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25 BAYERISCHES LANDESAMT FÜR DENKMALPFLEGE LANDESSTELLE FÜR DIE NICHTSTAATLICHEN MUSEEN FAKTEN , TENDENZEN , HILFEN

BAYERISCHES DENKMALPFLEGE FAKTEN TENDENZEN HILFEN

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31866 UmschlagLANDESSTELLE FÜR DIE NICHTSTAATLICHEN MUSEENFAKTEN , TENDENZEN , HILFEN
Museum heute 25
Fakten – Tendenzen – Hilfen
Redaktion: Dr. Wolfgang Stäbler
Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem Papier
Titelfoto: Joseph Kaspar Sattler, Plakat für die Zeitschrift „Pan“ 1895/96 (Ausschnitt), Museum im Pflegschloss Schrobenhausen
München, im Juli 2003
Geschichte – Kunst – Kultur. Das Museum im Pflegschloss in Schrobenhausen (Claudia Freitag-Mair) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3
Die „Porzellanwelt Selb“ – eine Welt im Entstehen. Ein weiterer Ausstellungsbereich des Europäischen Industriemuseums für Porzellan in Selb-Plößberg (Wilhelm Siemen) . . . . . . . . . . 10
Das Grenzland- und Trenckmuseum Waldmünchen (Günther Bauernfeind) . . . . . . . . . 15
Das Fränkische Freilandmuseum in Fladungen. Gedanken zu Aufbau, Konzept und Zukunfts- perspektiven (Albrecht Wald) . . . . . . . . . . . . . . . 21
Museumspädagogik
Vom Blindenführer zum begreifbaren Objekt – Angebote für behinderte Besucher im Freilicht- museum Glentleiten des Bezirks Oberbayern (Franziska Lobenhofer-Hirschbold) . . . . . . . . . . . 33
Wieder entdeckt: Kinder im Museum. Ausstel- lungen, Tagungen und neuere Publikationen für das junge Museumspublikum (Hannelore Kunz-Ott) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36
Aktuelles – Berichte
In 80 Bänden durch die Welt des Porzellans. Die Schriften und Kataloge des Deutschen Porzellanmuseums Hohenberg a. d. Eger (Werner Endres) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41
Museen haben Freunde. Der internationale Museumstag 2003 in Bayern (Wolfgang Stäbler) 43
Museen vernetzt – Wege der Zusammenarbeit. 12. Bayerischer Museumstag in Weißenburg (Monika Dreykorn) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45
Hybride Räume. 3. Szenographie Kolloquium, Dortmund 22.-24.1.2003 (Eva-Maria Fleckenstein) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48
Kultur und Sightseeing: Was die Kultur vom Tourismus lernen kann. Eine AsKi-Tagung in der Kunsthalle Bremen, 8.-9. Mai 2003 (Monika Dreykorn) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50
Archäologie im Museum. Kurzbericht über eine Tagung in Ingolstadt (Christof Flügel) . . . . . . . . . 52
Römische Museen am Weltkulturerbe Limes (Christof Flügel) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53
Menschen? Zeiten? Räume! Zur Archäologie- ausstellung in Berlin und Bonn (Christof Flügel) . 56
Auf den Spuren von Fasanenwärtern, Polizisten und Bauforschern. Eine neue Dauerausstellung im Westfälischen Freilichtmuseum Detmold (Heinrich Stiewe) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60
Die Kulturkuratorinnen – ein Netzwerk bewährt sich (Doris Hefner/Edith Schoeneck/ Michaela Breil) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65
Neue Bücher (Albrecht A. Gribl/Wolfgang Stäbler) . . . . . . . . . . 67
Museumseröffnungen in Bayern . . . . . . . . . . . . . 70
GESCHICHTE – KUNST – KULTUR Das Museum im Pflegschloss in Schrobenhausen
Am 20. September 2002 öffnete das Museum im Pfleg- schloss Schrobenhausen seine Pforten. Es widmet sich der Stadt-, Gewerbe- und Industriegeschichte, zeigt Münzen und Medaillen, sakrale Bildwerke und Volkskunst und präsentiert Werke Schrobenhausener Künstler. Durch die Möglichkeit für Sonderausstellungen und Versamm- lungen bietet das vierte Museum der Stadt ein weiteres Forum für unterschiedlichste Veranstaltungen.
Konzeption und Verwirklichung hatten sich lange hinge- zogen: Bereits im Jahr 1980 hatte die Stadt das Anwesen erworben mit dem Ziel, dort später ein Museum ins Leben zu rufen, das der historischen Bedeutung dieses Hauses gerecht würde. Mit der Zeit entwickelte sich die Idee ei- nes Museumsviertels, zumal sich in unmittelbarer Nähe zur Schlossanlage die Galerie im Geburtshaus des späte- ren „Malerfürsten“ Franz von Lenbach und das Europäi- sche Spargelmuseum befinden.
Nach einer langjährigen Vorbereitungs- und Planungspha- se begannen im Frühjahr 2000 die Umbau- und Sanie- rungsmassnahmen am historischen Gebäude, und im Juli des Jahres beauftragte die Stadt eine wissenschaftliche Fachkraft mit der Erarbeitung eines Museumskonzeptes. Von Mai bis Juli 2001 wurden die für die Ausstellung aus- gewählten Exponate, die mehr als ein Jahrzehnt im Depot gelegen hatten, in einem Stickstoffzelt von Schädlingen befreit und im Frühjahr 2002 von einem Restauratoren- team konservatorisch behandelt. Für eine umfassende Restaurierungsaktion fehlten die finanziellen Mittel.
Auf 570 m2 Ausstellungsfläche zeigt das Museum nun die wichtigsten Teile des umfangreichen Sammlungsbestan- des, der neben Objekten zur Geschichte und Entwicklung
von Stadt und Umland einige bemerkenswerte Schwer- punkte von überregionaler Bedeutung aufweist: eine um- fangreiche Münz- und Medaillensammlung mit Künstler- medaillen aus der Zeit um 1900, die in Schrobenhausen geprägt wurden und zu den bedeutendsten Medaillen ihrer Zeit zählten, sowie das nahezu vollständige Werk des Jugendstilkünstlers Joseph Kaspar Sattler (*1847 in Schrobenhausen/†1931 in München).
Das historische Gebäude
Das Pflegschloss in Schrobenhausen, um 1500 als Amts- und Wohnsitz des herzoglichen Pflegers erbaut, war jahr- hundertelang Mittelpunkt des Gerichtsbezirks Schroben- hausen und somit das wichtigste und größte Profan- gebäude im Altstadtbereich. Direkt an die Stadtmauer anbindend stand der landesherrliche Verwaltungs-, Ge- richts-, Repräsentations- und Lagerhaltungsbereich mit eigener Mauersicherung und Wassergraben, abgeschirmt von der Bürgersiedlung. Ab 1861 beherbergte das Ge- bäude das Bezirksamt, anschließend das Landratsamt. Im Jahr 1913 erhielt das alte Pflegschloss einen Anbau, der als Wohnung für den jeweiligen Amtmann diente. Die Gebietsreform 1972 brachte das Ende des eigenständi- gen Landkreises Schrobenhausen; Hauptsitz der Verwal- tung wurde Neuburg. Das traditionsreiche Gebäude in Schrobenhausen verlor seine zentrale Bedeutung, wurde zunächst aber bis zum Kauf durch die Stadt 1980 weiter- hin für Verwaltungszwecke genutzt.
Bausanierung
Im Jahr 1990 wurde in einer ersten konkreten Planungs- phase eine Bauuntersuchung für den älteren Gebäudeteil eingeleitet. Mit den Planungen zur Umgestaltung des An- baus konnte noch nicht begonnen werden, da ein Mietver- trag mit der Verwaltungsgemeinschaft erst 1998 endete.
Bis 1994 wurde von der damals bei der Stadt beschäftig- ten Kunsthistorikerin Doris Heller ein vorläufiges Konzept erarbeitet, das sich im Wesentlichen auf die Räume des Erdgeschosses und Obergeschosses des älteren Gebäu- deteils beschränkte. Hier sollte die Dauerausstellung ein- gerichtet werden mit Exponaten, die, um das Ganze im- mer wieder zu beleben, im Laufe der Zeit gegen Objekte aus den Depots ausgewechselt werden sollten. Ferner überlegten sich die Planer, das Dachgeschoss für Verwal- tungs- und Depotzwecke zu nutzen. In die Räume der Verwaltungsgemeinschaft, d. h. in den Anbau von 1913, sollten später ein Café und eine Hausmeisterwohnung einziehen.
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Das Museum im Pflegschloss, Schrobenhausen
Die Auftragsvergabe für die beiden ersten Leistungspha- sen, also für die Erstellung der Vorplanungen sowie der Ermittlung der Sanierungskosten, erfolgte im Jahr 1994 an die Architekten Homeier und Richter. Ihre Kosten- berechnung von 2 Mill. DM ging von einer umfassenden Sanierung aus, eine „Minimalsanierung“ kam für die Architekten nicht in Frage. Daraufhin befragte man den Kreisheimatpfleger Wolfgang Kirchner, einen in Sachen Sanierung historischer Gebäude erfahrenen Fachmann. Noch im selben Jahr legte er eine Stellungnahme vor und erklärte, dass eine „schonende Sanierung“ in einer Größenordnung von etwa 600-800.000 DM möglich wäre. In dieser Phase übergab die Stadt die gesamte Aus- schreibung, Koordination und Bauüberwachung an einen leitenden Baudirektor i. R., der gegen Erstattung von Aus- gaben, aber ohne Honorar tätig wurde.
Ein „Arbeitskreis Pflegschlosssanierung“ trat in Aktion, Mitglieder des Stadtrates waren in freiwilligen Wochen- endaktionen am Bau beschäftigt, örtliche Firmen unter- stützten die Maßnahmen mit Sachspenden. Der Vertrag
mit der Kunsthistorikerin wurde nicht verlängert, statt dessen engagierte man einen Historiker, der bereit war, gegen Aufwandsentschädigung und ohne Honorar das Museumskonzept zu erstellen.
Bald stellte sich heraus, dass dieser Weg nicht wie er- wartet Kosten einsparen konnte. Schließlich wurde 1997 wieder Prof. Homeier mit den weiteren Planungen beauf- tragt. Mittlerweile war auch die Verwaltungsgemeinschaft ausgezogen und einer Sanierung des Gesamtkomplexes stand nichts mehr im Wege. Die weiteren Planungen und die Realisierung der Maßnahme führte der Architekt in enger Abstimmung mit dem Stadtbauamt, mit dem Lan- desamt für Denkmalpflege und mit dem Städtebauförde- rungsreferat der Regierung von Oberbayern durch.
Maßnahmen
Der historische Dachstuhl aus dem 16. Jahrhundert wur- de konserviert, in Teilbereichen in alter Verbundtechnik ergänzt und somit selbst zu einem Teil der Ausstellung. Die Raumaufteilung blieb in beiden Gebäudeteilen weit- gehend erhalten. Den Eingangsbereich verlegte man in den Verbindungsbau, wobei die Decke über dem Erd- geschoss durch einen Steg ersetzt wurde. Die beiden ur- sprünglichen Eingangstüren wurden vollständig verglast, mit der Überlegung, hier besondere Exponate zu präsen- tieren, um Besucher und Passanten neugierig zu machen.
Die stark verwurmten Dielenfußböden im alten Pfleg- schloss mussten entfernt und durch Riemenparkett ersetzt werden, die Parkettböden im Anbau blieben er- halten. Die Fenster wurden den Befundergebnisse ent- sprechend und in Abstimmung mit dem Landesamt für Denkmalpflege nachgebaut und erneuert, unter besonde- rer Berücksichtigung der Auflagen von Seiten des Versi- cherers. Ein Teil der historischen Innentüren im alten Pflegschloss konnte samt Türstock weiter genutzt wer- den. In den Räumen, in denen die Türblätter fehlten, be- ließ man die Öffnungen als Durchgänge. Im Anbau waren mehrere Türen zu erneuern.
In einem aufwändigen Verfahren wurden die historischen Putze im Innen- und Außenbereich konserviert und die Fehlstellen in historischer Technik und nach alten Rezep- turen ergänzt.
Sammlungsgeschichte
Die Bestände des Museums im Pflegschloss gehen zurück auf die Sammeltätigkeit des Historischen Vereins
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Eingangsbereich mit dem darüber führenden Verbindungssteg zwischen den beiden Gebäudeteilen
Schrobenhausen. Sein Ziel waren die Erforschung, Be- wahrung und Vermittlung der Geschichte von Stadt und Umland. Ein Aufruf im Gründungsjahr 1901, eine Samm- lung von historischen Gegenständen anzulegen, fand großen Widerhall. Bürger aus Stadt und Umland brachten Urkunden, Bücher, Möbel, Gewänder, Gebrauchsgegen- stände, Bilder und Fotos. Bereits im Jahr darauf konnte der Historische Verein ein Heimatmuseum im so genann- ten Amtsturm, in dem heute das Europäische Spargelmu- seum untergebracht ist, eröffnen. Der Bestand wuchs kontinuierlich an, und bereits 1905 zeigte sich, dass die Räumlichkeiten zu eng geworden waren. 1908/09 bezog man einige Räume im Erdgeschoss des Rathauses, 1911 kamen Kellerräume hinzu.
Schon im Jahr 1915 galt die Sammlung in Fachkreisen als herausragend und war über die Grenzen der Stadt hin- weg bekannt: „Verdient voll ins Programm der jährlichen Museumsreisen eingefügt zu werden“, urteilte Prof. Dr. Georg Hager, Königlicher Generalkonservator der Kunstdenkmale und Altertümer in München, bei einem Besuch in Schrobenhausen.
Durch Schenkungen und Ankäufe wuchs der Bestand kontinuierlich weiter an. Ab 1943 wurden die Sammlun- gen im Waaghaus präsentiert. Als 1967 das Gebäude abgerissen wurde, lagerte man die Bestände in Depots ein. 1974 übereignete der Historische Verein seine Sammlungen der Stadt, und noch im selben Jahr wurde eine neue Aufstellung in den Räumen der ehemaligen Oberrealschule eröffnet. Mit der Entscheidung, dieses Gebäude für die Volkshochschule zu nutzen, wanderten die Sammlungen 1991 wieder ins Depot mit der Aussicht, in absehbarer Zeit im herzoglichen Pflegschloss eine neue und dauerhafte Bleibe zu finden.
Grundsätzliche Überlegungen und Konzept
Die Sammlungen des Museums in einem denkmalge- schützten Gebäude unterzubringen, erforderte an vielen Stellen Rücksichtnahme und manchen Kompromiss. Er- schwerend kam hinzu, dass die Sanierung des Gebäudes schon angelaufen war, während das endgültige Konzept der Präsentation noch nicht feststand. Es waren schließ- lich nur noch in kleinen Teilbereichen geringfügige bauli- che Veränderungen zugunsten der speziellen Museums- bedürfnisse möglich.
Das Konzept selbst orientierte sich in erster Linie an den vorhandenen Sammlungen und der Stadtgeschichte, wobei es die umfangreichen Bestände erlaubten, auszu- wählen und Schwerpunkte zu bilden, um die Geschichte
der Stadt und ihrer Region in historischer und wirtschaft- licher Sicht sowie unter Berücksichtigung sozialer Bedin- gungen darzustellen. Nach der Sichtung des Bestandes sowie ausführlichen Vorüberlegungen und Besprechun- gen, gerade auch mit den Vertretern des Historischen Vereins, legte man die Schwerpunkte des Hauses fest, die schließlich im Stadtrat allgemeine Zustimmung fan- den. Bei vielen Fragen und Problemen war die intensive Betreuung und Unterstützung der Landesstelle für die nichtstaatlichen Museen in Bayern von entscheidender Bedeutung.
Grundsätzlich waren sich alle Beteiligen darin einig, dass hier kein Heimatmuseum im herkömmlichen Sinne ent- stehen sollte. Daher befolgte man bei der Exponataus- wahl auch die Devise „weniger ist mehr“, um zu vermei- den, dass die Besucher auf Grund einer nicht zu verar- beitenden Fülle von Exponaten die Ausstellung nicht mehr ausreichend aufnehmen können. Viele Objekte der Sammlung bleiben weiterhin im Depot; sie sollen jedoch im Laufe der Zeit in Sonderausstellungen gezeigt werden.
Einrichtung
Die Einrichtungsplanung übernahmen die Architekten, die auch für die Sanierung des Gebäudes verantwortlich wa- ren. Die bei den Planungen geführten Diskussionen ver- liefen nicht immer gerade einfach, dennoch suchte man die bestmöglichen Lösungen für die angestrebte Einheit von vorbildlich restauriertem Denkmal und modernem Museum. Die Verantwortlichen einigten sich auf eine
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Inszenierte Situation einer archäologischen Grabung
Präsentation der Exponate in einem einheitlichen Vitrinen- system: kleinere Exponate werden konsequent in weißen Wandvitrinen hinter Plexiglas gezeigt, einzelne größere Objekte auf schwarzen Sockeln mit Plexiglasstürzen. Zum Teil sind die Exponate auch auf Trägertafeln mit Tast- schutz montiert. Die Konzeption beinhaltete zwar einige Inszenierungen, die aber von den Gestaltern (Architekten) auch nach langen, intensiven Gesprächen nicht umge- setzt wurden. Unter Berücksichtigung des Raumeindrucks wurde so weitgehend auf Szenen verzichtet, lediglich ein Raum in der Abteilung „Schrobenhausener Gewerbe- und Industriegeschichte“ stellt die Arbeitssituation im Münz- und Prägewerk Carl Poellath um 1900 dar. Die schlichte Präsentation im ganzen Haus zielt darauf ab, die Einzelexponate zur Geltung zu bringen und nicht durch Beiwerk vom Objekt abzulenken.
Die grafische Gestaltung übernahmen Wolfgang Reichert und Anette Kallmeier vom büro ay in Augsburg. Zusam-
men mit den Einrichtungsplanern legte man für die Text- tafeln zwei unterschiedliche Formate fest: Hohe schmale Tafeln für die Raumtexte und kleinere Tafeln für die unter- geordneten Texte, so dass der Besucher bereits formal die einzelnen Textkategorien leicht unterscheiden kann. Bei der farblichen Gestaltung einigte man sich auf einen weißen Untergrund und schwarze Schrift. Die Raumtexte heben sich durch rote Überschriften und jeweils eine stark vergrößerte Abbildung eines raumspezifischen Exponates im selben Rot von den übrigen Texttafeln ab. Fotoreproduktionen, Zeitungsausschnitte und weitere grafische Elemente ergänzen und bereichern die Tafeln mit den untergeordneten Texten und geben so detaillierte Auskunft zu den Raumthemen.
Die Objekttexte in den Vitrinen sind, unter Berücksichti- gung einer leichten Zuordnung, auf schmalen Tafeln zu- sammengefasst, Einzelobjekte gesondert beschriftet. In manchen Abteilungen erforderte das Konzept großforma-
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tige Reproduktionen von Fotografien und alten Stichen. Da aus technisch-statischen Gründen keine großen Trä- gertafeln gewählt werden konnten, entschied man sich für Stoff-Fahnen, die außerdem in ihrer Leichtigkeit zum übrigen Ausstattungsprogramm passen.
Bei der Gestaltung des Museumssignets galt es, das neue Haus nicht für sich alleine darzustellen, sondern mit den anderen Museen der Stadt zu verbinden, gerade im Hinblick auf die Schaffung eines „Museumsviertels“ und mit der Absicht, in Zukunft mit dem Begriff „Museen Schrobenhausen“ zu werben. Aus mehreren Vorschlägen wählten Vertreter der Stadt ein Logo mit vier Bögen in den Farben blau – rot – gelb – grün. Jeder Bogen steht für eines der vier Museen, symbolisiert aber zugleich die historische Stadtmauer, womit eine unverwechselbare Verbindung der Museen mit der Stadt Schrobenhausen hergestellt wird.
Führungslinie – Rundgang
Die Konzeption der Raumnutzung und der Führungslinie bereitete einige Schwierigkeiten, da auf Grund der bauli- chen Gegebenheiten der Verbindungsweg zwischen den beiden Gebäudeteilen ins Obergeschoss gelegt werden musste. Eine Verbindung über die Dachgeschosse der beiden Gebäudeteile war nicht möglich, da sich der Zwi- schentrakt als zu niedrig erwies.
Man entschied sich daher, den Besucher nicht mehrmals durch dieselben Abteilungen des Obergeschosses zu lot- sen, sondern den Rundgang direkt vom Erdgeschoss des älteren Gebäudes ins Dachgeschoss zu führen, von hier aus dann ins Obergeschoss und über den Steg im Ver- bindungsbau in den Anbau, von hier aus schließlich zurück ins Erdgeschoss mit den Sonderausstellungsräu- men und dem Aus- bzw. Eingang.
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Thematisch beginnt der Rundgang mit Erläuterungen zur Geschichte und Bedeutung des Pflegschlosses, um die häufig geäußerte Meinung, es handle sich hier um ein ehemaliges Krankenhaus, zu berichtigen. Im nächsten Raum folgt ein Überblick zur Sammlungsgeschichte. Hier fand eine Handspindelpresse des Münz- und Prägewerks Carl Poellath Platz, die bereits an dieser Stelle auf einen Schwerpunkt des Museums aufmerksam machen soll. Die Maschine aus dem Jahr 1890 ist noch funktionstüch- tig, ihre Nutzung kann daher bei Museumsfesten oder an besonderen Tagen von Fachkräften in Vorführungen ge- zeigt werden. Die Geschichte der Stadt und ihrer Umge- bung wird in den nächsten drei Räumen an Hand unter- schiedlicher Objekte gezeigt. Thematisiert sind die „Stadt- werdung“, „Schutz und Verteidigung“, „Markt und Schranne“ sowie das „Städtische Gewerbe“.
Mit einem grafischen Leitsystem wird der Besucher vom Erdgeschoss ins Dachgeschoss geführt, in dem volks- kundliche Gegenstände thematisch in einen Lebensweg „Von der Geburt bis zum Tod“ eingebunden sind. Sakrale Kunst und wertvolle Skulpturen präsentieren die wesent- lichen Stilstufen und Entwicklungstendenzen in der Schnitzplastik. Ergänzend hierzu ist in einem kleinen Nebenraum, einer didaktischen Zone, die Arbeit des Bildschnitzers und Fassmalers dokumentiert. Im selben Raum fanden Objekte aus der Vorgeschichte in einer Inszenierung zur Methodik und Arbeitweise eines Archäo- logen ihren Platz.
Der Rundgang führt von hier aus ins Obergeschoss des Gebäudes. Die Geschichte der Schrobenhausener Indus- trie wird ausführlich und exemplarisch an der Entwicklung des Münz- und Prägewerks Carl Poellath gezeigt. 1778 gründete Christoph Abraham in Schrobenhausen ein kleines Nadlergeschäft, das Carl Poellath 1798 übernahm und zu einer angesehenen Hart- und Fasswarenfabrik ausbaute. Knöpfe, Mieder- und Schurzhaken, Schließen und Schnallen waren Hauptprodukte des Prägewerks. Mitte des 19. Jahrhunderts stellte die Firma die Pro- duktion auf religiöse Artikel aller Art um und verkaufte Rosenkränze, Wallfahrtsandenken und Heiligenbildchen in alle fünf Erdteile. Um 1900 erweiterte die Firma ihre Produktion; die Prägung profaner Münzen, von Künstler- und Vereinsmedaillen kam hinzu. Abzeichen, Orden und Marken werden auch heute noch bei Carl Poellath gefer- tigt. In einem eigenen Raum ist die Arbeitssituation eines Graveurs um 1900 in Szene gesetzt: Ein Graveurtisch mit entsprechenden Werkzeugen, ein Tisch mit Stahlstem- peln, ein Löttisch sowie eine Stechuhr vor einem Groß- foto aus den Schrobenhausener Werkstätten vermitteln dem Besucher einen Eindruck der damaligen Arbeitsver- hältnisse.
Die Präsentation der hervorragenden Künstlermedaillen, die bei Poellath in Schrobenhausen um 1900 geprägt wurden und die mit zu den besten Stücken ihrer Zeit zähl- ten, bereitete einiges Kopfzerbrechen. Schließlich löste man das Problem durch eine Anordnung der Objekte in senkrecht montierten Schautafeln. Aus einer Plexiglas- scheibe wurden in genauen Maßen Ausschnitte gefräst, in die man die Medaillen legte und von hinten und vorne mit einer durchgehenden Glasscheibe sicherte. Die vier Tafeln sind an Metallständern montiert und greifen in den Raum, so dass man die Medaillen von der Vorder- und der Rückseite betrachten kann. In einer Vitrine und auf einer Schautafel werden die einzelnen Arbeitsschritte vom Entwurf bis zur fertigen Medaille erläutert. Ein weite- rer Raum in dieser Abteilung zeigt „Die Geschichte der Medaille – von der Antike bis zur Moderne“. Diese Aus- stellung wurde von der Staatlichen Münzsammlung Mün- chen konzipiert und mit Leihgaben aus deren Beständen bestückt.
Die Firmen Agfa-Gevaert, Bauer Spezialtiefbau, Leinfel- der Papier, EADS und Ytong präsentieren im nächsten Raum stellvertretend für die Schrobenhausener Industrie je ein Produkt und ihre Firmengeschichte. Ein von diesen Unternehmen finanziertes Terminal mit Touchscreen bie- tet den Besuchern die Möglichkeit, auf den betreffenden Internetseiten weitere Information abzurufen. Ein Blick auf die Situation in Schrobenhausen nach 1945 bis hin zur Gegenwart beendet den stadtgeschichtlichen Teil des Rundgangs.
Über einen Steg gelangt man in das Obergeschoss des Anbaus mit der Abteilung „Kunst und Künstler in und aus Schrobenhausen“. Kaspar Joseph Sattler, 1867 in Schro- benhausen geboren, später hauptsächlich in Straßburg und Berlin tätig, war in seiner Zeit ein anerkannter und er- folgreicher Zeichner, Aquarelllist und Graphiker. In großen Bilderrahmen sind zahlreiche Exlibris, Buchillustrationen und Urkunden des Künstlers präsentiert. Die letzten Jahre seines Lebens verbrachte Sattler in München. Hier kon- zentrierte sich sein Schaffen ab 1924 auf die Zusammen- arbeit mit dem Kupferdrucker Heinrich Graf, der Sattlers Nachlass 1961 an die Stadt Schrobenhausen verkaufte. Eine Radierpresse und Erläuterungen zur Technik des Radierens bringen dem Besucher die Arbeit Sattlers näher.
Im weiteren folgen Radierungen des Schrobenhausener Künstlers Norbert Richter (1928-1975), der sich ab 1961 Richter-Scrobinhusen nannte und damit seine Wertschät- zung der Stadt zum Ausdruck brachte. Zwei weitere Räu- me zeigen Werke von zwölf professionellen Künstlern, die heute in Schrobenhausen leben und arbeiten. Im Wechsel
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sollen die Künstler hier die Möglichkeit für Einzelausstel- lungen bekommen.
Im Erdgeschoss des Anbaus befinden sich die Sonder- ausstellungsräume, die für wechselnde Veranstaltungen genutzt werden können. In regelmäßigen Abständen sol- len themenbezogene Wechselausstellungen aus den Beständen des Museums sowie Ausstellungen mit Künst- lern nicht nur aus der Region gezeigt werden. Museums- feste, Vorträge und Symposien sind geplant.
Ausblick
Bis zur Eröffnung des Museums konnten noch nicht alle Pläne realisiert werden. In einigen Abteilungen werden
noch Computerterminals aufgestellt, um zusätzliche In- formationen zur Vertiefung der einzelnen Themen zu ge- ben. Ein kleiner Museumsführer soll die Orientierung er- leichtern, ein begleitender Film (im Erdgeschoss befindet sich ein Medienraum) die Inhalte des Museums ergänzen und vertiefen.
Das Museum sieht es als wichtige Aufgabe, Schülern die Geschichte der Stadt und seiner Umgebung nahe zu brin- gen. Es eignet sich nicht nur für den Geschichtsunterricht der verschiedenen Schularten, sondern bereits für den Heimat- und Sachkundeunterricht der Grundschulen. Ein museumspädagogischer Leitfaden, in Zusammenarbeit mit Lehrern erstellt, soll das Museum besser für den Un- terricht erschließen.
Das neue Haus wird von den Besuchern sehr gut ange- nommen. Schulklassen, Gruppen und zahlreiche Einzel- besucher beurteilten den Umbau, das Konzept und die Präsentation als gelungen. Viele Schrobenhausener, die die Sammlungen aus den früheren Aufstellungen kennen, vermissen jedoch eine Reihe der einst gezeigten Expo- nate. Ihnen kann aber schnell klar gemacht werden, dass durch die reduzierte Auswahl die Besonderheit der Einzel- objekte herausgestellt wird und dass die „vermissten“ Stücke, die derzeit z. T. auch aus konservatorischen Gründen nicht gezeigt werden können, in Zukunft bei Sonderausstellungen zu sehen sein werden.
Claudia Freitag-Mair
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Museum im Pflegschloss, Am Hofgraben 1, 86529 Schrobenhausen, Tel. 08252/90985-0, Fax -32
Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag 13-17, 1. Donnerstag im Monat 13-20 Uhr
Präsentation von Künstlermedaillen, die so genannte Hitl-Serie
DIE „PORZELLANWELT SELB“ – EINE WELT IM ENTSTEHEN Ein weiterer Ausstellungsbereich des Europäischen Industriemuseums für Porzellan in Selb-Plößberg
Wer in Nordbayern, dem Herzen der europäischen Por- zellanindustrie, eine Porzellanfabrik besuchen möchte, der ist im „Europäischen Industriemuseum für Porzellan“ an der richtigen Adresse: Was in den rationalisierten und automatisierten modernen Fabriken so nicht mehr erlebt werden kann, die Herstellung von Porzellan in seiner ganzen Dimension, das ist hier in diesem auf Vermittlung durch Erleben und Unterhaltung ausgerichteten Museum
seit der feierlichen Eröffnung, dem 24. Juli 2002, hautnah erfahrbar.
Eine alte Porzellanfabrik, neu belebt
An historischem Ort, in der 1866 von Jacob Zeidler direkt an der Eisenbahnlinie Hof-Asch gegründeten und 1917 von Philipp Rosenthal erworbenen Porzellanfabrik im Selber Ortsteil Plößberg, ist in den letzten Jahren ein Museum entstanden, wie es in der Welt des Porzellans in Europa bisher keine Entsprechung hat.
Nach der von Carolus Magnus Hutschenreuther 1814 im benachbarten Hohenberg an der Eger gegründeten und der von dessen Sohn Lorenz Hutschenreuther 1856 in Selb ins Leben gerufenen Produktionsstätte ist sie die drittälteste Porzellanfabrik im Landkreis Wunsiedel. Nach zahlreichen Erweiterungen im letzten Viertel des 19. und in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts waren 1930 rund 900 Menschen beschäftigt, um mit 10 großvolumigen Rundöfen allerfeinste Service, Zierartikel und Figuren zu fertigen. Aus der Vergangenheit des Porzellans ist sie nicht wegzudenken: Philipp Rosenthal sen. hatte sie nach der Geburt seines Sohnes Philip, 1916, als nicht zur Rosenthal AG gehörige Fabrik im Familienbesitz gehalten. Unter sei- ner Leitung war sie durch den weltgewandten und gebil- deten Unternehmer zu einer renommierten Erzeugungs- stätte ausgebaut worden. Er engagherte Künstler von Weltrang, deren Namen durch ihre für Rosenthal erarbei- teten Entwürfe weltweit nunmehr auch mit Porzellan in Verbindung gebracht wurden, so wie auch der Hersteller Rosenthal selbst an Renommee gewann. Ein eigenes Ge- bäude für die Kunstabteilung wurde auf dem Areal errich- tet, kurzzeitig sogar Elektroporzellan hergestellt.
Die Hinwendung zur modernen Linie in der Gestaltung kam nach der Rückkehr seines Sohnes Philip Rosenthal jun. aus der Emigration nach Selb im Jahr 1950 verstärkt zum Tragen: Anerkannte Künstler und Designer wie Björn Winblad, Tapio Wirkkala und Elsa Fischer-Treiden arbeite- ten jetzt hier auf seine Veranlassung. Meilensteine des Porzellandesigns wurden entwickelt, realisiert und erfolg- reich vermarktet. Selb-Plößberg ist damit einer der Ur- sprungsorte der 1961 ins Leben gerufenen „Studio Linie“.
Doch aufgrund der zunehmenden Mechanisierung und Maschinisierung in der Porzellanbranche in den sechziger Jahren war das Aus für die Fabrik in Selb-Plößberg vor- aussehbar: Die Gebäudestruktur war auf mehretagige Rundöfen abgestimmt. Sie ließ eine Umstellung auf die moderne Brenntechnik mittels der lang gestreckten, ebenerdig angelegten Tunnelöfen nicht zu. Es unterblieben
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Erhalten blieben die entscheidenden baulichen Strukturen einschließlich des Fabrikareals mit den Eisenbahngeleisen, dem Feuerlöschteich, den Werkstätten und Nebengebäu- den – sowie das gesamte Umfeld mit den Arbeiterwohn- häusern, dem Bahnhof, dem Fabrikantenwohnhaus – in einer selten anzutreffenden geschlossenen Form. Erhalten blieb somit ein Industrieensemble von außergewöhnlich hohem historischem Wert. Es repräsentiert auf idealtypi- sche Weise die Strukturen einer Porzellanfabrik, wie sie nicht nur in Nordbayern mit Selb als einstigem „Weltzent- rum der Porzellanproduktion“, sondern fast in ganz Euro- pa bis in die 50er Jahre des 20. Jahrhunderts bestanden.
Aufgrund seiner historischen Bedeutung wurde der Ge- samtkomplex 1988 in die Denkmalliste aufgenommen und in der Folge zum Museum ausgebaut, dem „Europäi- schen Industriemuseum für Porzellan“. Ein Großdenkmal wurde restauriert und wird es immer noch: Mit geringsten finanziellen Mitteln begann 1990 die Sanierung der Ge- bäude. Im Rahmen von AB-Maßnahmen angestellte Kräfte leisteten die ersten Arbeiten. Aufgrund der Dimension des Vorhabens wurde 1993 mit den fördernden Stellen ver- einbart, den Ausbau in mehreren in sich funktionsfähigen Modulen voranzutreiben. 1996 konnte der erste Bauab- schnitt abgeschlossen werden, der zweite 1998, der dritte, 2002 von Staatsminister Hans Zehetmair eröffnet, in Betrieb gehen. Zurzeit ist ein weiterer Abschnitt im Bau.
Mehr als 15 Jahre liegen nun die Anfänge zurück. Während der gesamten Zeit wurde intensiv mit den betei- ligten staatlichen Stellen zusammen gearbeitet: Einerseits mit den Vertretern der zuständigen Stelle beim Bayeri- schen Landesamt für Denkmalpflege, soweit es z. B. die Restaurierung der Gebäude und die denkmalgerechte Nutzung betrifft, andererseits mit den Referenten der Landesstelle für die nichtsstaatlichen Museen im Hinblick auf die Arbeit an der Ausstellungspräsentation und Fort- schreibung des Museumskonzeptes.
Die Fabrik ist als Museum zu neuem Leben erwacht: Mehr als 13 Meter lang ist eine der beiden Dampfmaschi- nen, die einst die Fabrik über die ledernen Transmissions- riemen und stählernen Wellen mit Antriebskraft versorg- ten. Heute läuft sie dank Pressluftgeneratoren von hohem Druck angetrieben wieder unter „Volldampf“. Die riesigen
Mahlsteine des Kollerganges, der einst Feldspat und Quarz zerkleinerte, die tonnenschweren Trommelmühlen im Bereich der Massemühle bilden einen markanten Kon- trast zu der feinsinnigen Arbeit der Modelleure, die wie vor 250 Jahren für die Gestaltung der Formen die Verant- wortung tragen. Unter den Händen der Dreher und Gießer entsteht das rohe Porzellan. Hier findet sich der Drehtisch wie vor fast 300 Jahren, als das Porzellan in Meissen durch Johann Friedrich Böttger und Walther Ehrenfried von Tschirnhaus für Europa entdeckt wurde. In der authen- tisch eingerichteten Dreherei und Gießerei der 1950/60er Jahre mit den Rollern, Gießkarussellen, Elevatoren sind die einzelnen Arbeitsschritte an den realen Arbeitsplätzen zu verfolgen. Die didaktisch aufbereiteten Präsentationen von isostatischen Pressen und Hochdruckgießanlagen dokumentieren die Fabriken von heute. Im Bereich des Brennhauses, wo der Porzellanscherben nach dem Brand seine Weißheit, seine Transparenz und seinen hellen Klang erhält, werden die historischen Rundöfen zu Erleb- niszonen, die die Arbeit in der stickigen und heißen Atmo- sphäre vermitteln. Die Dekorationsvarianten werden er- fahrbar im Buntbetrieb – derzeit noch im Stadium einer Studiensammlung –, wo von der Handmalerei bis zum modernsten Siebdruck die Verfahren der Porzellandeko- ration dargestellt werden. Bei dem Weg durch die Ferti- gungsgeschichte der Europäischen Porzellanmanufak-
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Massemühle der 1920er Jahre: Laufende Maschinen vermitteln einen Eindruck von den Arbeitsbedingungen in der Porzellan- industrie.
turen und -fabriken bleibt zur Technik der Porzellanher- stellung, zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte in diesem Museum kaum eine Frage offen.
Die neue Abteilung: „Weißfertigung – Vom Modell zum fertig gebrannten weißen Porzellan“
Das Konzept der seit Juli 2002 zugänglichen neuen Ab- teilung: „Weißfertigung – vom Modell zum fertig gebrann- ten weißen Porzellan“ wurde von den am Museum selbst angestellten Wissenschaftlern gemeinsam mit der Lan- desstelle für die nichtstaatlichen Museen und dem Innenarchitekten Arthur Pufke, Schwandorf, entwickelt. Das Heinz-Nixdorf-Forum, Paderborn, das weltgrößte Computermuseum, stand beim Einsatz der elektroni- schen Medien mit Rat und Tat zur Seite. Die europäischen Partnerinstitutionen, insbesondere im französischen Limoges, in Sèvres sowie in Stoke-on-Trent in Groß- britannien, zahlreiche Museen, Archive, Forschungsinsti- tute an Hochschulen, Unternehmen aus der Welt des Porzellans, d. h. Porzellanerzeuger, Maschinen- und Ofenbauer: sie alle trugen auf vielfältige Weise wesentlich zum Gelingen bei.
Dass der Rundgang für Alt und Jung stets spannend, at- traktiv und erlebnisreich bleibt, dafür sorgt einerseits das originalgetreu inszenierte Ambiente in den denkmalge- schützten Räumen: Das sind z. B. die Modelleurstube aus dem 18. Jahrhundert, der Gießplatz um 1900, die Dre- herei der 50er Jahre mit ihren Rollermaschinen, dem Trockenelevator, den Putzplätzen, das sind die originalen Rundöfen, die das Bild aller Porzellanfabriken über 150 Jahre prägten. Aber es sind nicht allein diese weitgehend authentisch eingerichteten Arbeitsbereiche, sondern
ebenso die Menschen, die die Besucher dort antreffen: die „Besucherbetreuer“ mit ihren Vorführungen an den laufenden Maschinen. Ihr Tun wird – auf Anmeldung – er- gänzt durch Führungen erfahrener Porzellanarbeiter. Als Zeugen ihrer Zeit geben sie ihr in Jahrzehnten in der „Por- zellinerei“ erworbenes Wissen weiter. Sie sprechen vom Porzellan und seiner Herstellung, dem Leben und Arbei- ten der Menschen, der „Porzelliner“.
Leben, Arbeit, Technik in Geschichte und Gegenwart sind an verschiedenen Stellen mit Hilfe des gezielten Einsat- zes von Medien auf intensive Weise erfahr- und nachvoll- ziehbar: Neue Formen für Porzellan werden heute am Computer entworfen. Ein Film zeigt, wie dies vor sich geht. Flachgeschirr wurde in den Fabriken der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts von Hand gedreht und wird heute isostatisch gepresst. Historische und speziell für die neue Abteilung hergestellte aktuelle Filme dokumen- tieren dies. Die Dimensionen der Maschinen und Aggre- gate in den Porzellanfabriken nahmen immer größere Ausmaße an. Sie in das Museum zu holen, ist nicht mög- lich. Das Konzeptionsteam hat sich aber auch hier einiges einfallen lassen: So mit der Tassentaktstraße, deren Kopf und Abschluss original im Museum aufgebaut sind. Die gesamte Funktion machen in eine dreidimensionale Strichzeichnung integrierte Monitore filmisch deutlich. Ein Tunnelofen ist in der Porzellanfabrik Selb-Plößberg nicht mehr errichtet worden. Doch der Besucher kann trotzdem im „Überwachungs- und Steuerungsraum“ eines solchen Platz nehmen, die Brennkurve verfolgen, aus dem Fens- ter in die Ofenhalle blicken, auf den Überwachungsbild- schirmen sehen, wie die Wagen mit Porzellan beladen werden, wie sie in den Ofen hineinfahren und ihn wieder verlassen. Er hört das dumpfe Brummen, das die Ofen- halle erfüllt. Geruch und Geräusch, Hitze erlebt der Besu- cher hautnah, z. B. wenn er zum Ende des Rundgangs den Nachbau eines modernen Rollenofens, in dem das Geschirr schließlich „glatt-“, d. h. fertig gebrannt wird, durchschreitet. Wie haben die Porzelliner in den Fabriken Europas ihre Arbeit empfunden? In Video-Interviews ge- ben sie Auskunft.
Recherchieren, experimentieren und selbst Hand anzule- gen, auch diese Aspekte wurden nicht vergessen: Auf durch Berühren gesteuerten Monitoren kann man an den verschiedensten Stellen noch mehr Details erfahren, in museumspädagogischen Inseln in den Internet-Auftritten von Hochschulen und Wirtschaftsunternehmen stöbern, selbst Formen zusammensetzen – und, mit einem Griffel in der Hand, virtuell dreidimensionale Gegenstände ge- stalten, dabei tatsächlich deren „Oberfläche“ erspüren. Eine Drehscheibe „anzukurbeln“, wie dies im 18. Jahr- hundert von Kindern gemacht wurde, ist die eine Seite,
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An authentisch eingerichteten Arbeitsplätzen können Arbeits- techniken früherer Zeiten vorgeführt werden.
die andere ist das in Begleitung durchgeführte Experi- ment im museumspädagogischen „Labor“, wie das selb- ständige Gießen und Drehen. Für den Unterricht reser- vierte und auf Klassenstärke ausgerichtete Räume run- den das Angebot ab.
Das Europäische Industriemuseum für Porzellan in Selb- Plößberg präsentiert sich als ein Museum der Vielfalt, als eine eigene Welt: Eine Welt, die mit durchdachten und auf Vermitteln durch Erleben ausgerichteten Schaueinheiten eine neue Attraktion in Nordostbayern darstellen will. Das Museum möchte damit einerseits den Tourismus stärken, anderseits durch das Erschließen der bisher so nicht ge- kannten und vor Augen geführten Welt des Porzellans ein kaum zu gering zu schätzender Werbeträger für das Porzellan und die Porzellanbranche sein. Jung und alt, Schüler und Familien, jede auf ihre Art, können sich hier angesprochen fühlen.
Bereits heute umfasst das Museum eine Fläche von 4.500 m2 und es ist gerade in seinem Sonderausstel- lungsprogramm bewusst vielschichtig angelegt. Dessen Spannbreite reicht von der Arbeit junger Künstler und re- nommierter internationaler Hochschulen im Bereich von Kunst und Design bis hin zu Themen aus dem Bereich der Wirtschafts-, Sozial- und Technikgeschichte. Seit 2003 stehen rund 1.000 m2 für diese wechselnden Ausstellun- gen bereit. Die dafür genutzten Räumlichkeiten wurden durch die „Bauhütte“ des Museums weitgehend in Eigen- leistung hergerichtet. So wurde eine Temperierung einge- bracht, ein Teil der Wände verputzt und, wo dies nicht möglich war, nach dem Vorbild des Musée de la Publicité, Paris, eine Innenwandverkleidung aus Zinkblech herge- stellt, die ein Durchlüften der ursprünglich feuchten Au- ßenwände bei schonendem Umgang mit der historischen Bausubstanz erlaubt, während nach innen weitgehende Sauberkeit gegeben ist.
Perspektiven – ein Blick in die Zukunft
Im Endausbau wird das Europäische Industriemuseum für Porzellan seinen Besuchern eine Ausstellungsfläche von fast 9.000 m2 bieten. Es wird in den kommenden Jah- ren auch in den Bereichen weiter wachsen, die nicht als Ausstellungsräume dienen, und dann mit der Infrastruktur internationaler Institutionen konkurrieren können. Wie sie ist es bestrebt, sich mehr noch als bisher schon zu einem „Servicecenter“ für Kultur wie Wirtschaft zu entwickeln. Aufgrund seiner Lage an einer der interessantesten geo- grafischen „Schnittstellen“ zwischen der heutigen EU und den östlichen Nachbarländern kann es ein idealer Ort der Begegnung werden.
Der zukünftige Eingangsbereich wird den für eine musea- le Institution heute selbstverständlichen Museumsshop bieten, der in Regie eines Privatunternehmens betrieben wird. Der Kassenbereich ist zudem „Info-Center“: Im Hin- tergrund der Kasseninsel wird das gesamte Angebot des Museums aufgeschlüsselt, der Besucher über den Rund- gang, die Inhalte der einzelnen Ausstellungsbereiche, die laufenden Sonderausstellungen und museumspädagogi- schen Aktivitäten informiert. Dass die in Hohenberg an- gesiedelte Abteilung „Deutsches Porzellanmuseum – Mu- seum für Porzellangeschichte, -kunst und -design“ eben- so Berücksichtigung findet, erklärt sich schon daraus, dass beide Museen in ihrer Thematik eng verzahnt sind und sich gegenseitig unverzichtbar ergänzen. Die runde Kasseninsel wird mehr Aufgaben wahrnehmen als nur die
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Eine der „Inseln des Wissens“ mit Touch-Screens zur flexiblen, auch fremdsprachigen Vermittlung und zum spielerischen Arbei- ten am PC
Verkaufsstelle für die Eintrittskarten und Ausgabeort für die geplanten „Audio Guides“ zu dienen. Im Herzen der Porzellanstraße wird das Center „Infothek“ für die touris- tischen Attraktionen und Möglichkeiten im Umkreis sein. So informieren Touchscreen Monitore über Aktivitäten in der Region und erlauben direkten Internetzugang.
Bereits 2004 soll zum 125-jährigen Jubiläum der Rosen- thal AG als nächste Schaueinheit das „Rosenthal-Muse- um“ in diesem Gesamtkomplex entstehen. Und das Ex- periment steht wieder ganz oben an, wenn ab 2005 der zweite Themenschwerpunkt, die Technische Keramik mit all ihren faszinierenden Anwendungsbereichen in Elektro- technik, Elektronik, im Automobilbau, in Chemie und Me- dizin mit ihren Produkten vom Isolator bis hin zum Com- puterchip Ziel des Aufenthaltes sein kann. 2006 geht es im Zeichen des Kändler-Jahres, das dem Begründer der figürlichen Porzellanplastik in Europa an der Porzellanma- nufaktur Meißen, J. J. Kändler, gewidmet ist, den Schau- bereich „Porzellanherstellung in den europäischen Manu- fakturen“ zu widmen. Hier wird gezeigt, wie aus dem Model des Bildhauers die Porzellanplastik entsteht, wel- che speziellen Methoden von der feinsten handgemach- ten Blüte bis hin zum von Hand geschnittenen Durch- bruchrelief die europäischen Manufakturen einst ent- wickelt haben und heute als Wahrer einer bald dreihun- dertjährigen Tradition pflegen.
In absehbarer Zeit wird die Cafeteria mit mehr als 80 Sitz- plätzen folgen. Ein gastronomisches Angebot ist Voraus- setzung für einen besucherfreundlichen Betrieb. Der auf die vielfältigsten Nutzungsvarianten ausgerichtete Mehr- zwecksaal mit rund 200 Sitzplätzen rundet das Angebot in sinnvoller Weise ab. Ausgestattet mit Simultanüberset- zungskabinen wie zeitgenössischer medialer Technik kann er Begegnungsstätte von Wirtschaft, Politik wie Kultur sein.
„Porzellanwelt Selb“
Trotz des zugegebenermaßen noch unfertigen Erschei- nungsbildes im Süden des Areals hat das Museum auch hier schon ausgesprochen reizvolle „Ecken“. Mit seinem Gelände von über 30.000 m2 ist Platz für das Picknick am ehemaligen Feuerlöschteich in romantischer Umgebung wie für das Open Air Konzert. Das große Museumsfest mit nahezu 3.000 Besuchern beweist immer wieder, dass die Menschen gern hierher kommen.
Dort, wo wie vor fast 100 Jahren wohl bald wieder die Werksbahn fährt, dort hat das Fichtelgebirge, dort hat Oberfranken, Bayern und Deutschland eine besondere „Welt“, seine Welt des „weißen Goldes“, seine „Porzel-
lanwelt“. Sicherlich ist davon erst die erste Hälfte zu ent- decken, aber auch diese ist eine bereits jetzt für Groß wie Klein interessante, Erkenntnis wie Erlebnis vermittelnde und attraktive Welt.
Hier in Selb-Plößberg hat Oberfranken ein Museum, wie es wohl sonst nur in großstädtischen Ballungszentren erwartet wird. In Kombination mit dem 15 Kilometer ent- fernten deutschen Porzellanmuseum in Hohenberg an der Eger, wo die Geschichte der Erzeugnisse, ihr Design und ihre Dekoration im deutschsprachigen Raum präsentiert werden, ist dank der Mithilfe und des Engagements vieler, dank des Freistaates Bayern mit seinen Ministerien und Fachstellen, des Bezirks Oberfranken, der Europäischen Union, der Kulturstiftungen und der regionalen Akteure aus Politik, Wirtschaft und Gewerkschaften ein Zentrum zu Gegenwart und Geschichte des Porzellans entstanden und nach wie vor im Ausbau, eine Einrichtung, die inter- national anerkannt und verankert ihresgleichen sucht.
Wilhelm Siemen
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Beim „Gang durch einen Rollenofen“ werden dem Besucher „In- nenansichten“ vermittelt wie das Brausen der Ventilatoren oder Hitze, die durch den Brenner einströmt. Auf Bildschirmen flackert wie in der Realität die Brennerflamme.
Europäisches Industriemuseum für Porzellan, Bahnhofstr. 3, 95100 Selb-Plößberg, Tel. 09287/91800-0, Fax -30, [email protected] www.dt-porzellanmuseum.de
Öffnungszeiten: April bis Oktober Dienstag bis Sonntag 10-17 Uhr
DAS GRENZLAND- UND TRENCKMUSEUM WALDMÜNCHEN
Die Stadt Waldmünchen, Luftkurort im Bayerischen Wald, hat 2001 im historischen „Schergenhaus“ das Grenzland- und Trenckmuseum eingerichtet. Das Einrichtungskon- zept wurde von den Fachkräften des Museumsreferats des Landkreises Cham erarbeitet. Diese fachliche Betreu- ung wird ermöglicht durch das „Chamer Modell“, eine Zweckvereinbarung, in der sich neun Städte und Ge- meinden, u. a. auch Waldmünchen, mit dem Landkreis Cham zusammengeschlossen haben. Der Umfang der Betreuung und die entsprechende finanzielle Beteiligung an den Personalkosten können je nach Arbeitsaufwand des jeweiligen Museums oder Museumsprojekts vari- ieren. Für den Betrieb des Museums hat die Stadt Wald- münchen als Träger darüber hinaus eine Vereinbarung mit dem Museumsverein, der aktiv den Aufbau des Museums begleitet hat, abgeschlossen.
Auf drei Stockwerken präsentiert das Museum die Schwerpunktthemen „Leben an der Grenze“ und „Trenck der Pandur“: Die Stadtgeschichte Waldmünchens war und ist von der besonderen Lage an der Landesgrenze geprägt. Die Beziehung zu den böhmischen Nachbarn, ob Grenzverkehr und Handel oder Krieg und Feindschaft, bestimmte die Entwicklung der Stadt immer in hohem Maße. Seit 1990 haben sich nach dem Fall des „Eisernen Vorhangs“ und der Grenzöffnung zu Tschechien neue Chancen und Perspektiven eröffnet. Franz Freiherr von der Trenck stand während des Österreichischen Erbfolge- kriegs in Diensten von Kaiserin Maria Theresia und bela- gerte unter anderem Waldmünchen. Seit 1950 erinnert das überregional bekannte Freilichtfestspiel an diese his- torische Begebenheit.
Vorarbeiten
Der Eröffnung des Grenzland- und Trenckmuseums Wald- münchen ging eine lange Zeit der Vorbereitung und des Aufbaus voran. Schon seit 1977 arbeitete und sammelte der Verein „Grenzland- und Trenckmuseum Waldmünchen e. V.“ eifrig unter dem damaligen Vorsitzenden Senator a. D. Heinrich Eiber für seinen Vereinszweck, den „Aufbau eines oberpfälzischen Grenzlandmuseums“. 1988 erwarb die Stadt mit dem ehemaligen „Schergenhaus“ ein Ge- bäude, das im Kern bis in das 16. Jahrhundert zurück- reicht und nach den ersten Überlegungen des Architektur- büros Wild, Furth im Wald, für die Einrichtung des Mu- seums geeignet war. Der Museumsverein trug die künfti- gen Exponate in einem Depot zusammen und ordnete sie übersichtlich nach Sachgruppen. Mit großem Engagement fotografierten und inventarisierten die Vereinsmitglieder unter Anleitung der Fachkräfte vom Kultur- und Museums- referat des Landkreises Cham über 1.500 Objekte. Ab
1990 führten Mitglieder des Vereins unter Anleitung von Restauratoren auch einfachere Konservierungs- und Res- taurierungsmaßnahmen durch. Der Verein trat immer wie- der mit gezielten Aktionen zur Förderung des Museums- gedankens an die Öffentlichkeit, wobei die jährlichen Son- derausstellungen zur Vorstellung der Sammlung beson- dere Erfolge waren und eine breite Akzeptanz bei der Be- völkerung fanden. Seit 1980 gibt der Verein in regelmäßi- ger Folge den „Waldmünchner Heimatboten“ mit lokalhis- torischen, heimat- und volkskundlichen Beiträgen aus dem Waldmünchner Raum heraus, ein Kompendium zur Kulturgeschichte der Stadt Waldmünchen, das wertvolle Hinweise auf Themen und Objekte für das Museum gibt.
Nach Vorlage eines Rahmenkonzepts 1991 durch die Fachwissenschaftler des Museumsreferats war man sich mit der Landesstelle für die nichtstaatlichen Museen ei- nig, dass nur ein Spezialmuseum mit einer differenzierten Thematik erfolgversprechend sein könne. Die Landes- stelle begleitete das Projekt beratend und finanziell. Auf- grund des Objektbestands und unter Berücksichtigung der historischen Gegebenheiten wurden die genannten beiden Schwerpunktthemen entwickelt, in einem Rah- menkonzept ausführlich beschrieben und eine Reihen- folge der einzelnen Ausstellungseinheiten vorgeschlagen.
Nach langen Verhandlungen konnte ein tragbares Finan- zierungskonzept aufgestellt werden. Besonders wichtig waren hier auch die Überlegungen, die künftigen Be- triebskosten in den Griff zu bekommen. Dabei wird die Stadt Waldmünchen als Museumsträger sehr durch den Museumsverein unterstützt: Ein ausführlicher Betreiber- vertrag (Geschäftsordnung) legt unter anderem die Ge- währleistung der regelmäßigen Öffnungszeiten durch den
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Einsatz von Vereinsmitgliedern fest. Zur finanziellen Un- terstützung wurde eine Museumsstiftung gegründet.
Konzept
Die Museumsfachkräfte konnten nun beginnen, das Grobkonzept für die Einrichtungsplanung zu verfeinern. Dafür wurde zunächst eine erste Raumaufteilung vorge- nommen und damit die Themenabfolge innerhalb des künftigen Museumsrundgangs festgelegt. In einer Art Drehbuch wurde schließlich die exakte Reihenfolge der Exponate, Texte, Fotos und Filmausschnitte, der Abbil- dungen, Grafiken und Toneinspielungen beschrieben. An- hand dieses Drehbuchs, das darüber hinaus die Präsen- tation der Exponate an Ausstellungswänden oder in Vitri- nen vorgab, konnten nun gemeinsam mit den Museums- gestaltern (atelier-bauernfeind, Viechtach) die Überlegun- gen beginnen, welche gestalterischen und didaktischen Mittel am besten geeignet wären, das jeweilige Thema anschaulich und besucherfreundlich zu vermitteln – eine
schwierige Aufgabe angesichts der relativ beengten Räume und der begrenzten Anzahl geeigneter Originale.
Ergebnis dieser Planungen war eine maßstabsgetreu ge- zeichnete Wandabwicklung. In einem langen Prozess wurden viele Ideen geboren und eingebracht, viele ande- re Gedanken zunächst weiterverfolgt, um dann letztend- lich doch fallengelassen zu werden. Für die optimale Prä- sentation der Exponate, Bilder und Informationstafeln haben die Museumsgestalter eine spezielle, auf die ein- zelnen Räume bzw. Themen zugeschnittene „Museums- landschaft“ installiert. Die Ausstellungseinheiten sind überwiegend „szenisch“ präsentiert; der Besucher ist fast im ganzen Haus von lebensgroßen Fotos umgeben. An geeigneten Stellen wird der Eindruck verstärkt durch Ton, Film, Lichteffekte und Computertechnik. Für die beson- ders engen Gewölberäume im Erdgeschoss wurde eine spezielle Kombination aus schrägem Podest und Boden- vitrine entwickelt. Das Museum bietet so nicht nur Infor- mationen, sondern auch eine abwechslungsreiche und lebendige Reise in die Geschichte, modern und anspre-
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Ein Touch-Screen-Terminal informiert über die Stadtgeschichte
chend präsentiert. Der Rundgang durch das Museum wird für den Besucher zum Erlebnis. Schon vor Beginn des Innenausbaus konnten einige Ausstellungseinheiten am Computer virtuell „begangen“ werden.
Rundgang
Stadtgeschichte und Feuersteinstraße Der Museumsrundgang beginnt mit Informationen zur Waldmünchner Stadtgeschichte. Per Fingerdruck auf den Computerbildschirm (Touchscreen) können die ge- wünschten Daten abgerufen werden. Eine Ausstellungs- einheit ist der „Feuersteinstraße“ zwischen Bayern und Böhmen, dem ältesten Handelsweg Europas, gewidmet. Waldmünchen lag an dieser Verbindungsstrecke zwi- schen Arnhofen und Prag, auf der schon die Menschen der Steinzeit Handelsbeziehungen aufbauten. Als wich- tigster Rohstoff für Werkzeuge und Waffen wurde der in Arnhofener Bergwerken abgebaute Feuerstein gegen an- dere lebensnotwendige Gegenstände eingetauscht.
Hausindustrie und Waldarbeit Der nächste Raum befasst sich mit hausindustriellen Tätigkeiten wie dem Spitzenklöppeln oder Holzarbeiten, mit denen sich viele Bewohner des Grenzgebiets einen Nebenverdienst sicherten. Dasselbe gilt für das Sam- meln von Beeren und Waldfrüchten, das mit der Wald- arbeit in der folgenden Ausstellungseinheit vorgestellt wird.
Waldmünchen an der Glasstraße Für Waldmünchen war vom 16. bis Ende des 19. Jahr- hunderts die Glasproduktion und -veredelung von großer Bedeutung. Anhand mehrerer Fertigungsstufen wird die Produktion eines geschliffenen Kelchglases von den Roh- stoffen bis zum Endprodukt dargestellt. Eine Vitrine zeigt kostbare historische Gläser aus der Produktion der bekannten Firma Nachtmann, die 1834 in Waldmünchen gegründet wurde. Im Reliefmodell der Umgebung Wald- münchens sind die Standorte der ehemaligen Glasbe- triebe eingetragen.
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Abteilung „Trenck-Festspiel“
Beeindruckend ist der Ausschnitt aus einer Glasschleife- rei unter Verwendung von Originalteilen. Vor allem im Ulrichsgrüner Tal gab es im 19. Jahrhundert mehrere Glasschleifen und -polierwerke, welche die geblasenen, groben und unebenen Glasscheiben für Fenster und Spiegel verwendbar machten. Andere Hütten hatten sich auf die Herstellung von Glasperlen für Rosenkränze und Schmuck spezialisiert.
Früher Tourismus Eine neue Einnahmequelle ergab sich seit Beginn des 20. Jahrhunderts mit der neu entdeckten Lust am Reisen. In dieser Museumsabteilung wird der schon um die Jahr- hundertwende einsetzende Fremdenverkehr in Waldmün- chen mit dem böhmischen Berg Cerkov als Naherho- lungsziel vorgestellt.
Auswanderung Die ungünstige Erwerbslage im ostbayerischen Grenz- gebirge war der Hauptgrund, warum viele Familien der Heimat den Rücken kehrten. Auswanderungswellen gab es vor allem im 19. Jahrhundert. Allein aus dem Altland- kreis Waldmünchen wanderten zwischen 1780 und 1950 etwa 1.300 Personen aus, die meisten nach Amerika. Im Museum überquert der Besucher auf einem blauen Bodenbelag symbolisch den Atlantik, die historische New Yorker Skyline mit der Freiheitsstatue in Sichtweite, und wird dann mit dem Schicksal eines 1883 ausge- wanderten Waldmünchener Bäckermeistersohns kon- frontiert.
Café Feichtmayr Zum Abschluss des Rundgangs im Erdgeschoss kann der Besucher Atmosphäre atmen im Ambiente des Cafés Feichtmayr, das bis in die 1970er Jahre als „erstes Haus am Platze“ betrieben wurde.
Der „Eiserne Vorhang“ Der Themenbereich „Grenze“ nimmt die gesamte erste Etage des neuen Museums ein. Bis vor gut einem Jahr- zehnt war die Grenze zu Tschechien durch den „Eisernen Vorhang“ verschlossen, den streng bewachten Stachel- drahtzaun entlang des Grenzverlaufs. Die Grenzöffnung 1990 hat nach einem halben Jahrhundert der Trennung neue Möglichkeiten eröffnet. Den Bewohnern der Grenz- regionen beider Länder hat sich jeweils die vierte, zuvor weitgehend unbekannte Himmelsrichtung erschlossen – für die einen der Westen, für die anderen der Osten. Ein Jahrzehnt nach der Grenzöffnung ist es für die Bewohner der Grenzregion nichts Besonderes, das jeweilige Nach- barland zu besuchen. Die Inszenierung im Museum ver- mittelt die beklemmende Verunsicherung, mit der man zuvor am Grenzübergang stand: Warnschilder, Düsternis, Blinklicht. Nach Durchschreiten des Schlagbaums wird der Museumsbesucher an die Momente der Grenzöff- nung erinnert.
Postgeschichte – Berühmte Reisende Der folgende Bereich berichtet von denen, die die Gren- ze passierten oder passieren wollten. Nach einer Szene mit einer historischen Postkutsche folgt im Museum die Ausstellung über Berühmtheiten, die als Reisende von oder nach Böhmen in Waldmünchen Station mach- ten. So verbrachte der französische Schriftsteller und Politiker François René Auguste Vicomte de Chateau- briand 1833 drei Tage in Waldmünchen, weil ihm der Zöllner in Haselbach zunächst den Grenzübertritt verweigerte. Seinen Aufenthalt in Waldmünchen be- schrieb Chateaubriand später ausführlich in seinen Me- moiren.
Bodenvitrine „Holzschuh-Machen“ in Entwurf ...
... und Ausführung
Schmuggelei Etwas verunsichert mag der Museumsbesucher den nächsten engen Raum betreten. „Mitten im Wald“ liegt eine Figur, zu Boden gestürzt, das Gesicht mit Ruß ge- schwärzt – ein „Schwirzer“. Diese Szenerie leitet über zur großen Ausstellungseinheit über den illegalen grenzüber- schreitenden Handel, den Schmuggel, und über die Widersacher der Schmuggler, Zoll und Grenzpolizei. Hier wird unter anderem eine Auswahl an Gegenständen ge- zeigt, die in den letzten Jahren an den Grenzübergängen beschlagnahmt wurden und an der „Hör-Theke“ kann man den Geschichten ehemaliger Schmuggler lauschen.
Trenck der Pandur vor Waldmünchen Das gesamte 2. Stockwerk ist dem Schwerpunktthema „Trenck und Trenck-Festspiel“ gewidmet. Im ersten Aus- stellungsraum findet sich der Museumsbesucher inmitten einer Theaterszene aus dem Festspiel, umgeben von Figuren in historischen Kostümen. Auf dem Bildschirm laufen Festspiel-Filmausschnitte. In den Vitrinen werden alte Kostüme und Requisiten, Plakate, Programme und Textbücher aus der Geschichte des Festspiels präsen-
tiert. Seit 1950 wird das Festspiel alljährlich aufgeführt, es trägt heute zur touristischen Attraktivität Waldmünchens bei. Man versteht sich als „Trenck-Stadt“, wirbt mit Trenck-Veranstaltungen und Souvenirs.
Der Österreichische Erbfolgekrieg Die folgenden Ausstellungsräume erläutern den histori- schen Hintergrund des Waldmünchener Festspiels. Der bayerische Kurfürst Karl Albrecht meldete nach dem Tod Kaiser Karls VI. (1740) Ansprüche auf die habsburgische Erbfolge an, die allerdings Maria Theresia, die Tochter des Kaisers, als Königin von Ungarn und Böhmen sowie Erz- herzogin von Österreich bereits angetreten hatte. Es kam zum Österreichischen Erbfolgekrieg (1741-1748). 1741 beauftragte Maria Theresia den Freiherrn Franz von der Trenck, ein Freicorps aufzustellen. Innerhalb von drei Wo- chen gelang es Trenck, aus seinen Herrschaftspanduren sowie begnadigten Grenzräubern ein Corps von rund 1.000 Mann zu stellen. Die angeworbenen Leute stamm- ten aus ungarischen und slawonischen Landstrichen. Trencks Panduren waren schnell als disziplinlos und grau- sam berüchtigt. Nach einem Feldzug durch Bayern stan-
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Sequenz „Grenze“
den sie im September 1742 vor den Toren Chams, das sie schließlich brandschatzten und plünderten. Die traurige Bilanz dieses Angriffs waren 42 Todesopfer und über 700 Gefangene. Fast alle Gebäude der Stadt waren niederge- brannt. Von hier zog der Pandurentross weiter nach Waldmünchen. Unter Androhung der Plünderung forderte Trenck fünfzig Speziesdukaten von den Stadtoberen bei sofortiger Bezahlung. Die Stadt lieh das Geld von dem damaligen Bräuverwalter Andre Frank. Insgesamt eignete sich Trenck in Waldmünchen und Umgebung 1.062 Gul- den an und zog anderntags mit seiner Mannschaft weiter nach Böhmen. Weitaus größer war der Schaden, der den Waldmünchnern durch die Einquartierung der Truppen entstand.
Im Museum erinnern Bilder, Gemälde, Kupferstiche, his- torische Waffen und andere Exponate an die damaligen Geschehnisse. Beinahe erschreckend ist für den Besu- cher die überraschende Gegenüberstellung mit drei über- lebensgroßen Pandurenfiguren, gestaltet nach Kupfer- stichen aus der Zeit.
Medienraum Zum Abschluss des Museumsrundgangs bietet der Me- dienraum anhand eines bedienerfreundlichen Computer- terminals (Touchscreen) Gelegenheit, sich mit einzelnen Themen näher zu befassen, historische Bilder oder Film- sequenzen (z. B. Hans Albers als Trenck) in Ruhe auf der Großleinwand zu betrachten. Kinder können beim Com- puterspiel „McCustom“ in die Rolle eines Zöllners schlüp- fen. Es darf mit freundlicher Genehmigung der Eidgenös- sischen Zollverwaltung Bern angeboten werden.
Als Zusatzangebot des Museums kann der Besucher in der „Kristallhöhle“ im Kellergeschoss die als Sammler- stücke begehrten Kristalltiere der Swarovski-Silver- Crystal-Serie oder im Sonderausstellungsraum im Dach- geschoss des Museums eine der mehrmals im Jahr wechselnden Wechselausstellungen bestaunen.
Der Thematik „Grenze“ des Museums angemessen, ist das Faltblatt mit grundlegenden Informationen zum Mu- seum zweisprachig verfasst, so dass in deutscher und tschechischer Sprache geworben wird. Darüber hinaus können tschechische Besucher ein Geheft mit auf den Museumsrundgang nehmen, das sämtliche Ausstellungs- texte in tschechischer Sprache enthält.
Günther Bauernfeind
Grenzland- und Trenckmuseum Waldmünchen, Schlosshof 4, 93449 Waldmünchen, Tel. 09972/307-25 [email protected] www.waldmuenchen.de
Öffnungszeiten: 15. März bis 31. Oktober und 15. Dezember bis 15. Januar Dienstag, Samstag, Sonn- und Feiertage 14-17 Uhr
DAS FRÄNKISCHE FREILANDMUSEUM IN FLADUNGEN Gedanken zu Aufbau, Konzept und Zukunftsperspektiven
Absichten und Vorgaben
Als sich zum 1. Januar des Jahres 1983 der Träger des fränkischen Freilandmuseums in der Form eines Zweck- verbandes konstituierte, waren fünf Jahre intensiver Diskussion um die Inhalte und das Ziel sowie vier Jahre politischer Auseinandersetzung um die grundlegende Notwendigkeit und den sichtbaren Nutzen einer solchen Museumsneugründung ihrem vorläufigen Ende zugeführt. Die Mitglieder des Zweckverbandes – der Bezirk Unter- franken, der Landkreis Rhön-Grabfeld und die Stadt Fla- dungen – einigten sich darauf, gemeinsam dieses Grün- dungswerk anzugehen und es gemäß ihrer Intention in seiner Existenz dauerhaft zu erhalten: „Der Zweckver- band Fränkisches Freilandmuseum Fladungen hat die Aufgabe, in der Stadt Fladungen für die Siedlungsgebiete Spessart, Rhön und Grabfeld ein ,Fränkisches Freiland- museum‘ zu errichten und zu betreiben. In diesem Mu- seum sollen die wesentlichen baulichen Anlagen mit verschiedenen Einrichtungen, die Lebensweisen und Ge- wohnheiten der Bewohner und das überkommene länd-
liche Siedlungswesen Unterfrankens dargestellt werden. Neben der Dokumentation der überlieferten Kultur und Lebensart dient das Fränkische Freilandmuseum Fladun- gen auch der Förderung des Fremdenverkehrs.“ (Präam- bel der Vereinbarung des Zweckverbandes)
Die Darstellung historischer Sachverhalte also und die Förderung des Fremdenverkehrs wurden als anzusteu- ernde Ziele des Museums formuliert. Welche Gedan- kengänge lagen diesen auf den ersten Blick doch recht disparaten Zielvorgaben zugrunde?
Als erstes darf man wohl die im Zuge des Denkmaljahres 1975 sensibilisierte öffentliche Meinung über den gene- rellen Erhalt von Geschichtszeugen anführen, mit der Notwendigkeit, auch das historische ländliche Milieu und dessen Bauwerke zu berücksichtigen. Diese Strömung zeichnete unter anderem auch für die Anlage der neuen Denkmallisten verantwortlich. In diesem Zusammenhang spielte natürlich der Rettungsgedanke eine Rolle, und da dieser dem Museum mit seiner Verpflichtung zum Erhalten
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Wiederaufbau des Hauses Oberhohenried: Aus den Außenwänden wurden die Gefache entnommen, die Innenwände (verpackt) werden als Ganztafeln wiedereingesetzt.
stets immanent ist, lag nichts näher, als die Fürsorge für wenigstens einige der als bedroht erachteten Zeugnisse ländlichen Bauens und Lebens in ein Museum zu verla- gern und hier ihren Erhalt sicherzustellen. Die Museums- gattung „Freilandmuseum“ musste dazu nicht erfunden werden: Sie existierte bereits seit 100 Jahren und war in der Zeit nach dem 2. Weltkrieg auch für Deutschland fruchtbar entdeckt worden. Seit 1979 war vor der Haustür Unterfrankens in Bad Windsheim ein solches Museum im Entstehen, dessen erste öffentliche Erfolge zur Nachah- mung geradezu herausforderten.
Fladungen, die nördlichste Kommune Unterfrankens, lag zum damaligen Zeitpunkt weniger als zwei Kilometer von der Grenze zur DDR entfernt. Diese Randlage führte seit 1945 zu einer spürbaren Benachteiligung in der gesamten wirtschaftlichen Entwicklung. Neue Anstöße erhoffte man sich nun vor allem vom Tourismus, der in jenen Jahren von den Wirtschaftsministerien auf Bundes- und Länder- ebene gerade in benachteiligten Randgebieten erheblich gefördert wurde. Der Standort Fladungen war für solche Förderungen aufgrund seiner Grenzlage prädestiniert, ein Museum hier in hohem Maße förderfähig und durchaus imstande, innerhalb der regionalen Anstrengungen zur Hebung und Steuerung des Fremdenverkehrs ein ge- wichtiges Wort mitzureden. Das im Ort schon seit über 50 Jahren existierende Rhön-Museum zeigte mit damals über 30.000 Besuchern jährlich mögliche Erfolge an.
Der Inhalt und die Anlage des Freilandmuseums, dessen zu schaffende Substanz, wurden mit der zitierten Aufga- benbeschreibung grob umrissen – dazu gab es grund- legende Vorplanungen und Abstimmungsgespräche, die in konkrete Vereinbarungen mit dem Museum in Bad Windsheim mündeten. In ihnen legte man die Grenzen der jeweiligen Einzugsbereiche fest, die historische Tiefen-
schürfung, wenn man so will, wurde angesprochen und eine differenzierte Zusatzthematik für jedes der beiden Museen festgestellt. Gleichzeitig wurde aber auch der zentrale Anspruch von Bad Windsheim für die Bauformen Unterfrankens zurückgewiesen.
Konzeptionelle Abklärungen
Nach dieser Abstimmung mit dem Bad Windsheimer Mu- seum, einem der heute wichtigsten Freilandmuseen in Deutschland, konnte Fladungen als eigenständig operie- rende Einrichtung die Feinabstimmung hinsichtlich seiner Thematik, seiner zeitlichen und räumlichen Einschränkun- gen angehen. Die nun gewonnenen Rahmenbedingungen zu seiner Arbeit seien noch einmal kurz in Erinnerung ge- rufen, da sie in der Lage sind, die doch etwas allgemein formulierte Aufgabenbeschreibung der oben zitierten Sat- zungspräambel zu ergänzen oder zu kommentieren.
Das Einzugsgebiet des Museums umfasst das gesamte nördliche Unterfranken bis zum Mainlauf. Innerhalb des Maindreiecks stellt der Lauf der Wern eine Überschnei- dungszone zum Einzugsgebiet von Bad Windsheim dar. Der unterfränkische Anteil am Odenwald wird der Fürsorge des Freilichtmuseums in Walldürn-Gotterdorf (Baden- Württemberg) überlassen. Zu Hessen und Thüringen hin werden in Einzelfallprüfung die Landesgrenzen respektiert.
Das Museum rückt das nachmittelalterliche ländliche Bauwesen Unterfrankens in den zentralen Blickpunkt sei- nes Interesses, da Bad Windsheim das mittelalterliche Bauen in Franken als die wichtigste und durchaus spek- takulärste Schwerpunktsetzung thematisiert hatte und mittlerweile beeindruckend vor Augen führt. Demgegen- über eröffnet sich für Fladungen aus der besonderen Siedlungs- und der in ihrer Folge entwickelten Satzungs- genese des unterfränkischen Dorfes heraus der weite Be- reich der gemeindlichen Architektur. Mit dem Einbeziehen ihrer überlieferten Bauten ist die besondere Thematik an- gesprochen, der sich Fladungen verpflichtet fühlt. Die allgemeine Zielsetzung unterscheidet sich wenig von der anderer moderner Museumskonzeptionen, die ihr Haupt- augenmerk darauf legen, die festgestellte Bandbreite des bäuerlich-ländlichen Bauens auch in dessen sozialer und wirtschaftlicher Bedingtheit zu berücksichtigen und Bau- ten auch unter diesem Aspekt als potentielle Übertra- gungskandidaten zu betrachten. Das heißt nichts ande- res, als dass die Gebäude, die im Museum zur Darstel- lung des Themas herangezogen werden, nicht zufällig hier stehen, sondern als Analyseergebnis ihrer Darstel- lungsmöglichkeiten unter vorher festgelegten und an ih- nen wirklich festgestellten Gesichtspunkten.
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Eingangsbauten des Museums von Parkplatz und Bahnsteig aus gesehen
Die Aufgaben- und auch Zielvorstellung in diesem Sinne zu formulieren, zu beachten und notfalls zu ändern (wenn z. B. aus der Betrachtung und Beschäftigung neue Aspekte erstehen), gilt zu Recht als der Anteil der wis- senschaftlichen Arbeit im Museum. Sie aber damit in ihre Grenzen zu weisen, meint nichts anderes, als ihr die Fähigkeit und Möglichkeit abzusprechen, prinzipiellen Einfluss auf die weitere hervorgehobene Zielvorstellung zu nehmen: die Förderung des Fremdenverkehrs aus der Attraktivität des Museums heraus.
Auch wenn eine aktive Tourismusbeeinflussung im allge- meinen Verständnis anderen Gegebenheiten, Vorstellun- gen und Regeln folgen mag, bleibt die wissenschaftliche Tätigkeit doch die Grundlage auch dieser Zielvorgabe. Wie das? Indem die konzeptionellen Überlegungen ver- ständlich und logisch dargelegt werden und in ihrem wirk- lichen Vortrag (in den Realien nämlich) nachvollziehbar in ihren Voraussetzungen, erfahrbar in der gebauten Exis- tenz, wissensbereichernd in der Interpretation und daher attraktiv auftreten. Attraktivität ergibt sich alleine aus dem
Wechsel der Standpunkte innerhalb des einen großen Themas und dem jetzt auch ganz real gemeinten Arran- gement dieses Aspektewechsels im Museum selbst. Diese Überzeugung geht natürlich von der Voraussetzung aus, dass das Museums auch und vor allem eine Bil- dungseinrichtung ist, der Museumsbesucher in sinnvoll genutzter Freizeit sein Wissen und sein Informations- bedürfnis erweitern will, und die Wissensvermittlung mit dem „Bereiten von Freude“ verbunden sein sollte, wie Kilian Kreilinger gelegentlich anmerkte.
Das „Bereiten von Freude“ – oder eine Unterhaltungszu- gabe, wie man es auch nennen könnte – kann dann auch Sache eines Beiwerkes im Sinne von „Dekorum“ sein, das auf das Thema abgestellt ist. So dachte man bereits in den Vorüberlegungen des Jahres 1981 daran, die Wie- derinbetriebnahme der stillgelegten Nebenbahnlinie Mell- richstadt – Fladungen unter der Regie des Museums zu überprüfen (R. Worschech). Sie fand dann nach massi- vem „politischem Bretterbohren“ (F. Steigerwald) 100 Jahre nach der ersten Inauguration 1898 statt.
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Das Museumsgelände
Das Museumsgelände als reale Grundlage wurde ab 1986 sukzessive im Rahmen einer innerörtlichen Flurneu- ordnung von Fladungen bereitgestellt. Seine Lokalisie- rung folgte keinen konzeptionellen Überlegungen, son- dern ergab sich aus pragmatischen Gesichtspunkten: Es liegt in unmittelbarer Nähe zum Siedlungskern Fladun- gens, es eröffnete sich die Möglichkeit, ein bestehenden Mühlengebäude miteinzubeziehen und es ist nur sehr ein- geschränkt landwirtschaftlich nutzbar, daher für die örtli- chen Bauern entbehrlich. Seine schöne landschaftliche Lage in der Talaue der Streu, mit Fließgewässern reich gesegnet, und die nächste Nachbarschaft zum Bahn- hofsgelände sind eine willkommene Dreingabe. Mit etwas mehr als 7 ha Ausstellungsfläche mag es im Vergleich zu anderen Freilandmuseen klein erscheinen, übt aber da- durch einen sanften Zwang zu einer auch konzeptionell gewollten Konzentration des zu übertragenden Baube- standes aus.
So wurde diese Fläche, die durch den mittig durch- fließenden Bachlauf geteilt ist, auch gemäß der Prove- nienz der Museumsexponate zweigeteilt: Südlich des Ba- ches werden Bauten aus den Hassbergen, dem Grabfeld und dem nördlichen Schweinfurter Umland errichtet, nördlich davon Bauten aus der Rhön, dem Spessart und ihrem unmittelbaren Umland. Diese Zweiteilung besitzt auch aus der Betrachtung des rezenten Altbaubestandes heraus ihre Berechtigung, denn man kann zweifellos Un- terschiede in den Bauausführungen vom westlichen zum östlichen Unterfranken nördlich des Mains herausarbei- ten, die auf verschiedenen Betrachtungsebenen zu finden sind. Während für die Gebäude aus dem östlichen Unter- franken von vornherein eine kompakte und zentrierte Baufläche ausgewiesen wurde, werden die Gebäude aus dem westlichen Unterfranken entlang eines Wegkreuzes aufgereiht. Beide Bereiche sind auf eine allmähliche bau- liche Verdichtung hin angelegt.
Ein dritter Bauabschnitt wurde von Anfang an in die Planung zur Geländenutzung miteinbezogen: der Bahn- damm mit seinen Gleisanlagen, Verladeflächen und Ge- bäuden. Er erwies sich beim Aufbau nicht nur der besu- cherorientierten Infrastruktur als äußerst wertvoll, denn hier konnten die Parkplätze und ein lang gezogener Bahnsteig für den Eisenbahnbetrieb angelegt werden. Nachdem das Kopfende des Dammes zurückgebaut worden war – Fladungen war ein sogenannter Sack- bahnhof –, fand man hier auf Anregung K. Kreilingers den idealen Standort für das unerlässliche Museumsgasthaus nebst Tanzsaal, Biergarten und Eingangshalle. Das später angekaufte Bahnhofsgebäude wurde zur Museumsver-
waltung ausgebaut, das dazugehörige Waschhaus zu einem Verkaufsladen für regionale Produkte, in der Lager- halle entstand ein Materialdepot für den Bahnbetrieb. Dies allerdings waren Ergebnisse einer Feinplanung, die erst Anfangs der 90er Jahre vorgenommen wurde und bis 1997 realisiert wurde.
Zunächst ging es darum, erste Museumsexponate zu übertragen. Am Anfang stand der Erhalt der stark ruinö- sen „Äußeren Mühle“ von Fladungen, deren Standort in das Museumsgelände mitaufgenommen worden war.
Umgang mit Gebäuden als Museumsexponate
Als man mit den Bauarbeiten an dieser Getreidemühle begann, fand gerade eine intensive Diskussion über die
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Neugeschaffene bauliche Zusammenhänge mit Kirchenumgriff und Hof Rügheim
Arbeitsweisen in Freilandmuseen statt, die auf die Klärung des Dokumentstatus der den Museen überant- worteten Gebäude hinauslief. Sie schloss gleichermaßen den „handwerklichen“ Umgang mit der Bausubstanz – Stichworte dazu waren: Wahrung der Authentizität im Bezug zur Originalität – als auch den interpretativen An- satz zu deren Darstellungsmöglichkeiten ein: Was soll, was kann dargestellt werden? Man sollte nicht vergessen, dass zu jenem Zeitpunkt das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege übertragenen Gebäuden das Prädikat „Baudenkmal“ absprach. Fragen der dauerhaften Erhal- tung der teuer translozierten Objekte traten als Beitrag der Restauratoren zu dieser durchaus kontrovers geführ- ten Debatte hinzu. In Fladungen schloss man sich natür- lich nicht von diesen Diskussionen aus, sondern man beteiligte sich im Gegenteil aktiv daran. Die Ergebnisse flossen konkret in die Museumsarbeit ein.
Jede Beschäftigung mit einem Gebäude, das in ein Muse- um überführt wird, beginnt ganz positivistisch mit der Frage nach der Originalität des Bauganzen und, darin ein- gebettet, seiner Teile. Da Häuser („Häuser“ als Pars-pro- toto-Bezeichnung) von ihren Bewohnern stets als Gegen- stände intensiver, täglicher Nutzung betrachtet werden, stellt sich von vornherein nicht die Frage nach einer Ori- ginalität, wie sie an Kunstwerke gerichtet wird, sondern das Augenmerk richtet sich auf Sachverhalte des Unver- änderten aus der initialen Baulösung, die gegenwärtig noch feststellbar sind. Originalität ist also der Bauzustand, den der Erbauer bei Einzug intendiert und erreicht hatte.
Diese Jungfräulichkeit haftet normalerweise nicht lange dem Gebäude an, sondern der Umgang mit und in ihm unterzieht es einem täglichen Verschleiß, dem der Nutzer durch Renovierungen und Änderungen begegnet. Geän- derte Vorstellungen und Gegebenheiten von einer zweck- mäßigen Nutzung, von Wohnkomfort bis hin zu Umwid- mungen erzeugen in einem fort Veränderungen an der Originalität, die als Umbauten, Verbauten, Anbauten und Einbauten, an geänderten Materialien und Oberflächen unmittelbar ablesbar sind. Ein solches Baugebilde ist nicht mehr original, sondern in seiner Originalität be- schnitten, ergänzt, umgebildet. Es ist hingegen authen- tisch in der Gesamtheit seiner Umbildungen, wenn man diese Umbildungen unter dem Gesichtspunkt seiner Nut- zungen im kontinuierlichen oder auch abrupten Wandel betrachtet und das Gebäudeganze als Objekt interpre- tiert, das im Zeitfluss gestanden hat.
Dieser Ansatz zwingt zur Beachtung aller festgestellten Baulösungen und deren Einordnung in eine zeitliche Ab- folge, bei der die Frage nach der Originalität noch inso- fern von Bedeutung ist, als sie sich objektiv und authen-
tisch am Bestand feststellen lässt. Ist dies in hohem Maße der Fall, kann man auch von weitgehender origina- ler Authentizität in seiner Patina sprechen. Erreicht man die Originalität initialer Baulösungen jedoch nur durch Rückbauten, liegen streng genommen Rekonstruktionen vor, denen eine ideelle, erschlossene Originalität wohl innewohnen kann, aber die faktische fehlt, da sie nur noch fragmentarisch angetroffen wurde. Es geht also da- rum, Originalität in diesem Sinne und nicht nur sie, son- dern auch die „Originalität“ der Veränderungen genau zu beachten, sie in ihrer faktischen Authentizität zu sichern und zu dokumentieren, um so die gesamte Bandbreite möglicher Baurekonstruktionen offen zu halten. Im „handwerklichen“ Umgang, im Aufdecken und Präparie- ren authentischer Fragmente liegt denn auch der erste Aufgabenbereich eines Freilandmuseums, das zu einer
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Bauliche Verdichtung im Bauabschnitts I des Ausstellungsgelän- des: Zentrierung bei der Kirche
exakten Bestimmung jedes einzelnen Gebäudes führt: es zeigt sich als individueller Katalog von Baulösungen sei- ner Nutzer im Laufe der Zeit; es ist nicht mehr nur Objekt, hergestelltes Artefakt, sondern darüber hinaus Träger von Informationen beigeordneter oder übergeordneter Sach- verhalte und Lebensumstände.
Die Summe der authentischen Fragmente, seien sie origi- nal oder später hinzugefügt, die mit und im Haus über- liefert wurden, können nur durch das Beiziehen komple- mentärer Quellen zum informationsgefüllten Objekt selbst, sowie durch das Einknüpfen und Erweitern bereits vorhandenen Wissens hinsichtlich bei- oder übergeord- neter Sachverhalte einer Ordnung zugeführt werden. Sie mündet in die Frage, was dargestellt werden kann und soll. Jetzt eröffnet sich der Spielraum zur Interpretation, der natürlich die Fragen des wie berührt: wie haben sie gebaut, wie haben sie gelebt und gewirtschaftet. Es wird dann aber auch die Frage nach dem warum relevant, die sich bei der Betrachtung bauspezifischer Lösungen stellt. Sie ist deshalb wichtig, weil sie auch Antwort auf eine mögliche Individualität des Gebäudes gibt bzw. das ein- zelne Gebäude in einen Strang von Bautraditionen auf verschiedenen Ebenen einordnet, die es exemplarisch zur Darstellung bei- oder übergeordneter Sachverhalte er- scheinen lassen. Mehr noch: sie stellt sich bereits bei der Auswahl eines Bauobjektes für ein Freilandmuseum, das ja gehalten ist, einen Überblick über das historische Bau- geschehen einer Region anzubieten. Ganz beiläufig lösen sich in diesem Verfahren die Gegensätze auf: Durch die eingehende Behandlung wird das Objekt zu einem indivi- duellen Zeugen für generelle historische Sachverhalte, die an ihm darstellbar werden. Es geht nun auch bei der Auswahl nicht mehr darum, ob ein Gebäude aus der Mehrzahl seiner Gattungsvettern durch „Schönheit“ oder Repräsentation in einer seiner Betrachtungsebenen he- rausragt oder im Gegenteil als „typisch“ – was immer auch das sein mag – bezeichnet wird, sondern inwieweit es in der Lage ist, als authentischer Informationsträger darstellbar zu sein, aus dem sich Erkenntnisse über das Wirken von Menschen in einem gegebenen zeit-räumli- chen Rahmen ziehen lassen.
Die Darstellung im Museum – auch die reale – ist daher vielmehr Interpretation als Rekonstruktion: als Interpre- tation stellt sie Authentizität vor, wenn, wie bereits ange- merkt, die zur handwerklichen Rekonstruktion herange- zogenen Fragmente äußerst sorgfältig als Belege beach- tet werden und ihr Vorhandensein bzw. ihre Aufdeckung berechtigten Anlass dazu geben, in ihnen Reste eines ehedem existent gewesenen integralen Ganzen zu sehen. Sie allein besitzen den Dokumentcharakter, der eine Inter- pretation nachvollziehbar macht.
Aus diesem Grund fand auch in den Jahren des Mu- seumsaufbaus ein intensiver Gedankenaustausch über Methoden der Gebäudeübertragung statt, der zu dem all- gemeinen Konsens führte, dass lediglich die sogenannte Ganztafelübertragung in der Lage sei, das Maß an Au- thentizität zu gewährleisten, das zu nachvollziehbaren Interpretationen notwendig ist. Deren Handhabung er- streckt sich mittlerweile auf alle Konstituenten eines Ge- bäudes, soweit es dessen Erhaltungszustand in situ zulässt. Andernfalls werden die zur Interpretation not- wendigen Fragmente aus dem Gebäudeganzen in toto herausgelöst, unabhängig transportiert und am neuen Standort wieder eingebracht bzw. als Primärdokumente identifizierbar gesichert verwahrt. Dieses gewiss sehr ar- beitsintensive und finanziell sehr aufwändige Vorgehen belebte in einem Nebeneffekt auch die Debatte um die Denkmalwürdigkeit der Gebäude, die in ein Museum übertragen wurden, neu und führte zu einem überra- schenden Ergebnis.
Gebäudeauswahl – Darstellungsziele
Man mag den Begriff „Interpretation“ vielleicht überzogen nennen, wenn es lediglich darum geht, anhand von Be- funden frühere Zustände eines Gebäudes in unterstellter erschlossener Gänze zu rekonstruieren. Er wird jedoch einleuchtend, wenn man den Begriff des „Darstellungs- zieles“ in die Debatte einführt. Die Formulierung eines Darstellungszieles geht wie die Formulierung von Aus- wahlkriterien auf die Frage nach dem Warum angetroffe- ner Baulösungen ein, die mehr oder weniger direkt ables- bar sind oder aufgedeckt wurden – auch sie setzt Ursa- chenforschung voraus, die im Rahmen größerer Zusam- menhänge in regionaler, historischer und sozialer Hinsicht angesiedelt ist. Allein das Heranziehen dieser Zusam- menhänge bei der Betrachtung eines Gebäudes und die darin implizierten Fragestellungen geben einen Interpre- tationsfilter vor, der insofern individuell und auch sub- jektiv ist, als er den spezialisierten Wissensstand und die theoretischen Ansätze zu einem Erkenntnisgewinn des Interpreten widerspiegelt, aber auch allgemein, da das individuelle Wissen innerhalb des allgemeinen Kenntnis- standes einbezogen schlüssig und nachvollziehbar vor- zutragen ist.
Der Ansatz des Interpretationsfilters steht aber nicht, wie schon erwähnt, erst am Ende der Auseinandersetzung mit dem einzelnen Gebäude, sondern er muss bereits bei der Auswahl eines Gebäudes parat sein und an das ein- zelne Obje