch nicht. Meine Unibewerbungen sindabgeschickt. Aber wo ich studiere bleibt noch offen. Aber da haben die Unis ja auch noch ein Wörtchen mit zureden.

Liebste Grüße aus Ort X...:)

5. G-FD Teilnehmer – Erster Datensatz (GF5-1)

Liebe Freunde,

Puh, bin ich jetzt schon lange hier! Seit dem 25.08. bin ich jetzt schon in Stadt X. Wo soll ich nur anfangen?

Anreise

Also, alles fing mit einem der wohl abenteuerlichsten Momente meines Lebens los. Am Samstag vor der geplan-ten Ausreise checke ich ordentlich im Internet ein, um überflüssige Wartezeiten zu vermeiden. Der Ausdruck desOnlinetickets treibt mir alsdann dann Blut in den Kopf, als ich sehe, dass ich mich mit dem Abflugdatum umeinen Tag vertan habe. Der Flug geht ja schon heute!! In Windeseile und nur durch wunderbare Unterstützungmeiner Liebsten geht dann letzten Endes doch alles gut. Frankfurt Flughafen ist für den Stadt X in DetuschlandNormalbürger wie mich, den beim Anblick des Stadt X in Deutschland Flugplatzes doch eher Ideen überkom-men, wie man auf dem riesigen Acker am effektivsten Kartoffeln anbauen kann, natürlich ein Riesending unddie Reise zum richtigen Terminal ein Abenteuer. Die Maschine geht dann aber mit mir in die Luft. Nun müsst ihrwissen, dass das höchste der Gefühle des Fliegens bisher ein etwa zweistündiger Flug nach Stockholm war. Gut,dass ich am Gang sitze und meine Sitznachbarin eher mit der Flugzeuginnenwand als meiner Schulter vorliebnimmt, als die Nacht hereinbricht. In Johannesburg landen wir am frühen Morgen, von dort wird mein Flug michin das gelobte Land meines nächsten Jahres führen. Der Windhoeker Flughafen erinnert mich wiederum dannwieder an den Stadt X in Deutschland Kartoffelacker, das Terminal erreicht man vom Rollfeld durch eine Tür.120 Chinesische Ingenieure später stehe dann auch ich an der Passkontrolle, die Dame mustert mich noch einmalstreng, fragt mich, was ich denn machen würde in Namibia, ich antworte so halb wahrheitsgemäß, ich würde dieKirche besuchen, und halte Sekunden später mein dreimonatiges Visum in Händen. In der Ankunftshalle werde

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ich von netten Menschen, u.a. meiner Mentorin X1, abgeholt. Die Fahrt geht 40 Kilometer in die Stadt, von dorterst einmal für eine Woche zu X1. Die Kirche dachte, die Landeskirche würde sich um meine Unterkunft küm-mern und umgekehrt. Schlussendlich ziehe ich dann zu meiner Chefin, X2. Bei ihr und ihrer Familie fühle ichmich total wohl.

Trautes Heim, Gluck allein

Ich darf sogar mein eigenes Zimmer bewohnen, manchmal ein sehr willkommener Rückzugsort mit meiner klei -nen Taschenkapelle mit Teelicht. Mein Gastpapa X3, meine Schwestern (endlich Schwestern, jaha!) X4, X5, X6und X7, meine Gasturgroßmutter und sogar schon eine Gastnichte; eigentlich ist immer jemand da. Aber ich binja nicht auf Gnaden- oder Schweigejahr und kontaktscheu auch nicht. Außerdem sind meine Gasteltern in derKirche total aktiv; X3 ist einer der 16 Ältesten, die die Kirche leiten. Dadurch sind sie einfach häufiger mal beiHochzeiten und diversen Festivitäten eingeladen, und ich natürlich immer mit dabei. Toller wäre die namibischeGesellschaft in einem Jahr wohl kaum kennenzulernen. Ich lebe in Ortsteil X, das ein Teil von Stadtteil X ist.Wer will,kann das ja mal bei Google Maps eingeben. Zur Arbeit sind es praktischerweise nur etwa 8 MinutenFußweg. Und zur Stadt X bezahle ich mit dem Taxi 67 Cent, wenn mein Fahrrad nicht gerade kaputt ist.

Nun aber mal zur Arbeit:

Ich arbeite im Zentrum X, kurz X. Es wurde 2002 eröffnet, und zwar von der Gemeinde X1. Diese befindet sichnur einen Steinwurf vom Center entfernt. Die Landeskirche dazu ist die Gemeinde X2. In dem Staat existierengleich drei Landeskirchen, darunter auch die Gemeinde X3. Im Zentrum X werden Workshops angeboten, dieFähigkeiten der Menschen verbessern sollen. (So die wörtliche Übersetzung). Da geht es dann etwa darum, wieFrauen ihr eigenes kleines Unternehmen gründen und damit Erfolg haben können. Auch gibt es Workshops, diezur rechtlichen Bildung beitragen, wie etwa Aufklärung zu häuslicher Gewalt, der Rechtslage bei Scheidungenund Sorgerechtsfragen oder auch der Gerichtsbarkeit von Vergewaltigungen.

Dann gibt es die Suppenküche, bei der ich fleißig mithelfe. Sie findet zweimal wöchentlich statt. Die etwa 15Menschen nehmen sich ihr Essen in Bottichen mit, werden durch unser Angebot also für mindestens 5 Tage derWoche versorgt. Zu den Klienteln zählen HIV-Erkrankte und vor allem Ältere der Gemeinde. Ich genieße dieZeiten, in denen wir gemeinsam auf das Fertigköcheln der Suppe warten, und wir uns mehr oder weniger mitHänden und Füßen unterhalten. Die Küche, inclusive professioneller Cateringausrüstung, gestiftet von der ameri-kanischen Botschaft, kann auch vermietet oder für Cateringaufträge genutzt werden. In diesen Fällen sind wir fürdie großen Mengen an Lebensmitteln lang unterwegs, um alles so günstig wie möglich zu bekommen. Ebenso istdie große Halle des Centers an Wochenenden so gut wie immer für Privatveranstaltungen vermietet. Und dannsind da noch meine Kinder vom Kids Club. In diese Arbeit investiere ich sehr viel meiner Zeit. Im Kids Clubgeht es ebenfalls darum, die Kinder zu stärken; Sie sollen ein gesundes Selbstbewusstsein entwickeln können,um ihre Rechte und Pflichten wissen und ihre Gesellschaft, in die sie hineinwachsen, kennen. Viel läuft dabeinatürlich durch Spiele.

Das kleine aber..

Würde ich mit den Strukturen, die ich bei meiner Ankunft vorfand, zufrieden sein, wäre das alles. Hier bin ichehrlich und sage, dass da meiner Meinung nach mehr kommen muss vom Zentrum X. Die Selbstverwaltung desCenters kostet natürlich auch eine gewisse Zeit, aber Dinge wie etwa Workshops werden ausschließlich von ex-ternen Dienstleistern oder Organisationen durcgeführt. Ich bin von Natur aus recht allergisch gegen Leerlauf (inder Freizeit ja gerne). Mein erster kleiner Kulturschock, wenn man das so formulieren kann, bestand dann auchdarin, die einzigartige Gelassenheit meines Umfeldes hinzunehmen. Ich lerne die Geduld. Um meinen Wochen-arbeitsplan zu füllen, bin ich die Proaktivität übergegangen. Ausfluss durchblasen, Felder graben, Pflanzen gie-ßen und pflegen, Toiletten reparieren, alles mögliche kaputte flicken, eine zweite Kindergruppe. Das Fußball-team der Jungs steht in den Startlöchern. Jetzt muss nur noch eine Idee her, wie man die Jungs denn trainiert.Wenn dann noch Pausen bleiben, lerne ich eben Afrikaans. Viel Zeit verbringe ich außerdem in der Kirche, mitdem Jugendchor, mit dem ich kürzlich meinen ersten englischen Gospelsong („Power“) einzuüben begonnenhabe. Ab Anfang 2014 hat auch der Lehrer der englischsprachigen Konfirmandengruppe keine Zeit mehr, wasfür mich eine große Aufgabe darstellt. Dann natürlich die langen langen Gottesdienste, der kürzeste bisher warnach zweieinhalb Stunden fertig. Als Techniker habe ich bei Konzerten oder einfach Gottesdiensten in der Kir-che auch gut zu tun. Soweit arbeitstechnisch. Ich werde mal sehen, wie viel ich euch so an Bildern mit in dasDokument packen kann. Meine Kamera hat nämlich einen kurzen Aufenthalt ohne Beaufsichtigung im Lager-raum nicht ohne unfreiwilligen Ortswechsel überstanden (kurz: Sie wurde gestohlen) und mein Notizbuch ist mirauf dem Dach eines Autos weggefahren.

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Reiseerfahrungen

Ja, auch die habe ich schon gemacht. Zum einen habe ich Stadt X mit seinen X Einwohnern zu großen Teilen er -schlossen. Zum einen per Fahrrad, der sehr billige Schlauch ist allerdings dauernd kaputt; zum anderen mitFreunden, wenn sie rumfahren, letztens dann, wenn ich zum Einkaufen fürs Center in die Stadt fahre. Stadt Xwird im Osten in Stadtteil X1 und X2 sowie im südlichen Stadtteil X3 von den materiell Wohlhabenderen be-wohnt, im Westen in Stadtteil X4 und in X5 residiert die Mittelschicht, und Stadtteil X mit X Einwohnern imNorden besteht zu einem Gutteil aus informellen Siedlungen, gerade an den ausufernden Grenzen.

Dann war ich auch schon außerhalb; Zum einen sah ich die wunderbare Küste mit Ort X, einem kleinem Ört -chen, als die Gemeinde 1 der dortigen neu gegründeten Kirche eine seiner Kirchenglocken stiftete. Der Ozeantrifft an der namibischen Küste direkt auf die Wüste, einfach ein beeindruckendes Schauspiel. Durch die namibi-sche Wüste fährt man stundenlang, ohne eine Menschenseele anzutreffen. Zum anderen durfte ich auch schonbei einer traditionellen Damara-Hochzeit auf dem Land dabei sein. Das ganze dauert von Freitag bis Sonntag:

Freitag: Die Gesellschaften des Bräutigams und der Braut begehen den ersten Teil der Zeremonie getrenntvoneinander. Es wird viel getanzt und gegessen, ohne Strom erleuchtet irgendwann nur noch das Feuer die Sze-nerie. Dann wird eine Kuh unter großem Gejohle zur Farm der Braut getrieben und dort geschlachtet. GroßerSchock für den Vegetarier in mir. Aber ich habe hier sowieso schon so ziemlich alles gegessen, dass könnt ihrmir glauben.

Samstag: Einige Mitglieder der beiden Gesellschaften, nun vereint, tanzen die Nacht auf Samstag einfachdurch. Ich schlafe mit 8 Leuten im Igluzelt, wird dadurch aber wunderbar warm. Abends dann die Feier. DasZelt ist leider weggeflogen, also wird in einer Scheune gefeiert. Es gibt einige Reden, etwas zu essen, und dannist die Geschichte schon zu Ende. Bei einer anderen Hochzeit einige Wochen später tanzen die Menschen we-nigstens noch bis null Uhr, ehe die Soundanlage ausfällt.

Sonntag: Die Menschen sind müde, doch um der Tradition willen kommen die meisten noch einmal zusam-men.

Für meinen Sommerurlaub über Weihnachten steht mir ein echtes Highlight bevor: Es geht zwei Wochen langmit dem Bus nach Südafrika, und fünf Tage davon auf dem Schiff bis nach Mauritius!

X´ Wort zum Sonntag Heute: Materielle Ungleichheiten.

Wie gesagt, ich sehe beide Seiten. Fährst du von Stadtteil X nach Stadtteil X1 oder X2, so denkst du, du fährst ineine andere Stadt: Riesige, übertriebene Residenzen auf der einen Seite, kleinere Häuser auf der anderen. Schi-cke Autos gibt es in Stadt X überall, mit dem Unterschied, dass Menschen, die in den südlichen Stadtteilen woh-nen, alle so eins haben. Ein weiterer Aspekt ist der aus der monetären Potenz resultierende Zugang zu Bildung.Die Primary School bis zur sechsten Klasse ist inzwischen (seit des Inkrafttretens der Milleniumsziele der UN)kostenlos, aber danach entscheidet sich die Qualität der Bildung vor allem nach dem Geld, dass die Eltern für dieSchule aufbringen können. An der renommierten Deutschen Höheren Privatschule etwa kostet der Monat ent -spannte 300 Euro. 4000 Dollar Schulgeld sind für sehr sehr viele Menschen natürlich absolut utopisch. An derUniversität setzt sich die Geschichte natürlich fort: Zum einen kosten auch die beiden nennenswerten Universitä-ten im Land, UNAM und Politec (technische Universität) hohe Studiengebühren.

Und für die höchst qualifizierenden Studiengänge muss das Studium entweder in Südafrika (unglaublich teuer)oder in Europa (hier haben es die deutschnamibischen Studenten, die noch einen deutschen Pass haben, deutlicheinfacher, ein Visum zu erhalten), angegangen werden. In dem deutschen Junge-Erwachsenen-Kreis sitzen sodann neben vielen Freiwilligen und Praktikanten (Botschaft, Deutsche Schule, Deutsche Kirche, Deutsche Stadt-mission) unter anderem eine Architektin, ein Zahnarzt, eine Medizinstudentin, eine Psychologin und ein Boiler-hersteller. Und wenn diese Charaktere Kinder haben, setzt sich das Mühlrad der ungleichen Bildungschancen abder Geburt fort. Auch wenn es um Sachwerte geht, dann besitzen weiße und deutschstämmige geschichtsbedingtoft einfach mehr. Auch wenn die regierende SWAPO ein System eingeführt hat, dass Schwarze bei Neuerwer-bungen von Farmland bevorzugt, die industriell agierenden Großfarmen sind meist in der Hand von Weißen. Inder Stadt ist das gleiche Phänomen bei Immobilien und Grundstücken zu beobachten. Namibia gehört zu den rei-cheren Ländern Afrikas, wird von der Weltbank als Land höheren mittleren Einkommens betitelt. Doch gleich-zeitig ist die Ungleichheut des Landes mit Abstand die weltweit größte: Die reichsten zehn Prozent des Landesverdienen hier unglaubliche 129 mal so viel wie die zehn am schlechtesten verdienenden Prozent!! Dieser Wertklingt einfach unglaublich, ist jedoch meiner Empfindung nach gar nicht so unrealistisch: Zum einen existierennatürlich die erwähnten Ungleichheiten sehr stark, zum anderen spielt das monetäre Einkommen auf dem Land,gerade im Norden, häufig eine untergeordnete Rolle oder Einkommen werden nicht richtig erfasst. Trotzdem ist

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diese Realität der Verteilung natürlich inakzeptabel.

Was noch?

Das Wetter: Es ist einfach immer warm, aber auch trocken. Die Regenzeit wurde in der letzten Saison mancher -orts einfach übersprungen. Die Freizeit: Natürlich Kirche. Macht mir auch unglaublich Spaß. Zusätzlich zu unse-rem Kirchenprogramm bin ich einmal wöchentlich auch im Jungen Erwachsenenkreis der Deutschen Kirche. Esist einfach interessant, Teil der schwarzen und der weißen Community zu sein. Mit X8, dem ich bei einemWorkshop kennengelernt habe, ziehe ich auch mindestens einmal die Woche los. Er bringt mir auch nützlicheSachen bei, z.B. wie man sich in Schlangen vordrängelt oder wie man im Restaurant gratis doppelt Käse be -kommt.

Das letzte

Fazit meiner ersten drei Monate: Einfach unglaublich! Täglich neue Eindrücke, neue Orte, neue Leute, neueAufgaben, neue Fragen. Und täglich stehe ich wieder motiviert auf und bin gespannt, was der Tag für mich be-reithält. Wahrscheinlich habe ich jetzt die Hälfte vergessen, aber dass es mir gut geht wisst ihr jetzt. Ich wahnsin-nig gespannt auf die nächsten neun Monate, auf meine Projekte, die ich starten und in den Sand setzen werde,und auch aufs Reisen. Lest doch auch auf meinem Blog unter xxx nach, was ich so anstelle. Sobald meine Ka-mera wieder da ist, gibt es auch wieder mehr Bilder. Ich merke einfach, dass ich hier an der richtigen Stelle ge-landet bin: Da, wo ich einerseits die meisten Erfahrungen machen kann und andererseits auch nicht nur derBankwärmer bin. Halleluja! Euer GF5

5. G-FD Teilnehmer – Zweiter Datensatz (GF5-2)

Liebe Freunde,

Ey! Lani! Lani! Laani! Hey, White Man!

Ja?

How are you?

Gut und wie gehts dir?

Fine.

Gut, hab nen schönen Tag!

So oder so ähnlich läuft die Vielzahl meiner Dialoge ab. Und das wird ganz sicher noch solange anhalten, bismich auch wirklich jeder hier kennt. Nun ist es also Zeit für meinen zweiten Rundbrief. Im ersten Rundbriefschildert man eigentlich immer einfach so das Allgemeinde Arbeiten und drumherum, dementsprechend leichterals darauf folgende Berichte schreibt er sich auch. Das zweite Viertel des Jahrs meines Lebens sah in grob etwaso aus:

Weihnachten

So also; Als ich meinen ersten Rundbrief Mitte November fertigstellte, befanden wir uns schon halbwegs in denWeihnachtsvorbereitungen. Die Läden hatten schon Mitte Oktober angefangen, sich weihnachtlich zu schmü-cken. Namibia ist mit Weihnachten grundsätzlich früher dran als die nördliche Hemisphäre, weil über die Feier-tage selbst viele im Urlaub sind. Zuerst begannen wir mit den Proben der Kinder und ältesten für das Weih-nachtsstück bei der Jahresendfeier des Centres. Zunächst lernte jeder einen Vers der Weihnachtsgeschichte aus-wendig, Mitte Dezember war dieser dann auswendig aufzusagen. Natürlich blamiere ich mich bei meinem nichterwähnenswerten Versuch, der Gemeinde von der Geburt eines gewissen "Wüstenreiters", das ist, was ich, bisauf die Knochen. Wenigstens haben dabei alle was zu lachen. 4 Wochen lang üben wir mit den Kindern für dasWeihnachtsstück, die Texte verlangen letztenendes dann aber doch soviel ab, dass wir eher in einem Standthea-ter enden. Wir dürfen uns glücklich schätzen, als eine der wenigen Stellen in Namibia Päckchen des Projekts"X3" zu erhalten. Die Plastikboxen stammen aus den USA und den Niederlanden. Die Kinder sind so überglück-lich, dass wir die Weihnachtsfeier irgendwann etwas überhastet abbrechen müssen; die Kids sind nicht mehr amauspacken zu hindern. Schönes Essen gibt es wie immer auch. Als ich wenige Tage später und aufbrandendemJubel der vollversammelten Jubel meinen Part beim Krippenspiel der Kirchenjugend aufsage (und dabei dochrecht überzeugend den Zacharias, Vater des Johannes, spiele): Matiz neesa I !kha? Dita come keira hao, tse di

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daras on gom !is di geira sis tse di #kna ha o. und mir für die zwei kaum verständlichen Sätze stehende Ovatio -nen gespendet werden, bin ich endgültig in Namibia und der Gemeinde angekommen. Wenn ich diese Sprachedoch nur sprechen würde! Kleiner fader Beigeschmack des Krippenspiels: Wir hatten eine Tour in den Südostendes Landes, Richtung Ort X3, angestrebt. Die fällt ins Wasser, es war vergessen worden, die Anzahlung beimBusunternehmen zu bezahlen. Mitte Dezember schließen wir dann das Center, und am nächsten Morgen geht esnach Südafrika los!

Urlaub

Aufgrund der Tatsache, dass sich von 120 angemeldeten Teilnehmern der Gemeinde innerhalb von 6 Wochenvor der Reise 80 abmeldeten und keinerlei Stornogebühren anfielen, sagte der Reiseveranstalter die Tour zweiWochen vor Beginn ab. 30 Leute fanden sich dann doch noch, die reisen wollten, und so wurde die Tour kurzer -hand selbst organisiert. Von Stadt X geht es gen Osten, nach Gobabis, dann über die Grenze nach Botswana,durch das Niemandsland, nach Gaborone, Hauptstadt des Binnenstaates. Ich treffe X9, den Freiwilligen der Or-ganisatiom X4. Pretoria erreichen wir am nächsten Nachmittag, später besuchen wir die Regierungsgebäude. Jo-hannesburg sehe ich am nächsten Tag, wir fahren allerdings nur dorthin, um in einer großen Shoppingmall ein-kaufen zu gehen. Vom der Bergbaumetropole müht sich der klapprige Minibus dann am nächsten Morgen dieBerge hoch bis in das eigenständige Königreich Swasiland, welches mit seiner atemberaubenden Bergwelt be-geistert. Leider finde ich am nächsten Morgen heraus, dass unser Hotel in Durban, wo wir fünf Nächte lang blei-ben werden, schon für die nächste Nacht gebucht ist. Und nachdem wir unmöglichste Umwege gefahren sind, er-reichen wir Durban dann um halb zwei in der Nacht. Durban liegt an der Küste, und hat wirklich viel zu bieten.So besuche ich das Stadion, die große Wasserwelt, die City und natürlich den Strand. Am Weihnachtsabend gehtes mit dem Boot auf Rundfahrt durch den Hafen, wo wir gemeinsam einen Gottesdienst und danach ganz allge -mein feiern. Am Ende der tollen Zeit mit unglaublich vielen Erlebnissen und begrenzter Zeit zum Erholen dauertdann die Fahrt quer durch Südafrika heim nach Stadt X insgesamt 35 Stunden. An die schmalen, abgegriffenenSitze in dem Minibus werde ich mich wohl noch lang zurückerinnern.. Über Neujahr geht dann gar nicht mal soviel, den Silvesterabend verbringe ich in einem schönen Gottesdienst, der vier Stunden dauert, als er endet, lohntes sich auch nicht mehr, nach Hause zu fahren, und so mache ich eine wiederum tolle Erfahrung, betend in dasneue Jahr zu starten. So richtig tiefenentspannt bin ich nach dem aufregenden Urlaub dann doch noch nicht; undso fahre ich noch einmal für ein langes Wochenende an die namibische Küste nach Swakopmund, X1 und X2nehmen mich mit, ich wohne im Gästehaus der Kirche. Naherholung bedeutet in Namibia, weniger als 500 Kilo-meter zu fahren..

Endlich wieder arbeiten

Motiviert stürze ich mich dann auch geradewegs wieder in die Arbeit, beginnen tue ich mich mit 4 Tagen Endfe-rienprogramm mit den Kids. Total entnervt muss ich allerdings an zwei von vier Tagen frühzeitig abbrechen, dieKids haben viel zu viel Energie, keine Schule oder sonstige Beschäftigung; ich bin ja außerdem immer noch al -lein. In den ersten beiden Wochen nach Wiedereröffnung findet man mich denn auch meist im Garten, fanatischwühlend. Denn Steine verhindern, dass halbwegs effektiv Lebensmittel angebaut werden können. Dass derHausmeister mit Tuberkulose zwei Monate im Krankenhaus liegt, bedeutet für mich neben den Sorgen, die wiruns um ihn machen, auch ein klein wenig mehr Arbeit. Außerdem arbeite ich jetzt noch zusätzlich samstags, dawir den Kinderclub verschoben haben, damit Freiwillige, die unter der Woche arbeiten müssen, mir unter dieArme greifen können. Als ich dann auf Zwischenseminar bin, welches für alle WELTWÄRTS-Freiwillige ver-pflichtend ist, fällt der Club natürlich zweimal aus. Nun aber denke ich, dass die Dame, die den Club vor mir ge -leitet hat, wieder mit dabei ist. Meine Gebete wurden erhört! Schade ist nur, dass ich nun keine langen Wochen-enden mehr haben können werde.

Zwischenseminar

Zur Auswertung der Arbeit schreibt der BUND also vor, dass auf der Hälfte der Einsatzzeit ein Zwischenseminarabsolviert wird. Dafür reise ich mit dem Bus 22 Stunden nach Kapstadt. Total entspannt! Nachdem ich im Busschon zwei Freiwillige treffe und wir uns den Tafelberg von der Talstation sowie die Diskothekenmeile auf derLong Street des Nachts angeschaut haben, geht es Sonntagmorgen zur Hillsong Church, die nach ihren Kirchenin Australien, Kiew, London und New York auch Ableger in Südafrika gestartet hat. Ein interessantes Erlebnis.Sonntagnachmittag beginnt dann das Seminar in einem Tagungscenter der katholischen Kirche, wunderschön in-mitten der Weinberge um Kapstadt gelegen. Wenn Ungleichheiten einen anschreien.. So verbringe ich mit 17 an-deren Freiwilligen und 2 Leitern prima 5 Tage, in denen wir wunderbar reflektieren, resümieren und Pläne fürProjekte in unseren Einsatzstellen schmieden. Die Zeit tut mir echt gut, sie ist nicht wirklich Urlaub, aber auchkeine harte Arbeit, und ich bekomme endlich mal wieder ein Klavier unter die Finger. Es tut so gut, zu wissen,dass andere junge Leute meine Einstellungen und die auftretenden Probleme teilen und wir uns gegenseitig

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Tipps geben können, wie mit dem ein oder anderen umzugehen ist. Aus dem Seminar gehe ich gestärkt, denFreitagabend verbringen fast alle Freiwilligen beim Grillen in der Wohnung von vier Volontären, die von derKapstädter Innenstadt nur etwa 30 Straßenbahnminuten entfernt sind. S-Bahnen, das gibt es in Stadt X ja garnicht. Samstagmorgen besteigen wir als große Gruppe dann den Tafelberg, was sich als doch recht anstrengenderweist. Die Aussicht belohnt dann aber alles. Nur mein neues Smartphone, welches mein im November bei ei-nem Zwischenfall mit Fisch (der schon etwas lag) kaputt gegangenes Handy ersetzt hat, überlebt den Ausflug aufdas Plateau nicht unbeschadet; ich setze mich für Bruchteile von Sekunden in eine Pfütze, das kleine Wunder-werk der Technik dankt es mir mit einem defekten Touchscreen. Mit einer Computermaus kann ich das Gerät al-lerdings noch bedienen. Na toll.. Der Abend hält dann neben den vom Abstieg schmerzenden Knien noch eineordentliche Feierei mit den Freiwilligen bereit, ich schlafe wenig, was angesichts der anstehenden Busfahrt amnächsten Tag aber auch ganz gut ist.

Wie es jetzt weitergeht

Worauf ich mich schon total freue, ist die Arbeit mit den Konfirmanden. Es gibt in der Gemeinde nämlich aucheine englischsprachige Klasse, mit zurzeit etwa 40 Teilnehmern. Die Kids gehen hier nur ein Jahr lang zum Kon-firmandenunterricht, dafür zweimal in der Woche. Gleich beim ersten Unterricht, den ich zusammen mit X10, ei-nem netten jungen Mann, gebe, merke ich, dass mir Kinder in diesem Alter einfach am besten liegen; Sie prü -geln sich nicht mehr, wie die kleinen, gleichzeitig befinden sie sich in genau dem Alter, wo ein sorgfältiger Inputsie nachhaltig oder zumindest für die Jugend prägen kann. Konfirmandenunterricht. in Namibia bedeutet grund-sätzlich, den kleinen Katechismus auswendig zu lernen. Und so ist mein Partner die Stunden über damit beschäf -tigt, die Kinder wieder und wieder die ersten drei Gebote mit Erklärung aufzusagen, bevor wir uns das Glaubens-bekenntnis vornehmen. Die Ausgestaltung der Stunden verspricht auf jeden Fall, spannend zu werden! In der Ju-gend der Gemeinde bin ich jetzt in eine ältere Gruppe gewechselt, die jungen Erwachsenen. Leider diskutierenalle immer munter auf KhoeKhoe, doch manchmal übersetzt mir jemand. In der Jugend, in der ich bisher war,werde ich zeitweise Themen leiten; dies erscheint mir wiederum wertvoll, da einige Frischkonfirmierte auch Teildieser Jugend sind. Sehr froh war ich zu hören, dass mich meine Freundin im März sowie meine Eltern im Julibesuchen werden. Urlaub habe ich leider kaum mehr zur Verfügung, da das Center vier Wochen geschlossenhatte, aber vielleicht lässt sich mit der Unsumme an Überstunden, die ich aufhäufe, eine Regelung treffen.

X´ Wort zum Sonntag. Heute: Stolz und Vorurteile

Namibia besteht, ich weiß nicht ob ich das schon erwähnte, aus einer Vielzahl von Ethnien. (…) Und ich sehe,dass Namibia, obwohl seit mehr als 20 Jahren vereint, immer noch sehr uneins ist. Unsere Hündin hatte dreiHundebabys geboren, die wir unmöglich alle behalten konnten. Einer Nachbarin bot ich dann auch eines derkleinen an, nachdem wir über die Hunde ins Gespräch gekommen waren. Nachdem die gute Frau allerdings hör -te, dass meine Gastfamilie den Damaras entstammt, hatte sich das Thema schnell wieder erledigt; ein Ovambokönnte doch niemals einen Hund von Damaras annehmen. Meine Gemeinde besteht ja beispielsweise einzig undallein aus Namas und Damaras. Die Gottesdienste finden selbstverständlich größtenteils auf KhoeKhoeGowabstatt.

Gründe für diese Phänomene lassen sich wohl am ehesten irgendwo in der Vergangenheit festmachen: DieOvambos etwa sind nämlich eine erst im 17. Jahrhundert eingewanderte Volksgruppe, die den, ihr seht es auf derKarte, recht dicht besiedelten Norden bewohnten – und damit schnell in Rivalität mit anderen Stämmen, geradeden Damaras und den Herero, kamen. Blutige Konflikte waren die Folge dessen. Dass dann auch noch die Euro-päer beliebige Grenzverläufe festlegten, machte die Sache auch nicht einfacher, da Wanderungsbewegungen vonnun an nicht mehr so leicht zu vollziehen waren. Es ist auch so, dass die Ovambos zahlenmäßig einfach so starkvertreten sind, dass sie in dem Wanderungsstrom von Menschen aus ruralen Gebieten, die in Stadt X oder an-derswo das Glück suchen, besonders hervortreten. Es lässt sich auch nicht wegdiskutieren, dass das namibischeBildungssystem in Stadt X deutlich effektiver und besser greift als in ländlichen Gebieten. Wenn dann Ovambos(oder wer auch immer), die in Stadt X aufgrund mangelnder Bildung keine Arbeit finden, sich auf andere WeiseGeld und Nahrung besorgen, ist eben schnell die ganze Volksgruppe bei den anderen indigenen Völkern Namibi-as unten durch.

Das Windhoeker Reiterdenkmal

Und auch die Deutschen will ich in meinem Rundbrief natürlich nicht außer Acht lassen. Es geht um das Reiter-denkmal, von der deutschen Kolonialmacht 1912 errichtet. Auf seinem Sockel thronte der Reiter dann über

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Windhuk, bis er am Weihnachtstag abmontiert wurde und jetzt im Innenhof der Alten Feste, früher Arsenal undStützpunkt der deutschen, heute Museum, steht. Für viele deutsche stellt die Beseitigung des Denkmals eine re-gelrechte Beleidigung dar, und in der Allgemeinen Zeitung, die ich mir von Zeit zu Zeit kaufe, finden sich auchjedes Mal wieder wütende Leserbriefe über dieses Thema. Der Regierung war das Reiterdenkmal immer schonein Dorn im Auge, steht es doch für die Fremdherrschaft und damit nicht gerade für das unabhängige, aufstre -bende Land, das Namibia gerne sein will (dafür müssten sie erst einmal eine tatsächliche Unabhängigkeit vonSüdafrika erlangen, von deren Exporten sie abhängig sind.) Stattdessen wird am alten Standort des Reiterdenk-mals momentan eine Unabhängigkeitsstatue von Nordkoreanischen Baufirmen errichtet. Mir zeigt das klar, inwelche Richtung sich die Regierung bewegt.

Ich sage: Geschichte lässt sich nicht ungeschehen machen. Das Vorhaben des Präsidenten, die Statue komplettabzubauen, ist daher nicht richtig. Auf einer Gedenktafel, die an dem Reiterstandbild angebracht ist, an die gefal-lenen deutschen Soldaten in den Kriegen gegen die Herero und Nama zu erinnern, finde ich auch richtig, solangees genauso Gedenkstätten für die Gefallenen der Gegenseite gibt. Prima ist aber, dass der Reiter jetzt nicht mehrin erster Reihe über der Stadt thront und damit Sinnbild für die Unterdrückung der indigenen Bevölkerung ist,sondern in den Innenhof des Museums gestellt wurde. Er erinnert weiterhin, ohne jedoch sein Sinnbildnis auf-rechtzuerhalten. Letzten Endes wollte ich, um im Thema zu bleiben, hier auch das Verhältnis der Ethnien zuein-ander beleuchten: Die deutschen beharren auf ihrer Tradition, ich will hier gar nicht einmal schadhaften Nationa-lismus vorwerden, und Argumente der Gegenseite werde von beiden Parteien ausgeblendet. Dieses Land ist ebenein Land, und leider noch keine Nation

Was noch?

Das Wetter: Es ist immer noch immer sehr warm, zurzeit liegen wir voll im südafrikanischen Sommer, 30 Gradim Schatten sind ganz natürlich drin. Es hat allerdings gerade in den letzten Wochen auch geregnet (Das warauch bitterst nötig!), man merkt manchmal sogar die Ausläufer der Innertropischen Konvergenzzone bis nach so-weit südlich, mit schnellen Wetterwechseln um die Mittagszeit herum.

Die Freizeit: Musik! Ich bin ins Lobpreisteam der deutschen Gemeinde eingestiegen, wo ich 1-2 mal im Monatan Klavier und Mikro zugange bin. Morgen habe ich meine ersten beiden Stunden am College of the Arts in derInnenstadt, Trompete und Drums. Das kontemporäre Klavierspiel war leider schon voll.. Neben X9 habe ich na-türlich noch einige weitere Leute in der Gemeinde kennengelernt. Man trifft sich in der Jugend, geht zum Fuß-ball gucken ins Sam- Nujoma-Stadion, grillt zusammen. Einfach prima.

Das letzte

Fazit des zweiten Viertels: Immer noch lerne ich dauernd neues kennen. Nur leider die Sprache viel zu langsam!Gewisse Dinge spielen sich auch ein, ohne in Lethargie lahm zu werden. In allem, was ich tue, sei es Arbeit oderAusflug, schwingt immer diese gewisse Prise Abenteuer mit, die einen nur im Ausland beseelen kann.

Ich bin schon wieder viel zu spät für die Gemeindejugend! Schaut unbedingt mal auf meinem Blog rein, dortsollten sich auch ein paar neue Fotos befinden, wenn ihr meine Zeilen lest. Ich freue mich, von euch zu hören!Halleluja! Euer GF5

6. G-FD Teilnehmerin – Erster Datensatz (GF6-1)

Man glaubt es kaum, aber wir haben es geschafft, wir sind in Namibia angekommen. In unserem zuhause für diekommenden 12 Monate. Das Flugzeug hat uns, mit 6 Stunden Wartezeit in Johannesburg, sicher nach Windhoekgebracht. Dort angekommen haben wir eine gefühlte Ewigkeit bei der Visakontrolle gewartet. Dann haben wir esaber tatsächlich geschafft ,mit all unseren Rucksäcken, Koffern, Sportgepäck und was wir eben noch so alles da-bei hatten, legal namibischen Boden unter die Füßen zu kriegen. Am Flughafen wurden wir dann von einem Fah-rer abgeholt, welcher gleichzeitig auch noch neun weitere Freiwillige mitgenommen hat die woanders in Stadt Xarbeiten werden und denen wir bestimmt schon bald mal wieder über den Weg laufen werden.

An der Schule angekommen wurden wir freundlich von dem Schulleiter und seiner Assistentin begrüßt undganz kurz über die Organisation X aufgeklärt, seine noch sehr junge Assistentin hat uns dann zu unserem neuenZuhause, dem Freiwilligenhaus der Organisation X, gebracht. Dieses kannten wir bis jetzt nur von Fotos und sorichtig wussten wir nicht was uns erwarten wird. Nur das es auch liebevoll “Praktikantenknast” genannt wirdwas unsere Erwartungen dementsprechend heruntergeschraubt hat. Positiv überraschend sind wir aber trotzdem,

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nach einem hohen Sicherheitszaun gibt es eine kleine Terrasse auf der es sich gemütlich sitzen lässt, drinnenfolgt dann ein großer Aufenthaltsraum und eine relativ kleine Küche in der man aber FAST alles findet was manbraucht. Vom Gemeinschaftsraum gehen dann zwei Gänge ab, hier finden sich jeweils die Schlafräume allerPraktikanten, wir wurden schon sehr freundlich von zwei Mädels begrüßt, die uns gleich unsere Zimmer zeigten.Es sind ziemlich große Einzelzimmer, mit großen Kleiderschränken, Kommode, kleinem Schreibtisch und ein(leider etwas schmales aber bequemes) Bett und einem großen Fenster. Die Badezimmer sind groß mit drei Ein-zeltoiletten, 6 Waschbecken, 2 Duschenkabinen und einer Badewanne, also wie wir finden purer Luxus. Totalmüde haben wir uns Donnerstag, dann noch mit den anderen hingesetzt und haben ein wenig geredet, im Mo-ment findet hier aber ein enormer Umschwung statt, das heißt, nächste Woche verlassen 7 Freiwillige das Hausund Ende August/Anfang September kommen ca. 11 neue dazu. Sodass wir ab nächster Woche erstmal nur zu 6hier wohnen werden. Schnell ging es gestern dann aber auch ins Bett.

Freitag morgen haben X1 und ich uns dann dazu durch gerungen um zwanzig vor 7 mit den Anderen zur Ar -beit zu gehen um uns da schon mal um zu gucken. Also hieß es los zur Vorschule. Dort wurde ich aber gleichvon einer anderen Mitarbeiterin mit in den Kindergarten genommen welcher mein Arbeitsplatz sein wird imnächsten Jahr. Dort angekommen habe ich erstmal einen Tee bekommen und ich habe mit X2 (einer Mitarbeite-rin) ein wenig geredet und gleich eine Volleyballmannschaft gefunden, die ich mir auf jeden Fall mal anguckenmöchte so bald mein Handgelenk wieder vollkommen fit ist. Ich mein die spielen 1. Liga in Namibia was willich da mehr :D Nach einer kleinen Weile kam X3, er ist sozusagen unser Betreuer und Ansprechpartner für dasnächste Jahr. Der hat mich dann so unglaublich vielen Erziehern, Mitarbeitern, Lehrern und Kindern vorgestellt,dass ich die Namen schon alle wieder vergessen hab. Aber die werde ich dann mit der Zeit schon lernen. Nacheinem weiteren kurzen Gespräch mit dem Schulleiter ging es dann erst mal zurück in die WG. Ganz kurz ausge-ruhen und dann weiter in die Kantine zum Essen, es gab Lasagne mit Fleisch und ich habs gegessen, tschüß Ve -getariersein….nein es ist nicht aufgegeben nur gelockert :) Gut gestärkt ging es dann Richtung Mall und um malganz ehrlich zu sein, das war Afrika fast wie man es sich vorstellt, fast ausschließlich dunkelhäutige (währenddie Schule doch noch sehr weiß ist), viel Trubel, viel gehupe und ein leichtes Chaos, es war ein super Eindruck.Zunächst mal Geld holen, dann eine SIM-Karte kaufen (die leider noch nicht funtioniert), der Versuch einen In-ternetstick zu kaufen (auch gescheitert, gibt keine mehr und müssen jetzt bis Mittwoch warten aber das werdenwir auch überleben) und schließlich unser erster Besuch im Supermarkt. Grundausstattung zugelegen Müsli, Jo-gurth, Öl, Nudeln, Waschpulver..reicht fürs Erste. Dann weiter in den nächsten Supermarkt und dort ein kleinesObstparadies vorgefunden. Sehr viel Obst und Gemüse und das verhältnismäßig günstig, also wurde erstmal flei-ßig eingekauft und jetzt sind wir erstmal versorgt. Dann ging es schwer bepackt zurück in die WG und es hießerstmal eine Runde entspannen bevor es am Abend typisch namibisch Essen geht, wieder Fleisch..ob mein Kör -per das aushält?!

Sooo….Nachtrag zum Wochenende….Freitag Abend sind wir dann Essen gegangen und ich habe ein Kudus-teak gegessen, wenn auch nur ein Viertel weil ich mehr nicht geschafft habe aber immerhin :D Danach ging esdann noch in Bar X einer Bar/Kneipe/Biergarten in fußläufiger Entfernung mit meinen Mitbewohnern die alle -samt sehr amüsant sind. Dieser Abend war ein Guter Einstieg in mein namibisches Leben :) Samstag beganndann mit einem großen gemeinsamen WG Frühstück, was super lecker war und zukünftig mindestens einmal imMonat stattfinden soll. Danach ging es dann ein wenig durch Stadt X bummeln und dann an den Pool ein wenigSonnen, irgendwo her muss die Bräune ja kommen :) Abends haben X1 und ich dann das erste Mal gekocht, warlecker und auch einigermaßen gesund :) Danach gabs eine Runde Skipo und dann ging es den anderen mit demTaxi hinterher ins Township in eine Bar. Dort war es super interessant und wirklich Afrika pur. Es kam dannnoch zu einem Locationwechsel und es war insgesamt noch ein sehr netter Abend/Nacht. Sonntag morgen ginges dann wieder früh hoch um einen traditionellen Gottesdienst zu erleben. Das war einfach atemberaubend mehrwie ein Konzert und einfach unglaublich wie alle Menschen zusammen gekommen sind und gefeiert haben. Ein-fach einmalig!

Wieder zurück, ging es nach Stadtteil X1 auf den Kapanamarkt, man kann nicht beschreiben was es ist. Eingroßer Fleischmarkt mitten im Herz vom Township. Dort gab es dann Kapana (Fleisch mit einem bestimmtenGewürz), Tomaten Salat und Fat Boy (ich glaube do heißt es und es ist einfach nur in fettgetränkte Hefe mit ei-nem süßlichen Geschmack) ja…es war ganz lecker irgendwann ging es dann zurück. Ganz kurz entspannen unddann ging es ans Salate vorbereiten für mein Erstes afrikanischen Braai (im deutschen würde man auch sagengrillen), zusammen mit fast allen anderen Mitbewohnern. Insgesamt ein bomben Tag mit unglaublich vielen neu-en Eindrücken !!!

Und jetzt ENDLICH zu heute. Mein ERSTER Arbeitstag :) Angefangen wieder mit einem Treffen mit X3 dermich erstmal eingeteilt hat, damit ich die Kinder besser kennenlerne. Heute also angefangen in der Haigruppe!Frühstücken mit den Kindern, dann Zähne putzen und dann zum Sport. Eine Stunde Sport, danach Kinder umzie-hen (mich selbst umziehen) und dann zum schwimmen mit einem kleinen Teil der Kinder. Mit ihnen ein wenigim Wasser platschen, wieder umziehen, zurückfahren, Mittag essen und dann ist der Tag auch schon gelaufenund ich habe frei :) Feedback zum ersten Tag, einfach top und ich kann mir gut vorstellen im nächsten Jahr viel

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mit diesen unglaublich süßen Kindern zumachen!

Nach der Arbeit ging es dann mal wieder einkaufen, dieses Mal glaube ich etwas geordneter :D Danach ein biss-chen unterstützen beim Fußballturnier vom Heim und dann Teambesprechung im Kindergarten. Zu guter Letztnoch eine gute Sportsession mit X1 und jetzt geht es gleich hundemüde ins Bett (welches mittlerweile auch keinschmales Bett mehr ist sondern ein Doppelbett)

Das wars erstmal, Bis bald,

GF6

6. G-FD Teilnehmerin – Zweiter Datensatz (GF6-2)

Heute werde ich mal ein paar Worte über meine Arbeit hier in Namibia verlieren. Meine Arbeit lässt sich gut inzwei teilen, die Arbeit an der Organisation X und meine Arbeit im Township. Zunächst die Arbeit in der Schule.Meine Arbeit in der Schule umfasst im Moment jedes Altern von ein paar Monaten bis ca. 8 Jahre alt. Morgensbeginnt der Tag mit Sportunterricht in der Grundschule mit den Klassen 1. und 2., anfangs war das der dröge, dadie Kinder jeden Tag das gleiche machen müssen und mir auch nicht so viel Verantwortung übertragen wurde,sodas ich im Grunde die ganze Zeit nur daneben stand, während X4 (mein Sportteamkollege) Sport mit den Kin-dern macht, das hast sich jetzt aber enorm verbessert, ich habe die Klassen manchmal jetzt so gut wie allein undes bringt echt viel Spaß.

Montags und Donnerstags geht es direkt von der Grundschule in den Kindergarten um die Kinder zumschwimmen abzuholen. Zusammen mit den Kindern fahre ich dann zum Schwimmen, wo es zwar ein paar aus -gebildete Schwimmlehrer gibt ich aber trotzdem sehr gerne mit ins Wasser gehe, alleine um den Kindern ein si -cheres Gefühl zugeben. Vom Schwimmen zurück gibt es dann Mittagessen und ich verbringe den Rest der Zeitin einer der Gruppen und albere ein bisschen mit den Kindern herum….Seid dieser Woche helfe ich bei den Ba-bys beim Mittagessen aus, eine zwar super süße Sache, aber nicht mein Lieblingsteil des Tages. Geht es nachdem Grundschulsport nicht Schwimmen, widme ich meiner Motorikförderung, die aufgrund von Materialmangelsehr schleppend vorrangeht, aber ich gebe mein Bestes um den Kindern, praktisch ohne Materalien ein bisschenmehr Körpergefühl zugeben. Das Materialproblem sollte sich aber auch bald lösen, da die Schule wohl ein paarMaterialien anschaffen wird. Meine zusätzlich gesammelten Spenden möchte ich dafür nicht benutzten, da dieseum einiges mehr in Stadtteil X gebraucht werden.

Also jetzt zu meiner Arbeit im Township. X1 Unfall hat uns was unsere Projekte dort angeht einen kleinen Strichdurch die Rechnung gemacht. Wir konnten erst vor kurzer Zeit anfangen in Stadtteil X Fuß zufassen, aber bereitsdiese kleinen Anfänge haben riesen großes Potenzial und sind unglaublich ausbaufähig. Angefangen haben wirjetzt im Zentrum X, die Leiterin ist zwar jetzt erstmal einen Monat unterwegs, diese Zeit werde ich aber nutzenum die Kinder besser kennenzulernen und dann im Novermber werde ich hoffentlich schon meine erstenSchwimmstunden geben! Bis dahin werden wir so oft es geht hinfahren und den Kindern in der Schule helfenund in ihrer Freispielzeit versuchen kleine Sportangebote zumachen.

Alles was ich bis jetzt dazu sagen kann ist, UNGLAUBLICH! Unglaublich wie lieb die Kinder sind und dankbarfür jede Aufmerksamkeit die man ihnen schenkt. Ich freue mich so unglaublich auf weitere Projekte in StadtteilX. Auf unserer Liste stehen noch ein Waisenhaus und eine Grundschule und mit jeder Woche werde ich mehrdaran arbeiten. Im allgemeinen kann ich zu meiner Arbeit sagen, dass sie echt anstrengend ist, sehr viel Zeit inAnspruch nimmt und trotzdem doch unglaublich viel Spaß bringt. Viel mehr als ich je gedacht habe :)

7. G-FD Teilnehmerin – Erster Datensatz (GF7-1)

Hallo alle zusammen!

Das neue Jahr hat jetzt auch im Projekt X angefangen. Genauer gesagt haben wir am 14. Januar wieder mit demKindergartenalltag gestartet, zusammen mit X1, worüber wir uns unglaublich gefreut haben :) Natürlich musstein den Tagen davor erst einmal alles vorbereitet werden. Das heißt, dass wir die Weihnachtsdeko und die altenBilder abgehangen, dafür aber alle Dinge zum Lernen, wie zum Beispiel die Formen und Farben oder Wochenta-ge, Monate und Zahlen an den Wänden erneuert haben. Außerdem wurden alle Bastel- und Malutensilien richtigeingeordnet und Namensschilder für die ganzen Neuankömmlinge angefertigt, was bei 55 Kindern eine ganzschöne Arbeit war :D Natürlich mussten auch neue Klassenlisten angefertigt und der Geburtstagskalender vorbe-reitet werden.

Dann ist der erste Schultag gekommen. Als wir an dem Mittwoch im Projekt X ankommen, sind die meisten

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Kinder mit ihren Eltern schon da und haben ihre Namensschilder um den Hals hängen. Natürlich gibt es in denersten Tagen noch ganz viele Tränen, weil es für viele der erste Kindergartenbesuch ist und sie noch nie längervon ihren Eltern oder bekannten Personen getrennt waren. Das lässt sich aber mit viel Auf-den-Arm-nehmen undTrösten und einigen Beschäftigungen nach ein bis zwei Tagen wieder richten. Zudem haben wir einige Verwir -rung, weil manche angemeldeten Kinder gar nicht erscheinen, dafür aber andere, die eigentlich abgelehnt odernicht angenommen wurden und sogar zwei Kinder von letztem Jahr, die zu alt sind. Bei manchen Kindern istnicht klar, welches der Name ist, den wir benutzen sollen, oder der Name ist einfach unaussprechbar, bestes Bei -spiel: Utjitirauina oder Nahambelelwe :D Wie man sieht: In den ersten Tagen herrscht noch ziemliches Chaos.Außerdem merken wir, dass es ganz schön schwierig ist nur 3-4-jährige Kinder da zu haben, da sie vieles nochnicht verstehen. Einige müssen noch Hilfe beim Milipapessen oder Auf-Toilette-gehen bekommen. Es gestaltetsich einfach schwierig, weil dadurch alles noch länger dauert, das bei 55 Kindern sowieso schon zeitaufwändigist. Wir müssen auch unseren Tagesablauf ändern und jetzt zweimal pro Tag mit allen auf Toilette gehen, weil essonst zu unangenehme Unglücke kommen kann :D In den ersten Tagen müssen sich also sowohl die Kinder alsauch wir erst einmal zurechtfinden, weswegen wir noch nicht so viele Spiele und Aktionen machen können. DieKinder müssen ja alles komplett neu lernen. Deswegen lassen wir sie hauptsächlich mit unterschiedlichem Spiel-zeug frei spielen, zum Beispiel mit Kuscheltieren, Bauklötzen oder verschiedenen Spielsachen, auch damit siesich untereinander besser kennenlernen. Neu beibringen müssen wir auch die Lieder, die wir morgens immer sin-gen, die Tischgebete und das Vaterunser. Es ist schon eine Herausforderung den Großteil dazu zu bringen dieAugen beim Beten zu schließen. Viele der Kinder können auch noch kein Wort Englisch, sodass es noch schwie-riger als letztes Jahr ist sie zu verstehen. Ich kann nun mal leider kein Oshivambo, Damara oderAfrikaans… :/ :D Aber auch einfache Sachen, die sie nur nachmachen müssen, bringen ihnen sehr viel Spaß.Zum Beispiel klatscht X1 mit ihnen in die Hände, lässt sie stampfen, sich strecken oder hinsetzen und wiederaufstehen. Dabei kann man schon ganz viel wunderschönes Kindergelächter hören :)

Wir machen in den ersten Tagen auch Fotos mit allen Kindern und basteln einen Geburtstagskalender, der sichüber die gesamte Länge des Raumes zieht. Dadurch wird es auch noch leichter die Namen zu lernen. Ich brauchedas zum Glück nicht, denn ich kann schon alle 55 Namen nach ungefähr 3 Tagen. :) Die Kinder fassen trotz desganzen Neuen ziemlich schnell Vertrauen und schon bald ist alles wieder beim Alten und man hat 5 von ihnenauf dem Schoß, wenn man sich hinsetzt. :b Sie lernen auch ziemlich schnell die Gebräuchlichkeiten, zum Bei-spiel dass man fragen muss, wenn man auf Toilette gehen möchte, oder dass wir sie am Morgen begrüßen undsie beim Aufrufen ihres Namens „I’m here“ sagen müssen. Die Regeln sind noch nicht so drin, auch wenn wirsie ganz detailliert mit ihnen durchgegangen sind. Dabei habe ich mich ein bisschen wie bei der „Sendung mitder Maus gefühlt“, weil erst X2 und ich alles auf Englisch, dann X1 alles auf Oshivambo und zuletzt X3 allesauf Damara erklärt haben. Wir sind dafür auch zu den Toiletten, dem Tor und dem Wasserbecken gegangen, umzu demonstrieren, was man darf und was nicht. Zum Beispiel ist das Tor ganz tabu. Wir möchten, dass nie wie-der so ein Unglück wie letztes Jahr passiert. Leider haben sie diese Regel noch nicht so verinnerlicht und esmuss immer auf jeden Fall jemand mit draußen sein, wenn dort eines der Kinder ist. Auch das mit dem Nicht-Schlagen klappt eher weniger. Also bleibt eigentlich alles beim Alten und wir müssen ständig jemandem sagen,dass er sich entschuldigen soll. Aber das haben sie erstaunlich schnell drin, den kleinen Finger an dem des ande-ren entlang zu ziehen und so „Sorry“ zu sagen. Müssen sie ja auch ständig machen :b

X3 und mein erstes Ziel ist es unserer „small class“, die nur aus 3-Jährigen besteht, beizubringen etwas auszuma-len ohne über den Rand zu malen, was eine ziemliche Herausforderung ist. Die meisten kritzeln einfach das ge-samte Blatt voll :D Zuerst verteilen wir die neugekauften Wachsmalstifte, Scheren und Bleistifte auf die von denKindern selbst mitgebrachten Eisboxen und kleben Bilder auf die Frontcover der Arbeitshefte. Die dürfen siedann ausmalen bevor sie in Folie geschlagen werden. Ansonsten lassen wir sie Kreise, Rechtecke oder Quadrateausmalen. Es muss erst einmal Routine reinkommen und ich weiß nicht, ob man so kleinen Pimpfen überhauptschon großartig etwas anderes beibringen kann. Das ist eine ziemliche Umstellung, weil ich mir ja letztes Jahr al-les für meine Klasse selbst ausdenken konnte und sie wenigstens schon ein kleines bisschen verstanden haben.Jetzt teile ich mir mit X3 eine Klasse und wir machen eigentlich, was sie sich überlegt, auch wenn ich natürlichebenfalls Vorschläge und Ideen einbringen kann. Trotzdem ist es eine Umstellung jetzt nur noch zu assistieren.Ansonsten machen wir in den ersten Tagen ein bisschen Sport, indem wir einen Slalom aufbauen, den die Kinderdurchlaufen müssen oder einen Hindernissparcour erstellen, bei dem sie unter Tischen durchkrabbeln, über Stüh-le klettern und über Seile springen müssen. Oder wir lassen sie einfach gegeneinander Wettrennen oder –hüpfen.Wir probieren auch mit ihnen Shikumbule, das namibische „Der Plumpssack geht um“, zu spielen, aber es klapptnicht wirklich gut, weil es für viele Kinder ganz neu ist. Man muss halt alles ganz oft wiederholen, bevor es gutklappen kann :) Was mich sehr freut: Einige der Kinder von letztem Jahr kommen immer noch regelmäßig zuProjekt X, sei es, um ein Geschwisterkind abzuholen, in der Suppenküche zu essen oder einfach mal nur reinzu-schauen. Das ist immer wieder eine schöne Überraschung :)

An einem Abend haben wir alle Eltern zu Projekt X zu einem Elternabend eingeladen, um einige wichtige Dingezu besprechen. Es ist zum Beispiel ein Problem, dass viele Kinder nicht um halb 8 , sondern erst um nach 8 ge-bracht werden, was eigentlich zu spät ist, und einige auch sehr viel später als 12 Uhr, was die normale Abholzeit

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ist, immer noch im Projekt X sind. Das könnte bald zum Problem werden, weil die Räumlichkeiten dann ander-weitig genutzt werden. X2 und ich werden nämlich ab nächster Woche von Montags bis Donnerstags für 10 Kin-der Hausaufgabenbetreuung im Projekt X geben, bevor die Kinder für die Suppenküche kommen. Also ist Pünkt-lichkeit ganz wichtig! Es ist aber schon mal gut, dass alle Kinder gebracht und abgeholt werden und keines, wieletztes Jahr, alleine durch die Straßen laufen muss. Ein weiterer Punkt sind die Regeln, die jedes Elternteil mitnach Hause bekommt, um sie mit seinem Kind zu besprechen. Außerdem erklären wir noch, was wir in dernächsten Zeit vorhaben und sprechen über einige Probleme, zum Beispiel das Auf-Toilette-gehen, das Naseput-zen, das Kranksein oder das schlechte Englisch der Kinder. Zudem wollen wir mit jedem Kind einigermaßen Ge-burtstag feiern können, wofür die Eltern ihren Kindern irgendetwas mitgeben sollen, zum Beispiel Lollis oderähnliches. Wir betonen auch noch einmal ganz stark, dass die Kinder nicht zur Strafe geschlagen werden sollen,weil es keinen Sinn hat einem Kind beibringen zu wollen, dass es keine anderen Kinder schlagen darf, wenn esdafür mit Schlägen bestraft wird! Ganz abgesehen davon lehnen wir Gewalt gegen Kinder sowieso grundsätzlichab und auch Projekt X ist ein gewaltfreier Ort, an dem sich jedes Kind geborgen und sicher fühlen soll!

Letzte Woche waren zwei Mitarbeiter von Organisation X, meiner Entsendeorganisation, zu Besuch und habenunsere Einsatzstelle besichtigt, um zu gucken wie es läuft und ob es Probleme gibt. Außerdem haben sie unserZwischenseminar geleitet, das danach 6 Tage lang in Ort X stattfand. Wir haben dabei über unsere Erlebnisse,unsere Motivation, unsere Ziele und Pläne für das nächste halbe Jahr und danach in Deutschland und vieles mehrgesprochen, um unsere Zeit hier Revue passieren zu lassen.

Jetzt, nach dem Zwischenseminar geht es erst richtig wieder im Projekt X los und ich bin wirklich gespannt, waswir so alles mit den Kindern machen werden :)

Lg GF7

7. G-FD Teilnehmerin – Zweiter Datensatz (GF7-2)

Hallo alle zusammen!

Die Zeit ist im Flug vergangen und jetzt steht der Abschied bevor. Unseren letzter Arbeitstag im Projekt X habenwir schon hinter uns und in weniger als einer Woche müssen wir uns von Namibia und all unseren Freunden ver-abschieden und eine unglaublich tolle Zeit geht leider zu Ende. Kurz vor unserem Abflug möchte ich noch einbisschen von unseren letzten Wochen berichten.

Die Verwandlung vom Projekt X ist fast vollständig beendet, bis auf ein paar Kleinigkeiten ist alles fertig. DerSpielplatz steht, es gibt ein Klettergerüst , eine Rutsche und eine Wippe und es sollen noch Reifen zum Spielendazu kommen. Außerdem wurden die drei Klassenräume komplett neu eingerichtet, die eine Hälfte ist jetzt voneinem Teppich bedeckt, es gibt ein Regal, auf dem die neuen Spiele stehen, einen Schrank, neue Tische undStühle. Die Stühle sind jeweils in der Farbe der Klasse, die erste Klasse hat also rote, die zweite Klasse gelbeund die dritte Klasse blaue Stühle. Zusätzlich gibt es in jedem Klassenraum einen grünen Tisch und einen Spie-gel, wo sich die Kinder selbst waschen können. Sie sollen im Spiegel erkennen, dass sie dreckig sind und dasdann ändern. Außerdem gibt es auch ein kleines Kehrblech, mit dem sie selbst saubermachen müssen, wenn sieDreck auf dem Boden gemacht haben. Das ist alles Teil der Montessoripädagogik und auch die Spiele richtensich danach. Die Kinder nehmen sich selbstständig eine kleine Matte und legen sie auf den Boden, nur auf dieserMatte dürfen sie ihr Spiel spielen, sind also für einen eigenen kleinen Platz verantwortlich. Es gibt verschiedeneSpiele, zum Beispiel müssen sie hohle Nudeln auf eine Schnur auffädeln, Bohnen mit einem Löffel in Behältertransportieren oder puzzlen. Dann gibt es Spiele wie Memory, sie müssen Gegenstände, die auf Karten abgebil-det sind von groß nach klein ordnen, Karten zählen und der richtigen Zahl zuordnen oder Farben von hell nachdunkel sortieren. Sie arbeiten also sehr selbstständig und für sich alleine. Als Lehrer geht man durch die Klasseund unterstützt die Kinder, erklärt zum Beispiel ein Spiel oder spielt zusammen mit dem Kind. Die Kinder dür -fen sich auch an die Tische setzen, etwas malen, ein Buch anschauen oder kneten. Wir haben jetzt neue Klassengebildet, in denen die Altergruppen von drei bis sechs Jahren gemischt sind. Ich hätte es nie gedacht, aber da -durch, dass jeder sehr mit sich selbst und seinem Spiel beschäftigt ist, ist es ziemlich ruhig und friedlich. Im Mo-ment ist es nur noch ein bisschen langweilig, weil es noch nicht so viele Spiele gibt, sie müssen erst gebasteltwerden. Aber das wird sich dann ja mit der Zeit ändern, sodass man nicht immer dieselben Spiele mit den Kin-dern spielen muss. Auch die beiden neuen Lehrer, die in ihrem vierten Jahr in der Ausbildung zum Montessori-lehrer sind, arbeiten mittlerweile im Projekt X. Am Anfang haben sie uns noch ein paar Mal um Hilfe gefragt,um die Kinder ruhig zu bekommen, weil wir vertrauter mit den Kindern sind und sie uns besser kennen, aber amEnde war es eigentlich nur noch so, dass wir assistiert haben und das wird von jetzt an eher die Aufgabe derFreiwilligen sein.

Durch die Montessoripädagogik hat sich auch unser alltäglicher Ablauf mit den Kindern geändert. Zwar habenwir morgens immer noch die Routine die Anwesenheit zu überprüfen, auf Toilette mit den Kindern zu gehen, zu

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singen und die Bibelgeschichte vorzulesen, aber danach machen wir keinen Unterricht mehr mit den Kindern,sondern lassen sie frei entscheiden, welches Spiel sie spielen wollen. Vor dem Pap werden die Hände gewa-schen, danach machen wir noch einen Toilettengang und die Kinder dürfen frei spielen, bevor es wieder zurückin die Klassenräume geht und wir dasselbe mit den Kindern machen wie im ersten Part des Tages. Vor demLunch waschen die Kinder noch einmal ihre Hände und können dann ihr mitgebrachtes Essen essen.

Das neue Gebäude und der Spielplatz wurden Ende Juli offiziell eröffnet. Es gab ein großes Opening mit allenTrustees des Projektes, das sind die Leute, die alles rund ums Projekt X organiseren, dem Bürgermeister von OrtX und vielen anderen wichtigen Leuten, unter anderem einem Kamerateam, das alles festgehalten hat. Es warwirklich ein ziemlich großes Event mit Baldachin, Stehpult und Buffet. Es wurden einige Reden gehalten unddann als Zeichen der Eröffnung eine Schnur mit daran aufhängten Bildern der Kinder durchgeschnitten. DieGäste konnten dann im Anschluss die neuen Klassenräume besichtigen. Ich habe leider nicht so viel von demOpening mitbekommen, weil es vormittags an einem Wochentag stattgefunden hat und alle Kinder währenddes-sen im Projekt X waren. Wir Lehrer mussten eher auf sie aufpassen, als dass wir bei dem Opening dabei seinkonnten. Das heißt, dass wir eigentlich nur mit dem Zeigefinger am Mund rumgelaufen sind, weil es echt richtigschwierig war die Kinder über einen so langen Zeitraum hinweg so ruhig zu halten. Aber ich fand es sehr schön,dass die Kinder in einem Programmpunkt enthalten waren. Sie haben sich in zwei Reihen vor all den Leuten auf-gestellt und drei Lieder gesungen. Es hat sogar ziemlich gut geklappt, sie waren zwar etwas schüchtern und ha -ben leiser gesungen als sonst, aber ich fand es toll, dass sie sich getraut haben und es war ein schöner Part derVeranstaltung, schließlich sind die Kinder ja der Grund warum all das gemacht wird! Zum Abschluss des gelun -genen Tages haben alle Mitarbeiter von Projekt X mit Sekt angestoßen :)

Wir haben unser "Wände-bemal-Projekt" jetzt endgültig beendet. Zuerst war ein Signwriter da , der "Projekt XPlay Center" auf die Außenwand geschrieben hat. Es ist sehr gut, dass wir das professionell haben machen las-sen, denn es sieht echt richtig toll aus, wie vom Computer geschrieben! Danach hat dann X4, wie schon bei demBild auf den Innenwänden, alles vorgezeichnet, das grüne Projekt X Herz und eine Weltkugel, um die Kinderherumstehen, die sich an den Händen halten. Es sieht wieder richtig gut aus und es ist genau das Richtige für dieAußenwand. Echt noch einmal ein großes Dankeschön an X4, ohne die die Wände niemals so schön gewordenwären! Wir malen danach alle Vorzeichnungen aus, wir starten mit der Weltkugel und dem Herz und machen da-nach mit den Kindern weiter. Bei diesem Bild brauchen wir echt viele verschieden Farben, weil die Kinder sobunt wie möglich werden sollen. Also müssen wir auch viele Farben mischen und oft rein laufen, wo die Farbenstehen, um uns eine neue Farbe zu holen. Aber schließlich sind wir auch mit diesem Bild fertig und ich bin wie -der sehr zufrieden, es ist richtig schön geworden und X2 und ich haben uns sogar selbst mit in das Bild gemaltund so bleibt auch noch ein kleines Stück von uns hier, wenn wir schon wieder in Deutschland sind. :)

Vor zwei Wochen haben wir mit den Kindern einen Ausflug ins Aquarium nach Ort X2 und zu Ort X3 gemacht.Es war ein superschöner Tag und ein richtig toller Abschluss für das Jahr. Der Tag startet wie immer mit derMorgenroutine . Während wir mit den Kindern auf Toilette gehen und singen, bereiten X3 und X1 alles vor, ma-chen also die Süßigkeitenpakete für die Kinder fertig und packen alles Essen, auch den Kuchen und den Salat,den X2 und ich am Tag zuvor gemacht haben, zusammen, um es in dem Bus verstauen zu können, den wir extrafür den Ausflug umsonst bekommen haben. Dann müssen wir nur noch die Kinder in den Bus bugsieren und losgeht es! :) Die Kinder sind total aufgeregtund können gar niucht stillsitzen, vor allem als sie das Meer sehen, un-glaublich, weil sie ja schon ihr ganzes Leben am Meer wohnen... Da wir mit dem Bus fahren, müssen wir natür -lich das Lied "The wheels on the bus" singen, richtig niedlich wie das Lied so durch den Bus schallt! BeimAquarium angekommen teilen wir uns auf und jeder Lehrer bekommt eine Gruppe von ungefähr acht Kindern.Zuerst schaue ich mir mit meiner Gruppe die größeren Fische, in einem Riesenbecken an, das man auch in einemTunnel durchqueren kann, der durch das Becken führt. Die Fische sind dann über einem und um einen herum.Manche Kinder haben wirklich Angst, was ich aber auch verstehen kann, da es auch richtig große Fische undHaie in dem Becken gibt. Weiter geht es zu den Krebsen, Hummern, Seesternen, -gurken und -schlangen. Es gibtauch eine Vitrine mit ausgestopften Seevögeln und ein Becken mit großen Rochen. Im zweiten Stock kann mandann von oben in das große Becken gucken und auf Spielzeugfischen spielen. Es ist echt interessant und etwasganz Neues für die Kinder. Ich finde es echt gut, dass sie so ihren Horizont erweitern und Spaß haben können.Das war eine richtig gute Idee von X1! :) Zum Abschluss machen wir ein Gruppenbild mit allen Kinder und al -len Lehrern in dem Tunnel. Danach machen wir uns auf den Weg zurück nach Ort X und zu Ort X2. Als wir dortankommen, ist das Erste, was die Kinder machen, natürlich raus aus dem Bus und auf die Düne zu rennen. Aberdie meisten haben zwar Spaß im Sand, kommen aber nicht weit, nur wenige erreichen zusammen mit uns Leh-rern die Spitze der Düne. Es ist aber auch wirklich sehr anstrengend, zumal die Sonne heute scheint und es ziem-lich heiß ist. Viele Kinder geben auf oder weinen, weil es entweder so anstrengend oder so hoch ist, wenn sierunterschauen. Aber ein paar Kinder haben so viel Energie, dass sie ein paar Mal hoch- und wiederrunter klet-tern. Die Kinder, die nicht mit auf der Düne waren, sitzen währenddessen ganz friedlich auf einer Decke, die wirfür sie ausgebreitet haben und essen ihr mitgebrachtes Essen. Wir grillen Würstchen für die Kinder und jeder be-kommt eins davon, ein bisschen Kartoffelsalat, Kuchen und ein Brötchen. Als wir alles zusammmengepackt ha-ben und wieder im Bus sitzen, verteilen wir noch die Süßigkeiten, heute haben die Kinder echt extrem viel ge-

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gessen :b Wir fahren zurück zum Projekt X und ein sehr schöner Tag geht zu Ende... Und dann ist die letzte Wo -che im Projekt X da. Mit jedem Tag kommen weniger Kinder, weil die Schulferien anfangen. Zuerst sind esnoch 28, am nächsten Tag nur noch 19, dann elf und an unserem letzten Arbeitstag sind schließlich nur noch fünfvon 50 da. Es ist echt traurig und wir müssen uns von allen Kindern und auch allen Mitarbeitern verabschieden,sie sind zu richtigen Freunden geworden und ich kann mir gar nicht vorstellen, dass ich ab jetzt nicht mehr nachProjekt X zurückkommen werde. Zum Abschied setzen wir uns noch einmal alle zusammen, essen und trinkenein bisschen und reden über unser Jahr, die Höhen und Tiefen und was wir alles erlebt haben!

Es war wirklich ein unglaublich tolles Jahr. Es hat nicht alles immer geklappt, aber wir haben es jedes Mal hin -bekommen alles wieder ins Lot zu rücken. Ich habe so vieles erlebt, was ich mir vorher gar nicht vorstellenkonnte, bei unseren Reisen, aber auch bei der Arbeit mit den Kindern. Wir haben so viele tolle Leute kennenge -lernt, die zu unseren Freunden geworden sind. Ich werde so viel an Namibia, einem wirklich wunderschönenLand, und so viele liebe Menschen hier vermissen und ich würde jederzeit wieder die Entscheidung treffen her-zukommen. Die Erlebnisse in diesem Jahr sind unglaublich viel wert und ich bin sehr dankbar, dass ich nach Na-mibia kommen durfte. Vielen Dank an alle, die mitgeholfen haben dieses Jahr möglich zu machen. Und obwohlich mich sehr auf Deutschland und auf meine Familie und meine Freunde dort freue, ist Ort X doch zu einemzweiten Zuhause geworden und es fällt mir sehr schwer "Goodbye" zu sagen. Ich werde definitiv wieder hierherzurückkommen!

Lg GF7

b) P-FD Teilnehmende (PF1-PF3)

1. P-FD Teilnehmerin – Erster Datensatz (PF1-1)

Hallo ihr Lieben!

Ich will gerade die Rundmail schreiben, doch das Internet funktioniert mal wieder nicht wirklich.. Lauter so ty-pisch afrikanische Sachen, an die man sich wohl gewöhnen muss! :-)

Die Zeit scheint sich nicht recht entscheiden zu können. Meine Oma sagte ziemlich oft: „Mir isch es, als wär’sgeschdern gwä!“ . Manchmal fühlen wir uns auch, als wären wir erst vor 2-3 Tagen hier angekommen. Immernoch ist alles irgendwie neu und anders, man entdeckt jeden Tag wieder etwas und doch ist es nun einen Monather, als wir aus dem Flieger in unser neues Zuhause gestiegen sind. Aber wir fühlen uns auch sehr wohl hier undhaben viele Leute kennengelernt, vor allem in der WG ist es, als wären wir schon um einiges länger da. Dasmacht es nur noch schwerer, dass manche entweder für 2 Monate über Weihnachten zur Familie oder ganz ausunserer „Bachstreet-Familiy“ (unserer WG) austreten und in einem anderen Land ihr Glück suchen.

X1 arbeitet gerade auch oft mit in dem Projekt X-Programm, weil es in dem Waisenhaus schwer ist, Arbeit zubekommen. Den Mitarbeitern ist es mehr oder weniger egal, ob er kommt. Die meisten Dinge erledigen sie selbstund weisen die Freiwilligen oft gar nicht oder nur wenig ein. Auch die Kinder sind nicht hilfsbereiter und oft sit -zen sie einfach in ihren Räumen und machen nichts. Wenn man etwas vorschlägt gehen sie nicht darauf ein.Vielleicht kann er ja seine Kreativität endlich zu etwas gutem einsetzen.

Im Projekt X ist es gerade dagegen sehr gut. PF1 wurde zur Programmleiterin für den World-Aids-Day amSamstag hier in Stadt X ernannt. Die Vorbereitungen sind schon voll im Gange und wenn man bei den Bespre-chungen war, dann kann man als Deutscher nur davon ausgehen, dass alles im Chaos versinken wird! Aber dierestlichen Mitarbeiter sind recht entspannt und trotz der Planungslücken sehr motiviert, was hoffentlich reichtum die dürftige Vorarbeit auszugleichen. Spontanität wird hier groß geschrieben, nicht nur am Satzbeginn! Hof-fentlich erreichen wir all die Leute aus Stadtteil X, dem Slum hier in Stadt X. Denn die Zahlen sind nieder-schmetternd: auf der Welt gibt es jährlich 5 Millionen Neuinfektionen, 3 Millionen Tote und 12 (!) MillionenAIDS- Waisen. Die Bevölkerung hier interessiert sich oft trotzdem nicht wirklich dafür und Hilfsprogrammewerden von den Slumbewohnern nicht sonderlich gut angenommen, weil die Männer sich in der Kultur oft striktweigern, Kondome zu benutzen und ähnliche Dinge, die den Kampf gegen AIDS erschweren.

Ansonsten sehen wir auch im Projekt X noch viele Dinge, die wir anpacken wollen. Zum Beispiel gibt es für dieälteren Kids Schwimmtraining, das jedoch aus bisschen herumplanschen besteht. Da wollen wir wirklich malDisziplin reinbringen, ein ordentliches Training machen und schauen, dass jeder pünktlich kommt. Solche Sa-chen sind hier echt schwer… Trotzdem merkt man auch stark, dass sie aus sozial schwachen Familien kommen,ein Kind begleiten wir abends immer nach Hause, in die Wellblechhütte nebenan.. Schon erschreckend! Außer-dem lernen die Kinder zuhause nicht, wie man richtig miteinander umgeht und deshalb wird viel geschrien oder

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geschlagen. Die Leiterschaft reagiert leider auf den Lärm oft nur mit noch lauterem Geschrei und wir stehen hilf-los mittendrin… Da gibt es auch Bedarf!

Letzten Samstag war PF1 auf einer Weihnachtsfeier für Slumkids, die von einer Kirche hier organisiert wurde.Wir haben insgesamt ca. 800 Kinder mit Bussen aus dem tiefsten Slum abgeholt und sie zum Schwimmbad ge-bracht, wo Hüpfburg, Kinderschminken und vieles mehr aufgebaut war. Es war unglaublich, wie arg sich dieKinder gefreut haben! Auf dem Weg haben alle im Bus Lieder über Gott gesungen, das war richtig berührend!All die Kinder, oft HIV-positiv, ohne Schuhe, zerrissene Klamotten und unglaublich hungrig, sitzen in dem Busund singen „egal was passiert, vertrau auf Gott!“ und „ich bin fröhlich, selbst wenn ich Hunger habe und vonmeinen Eltern geschlagen werde, denn ich habe Jesus“.

Apropos Jesus: bald ist Weihnachten! Zumindest sagt das der Kalender. Bei über 30°C kommt man da aberleicht ins Schwitzen wer sich da vertan hat, das Wetter oder wir. Deshalb packen wir unsere Weihnachtsmann-mütze (ja, der X1 hat eine dabei!!!) und fahren nach Ort X an die Küste, wo es angenehme 25 Grad hat. Unserevier Tage Urlaub vom 22. an haben wir gebucht und hoffen, dass wenigstens dort der Schockonikolaus nichtschmilzt!

Hoffe es geht euch allen gut und ihr genießt das kühle Weiß! Meldet euch mal und erzählt uns wieder was!

Totsiens, X1 und PF1.

1. P-FD Teilnehmerin – Zweiter Datensatz (PF1-2)

Hallo ihr Lieben!!!

Nun melden wir uns wieder, sind noch nicht verschollen! In letzter Zeit ist einiges passiert, doch gleichzeitigwird vieles so normal. Die tägliche Arbeit mitten im Slum, die verrückten Taxifahrer, 8- jährige Mädchen mitBabys auf dem Arm, die man immer am Straßenrand sieht,…

Wir gehen in letzter Zeit morgens oft in eine Suppenküche. Das ist eine Wellblechhütte in Stadtteil X, wo ca.500 Kindern jeden Tag Essen ausgegeben wird. Gekocht wird alles von X3, einer Einheimischen, sie steht mor-gens um 5 Uhr auf um auf ihrem kleinen 4-Platten-Herd genügend Essen für alle Kinder zuzubereiten. Geld be-kommt sie dafür nur sehr wenig, aber man merkt auch stark, dass es dieser Frau ganz sicher nicht um Geld geht.Zwischen zehn und halb elf wird dann angefangen, an die ersten Kinder Essen auszugeben. Eigentlich geht dieSchule jeden Tag bis um ein Uhr, aber einige sind entweder noch zu jung oder gehen nicht in die Schule, weildie Eltern sie gar nicht erst angemeldet haben (z.B. weil sie es vergessen haben). Es darf auch niemand andersals die Eltern sie anmelden, doch die interessieren sich oft nicht so sehr für ihre Kinder, wie wir es gewohnt sindund es auch wünschen. Es werden auch einige Kinder auf die Müllhalden geworfen, in Plastiktüten eingewickelt,wodurch sie meistens schon tot sind, wenn sie gefunden werden. Hier „probieren“ nämlich die Männer vieleFrauen durch und wenn man verhütet, ist man „kein richtiger Mann“. Somit sind 16-jährige Mädchen oft schonMütter und viele Frauen haben so viele Kinder, dass sie sie gar nicht versorgen können (oder wollen?). Es gibtjedoch viel zu wenige Waisenhäuser, wodurch für viele der einzige „Ausweg“ der Müllplatz ist, vor allem natür-lich wenn man ein behindertes Kind bekommt.

In unserem Projekt sehen wir bei den Kindern jeden Tag Fortschritte und es macht unglaublich Spaß, sie zu un-terrichten. Allerdings wurde das vor uns nie gemacht, da wurden die Kinder oft angeschrien, dass sie ruhig seinsollten, doch mit ihren Hausaufgaben wurde ihnen nicht geholfen, geschweige denn wurde Unterricht vorberei-tet, um die riesigen Wissenslücken irgendwie aufzuarbeiten, da das Projekt einen Mangel an qualifizierten Mitar-beitern hat. In unserem Projekt wurde vor kurzem das E-Learning eingeführt, wir haben jetzt 30 Laptops, auf de-nen der „Video Tutor“ verfügbar ist. Das ist ein Programm, das dir per Video in allen Fächern, in jeder Klassen-stufe die jeweiligen Themen erklärt. Das ist für uns deshalb so wertvoll, weil es sehr wenige qualifizierte Lehrergibt, bzw. unser Projekt nicht genügend Geld aufbringen kann, um ihnen ein angemessenes Gehalt zu zahlen.Das E-Learning baut Grundlagen auf, geht aber bis zu einem sehr hohen Niveau, weshalb auch amerikanischePrivatschulen es haben und es auch in ganz Europa öfters genutzt wird. Eigentlich ist es unglaublich teuer, dochwir haben es umsonst bekommen, es wird im Projekt X jetzt praktisch als „Pilotprojekt“, als erstes in Stadtteil X,ausprobiert und wenn allgemein unsere Struktur des gesamten Projekts nachweislich funktioniert, wird die Re-gierung von Deutschland dieses Projekt erst auf ganz Stadt X, dann Namibia, und irgendwann hoffentlich aufganz Afrika ausweiten und finanziell unterstützen.

Das macht uns stolz und lässt uns noch härter an einer ständigen Verbesserung arbeiten. Oft fühlt man sich trotz -dem, als würde man unendlich wenig erreichen, doch das liegt wohl auch an unserem Denken und unseren euro-päischen Erwartungen. Mit den Mitarbeitern ist es weiterhin sehr schwierig zusammenzuarbeiten, weil man sich(außer von unserem „Chef“, der bei der UN arbeitet- seit kurzem der einzige Weiße außer uns) oft ausgenutztfühlt, da die Afrikaner gern all ihre Arbeit auf uns abwälzen, obwohl sie dafür bezahlt werden. Außerdem ist es

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einfach eine ganz andere Mentalität und- so hart wie das klingt- sie sind selbst auf eine staatliche Schule gegan-gen und das merkt man. Das ganze System hier ist schwierig, die Regierung baut ein neues Parlamentsgebäudefür 700.000.000 Dollar und in die Bildung wurde seit Jahren nichts mehr investiert. Fast jeder ist unglaublich un-zuverlässig und oft wird dir mitten ins Gesicht gelogen. Egal wo, egal wer, egal wie: hier bekommen die Leuteecht wenig auf die Reihe. Es gibt einfach kein System, es interessiert niemand. Bei der Post wartet man 1 Stun-de, bis man eine Briefmarke bekommt, an der Kasse im Supermarkt gibt es nie Wechselgeld,… Namibia ist zwarschon irgendwie eine Heimat geworden, aber man regt sich auch immer mehr über Missstände auf, weil es nichtmehr so neu und aufregend, sondern eher nervig ist. Wir kommen immer mehr zu dem Schluss, dass die Leutehier einfach so viel machen, wie sie unbedingt müssen, aber sie sind damit zufrieden! Trotzdem sind die Kinderin unserem Projekt unendlich süß, nennen uns immer „Teacher“, „Miss“, oder „Sir“ und erzählen uns auch vielvon der Schule oder sonstigem, da sich zuhause niemand darum kümmert. Vor ein paar Tagen haben wir ihnendie Aufgabe gegeben, ihren größten Traum aufzuschreiben und viele wollen einmal ein eigenes Haus, eine Fami-lie und einen Job haben, doch das wichtigste für die meisten ist erst mal, der Mutter ein Haus zu bauen, der Fa -milie mit Elektrizität zu helfen und die Geschwister auf eine ordentliche Schule zu schicken. Einige Kinder kön-nen sich auch oft schlecht konzentrieren oder wollen nicht Sport machen, weil sie so erschöpft sind weil sie denganzen Abend dann noch arbeiten müssen, für die Familie kochen, spülen, Geschwister ins Bett bringen,… Oftist der Vater weg und die Mutter muss irgendwie Geld auftreiben und somit ist das älteste Mädchen für die Fa -milie zuständig. Solche Umstände machen es oft schwer, die Kinder zu unterrichten.

Ansonsten engagieren wir uns auch viel in der deutschen Kirche, sind auf Freizeiten, leiten den Jugendkreis, be-reiten Jugendgottesdienste vor,… Es ist weiterhin spannend, diesen Kulturenclash in einer Stadt zu haben. StadtX ist ein großes Dorf, langsam kennt man echt viele und ist ständig irgendwo eingeladen :-) Hobbies sind hierschwerer, denn es gibt sehr wenige Sportvereine (wir haben mit der Nationalmannschaft Volleyball trainiert :-)).Zwar haben wir sicher viel von dem entspannten Leben schon angenommen (können uns gar nicht mehr vorstel-len, wie man die unglaublich stressige Zeit vor dem Abi überlebt hat), doch das niedrige Niveau bei vielen Din-gen versuchen wir durch Böll, Goethe uns Zeh irgendwie zu kompensieren.

Wir werden mittlerweile sehr oft für Einheimische gehalten (was uns sehr stolz macht :-)), verstehen auch eini-ges im Afrikaans, denn wir haben eine gute Lehrerin (die besser Deutsch spricht als wir Englisch), die mit unsauch bis spät in die Nacht lernt. Dabei entsteht immer ein Drei-Sprachen-Gewirr, weil wir eigentlich Afrikaanssprechen wollen, sie aber manche Dinge auf Deutsch erklärt und wir in Englisch antworten… langsam fangenwir auch immer mehr an es in unseren Köpfen zu vermischen! Oft sind dann in einem Satz 3 Sprachen zu finden,je nachdem in welcher Sprache dir das Wort am schnellsten einfällt, sagst du es eben :)

Ansonsten waren wir für PF1 Geburtstag in Stadt X1, der (irr-)witzigsten Stadt in Namibia. Man sieht überalldeutsche Bauten aus dem Jahre 1900 und davor Palmen, schaut zum Ende der Straße und sieht die Wüste und istin fünf Minuten am Meer! Ich glaube der einzige Platz in der Welt, wo die Meereswogen direkt (!) in die Wüsteeinschlagen. Es ist ein Bild, das wir nie mehr vergessen, es sei denn, wir werden demenzkrank! Natürlich habenwir uns das von oben (bei einem Rundflug) angeschaut, was wirklich schön war! Der Teil von uns, der Höhen -angst hat, hat den Flug aber nicht so richtig genießen können, weil wir nicht ganz im Flugzeug geblieben sind,sondern es vorzeitig mit einem Fallschirm verlassen haben. Hin- und Rückfahrt nach Stadt X1 haben wir wiederdie Minibusse genutzt, was wieder ein interessantes Erlebnis war, da man nie weiß, wie viele Leute mit einem inder Rückbank sitzen. Auf jeden Fall um einiges mehr, als es Sitze gibt! Außerdem dröhnen einem danach dieOhren, Afrikaner lieben Musik, vor allem so laut, dass der Bus wackelt! Wenn der Empfang grade schlechter ist,hört man einfach das Rauschen im Radio 10 Minuten auf höchster Lautstärke an, bis der Fahrer doch noch aufdie Idee kommt, umzuschalten… So langsam werden wir sogar braun, was man nur nicht sieht, weil wir oft mitden Afrikanern zusammen sind. Aber dann kommen neue Freiwillige von irgendwoher und dann merkt man,dass man gar nicht im Dunkeln leuchtet, wie die Schwarzen sagen! Übrigens sagen hier alle „Schwarze“, weilFarbige die Mischlinge sind (schwarze und weiße Eltern), weswegen man da aufpassen muss, was man sagt.Hier ist nämlich jeder stolz auf das, was er ist. Egal welcher Stamm und welche Hautfarbe, welche Sprache undwelche Religion! Deswegen darf man die Menschen auch nicht ausversehen etwas anderem zuordnen, zumindestnicht die Älteren!

Aber trotzdem sind wir noch sehr gerne hier, es ist einfach immer noch wunderschön, auch wenn es Alltag wird.An der Küste ist man wie im Paradies (auch wenn es uns kalt war, hatte ja nur 25°C) es ist gerade immer warm,die Leute sind alle sehr freundlich! Vielleicht haben wir uns deshalb so lange nicht mehr gemeldet, man lebt hierso entspannt und auch zufrieden, lässt sich eigentlich recht wenig stören und lernt sehr die kleinen Sachen zu ge-nießen, zum Beispiel dass man ein großes Käsebrot für 70 Euro-Cent bekommt (was gestern unsere beste Inves-tition war!). Man wird hier schon sehr zufrieden, vor allem, wenn man merkt, wo man geboren wurde und wirwissen, was wir für Privilege haben, weil wir in Deutschland geboren wurden. Auch wenn es dort viel kälter ist!Soviel von uns, schreibt uns mal wieder, wir freuen uns immer was von euch zu hören, auch wenn das Internethier schwierig ist und man nicht immer Mails lesen kann.

Ganz liebe Grüße an euch alle, wir freuen uns darauf von euch zu hören und euch auch irgendwann wieder zu se-

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hen!!!

X1 und PF1

2. P-FD Teilnehmer – Erster Datensatz (PF2-1)

Hallo Liebe Interessierte, liebe Freunde , liebe Familie

Wie wohl schnell deutlich wird ist das hier mein Blog, den ich in den 12 Monaten Praktikum in Namibia alsBuschtrommel verwenden werde, um euch die Geschehnisse und Bilder zu 'trommeln' ;)

Schön, dass ihr euch dafür interessiert, was ich so treibe. Ich hoffe regelmäßig posten zu können-je nachdem wiedie gegebene Infrstruktur es zulässt :D.

Noch bin ich in Deutschland. Der Flieger geht am Freitag Abend (12.07.) von Frankfurt aus.

bis dann

Euer PF2

2. P-FD Teilnehmer – Zweiter Datensatz (PF2-2)

Hallo oder "Moro Moro", wie man hier sagen würde :P

Jetzt bin ich schon einen ganzen Monat in Namibia ! :-O das ging schnell … Ich würde gerne den letzten Monatzusammenfassen, aber das ist gar nicht so einfach, weil dann doch sooo viel schon passiert ist.

Dass dieses Jahr eine sehr gute Entscheidung war, steht jedenfalls schon mal fest ! Viele nette & offene Men-schen (Deutsche oder Einheimische) habe ich schon kennengelernt und ich denke, es werden viele folgen. Be-sonders auffällig ist bisher, wie viele 'Südwester' (= Beizeichnung für deutschstämmige Namibier) man hier mit-ten auf der Straße trifft und wie 'deutsch' diese doch tatsächlich sind (Man sagt sogar deutscher als die Deutschen:D ). Der deutsche Einfluss wird auch bei der Namensgebung von Städten, Stadtvierteln oder der Straßen deut -lich (z.B Ludwigsdorf, Pionierspark). Jetzt kurz vor den Wahlen werden nun Straßen umbenannt, um die Popula-rität der Partei zu steigern. So heißt nun die ehemalige 'Kaiserstraße' 'Independence Avenue', die an die Unab-hängigkeit Namibias und das Ende der Kolonialzeit erinnern soll. Auch die Hafenstadt 'Lüderitz', ursprünglichdie Muster-Kolonialstadt, heißt nun '≠Nami≠nus'' ([k'namik'nüs] siehe 'Palatoalveolar'). Man könnte nun nochviele andere Beispiele aufzählen, die zur Wahlkampfpolitik der SWAPO gehören, die sich seit 1990 auf geheim-nisvolle Art und Weise- so sagte man mir hier- an der Macht hält ;)

Dass es wie überall sonst auf der Welt auch, unter anderem auch unfreundliche Namibier gibt, erkennt man deut-lich an den Gittern vor Fenstern und Türen. Was zum Teil an der großen Schere zwischen reich und arm in Na-mibia liegt. Wieder ist die Rolle der Deutschen hier sehr auffällig. So ist der größte Teil der 'Elite' deutsch, wasmir besonders bei den Schulandachten an den Privatschulen Stadt X aufgefallen ist. Eher rar sind dort die'dunklen' Gesichter. Die Ausnahmen bestätigen die Regel... oder so. Doch scheinen sich die meisten hier an denAnblick von weißer Haut gewöhnt zu haben, weil der deutschstämmige Anteil hier recht groß ist, wie ich schonmal bemerkt hatte. Die größte Spannungen herrschen hier zwischen den verschieden Stämmen der Ureinwohner,wie ich in meinem Kurs 'Intercultural Studies' schon lernen konnte ;)Also war mir gegenüber noch niemand un-freundlich :)In meiner Tätigkeit als Praktikant in der Gemeinde wird sich jetzt auch das ein oder andere ändern:Gestern kam die zweite Praktikantin aus Deutschland an, mit der ich mir die nächsten 11 Monate die Aufgabenteilen werde. Dazu kommt, dass hier gerade die Schulferien anfangen und dann große Urlaubswellen die Jugend-veranstaltungen leer fegen und sich dadurch viel Freizeit ergibt. Nächstest Highlight wird da die Kinderwochevom 27.08 - 31.08. sein. Hoffentlich sind da noch genügend Kinder da :-P

Das war also der erste Monat in Namibia, in dem ich viel Schönes aber auch schon Trauriges erfahren habe. Sowar ich heute in 'Stadtteil X', dem Armenviertel Stadt X. Das Foto ist nicht so gelungen, da ich nur aus dem fah -renden Auto fotografieren konnte, was wohl ratsamer ist...

Übrigens, habe ich den Himmel hier noch nie außer blau gesehen... Der erste Regen seit 4 Monaten wird erstMitte September erwartet. Unvorstellbar für mich... Viel Text. Vielleicht macht sich ja der ein oder andere dieMühe sich das durchzulesen ;)

Bis dann

Euer PF2

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3. P-FD Teilnehmerin – Erster Datensatz (PF3-1)

Hello my dears,

die erste Woche ist nun fast vorbei und damit die Informationen nicht überhand nehmen, werde ich nun mal an-fangen zu berichten! Beginnen wir gaaanz von vorne… Der Plan, über Nacht zu fliegen, im Flugzeug die ganzeZeit zu schlafen und dann morgens in aller Frische und ausgeschlafen anzukommen, hat nicht ganz so funktio-niert… An meinem ersten Tag war ich einfach nur fertig, was 1. auch daran liegt, dass auf Stadt X ca. 1800mliegt und es 2. dort halt gerade Frühling ist und das Thermometer zur Zeit so etwa 33 Grad anzeigt. Für Men-schen, die aus dem flachen und kalten Deutschland einreisen also nicht die idealen Startbedingungen!

Wohnen tue ich in Stadtteil X, sehr nah am Stadtzentrum (wobei Stadt X auch nur X Einwohner hat) in einemStudentenwohnheim. Da es hier eine Küche für alle 20 Leute gibt, kann man gar nicht anders als mit allen ziem-lich schnell in Kontakt zu kommen. Vor allem da die namibische Begrüßung immer lautet: „hey guys, how areyou doing?“ Wobei das wirklich rhetorisch zu sehen ist, da man hier nichts anderes als „good, very good“ oder„fine“ sagen kann. Eine andere Volunteer wollte diese Begrüßung auf Afrikaans lernen und wissen, was„schlecht“ in diesem Zusammenhang bedeutet, als Antwort kam nach langem Überlegen, gibt’s nicht! Außer denAfrikanern (Namibier, Angolaner, Tansanianer, Botswaner…) wohnen hier auch noch 5 andere Volunteers bzw.Praktikanten in dem Haus, also werde ich deutsch dann wohl während der Zeit hier auch nicht verlernen.

Seit Montag arbeite ich nun im „Projekt X“ Waisenhaus in Stadtteil X, dem ärmsten Slum in Stadt X. Hier sindca. 80 Kinder (Alter von 6 Monaten bis 19 Jahren) untergebracht, jedoch in verschiedenen Häusern (Babies,Toddlers, Boys und Girls). Zurzeit kümmere ich mich gerade um die Kleinsten. Und ja, kleine afrikanische Kin-der sind einfach so unglaublich süß! Meistens warten sie schon am Zaun auf mich und bevor ich auch nur 1 Me-ter gegangen bin, habe ich mind. 5 Kinder an allen Händen und Füßen, die alle auf den Arm genommen werdenwollen! Dann heißt es für mich, mir irgendwas auszudenken, wie die 15 Kinder beschäftigt werden können. Dasgestaltet sich aber gar nicht so einfach, weil es hier an Spielzeug doch sehr mangelt. So ziemlich das einzigste,was da ist, ist ein kaputter Fußball. Ansonsten sammeln die Kinder auch gerne mal Müll, der auf der „Straße“(Sandgasse) rumliegt, auf und stecken ihn natürlich dann auch prompt in den Mund. Als Ernährungswissen-schaftlerin (mit Ahnung von Hygiene) ein Graus! ;-) Im Übrigen ist die hygienische Situation im Waisenhausauch echt sehr grenzwertig. (Da soll noch einmal der WKD über die Verhältnisse in der TMS schimpfen…).Naja, aber was will man mitten im Slum auch anderes erwarten?! Mit meiner eigentlichen Aufgabe, die Ernäh-rung dort zu verbessern, habe ich mich bis jetzt noch nicht wirklich beschäftigt. Zum einen sind die Erzieherin -nen dort sehr eigen und lassen sich glaub nicht so sehr in ihr Zeug reinschwätzen. Zum anderen hat der Leiter esauch total vercheckt, dass ich eigentlich kein normaler Volunteer sein sollte… Aber wenn man sich die Situationdort anschaut, brauchen die Kinder auch zuallererst einfach mal Liebe und Zuwendung, statt perfekt mit Vitami-nen und Nährstoffen versorgt zu sein!

Ich würde euch voll gerne auch Fotos von Stadt X und meiner Arbeit schicken, aber das scheint ein Ding der Un-möglichkeit zu sein, da man hier weder mit Handtasche noch mit Foto oder Geldbeutel in der Hosentasche rum-laufen kann. (Außer man will dann gleich darauf ausgeraubt werden…) Das einzige, was man hier mitnimmt,wenn man aus dem Haus geht, sind 30 Dollar (umgerechnet 3 Euro) für die Taxifahrt Hin und Zurück (und eineReservefahrt, falls man mal wieder nicht da landet, wo man hinwollte, was schon des Öfteren passiert…)

Ich vermisse es hier doch sehr, dass man als Weiße nicht wirklich sicher ist und sich hier einfach nicht frei be -wegen kann. Vor allem, dass man nach Anbruch der Dunkelheit (und das geht hier ja sehr schnell) nicht mehrauf die Straße kann. Da ist dann leider der schöne Abendspaziergang bei angenehm warmen Temperaturen leiderauch tabu…

Sooo, das wars mal fürs erste! Nächstes Mal wird von unserem Trip in die Wüste am kommenden Wochenendeerzählt!

Machet’s guät, bis bald!

3. P-FD Teilnehmerin – Zweiter Datensatz (PF3-2)

Hello again,

diese Woche habe ich leider keine Abenteuer mit wilden Tieren oder großartigen Landschaften erlebt. Daherdachte ich, dass ich euch mal von meiner täglichen Arbeit erzählen könnte. Um euch einen Einblick in mein täg-liches Leben geben zu können, sollte ich erwähnen, wo und in welcher Umgebung ich überhaupt arbeite: imProjekt X, einem Waisenhaus in Stadtteil X. Stadtteil X ist das Township von Stadt X. Während der Apartheidwurden die Schwarzen dazu gezwungen dort in Stadtteil X (übersetzt: der Ort, an dem wir nicht sein wollen) au -ßerhalb der Stadt zu wohnen. Auch heute noch wohnen hier im Slum nur Schwarze in ihren Wellblechhütten. Inden besseren Teilen von Stadtteil X haben die Wohnungen sogar Wasser und Strom, in den ärmeren Teilen gibt

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es diesen Luxus nicht. Das Projekt X befindet sich in einem der besseren Teile, trotzdem ist es natürlich das ein-zige Haus weit und breit das, das aus Stein gebaut ist. Stadtteil X beschreibt man am besten mit Wellblech, vielWellblech und noch mehr Wellblech, streunenden Hunden überall auf den Staubstraßen und dem typischen, bei-ßenden Geruch (zusammengesetzt unter anderem aus Müll, Verbrennungsgestank und Fäkalien). Da Stadt X sei-nen Namen nicht von ungefähr hat, bekommt man durch die immerwährende Brise hier den Dreck von StadtteilX auch wohl oder übel immer hautnah zu spüren.

Im Projekt X sind insgesamt 88 Kinder untergebracht, unterteilt in 4 verschiedene Altersgruppen. Da ich michnur um die Kleinsten kümmere, bin ich gerade Mama auf Zeit für 17 Kinder. Die kleinsten der Kleinen sind ge-rade ein paar Monate alt und müssen dementsprechend noch den Tag über mit der Flasche gefüttert werden. Mitden anderen spiele ich den ganzen Morgen, bringe ihnen nebenher sprechen bei (mich freut das immer voll,wenn eins der Kinder anfängt, undefinierbares Englisch zu babbeln. Wie ne Mami halt…) und versuche sie ir -gendwie gewaltlos zu erziehen. Dies ist aber wirklich richtig schwierig, da die Kinder nichts anderes gewöhntsind (sind ja alles Straßenkinder) und sich gegenseitig wegen allem und jedem schlagen. In Namibia ist es leiderimmer noch üblich, dass Eltern ihre Kinder zu Hause schlagen und auch in der Schule ist dies an der Tagesord-nung. Obwohl in den Leitlinien der Volunteers steht, dass die Kinder zu keiner Zeit geschlagen werden dürfen,ist dies im Projekt X trotzdem Alltag, da diese Regel für die Mummies (die festangestellten Erzieherinnen) an-scheinend nicht gilt.

Einmal in der Woche versuche ich noch bei nem anderen Projekt, einer Suppenküche in Stadtteil X, vorbei zuschauen. Dort in diesem Teil des Townships haben die Hütten weder Strom, noch Wasser oder eine Toilette.Wasser kann bei einer Sammelstelle geholt werden, Toiletten gibt’s als kleine Gemeinschaftsblechhütte. DieSuppenküche kocht für 400-500 Kinder pro Tag eine kleine, warme Mahlzeit für die Kinder, die von der Schuleheimkommen. Letztes Mal gab es eine Scheibe Toastbrot und 2 Löffel Suppe pro Kind zu essen. Oft ist dies ein-zige Mahlzeit, die die Kinder am Tag bekommen. Gegen später war die Suppe leer, die Kinder haben dann nurnoch ne Scheibe Brot zu essen bekommen. Trotzdem haben sich alle über die paar Kalorien gefreut und waren sounglaublich dankbar dafür. Das mit ansehen zu müssen, hat mich wirklich sehr berührt und traurig gemacht.

Am letzten Samstag habe ich noch spontan bei einer Christmas Party für die Kids aus Projekt X geholfen. Ver -anstaltet hat dies die reichste Kirche hier in Stadt X. Für einen halben Tag durften die Kinder ins Schwimmbad(das Wasser war danach die reinste Dreckbrühe) und haben ein kleines Geschenk bekommen. Als Verpflegunggab‘s Hotdogs, für die meisten Kinder das erste Mal in ihrem Leben, dass sie sowas essen durften... Es war ein-fach voll schön zu sehen, wie sich die Kids über all das gefreut haben.

Sodele, jetzt habt ihr vielleicht einen kleinen Einblick in meinen Alltag in Stadtteil X bekommen. Ich glaubeaber, richtig vorstellen kann man sich das Leben dort nicht, wenn man nur den Bericht liest. Man muss es gese-hen, gefühlt und gerochen haben, sagte mir X2 von der Suppenküche!

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Eidesstattliche Erklärung

Ich versichere, dass ich die vorliegende Arbeit selbständig ohne Hilfe Dritter verfasst und kei-

ne anderen als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel benutzt habe und die den benutzten

Quellen wörtlich oder inhaltlich entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe.

Diese Arbeit wurde in gleicher oder ähnlicher Form noch keiner Prüfungsbehörde vorgelegt.

Frankfurt am Main, den 26.02.2015

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Josia Tiedtke

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