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Ethik Med (2000) 12:257–261 Kontroversen Beihilfe zum Suizid bei psychisch Kranken – eine Form aktiver Sterbehilfe. Eine bedrückend aktuelle Diskussion in der Psychiatrie Marcel Bahro, Jindrich Strnad Vor zwei Jahren geriet eine Sterbehilfevereinigung aus der Schweiz mehrfach in die Schlagzeilen der Presse [11; 16; 20; 21]. Mitunter war hierfür das Bekannt- werden von geleisteter Sterbehilfe bei psychisch erkrankten Patienten maßge- bend. Die ursprünglich deklarierte Absicht dieser Organisation, die Beihilfe zum Suizid auf terminal erkrankte Menschen zu beschränken, wurde nunmehr auf evidente Weise verlassen. Dies geschah jedoch nicht unerwartet. Ganz offen setzten sich in den Jahren zuvor verschiedene Mitglieder der Vereinigung für ei- ne Sterbehilfe auch bei chronisch, jedoch keineswegs moribunden Patienten ein [16]. Diese Haltung fand auch zunehmend eine verhalten wohlwollende Rezep- tion in der Öffentlichkeit. Den bisherigen Höhepunkt der Entwicklung bildete das Ansinnen, physisch und psychisch Kranke hinsichtlich der Sterbehilfe gleich zu behandeln [16]. Folgen dieser in die Tat umgesetzten Denkweise wur- den nun auch im klinischen Alltag manifest. Unter anderem als Reaktion auf derartige und ähnliche Vorfälle hat die De- legiertenversammlung der Schweizerischen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie (SGP) am 1. April 2000 ein Grundsatzpapier gebilligt, welches die Haltung der SGP zum Problem der Sterbehilfe dokumentieren soll. Zusam- menfassend wird in dem Papier festgehalten, dass Suizidalität ein häufig vor- übergehendes Phänomen ist und dass die Mehrheit der Betroffenen nach Über- windung der Krise nicht mehr suizidal ist. Der Suizidwunsch wird als labil, ab- hängig von äußeren Faktoren und somit beeinflussbar beschrieben. Suizidalität als Symptom einer psychischen Erkrankung bildet sich unter einer entsprechen- den Behandlung und Hilfestellung zumeist zurück. Die Stellungnahme der SGP warnt unter anderem davor, dass eine generelle Erleichterung des Zugangs zum Suizid die Selbstmordhäufigkeit erhöht. Suizide in der stationären Psychiatrie Selbstmorde unter seelisch kranken Menschen sind für sich genommen grund- sätzlich nichts Unbekanntes, und in Fachkreisen weiß man längst, dass sich Pa- tientinnen und Patienten mit psychiatrischen Leiden selbst im Verlauf einer sta- tionären Krankenhausbehandlung das Leben nehmen können – beziehungsweise Dr. med. Marcel Bahro, MBA, MBE, HSG, MHM ( ) Abteilung für Gerontopsychiatrie, Universitätsklinik für Klinische Psychiatrie Bern, Bolli- genstrasse 111, CH-3000 Bern 60, Schweiz © Springer-Verlag 2000

Beihilfe zum Suizid bei psychisch Kranken - eine Form aktiver Sterbehilfe. Eine bedrückend aktuelle Diskussion in der Psychiatrie

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Ethik Med (2000) 12:257–261

Kontroversen

Beihilfe zum Suizid bei psychisch Kranken – eine Form aktiver Sterbehilfe. Eine bedrückendaktuelle Diskussion in der PsychiatrieMarcel Bahro, Jindrich Strnad

Vor zwei Jahren geriet eine Sterbehilfevereinigung aus der Schweiz mehrfach indie Schlagzeilen der Presse [11; 16; 20; 21]. Mitunter war hierfür das Bekannt-werden von geleisteter Sterbehilfe bei psychisch erkrankten Patienten maßge-bend. Die ursprünglich deklarierte Absicht dieser Organisation, die Beihilfezum Suizid auf terminal erkrankte Menschen zu beschränken, wurde nunmehrauf evidente Weise verlassen. Dies geschah jedoch nicht unerwartet. Ganz offensetzten sich in den Jahren zuvor verschiedene Mitglieder der Vereinigung für ei-ne Sterbehilfe auch bei chronisch, jedoch keineswegs moribunden Patienten ein[16]. Diese Haltung fand auch zunehmend eine verhalten wohlwollende Rezep-tion in der Öffentlichkeit. Den bisherigen Höhepunkt der Entwicklung bildetedas Ansinnen, physisch und psychisch Kranke hinsichtlich der Sterbehilfegleich zu behandeln [16]. Folgen dieser in die Tat umgesetzten Denkweise wur-den nun auch im klinischen Alltag manifest.

Unter anderem als Reaktion auf derartige und ähnliche Vorfälle hat die De-legiertenversammlung der Schweizerischen Gesellschaft für Psychiatrie undPsychotherapie (SGP) am 1. April 2000 ein Grundsatzpapier gebilligt, welchesdie Haltung der SGP zum Problem der Sterbehilfe dokumentieren soll. Zusam-menfassend wird in dem Papier festgehalten, dass Suizidalität ein häufig vor-übergehendes Phänomen ist und dass die Mehrheit der Betroffenen nach Über-windung der Krise nicht mehr suizidal ist. Der Suizidwunsch wird als labil, ab-hängig von äußeren Faktoren und somit beeinflussbar beschrieben. Suizidalitätals Symptom einer psychischen Erkrankung bildet sich unter einer entsprechen-den Behandlung und Hilfestellung zumeist zurück. Die Stellungnahme der SGPwarnt unter anderem davor, dass eine generelle Erleichterung des Zugangs zumSuizid die Selbstmordhäufigkeit erhöht.

Suizide in der stationären Psychiatrie

Selbstmorde unter seelisch kranken Menschen sind für sich genommen grund-sätzlich nichts Unbekanntes, und in Fachkreisen weiß man längst, dass sich Pa-tientinnen und Patienten mit psychiatrischen Leiden selbst im Verlauf einer sta-tionären Krankenhausbehandlung das Leben nehmen können – beziehungsweise

Dr. med. Marcel Bahro, MBA, MBE, HSG, MHM (✉ )Abteilung für Gerontopsychiatrie, Universitätsklinik für Klinische Psychiatrie Bern, Bolli-genstrasse 111, CH-3000 Bern 60, Schweiz

© Springer-Verlag 2000

während Beurlaubungen aus der Klinik [8]. Trotz sachgerechter Therapie undbei Beachtung aller Vorsichtsmaßnahmen ist es niemals ausgeschlossen, dasssich ein psychisch kranker Mensch raptusartig das Leben nimmt [18]. Meistwird in derartigen Fällen rückblickend nach Fehlern bei der Behandlung ge-sucht. Ärzte und Pflegepersonal machen sich Vorwürfe und entwickeln nichtselten Schuldgefühle. In der Regel jedoch bleiben die Experten den zumeist rat-losen Angehörigen eine schlüssige Erklärung darüber schuldig, wie es zu solcheinem traurigen Lebensende eines Patienten kommen konnte. Die Suizidpräven-tion stützt sich mitunter, neben einer sorgfältigen Evaluation des Risikos, auf ei-ne Stärkung der gesunden Persönlichkeitsanteile der Kranken, ein Vorgehen,welches in aller Regel auch von nahestehenden Angehörigen gutgeheißen wird.

Im Falle einer depressiven Patientin unserer Klinik, die während der kurzfristi-gen Beurlaubung vom stationären Aufenthalt durch Mitglieder der oben angespro-chenen Sterbehilfevereinigung in den Tod begleitet wurde, lagen die Verhältnissehingegen anders. Wohl hatte diese Patientin eine lange Leidensgeschichte hintersich. Unter der chronischen Erkrankung hatte nicht zuletzt auch ihre Ehe gelitten.Das Verhältnis zum Gatten und den beiden Kindern blieb gespannt. Bereits mehr-fach hatte sie in der Vergangenheit Selbsttötungsgedanken geäußert. Zum Zeit-punkt ihres Todes war sie allerdings wieder auf dem Wege der Besserung. Nichtsdeutete vor dieser Beurlaubung zu einer häuslichen Familienfeier auf ihr bevorste-hendes Lebensende hin. Aus nachträglichen spärlichen Erläuterungen der Angehö-rigen konnten wir schließen, was sich zuhause zugetragen hatte. Demzufolge wur-de die Vertreterin einer sogenannten Sterbehilfevereinigung von der Familie her-beigerufen. Diese hatte die tödliche Arznei mitgebracht und, wie es bei der Sterbe-hilfevereinigung üblich ist, trinkfertig zubereitet. Anschließend vergiftete sich diePatientin, die erst vor kurzem dieser Sterbehilfevereinigung als Mitglied beigetre-ten war, im Beisein ihres Mannes und ihrer Kinder sowie der Sterbehelferin.

Sterbehilfe – quo vadis?

Die Möglichkeit des Individuums, sich zu töten, wird von den heutigen Sterbe-hilfevereinigungen zu einem Recht erhoben, welches öffentlich mit Vehemenzpropagiert wird [10]. Dabei wird die Ausführung des Suizids – und somit dieWahrnehmung dieses „Rechts“ – jedoch nicht dem Individuum alleine überlas-sen, sondern zu einer kollektiven Handlung mit eigenen psychologischen Ge-setzmässigkeiten erweitert und verändert, indem zumindest der Sterbehelfer,wenn nicht auch – wie im vorliegenden Falle – Angehörige anwesend sind [8].

Im Oktober 1998 haben sich vierunddreissig der international zusammenge-schlossenen sogenannten right-to-die societies in der Schweiz zu einem Kon-gress eingefunden [10]. Aus den vertretenen Ländern war zu hören, dass die so-genannte passive Sterbehilfe auf eine breite Akzeptanz in der Bevölkerung zäh-len darf. Zum Programm dieser Vereinigungen gehört das stete Bemühen um ei-ne Ausweitung des gesetzlichen Rahmens auf bestimmte Formen auch der akti-ven Sterbehilfe. Diese Entwicklung ist beispielsweise in Holland, wo die aktiveSterbehilfe weitgehend geduldet wird, bereits fortgeschritten [6; 14].

Bei all diesen Diskussionen wurde, wie die Bezeichnung „Sterbehilfe“ besagt,stillschweigend oder auch explizit von Moribunden bzw. Menschen mit einem un-heilbaren Leiden im Spätstadium ausgegangen. In der Praxis ist dies jedoch offen-bar nicht immer der Fall, wie vorliegendes Beispiel verdeutlicht. In der Presse er-

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schienen in den letzten Jahren Mitteilungen über „erlöste Kranke“, die eigentlichgar keiner „Erlösung“ bedurften, da ihre scheinbar tödliche Krankheit nicht exi-stierte [15]. Die organisierte Sterbehilfe droht auf tragische Weise ihr deklariertesZiel – den Schutz der Selbstbestimmung im Sterbeprozess – zu unterlaufen, wennsie kranken, aber durchaus lebensfähigen Menschen zum vorzeitigen Tode verhilft.

Viele Krankheiten, so auch Depressionen, die mit Lebensmüdigkeit einher-gehen, müssen keineswegs irreparable oder gar todbringende Schäden des Orga-nismus zur Folge haben [5; 7; 19]. Folglich besteht eine grundsätzlich andereSituation als beispielsweise bei einem bösartigen Tumor im Terminalstadium.Lebensmüdigkeit ist zwar die gefährlichste Komplikation eines körperlichenoder seelischen Leidens – allerdings im psychologischen, nicht hingegen im or-ganischen Sinne [8; 18]. Sie tritt bei zahlreichen psychiatrischen und körperli-chen Erkrankungen zumindest phasenweise auf [4]. Untersuchungen zur seeli-schen Verfassung Selbstmordgefährdeter – durchgeführt beispielsweise von demWiener Suizidforscher Erwin Ringel – belegen das Vorhandensein einer ausge-prägten Einengung des Bewusstseins und einer Willensstörung im sogenanntenpräsuizidalen Syndrom [8]. Zunehmende Hoffnungslosigkeit führt nach einerPhase des Zwiespalts zur Überzeugung, dass nur der Tod die richtige Lösungdarstelle. Der Betroffene wird unfähig, andere gangbare Wege im Leben zu se-hen, geschweige denn diese zu verfolgen [2; 8].

Mit einigem Recht haben sich auch deshalb Sterbehilfevereinigungen vonder Hilfe zur Selbsttötung bei psychiatrisch kranken Menschen bislang distan-ziert. Die Voraussetzung einer freien Willensentscheidung ist bei diesen Men-schen auf augenfällige Weise in Frage gestellt. Dafür spricht auch die Tatsache,dass sich nur ein Prozent aller Patienten, die einen Suizidversuch überleben, imLaufe des ersten Jahres nach solch einem Ereignis tötet [5]. Dies legt nahe, dieEntscheidung zur Selbsttötung bei seelisch kranken Menschen als Ausdruck ei-ner Krise aufzufassen, nicht aber als einen gut überlegten Schritt oder gar als ei-ne „Lebensphilosophie“ oder eine Art von „wohlkalkulierter Bilanz“.

Menschen in einer seelischen Krise sind sehr suggestibel. Sie unterliegen da-mit auch leichter dem Druck einer Gruppe [8]. Man muss sich vorstellen, welchenpsychologischen Einfluss die Versammlung der Familie auf einen seelisch entglei-sten Menschen wie die Patientin im vorliegenden Falle ausüben kann, wenn sichdie Familie erst einmal dazu entschlossen hat, die Sterbehilfe zu unterstützen. EinRückzug bei einer allfälligen Umentscheidung hätte einen starken Willen der Pati-entin vorausgesetzt. Gerade der eigene Wille ist jedoch bei seelisch Kranken häu-fig geschwächt, womit sich ein weiter Raum für Einflüsse fremden Willens öffnet.Ähnliche psychologische Mechanismen sind aus der Sektenforschung bekanntund spielen beispielsweise bei kollektiven Selbstmordakten eine tragende Rolle,wie sie die Geschichte bis in die jüngere Zeit immer wieder erlebt hat. Der Über-gang in eine eigentliche Tötung ist dann fließend. Deshalb müsste man im vorlie-genden Falle unserer Patientin im Prinzip von aktiver Sterbehilfe sprechen.

Die Mehrheit der Ärzte hat sich in jüngerer Zeit gegen die Sterbehilfe beipsychisch kranken Menschen ausgesprochen, wie aus dem Schrifttum hervor-geht [3; 9; 13]. Auch die eingangs erwähnte jüngste Stellungnahme der SGP zurSterbehilfe weist in diese Richtung. Es wird immer wieder auf die Gefahr einernicht mehr kontrollierbaren Entwicklung hingewiesen, sobald ein Dammbrucherfolgt ist [9]. Auch die Vorbildfunktion der Ärzteschaft in dieser ethischen Fra-ge wird immer wieder herausgestellt. Eine anlässlich der vorletzten Jahres-tagung der American Association for Geriatric Psychiatry (New Orleans,

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14.–17.3.1999) präsentierte Umfrage unter den Mitgliedern ergab, dass etwazwei Drittel die Sterbehilfe grundsätzlich ablehnen (unveröffentliches Ergebnis,mündliche Darlegung).

Schlussfolgerungen

Die Diskussion um die Sterbehilfe bei psychisch erkrankten Menschen ist eineThematik, der man sich in Fachkreisen und in einem Laienpublikum künftig zu-nehmend stellen muss. Dies ist um so wichtiger, als das Konzept des Leib-See-le-Dualismus gerade bei schwerkranken Menschen vielfach auf evidente Weiseversagt. Die bei terminal Kranken klinisch im Vordergrund stehende physischeEntgleisung geht in aller Regel mit wesentlichen psychischen Alterationen ein-her und schließt diese keineswegs aus. Auch in Anbetracht der drohenden physi-schen Vernichtung ist es nicht berechtigt, die begleitenden seelischen Vorgängeals etwas Beiläufiges zu betrachten, wenn es um Fragen wie die gewahrteSelbstbestimmung im Sterbeprozess geht. Ebensowenig ist die Berechtigungvorhanden, in Sterbewünschen schwer Erkrankter klare Handlungsanweisungenzu sehen, allein aufgrund der nachvollziehbaren, jedoch ungenügenden Überle-gung, dass dies eine „normale“ Reaktion auf die Situation darstelle. Die der mo-dernen Medizin vielfach zum Vorwurf gemachte „Seelenlosigkeit“, d. h. die un-terstellte Vernachlässigung psychologischer Vorgänge bei Patienten in Extremsi-tuationen, würde dann im ungünstigen Fall durch die Seelenlosigkeit der unmit-telbar tödlichen Unterstellung eines willentlichen Sterbewunsches ersetzt. Dieswäre kein gangbarer Weg.

Bei psychisch schwerkranken Menschen ist deren Wunsch nach dem Todnoch deutlicher darstellbar. Diese Patienten sehnen vielfach den Tod als Erlösungvon unerträglichen seelischen Qualen herbei oder wollen mit dem Akt der Selbst-vernichtung ein befürchtetes Siechtum vermeiden. Nicht selten wähnen sie sichunheilbar oder terminal krank. Die vielleicht wohlmeinende, jedoch unreflektier-te Sterbehilfe in solch einer Situation geht auf tragische Weise am Problem vor-bei, indem sie laienhaft normalpsychologische Reflexionen auf die Situation desKranken projiziert und in den Äußerungen affektiv oder wahnhaft entgleisterMenschen nur allzu leicht verstärkende Entsprechungen zu finden glaubt. DiesePatienten brauchen aus psychiatrischer Sicht einen Schutz – vor sich selbst zurZeit der Krise und vor allem auch vor destruktiven äußeren Einflüssen.

Der Gesetzgeber, mithin letztlich die Gesellschaft, ist aufgefordert, präziseRahmenbedingungen zu schaffen, aufgrund derer die Sterbehilfe bei psychischkranken Menschen als aktive Sterbehilfe betrachtet und gegebenenfalls mit Sank-tionen belegt wird. Dies ist ethisch und sachlich begründbar. Wer, zumal in Un-kenntnis der Lage aus fachlicher Sicht, für den Tod und nicht für das Leben ent-scheidet und auf diese Kranken psychologischen Druck ausübt wie oben geschil-dert, müsste sehr sicher sein, dass er damit ihr innerstes Interesse vertritt. Das istnicht mehr rational nachvollziehbar und kann lediglich zufällig erfolgen, außerwir würden davon ausgehen, dass der Tod grundsätzlich zur Zeit des Leidens un-ser innerster Wunsch ist. Das ist hingegen ebenso unwahrscheinlich wie die Kon-stanz eines solchen Wunsches über die Zeit des Leidens oder der Krise hinaus.Die psychologische Macht des Gesunden oder gar einer Gruppe Gesunder überden Leidenden und Verunsicherten kann Suggestionen die Kraft tödlicher Instru-mente verleihen, auch wenn der Kranke letztendlich selbst Hand an sich legt.

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Ohne einen Schutz der Kranken besteht – bewusst oder unterschwellig – un-weigerlich die Gefahr einer perfiden Diskriminierung dieser Patientengruppe,indem ihr statt einer mitmenschlichen und professionellen Hilfe ein vorzeitigerTod straflos „angeboten“ wird. Auch wenn das niemand explizit so formuliert –man rückt damit auf beängstigende Weise in die Nähe jenes Gedankengutes [1],welches die Tötung von Zehntausenden wehrloser Psychiatriepatienten im Drit-ten Reich vorbereitet hatte: der Einschätzung, dass das Leben von chronischpsychisch Kranken nicht mehr lebenswert sei [12; 17].

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