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Beerenanbau im Rheinland
Im Jahr 1938 gelangten aus der damaligen Rheinprovinz 8.006 t Erdbeeren auf den Markt. Dies
entsprach 32,2 % der damaligen Produktion. Damit war das Rheinland weit vor Hessen-Nassau und
Sachsen das mit Abstand wichtigste Produktionsgebiet. Der Anbau erfolgte im Vorgebirge, im
Koblenzer Raum und im Raum Opladen. Wichtige Sorten waren 'Deutsch Evern' und 'Madame
Moutot'. Aufgrund der Marktnähe ging ein großer Teil der Produktion in den Frischmarkt, während
ansonsten mehr als die Hälfte der Beerenproduktion verarbeitet wurde. Frostung war noch nicht
eingeführt. Ein großer Teil der Beerenfrüchte wurde verarbeitet zu Marmelade, Sirup, Saft oder auch
zu Obstweinen.
Unterschiedliche Pflanzqualitäten Einbringen von Stroh
(Langer, 1936: Lebl's Beerenobst und Beerenverwertung) (aus Funke, 1960: Erdbeeranbau mit Gewinn)
Beerenobst wurde zur damaligen Zeit in einem großen Umfang in Hausgärten zur Selbstversorgung
angebaut. Der Vorteil liegt hier in den relativ sicheren Erträgen und in der kurzen Kulturzeit. Daneben
spielte der Erwerbsanbau eine zunehmende Rolle.
Feldmäßiger Anbau von Erdbeeren Verpackung und Pflücksteige mit Kalibrierhilfe
(aus Gross, 1940: Der Obst- und Gemüsemarkt) (aus Funke,1960: Erdbeeranbau mit Gewinn)
Vor allem in kleineren Betrieben spielte der Beerenanbau eine wichtige Rolle. Erdbeeren standen mit
Gemüse in einer Fruchtfolge. Sie war eine wichtige Verkaufsfrucht und brachte früh im Jahr die ersten
Einnahmen. Strauchbeeren wurden vor allem zur Verarbeitung angebaut. Aber auch der Frischmarkt
spielte eine Rolle.
Bei Stachelbeeren wurden beispielsweise zunächst ganze Triebe zur Grünpflücke entfernt und
anschließend ließ man die verbleibenden Früchte für den Frischmarkt ausreifen. Auch über den
Intensivanbau machte man sich bereits Gedanken. Kreisobstbauinspektor Zippelius, Kaarst empfahl
1931 in der Rheinischen Monatsschrift den Anbau von Stachel- und Johannisbeeren am Drahtspalier
und hob die gute Pflückleistung bei dieser Kultur hervor. Eine geübte Pflückerin schaffte beim
Spalieranbau von Stachelbeeren 120 bis 140 Pfund in 8 Stunden, während es in der Buschform 60 bis
80 Pfd. waren.
Auch wenn sich der Anbau natürlich in den vergangenen 80 Jahren sehr gewandelt hat, ist vieles mit
den heutigen Kulturverfahren durchaus vergleichbar. Der Pflanzabstand bei Erdbeeren lag bei 80 x 25
cm. Bis in die 1960er Jahre hinein wurde zwei und dreijährig angebaut. Die Pflanzung erfolgte als
wurzelnackte Grünpflanze, aber auch Topfgrünpflanzen waren bekannt. Eine Stroheinlage wurde
ebenfalls durchgeführt. Die Bekämpfung der Krankheiten und Schädlinge unterschied sich natürlich,
hatte aber auch Ähnlichkeiten. Bei Strauchbeeren wurde gegen pilzliche Erkrankungen
Kupferkalkbrühe eingesetzt, gegen Blütenstecher Pyrethrum. Als Blattlausmittel wurde bis in die
1950er Jahre Nikotin verwendet. In den 1960er Jahren fanden Mittel wie "E 605", "Metasystox" oder
"Thiodan" Einzug in den Erwerbsobstbau.
In den 60er Jahren veränderte sich die Struktur
des Anbaus dann deutlich. Aufgrund des
steigenden Wohlstandes ging das Interesse an
der Eigenversorgung in den Hausgärten zurück.
Gleichzeitig war der Anbau für die industrielle
Verwertung kaum noch rentabel.
Erste Versuche zur maschinellen Ernte von
Beerenobst, u.a. in Köln-Auweiler, waren zwar
erfolgreich, konnten aber den Niedergang der Versuche zur mechanischen Ernte von Schwarzen
Produktion für die Verarbeitung nicht aufhalten. Johannisbeeren in Köln-Auweiler im Jahr 1969
Gleichzeitig stieg das Interesse der Verbraucher an frischen Produkten. Dementsprechend stieg in
Westdeutschland die Produktion von Erdbeeren für den Frischmarkt deutlich an. Sie hatte sich von
1960 bis 1967 mehr als verdoppelt und betrug zu diesem Zeitpunkt 39.000 t (heute beträgt die
Produktion ca. 160.000 t/Jahr).
In den 1970er Jahren begann bei Erdbeeren die Zeit der Selbstpflücke. Es wurde noch Eingemacht und
viele Familien pflückten auf den Selbstplückfeldern körbeweise Erdbeeren. In der Anbautechnik hatte
inzwischen die Frigo-Pflanze Einzug gehalten. Sie ermöglichte auch Ackerbaubetrieben Pflanzungen
auf größerer Fläche auch ohne Beregnung vorzunehmen. Dies machte die Anlage von verkehrsgünstig
gelegenen Selbstpflückfeldern oft erst möglich. Gleichzeitig führte dies aber auch gelegentlich zu
einem Konjunkturanbau, der zu Marktstörungen führte. In der Produktionstechnik standen mit
"Venzar" und "Betanal" Blatt- und Bodenherbizide zur Verfügung, die den feldmäßigen Anbau
deutlich erleichterten. Zur Botrytisbekämpfung wurde "Euparen" eingesetzt. Das Sortiment veränderte
sich deutlich. Die seit den 50ger Jahren im Erdbeeranbau dominierende Sorte 'Senga Sengana' wurde
von moderneren, vor allem holländischen Sorten wie 'Induca', 'Tenira', 'Tago' oder 'Elvira' verdrängt.
Das Pflücken übernahmen überwiegend türkische Landsleute, auch Asylbewerber fanden häufig auf
den Erdbeerfeldern Arbeit. Im Jahr 1975 fand der erste Beerenobsttag der Fachgruppe Bonn-Rhein-
Sieg in der Stadthalle in Bornheim statt, organisiert vom Obstbauberater Hans Stadtmüller.
In der 1980er Jahren dehnte sich der Erdbeeranbau kontinuierlich aus. Die schweren
Winterfrostschäden beim Baumobst 1985 führten dazu, dass Kernobstbetriebe auch vermehrt in den
Erdbeeranbau einstiegen, um entstandene Ertragsausfälle zu kompensieren.
Gegen Ende des Jahrzehnts wurde dann die holländische Erdbeersorte 'Elsanta' in die Betriebe
eingeführt, die aufgrund ihrer hervorragenden Ertrags- und Fruchteigenschaften bald den Anbau
dominierte. Erst in den letzten Jahren hat sie ihre führende Stellung verloren, aber nach wie vor wird in
der Erdbeerzüchtung nach einer neuen 'Elsanta' gesucht. Bei Himbeeren wurde mit 'Autumn Bliss' eine
leistungsfähige reine Herbstsorte eingeführt. Bei Roten Johannisbeeren begann man mit dem Anbau
der spätreifenden Sorten 'Rovada', die bis heute die Standardsorte geblieben ist.
Versuchsanbau von Erdbeeren im Wander- Anbau von Erdbeeren in Substratdämmen im Tunnel
tunnel in Köln-Auweiler
In den 1990er Jahren begannen die ersten Schritte zur Intensivierung. Bei Erdbeeren wurde die
Dammkultur eingeführt. Die Saisonverlängerung durch Doppelabdeckung, Strohverspätung,
Terminkultur und den Anbau von remontierenden Erdbeeren wurde immer wichtiger. Auch wurden
die ersten Erdbeeren in geschützten Substratkulturen angebaut. Bei Himbeeren entstanden ebenfalls
die ersten geschützten Anlagen. Vor allem Herbsthimbeeren wurden unter Regenkappen kultiviert. Bei
Brombeeren stand erstmals mit 'Loch Ness' eine wirklich leistungsfähige und schmackhaft stachellose
Sorte zur Verfügung. Bei Himbeeren wurde die alte Standardsorte 'Schönemann' durch die
leistungsfähigere kanadische Sorte 'Tulameen' abgelöst.
Anzucht von „Long Canes“ bei Himbeeren Herbsthimbeeren im geschützten Anbau
Durch die politischen Veränderungen mit der Wiedervereinigung Deutschlands war jetzt der Einsatz
osteuropäische Saisonarbeitkräfte in der Landwirtschaft möglich. Dies führte dazu, dass Erntekräfte in
ausreichender Zahl relativ sicher zur Verfügung standen und so eine weitere Ausdehnung des
Beerenanbaus ermöglicht wurde.
Ab 2002 und beschleunigt ab 2005 entstanden dann zur Ernteverfrühung Wandertunnel. Erste Anlagen
wurden im Vorgebirge und schon bald danach im gesamten Rheinland errichtet. Die Technologie war
zwar schon länger bekannt aber die Wirtschaftlichkeit war nicht sicher gegeben. Hier dürfte auch die
Einführung des Euro die Entwicklung beschleunigt haben, denn notwendige höherer Preise waren
aufgrund veränderter Preisschwellen einfacher durchzusetzen. Daneben hat sicherlich eine wichtige
Rolle gespielt, dass einige innovative Betriebe vorpreschten.
Anbau von Himbeeren mit gekühlten Ruten Stelllagenkultur bei Erdbeeren
Auch die Entwicklungsarbeit zum geschützten Anbau in der Versuchsanstalt in Köln-Auweiler führte
zu verlässlichen Beratungsempfehlungen, so dass das Investitionsrisiko reduziert werden konnte. Bei
Strauchbeeren, insbesondere bei Himbeeren veränderte sich der Anbau sehr stark. Der traditionelle
mehrjährige Himbeeranbau wird zugunsten eines einjährigen geschützten Anbaus, überwiegend mit
gekühlten Ruten, reduziert.
Diese Art des Himbeeranbaus hat in Erdbeerbetriebe Einzug gehalten, die sich damit ein zweites
Standbein aufgebaut haben. Durch den terminierten Anbau können heute aus der Region Himbeeren
von Mitte Mai bis Mitte November angebaut werden. Brombeeren werden heute ebenfalls überwiegen
geschützt angebaut. Auch hier beginnt der Anbau mit gekühlten Ruten.
Stelllagenkultur bei Erdbeeren
Das Rheinland hat sich im Beerenobst in den letzten Jahren zur technologisch führenden Region in
Deutschland entwickelt. Mehrere Dinge fließen hier zusammen: innovative Betriebe, die hohe Anzahl
der Verbraucher, die Nähe zu den Niederlanden, eine leistungsfähige Versuchseinrichtung in Köln-
Auweiler, eine spezialisierte Obstbauberatung und schlagkräftige Vermarktungseinrichtungen. Neben
der Vermarktung über die Erzeugergenossenschaft und einen hohen Anteil an Direktvermarktung hat
sich der Fruchtgroßhandel hier in Region deutlich stärker entwickelt als in anderen Regionen
Deutschlands.
Heute werden in Nordrhein in ca. 300 Betrieben Erdbeeren und in ca. 200 Betrieben Strauchbeeren auf
2000 ha produziert. Die Hälfte der Betriebe dürfte inzwischen in irgendeiner Weise geschützt anbauen.
Dabei spielt insbesondere der Wandertunnel bei Erdbeeren eine herausragende Rolle. Inzwischen wird
allerdings auch zunehmend in Stellagenkulturen investiert.
Großes Interesse der Beerenobstanbauer am Auweiler Tunneltag 2013
Der Beerenanbau muss sich aktuell neuen Herausforderungen stellen. Zum einen wird die Einführung
des Mindestlohns die Produktionskosten deutlich erhöhen, zum anderen hat sich mit der
Kischessigfliege (Drosophila suzukii) ein sehr gefährliche Schädling auch im Rheinland etabliert, der
sich massiv auf die vorhandene Produktionstechnik auswirken wird. Das Rheinland ist sicherlich gut
gerüstet, um sich den neuen Herausforderungen zu stellen und wird auch in Zukunft seine Bedeutung
im Beerenanbau behalten.
Ludger Linnemannstöns, im Februar 2015
Quellennachweis:
Rheinische Monatsschrift
Gross, Paul (1940): Der Obst- und Gemüsemarkt, Verlag Niemann&Moschinski, Hamburg, Berlin
Landwirtschaftskammer Rheinland (1974): Festschrift 75 Jahre Landwirtschaftskammer Rheinland
Langer, G. A. (1936): Lebl's Beerenobst und Beerenverwertung, Paul Parey, Berlin
Funke. W (1960): Erdbeeranbau mit Gewinn, DLG-Verlag, Frankfurt