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Basiswissen Fotografie: Bildkomposition

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Page 2: Basiswissen Fotografie: Bildkomposition

Zeit

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Mit Blende und Schärfe gibt der Fotograf vor, welcher Teil in welcher Tiefe eines Bildsscharf abgebildet werden soll. Im Gegensatz dazu steuert die Verschlusszeit denEindruck von Bewegung im Bild. Damit lässt sich eine Bewegung entweder einfrierenoder betonen und verwischen.

Dieses Kapitel betrachtet unterschiedliche Herangehensweisen, um den Zeitbegriff in Bilderndarzustellen. Langsame Verschlusszeiten und längere Belichtungszeiten können Bewegung imBild verdeutlichen und hypnotisierende verwischte Formen erzeugen, die der Bewegung desMotivs folgen. Eindrucksvoll sind auch Langzeitaufnahmen von bewegungslosen Motiven, umdie sich andere Objekte herum bewegen und die damit faszinierende Gegensätze zwischenStillstand und Bewegung erzielen.

Mit schnellen Verschlusszeiten und elektronischen Hochgeschwindigkeitsblitzen kann die Zeitauf Fotos zum Stillstand gebracht werden. Damit lassen sich bisher unerforschte Ereignisseuntersuchen, wie der Durchschuss eines Stücks Obst mit einem Projektil oder das Platzeneines Ballons. Moderne Kameras kombinieren Belichtungszeit mit Blitz, um Aufnahmen zuerzielen, auf denen das Motiv in einer verschwommenen sich bewegenden Welt eingefroren zusein scheint. Die reizvollen Möglichkeiten, mit denen die Kamera die Zeit anzuhalten scheint,sind unbegrenzt.

Jede fotografische Situation verfügt über einen idealen bzw. optimalen Moment, an dem diedynamische Welt mit den statischen Elementen perfekt verschmilzt. Der Fotograf Henri Cartier-Bresson prägte den Ausdruck „entscheidender Moment“ für dieses Phänomen. Wirbeschäftigen uns genauer mit dem Einfangen dieses „entscheidenden Moments“ undbetrachten außerdem, wie Serienbilder häufig besser als Einzelaufnahmen das Voranschreitender Zeit darstellen können.

Zebrastreifen (links)Auto und Fußgänger bewegen sich durch den Regen, wobei ihre unterschiedlichen Geschwin-digkeiten jedoch zu verschiedenen Effekten führen. Farben, Straßenmarkierungen, beweglicheLichter und einsame Gebilde führen zu einem außergewöhnlichen Bild mit der Anmutung eineseingefangenen Augenblicks – in einer einmaligen Verbindung. Fotograf: Felipe Rodriguez

Technische Daten: Fujifilm Finepix S2 Pro, Nikkor 80–400 mm VR, 0,3 Sekunden, f5.3, ISO 1600, Kontrast in

Photoshop angehoben

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Zeit

Masken (oben)Aufgenommen während einer Generalprobe von Shakespeares Der Sturm. „Mirandas Traum“wurde nur durch bewegliche Spotlights beleuchtet, so dass die Schauspieler sich in und durchumherwandernde Lichtpunkte bewegten. Mit langsam synchronisierter Blitzbelichtungwährend einer Langzeitbelichtung konnten Bewegung und Atmosphäre eingefangen werden. Fotograf: Sam Henderson

Technische Daten: Nikon D100 mit Tamron 24–135 mm, ISO 800 für ausreichende Schärfentiefe und 1/15

Sekunde; Blitz Nikon Speedlight, manuell ausgelöst

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Verstreichende Zeit 126_127

Verstreichende ZeitIm Jahr 1826 setzte Nicephore Niépce einelichtempfindliche Metallplatte in eine„Camera Obscura“ (eine Linse in einemGehäuse mit einer Mattscheibe, dasKünstlern bei der Gestaltung half) ein undrichtete sie aus dem Mansardenfensterseines Arbeitszimmers. Nach acht StundenBelichtungszeit „entwickelte“ er das Bild miteiner Mischung aus Lavendelöl und Petro-leum zur Ansicht des Innenhofs mit denGebäuden, Bäumen und der Umgebung.Obwohl dies die erste dauerhafte „Foto-grafie“ der Umwelt war, war Niépce offen-sichtlich unzufrieden mit dem unnatürlichenAussehen von Licht und Schatten. Währendder stundenlangen Belichtung wanderte dieSonne über den Himmel und beleuchtetedabei beide Seiten des Innenhofs.

Langzeitaufnahmen zeigen jede Bewegungdes Motivs während des geöffnetenVerschlusses. Auf diese Weise könnenFotografen Bewegung in einem ansonstenstatischen Medium abbilden. VerwischteBewegung hat Vor- und Nachteile. Leidergehen dabei Details verloren, aber dafürwerden Farben verstärkt und die Bewe-gungslinien im Bild gezeigt. Zu denbekannten Effekten zählen verwischteFront- und Rückleuchten fahrender Autosund das fließende Rauschen von Wasserüber Felsen oder in einem Wasserfall.

Obwohl solche Bilder schon zu Foto-klischees wurden, lassen sich immer nochoriginelle und kreative Beispiele finden.

Mit den modernen hochempfindlichen Foto-materialien können Langzeitbelichtungen nurnoch in Situationen mit wenig Licht oder mitGraufiltern vorgenommen werden; nur solassen sich die langen Belichtungszeitenerzielen, mit denen die Bewegung von Lichtund Motiv eingefangen werden soll. DieErgebnisse fallen dabei sehr unterschiedlichaus. So kann eine stationäre Kamera dieBewegung eines Motivs während einerLangzeitbelichtung vor einem unbeweg-lichen Hintergrund zeigen. Die Bewegung derKamera während der Belichtung führt zueinem insgesamt verwischten Eindruck. DieBelichtungszeiten für solche Aufnahmen sind– selbst für Profis – fast ausschließlich durchVersuche oder Belichtungsreihen (eine Serievon korrekt belichteten, unter- und über-belichteten Fotos) zu ermitteln, um dasgewünschte Ergebnis zu erzielen. Auf Film-material können Langzeitbelichtungen zuBrüchen in der linearen Beziehung zwischenBelichtungszeit und Lichtmenge führen undunerwünschte Farbverschiebungen verur-sachen. Digitalkameras produzieren beilangen Belichtungszeiten unerwünschtesdigitales Rauschen, das viele Modelle mitspeziellen Rauschunterdrückungseinstel-lungen zu vermindern suchen.

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Zeit

Happy Sunday morning (rechts)Für immer in der Luft und mit abgewinkelten Beinen festgehalten. Die Fotografin bewies volleKonzentration, um den Hintergrundaufbau im Blick zu behalten und zugleich vorauszuahnen,wohin das Mädchen als Nächstes springen würde. Da das Mädchen auf dem Höhepunkt desSprungs für einen kurzen Moment stillstand, konnte sie eine etwas kürzere Verschlusszeitwählen als eigentlich nötig. Helles natürliches Licht wurde mit Blitzlicht ausgeglichen.Fotografin: Nina Indset Andersen

Technische Daten: Keine Angaben zur Kameraeinstellung. Kontrast in Photoshop angepasst.

AugenblickeIn den Anfängen der Fotografie musste eherminuten- als sekundenlang belichtet werden.Erst als die Fotomaterialien verbessert unddamit lichtempfindlicher wurden, ließen sichdie Belichtungszeiten drastisch verkürzenund die Zeit in perfekt eingefrorene Momenteaufteilen. Die meisten modernen Kamerasbieten Verschlusszeiten von 1/1000 Sekundeund mehr und können mit entsprechendempfindlichen Filmen bzw. ISO-Einstellungenfür Digitalkameras einen Augenblickeinfrieren. Hochleistungsstudioblitzgeräteproduzieren Blitzlicht von 1/10.000 SekundeDauer, mit dem sich so vergängliche Objektewie spritzende Wassertropfen auf dem Fotoeinfrieren lassen.

Solche Aufnahmen faszinieren unendlich undsind immer wieder interessant, da sie unsetwas zeigen, das wir ohne Hilfsmittel nichtsehen können, und auch mit unserenErwartungen spielen. Im Grunde wissen wirimmer, was als Nächstes passiert – aufdiesen Fotos allerdings nicht.

Sportfotografen entwickeln eine Voraus-ahnung, um perfekt eingefrorene Augen-blicke einfangen zu können. Sie stellen aufeinen scheinbar unwichtigen Bereich scharfund warten darauf, dass dort etwas passiert.Manchmal ist der Autofokus – selbst in dervorausschauenden Variante – nicht schnellgenug, so dass sie sich auf ihre vorein-gestellte Schärfe verlassen müssen. GenugLicht, um den Schärfentiefebereich groß-zügiger zu gestalten, ist viel wert. Manchmalmuss auch die Kamera beim Auslösenmitgezogen werden, um schnelle Motiveeinzufangen und vor einem verwischtenHintergrund scharf abzubilden.

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Augenblicke 128_129

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Zeit

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Der entscheidende Moment 130_131

Portrait des Künstlers Avigdor Arikha (links)Man könnte anführen, dass dies ein schlecht komponiertes Bild sei, das vom Türrahmen undder dunklen senkrechten Fläche im Hintergrund mittig geteilt wird. Die rechte Bildhälfte könntefür sich schon ein großartiges Porträt des Künstlers sein; mit dem eingebundenen Selbstporträtauf der linken Seite ist es einfach nur bemerkenswert. Die Pose des Akts auf der Leinwand un-terstreicht diesen ungewöhnlichen Moment ebenso wie der vorsichtige, beinahe ehrfürchtigeGriff des Künstlers nach der Leinwand. Nur in diesem Augenblick kam alles perfekt zusammen.Fotograf: © Henri-Cartier Bresson/Magnum

Technische Daten: Keine Angabe

Der entscheidende MomentCartier-Bressons „entscheidender Moment“ist ein oft missverstandener Begriff. DerAusdruck wurde von seinem amerikanischenVerleger geprägt und sollte als Verbesserungder wörtlichen Übersetzung „Bilder auf derFlucht“ (Images on the run) für sein Portfoliovon 1952 dienen. „Entscheidender Moment“bedeutet, dass es in jeder Aufnahmesituationnur einen Augenblick gibt, in dem allegestalterischen und ergreifenden Elementeeines Bilds zum kraftvollsten Miteinanderzusammenfallen – als Fotograf sollten Sieimmer daran denken!

Cartier-Bresson hat natürlich nicht immer nur„das eine Foto“ aufgenommen, sondern eineReihe von Aufnahmen gemacht. In einemFilm, der ihn bei der Arbeit zeigt, sieht manihn beinahe ununterbrochen fotografieren,teilweise sogar ohne die Kamera (stets eineLeica mit Entfernungsmesser) an das Augezu halten. Sein Talent war es, diesen Momentdes Zusammentreffens der Gestaltungs- undder emotionalen Elemente zu erahnen unddas entsprechende Bild unter seinen Serien-aufnahmen zu finden.

Dass er solche Gestaltungsgerüste sah, zurrechten Zeit auf den Auslöser drückte unddiese Beobachtungsgabe stets wiederholenkonnte, machte die Grundlagen seinerfotografischen Arbeit so bemerkenswert.

Der entscheidende Moment ist nicht einfachnur das Einfangen des Höhepunkts, so wievielleicht ein Sportfotograf vorgeht. Cartier-Bressons Porträts von Künstlern verraten vielüber das Prinzip seiner Arbeit. Auf einem un-gewöhnlichen Porträt des Künstlers AlbertoGiacometti (1961) hat Cartier-Bresson ihngenau in dem Monent getroffen, als er un-bewusst, aber präzise seine eigene Statueimitierte; eine lange Belichtungszeit betonteGiacomettis Bewegung und hob ihn damitzugleich von seiner Arbeit ab. So ist auch aufCartier-Bressons Porträt von Avigdor Arikhanichts einstudiert oder gestellt. Es brauchtenur einen Augenblick, um den Moment ein-zufangen, als der Künstler eine Leinwandverschob und dabei flüchtig sein Selbstpor-trät am linken Bildrand imitierte.

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Zeit

Buhmann (rechts)Diese Bildreihe baut ähnlich wie ein Filmdrehbuch Angstgefühle auf, ist dabei aber detaillierter.Hier wird ein Kindheitsalptraum Wirklichkeit, als ein Mantel und ein Hut plötzlich zu einemechten Buhmann werden, während ein kleines Mädchen einschläft. Die Erzählung istanschaulich, doch ist der Betrachter unsicher, ob es real oder nur geträumt ist. Fotograf: Duane Michals

Technische Daten: Keine Angaben

SerienMit der Verschlussgeschwindigkeit kann derFotograf die Zeit in einem einzigen Bild ein-gefroren oder verwischt darstellen. MancheFotografen gehen bei ihren Versuchen, dieGrenzen der Darstellung verstreichender Zeitin nur einem Foto zu überwinden, noch einenSchritt weiter.

Im Jahr 1877 benutzte der FotografEadweard Muybridge eine Fotoreihe, umeine Wette zu entscheiden. Mit einer Serieschnell aufgenommener Fotos konnte erzeigen, dass sich alle vier Hufe eines galop-pierenden Pferds zugleich auf dem Bodenbefinden können. Muybridge verwendetedafür mehrere nebeneinander stehendeKameras, die vom vorbei-laufenden Pferddurch mit dem Auslöser verbundene undquer über die Laufbahn gespannte Fädenausgelöst wurden, und erzielte auf dieseelegante Weise seine Bildserie. Obwohl ereigentlich versuchte, Bewegung einzufrieren,begründete er damit unabsichtlich die Vo-raussetzungen für „bewegte Bilder“. Zeit-genössische Betrachter faszinierte damals

besonders, wie komplexe Vorgänge ineinzelne Bilder aufgeteilt wurden. Bildserienbieten dem Betrachter eine Möglichkeit, inder Zeit vor- oder zurückzuspulen, indem ersich die entsprechenden Fotos ansieht. Siezeigen den Fortgang eines Ereignisses oderlassen eine Erzählung entstehen.

Muybridge hat die Voraussetzungen für dieFilmindustrie mitbegründet. Auch wenn er esseinerzeit noch nicht wusste, ist das Story-board – das die Entwicklung einer Geschich-te über einen Zeitraum mit einer Reihe vonBildern beschreibt – heute aus der Film- undVideoplanung bekannt. Fotografen nutzen esals Inspirationsquelle – womit die Idee der„Serie“ in kreativer Hinsicht wieder an ihremAusgangspunkt angekommen ist.

Im Gegensatz zur Bildserie lassen sich miteinem leistungsfähigen Stroboskopblitzmehrere Belichtungen auf einem einzelnenFoto erzielen. Dabei werden die Bilder durchMehrfachbelichtungen statt hintereinanderauf mehrere Bilder verteilt übereinander aufeinem Bild vereint.

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Serien 132_133