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Die Zeitschrift der Stiftung Bauhaus Dessau Ausgabe 3, Mai 2012, 8 EUR The Bauhaus Dessau Foundation’s magazine Issue 3, May 2012, 8 EUR Erziehen, inszenieren, gebrauchen, frisieren, nachahmen, begehren, irren, verpacken, patentieren, outsourcen … Educate, stage, use, coiffe, mimic, desire, err, wrap, patent, outsource … Otl Aicher, Werner Aisslinger, Paulien Barbas, Barry Bergdoll, Friedrich von Borries, Marcel Breuer, Daniil Iwanowitsch Charms, Ulrich Fiedler, Lucia Moholy, Askan Quittenbaum, Lilly Reich, Florian Alexander Schmidt … BaUhAuS dinge 3

BaUhAuS - Universität Kassel: Aktuelles · über den ert der D inge. PRICE T AG What is the Bauhaus worth? Auctioneer Askan Quittenbaum and gallery owner Ulrich Fie dle on the value

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Die Zeitschrift der Stiftung Bauhaus DessauAusgabe 3, Mai 2012, 8 EURThe Bauhaus Dessau Foundation’s magazineIssue 3, May 2012, 8 EUR

Erziehen, inszenieren, gebrauchen, frisieren, nachahmen, begehren, irren, verpacken, patentieren, outsourcen …Educate, stage, use, coiffe, mimic, desire, err, wrap, patent, outsource …

Otl Aicher, Werner Aisslinger, Paulien Barbas, Barry Bergdoll, Friedrich von Borries, Marcel Breuer, Daniil Iwanowitsch Charms, Ulrich Fiedler, Lucia Moholy, Askan Quittenbaum, Lilly Reich, Florian Alexander Schmidt …

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Die Zeitschrift der Stiftung Bauhaus DessauAusgabe 3, Mai 2012, 8 EURThe Bauhaus Dessau Foundation’s magazineIssue 3, May 2012, 8 EUR

Erziehen, inszenieren, gebrauchen, frisieren, nachahmen, begehren, irren, verpacken, patentieren, outsourcen …Educate, stage, use, coiffe, mimic, desire, err, wrap, patent, outsource …

Otl Aicher, Werner Aisslinger, Paulien Barbas, Barry Bergdoll, Friedrich von Borries, Marcel Breuer, Daniil Iwanowitsch Charms, Ulrich Fiedler, Lucia Moholy, Askan Quittenbaum, Lilly Reich, Florian Alexander Schmidt …

3 Editorial von by Philipp Oswalt

5 tEElöffEl: Vom Wohnbedarf zum neuen Menschen – Friedrich von Borries über die dinge als erzieherisches Vehikel der Utopie. Teaspoons: From home furnishings to the new human being – Friedrich von Borries on objects as educational vehicles for a utopia.

11 KaKtUs: Torsten Blume über das Wesen der dinge und die herrliche Nutzlosigkeit einer Zimmerpflanze. CaCTus: Torsten Blume on the essence of things and the wonderful uselessness of a houseplant.

21 EtUi: das Bauhaus vor dem Blue screen – Gerda Breuer über die inszenierung der dinge. shell: The Bauhaus in front of the blue screen – Gerda Breuer on the staging of objects.

31 spiEgEl: pro und Contra: die versteckte Bürgerlichkeit in Marcel Breuers frisiertisch für die dame – von Lutz Schöbe und Werner Möller. Mirror: pro and con: the veiled conventionality of Marcel Breuer’s Lady’s Dressing Table – by Lutz Schöbe and Werner Möller.

37 – 52 MagaZiN i der amerikanische traum: Was finanzkrise und neue lebensmodelle aus der Vorstadtidylle gemacht haben. Mein liebes Haus anton: die Bauhaussiedlung törten bietet mehr service und will auf die UNEsCo-Welterbeliste. der Heizer am Bauhaus: vom Kohlenkran zur photovoltaikanlage – vom Welterbe im postfossilen Zeitalter. Neue Bücher: geschichte des Kibbuz, das lebenswerk otl aichers, ein Bauhaus- reisebuch und mehr. streit ums fagus-Werk: die ikone von alfeld und die Entdeckung eines frühen Vorläufers.

59 prEissCHild: Was kostet Bauhaus? auktionator Askan Quittenbaum und galerist Ulrich Fiedler über den Wert der dinge. priCe Tag: What is the Bauhaus worth? auctioneer Askan Quittenbaum and gallery owner Ulrich Fiedler on the value of objects.

67 sCHattEN: Christiane Lange über die ewige Zweite: lilly reich gestaltete dinge, die Mies berühmt machen sollten – eine Würdigung. shadoW: Christiane Lange on the eternal understudy: lilly reich designed objects that were to make Mies famous – a testimonial.

Index

81 Schwarm: Von der Fertigung für die massen zur Gestaltung durch die massen: Florian Alexander Schmidt über das neue Phänomen des crowdsourced Designs. Hive: From production for the masses to design by the masses – Florian Alexander Schmidt on the emerging phenomenon of crowdsourced design.

91 – 106 maGazin ii Streit ums Fagus-werk: Die ikone von alfeld und die Entdeckung eines frühen Vorläufers. review: Pläne für die Bauhausstadt, die zukunft der Kibbuzim und ein junger Fernsehklassiker. Information Design nach Otto neurath: arch+ und Stiftung Bauhaus Dessau loben wettbewerb aus. rundschau: Das Bauhaus in der welt: nachrichten aus montréal, Brüssel, Brno und dem rest. woran erkennt man Bauhaus? Der Stiftung Bauhaus-Test auf dem Flohmarkt.

109 – 116 maGazin iii Vorschau: Die avantgarde in indien, kleine Bauhaus-meister, die Entdeckung der Langsamkeit und Play Bauhaus in Taiwan. wie viel Bauhaus steckt in ihnen? Fünf Fragen an den Designer werner aisslinger. Service und impressum

125 FahrPLan: was hinter den Dingen verborgen bleibt: Philipp Oswalt über die Entfernung des Ungemütlichen im Design. TimeTable: What stays hidden behind things: Philipp Oswalt on the removal of the uncomfortable in design.

137 KOPiE: Ein Bügel ist ein Bügel ist ein Bügel – ein Bildessay über die Frage nach der autorenschaft in der Gestaltung. Copy: a hanger is a hanger is a hanger – a picture story on the issue of authorship in design.

∞ FEhLEr: Eine künstlerische arbeit der nieder- ländischen Fotografin Paulien Barbas auf den Seiten 17, 36, 69, 89, 108, 117 und 136 – index auf Seite 88. error: a project by the Dutch photographer Paulien Barbas on pages 17, 36, 69, 89, 108, 117 and 136 – index on page 88.

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9783940

064486

ISBN

978

-3-9

4006

4-48

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ISB

N: 9

78-3

-940

064-

48-6

ISSN

: 219

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lKlassiker aufgepasst – hier kommt der Neue.* Graph. Wilkhahn.

* Die Auswahl an erstklassig gestalteten Konferenzsesseln ist überschaubar – und seit Jahrzehnten kaum verändert. Graph bringt jetzt frischen Wind in die Sesselriege. Als prägnanter, wegweisender Charakter. Mit innovativem, aktivierendem Feder-komfort. Und Spitzenqualität bis in jedes Detail. Graph, Design: Jehs + Laub. Mehr Infos unter www.wilkhahn.de /graph

Liebe Leserinnen und Leser, liebe Freunde des Bauhauses Dessau,

s sind wohl in erster Linie die Dinge des Bauhauses, die heute noch in sichtba-rer und frischer Erinne-rung sind – die Möbel, die Lampen, die Gegen-stände des Alltags. „Ein Ding ist bestimmt durch

sein Wesen“, schrieb der Bauhausgründer Walter Gropius 1925. „Um es so zu gestalten, dass es richtig funktioniert – ein Gefäß, ein Stuhl, ein Haus –, muss sein Wesen zuerst erforscht werden; denn es soll seinem Zweck vollendet die-nen, das heißt, seine Funktion praktisch erfüllen, haltbar, billig und ‚schön‘ sein.“

Das Wesen der Dinge zu erforschen, hat sich die dritte Ausgabe der Zeitschrift bauhaus vorgenommen. Parallel zu unserer großen Retrospektive des Jahrhundertgestalters Marcel Breuer haben wir für dieses Heft Dinge ausgewählt, die auf den ersten Blick banal erscheinen mögen, an denen sich aber Utopie und emanzipatorische Wirkung, Fetisch und Konsumverhalten untersuchen lassen – vom Teelöffel bis zum Kaktus, vom Preisschild bis zum Spiegel, von der Schachtel bis zum Fahrplan. Taugen die Dinge als Vehikel für eine Utopie? Wie bestimmt die Kopie die heutige Ent-wurfstätigkeit und was ist eigentlich Crowdsourced Design? Das Heft unternimmt den Versuch, herauszufinden, wie das Bauhaus den Umgang mit den Dingen verändert hat und wie sich die Auseinandersetzung mit dem ‚Ding an sich‘ heute gestaltet.

Gleichzeitig wirft das Heft Fragen nach der heutigen Gestaltung auf, wo es nicht mehr ausreicht, nur die Kon-sumentensicht im Blick zu haben. Dinge haben auch eine Beziehung zu den Menschen, die sie herstellen, warten und entsorgen, ebenso wie zu ihrer Umwelt. Der Designdiskurs muss auf diese Fragen dringend nötige Antworten finden.

Nach zwei Heften kommt die Zeitschrift bauhaus nun in neuem Gewand daher. Mit Matthias Kreutzer und Jens Schildt vom Amsterdamer Studio Our Polite Society haben wir zwei neue Jahresgrafiker gefunden, die das Heft gestalten. Die Stiftung nimmt damit ihren Anspruch ernst, eine Plattform für junge Gestalter zu sein. Deren Idee war es auch, die niederländische Fotografin Paulien Barbas für eine Arbeit zu gewinnen. In ihrem für das Heft entstandenen Projekt Fehler setzt sie sich mit Unschärfen auseinander, die die formalen Ansprüche und Standards der Objekt- und Museumsfotografie unterlaufen. Ihre auf die Spitze getrie-benen ‚Fehler‘ sind ebenso subtil wie entlarvend und machen sichtbar, was verborgen bleiben will: die Inszenierung der Dinge. Paulien Barbas’ künstlerische Auseinandersetzung mit Schein und Sein entstand in einem Artist-in-residence-Prozess im Archiv der Stiftung Bauhaus Dessau.

Philipp Oswalt, Herausgeber

Dear readers, dear friends of the Bauhaus Dessau,

t is above all the Bauhaus’ objects that remain visible and fresh in our memories today – the furniture, the lamps, the objects of every-day life. “A thing is defined by its essence”, wrote the Bauhaus’s founder Walter

Gropius in 1925. “In order to design it so that it functions as it should – a vessel, a chair, a house – its essence must first be investigated, because it must completely serve its purpose, that is, practically fulfil its function, be durable, inexpensive and “aesthetic.”

The third issue of the magazine bauhaus has commit-ted itself to exploring the essence of objects. Parallel to our large retrospective of the designer of the century, Marcel Breuer, for this issue we have sought out objects that may at first sight appear banal, but which permit the analysis of utopia and emancipatory effect, of fetish and consumer behaviour – from teaspoon to cactus, from price tag to mirror, from casing to timetable. Are objects suited as vehicles for a utopia? How does the copy influence present-day design activity and what, for that matter, is crowd-sourced design? This issue endeavours to discover how the Bauhaus has changed the way we deal with things and what the debate about the object per se has developed into today.

At the same time this issue poses questions about con-temporary design, where it is no longer enough to keep just the consumer’s perspective in sight. Things also have a connection with the people that manufacture, maintain and dispose of them, and with their environment too. The design discourse must find urgently needed answers to these questions.

After two issues, the magazine bauhaus now appears in a new guise. In Matthias Kreutzer and Jens Schildt of the Amsterdam studio Our Polite Society we have found two new graphic designers for the year, to design this magazine. In this, the Foundation takes seriously its claim of being a platform for young designers. It was also their idea to bring in Dutch photographer Paulien Barbas for a project. In her project Fehler (Error), which came about for the magazine, she deals with the ambiguities that sub-vert the formal claims and standards of object and museum photography. Her exaggerated “errors” are as subtle as they are revealing and clearly show that, which wants to remain concealed: the staging of the objects. Paulien Barbas’s artistic exploration of illusion and reality came into being in an artist-in-residence process at the Bauhaus Dessau Foundation’s archive.

Philipp Oswalt, Editor

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Gemeinschaftswerk: Verseur ist ein Produkt von Angelo Cacchione und 644 Kodesignern

Joint project: Verseur is a product by Angelo Cacchione and 644 co-designers

About the things behind the objects – a critique of objectsBy Philipp Oswalt

Über die Dinge hinter den Dingen – eine DingkritikVon Philipp Oswalt

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in Ding ist bestimmt durch sein Wesen“, schrieb Walter Gropius 1925. „Um es so zu gestalten, dass es richtig funktioniert – ein Gefäß, ein Stuhl, ein Haus –, muss sein Wesen zuerst erforscht werden; denn es

soll seinem Zweck vollendet dienen, das heißt, seine Funkti-on praktisch erfüllen, haltbar, billig und ‚schön‘ sein.“ 1

‚Funktionalismus‘ stand am Bauhaus zunächst für das funktionale Objekt: die gut gestaltete Lampe, den gut ge- stalteten Stuhl usw. Dabei gab es jede Menge Missverständ-nisse. Da dachten die Gestalter des Bauhauses, geometrisch einfache Formen seien einfach herzustellen und zugleich praktisch und gut. Die berühmte Wagenfeld-Leuchte von 1924 ist dafür ein berühmtes Beispiel. Alles beruht auf Variationen des Kreises: der Leuchtkörper, der Schaft, der Fuß. Glas und Stahl geben dem Ganzen zudem einen tech-nisch-industriellen Ausdruck. Doch so beliebt dieses Ding ist, so kompliziert und teuer (und wenig industriell) ist es herzustellen, so wenig taugt es zur Beleuchtung. Aber Dinge führen ihr Eigenleben, und die mangelnde Funktionalität tat der Begeisterung keinen Abbruch. Die Wagenfeld-Leuchte wurde zum Fetisch und kreierte den ‚Bauhausstil‘ maßgeb-lich mit.

Mit diesem wollte der zweite Bauhausdirektor Hannes Meyer gründlich aufräumen. Ihm war klar: Wenn man es mit der Funktionalität ernst meint, muss man die Objektfi-xierung hinter sich lassen. Dann kann das Ziel der Gestal-tung nicht das Entwerfen und Herstellen von Dingen sein. Für Hannes Meyer war Gestaltung die „Organisation von Lebensvorgängen“. 2 Dinge hatten hierbei rein dienenden Charakter. Und wenn gar keine Dinge mehr nötig waren, umso besser. Hannes Meyer fand unter anderem in Naum Gabo einen Mitstreiter, der 1928 in der Zeitschrift bauhaus den Bauhausstil attackierte und forderte: „Der Mensch muss über den Gebrauchsgegenstand herrschen, er muss im übergeordneten Verhältnis zu diesem Gebrauchsgegenstand stehen. Der Gegenstand hat nur da zu sein, wenn man ihn braucht. Er möge verschwinden oder doch möglichst wenig auffallen und stören, wenn man ihn nicht mehr nötig hat.“ 3 Für Beleuchtung hieß dies, die Organisation des Lichts war das Ziel – und nicht eine Leuchte gleich welcher Gestalt. Unter Hannes Meyer begannen die Gestalter des Bauhauses, mit den Lichtingenieuren der Kandem Leuchten GmbH zusammenzuarbeiten. Und man begann, zuerst das Licht zu entwerfen und dann das Leuchtobjekt, das zu seiner Erzeugung notwendig war.

Hannes Meyer selbst führte in bauhaus aus, was eine solche Einstellung zur Gestaltung für die Architektur be-deutete. Dabei vermied er den objektbezogenen Begriff der ‚Architektur‘ ganz bewusst und verwandte stattdessen den prozessbezogenen des ‚Bauens‘: „wir untersuchen den ablauf des tageslebens jedes hausbewohners, und dieses ergibt das funktionsdiagramm für vater, mutter, kind, kleinkind und mitmenschen. wir erforschen die beziehungen des hauses und seiner insassen zum fremden: postbote, passant, besu-cher, nachbar, einbrecher, kaminfeger, wäscherin, polizist, arzt, aufwartefrau, spielkamerad, gaseinzüger, handwerker, krankenpfleger, bote. wir erforschen die menschlichen und

thing is defined by its es-sence”, wrote Walter Gropius in 1925. “In order to design it so that it functions as it should – a vessel, a chair, a house – its essence must first be investigated because it must completely serve its

purpose, that is, practically fulfil its function, be durable, inexpensive and ‘aesthetic’.” 1

At the Bauhaus, “functionalism” applied first and foremost to the functional object: the well designed lamp, the well designed chair, etc. This was often misunderstood. The Bauhaus’ designers thought that geometrically simple forms were easy to manufacture and at the same time prac-tical and “good”. The famous Wagenfeld table lamp of 1924 is a notable example of this. Everything rests on variations of the circle: the light fixture, the shaft, the base. Glass and steel also give the whole a technical-industrial manifestation. But the more popular this object is, the more complex and expensive (and less industrial) it is to manu-facture, the less suitable it is for illumination. But objects lead their own lives and the lack of functionality was no obstacle to enthusiasm. The Wagenfeld table lamp became a fetish and contributed significantly to the creation of the “Bauhaus style”.

The second director of the Bauhaus, Hannes Meyer, wanted to resolve this issue once and for all. He was con-vinced that, if functionality was to be taken seriously, then the fixation on the object had to be abandoned. Conse-quently, the goal of design cannot be the development and production of objects. For Hannes Meyer, design was the “organisation of life processes”, 2 in which objects had a purely service character. And if all objects were no longer necessary, all the better. Hannes Meyer found an ally among others in Naum Gabo, who in 1928 in the bauhaus magazine attacked the Bauhaus style and proclaimed: “Man must prevail over the utilitarian object, he must be superior to it. The object should only be there for him when he needs it. It should drop out of sight, or at least be as in-conspicuous as possible, when he no longer needs it.” 3 For lighting, this meant that the organisation of light was the goal – and not the lighting device in any of its forms. Under Hannes Meyer the Bauhaus’ designers began to work with the lighting engineers of the company Kandem Leuchten GmbH. And they began to design the light itself first, and only then the light device necessary for its generation.

Hannes Meyer himself explained in bauhaus what this kind of approach to design meant for architecture. He

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Azimute und Elevationswinkel – Sonnenstandsberechnungen wie die von Lothar Langaus der Baulehre bei Hans Wittwer, 1930, gingen in bei Hannes Meyer in den Entwurf ein

Azimuths and elevation angles – Hannes Meyer integrated solar position calculations in his design, such as those by Lothar Lang from Hans Wittwer’s building studies course, 1930

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die tierischen beziehungen zum garten und die wechselwir-kungen zwischen menschen, haustieren und hausinsekten. wir ermitteln die jahresschwankungen der bodentempera-tur“. Zusammengefasst: „bauen ist nur organisation: sozia-le, technische, ökonomische, psychische organisation.“ 4

Gestaltung hat bei Hannes Meyer nicht mehr die Erstel-lung von Objekten zum Ziel, sondern die Schaffung von Situationen, die Organisation von Prozessen, das Entwerfen von Beziehungen – zwischen Menschen, zwischen Mensch und Umwelt. Die Dinge sind Mittel zum Zweck, sind Werk-zeuge. Sie sollen sich nicht verselbstständigen, sondern die-nenden Charakter haben. Dieses Entwurfsverständnis Mey-ers zeigt sich auch in seinen Zeichnungen und Plänen: An die Stelle der Darstellung der materiellen Gestalt von Objek-ten in Auf- und Grundriss treten Diagramme und situative Darstellung: der Weg zur Arbeit, der Blick aus dem Fenster, der Lichteinfall in den Raum. Sie zeigen das Zusammenspiel von Mensch(en), Objektwelt, Architektur und Umwelt.

Hannes Meyer dachte seine Bauten aus einer ganz ande-ren Perspektive als die meisten seiner Zeitgenossen und kam damit zu Lösungen, die sich einer klassischen Avantgarde-rhetorik entzogen: Weder ging es ihm um das heroische Ob-jekt noch um die Inszenierung des Neuen. So wand er sich etwa dem traditionellen Baustoff Ziegel zu, weil der lokal verfügbar und billig war. Und auch in ganz anderer Hinsicht machte Meyer ernst mit diesem Verständnis vom Bauen: Er respektierte gewerkschaftliche Forderungen auf seinen Bau-stellen und unterstützte sogar streikende Arbeiter, was letzt-endlich zu seiner Entlassung als Bauhaus-Direktor führte.

Hannes Meyers Gestaltungsverständnis hatte nach 1945 großen Einfluss auf die Entwicklung der Hochschule für Gestaltung Ulm. Dort entstanden Ideen des Umwelt- und des Systemdesigns. Ein gutes Jahrzehnt nach der Schließung der Ulmer Hochschule führte einer ihrer früheren Dozenten, der Soziologe Lucius Burckhardt, den Gedanken weiter: „Man kann die Welt als eine Welt von Gegenständen auf-fassen und sie einteilen – zum Beispiel – Häuser, Straßen, Verkehrsampeln, Kioske; in Kaffeemaschinen, Spültröge, Geschirr, Tischwäsche. Diese Einteilung hat Konsequenzen: Sie führt eben zu der Auffassung von Design, welche ein bestimmtes Gerät ausgrenzt, seine Außenbedingungen anerkennt und sich das Ziel setzt, eine bessere Kaffeema-schine zu bauen oder eine schönere, also das zu tun, was in den fünfziger Jahren mit der Auszeichnung Die Gute Form bedacht worden ist.“ 5 Hier setzt Burckhardts Kritik an, er plädiert stattdessen dafür, die Beziehungen zwischen den Dingen – und damit auch das Unsichtbare – zu fokus-sieren. Am Beispiel einer Straßenkreuzung erläutert er: „Der Kiosk lebt davon, daß mein Bus noch nicht kommt und ich eine Zeitung kaufe, und der Bus hält hier, weil mehrere Wege zusammenlaufen und die Umsteiger gleich Anschluß haben. Die Straßenecke ist nur die sichtbare Umschreibung des Phänomens, darüber hinaus enthält es Teile organisato-rischer Systeme: Buslinie, Fahrpläne, Zeitschriftenverkauf, Ampelphasen usw. Auch diese Einteilung der Umwelt gibt einen designerischen Impuls. Aber diese bezieht die unsicht-baren Teile des Systems ein.“ 6

Die Schwierigkeit eines solchen Ansatzes ist natürlich, dass es selten in der Gestaltungsmacht eines Einzelnen liegt, all diese Dinge zu beeinflussen. Da gibt es die Ver-kehrsbetriebe, den Kioskbesitzer, das städtische Straßen-verwaltungsamt, den Zeitungsverlag usw. Natürlich gibt es größere Environments, die in einer Hand liegen – Flughä-fen, Entertainmentparks, Grandhotel und Shoppingzentren etwa – und in denen ein solch integrales ganzheitliches Designverständnis erfolgreich umgesetzt werden kann.

thereby deliberately avoided the object-orientated term of “Architektur” (architecture) and used instead the process-orientated “Bauen” (building): “we investigate the everyday life processes of every resident, and this reveals the func-tional diagram for father, mother, child, infant and fellow human beings. we analyse the relationships between the house, its inhabitants and outsiders: postman, passer-by, visitor, neighbour, burglar, chimney sweeper, washerwoman, policeman, doctor, charwoman, playmate, gas money col-lector, handiman, carer, delivery boy. we explore the rela-tionships between humans, animals and the garden and the interaction between humans, pets and insects in the home. we identify the seasonal variations in ground temperature”. To summarise, “building is just organisation: social, tech-nical, economical and physical organisation.” 4

With Hannes Meyer, the goal of design is no longer the production of objects, but the generation of situations, the organisation of processes, the shaping of relation- ships – between people, between the human being and the environment. The objects are a means to an end; they are tools. They should not take on a life of their own, but play a subservient role. This design concept of Meyer’s also shows itself in his drawings and plans: the depiction of the material form of objects in horizontal and vertical section is replaced by diagrams and situational illustrations: the route to work, the view from the window, the distribution of light in the room. They show the interplay of human being(s), object world, architecture and environment.

Hannes Meyer thought about his buildings from a com-pletely different perspective from most of his contemporar-ies and thereby arrived at solutions that revoked a classical avant-garde rhetoric: for him, it was not about the heroic object, or the presentation of the new. This is perhaps why he turned to the traditional building material, the brick, because it was inexpensive and available locally. Meyer was also serious about this concept of building in another quite different respect: on his building sites, he respected trade union demands and even supported striking workers – which ultimately led to his dismissal as Bauhaus director.

Hannes Meyer’s understanding of design had a great influence after 1945 on the evolution of the Hochschule für Gestaltung Ulm (Ulm School of Design), which embraced the development of environmental and system design con-cepts. A good decade after the closure of the school, one of its former lecturers, the sociologist Lucius Burckhardt, devel-oped this idea further: “One may regard the world as a world of objects, which may be categorised, for example, houses, roads, traffic lights, kiosks; coffee makers, sinks, crockery, table linen. This categorisation has consequences: it leads namely to an understanding of design that segregates a par-ticular appliance, acknowledges its ambient conditions and sets for itself the goal of constructing a better or more aes-thetic coffee maker, to create therefore what was described in the 1950s as “good design”. 5 This is where Burckhardt’s criticism comes into play: he pleads instead for a focus on the relationships between objects – and therefore also on the intangible. He explains this using a road junction as an example: “The kiosk lives from the fact that my bus has not arrived yet and I buy a newspaper, and the bus stops here because several routes intersect and people changing routes can get their connections. The street corner is just the visible manifestation of the phenomenon; beyond that it includes aspects of organisational systems: bus routes, timetables, the sale of newspapers, phases dictated by traffic lights, etc. This arrangement of the environment also generates a design im-pulse. But this integrates the invisible parts of the system.“ 6

Raum und Zeit in einem: Grundriss und Organisation einer Büroetage der Arbeiterbank des ADGB, Hannes Meyer, 1929

Space and time in one: layout and organisation of an office floor of the workers’ bank ADGB, Hannes Meyer, 1929

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Aber das ist die Ausnahme (und auch nicht das, was Lucius Burckhardt im Sinn hatte). Gleichwohl: Auch bei der Gestal-tung einer einzelnen Sache kann man diese primär von Be-ziehungsgeflechten und Situationen her denken und kommt dann auch zu anderen, verblüffenden Lösungen. Exempla-risch seien hier etwa Strategien des Guerilla- und des viralen Marketings genannt, die auf der Infiltration bestehender Situationen basieren.

Doch haben sich längst viel wirkungsmächtigere Schluss-folgerungen solcher Betrachtungen durchgesetzt. Dinge stehen nicht nur in einem lokalen Kontext, sondern haben vielfältige, sogenannte ‚translokale‘ Beziehungen, also solche zu fernliegenden Orten. Nicht von ungefähr hat sich der Begriff des ‚Endgeräts‘ im Sprachgebrauch etabliert. Viele Dinge sind nur die Spitze eines Eisbergs, das sichtbare Inter-face komplexer Systeme, die dahinter liegen. Keineswegs beschränkt sich dies nur auf die virtuelle Welt neuer Kom-munikationsmedien und Informationstechnologien – auch das Geschäft heutiger Autokonzerne wie etwa BMW be-schränkt sich immer weniger auf die Herstellung von Auto-mobilen und umfasst mittlerweile eine ganze Palette von Dienstleistungen – bis zu dem Punkt, an dem die Dienst-leistung ‚Mobilität‘ das Produkt ‚Auto‘ vollends ablöst.

Vor wenigen Jahren hat der Designtheoretiker John Maeda, der das Bauhaus einen seiner wichtigsten intellek-tuellen Bezugspunkte nennt, in einem Plädoyer für eine neue Einfachheit das strategische Potenzial eines solchen Denkens aufgezeigt: „Warum benutzt man nicht einfach die Software auf einem weit entfernten Computer, statt den Rechner auf dem eigenen Schreibtisch mit einem Stapel CDs oder Netz-werk-Downloads auf dem Laufenden zu halten? Denken wir nur an die Leistungen von Google. Mit der einfachen Einga-bezeile im Webbrowser erhalten wir Zugang zu Googles rie-sigem Netzwerk von Computern und Datenbanken. Um bei Google eine Anfrage zu stellen, brauchen wir selbst keine riesige Computerausrüstung. Mehr scheint weniger zu sein, wenn man es weit, weit in die Ferne rückt. Ein Erlebnis wird also einfacher, wenn man das Ergebnis an Ort und Stelle erhält, während die eigentliche Arbeit WEIT WEG erledigt wird.“ 7 Ein solches Verständnis von Einfachheit kann man als Aktualisierung der Guten Form für eine zunehmend komplexe Welt mithilfe moderner Technologien verstehen. Und nicht nur das: Maeda löst auch ein zentrales Postulat Naum Gabos ein, der gefordert hatte, ein Gegenstand solle nur insoweit präsent sein, wie man ihn brauche. Der Kon-sument ist froh, wenn die zu seiner Bedürfnisbefriedigung erforderlichen Mühen verborgen und unsichtbar bleiben. Und so erfreut sich ein Design, das Komplexität kaschiert und schlicht und einfach erscheint, großer Beliebtheit. Da-mit hat sich der Mythos moderner Gestaltung vom ehrlichen Design, dem man ansieht, was Sache ist, von selbst erledigt.

Outsourcing (dt. Auslagerung) ist das dominierende Prin-zip der Gegenwart. Es umfasst aber eben nicht nur immate-rielle Informationen und Dienstleistungen, wie sie John Ma-eda beschreibt, sondern ebenso die materielle Herstellung und Entsorgung heutiger Produkte. Wesentliches geschieht andernorts, und in Erscheinung tritt nur das gewünschte Ergebnis. Man könnte meinen, damit ist das moderne Design dort angelangt, wovon es sich anfangs verabschiedet hatte: in der bürgerlichen Wohnung des 19. Jahrhunderts. Dort do-minierte die ‚gute Stube‘ als repräsentatives Vorzeigezimmer, während der notwendige Backstage-Bereich – von der Küche bis zur Dienstmädchenkammer – in den hinteren Bereichen verborgen blieb. In einer Welt globalisierter Beziehungen ist der Backstage-Bereich in weite Ferne gerückt, nach Asien, Afrika und Südamerika. Die Serviceflure sind länger gewor-

The difficulty with such an approach is of course that the power to influence all these things seldom lies in one individual’s hands. There are the transport systems, the kiosk owner, the municipal road administration authorities, the newspaper publishers, etc. There are of course larger environments, which are managed by a single source, – airports, entertainment parks, grand hotels and shopping centres, for example, – in which such an integrated under-standing of design can be successfully realised. But that is the exception (and also not what Lucius Burckhardt had in mind). All the same: the design of a single object too can be derived mainly from inter-relationships and situations, leading to the discovery of different, intriguing solutions. Notable examples of this are, for example, guerrilla and viral marketing strategies, which are based on the infiltra-tion of existing situations.

But much more effective conclusions have long since been drawn from such considerations. Objects exist not only in a local context, but have diverse, so-called translo-cal relationships, ones to remote locations. It is no coinci-dence that the term “end point” has become an established part of speech. Many objects are just the tip of an iceberg, the visible interface of the complex systems that lie behind them. This is by no means restricted to the virtual world of the new communication media and information tech- nologies – the trade of contemporary car manufacturers such as BMW is less and less limited to the manufacture of cars and meanwhile embraces a whole range of services – up to the point where the product “car” is taken over by the service “mobility”.

A few years ago the design theorist John Maeda, who names the Bauhaus as one of his most important intellec-tual reference points referred, in making a case for a new simplicity, to the strategic potential of such a way of think-ing: “Why not just use the software on a distant computer, rather than maintain a desk-top computer with a stack of CDs or network downloads? Just think of Google’s capac-ity. With the simple input line in the web browser we gain access to Google’s huge network of computers and data banks. In order to make a query via Google, we do not need our own, huge computer set-up. More appears to be less, if it is relegated far, far into the distance. An experi-ence is therefore simpler when the answer arrives on the spot, while the actual work is done FAR AWAY.” 7 Such an understanding of simplicity may be seen as an updating of the “good form” for an increasingly complex society with the help of modern technologies. Moreover, Maeda also redeems a central theory of Naum Gabo, who had postulat-ed that an object should only be present if and when it was required. The consumer is happy when the efforts that are necessary for the satisfaction of his needs remain hidden and unseen. Thus a design that conceals complexity and appears to be plain and simple enjoys great popularity. With this, the myth of modern design being so straightfor-ward that what you see is what you get is taken care of.

Outsourcing is the dominating principle of our age. This however not only embraces intangible information and services, as qualified by John Maeda, but also the tan-gible manufacture and disposal of contemporary products. The essential processes happen elsewhere and we see only the desired outcome. One could think that modern design has therefore arrived from whence it once departed: in the bourgeois home of the 19th century. There, the “front room” dominated as the representative show room, while the necessary backstage area – from the kitchen to the maid’s room – remained hidden in the background. In

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den. Statt einigen Metern messen sie jetzt tausende Kilome-ter. Doch am Grundprinzip hat sich wenig geändert: Aus den Augen, aus dem Sinn.

Das von John Maeda gefeierte und in der Gegenwart so erfolgreiche Prinzip des Outsourcing kann zynische Folgen haben. So funktional es im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnik sein mag, so sehr kann es gerade aufseiten der physischen Produktion ausbeuterisch genutzt werden. Denn den Dingen sehe ich eben nicht an, wie und unter welchen Umständen sie entstehen oder auch entsorgt werden. An den iPhones klebt nicht das Blut jener Kinder-soldaten aus dem Kongo, die um den notwendigen Rohstoff Tantal kämpfen mussten. Und es haftet ihnen auch nicht der Schweiß der Arbeiter von Foxconn an, die die Geräte in 15-stündigen Arbeitstagen unter unwürdigsten Bedingungen zusammengebaut haben. Und den Mobiltelefonen entwei-chen auch nicht die üblen Ausdünstungen der Müllkippen in Lagos oder Nairobi, auf denen der Elektroschrott der Industrienationen dann einst entsorgt wird. Solange all dies außerhalb unserer Sichtweite stattfindet, stört es uns nicht. Insofern unterscheidet sich ein und derselbe Sachverhalt allein dadurch, wie weit entfernt von uns er sich ereignet.

Man stelle sich ein Gedankenexperiment vor, wie es einmal Johannes Fiedler vorgeschlagen hat: 8 eine Sonder-wirtschaftszone in Ostdeutschland, in der etwa unter chine-sischen Bedingungen produziert und entsorgt wird. Unsere Gesellschaft würde derartige Verhältnisse hierzulande wohl nicht einen Augenblick lang tolerieren. Und doch kaufen wir täglich nahezu ohne jegliche Hemmung Produkte, die unter ebendiesen Bedingungen und unter völliger Missachtung hiesiger sozialer und ökologischer Standards entstehen – und nur so entstehen können. Entfernung spielt eine Rolle. Nicht ohne Grund spricht man davon, was einem ‚nahe geht‘, spricht die Bibel vom ‚Nächsten‘ und der ‚Nächsten-liebe‘. Dies ist nicht zuletzt eine Frage der Wahrnehmung, der Aisthesis. Was ich nicht wahrnehmen kann, was sich meiner Anschauung entzieht, ist anscheinend ohne Belang. Doch das Ding ‚als solches‘ gibt es nicht. Jedes Ding erzeugt vielfältige Situationen, Prozesse und Relationen jenseits der direkten Sichtbarkeit. Eine Gestaltung, die das Erbe der Moderne und damit auch ihre emanzipatorischen und ega-litären Ideen in die Gegenwart fortschreiben will, muss hier ansetzen und darf nicht in die Objektfixiertheit des frühen Bauhauses zurückfallen. Die Verhältnisse sind weitaus kom-plexer geworden als in den Zwanzigerjahren und damit ein solcher Anspruch schwieriger einzulösen, aber zugleich auch umso relevanter.

Und was hat das mit Gestaltung zu tun? Es reicht eben nicht (mehr), die Gestaltung von Dingen nur aus Konsu-mentensicht zu betrachten und für diesen zu optimieren. Dinge haben auch eine Beziehung zu den Menschen, die sie herstellen, warten und entsorgen, und auch zu ihrer Umwelt. Designdiskurs und Konsumgesellschaft blenden diese we-sentlichen Eigenschaften weitgehend aus, es gilt das Diktat des Konsumenten. Doch zur Funktion eines Objekts gehört eben nicht nur der Gebrauch, sondern der gesamte Prozess vom Werden zum Vergehen.

Philipp Oswalt, geboren 1964, ist Architekt und Pub-lizist aus Berlin. Seit 2009 ist er Direktor der Stiftung Bauhaus Dessau, seit 2006 Professor an der Universität Kassel für Architekturtheorie. Vorher war er unter anderem Mitarbeiter im Büro von Rem Koolhaas, Redakteur der Zeitschrift Archplus, sowie leitender Kurator des Forschungs- und Ausstellungsprojekts Shrinking Cities, eines Initiativprojekts der Kultur-stiftung des Bundes.

a world of globalised relationships the backstage area has shifted to distant shores, to Asia, Africa and South Amer-ica. The service corridors have become longer. Instead of a few metres, they are now thousands of kilometres long. Nevertheless, the basic principle has not changed much: out of sight, out of mind.

The principle of outsourcing celebrated by John Maeda and so successfully applied nowadays can have cynical repercussions. As functional as it may seem in the infor-mation and communications technology sector, it can be particularly exploitative in respect of physical production. One cannot see from the objects themselves how and under what conditions they are made, or disposed of. iPhones are not sticky with the blood of the child-soldiers of the Congo, who had to fight for the essential raw material, tantalum. Neither are they damp with the sweat of the Foxconn work-ers, who have assembled the device in 15-hour working days in inhuman conditions. And mobile phones are inextricably linked with the poisonous evaporations of the rubbish tips in Lagos or Nairobi, where the electronic waste of the in-dustrial nations is dumped. As long as all this happens out-side our field of vision, it does not bother us. In this respect, the one and the same issue distinguishes itself only by how far away from us it is happening.

Imagine a thought experiment, like the one Johannes Fiedler once proposed: 8 a special economic zone in East Germany, where objects are manufactured and disposed of under conditions similar to those in China. Our society would not for a moment tolerate such conditions in this country. And still, nearly every day we are completely unin-hibited in our acquisition of products, which are produced under precisely these conditions and in complete contempt of our local social and ecological standards – and can only be produced in this way. Distance plays a role. There is a reason why we speak of what is “brought home” to us, why the Bible refers to “neighbours” and to “love thy neigh-bour”. If nothing else, this is a question of perception, of aisthesis. But the object per se does not exist. Every object generates multiple situations, processes and relation beyond the immediate façade. A design, which aims to update the legacy of modernism and thereby its emancipatory and egalitarian ideas for the future, must start from this point and must not be allowed to regress to the object fixation of the early Bauhaus. The situation has become far more com-plex than it was in the 1920s; such a demand is therefore that much harder to meet, but at the same time all the more relevant for that.

And what does this have to do with design? It is not enough (any more) to consider the design of objects solely from the consumer’s perspective and to optimise it to this end. Objects also have a connection with the people who make, maintain and dispose of them, and with their envi-ronment. The design discourse and the consumer society largely dismiss these essential aspects: the dictates of the consumer hold sway. Yet an object’s function includes not only its consumption, but also the entire process, from inception to destruction.

 Philipp Oswalt, born in 1964, is an architect and publicist from Berlin. He has been Director of the Bauhaus Dessau Foundation since 2009 and Professor of Architectural Theory at the University of Kassel since 2006. Prior to this he was inter alia employed in Rem Koolhaas’ office, editor of the journal Arch-plus and chief curator of the research and exhibition project Shrinking Cities, an initiative of the German Cultural Foundation.

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1. Walter Gropius: Grundsätze der Bauhausproduk-tion. In: Neue Arbeiten der Bauhaus-Werkstätten. Bauhausbücher, Band 7. Hrsg. vom Bauhaus Dessau. München 1925. S.6. 2. Hannes Meyer: Bauen. In: bauhaus. zeitschrift für gestaltung 2 / 1928. Dessau 1928. S.12. 3. Naum Gabo: Gestaltung? In: bauhaus. zeitschrift für gestaltung 4 / 1928. Dessau 1928. S. 6. 4. Hannes Meyer: Bauen. In: bauhaus. zeitschrift für gestaltung 2 / 1928. Dessau 1928. S 13. 5. Lucius Burckhardt: Design ist unsichtbar. Hrsg. von Helmuth Gsöllpointner, Angela Hareiter, Laurids Ortner. Wien 1981. 6. Ebd. 7. Vgl. John Maeda: Simplicity. Die zehn Gesetze der Einfachheit. Heidelberg 2007. 8. Vgl. fiedler.tornquist: Exterritories. In: Schrumpfende Städte. Band 2: Handlungskonzepte. Hrsg. von Philipp Oswalt. Ostfildern 2005. S. 630ff.

1. Walter Gropius: Grundsätze der Bauhaus-produktion. In: Neue Arbeiten der Bauhaus-Werk-stätten. Bauhausbücher, Vol. 7. Ed. by Bauhaus Des-sau. Munich 1925, p. 6. 2. Hannes Meyer: Bauen. In: bauhaus. zeitschrift für gestaltung 2 / 1928. Dessau 1928, p. 12. 3. Naum Gabo: Gestaltung? In: bauhaus. zeitschrift für gestaltung 4 / 1928. Dessau 1928, p. 6. 4. Hannes Meyer: Bauen. In: bauhaus. zeitschrift für gestaltung 2 / 1928. Dessau 1928, p. 13. 5. Lucius Burckhardt: Design ist unsichtbar. Ed. by Helmuth Gsöllpointner, Angela Hareiter, Laurids Ortner. Vienna 1981. 6. Ibid. 7. Cf. John Maeda: Simplicity. Die zehn Gesetze der Einfachheit. Heidelberg 2007. 8. Cf. fiedler.tornquist: Exterritories. In: Schrump-fende Städte. Vol. 2: Handlungskonzepte. Ed. byPhilipp Oswalt. Ostfildern 2005, p. 630ff.

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Die Zeitschrift der Stiftung Bauhaus DessauAusgabe 3, Mai 2012, 8 EURThe Bauhaus Dessau Foundation’s magazineIssue 3, May 2012, 8 EUR

Erziehen, inszenieren, gebrauchen, frisieren, nachahmen, begehren, irren, verpacken, patentieren, outsourcen …Educate, stage, use, coiffe, mimic, desire, err, wrap, patent, outsource …

Otl Aicher, Werner Aisslinger, Paulien Barbas, Barry Bergdoll, Friedrich von Borries, Marcel Breuer, Daniil Iwanowitsch Charms, Ulrich Fiedler, Lucia Moholy, Askan Quittenbaum, Lilly Reich, Florian Alexander Schmidt …

3 Editorial von by Philipp Oswalt

5 tEElöffEl: Vom Wohnbedarf zum neuen Menschen – Friedrich von Borries über die dinge als erzieherisches Vehikel der Utopie. Teaspoons: From home furnishings to the new human being – Friedrich von Borries on objects as educational vehicles for a utopia.

11 KaKtUs: Torsten Blume über das Wesen der dinge und die herrliche Nutzlosigkeit einer Zimmerpflanze. CaCTus: Torsten Blume on the essence of things and the wonderful uselessness of a houseplant.

21 EtUi: das Bauhaus vor dem Blue screen – Gerda Breuer über die inszenierung der dinge. shell: The Bauhaus in front of the blue screen – Gerda Breuer on the staging of objects.

31 spiEgEl: pro und Contra: die versteckte Bürgerlichkeit in Marcel Breuers frisiertisch für die dame – von Lutz Schöbe und Werner Möller. Mirror: pro and con: the veiled conventionality of Marcel Breuer’s Lady’s Dressing Table – by Lutz Schöbe and Werner Möller.

37 – 52 MagaZiN i der amerikanische traum: Was finanzkrise und neue lebensmodelle aus der Vorstadtidylle gemacht haben. Mein liebes Haus anton: die Bauhaussiedlung törten bietet mehr service und will auf die UNEsCo-Welterbeliste. der Heizer am Bauhaus: vom Kohlenkran zur photovoltaikanlage – vom Welterbe im postfossilen Zeitalter. Neue Bücher: geschichte des Kibbuz, das lebenswerk otl aichers, ein Bauhaus- reisebuch und mehr. streit ums fagus-Werk: die ikone von alfeld und die Entdeckung eines frühen Vorläufers.

59 prEissCHild: Was kostet Bauhaus? auktionator Askan Quittenbaum und galerist Ulrich Fiedler über den Wert der dinge. priCe Tag: What is the Bauhaus worth? auctioneer Askan Quittenbaum and gallery owner Ulrich Fiedler on the value of objects.

67 sCHattEN: Christiane Lange über die ewige Zweite: lilly reich gestaltete dinge, die Mies berühmt machen sollten – eine Würdigung. shadoW: Christiane Lange on the eternal understudy: lilly reich designed objects that were to make Mies famous – a testimonial.

Index

81 Schwarm: Von der Fertigung für die massen zur Gestaltung durch die massen: Florian Alexander Schmidt über das neue Phänomen des crowdsourced Designs. Hive: From production for the masses to design by the masses – Florian Alexander Schmidt on the emerging phenomenon of crowdsourced design.

91 – 106 maGazin ii Streit ums Fagus-werk: Die ikone von alfeld und die Entdeckung eines frühen Vorläufers. review: Pläne für die Bauhausstadt, die zukunft der Kibbuzim und ein junger Fernsehklassiker. Information Design nach Otto neurath: arch+ und Stiftung Bauhaus Dessau loben wettbewerb aus. rundschau: Das Bauhaus in der welt: nachrichten aus montréal, Brüssel, Brno und dem rest. woran erkennt man Bauhaus? Der Stiftung Bauhaus-Test auf dem Flohmarkt.

109 – 116 maGazin iii Vorschau: Die avantgarde in indien, kleine Bauhaus-meister, die Entdeckung der Langsamkeit und Play Bauhaus in Taiwan. wie viel Bauhaus steckt in ihnen? Fünf Fragen an den Designer werner aisslinger. Service und impressum

125 FahrPLan: was hinter den Dingen verborgen bleibt: Philipp Oswalt über die Entfernung des Ungemütlichen im Design. TimeTable: What stays hidden behind things: Philipp Oswalt on the removal of the uncomfortable in design.

137 KOPiE: Ein Bügel ist ein Bügel ist ein Bügel – ein Bildessay über die Frage nach der autorenschaft in der Gestaltung. Copy: a hanger is a hanger is a hanger – a picture story on the issue of authorship in design.

∞ FEhLEr: Eine künstlerische arbeit der nieder- ländischen Fotografin Paulien Barbas auf den Seiten 17, 36, 69, 89, 108, 117 und 136 – index auf Seite 88. error: a project by the Dutch photographer Paulien Barbas on pages 17, 36, 69, 89, 108, 117 and 136 – index on page 88.

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ISBN

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-940

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ISSN

: 219

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