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19 DAS MAGAZIN 24/2011 Mittwochnacht, 6. April Der Faden reisst am vierten Tag. Lapetanha, Dorf der Surui, irgendwo im Amazonasbecken. Ein Reporter tritt im Dunkeln aus der Laubhütte, Pinkeln war die Idee, und tappt ins Bodenlose, trotz Taschenlampe. Pech. Der rechte Fuss legt sich quer, der Patient flucht in den Urwald hinaus, lauter noch als die Brüllaffen, die man manchmal frühmorgens argumentieren hört. Er liegt im Schlamm, es ist Regenzeit. Hunde versam- meln sich, das Ereignis zu bebellen, interessierte Indios folgen. Schnell schwillt das Sprunggelenk auf Pampelmusengrösse an. Indianer legen den Patienten zurück in die Hängematte, die er besser nie verlassen hätte in dieser Nacht. Dienstag, 5. April Die Luft ist so feucht, dass man sie trinken könnte. Häupt- ling Almir Narayamoga Surui, Federkrone auf dem Kopf und Badelatschen an den Füssen, steht in seinem Territorium neben einer frisch gepflanzten Brasilkastanie und drückt ein paar Tas- ten auf dem GPS-Gerät in seiner Hand. Die exakte Position des Setzlings ist registriert. Ein junger Indio hat Pfeil und Bogen dabei, es gibt Jaguare im Wald, man weiss nie. Nebenan, auf der Motorhaube eines schlammverkrusteten Pick-up-Trucks, sitzt der Genfer Thomas Pizer und hält einen Laptop auf dem Schoss. Via Satellit gelangen Längen- und Breitengrad der Pflanze in den Computer, ein neuer Punkt taucht auf in Pizers digitaler Karte des wiederaufgeforsteten Gebietes, Karte der Hoffnung, es ist Baum Nr. 103 712. Mit Pizers Hilfe haben die Surui in den letzten Jahren mehr als hunderttausend Bäume gepflanzt. Pizer blickt aus seinem schweissverklebten Gesicht zum Himmel, sagt «merde!» und klappt den Computer zu. Gleich wird es wieder regnen. Almir-Worte: «Wenn der Wald stirbt, sterben auch die Su- rui. Aber die Welt braucht den Wald. Also braucht sie auch uns, die Wächter des Waldes.» Er sagt immer solche Sachen. Immer in seinem geflüsterten Zeitlupen-Portugiesisch, von Monsieur Pizer in den langen Pausen zwischen den Sätzen ins Englische übersetzt, verläss- lich wie das Echo. Die beiden sind ein seltsames Paar. Klein und leise der Visionär aus dem Dschungel, gross und laut sein Gehilfe aus der Zivilisation. Hier der Ureinwohner, der sich der Mittel der Moderne bedient, dort der Computerfreak aus der Ersten Welt, der das Ursprüngliche liebt und die Natur ret- ten will. Kriegserfahren sind sie beide, Almir als Mitglied der Kriegerkaste unter den Surui, welche die weissen Siedler not- falls auch mit Gewalt vertreibt, Pizer als Rotes-Kreuz-Veteran, der fünfzehn Jahre in den übelsten Konfliktgebieten der Welt verbrachte. Almirs Mutter hat Pizer vor ein paar Jahren als Fa- milienmitglied adoptiert und ihm einen Surui-Namen gegeben, «No Honira Iuwai», der Mann vom grossen Berg, weil er aus dem Land der Alpen stammt. Almir und Thomas sind Brüder. «Manchmal nennen sie mich auch Mekopoi», sagt Thomas Pizer, «das heisst ‹fetter Jaguar›.» Er klopft sich auf den Bauch und lacht. Dann nimmt Gott eine Dusche. Regen, wasserfallartig. Alles fliesst, der Wald ist jetzt ein Sumpf. Und nach ein paar Minuten brennt wieder die Sonne, fliegen die Papageien auf. Pizer streift das Wasser aus seinem Seehundschnauz, Almir BEI DEN REGENWALD REBELLEN Tief im brasilianischen Dschungel kämpfen Häuptling Almir und der Stamm der Surui mit modernsten Hilfsmitteln wie Internet, GPS und Google Earth gegen die Holzfäller. Das CO2, das ihr Wald spei- chert, wollen sie zu Geld machen, und wo gerodet wurde, pflanzen sie neue Bäume an. Der Schweizer Thomas Pizer hilft ihnen dabei. Ein Dschungeltagebuch von GUIDO MINGELS Bilder ANDRI POL

Bei den Regenwald-Rebellen

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Tief im brasilianischen Dschungel kämpfen Häuptling Almir und der Stamm der Surui mit modernsten Hilfsmitteln wie Internet, GPS und Google Earth gegen die Holzfäller. Das CO2, das ihr Wald speichert, wollen sie zu Geld machen, und wo gerodet wurde, pflanzen sie neue Bäume an. Der Schweizer Thomas Pizer hilft ihnen dabei.

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Mittwochnacht, 6. AprilDer Faden reisst am vierten Tag. Lapetanha, Dorf der

Surui, irgendwo im Amazonasbecken. Ein Reporter tritt im Dunkeln aus der Laubhütte, Pinkeln war die Idee, und tappt ins Bodenlose, trotz Taschenlampe. Pech. Der rechte Fuss legt sich quer, der Patient flucht in den Urwald hinaus, lauter noch als die Brüllaffen, die man manchmal frühmorgens argumentieren hört. Er liegt im Schlamm, es ist Regenzeit. Hunde versam-meln sich, das Ereignis zu bebellen, interessierte Indios folgen. Schnell schwillt das Sprunggelenk auf Pampelmusengrösse an. Indianer legen den Patienten zurück in die Hängematte, die er besser nie verlassen hätte in dieser Nacht.

Dienstag, 5. AprilDie Luft ist so feucht, dass man sie trinken könnte. Häupt-

ling Almir Narayamoga Surui, Federkrone auf dem Kopf und Badelatschen an den Füssen, steht in seinem Territorium neben einer frisch gepflanzten Brasilkastanie und drückt ein paar Tas-ten auf dem GPS-Gerät in seiner Hand. Die exakte Position des Setzlings ist registriert. Ein junger Indio hat Pfeil und Bogen dabei, es gibt Jaguare im Wald, man weiss nie. Nebenan, auf der Motorhaube eines schlammverkrusteten Pick-up-Trucks, sitzt der Genfer Thomas Pizer und hält einen Laptop auf dem Schoss. Via Satellit gelangen Längen- und Breitengrad der Pflanze in den Computer, ein neuer Punkt taucht auf in Pizers digitaler Karte des wiederaufgeforsteten Gebietes, Karte der Hoffnung, es ist Baum Nr. 103 712. Mit Pizers Hilfe haben die Surui in den letzten Jahren mehr als hunderttausend Bäume

gepflanzt. Pizer blickt aus seinem schweissverklebten Gesicht zum Himmel, sagt «merde!» und klappt den Computer zu. Gleich wird es wieder regnen.

Almir-Worte: «Wenn der Wald stirbt, sterben auch die Su-rui. Aber die Welt braucht den Wald. Also braucht sie auch uns, die Wächter des Waldes.»

Er sagt immer solche Sachen. Immer in seinem geflüsterten Zeitlupen-Portugiesisch, von Monsieur Pizer in den langen Pausen zwischen den Sätzen ins Englische übersetzt, verläss-lich wie das Echo. Die beiden sind ein seltsames Paar. Klein und leise der Visionär aus dem Dschungel, gross und laut sein Gehilfe aus der Zivilisation. Hier der Ureinwohner, der sich der Mittel der Moderne bedient, dort der Computerfreak aus der Ersten Welt, der das Ursprüngliche liebt und die Natur ret-ten will. Kriegserfahren sind sie beide, Almir als Mitglied der Kriegerkaste unter den Surui, welche die weissen Siedler not-falls auch mit Gewalt vertreibt, Pizer als Rotes-Kreuz-Veteran, der fünfzehn Jahre in den übelsten Konfliktgebieten der Welt verbrachte. Almirs Mutter hat Pizer vor ein paar Jahren als Fa-milienmitglied adoptiert und ihm einen Surui-Namen gegeben, «No Honira Iuwai», der Mann vom grossen Berg, weil er aus dem Land der Alpen stammt. Almir und Thomas sind Brüder.

«Manchmal nennen sie mich auch Mekopoi», sagt Thomas Pizer, «das heisst ‹fetter Jaguar›.» Er klopft sich auf den Bauch und lacht.

Dann nimmt Gott eine Dusche. Regen, wasserfallartig. Alles fliesst, der Wald ist jetzt ein Sumpf. Und nach ein paar Minuten brennt wieder die Sonne, fliegen die Papageien auf. Pizer streift das Wasser aus seinem Seehundschnauz, Almir

BEI DENREGENWALD–

REBELLENTief im brasilianischen Dschungel kämpfen Häuptling Almir und der Stamm der Surui mit modernsten Hilfsmitteln wie Internet, GPS und Google Earth gegen die Holzfäller. Das CO2, das ihr Wald spei-chert, wollen sie zu Geld machen, und wo gerodet wurde, pflanzen sie neue Bäume an. Der Schweizer Thomas Pizer hilft ihnen dabei.Ein Dschungeltagebuch von GUIDO MINGELS Bilder ANDRI POL

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Was vom Urwald übrig blieb

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Thomas Pizer sucht guten Handyempfang

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wringt sein T-Shirt aus. Der Chief lacht und sagt wie zur Ent-schuldigung: «Amazônia!» So ist das eben hier, in Amazonien, zur Regenzeit.

Montag, 4. AprilEs ist ein weiter Weg nach Lapetanha. Wenn Thomas Pizer

aus Genf anreist, was er jedes Jahr tut, um ein bis zwei Monate zu bleiben, muss er zuerst nacheinander vier Flugzeuge bestei-gen, die immer kleiner werden. Dann führt der Highway BR-364 von einem Kaff namens Ji-Paraná in ein Nest namens Cacoal, eine dreistündige Slalomfahrt mit dem Jeep um die Löcher herum, die der Regen und die riesigen Soja-Transporter, die zu Dutzenden auf der Gegenfahrbahn donnern, in den Asphalt gerissen haben. Die Strasse ist Teil der Nord-Süd-Schneise, die Brasilien in den Sechziger- und Siebzigerjahren in den Urwald getrieben hat, um den wilden Nordwesten des Landes gemäss der Losung «Land ohne Leute für Leute ohne Land» mit weis-sen Farmern aus dem Süden zu besiedeln. «Dass noch ein paar Eingeborene im Wald lebten, war Nebensache», sagt Pizer vom Beifahrersitz aus, mehrere Stämme wurden ausgerottet. Almir, am Steuerrad, knurrt Zustimmung.

Die Autobahn säumen heute Brettersiedlungen, wie über Nacht hingeworfen. Stundenhotels mit Namen wie «Petit Paris» und «Mon Amour» laden die Truckerfahrer zur Rast, und wenig erinnert daran, dass hier noch vor ein paar Jahrzehnten nichts war ausser undurchdringlicher Wald. Verbrannt, zersägt, ver-kauft. Buckelrinder starren über Zäune. Die Fleischwirtschaft

ist der Hauptfeind des Dschungels, viel gieriger als der Holz-raubbau; um Weideflächen für Vieh zu gewinnen, werden ganze Landstriche entwaldet. 40 Prozent des tropischen Regenwalds der Welt liegen in Brasilien, die Lunge des Planeten, ein Fünf-tel davon ist verloren, noch mal so viel beschädigt. Zwischen 1996 und 2005 verschwanden jährlich im Durchschnitt 20 000 Quadratkilometer Wald, die halbe Fläche der Schweiz. Nir-gendwo ging mehr kaputt als hier, im Bundesstaat Rondônia, der auf Google Earth aussieht wie wegschraffiert: Wo Weiss ist, war Kahlschlag, dazwischen sind grüne Flecken, verschon-tes Gebiet.

Eines davon ist das auf ein Zehntel der ursprünglichen Flä-che geschrumpfte Land der Surui, dem Almirs Jeep Chevrolet sich jetzt nähert. Eine Buckelpiste zweigt vom Highway ab ins Nirgendwo, noch zwei Stunden bis zum Ziel. Neben den schäbigen Rinderfarmen stehen bunt bemalte Holzkirchen, sie tragen Namen wie «Igreja Martin Lutero», Zeugnis der Evangelikalen-Bewegung, die den Indianern ihre Götter aus-trieb. Manchmal starren seltsam blonde Bauern dem Wagen hinterher, Nachfahren von im 19. Jahrhundert eingewanderten Deutschen. Sie blicken düster, sie kennen ihren Feind. Almir macht ihnen das Leben schwer.

«Willkommen am Ende der Welt», sagt Thomas Pizer. Bei der Ankunft ist es Nacht im Dschungel. Die Unterkunft ist eine kunstvoll gefertigte Blätterhütte, Maloca genannt, zwischen deren Tragebalken zwei Indios nun wortlos Hängematten verknoten. Es gibt noch ein paar Survival-Tipps vom Genfer. Beim Aufstehen immer erst mit der Taschenlampe die Stelle

Berater Pizer mit Clederson im Büro der Surui

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beleuchten, auf die man den Fuss setzen will. Dann, bevor man hineinschlüpft, die Schuhe untersuchen, es könnte ein Skor-pion drinsitzen. Besser nachts nicht pinkeln gehen, und wenn doch, dann immer mit der Taschenlampe das Gelände ableuch-ten. «Wegen der Schlangen», sagt Pizer, und bittet darum, ihn herbeizuholen, wenn irgendwo eine Kobra oder eine Python auftauche, nicht aber einfach draufloszuschreien. «Sonst kom-men die Indios und hauen die Schlange tot», während er selbst die Tiere mit einem Stock in den Wald zurückzuscheuchen pflegt. Schlangen töten, das findet er nicht gut. Es ist das einzige Thema, bei dem er und Almir in Streit geraten.

Dienstag, 5. AprilDer Häuptling, 36, Herrscher über 1300 Ureinwohner und

2500 Quadratkilometer Land, liegt beim Frühstück in seiner Hängematte, während Clederson, Rony, Arildo, der dicke Paulo und wie sie alle heissen auf weissen Plastikstühlen im Lehm- boden um ihn herumsitzen wie das Gefolge um einen König. Almir schlürft eine wilde Papaya. Für Pizer ist der Mann ein Held, ja gar ein «Mahatma Gandhi der Öko-Bewegung», wie er sich ausdrückt. Sein Kampf hat ihn berühmt gemacht, er ist bei der UNO in New York und beim Klimagipfel in Kopen-hagen samt Federschmuck aufgetreten, San Francisco hat ihn zum Ehrenbürger ernannt. Prince Charles empfing ihn zu Ge-sprächen im Buckingham-Palast, Jane Goodall hielt Vorträge mit ihm, und Al Gore hat angekündigt, ihn im Dschungel zu besuchen. Mit Evo Morales, dem indianischen Präsidenten

Boliviens, tauscht er sich regelmässig über Facebook aus. Er hat inzwischen 28 Länder bereist, trotz Flugangst. Almir erinnert sich an seine erste Reise ins Ausland, nach Washington, wo er als 23-Jähriger in Verhandlungen mit der Weltbank erfolgreich für Reparationszahlungen an indigene Völker stritt. Des Engli-schen nicht mächtig, wollte er nach der Ankunft im erstbesten Restaurant seinen Hunger stillen, indem er mit dem Finger auf zwei zufällig ausgewählte Gerichte auf der Speisekarte zeigte. Die Kellnerin brachte einen Teller Sushi und ein Stück Schokoladentorte.

Almir schaukelt in der Hängematte und erzählt von seinem Plan. Er hat einen 50-Jahres-Management-Plan. Den gibt es auch als PDF-Dokument, und er hat ihn auf seinem USB-Stick am Schlüsselbund immer dabei. Darin steht, dass die Surui eine Million Bäume pflanzen wollen. Dass sie illegale Rodungen in ihrem Gebiet, ungefähr so gross wie das Tessin, mithilfe von Satellitenbildern ausfindig machen und bekämpfen. Dass sie die traditionelle Kultur der Surui wiederbeleben wollen, um sie mit der Moderne zu vereinen. Dass sie therapeutische Öle aus dem Copaiba-Baum und andere indigene Arzneien herstellen wollen für den Weltmarkt. Und vor allem, dass sie die Millio- nen Tonnen von Kohlendioxid, die in ihrem Wald gespeichert sind, auf dem weltweiten Emissionshandel zu Markte tragen wollen. «Der Preis für eine Tonne CO2 liegt derzeit bei 5 bis 10 Dollar», weiss Almir.

Im Dorf wohnen hundert Menschen in einem guten Dut-zend Hütten, manche aus Holz und mit Betonfundament, manche in der traditionellen Bauweise aus geschichteten Palm-

Ureinwohner mit Breitbandanschluss: Häuptling Almir

Häuptling Almir trat vor der UNOin New York auf, er war am Klimagipfel in Kopenhagen, er war zu Besuch bei Prince Charles, und nächstens soll er im Urwald Besuch von Al Gore erhalten.

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zweigen über einer Pfahlkonstruktion. Früher war dies eine Siedlung von weissen Holzfällern, welche die Surui mit Pfeil und Bogen vertrieben haben, nachdem die Behörden ihnen 1981 die Grenzen ihres Landes garantierten. Der Staat hat irgend-wann auch eine Stromleitung gezogen, es gibt Kühlschränke und Fernseher, aber kein Telefonnetz. Hässliche nasse Hunde streunen herum, auf dem schiefen Fussballplatz, der die Dorf-mitte ist, steht ein einsamer Ackergaul. Ein paar zahnlose Alte mit bronzener Haut grüssen freundlich aus Fenstern, Kinder spielen mit einem gezähmten, angeleinten Affenbaby. Alle haben die gleiche, helmartige Frisur, und alle tragen, seit sie nicht mehr nackt gehen, bunte ausgeleierte T-Shirts, die ihnen die Missionare geschenkt haben, viele davon mit Bibelsprüchen versehen. Die Surui verteilen sich auf 25 solche Dörfer, die sie sämtliche wie Schutzforts an den Einfallstrassen am Rand ihres Reservats angelegt haben, um die Holzwilderer abzuschrecken. Es funktioniert.

Thomas Pizer stellt seinen Vater vor. Marimob Surui ist 88 Jahre alt, ein Mann aus einer anderen Zeit, geboren in einer anderen Welt. Er trägt die traditionelle Gesichtstätowierung der Surui, wie man sie nur noch bei den Alten sieht, eine u-för-mige Linie rund um die Wangen und eine lächelnd gebogene Querlinie über der Lippe. Im Loch, das er als junger Mann mit einer Akaziendorne durch den Knorpel unterhalb seiner Nasenscheidewand gestochen hat, steckt zum Schmuck eine lange rote Feder. Früher war er selber Clanchef, und noch heute ist er der militärische Führer der Surui, wenn es einen brauchen sollte. Der beste Bogenschütze in diesem Wald.

Einmal, so weiss jedes Kind in diesem Dorf, rannten bei der Jagd vier Wildschweine auf Marimob zu; statt davonzulaufen, tötete er sie alle vier mit vier Pfeilen. Thomas Pizer erzählt, dass sein Surui-Vater, als er ihn vor zwei Jahren mit in die Schweiz nahm, auf Einladung des Sportbogenschützenvereins von Nyon-Gland auf deren Anlage am Genfersee eine Probe seines Könnens gab. Mit seinem alten Holzbogen und den Bambuspfeilen traf der Greis über die olympische Distanz von 70 Metern mehrfach ins Schwarze.

«Ich war 46 Jahre alt, als ich zum ersten Mal einen Branco, einen Weissen, sah», sagt Marimob, in der Sprache der Surui, Tupi Mondé, die nur aus Vokalen zu bestehen scheint; er hat nie Portugiesisch gelernt. Das war am 7. September 1969, dem Tag des ersten Kontakts der Surui mit der Zivilisation. Ihr Reser- vat ist nach diesem Datum benannt: Terra Indígena Sete de Setembro. Weniger als zwei Generationen ist das her. Es gibt Filmaufnahmen davon, man sieht, wie die Weissen Äxte, Ma-cheten und Kochtöpfe als Willkommensgaben in die Bäume am Waldrand hängen, wie dann ein paar nur mit Penisschutz beklei-dete Indianer zögernd aus dem Gehölz treten, die Geschenke betrachten und den Brancos die Hand reichen. Es ist den Surui nicht gut bekommen. Von ursprünglich 5000 überlebten bis 1980 nur 290, der Rest starb an Epidemien, an Hunger und an den Anpassungen an die Moderne. Almir sagt, als er mit 17 Jah-ren zum Häuptling gekürt wurde, wusste er: «Wenn wir nicht kämpfen, wenn wir nichts ändern, werden wir vollkommen verschwinden.» Er weiss auch, dass es kein Zurück gibt, dass die Zeit, als die Surui sich nur von der Jagd und den Früchten

Marimob Surui, der pensionierte Clanchef

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des Waldes ernährten, den sie als Halbnomaden durchzogen, nicht wiederkehren wird.

Almir-Worte: «Das Alte kann nicht leben ohne das Neue und das Neue nicht ohne das Alte.»

Am Dorfrand liegt die Baumschule, die Thomas Pizer mithilfe eines Forstingenieurs angelegt hat. Ein eingezäuntes Geviert mit einem Vorrat von Hunderten von Setzlingen, die später, wenn sie am Ort ihrer Bestimmung in den Boden gesetzt werden, zu Urwaldriesen wachsen sollen. Vor den verschiede-nen Beeten stehen die Namen der Baumarten, Mahogany, Ipé Lapeh, Aroeira, Castagnera, Açai. Ein Schild weist auf einen von Pizers Sponsoren hin, Canton de Genève, Département de la solidarité internationale. Vor sieben Jahren begann seine Arbeit mit den Surui. Er bekam ein E-Mail aus dem Dschungel, Almir hatte ihn via Google gefunden. Der Häuptling schrieb: «Ich habe gelesen, dass du mit deiner Organisation Aquaverde Aufforstungsprojekte im Regenwald unterstützt. Bitte hilf uns.» Almir hatte Lagepläne und Tabellen mit Datenmaterial dazuge-schickt, «Excel-Tabellen! Aus dem Regenwald!», sagt Thomas Pizer, noch heute erstaunt. So kamen sie zusammen. Bei Pizers Aquaverde-Stiftung können Firmen und Privatleute als Spon-soren auftreten für zu pflanzende Bäume. Manche sponsern für 15 Franken einen einzigen Baum, grössere Firmen spenden Tausende Pflanzen, das Geld ist steuerlich absetzbar.

Nebenan machen Rony und Clederson von Hand Feuer. Wie es die Alten machten, eine Darbietung für den Gast. Sie reiben einen Zweig auf einem Stück Holz, es dauert lange. Der alte Mo-piri, der dazukommt, fragt: «Warum nehmt ihr kein Feuerzeug?»

Renato hat in einem Baum in der Nähe das Nest eines Ko-libris entdeckt, ein paar frisch geschlüpfte Jungvögel schlafen darin. Ein gutes Zeichen. Der Kolibri, Beija Flor genannt, habe eine wichtige Rolle in der Surui-Mythologie, sagt Thomas Pizer. Almir erzählt ein Gleichnis, Pizer übersetzt. Einmal brannte der Wald. Das Feuer bedrohte alle Tiere. Beija Flor flog darüber hinweg und liess einen Tropfen Wasser fallen, den Brand zu löschen. Die anderen Tiere lachten ihn aus. Der Vogel sagte: Immerhin habe ich es versucht, habe meinen Teil geleistet. — So, sagt Chief Almir, fühle er sich manchmal auch, angesichts der Grösse der Aufgabe und der ihm zur Verfügung stehenden Mittel. Aber, sagt er, «wir können die Welt nur verändern, wenn wir ein Beispiel setzen».

Donnerstag, 7. AprilMorgens um fünf krähen die Hähne. Es gibt mehr Hähne

als Hühner. Dem Patienten ist das egal, an Schlaf war eh nicht zu denken: Der Fuss, er dröhnt. Dann taucht, in Gummistiefeln, ein Indio auf mit einem T-Shirt, auf dem «Nature 4 Sale» steht, er wird dem Patienten als Agamemnon vorgestellt. Er heisst wirklich so. Agamemnon hat ein paar Äste in der einen Hand und eine Machete in der andern, mit der er die Äste geschlagen hat. Er kommt aus dem Wald zurück, wo er nach einem Baum namens Capixanapoa suchte, der heisst wirklich so. Und nach dem Nest einer bestimmten Ameisenart, die er auf dem Fuss des Patienten aussetzen wollte, man sagt dem Urin der Insek-ten schwellungslindernde Wirkung nach. Er fand zum Glück

Vom Jagen allein werden die Surui nicht mehr leben können. Dschungel-Tattoo, made by Surui

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Gott nimmt eine Dusche.

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Töfflibuben im Dschungel

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nur den Baum. Agamemnon, siegreicher Feldherr gegen Troja, schält die Rinde von den Ästen, tunkt die Fasern in einer Schale mit Wasser und reibt, während zwei Indianerinnen, Irene und Elsa, das Bein hochhalten und dabei ein melodieloses Lied singen, die Brühe behutsam um den geschwollenen Fuss. «Das Zeug nicht trinken, sonst stirbt man», übersetzt Thomas Pizer, der inzwischen auch aufgestanden ist und dem Spektakel zu-schaut, eine Warnung Agamemnons. Tatsächlich kribbelt der Fuss bald angenehm, kurz darauf ist er überhaupt nicht mehr zu spüren. Als wäre er abgefallen. Die Tinktur, erklärt Aga-memnon, töte den Schmerz. Thomas Pizer sagt: «Da kommen wir hierher, um den Wald zu retten. Aber der Wald rettet uns.»

Der Häuptling übernimmt persönlich den Transport ins Spital, ein Gast ist verletzt, Chefsache. Wieder ein paar Stunden Buckelpiste. Almir hat eine CD eingelegt, auf der schwer erträg-liche alte Schamanengesänge der Surui zu hören sind. «Surui», erzählt der Chief auf der Fahrt, sei nicht der richtige Name seines Volkes, es sei bloss das Wort, das ein anderer Stamm für sie benutze, es bedeutet «Feind», aber der Begriff hat sich bei den Weissen durchgesetzt. Sie selbst nennen sich «Paiter», was so viel heisst wie «wahre Menschen». Der Gesang handelt vom Ursprungsmythos der Tiere, demgemäss am Anfang der Zeit ein grosser Jaguar viele Menschen verschlang, worauf der Schöpfergott, Palob, aus den Knochen die verschiedenen Tierarten erschuf. Während er solche Dinge mit einer Selbst-verständlichkeit erklärt, als wären sie vollkommen einsichtig, erreichen wir ein Gebiet mit Handyempfang, und Almirs iPhone klingelt. Seine Frau ist dran. Er hat zwei Frauen, beide

sind Weisse, eine lebt in einem Haus nahe dem Reservat, die andere in der Bezirkshauptstadt Porto Velho, mit beiden hat er Kinder. Polygamie gehört zur Tradition der Surui, zwei Frauen seien bescheiden für einen Häuptling, sagt Almir, sein Freund Itabira, Chief eines anderen Clans, habe fünf. Endlich schiebt er eine andere CD ins Radio: Jethro Tull.

Der Patient liegt auf einer Pritsche des Spitals São Luca in der Stadt Cacoal, Geburtsabteilung, woanders war kein Platz frei. Häuptling und Schweizer weichen nicht von seiner Seite. Eine Ärztin schaut auf den blauen Fussklumpen, sagt «Sieht ziemlich gebrochen aus» und ordnet Röntgenbilder an. Dann ein paar Stunden warten.

Thomas Pizer, auf einem Eimer hockend, erzählt sein Leben. Die Mutter war Krankenschwester, der Vater, austra-lisch-polnischer Herkunft, Ingenieur am Teilchenbeschleuniger Cern. Als sein Urgrossvater von Polen nach Australien aus-wanderte, kappten Einwanderungsbeamte im Pass das sperrige Pizersky zu Pizer. Thomas wurde Fotograf, wollte fürs Rote Kreuz fotografieren, doch die stellten ihn als Gesandten ein. Eine Woche, nachdem er eine Mission in Sierra Leone antrat, brach dort der Bürgerkrieg aus. In einem iranischen Gefäng-nis, wo er irakische Häftlinge besuchte, geriet er in eine Ge-fangenenrevolte. In Kroatien entging er um ein Haar einem Bombenanschlag, in Sri Lanka wurde sein Auto aus Helikoptern beschossen. Pizer hat seine sieben Leben aufgebraucht, doch er winkt ab: «Die Autobahn zwischen Lausanne und Genf zur Hauptverkehrszeit ist gefährlicher als jeder Bürgerkrieg.» Nach-dem er in Kambodscha beinahe eine Tochter des regierenden

Im Dorf leben gut hundert Menschen in Hütten aus Holz oder Palmzweigen.

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Prinzen Sihanouk geheiratet hätte, verliebte er sich später in eine ruandische Krankenschwester, mit der er bis heute ein altes Bauernhaus teilt in Avully bei Genf. Im Jahr 2000 quittierte er den Dienst, frustriert von der Arbeit als Kriegssymptombe-kämpfer, und fing an Bäume zu retten.

Könnte er noch mal von vorne beginnen, sagt Pizer, würde er nur noch Umweltschutz machen. Verglichen mit den Be-drohungen durch ökologische Katastrophen, glaubt er, seien kriegerische Konflikte eine geringe Gefahr für die Menschheit. Er mag Fantasy-Filme, mit Helden und bedrohten Planeten, das Hintergrundbild auf seinem iPhone zeigt Master Yoda, den koboldartigen Jedi-Ritter aus «Star Wars». Er mag auch «Avatar» von James Cameron. Wenn man den Kitsch weglasse, sagt Pizer, gäbe es viele Parallelen zwischen den Surui und dem fiktiven Stamm der blauhäutigen Na’vi im Film. «Es geht um die Verbundenheit mit der Natur, die Bedrohung durch Eindring-linge, die Bereitschaft zum Kampf. Die Rettung einer Welt.»

Die Ärztin ist wieder da. Nichts gebrochen, nur gerissen. Der Patient kriegt eine Schiene um den Fuss, die aussieht wie ein Skischuh, und ein paar Krücken. Und eine Morphiumsprit-ze. Zurück in den Wald.

Dort, am Abend: In einer Ecke der Hütte sitzt schweigend eine Kröte, gross wie ein Meerschweinchen. Sie will nicht gehen.

Mittwoch, 6. AprilAlmir legt seinen Federschmuck ab, verkabelt sein Mac-

Book Air mit dem Beamer und wirft eine Powerpoint-Präsen-

tation an die Wand. Wir sitzen in einem Flachbau am Highway BR-364, Almirs Büro, hier gibt es Internet und Telefon, von hier aus führt er seinen Kampf. Das Haus steht am Ort des ersten Kontakts der Surui mit den Weissen. Ein gutes Dutzend Computer ist auf die Räume verteilt, an einem spricht Thomas Pizer via Skype mit seiner Frau, an einem anderen bearbeitet der junge Surui Clederson eine digitale Karte des Reservats.

Die Bilder und Grafiken an der Wand handeln von einem Klimaschutzprogramm namens REDD, Reducing Emissions from Deforestation and Degradation, deutsch: Reduktion von Emissionen aus Entwaldung und Schädigung von Wäldern. REDD will Wäldern einen Geldwert zuschreiben für ihre Funktion als Speicher von Kohlenstoffdioxid. Bezahlt werden soll dafür, dass der Wald nicht abgeholzt wird, die entsprechen- den Treibhausgase nicht produziert werden. Indem die Surui ihren Wald schützen, so haben sie errechnen lassen, verscho- nen sie die Atmosphäre während der nächsten fünfzig Jahre um 15 Millionen Tonnen CO2. Mehr als 100 Millionen Dollar, so kalkulierten Gutachter, ist dieser Dienst theoretisch wert. Überall, wo Emissionssenkungen zur Vorschrift werden, er-wachsen mögliche Käufer. Firmen oder Staaten, die ihre CO2-Bilanz aufbessern wollen, könnten mitmachen bei diesem Ab-lasshandel. Zukunftsmusik, das weiss Almir. Doch er ist bereit. Kein REDD-Projekt in Südamerika ist so fortgeschritten wie dasjenige der Surui.

Aus einem Bilderrahmen auf dem Schreibtisch lächelt Almir zusammen mit Prince Charles. Seine Berühmtheit, die Berichte, die ihn zur Öko-Celebrity machten, haben ihm etwas

Blick auf eine Delikatesse der Surui

Die Surui dürfen theoretisch auf mehr als 100 Millionen Dollar Entschädigung hoffen, wenn sie darauf verzichten, ihren Urwald abzuholzen.

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Sicherheit gebracht. Denn seine Gegner wollen keinen Märty-rer erschaffen, keinen zweiten Chico Mendes, mit dem er jetzt oft verglichen wird, dem brasilianischen Aktivisten von Welt-ruf, der sich in den Achtzigerjahren den Viehzüchtern und der Holzindustrie entgegenstellte und 1988 ermordet wurde, was ein politisches Umdenken auslöste. Eine raue Gegend ist Ron-dônia geblieben. Im vergangenen Jahrzehnt wurden mehrere Indio-Anführer erschossen, vor allem bei den benachbarten Stämmen der Cinta Larga und den Uru-Eu-Wau-Wau, aber auch die Surui hatten Opfer zu beklagen. Mehrere der Urwald-rebellen, die ihr Leben liessen, hatten Proteste und Strassenblo-ckaden organisiert, sie verscheuchten weisse Bauern aus ihren Reservaten und Goldgräber aus ihren Flussbetten; Millionen an Umsatzverlusten für ihre Gegner. Auch Almir erhielt Drohun-gen, E-Mails, Telefonanrufe. Und einmal erzählten ihm zwei seiner eigenen Leute, zwei junge Surui, sie hätten 100 000 Dol-lar angeboten bekommen von einer Gruppe von Holzfällern, wenn sie ihn umbringen. Welche Vorsichtsmassnahmen trifft er? Er schüttelt seinen schweren Kopf. «Ich verlasse mich auf den Schutz der Geister des Waldes.»

Freitag, 8. AprilZwei Indianer bemalen den Patienten. Sie ziehen Linien

und tupfen Punkte auf den gesamten bleichen Oberkörper. Er steht an Krücken in der Mitte der Versammlungshalle, ein grosses Blätterdach ohne Wände, das halbe Dorf ist gekommen und schaut zu. Die Bemalung ist angeblich eine grosse Ehre für den Besucher, vielleicht ist sie auch bloss ein Witz auf seine Kosten, denn die Zuschauer klopfen sich während der Zeremo-nie auf die Schenkel vor Lachen. Die Farbe, ein dunkles Blau, wird aus den Früchten des Jenipapo-Baums gewonnen und soll angeblich nach zwei Wochen wieder verschwunden sein. Ein Mädchen serviert frittierte Maden zur Stärkung. Sieht aus wie Shrimps. Schmeckt wie Erdnussbutter.

Am Nachmittag fahren alle zum Markt in ein benachbartes Dorf. Rund um eine schlammige Lichtung haben Surui-Fami-lien aus verschiedenen Clans ihre Angebote auf primitiven, aus krummen Ästen zusammengezimmerten Tischen ausgelegt. Es gibt vor allem Schmuck zu kaufen, Halsketten aus geschliffenen Stücken vom Gürteltierpanzer, Ohrringe aus zu Blumen arran-gierten Federn. Thomas Pizer kauft fast alles auf, der Markt scheint ausschliesslich für ihn stattzufinden. Er bezahlt den Surui für die kunstvoll gearbeiteten Preziosen ein Vielfaches der Preise, die sie in Brasilien dafür erhalten, verkauft die Stücke in der Schweiz wiederum gewinnbringend weiter und bringt den Erlös in seine Stiftung ein.

Von einem Grillrost starrt mit totem Blick der Kopf eines Affen. Makako preto, eine schwarze Affenart, gilt als Delikates-se. Nur dieser Affe wird gegessen, «weil er niemals ein Mensch war», wie der am Feuer stehende, die grossen Fleischstücke bedächtig wendende Indianer mit Hinweis auf die Surui-My- thologie erklärt. Kauernd zerlegt er später mit sorgfältigen Hieben seiner Machete den gebratenen, auf einer Plastikpla-ne am Boden liegenden Affen, reicht den Umhersitzenden je ein Stück in die blosse Hand. Ein paar Jugendliche mit Baseballmützen auf dem Kopf stehen um ein Radio herum, aus dem Popmusik klingt, und nagen an ihren Affenrippen. PET-Flaschen, gefüllt mit selbst gegärtem Maisbier, werden herumgereicht.

Page 15: Bei den Regenwald-Rebellen

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Frage an den 22-jährigen Clederson, der mit Weissen zu-sammen das Gymnasium besucht hat und die Annehmlichkei-ten der Stadt kennt, ob er sich vorstellen könne, sein restliches Leben in diesem Dorf zu verbringen, hier zu heiraten und eine Familie zu gründen. Antwort: Er hat vor vier Jahren im Dorf geheiratet, und er hat schon drei Kinder.

Almir-Worte: «Wir müssen auf die Stimme des Windes hören, denn ohne seine Weisheit können wir die Zukunft nicht erfahren.» Er sagt immer solche Sachen.

Und wenn es gelänge? Wenn Almir Erfolg haben sollte und sein Beispiel Schule macht? «Das ist unser Traum», sagt er.

Er hat schon viel erreicht. Narayamoga, Almirs Zweit-name, bedeutet «der, der vereint». Er hat seine Leute hinter sich geschart, hat auch jene Surui überzeugt, die für schnelles Geld lange Zeit mitgemacht haben beim Holzverkauf. Heute verlässt kaum mehr ein Baum das Reservat. Die Aufforstungen werden den Wald nicht so wiederherstellen, wie er einmal war, dafür ist zu viel schon verloren, aber die Forstprojekte erlauben den Surui eine Fortsetzung ihres traditionellen Lebens und Arbeitens im Dschungel. «Wenn Almirs Ideen funktionieren», sagt Thomas Pizer, «wenn sie gar Geld einbringen, dann wer-den ihm viele nachfolgen. Es gibt 180 Indianerstämme in ganz Brasilien, sie besitzen zusammen ein Viertel des Regenwaldes.» Längst hat Almir begonnen, seine Konzepte bei ihnen zu ver-breiten, mit Websites, mit Gesprächen, mit Lobbyarbeit. Und er möchte auch die weissen Siedler einbeziehen, bereits hat er sie zu Versammlungen eingeladen, hat ihnen erzählt von den Möglichkeiten eines künftigen Öko-Tourismus, hat sie ermun-tert zur Mitarbeit beim Bäumeanpflanzen, manche zeigten sich interessiert. Der, der vereint.

«Aber es genügt nicht zu träumen», sagt Almir Narayamo- ga Surui und nimmt noch einen Schluck Maisbier, «jemand muss es tun.»

Er sagt immer solche Sachen.Aber er hat recht. •

Weitere Informationen: www.aquaverde.org

GUIDO MINGELS ist Reporter des «Magazins». Er lebt bei New [email protected] Fotograf ANDRI POL, in Basel zu Hause, arbeitet regelmässig für «Das Magazin». [email protected]

MH
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