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Berechnung fraktaler Strukturen in den Etüden für Klavier von György Ligeti Rolf Bader Musikwissenschaftliches Institut Hamburg, Neue Rabenstr. 13, 20354 Hamburg [email protected] 20. Dezember 2003. Einleitung György Ligetis Klavieretüden entstanden in den Jahren 1984-1995 in zwei Bänden. Seitdem sind noch vier weitere Etüden entstanden. Die Etüden spiegeln die Auseinandersetzung mit den mathematischen Theorien der fraktalen Geometrie einerseits und der Beschäftigung mit ostafrikanischer Amadinda Xylophonmusik andererseits. Beide Bereiche beschäftigten und inspirierten zur damaligen Zeit verschiedenste Musiker. Hier ist vor allem auch an den amerikanischen Minimalismus zu denken, mit Namen wie Terry Riley, Steve Reich, LaMonte Young oder Philip Glass. [Reich 2000] Hier hinein fiel auch die Beschäftigung mit Patterns indonesischer Gamelanmusik. Ostafrikanische Xylophonmusik besteht aus sogenannten Time-line Patterns [Arom 1991] [Kubik 1983]. Dies sind sich wiederholende rhythmische Muster. Mehrere Musiker (meist zwischen zwei und sechs) spielen auf einem Xylophon jeweils unterschiedliche Rhythmen. So entstehen interlocking patterns. Die Elementarpulsation dieser Musik, also die Geschwindigkeit der kürzesten rhythmischen Einheit, erreicht oft Werte bis zu 600 BPM (beats per minute). Die geläufigsten Time-lines bestehen aus zwölf solcher beats. Diese Einheit kann in Groß-Pulse unterteilt werden. Hier ergeben sich verschiedenste Teilungsmöglichkeiten, die die rhythmische Struktur dieser Musik sehr kompliziert machen. Zusätzlich können sich die von G. Kubik so benannten inhärenten Patterns ausbilden. Dies sind Melodien, die aus der Gesamtstruktur herausgehört werden, weil sie in der selben Tonhöhenlage sind. So fasst das Gehirn Töne, die sich in enger Lage zueinander befinden, als Melodie zusammen, auch wenn sie nicht von nur einem Musiker, sondern von mehreren erzeugt werden. Die Frage, ob diese Muster durch die ausübenden Musiker beabsichtigt sind, ja ob sie diese überhaupt so wahrnehmen, muss offen bleiben. Ligeti hatte bereits mit seiner poème symphonique (1962), einem Werk für 100 Metronome, oder in Continuum für Cembalo, aber auch bei seiner

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Berechnung fraktaler Strukturenin den Etüden für Klavier

von György LigetiRolf Bader

Musikwissenschaftliches Institut Hamburg, Neue Rabenstr. 13, 20354 Hamburg

[email protected]

20. Dezember 2003.

Einleitung

György Ligetis Klavieretüden entstanden in den Jahren 1984-1995 in zweiBänden. Seitdem sind noch vier weitere Etüden entstanden. Die Etüden spiegelndie Auseinandersetzung mit den mathematischen Theorien der fraktalenGeometrie einerseits und der Beschäftigung mit ostafrikanischer AmadindaXylophonmusik andererseits. Beide Bereiche beschäftigten und inspirierten zurdamaligen Zeit verschiedenste Musiker. Hier ist vor allem auch an denamerikanischen Minimalismus zu denken, mit Namen wie Terry Riley, SteveReich, LaMonte Young oder Philip Glass. [Reich 2000] Hier hinein fiel auchdie Beschäftigung mit Patterns indonesischer Gamelanmusik.

Ostafrikanische Xylophonmusik besteht aus sogenannten Time-line Patterns[Arom 1991] [Kubik 1983]. Dies sind sich wiederholende rhythmische Muster.Mehrere Musiker (meist zwischen zwei und sechs) spielen auf einem Xylophonjeweils unterschiedliche Rhythmen. So entstehen interlocking patterns. DieElementarpulsation dieser Musik, also die Geschwindigkeit der kürzestenrhythmischen Einheit, erreicht oft Werte bis zu 600 BPM (beats per minute).Die geläufigsten Time-lines bestehen aus zwölf solcher beats. Diese Einheitkann in Groß-Pulse unterteilt werden. Hier ergeben sich verschiedensteTeilungsmöglichkeiten, die die rhythmische Struktur dieser Musik sehrkompliziert machen. Zusätzlich können sich die von G. Kubik so benannteninhärenten Patterns ausbilden. Dies sind Melodien, die aus der Gesamtstrukturherausgehört werden, weil sie in der selben Tonhöhenlage sind. So fasst dasGehirn Töne, die sich in enger Lage zueinander befinden, als Melodiezusammen, auch wenn sie nicht von nur einem Musiker, sondern von mehrerenerzeugt werden. Die Frage, ob diese Muster durch die ausübenden Musikerbeabsichtigt sind, ja ob sie diese überhaupt so wahrnehmen, muss offen bleiben.

Ligeti hatte bereits mit seiner poème symphonique (1962), einem Werk für 100Metronome, oder in Continuum für Cembalo, aber auch bei seiner

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Beschäftigung mit Béla Bartók oder der bulgarischen Aksak-Rhythmik mitkomplexer Rhythmik experimentiert [Burde 1993] [Floros 1996]. Dort fallenBegriffe wie Bewegungsfarbe oder Illusionsrhythmik. Sie beschreiben dieWahrnehmungsebene von extrem komplexer Rhythmik. 'Als Grundschicht eineschnelle, gleichmässige Impulsfolge, die nicht gezählt, nur gefühlt wird, und alsübergeordnete Schicht ein selten symmetrisches, öfter asymmetrischesrhythmisches Muster aus verschieden langen Dauernwerten, die aber immerganzzahlige Mehrfache des Grundpulses sind.' (Ligeti, Hamburger Vorlesung,zitiert nach [Burde 1993] S. 186). Es werden ebenfalls Vorbilder in derrhythmischen Gestaltung genannt, wie etwa die Klavierstücke von Skriabinoder das zweite Stück aus Ives' Three places in New England oder auch derzweite und vierte Satz von Ives’ Vierter Symphonie. Darüberhinaus sind die fastdurchweg französischen Titel der Etüden als Hommage an die klanglicheGestaltung etwa bei Debussy zu verstehen (siehe [Floros 1996]), welcheebenfalls die Etüden mitprägt.

Die Analysen der hier behandelten siebenten Klavieretüde Galamb borongsprechen von der Nähe zu indonesischer Gamelanmusik (siehe auch [Wilson1992], zu den Klavieretüden 7 und 8 und [Bouliane 1989] zu Klavieretüden 1bis 6 und [Utz 2003] zu Ligetis Klavierkonzert). Der Titel ist einPhantasiename, der nach Bahasa Indonesia, der offiziellen indonesischenLandessprache, klingen soll, hier aber in die Phantasie entrückt. So war derUntertitel Les gongs de l'île Kondortombol angedacht, wobei Kondortombol derPhantasiename einer Insel ist [Floros 1996] S. 183f. Die Zuordnung der beidenHände zu den Leitern h, a, g, f, es, des (rechte Hand) und e, d, c, b, as, ges (linkeHand) stellen zwei äquidistante Ganztonleitern dar. Dies ist der Versuch, dieKlavierstimmung an die in Java vorkommende ganztönige Slendro Skalaanzugleichen, welche fünf annähernd äquidistante Töne hat. Da dies auf demKlavier nicht realisierbar ist, wird die sechstönige äquidistante Ganztonskalaverwendet.

Indonesische Gamelan Musik kennt verschiedene metrische Ebenen oder strata.Die Kernmelodie, welche z.B. in Bali Pokpok genannt wird, wird von CalungMetallophonen gespielt. Dieser Pokpok wird nun metrisch über- undunterboten. Andere Metallophone wie z.B. ugal oder kantilan, aber auchStreich- und Blasinstrumente, wie rebab oder suling, vervielfachen diemetrische Grundeinheit. Tiefer gestimmte Gongs (gong oder auch kempur)oder andere Metallophone spielen im vergrößerten Metrum und betonen soAkzente oder tragen zur klangfarblichen Fläche bei [Tenzer 2000] S. 53ff.Dieses Prinzip wurde in der siebenten Klavieretüde angewandt. SchnelleSechzehntel-Figuren stellen die beschleunigte Kernmelodie dar. DieseKernmelodie selbst wird als Akzente in diese Sechzehntelpatterns eingearbeitet.Durch Pedalarbeit gelingt dann im Mittelteil die Darstellung der dieKernmelodie verlangsamenden Instrumente.

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Auch hier geht Ligeti auf die Wahrnehmung dieser komplexen Metrik ein. 'Esgibt eine Art von Spannung zwischen den metrischen Gefühlsmustern in denFiguren und dem, was als illusorische Patterns in unserer auditiverWahrnehmung entsteht... Das geschieht auf zwei Bewusstseinsebenen. Einmalist es die taktil-motorische... Darauf legt sich dann das Auditive. Der Pianist istkonzentriert auf die Motorik und auf das Taktile, und passiv hört er.'[Ligeti1989] Gemeint ist hier auch das Prinzip der inhärenten Patterns, welche denHörer Melodien konstruieren lässt, die von mehreren Musikern, hier von zweiHänden verzahnt gespielt werden. [Metzger und Riehn 1986] diskutieren diesesPhänomen im Rahmen ihrer systematischen Beschreibung Ligeti'scherKompositionstechniken im Kapitel Psychoakustische Illusion und Paradoxa S.7ff.

Diese komplizierte Rhythmik aber wird oft auch mit den mathematischenTheorien der Fraktale assoziiert. Deren Entwicklung ist untrennbar mit demVerfügbarwerden von Computern verknüpft. Diese erlaubten Anfang der 80erJahre, sogenannte iterative Berechnungen durchzuführen. Im Gegensatz zuranalytischen Mathematik, bei der durch das Einsetzen von Variablen inGleichungen die gesuchten Lösungen erzielt werden, wird bei iterativenProzessen das Ergebnis einer Berechnung zur Grundlage einer neuenBerechnung, und das alte Ergebnis wird erneut in dieselbe Gleichungeingesetzt. Dass dies zu Ergebnissen führen würde, die sich von deranalytischen Methode unterscheiden, war bis zu diesem Zeitpunkt nicht expliziterwartet worden. Es zeigte sich aber, dass bereits sehr einfache mathematischeAlgorithmen zu sehr komplizierten Entwicklungen führen können. So entstanddas Paradigma der fraktalen Geometrie, welches komplizierte Gebilde auswenigen einfachen Grundregeln ableiten kann.

Es ist aber auch der umgekehrte Weg möglich. Aus gegebenen Daten könnendie zugrunde liegenden Gesetze extrahiert werden, mit denen die Daten erzeugtwurden. Dieser Weg konnte in der Instrumentenakustik bereits gegangenwerden [Bader 2002b] und soll hier nun auf ganze Musikstücke übertragenwerden (siehe auch [Beuermann und Schneider 1991] für einecomputergestützte Analyse von Ligetis Atmosphères).

Ligetis Beschäftigung mit diesen neuen Theorien und Ideen floss auch in seineKlavieretüden ein. Die kompositorische Haltung hier war nach seinen eigenenAngaben eine implizite. [Ligeti 1997] Das Werk entstand unter dem Eindruckder Beschäftigung mit fraktalen Gebilden neben afrikanischer Xylophon- undindonesischer Gamelanmusik. Es handelt sich bei dem Kompositionsprozessalso nicht etwa um eine eins-zu-eins Umsetzung mathematischer Methoden inMusik, sondern um eine Verarbeitung der Eindrücke dieser Theorien in dieEtüden. Dies ist bei der Analyse der Stücke zu berücksichtigen. Die hiervorgeschlagene Methode ist also weniger ein schablonaler mathematischer

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Suchalgorithmus, sondern vielmehr die Berechnung der zeitlichen Komplexität.Dies scheint der Intention des Komponisten eher nahe zu kommen als einestrikte Reduktion auf wenige Grundgesetze. Da eine Untersuchung der Etüdenin dieser Richtung noch aussteht, ist diese Untersuchung als eine ersteAnnäherung an das Problem zu verstehen.

Beginnen möchte dieser Aufsatz mit einer kurzen Einführung in die wichtigstenPrinzipien des Fraktalen und der nichtlinearen Dynamik in Physik undMathematik. Dies soll auch der Begriffsklärung der fraktalen Dimensiondienen. An einem einfachen Beispiel, einer Allintervallreihe, soll dieMöglichkeit demonstriert werden, diese Reihe als Fraktal auffassen zu könnenund durch deren Quantifizierung einen Parameter zu schaffen, der einemmusikalischen Parameter entspricht. Dann wird eine Variante der fraktalenDimension, die der Korrelationsdimension, an einem Klavierstück Ligetiserprobt, dem eine klare Struktur zugrunde liegt, dem achten Stück aus derMusica ricercata. Nachdem dort ein Eindruck von der verwendeten Methodegewonnen wurde, wird diese auf die siebente Klavieretüde Ligetis angewandt.In einem Ausblick sollen schliesslich zukünftige Fragen- undProblemstellungen erörtern werden.

Fraktale und nichtlineare Dynamik als grundlegende Neuerungen gegenüberlinearen Systemen

Die nichtlineare Dynamik und damit die Entstehung fraktaler Strukturen istgegenüber einer linearen mathematischen Betrachtungsweise dadurchausgezeichnet, dass das Systemverhalten analytisch meist nicht mehrvorausgesagt werden kann. Eine analytische Berechnung meint hier dieUmformung von Gleichungen derart, dass der Systemzustand zu einembeliebigen Zeitpunkt aus einer Gleichung abgelesen werden kann. Als Beispielsei hier die Reaction-Diffusion Gleichung genannt. Diese Gleichung ist aus derChemie bekannt, wird aber auch zur Beschreibung physikalischer Systeme, wieetwa Halbleitern, angewandt [Schoell 2001]. Diese Bilanz-Gleichung beschreibtden Zustand des Systems dadurch, dass die zeitliche Veränderung

¶ a Hx, y, tL¶ t

durch einen äußeren anregenden Term und einen internen dämpfenden Termbeschrieben wird.

(2.0.1) a

¶ a Hx, y, tL¶ t

= f Ha, uL + l2 ik

¶ 2a¶ x2

+¶ 2a¶ x2

y{

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Hier ist a der Systemzustand. Eine zeitliche Änderung der Funktion a(x,y,t) -hier in der linken Gleichungshälfte dargestellt - steht sowohl eine räumlicheAbleitung von a nach x und y, also einer Flächenstruktur, als auch einerbeliebigen Funktion f(a,u) - hier in der rechten Gleichungshälfte - gegenüber. usteht hier für einen äußeren Einfluss. Die Variablen l und a sind Konstanten.Nehmen wir einen einfachen Ausdruck für f(a,u) an, z.B.

(2.0.2)f Ha, uL =

au, mit u = konst

,

und gehen wir der Einfachheit halber von nur einer Raumrichtung x aus, dannkönnen wir als Lösung der Differentialgleichung

(2.0.3) a Hx, tL = ea t + � x

annehmen. Dann wird (1.0.1) zu

(2.0.4) a

¶ ea t + � x

¶ t= ea t + � x + l2 i

k

¶ 2 ea t + � x

¶ x2 y{

und wir können die Parameter α und � in Bezug zueinander bestimmen.

(2.0.5)a = -

- l2 u � 2 - 1u

(2.0.6)� = ±

ä " 1u - a

l

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ABBILDUNG 1. Plot der Funktion a(x,t) = e (α t+ � x) für α = 1 und � = 1. Es sind dieZeitentwicklungen an drei Orten x1 = 0, x2 = .5 und x3 = 1 gegeben. Die Einfachheit deranalytischen Lösung ergibt die Möglichkeit einer simplen Voraussage des Systemzustandes zueinem gegebenen Zeit- und Ortswert durch die Lösungsgleichung.

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ABBILDUNG 2. Subharmonisches Turing-Hopf Muster eines Halbleiters (oben). Derzeitliche Verlauf ist nach oben, die räumliche Achse ist waagrecht ausgerichtet. Darunter isteine Karhunen-Loève Decomposition des Musters in Bezug auf seine Eigenwerte für dieräumliche Verteilung gegeben. Aus [Schoell 2001] S. 359.

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Schon schwieriger wird es, wenn die Funktion f(a,u) nicht mehr simpel ist.Dann ist eine analytische Lösung meist nicht mehr möglich. Die Alternativehierzu ist eine iterative Lösung. Hierzu wird die Differentialgleichungdiskretisiert. Aus dieser Diskretisierung kann dann der Zustand des Systems zuspäteren Zeitpunkten aus dem vorherigen errechnet werden. In Abbildung 2 istein Beispiel aus der Halbleitertechnik dargestellt. Bei Halbleitern mitnichlinearer Kennlinie von elektrischem Feld zu Ladungsdichte, bei dotierten,verunreinigten Halbleitern, bei Tunnelresonanz- oder Gunn-Dioden tretenkomplizierte Muster im zeitlich-räumlichen Verlauf auf. Hier handelt es sich umHopf- und Turing-Bifurkationen, also um periodische Grenzzyklen. Diespektrale Darstellung in Abbildung 2 unten verdeutlicht den Anteil derEigenwerte des Musters entlang der räumlichen x-Achse des Halbleiters.

Solche Muster treten im Falle von Nichtlinearitäten des Systems auf. Musterdieser Art wurden in vielen Bereichen der Natur gefunden, wie z.B. beim Laser,bei spontaner Zellbildung in erhitzten Flüssigkeiten (Bernard-Zellen), inDünenbildung und deren Sandmustern [Haken 1983] [Haken 1990] [Bader1993] [Mahnke et al. 1992], aber auch in biologischen, soziologischen,therapeutischen oder ökonomischen Systemen [Kratzky und Wallner 1990][Camazine et al. 2001] und nicht zuletzt in der musikalischen Akustik [Bader2002a] [Bader 2002b] [Gibiat 1988] [Gibiat und Castellengo 2000] unteranderem.

Das Auffinden komplexer Muster aus einfachen Gleichungen findet sich auchbei sogenannten logistischen Abbildungen und komplexen Julia-Mengen. In derlogistischen Iterationsgleichung

(2.0.7) fl HxL = l x H1 - xL

ist λ eine Konstante. Nach vielen Iterationen bei fixem λ konvergiert dieGleichung zu einem oder mehreren Werten. Betrachtet man den Bereich λ0 < λ< λmax, dann findet man zu Beginn für f nur eine Lösung, zu der das Systemkonvergiert. Dann aber springt f zwischen zwei, drei oder mehreren Werten hinund her, es entstehen Bifurkationen, bis schließlich und plötzlich in einemIntervall von λ sehr viele Werte für f möglich sind. Hier spricht man von einemchaotischen Fenster. Dann kann sich das System wieder auf wenigekonvergierende Werte einstellen, um dann erneut ins Chaos zu fallen.

Ein weiteres Beispiel, das der Julia-Menge, zeigt zweidimensionaleErgebnisbilder, da hier komplexe Zahlen iteriert werden. DieIterationsgleichung

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(2.0.8) f HzL = a0 + a1 z + a2 z2 + ... + an zn

mit komplexen Zahlen kommt dem musikalischen Fall schon recht nahe, daSinusschwingungen ebenfalls als komplexe Zahlen dargestellt werden können.Je nach Wahl der Parameter an ist das resultierende Phasenportrait

superattraktiv: musikalische Stilleindifferent: musikalischer stationärer Klangattraktiv: musikalisches accelerandoabstoßend: musikalisches crescendo

In Abbildung 3 sind zwei Phasenplotts ein und desselben Klarinettentons derTonhöhe a2 gezeigt, welcher laut, aber weich gespielt wurde. Zu Tonbeginn istder Klang sehr leise. In der oberen Darstellung ist in der Mitte der Darstellungdaher ein 'Knäuel' von Kreisen zu erkennen, die beginnende Trajektorie. Diesist fast (ganz zu Beginn exakt) der mathematische Fall des superattraktivenVerhaltens. Nach kurzer Zeit wird der Ton lauter, der Plot weitet sich, wirhaben ein abstroßendes Szenario. In der unteren Darstellung der Abbildung 3 istdann der gesamte Einschwingvorgang des Klarinettentons als Phasenplottdargestellt. Man erkennt noch in der Mitte den Ursprung, aus dem der Tongeboren wurde. Der dickere Rand der Plotts ist aber nun der Bereich, in demsich die Trajektorie weiterhin bewegen wird, somit ein indifferenter Zustand.

Bei den Klavieretüden Ligetis liegen natürlich keine Gleichungen vor, nachdenen man überprüfen könnte, ob eine Fraktalität vorhanden ist. Hier muss manden umgekehrten Weg gehen. Die Fraktalität kann nämlich auch ausvorhandenen Gebilden extrahiert werden, seien diese räumliche, zeitliche, seiensie im Frequenzbereich oder auf irgend eine andere Art gegeben. Um dies tunzu können, müssen wir den Begriff der fraktalen Dimension auf die gegebeneDatenmenge, also auf die digital vorliegenden Musikstücke anwenden.

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a)

b)

ABBILDUNG 3.Phasenplotts eines Klarinettentons a2, der laut aber weich intoniert wurde. Zusehen ist a) 18ms des Einschwingvorgangs. Da zu Beginn der Ton sehr leise war und erst nachdem Klangeinsatz lauter wird, liegt hier der mathematisch abstoßende Fall vor. b) 45ms desEinschwingvorgangs. Hier ist die Endlautstärke erreicht, mathematisch ist dies derindifferente Zustand.

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Begriff der fraktalen Dimension in der Mathematik

Der mathematische Begriff des Fraktalen ist durch die Teilung des Raumes ingleiche Unterteilungen gegeben. Im Falle einer ganzen Dimension ist diesbanal. Die Definition der Dimension

(3.0.9) N = e D

mit D der Dimensionszahl, ε einer Unterteilung und N der Anzahl derentstehenden Teile, spiegelt dies wieder. Haben wir eine Linie, ist D = 1, dannentstehen N Teile, wenn wir diese Linie in ε Teile teilen. Im Falle von D = 2gilt, dass wir bei Einteilung einer ja jetzt existierenden Fläche in Boxen mitKantenlänge ε

(3.0.10) N = e D = e 2

Boxen erhalten. Entsprechendes gilt für dreidimensionale Würfel. Nehmen wiraber an, wir haben die Anzahl der Teile N und kennen auch deren Unterteilungε, dann können wir die Dimension daraus berechnen. Zersägen wir einen Kubusin Würfel der Kantenlänge ε= 5 und erhalten wir dann N = 125 Würfel, danngilt

(3.0.11) D = loge HNL = log5 H125L = 3

Nun ist als eine fraktale Dimension zu verstehen, dass das Ergebnis derDimensions-Berechnung keine ganze Zahl mehr ist. Ein bekanntes Beispiel istdas der Koch'schen Schneeflockenkurve, auch als Schneeflocke bekannt. Hierwird eine Linie in drei Teile geteilt und das Mittelteil zu einem Dreieckgeformt. Dadurch sind dort, wo vorher drei Teile waren, nun deren vier. Wirkönnen schreiben:

(3.0.12) D = log3 H4L = 1.26186

Die Schneeflocke hätte also eine fraktale Dimension von D = 1.26186, also eineDimensionszahl zwischen Linie und Fläche. Dies ist nicht damit zuverwechseln, dass das Gebilde nun eine gewisse Fläche ausfüllt, aber eben nichteinen zweidimensionalen Würfel. Die Dimensionsbestimmung ist der Kurveintrinsisch und kann z.B. als Konstruktionsvorschrift verstanden werden. DieAnalogie zu den Beispielen der Synergetik des vorigen Abschnitts ist nun darin

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zu sehen, dass bei weiterer Unterteilung der Schneeflockenlinien mit derselbenUnterteilungs-Vorschrift sich eine immer differenzierter erscheinende Strukturergibt, die aber auf einer einfachen Regel aufgebaut ist und auch bei beliebigvielen Unterteilungen dieselbe Dimensionszahl hat.

ABBILDUNG 4. Konstruktion der Koch’schen Schneeflockenkurve mit fraktaler Dimensionvon D = 1.26186. a) Der erste Schritt, welcher auf alle weiteren Teillinien angewendet werdenwird, b) nach fünf Iterationen, c) nach sieben Iterationen. Die fraktale Dimension ist in a), b)und c) dieselbe.

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ABBILDUNG 5. Konstruktion einer Allintervall-Reihe als fraktales Gebilde. Die hierverwendete Reihe lautet: h, d, es, g, c, fis, e, des, as, b, a, f. Die jeweiligen Tonhöhen sind alsIntervalle zum ersten Ton h nach oben aufgetragen. Die Querachse ist in zwölf Teile geteilt,für jeden Ton ein Teil. So ist die Höhenkurve als Tonhöhenkurve zu lesen. Die fraktaleDimension dieser Allintervall-Reihe ist D = 1.6860. Die Iterationen sind a) zwei, b) drei undc) vier.In Abbildung 5 ist eine Koch’sche Schneeflockenkurve, die sogenannteSchneeflocke in drei Entwicklungsstadien dargestellt. In Abb. 5 a) sieht man diegrundlegende Konstruktionsvorschrift. Die Anwendung dieser Vorschrift aufdie einzelnen Linien ergibt weitere Muster. Die Teilbilder b) und c) zeigen dasErgebnis fünf resp. sieben solcher Iterationsschritte.

In Abbildung 5 ist das Verfahren an einer Zwölftonreihe ausprobiert. Es wurdedie Allintervall-Reihe h, d, es, g, c, fis, e, des, as, b, a, f verwendet. Diehorizontale Achse ist zwölfgeteilt, wobei von rechts nach links die Reiheaufgetragen ist. Die Hochachse stellt den Abstand des jeweiligen Tons vomersten Ton h dar. Aufgrund dieser Darstellungsform kann eine fraktaleDimension dieser Reihe von D = 1.6860 festgestellt werden.

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Der Zweck dieser Demonstration ist es, die Verwendungsmöglichkeiten derfraktalen Dimension, aber auch ihre Grenzen aufzuzeigen. Eine Zwölftonreihewird normalerweise nicht in sich geschachtelt dergestalt, dass in jedem Tonwiederum die ganze Reihe erklingt. Nichtsdestotrotz ist die Dimensionszahlbereits für die Grundreihe festgelegt. Würde diese Reihe als Melodiebeispielsweise in 16-tel Noten gespielt, was drei Viertel Noten entspräche undwürde man dem einen Orgelpunkt in drei Vierteln entgegenhalten, würdeperzeptorisch die Allintervallreihe als erheblich belebter wahrgenommen. Undin der Tat hätte der Orgelpunkt die fraktale Dimension D = 1. So entspräche dieDimensionszahl einer perzeptorischen Gegebenheit. In dieser Definition wäredie Größe der Dimension mit Vergrößerung der Intervallsprünge ebenfallserhöht, dies jedoch nicht linear. Schon kleine Abweichungen vom perfektenOrgelpunkt würden die Dimensionszahl schnell erhöhen. Bei allerdings schongroßen Sprüngen in der Melodie wäre eine erhebliche Verkomplizierung dieserTonreihe erforderlich, um die Dimensionszahl noch merklich ansteigen zulassen. Auch dies scheint perzeptorisch plausibel. Um hier Klarheit zubekommen, wären Hörtests vorzunehmen.

In dieser Arbeit wird die Korrelationsdimensionsberechnung zum Einsatzkommen. Für deren genaue Berechnungsvorschrift sei auf die oben erwähnteLiteratur verwiesen (z.B. [Bader 2002b]). Hier könnten natürlich noch weitereDimensionsarten zum Einsatz kommen. Alle würden versuchen, in derzweifellos herrschenden Komplexität der Klavieretüden Ligetis einfache Regelnzu finden. Die hier verwandte Methode genügt aber bereits, um diegrundlegenden Muster zu erkennen. Um dies anhand eines wenigerkomplizierten Beispiels zu verdeutlichen, sei hier zuerst ein Stück aus LigetisMusica ricercata analysiert. Nachdem die Methoden dann vertraut gewordensind, sollen einige Klavieretüden diesem Analyseverfahren anvertraut werden.

Analyse Musica ricercata VIII

An der Musica ricercata VIII von György Ligeti ist dem ersten Höreindrucknach nichts fraktal. An diesem Werk sollen aber die Methoden der Analysefraktaler Eigenschaften der Klavieretüden vorgestellt werden. Die Ergebnisseaus den Etüden können dann im Vergleich besser beurteilt werden.

Das 'Vivace. Energico.' überschriebene Stück ist sehr rhythmisch, im 7/8-telTakt gehalten und erinnert an die Aksak-Rhythmik. Sein Grundrhythmus ist inAchteln gezählt 1-1-2-1-2-2-1-2-2. Weitere folkloristische Elemente sind derrhythmisierte Bordunton, der meist im Diskant das e1 ist und die Modalität derHarmonik. Das Stück ist mit drei Kreuzen vorgezeichnet und es kommen imNotentext nur selten weitere Vorzeichen vor, doch bewegt sich die Tonalität

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nicht rein in A-Dur. Der Schlussakkord der oben genannten rhythmischen,zweitaktigen Phrase ist Amaj7/9, ohne Grundton, aber mit großer Terz, Quinte undeben großer Sieben und großer None, welcher auch ein typischer Jazz-Akkordsein könnte.

Was das Stück für die Analyse so reizvoll macht, ist seine klare Strukturierung.Die zweitaktige rhythmische Phrase wird zwei- oder viermal gebracht. Dabeigibt es neben der Grundform einer in forte gespielten energischenAnfangsphrase, mit e1 als höchstem Ton, eine Oktavierung hiervon (ab T 18),eine piano gespielte Version eine Oktave tiefer, mit e als höchstem Ton (ab T24), und eine in Bezug auf die Grundform um drei Oktaven vertiefte Versionmit einer Melodie in der rechten Hand (T 40 - 51). Insgesamt lässt sich dasStück wie folgt zergliedern.

T 1: Einzelner stehender Akkord T 2-9: Grundphrase auf e1

T 10-17: Grundphrase auf e1, Bass bewegt T 18-23: Oktavierung auf e2

T 24-28: Unteroktavierung auf e, piano T 29-32: Grundphrase auf e1

T 33-36: Oktavierung auf e2 aber piano T 37-39: Übergang zu T 40 auf variierter Grundphrase T 40-51: dreifache Unteroktavierung, Melodieteil, piano T 52-57: Grundphrase T 58-61: dreifache Unteroktavierung, kurze Melodie, piano T 62, 63: Schluss, Grundphrase

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ABBILDUNG 6. Korrelogramm und faktale Korrelationsdimensionen des Stücks 7 aus G.Ligeti's 'Musica ricercata'.

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In Abbildung 6 sind Korrelogramm und fraktale Korrelationsdimension desStücks dargestellt. Aus der Darstellung des Korrelogramms ergibt sich klar dieoben beschriebene Teilung. Diese spiegelt sich ebenfalls in der fraktalenDimensionsrechnung nieder. T 1-9 und T 10-17 sind jeweils durch zwei Peaksgekennzeichnet. Dieser Teil, der bis Sekunde 18 dauert, wird von dem Teil derOktavierung gefolgt. Im Korrelogramm ist dies durch die dichteren Liniendargestellt. Die fraktale Dimension schlägt erneut aus. Die folgende dreifacheUnteroktavierung zeigt sich im Korrelogramm durch ein verschmiertes Bild.Die fraktale Dimension weist eine Lücke auf. T 29-39 ist eingerahmt von einerähnlichen Struktur wie der Beginn des Stücks. Hier sind in der fraktalenDimension zwei Peaks zu erkennen. Dazwischen T 33-36 in der Oktavierung istdas Korrelogramm, wie die Korrelationsdimension, verhaltener als bei derersten Oktavierung. Der Grund liegt in der Lautstärke. Die erste Oktavierungerfolgte im forte, nun herrscht piano.

Der Melodieteil ist sehr interessant. Da die Begleitung auf dem E als höchstemTon verbleibt, ist das Korrelogramm wieder verschmiert. Diese ausgezeichneteStelle im Stück wird aber auch von der Korrelationsdimension mit einemdeutlichen Tiefststand quittiert. Dieser Teil geht bis Sekunde 54. Die Dimensionschnellt aber bereits in Sekunde 45 wieder nach oben. Grund ist der einsetzendeMelodieton h1, der perzeptorisch das Stück erheblich belebt. Auch kann imfolgenden Verlauf der Dimensionsberechnung eine schwankende Tendenzfestgestellt werden, in Kontrast zu den klaren Peaks zu Beginn. Auch dies istvon der Melodie verursacht, die filigran den Verlauf des Stückes weiterführt.Ab Sekunde 53 wird der Grundrhythmus in ähnlicher Form wie zu Beginnwieder gebracht. Es folgt eine weitere kurze Melodie mit tiefer Begleitung, nachder schießlich die Grundphrase das Stück endet. Hier ist im Korrelogrammwieder ein Verschmieren während der tiefen Bassbegleitung der Melodie undeine klare Struktur zum Ende hin zu erkennen. Das Korrelogramm stürzt zuBeginn der Melodie erneut ab, jedoch nicht so tief wie beim ersten Mal. Dortwar die Lautstärke auch geringer. Der Peak zum Schluss ist dem wieder klarenRhythmus geschuldet. Die im Bild weißliche Schlußchicht ist das Verklingendes Klaviers. Das Anschnellen der Dimension ganz gegen Ende liegt am nunhörbaren Grundrauschen der Aufnahme. Hier sind auch keine relevantenEreignisse mehr vorhanden.

Offenbar stellt das Korrelogramm die rhythmischen und melodiösenGegebenheiten rudimentär dar. Die Korrelationsdimension gibt hier dieperzeptorische Ereignisdichte wieder. Je 'mehr los' zu sein scheint, desto höherist der Wert der Korrelationsdimension. Diese Eigenschaft der Dimension istdurchaus eine fraktale. Denn je mehr Grundgesetze der Algorithmus im Klangentdeckt, desto höher ist der fraktale Wert. Je mehr Gesetze aber einen Klangbeherrschen, desto 'gebrochener' ist er, desto vielfältiger. Allerdings ist einhoher Wert nicht unbedingt das, was man mathematisch an fraktalen

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Geometrien bestaunt. Diese bestehen eben gerade aus wenigen Gesetzen,welche dann ein kompliziertes Muster ergeben. Die Tatsache, dass hier bereitshohe Werte erzielt worden sind, veranschaulicht, dass eine Komplexität oderFraktalität in einzelnen Zeitpunkten, also nur im jeweiligen Klang selbst,musikalische Fraktalität nicht sein kann. Offenbar ist eine zeitlicheVerquickung der Melodien, Rhythmen oder Akkorde eher dazu imstande, auseinfachen Grundmustern ein fraktales Gewebe zu bauen. Das Gesamtbild derKorrelationsdimension ist aber sehr harmonisch, nicht fraktal. Dies entsprichtdem Höreindruck. Wir werden sehen, dass dies bei der siebenten Klavieretüdeanders ist. Dort ist die Struktur erheblich komplexer.

Étude 7: Galamb borong

Die siebente Klavieretüde György Ligetis ist mit Galamb borong überschriebenund soll so bereits an indonesische Melodik und Rhyhthmik erinnern. In derSpielanweisung spricht Ligeti auch von einer additiven Pulsationsstruktur, derdas Stück anstatt einer Taktmetrik zugrunde liegt, was wiederum anafrikanische Rhythmik erinnert. Eine stete Sechzehntelpulsation soll imHintergrund mitlaufen. Die Taktangabe 12/16 solle nur zur Orientierung dienen,ebenfalls die Taktstriche. Die rechte und linke Hand werden hier offenbar wiezwei Xylophonschlegel (oder Metallophonschlegel) behandelt. In der Tatspielen die Hände meist Einzeltöne, wovon nur bei Akzentuierungenabgewichen wird. Die Spielanweisung spricht hier von einer strengen Trennungbeider Hände während des ganzes Stücks: '... die rechte Hand spieltausschließlich im Ganztonbereich H, A, G, F, ES, DES, die linke imGanztonbereich E, D, C, B, AS, GES.'

Das Stück kann zur hier nötigen Orientierung in vier Abschnitte unterteiltwerden. Hier spielen liegende Basstöne im Mittelabschnitt, die die verlangsamtestrata repräsentieren, eine große Rolle. In T 27-42 spielt die linke Hand überjeweils drei, drei und zehn Takte einen gehaltenen Zweiton-Bassakkord mitsostenuto Pedal. Dadurch ist sie in der Lage, während der ersten sechs Takte T27-32 zusätzlich Melodietöne und ab T 34-42 ein Sechzehntel-Rhythmuspatternzu spielen. Dieser Teil II ist in ff bis ffff gehalten, was ihn ebenfalls absetzt. TeilI (T 1-26) beginnt mit einer zweitaktigen einführenden, rein rhythmischen Figurin beiden Händen. Sie, wie der folgende Verlauf, steht im piano. EineSteigerung erfolgt in T 3-6 und T 7-10, einmal durch Einführung einer Halbe-Noten Melodie in T 3-6, welche dann in T 7-10 durch eine Verschnellerung inViertelnoten und durch Synkopierung beschleunigt wird. Dieser Vorgangerreicht seinen Höhepunkt in T 11. Hier ist sowohl ein Höchstpunkt in Bezugauf die Tonhöhe, als auch ein kleiner Einschnitt zu finden, da die bishergleichmäßige Rhythmik unterbrochen ist. Diese Rhythmik, jetzt nur durch

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Akzente verschärft, welche in rechter und linker Hand unterschiedlich gesetztsind, wird in T 12-15 wieder aufgenommen. Nach einer dann folgenden leichtenBeruhigung T 16-18, welche auch in ppp gehalten ist, folgt ein crescendo T 19-26. Ab T 26 folgt der schon erwähnte Teil II.

Teil III hebt sich von Teil II deutlich durch das plötzliche Abbrechen derLautstärke von ffff zu pp in der rechten und ppp in der linken Hand ab. Wasfolgt, ist eine verfeinerte melodische und rhythmische Führung T 46-58. Nacheinem crescendo T 59-63, welches die enggeführte Bassfigur der linken Hand inden Takten zuvor die Tonhöhenskala hinaufführt sowie die Lautstärke anhebt,folgt eine Rhythmik T 64-72, welche in weitergeführtem crescendo bis fffffgelangt. Der Schlussteil IV T 73-89 senkt diese Lautstärke wiederum auf ein ppab und bringt die rechte Hand in Sechzehntelnoten mit einer ebenfallsrhythmisierten linken, deren Rhythmik jedoch unterbrochen oder durch längereMelodietöne ersetzt ist. Das Stück soll schliesslich so leise ausklingen, '...dassman eine Grenze zur Schlusspause nicht wahrnehmen kann' (Ligeti,Spielanweisung).

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ABBILDUNG 7. Korrelogramm und faktale Korrelationsdimensionen des Stücks 7 aus G.Ligeti's Klavieretüden.

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In Abbildung 7 ist das Korrelogramm und die Berechnung der fraktalenDimension für die Klavieretüde 7 zu sehen. Im Vergleich zu Abbildung 6,welche das siebente Stück der Musica Ricercata zeigt, ist hier ein weitkomplizierterer Verlauf vorhanden. Auch wenn im Korrelogramm noch klareStrukturen zu erkennen sind, ist dies im Dimensionsplott nur noch schwerauszumachen. Daher wurde der Plott in die oben beschriebenen Teile unterteilt.Hier nun zeigt sich aber, dass der Verlauf der fraktalen Dimensionskurve demmusikalischen Verlauf sehr genau entspricht.

Teil I wird durch ein crescendo abgeschlossen. Der bis dorthin höchste Peak derKurve lässt dies klar erkennen. Hier spricht die Kurve aber nicht einfach voneiner Verstärkung der Lautstärke. Der Teil II erreicht teilweise das ffff. Dochhier reagiert die fraktale Kurve nur verhalten. Und in der Tat ist diese Stellezwar laut, doch weit weniger bewegt als der kommende Teil III. Hier verfeinertsich die melodische und rhythmische Führung. Diese gesteigerte Komplexitätspiegelt sich auch in den durchschnittlich hohen Dimensionszahlen. Der abrupteAbbruch dieses Teils zum Teil IV hin ist ebenfalls klar zu erkennen. Hier nunerreicht die Gesamtkurve ihren Höhepunkt. Dies ist dadurch zu erklären, dassim Schlussbereich ein Wechsel zwischen melodischen und rhythmischenPhrasen stattfindet. Auch wenn die Lautstärke sich hier im Bereich pp bewegt,ist doch die Informationsdichte sehr hoch. Das Stück scheint alle bis dahingemachten Erfahrungen noch einmal zu erinnern und in diesem Schlussteil dannandeutend zu bringen. Schließlich aber versiegt die Erinnerung und das Stückendet mit einem künstlichen fade out. Die Ereignisse nach dem Schlussstrichvon Teil IV sind wiederum der Tatsache geschuldet, dass hier beim Ausklingendes Akkordes das Grundrauschen zunimmt. Die Kurve ist hier also nicht mehraussagekräftig.

Schlussbemerkung

Die Frage der Fraktalität in Ligeti's Klavieretüde No. 7 kann somit durch dieVerlaufskurve der fraktalen Korrelationsdimension beantwortet werden. Siezeichnet die Ereignisdichte durch die Zeit nach. Ihr Verlauf zeigt dieKomplexität der Komposition. Diese Komplexität zeichnet sich aber nicht etwadurch einen hohen fraktalen Dimensionswert aus, sondern durch dasZusammenwirken der einzelnen Teile des Stücks untereinander. Hier sei an dieSchneeflocken- und die Allintervallreihenkurve erinnert (s.o.) DieEreignisdichte des Stücks verläuft bei ungebrochenen, klar strukturiertenWerken, wie im Beispiel des achten Stücks der Musica Ricercata gezeigt, sehrgeordnet und dort sogar symmetrisch. Dies ist bei der siebenten Klavieretüdenicht mehr der Fall. Die Methode der fraktalen Korrelationsdimension als Indexder zeitlich strukturierten Klangdichte liefert in seinem zeitlichen Überblick

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einen Eindruck der Berechnungen und der Zusammenhänge des jeweiligenWerkes. Bei dem Beispiel aus der Musica ricercata war dies die symmetrischeTeilung, welche so der Analyse und auch dem Höreindruck entspricht. Bei dersiebenten Klavieretüde war es die Feststellung, dass die Informationsdichte unddamit die Komplexität beständig zunehmen und einen komplexen Verlaufzeigen.

Ligeti beschreibt im Booklet zur Sony-Einspielung seiner Etüden [Ligeti 1997],dass die Kompositionen keine eins-zu-eins Umsetzungen der Theorien fraktalerGeometrien oder afrikanischer Rhythmik sind, sondern dass unter ihremEindruck und nach langer Beschäftigung mit diesen Ideen und Konzepten einekünstlerische Verarbeitung des Stoffs gelang. Dies spiegeln die hieraufgezeigten Ergebnisse. Sie beschreiben die Komplexität und den innerenAufbau des musikalischen Ergebnisses der Beschäftigung mit fraktalenKonzepten. So stellen sie im musikalischen Gesamtverlauf der Stücke derenFraktalität dar.

Es stellen sich hier für die Zukunft aber auch weitere Aufgaben. Das Auffindenfraktaler Gegebenheiten in den Musikstücken könnte z.B. an einen relativenVergleich einzelner Teile des Stücks in Bezug auf ihre Ähnlichkeit gebundensein. Diese Ähnlichkeitsstruktur könnte die hier aufgezeigte Komplexitätebenfalls im Bereich der Teilbezüge der Klangstrukturen finden.

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