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Rathke : Beitrlge zur Kenntniss dea Selenu. 23 5 XXVIII. Beitritge zm Ihnntniss dos Selens. Von Dr. Bernh. Rathke. (Im Aiiszug RU~ der unter dieseio Titel bei W. P 16 t z in Halle a. 'S. erschienenen Habilitntionsschrift.) 1) Ueber die allotropen Modificationen des Selens und ihr Verhtiltniss zu denen des Schwefels *). Das Selen bildet bekanntlich, wie der Schwefel, mehrere allotrope Modificationen, melche haufig mit denen des letzte- sen verglichen werden. Dabei pflegt man**) indess, wie mir scheint, indem man nur anf die Liislichkeit oder Unlijslichkeit in Schwefelkohlenstoff Kiicksicht nimmt, diejenigen Modifica- tionen der beiden Elemente, welche, ihr Verhalten zu diesem Lijsungsmittel ausgenommen , in allen Pnnkten die grijsste Analogie mit einander zeipen , zu trcnnen und solche neben einander zu stellen, welche nicht ziisammengehiiren. Die Modificationen des Selens sind von Schaffgotsch, Hittorf, Mitscherlich und Regnault untersucht worden, deren Arbeiten Folgendes festgestellt haben. Das Selen, wie es in der Kalte aus seIeniger P%iure durch schweflige Sliura, oder aus selendithionigsaurem Kali (der LEsung von Selen in schwefligsaurem Kali) durch SSiuren pefallt wird stellt eine lebhaft rotlie schwammige Masse dar, deren spec. Gew. = 4,26 gefunden wurde. Wird dasselbe auf 40 bis 500 erwarmt, so sintert es unter sehr bedeutender Verminderung des schein- baren Volumens zu einem festen harten Klumpen von riithlich grauer Farbe zusarnmen , welcher gewohnlich sehr genau die Form des Gefiisses in verkleinertem Maassstabe behiilt. Trotz dieses veranderten Aussehens ist das spec. Gew. dasselbe ge- blieben. Dieselbe Modification wird erhalten, wenn geschmol- zenes Selen durch Eingiessen in Wasser schnell abgekiihlt wird ; es erscheint dnnn glasig , von gllnzendern muschligen *) S = 32, Se = 79,5, 0 = 16. **) Z. B. Nitscherlich, Berthelot.

Beiträge zur Kenntniss des Selens

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Rathke : Beitrlge zur Kenntniss dea Selenu. 23 5

XXVIII.

Beitritge zm Ihnntniss dos Selens. Von

Dr. Bernh. Rathke.

(Im Aiiszug R U ~ der unter dieseio Titel bei W. P 16 t z in Halle a. 'S. erschienenen Habilitntionsschrift.)

1) Ueber die allotropen Modificationen des Selens und ihr Verhtiltniss zu denen des Schwefels *).

Das Selen bildet bekanntlich, wie der Schwefel, mehrere allotrope Modificationen, melche haufig mit denen des letzte- sen verglichen werden. Dabei pflegt man**) indess, wie mir scheint, indem man nur anf die Liislichkeit oder Unlijslichkeit in Schwefelkohlenstoff Kiicksicht nimmt, diejenigen Modifica- tionen der beiden Elemente, welche, ihr Verhalten zu diesem Lijsungsmittel ausgenommen , in allen Pnnkten die grijsste Analogie mit einander zeipen , zu trcnnen und solche neben einander zu stellen, welche nicht ziisammengehiiren.

Die Modificationen des Selens sind von Schaf fgotsch , Hi t tor f , Mi tscher l ich und Regnau l t untersucht worden, deren Arbeiten Folgendes festgestellt haben. Das Selen, wie es in der Kalte aus seIeniger P%iure durch schweflige Sliura, oder aus selendithionigsaurem Kali (der LEsung von Selen in schwefligsaurem Kali) durch SSiuren pefallt wird stellt eine lebhaft rotlie schwammige Masse dar, deren spec. Gew. = 4,26 gefunden wurde. Wird dasselbe auf 40 bis 500 erwarmt, so sintert es unter sehr bedeutender Verminderung des schein- baren Volumens zu einem festen harten Klumpen von riithlich grauer Farbe zusarnmen , welcher gewohnlich sehr genau die Form des Gefiisses in verkleinertem Maassstabe behiilt. Trotz dieses veranderten Aussehens ist das spec. Gew. dasselbe ge- blieben. Dieselbe Modification wird erhalten, wenn geschmol- zenes Selen durch Eingiessen in Wasser schnell abgekiihlt wird ; es erscheint dnnn glasig , von gllnzendern muschligen

*) S = 32, Se = 79,5, 0 = 16. **) Z. B. N i t s c h e r l i c h , B e r t h e l o t .

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Bruch, schwarz, von rothlichem Pulver. Das spec. Gew. wurde = 4,28 gefunden. Diese Modification ist in Schwefel- kohlenstoff loslieh ; durch Erkalten der heiss gesiittigten L6- sung oder durch Berdnnstung des Losungsmi ttels werden monoklinische Krystalle erhalten, die von Mi t s che r l i ch gemessen worden sirid nnd deren spec. Gew. er =4,5 fand. Auch verwandelt sich das rothe sehwammige Selen , wenn es unter Schwefelkohlcnstoff (oder auch unter Aether) aufbewahrt wird, in ein Krystallpulver von demselben spec. Gew. Dieses krystallisirte oder krystallinische Selcn erscheint schwgrz- licb , in diinnen Blattchen indess oder zu feinem Pulver zer- rieben, roth.

Wird das amorphe oder krystallinische rothe Selen nuf 80" C. erhitzt, so geht es nnter bedentender Wiirmecntwickc- lung , w e l c h von voriibergehender Erweichung hegleitet ist, in eine andere Modification iiber , welche charakterisirt ist durch ein bedeutend hiiheres spec. Gcw. = 4,80, durch vollige Unltislichkeit in Schwefellrohlenstoff und ciadt1rch, (lass auch das feinste Pulver vollkommen schwarz ist , ohne jeden Stieh ins Rothe, und unter dern Mikroskop sich als ganz undureh- sichtig erweist. Dieselbe Mndification wird erhalten , wenn geschmolzenes Selen sehr langsam erlmltet ; es wird dabei koruig krystalliniscb , deutliche Krystalle kiinnen aber nicht erhalten werden.

Wird eine Liisung von Selenkalium der Luft ansgesetxt, so scheidet sich , indem das Kalium osydirt wird, das Selen :in der OberflLche als eine aus kleinen Krystallen bestehende Haut aus. Diese Krystalle sind ebenfalls in Schwefelkohlen- stoff unloslich und hnben das spec. Gew. 4,80 bis 4,81, ge- hiiren also rlerselben Modification an. Ihre Form ist unbe- kannt. Mi t sche r l i ch hat sich vergebens bemUht, durch sehr langsnme Zersetzung von Sclenlralium erkennbare Kry- stalle zu erhalten. Auch unter dem Mikroskop Imnn ihre Form nich t sicher beurtheilt werden, meil selbst die dunnsten Bliittchen vollkommen undurchsichtig schwarz erscheinen.

Rei einelai Vergleiche der Modificationen des Selens niit denen des Schwefels pflegt man nun das in Schwefelkohlen-

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stoff losliche (rothe) Selen neben den in rhombischen Krystal- len naturlich vorkommenden, in Schwefelkohlenstoff losliehen und dartIus krystallisirbaren Schwefel zu stellen, welcher wohl auch als die gewohnliche Modificalion bezeichnet wird, weil alle anderen Nodificationen mit der Zeit , schneller beim Erhitzen auf circa 1000, in denselben iihergehen. Das in Schwefelkohlenstoff uiilBsliche ( x h w z e ) Sclen hingegen rer- gleicht man mit der in diesem Losungsmittel ebenfalls unlis- lichen Nodiiicetion des Scliwafels, we lch cntbalten iet : in dem zlhen Schwefel, der durch schnelle Abltulilung erhitzten Schwefels gewonnen wirtl ; in dem Schwefel? welcher bei der Zersetzung des Chlorschwefels durch Wasser resultirt ; in dem durch 88uren aus unterschwefligsaureii S:tl/;en abgeschiede- nen Schwefel, u. A.

Ausscr dicsen beiden lllodifieationen des Schwefels mlts- sen noch zwei aiigenommen werden : die beim Erstarren ge- schmolzenen Schwefels in moiioklinischen Prismen krystalli- sirende und die Modification des in SehwefelBohlenstoff lbsli- chen , beim Verdunsten der Losung aber uidoslich werdenden Schwefelu, welche Magnus in den) zahen, Bc r the lo t in dem aus unterschwefligsauren Yalzen durch Salzsaure gefallten Schwefel nachgewiesen hat.

Die Angaben Be r t h e 1 o t ' s kann ich , so auffallcnd sie erscheinen, durchaus bestatigen. Versetzt man eine Aufliisung von UnterschwefligsaureIn Katron in der Kiilte init Chlorwas- serstoffshre, so scheidet sic11 der Schwefel als eine hoch- gelbe, ztihflussige Masse ah, dic indess nieht homogen ist, sondern zum griSsseren 'I'heil aus kleinen Kiirnchen besteht, welche in eine relativ geringc Mengo von Fliissigkeit einge- bettet sind. Mehrmals habe ich bemerkt , dass sich daraus Gruppen von sternforrnig vereinigten nadelformigen , lebhaft braungclben Krystallen bildeten, welehe indess nicht isolirt, sondern nur durch die Wand des Glasgefhsses beobachtet werden konnten. In Schwefelkohlenstoff liist sich fast Rlles auf ; bei freiwilligem Verdunsten dieser Losung krystallisirt der Schwefel nioht, sondern bleibt als einc compacte harte Masse zuruck , welche nun in Schwefelkohlenstoff grossten- theils unloslich ist; ein Theil, welcher in die gewohnliche

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Modification iibergegangen ist , wird durch dieses Losungs- mittel ausgezogen und kann daraus krystallisirt werden.

Die Erkliirung fur die auffallende Erscheinung,-dass der Schwefel aus unterschwefligsauren Salzen clurch Chlorwas- serstoffsaure in halbflussigem Zustande abgeschieden wird, glaube ich in dem gleichzeitigen Auftreten einer geringen Menge von Chlorschwefel gefunden zu haben, dessen Geruch an delriselben zwar schivvach , aber unverkennbar bemerkt wird. Den Chlorschwefel in positiverer Weise direct naoh- zuweisen, ist nicht wohl moglich, da der Niederschlag, wel- cher in eiiier Chlorwasserstofl und schweflige Saure enthal- tenden Losung entstaiiden isl, seiner Beschafenhei t wegen von diesen, an deren Auftreten der Chlorschwefel erkannt werden miisste , nicht vurgangig befreit werden kann. Eine indirecte Bestiitigung hingegen giebt der Umstand, dass ver- diinnte Schmefelvaure den Schwefel aus unterschwefligsauren Salzen in fester Form abscheidet. Er erscheint so als eine eigelbe cohiirente sprode Masse. Wird diesel be gepulvert und mit Schwefelkohlenstoff iibergossen, so lost letzterer nur einen kleinen Theil davon, und zwar iru krystallisirbaren Zustnnde j der Xest ballt zu einer halbfliissigen , schmierigen , fadenzie- henden Masse zusammen , welche unter Schwefelkohlenstoff in einigen Stunden, an der Luft dagegen in weuigen Augen- blicken hart und spriidc wird. OEenbar ist es hier der Schmefelkohlenstoff, welcher, wie im vorigen Falle der Chlor- schwefel, mit einer eigenthumlichen Modification des Schwe- fels , indem er von derselben, so zu sagen, aufgesogen wird, eine teigige Masse bildet j mit seiner Verdunstung wird die- selbe wieder hart. Eine in Schwefelkohlenstoff liisliche, dann unloslich werdende Modification wird bei der Anwendung von Schwefelsaure aus dem unterschwefligsauren Natron nicht gebildet.

Vergleicbt man nun die Entstehungsarten der verschie- denen Modificationen des Schwefels und Selens , so ergiebt sich Folgendes.

Der in Schwefelkohlenstoff unlosliche und der darin EU- n&cbst liisliche , beim Verdunsten der Losung aber unliislich werdende Schwefel welcbe meistens gleichzeitig auftreteu

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und hier zusammengefasst werdeu mogen , eiitstehen haupt- sachlich : 1) bei der Zersetzung von unterschwefligsanren Salzen durch Sauren ; 2) bei rler Zersetzung von CMorsehwefel durch Wasser; 3) bei schneller Abkuhlung von stark iiber seinen Schmelzpunkt erhitztem Schwefel , etwa durch Ein- giessen in Wasser. Die gleichzeitige Rildung yon ivehr oder weniger gewijhnlichem Schwefel bei diesen Processen erkltirt sicb durch die bekannte grosse Neigung jeaer unbestandige- ren Modificationen, in die bestiindigste iiberzugeheu.

Bei den analogen Vorgangen wird das Selen stets in der amorphen rothen Modification erhalten, und zwar, da dieselbe bestandiger ist , als die entsprechenden Modificationen des Schwefels, nur in dieser. Sie entsteht u. A. : 1) bei der Zer- setzung von sclendithionigsauren Salzen durch Sauren ; 2) bei der Zersetzung vonC1ilorselen durch Wasser ; 3) bei schneller Abktihlung von geschmolzenem Selen.

Bei langsamer Zersetzung von Sclt wefelammonium an der Luft wird der gewiihnliche Schwefel in zuweilen wohl- ausgebildeten rhombischen Krystallen erhalten. Die gleiche Zersetzung von Yelenkaliuln iiefert schmarzes Selen in deut- lichen, wenu auch nich't weiter bestimmbsren lirystiilillchen.

Beim Erhitzen auf 1000 C. gehen slmmtliche Modifica- tionen des Schwefels : der rnonoklinische, der in Schwefel- kohlenstoff unlosliche, wie auch der solchen enthaltende zahe Schwefel unter Wiirmeentwickelung in die gewohnliche Mo- dification iiber. Ebenso verwandelt sich das rothe Selen, das amorphe sowohl , wie das aus Schwefelkohlenstoff krystalli- sirte, schon gegen 800 in das schwarze. Dabei wird soviel WLrme frei, dass nach Versuchen von E e g n a u l t dieselbe hinreichen wnrde , die Temperatur des angewandten Selens urn 2000 zu erhohen, wenn die Warmeabgabe an die Umge- bung ausgeschlossen werden kiinnte.

Erhitzt man Schwefel Uber seinen SchmeIzpuukt, so steigt bekauutlich ein eintauchendes Thermometer stetig his auf 250-2600 und bleibt hier einige Zeit stationar oder schwankt selbst auf und ab, urn dann wieder schneller zu steigen. Ea wird bei dieser Temperatur Wiirme zu einer rnolekularen Umanderung verbraucht , welche auch durch cine A enderung

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der Farbe und Consistenz (Dickflussigwerden des Schwefels) angezeigt wird. Uurch plijtzliche Abkiihlung kann nun der Schwefel in dieser Modification fostgehalten werden (zaher Schwefel), und erfahrt erst, weno er wieder auf circa 1000 erhitzt wird, eine Rikkverwandluog in die gewijhnliche Ma- dification , wobei er die aufgenomniene W arme wieder aus- giebt. LIsst man dagegen deu iiber 2600 erhitzten dchwefel langsam erkalten, so geht die ziiihc Nodification bei etwa der- selben Teniyeratur, bei welcher sie entstarid, in die gewiihn- liche zuriick, indeui in Folge der \Vlrweabgabe das 'L'hermo- meter wieder einige Zeit stationar bleibt.

Ganz dasselbe findet bei dcm Selen statt; nur muss hier, urn den Vorgarig vcrfoigen zu kiinnen, die hbkiihlung ver- langsaint werden. Als K. egniiu 1 t eine griissere Masse ge- schmolzeuen Seleris in einetll Luftbad von I000 C. crkalten liess, sank das eingesenkte Tlicrinometer in den ersten 55 Minuten voii 24 1 0 auf 1 170, in dcn iiachsten 30 Ninuten auf 1 1 3 0 , stieg in deu folgendeii 25 Minuten wicder his iiber 12f" sank dann in wciteren 55 Xinntcn bis 1050.

Das Selen , welches (lurch schnelle Abkiililung als glasi- ges erhalten worden wkre und dann dureh Erbitzen auf 80 bis 1000 unter Wiirmcentwickelung in sch.cvarzes hatte iiber- gefiihrt werden konnen ) verwnndelte sieh ogeenbar bei circa 1200, ebeufalls unter Wiirmeabgabe, in solches. Wenn R e g n a u It bemerkt : falls ea eine Molekularbewegung gewe- sen sei ) welche die betriichtliehe Wiirmemenge entwickelte, so sei ,es doch nieht diejenige Bewegung , welche das glasige Selen in metallisches (schwarzes) urnwandelt, dean die mit 1050 aus dern Ofen genomniene Selenmasse habe noch, nach vfilliger Erkaltung, ein glasiges Snsehen auf dein Bruch ge- habt - so ist dagegen zuniichst einzuwenden, dass das blosse Ansehen nicht als beweisend betrachtet werden kann ) dass vielinehr nus das spec. Gew. oder das Verhalten gegen Schwe- felkohlenstoff Sicherheit gewahrt haben wiirde. bann aber ist es sehr wohl denkbar, d;b-ss die Abkiihlung in einein ge- wissen Stadium imrrier noch zu schnell erfolgte und so nur ein Theil des Selens in die schwarze Modification Ubesging, dabei die heobachteten Temperatursehwankungen verur-

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sachend, wahrend ein anderer Theil , hinreichend gross, urn der ganzenMasse ghsiges Ansehen zu rerleihen, in der rothen Modification verharrte, welche erfahrungsmassig , wenn ein- ma1 ale compacte Masse vorhanden , bei Temperaturen urn 1000 nur sehr langsam umgewnndelt wird. Es geht sogar ails Regnau l t ’s ‘remperaturbeobaclitungcn selbst unzweifel- haft hervor, dass nicht die game Warmomenge, welche (in dem fingirten Fall, dass keine Ausgabo stattfindet) eine Er- warmung um 2000bowirkt7 wiedergewonnen wurde, dass also in der That ein Theil des glasigen Selens sich erhielt. Da es feststeht , dass geschmolzenes Selen bei sehr langsamer Ab- kiihlung in der schwarzen Modification erhalten w i d , 80 ist diese Erklarung die einzig mijgliche.

Nach diesen Thatsachen verhalt sich , ausser gegen Schwefelkohlenstoff , das schwarze Selen durchaus wie der rhombische Schwefel, das amorphe rothe Selen wie der in Schwefelkohlenstoff unlosliche oder unliislich werdende Schwefel. Auch das spec. Gem. stimmt hiermit liberein, in- sofern das der beiden ersteren hoher ist, als das der letzteren. Es wurde gefunden :

rhnmbivcher J. monokl. S. zdher Y. Marehand u. S o h e e r e r (nat.) 2,066 1,962 1,957 D e v i l l e 2,07 I ,96 1,91

achwarzss Se. rothes Se. A \

Mitscherl ich (aus KaeSe) 4,760-4,788 4,46-4,5 1 schwammig 4,259 gesintert 4,265

H i t t o r f (aus EaeSe) 4,808 I glasig 4,282 S c h af fg o t sch (geschmolzen) 4,796

Uas krystallisirte rothe Selen, welches seinem spec. Bew. nach zmischen dem schwarzen und dem amorphen rothen steht, von letzterem noch bedeutend differirend, muss demzu- zufolge wohl als eine besondere Modification betrach tet wer- den und man darf es neben den ebenfalls in der nilitte stehen- den monoklinischen Schwefel stellen , urn so mehr, als seine Krystallform auch die monoklinische ist, menngleich zwischen den Axenverhaltnissen keine einfaache Beziehung stattfindet. Da, nach Versuchen von Deb r ay, aus Schmefelkohlenstoff bei Temperaturen, welche iiber dem Siedepunkte desselben liegen, monoklinischer Schwefel krystallisiren kann so fallt

au8 C g kryst. amoiph.

Joarn. I. prakt. Chemie. CVIII. 4. 16

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242 Rathke : Beitrage zur Kenntniss des Selens.

hier auch die Verschiedenheit des Verhaltens gegen dieses Liisungsmittel im Wesentlichen fort.

Auf Grund obiger Betrachtungen vermuthete ich, dass es LBsungsmittel aueh fur die schwarze Modification des Selens geben musse, dass man es aus solchen wiirde krystallisiren konnen und sich vielleicht Isomorphie mit dem rhombischen Schwefel nachweisen liesse. Zunachst machte ich Versuche mit Chlorschwefel, welcher bekanntlich reichliche Quantitiiten yon Sohwefel aufzulosen vermag, der bei dem Abkiihlen der warm gesattigten Liisung in rhombischen Krystallen anschiesst. Selen wird von Chlorschmefel allerdings in ausserordentlich grosser Menge aufgenouimen, indem es ihm eine dunkel- braune Farbe ertheilt , beim Erkalten krystallisirt aber nicht Selen, sondern Schwefel aus, und bei der Destillation geht die Fliissigkeit mit unveranderter brauner Farbe uber. Es findet eben keine einfache Losung des Selens statt , sondern dasselbe entzieht dem Schwefel das Chlor und geht in Se,Cl, iiber. Wendet man das Selen uberschussig an, so bleibt bei der Destillation Schwefelselen zuriick, das in Schwefelkohlen- stoff liislich ist und daraus in rothen Yrismen krystallisirt.

In Chlorselen, Se,CI,, ist Selen, welcher Modification es auch angchorcn moge, in sehr grosser Mengc loslich und scheidet sich beim Erkalten nur sehr langsam wieder ab. Mit Selen digerirtes Chlorselen war nach dem Erkalten fast so schwerfltissig wie Glycerin; nach einem Tage hatte sich eine reichliche Menge Selen ausgeschieden ; von diesem abgegossen und durch Einschmelzen in ein Glasrohr vor jeder Zersetzung durch Feuchtigkeit gesehiitzt, setzte es in einigen Tagen noch so vie1 Selen ab , dass dieses fast das gleiche Volumen ein- nahm als die zuruckgebliebene, nun wieder ganz leicht be- weglich gewordene Fliissigkeit.

Das so aus Chlorseleu, und zwar in der KtiZte, auskry- stallisirte Selen gehorte in der That der schwarzen, in Schwe- felkohlenstoff unliislichen Modification an. Es bildete aber keiue Krystalle , sondern eine traubige Masse, welche unter dem Mikroskop aus kleinen Kugelchen bestehead erschien.

Wie aus Schwefelkohlenstoff rhombischer Schwefel kry- stallisirt, so ist es nicht undenkbar , dass die entsprechende,

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die schwarze Modification des Selens, ohgleich in jenem un- 1oslicl.i , doch in Selenkohlenstoff, wenn desscn Darstellung gelingt, lijslich und daraus krystallisirbar sei. Zum Theil deswegen habe ich mich bemuht, diesen Korper zu gewinnen. Die hierzu angestellten Versuche, iiber welche in einer spate- ren Abhandlung berichtet wird, blicben zwar nicht ganz ohne Resultat, es gelang aber nur, sehr geriuge Mengen Selen- kohlenstoff, gemengt mit grossen Mengen von Chlorkohlen- stoff, CCI,, zu erhalten. Diese Flussigkeit aber verhielt sich wie reiner Chlorkohleristoff, d. h. sie lostc rothes Selen in geringer QuantitHt, schmarzes gar nieb t. (Schwefel wird von Chlorkohlenstoff ziemlich reichlich gelont.)

Ein gutes Lijsungsrnittel fur Schwefel ist anch Schwefel- athyl, S(C,H,), ; beim Erkalten der heiss gesattigten Losung krystallisirt er in rhomhischen Pyramiden. Rothes Selen wird davon in geringer Menge, schwarzes nicht gelost. Selengthyl Se(C,B,), hingegen lijst beide Modificationen anscheinend in gleicher , wenn auch geringer &age ; werden namlich awe; damit gefiillte Rohren, in deren cine rothes, in die andere schwarzes Sclen gcgeben ist, in eineni Luftbade neben einander auf cine Ternperatur erhitzt , bci der die rotlre &difieation noch keine Veranderung erleidet (6U-700), so farbt sich das Selenathyl , welohes in reincm Zustande vollkommen farblos ist , in beiden gleich intensiv goldgclb. Einen Versuch, das Selen aus dieser Liisung zu krystallisiren und festzustcllcn, welche Modification dahei erlittlten wird, habe ich der Kost- barkeit des Selcniithyls wegen bei seinem geringen Losungs- vermijgen nicht anstellen lciinnen.

Von den untersuehten Pliissigkeiten verhielten sich also diejenigen , welch kein Heleu enthalten (Chlorkohlenstoff, Schwefelathyl) gegen das Selen ebenso wie der Schwefel- kohlenstoff, d. h. sie liisten die rothe Modification, nicht die schwarze. Dagegen krystallisirte aus dem Chlorselen schwames Selen , wie a m dem ChlorschwefeI die gewiihnliche (rhom- bische) Modification des Schwefels, und vom Selenathyl murde wenigstens das nachgewiesen , dass es schmarzes Selen auf- zuliisen vermag , wie dns Schwefelathyl den rhombischen Schwefel.

16 *

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Hierdurch scheint mir der einzige, aus dem anomalen Verhalten gegen Schwefelkohlenstoff hergeleitete Einwurf aufgewogen zu sein, welcher gegen die oben behauptete Zu- sammengehijrigkeit des schwarzen Selens mit dem rhom- bischen Schwefel und des amorphen rothen Selens mit dem in Schwefelkohlenstoff unloslichen Schwefel erhoben werden kann. Fassen wir schliesslich noch einmal zusammen, was fiir dieselbe spricht, so ist es Dolgendes. Die neben einander gestellten Modificationen bilden sich bei gleichen oder ana- logen Vorgangen ; sie werden durch Erhitzung und schnelle oder langsame Abkuhlung in gleicher Weise in die anderen Modificationen libergefuhrt und zeigen dabei gleiche ther- mische Erscheinungen ; endlich, die specifischen Gewichtc der beiden Selen - Modificationen differiren in gleicher Richtung wie die der rnit ihnen vergliehenen Schmefel-Modificationen. Was freilich die tiefere Bedeutung, die eigentlichc Ursache dieser Analogien und Gegensiitze ist , ob vielleicht Gleich- heit , bezw. Verschiedenheit der das chemische Molektil bildenden Atomanzahl (wie letztere fur die beiden allo- bropen Zustande des Sauerstoffs nachgewiesen ist) - daruber lassen sich heute hoehstens unbewiesene Vermuthungen aus- sprechen.

2) Schwefelselen.

Es erschien von nicht geringem Interesse, die Verbin- dungen, welche das Selen mit dem ihm so nahe stchenden Schwefel zu erzeugen vertnng , naeh Zusammensetzung und Krystallform zu untersuchen, um so mehr, als meines Wissens noch die Krystallform keiner Verbindung zweier wenn auch nur in weiterem Sinne isomorpher (d. h. isomorphe Verbin- dungen liefernder) Elemente bekannt ist , wghrend man rnit einiger Wahrscheinlichkeit erwarten durfte , dass zwischen ihr und der Krystallform der beiden Componenten irgend welche einfache Beziehungen sich herausstelbn wiirden. Fande sich nun z. B., dass die Verbindung SeS, isomorph ware mit einer Modification des Schwefels, so wiirde dadurch die Ver- muthung nahe gclegt, dass das Molekiil der letzteren sus drei Atomen Schwefel bestehe. Freilich wurde nichts derartiges

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gefunden ; dagegen fuhrte die Untersuchung zu einem andern, sehr unerwarteten Resultat.

Es wurden zu einer vorlaufigen Probe wenige Gramme der beiden Elemente im Verhaltniss von 1 At. Selen zu 2 At. Schwefel in einem Kiilbchen zusammengeschmolzen und die schwarze Schmelze wiederholt mit Schwefelkohlenstoff be- handelt, worin sich zmar die letzten Antheile ziemlich trage, doch aber ohne erheblichen Ruckstand losten. Die gesammte Losnng, welche mehrere Pfunde betrug, wurde der Destilla- tion unterworfen und diese von Zeit zu Zeit unterbrochen, um zu sehen, ob bei der llbkiihlung etwas auskrystallisirte. Es musste wcit uber die Hiilfte des Rchwcfelkohlcnstoffs abdestil- lirt werden, ehe die ersten Krystalle auftraten. Dieselben waren sehr klein , von drinkelrother Farbe. Die Fliissigkeit, welche die Farbe etwa einer Aufliisung von saurem chrom- sauren Kali besass, wurde abgegossen , von neuem einge- darnpft , von den beim Erkalten ausgeschiedenen Krystallen wieder abgegossen und dieses noeh einige Male wiederholt. Dabei zeigte sich, dass jede folgendc Fraction aus helleren Krystallen bestand, als die vorhergehende, und dass die LGs- lichkeit erheblich zunahni. An den einzelnen Krystallen einer und derselben Fraction konnte lrein Unterschied der Farbe wahrgenommen werden. Die Griisse wuchs zuuacbst mit der Loslichkeit , die letzte Krystallisation aber , welche beim Erkalten der geringen restirenden Menge nun sehr reich gewordener Losung erlialten wurde, war undeutlich und krumelig , und ebenso der bei freiwilligem Verdunsten der letzten Mutterlauge bleibende Riickstand , in welchem indess einige deutliche Krystallchen von Schwefel erkannt werden konnten.

Da auf diese Weise kein einheitliches Product zu erhalten war, so suchte ich das durch Schwefelwasserstoff am seleniger Saure gefallte Schwefelselen in Schwefelkohlenstoff zu liisen und daraus zu krystallisiren. H. Rose nimmt zwar an, dieser Niederschlag sei ein blosses niechanisches Gemenge von 1 At, Selen mit 2 At. Schwefel; diese Behauptung stiitzt sich indess nur auf den Umstand, dass derselbe von Ammoniak nictht geliist wird, wahrend Scbwefeltellur darin loslich ist. Aus

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246 Rathke : Beitrage zur Kenotniss des Selens.

dem Folgenden geht hervor, dass er die beiden Elemente in der That in Verbindung enthalt.

Urn jede Veranlassung zu einer Vereinigung von Schwefel und Selen durch Hitze, wenn sie in dem Niederschlag noch getrennt enthalten waren, zu vermeiden, wurde derselbe in der Kalte erzeugt und nur iiber Schwefelsaure getrocknet. Er lijste sich ebenfalls init rothgelber Farbe in Sehwefelkoh- lenstoff. Die Liisung wurde soweit concentrirt , dass beim Erkalten einige Krystallchen sich ausschieden, von diesen ab- gegossen und in einem Kiilbchen der freiwilligen Verdunstung uberlassen. Es wurden so zwar nur kleine, aber wohl aus- gebildete und niessbare Krystalle (1), rhombische Prisnien von der Farbe des saurcn chromsauren Kalis erhalten, welche in Schwefelkohlenstoff ziemlieh leicht lijslich waren. Die ab- gegossene Mutterlauge gab bei der Verdunstung nur ein undeutlich krystallisirtes, krumcliges Product.

Die (weiter unten mitgetheilte) Analyse der Krystalle er- gab 63,86 p.C. Selen und 35,50 p.C. Schwefel, wahrend die Zusamniensetzung SeS, 55,42 p.c. Selen und 44,58 p.C. Schwefel erfordert. Es war also auffallender Weise auch in dieser Losung, wie in der des durch Zusammenschmelzen der Bestandtheile dargestellten Schwefelselens ein Gemisch ent- ljalten gewesen ron einerri Schwefelselen, welches mehr Selen enthalt, als der Forniel SeS, entspricht, entweder mit solchem, welches weniger enthiilt , oder mit freieni Schwefel. Eine Analyse des gesnmmteu durch Verdunstung der Mutterlauge erhaltenen Riickstarids , welcher den Ueberschuss des Schwe- fels nothwendig in irgend einer Form enthalten musste, konnte naturlich keine Entscheidung dariiber geben , welche dieser beiden Annnhmen die riohtige ist. Wohl chilralrterisirte Pro- ducte, welche Garantien der Reinheit geboten hiitten, konnten aber aus demsclben nieht weiter ausgesondert werden. Zn volliger Aufkllrung der Frage miisste der Versuch in weit grtisserem Maassstabe , uiiter Auwendung von vielen Pfunden Schwefelkohlenstoff wiederholt werdcn. Derselbe wird indess durch die Untersuchung eines in anderer Weise dargestellten Schwefelselens in befriedigender Weise erganzt.

Wie naiidich selenige Saure durch Schmefelwasserstoff

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Rathke : Beitriige zur Kenntniss des Selens. 247

gefallt wird, so auch schweflige Saure durch Selenwas- serstoff.

SeO, + 2H,S = 2H20 + SeS,, SO, + 2H,Se = 2H,O + SSe,.

Mit vie1 Wasserstoff gemischter Selenwasserstoff wurde erst durch Wasser, dann durch eine concentrirte Losung von schwefliger Saure geleitet. Das Wasser der Waschflasche wurde in Folge der Oxydation des Gases clurch eine geringe Menge in demselben absorhirter J,uft nur schmach getriibt ; in der sehwefligen SBnre entstand ein reichlicher gelbrother Niederschlag. Derselbe wurde, urn etwa beigemischtes freies Selen in Schwefelkohlenstoff unlFslich zu machen, lange Zeit mit Wasser gekocht und bei 1000 getrocknet. Dann wurde er, zu feinem Pulver zerrieben, so oft mit neuen Rlengen von Schwefelkohlenstoff digerirt , bis letzterer , mehrere Stunden vor dem umgekehrten Kiihler damit gekocht, nur noch schwach gelb gefarbt wurde. Es hinterblieb eine bedeatende Menge eines sehmarzen Ruckstands von nnloslichem Selen, von dessen viilliger ErschiSpfung mit Schwefelkohlenstoff indess Abstand genommen werden musste, da die Einwirkung zuletzt ausser- ordeutlich traige erfolgte. Ein Vergleich der Quantitiit dieses Ruckstands mit der sehr geringen Menge von Selen, welche in der Waschflasche sich ausgeschieden hatte, liess keinen Zweifel daruber, dass derselbe ein Product der Reaction war und nicht etwa einem Luftgehalt der scbwefligen Saure seinen Ursprung verdankte , durch welche ohnehin vor dcm Selen- wasserstoff lange Zeit reiner Wasserstoff geleitet worden war.

Die erhaltenen , jedesrnal stark eingedampften Losungen wurden vereinigt und in der oben angegebenen Weise durch abwechselndes Concentriren nnd Abkiihlen auf 1 0 0 C. zu fractionirter Krystallisation gebracht. Dabei wurden, urn die Loslichkeit festzustellen , die nach der ersten Krystallisation erhaltenen Destillate gewogen. Es wurden so erhalten :

Krystalle (2). a) 1,1S Grm. b) Aus 226 Grm. Schwefelkohlenstoff v. 100 C. 0,86 Grm. c) hus 89 Grin. Schwefelkohlenstoff v. 100 C. 1,57 Grm.

Hiernach war von h) 1 Gewichtstheil in 263 Th. Schwe-

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24s Ratbke : Beitrgge zur Kenutniss des Selens.

felkohlenstoff gelijst gewesen, von c) 1 Th. in 57 Th. Sohwe- felkohlenstoff. a) war noch erheblich schwerer liislich als c) b), aber augenscheinlich leichter als Selen (das bei OOiiber 6000 Th. Schmefelkohlenstoff, bei dessen Siedepunkt 1000 Th. zur LGsung erfordert). Dieser verschiedenen Liislichkeit ent- sprechend war auch das Aussehen der verschiedenen Kry- stallisationen verschieden. a) bestand aus sehr kleinen, rund- lichen, dunkel rubinrothen Krystallen , deren geringe Grtisse nicht gestattete, ihre Form festzustellen ; b) aus lebbaft rothen Prismen, h e n Winkel gemessen werden konnten ; c) aus orangerothen tafelformig ausgebildeten diinnen Prismen.

Zur Analyse wnrden die Krystalle aufs feinste zerrieben, das Pulver zu volliger Verfliichtigung von eingeschlossenem Schwefelkohlenstoff einige Tage an der Luft liegen gelassen, dann iiber Schwefelsaure getrocknet. Die Substanz wurde mit einer concentrirten Losung von reinem Cyankalium einige Stunden digerirt, wobei sie sich vollstlndig liiste, nnd zwar als Ganzes , nicht in der Weise, dass zuerst hauptsachlich Selen unter Zuriicklassung von Schwefel in Losung ging. Nachdem die Fliissigkeit verdiinnt worden war, wurde das Selen durch verdiinnte ChlorwasserstoffsLure gefiillt , das Fil- trat mit Natronlauge alkalisch gemacht, der Schwefel durch Einleiten von Chlor in der IIitze in Schmefelsiiure verwandelt und diese mit Chlorbaryum gefiillt. Die Fallung des Selens wurde bei der ersten Analyse nach dem Vorschlage von Rose durch Warme beschleunigt nnd znletzt gekocht , bis keine Gasentwickelung mehr bemerkt werden konnte , wlhrend die Dampfe in vorgeschlagene Natronlauge traten, urn etwa mit verfluchtigten Sehwefelcyanwasserstoff aufxufangen. Als der Kolben geoffnet wurde, war starker Geruch nach Schwefel- wasserstoff zu bemerken. Ich uberzeugte mich durch einen besonderen Versuch , dass reines Schwefelcyankalium , mit sehr verdiinnter Salzsaure gekocht , Schwefelwasserstoff ent- wickelt. Offenbar wird durch verdiinnte Saure in der Hitze ebenso wie durch concentrirte , Kohlenoxysulfid entwickelt, welches aber mit dem kochenden Wasser sich sogleich zu Kohlensaure und Schmefelwasserstoff umsetzt. Der durch diesen Umstand bedingte Verlust bei der Analyse ist indess

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Rathke ; Beitrtge ziir Kenntnistr des Selens. 249

ausserordentlich gering. Statt 100 p.C. wurden 99,92 p.C. erhalten. Bei den spateren Analysen wurde das Selen in der Kalte gefallt und, um seiner vollstandigen Abdieidung sicher zu sein, erst nach acht Tagen abfiltrirt. Die so erhaltenen Resultate waren aber sogar weniger befriedigend , als das vorige. Ein kleiner Verlust an Ycbwefel inochte hier viel- leicht dadurch verschuldet sein , dass zur Absattigung der Saure kohlensaures Natron angewandt und erst zuletzt Na- tronlauge zugefiigt wurde , wobei Spuren von Sehwefelcyan- wasserstoff durch die entweichende Eohlensaure fortgefuhrt sein mochten.

Daneben wurden zur Controle einige Selenbestimmungen in der gewohnlichen Weise ausgefuhrt, durch Oxydation und Fallung des Selens durch schweflige Saure.

Dabei wurde ich auf eine Fehlerquelle aufmerksam, welche bei Selenbestimmungen leicht zu den grobsten Trrthii- mern fuhren kann. Bekanntlich kann selenige Saure, welche durch Oxydation von Selen mit Salpetersaure erhalten war- den ist, von letzterer durch blosses Eiritrocknen im Wasser- bade nicht vollstlndig befreit werden , es gelingt dieses viel- mehr erst, wcnn man wieder mit Wasser aufnimmt und noch- mals zur Trockne bringt. Im vorliegenden Falle, wo die neben der selenigen Saure entstandene Schwefelaaure es un- miiglich machte, die Fltissigkeit zur Trockne zu dampfen, mochte die vollige Entfernung der Salpetersaure noch schwie- riger sein. Es wurde daher, urn dieselbe zu zerstoren, wie- derholt mit einigen Tropfen Salzsaure eingedampft, was nach den Angaben von Rose statthaft erscheint, und erst dann durch schwefiige Saure das Selen gefallt. Die so gefunde- nen Selenmengen stimmten unter sioh nicht Iiberein und blie- ben urn viele Procente unter den durch die Analyse mittelst Cyankalium gefundenen zurlick. (Leider wurde durch die- sen Irrthum ein Theil des Materials verloren, so dass z. B. von dem Schwefelselen (1) nur eine giltige Analyse gemacht werden konnte.) Ich habe mich durch einen directen Ver- such iiberzeugt , dass selenige Saure , mit Salzsgura im Was- serbade zur Trockne gedampft , sich zu einem grossen Theil verfltichtigt.

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250 Rathke : Reitriige xur Kenntnisa des Selens.

0,2314 Grm. Se wurden im Kiilbchen mit rauchender Salpetersaure oxydirt, nach Verjaguog der Untersalpetersaure Wasser zugesetzt, im Wasserbade in eiuem Schalchen zur Trockne gebracht , dann, urn Verluste durch Chlorentwicke- lung nnd dadurch bedingtes Spritzen zu vermeiden, noch ein- ma1 mit Wasser aufgenommen und wieder abgedampft und darauf 4 Ma1 mit verdiinnter Salzslure zur Trockne gebracht, endlich aus der mit Sa1zs:iure angesauerten Liisung durch schweflige Saure das Selen gef:illt, bei 1000 getrocknet und gewogen. Es wurden SO nur 0,1038 Grm. = 44,85 p.C. des angewandten Selens wiedererhalten.

Um sicher zu sein, dass der Verlust nicht durch irgend welche andere Ursachen veranlasst sei, wurden zum Ver- gleich daneben 0,2608 Grm. Se ganz in derselben Wcise be- handelt , indem man nur statt der Salzslure gleiche Mengen yon Wasser nnwandte. Es wurden 0,2572 Grm. = 9S,60 p.C. des angewandten Selens miedererhalten. Bei so anhaltender Erhitzung im Wasserbade (dieselbe wurde im Ganzen 6 Stun- den lang fortgesetzt) scheinen also geringe Mengen von sele- niger Saure auch bei Vermeidung von Salzsaure sich zu ver- Atichtigen.

Die bier nachgewiesene Bildung von Chlorselen aus der selenigen Siiure hat librigens nichts Anffallendes , wenn man die grosse Verwandtschaft des Selens zuni Chlor und die von Schne ide r mitgetheilte Thatsache beriicksichtigt, dass die Jodverbindung des Selens sogar aus der wlsserigen JISsung von seleniger Siiure, Lei hinreichender Concentration, durch Jodwasserstoffsaure ansgefallt wird.

Es ist hiernach ganz uiistatthaft, Selen durch Konigs- wasser zu oxydiren , wenigstens bei Abvvesenbeit von starken Basen. Selenigsaure Salze scheinen ngmlich der Zersetzung durch Chlorwasserstoffshre nicht zu unterliegen , wie sicli aus der sehr annghernden Kichtigkeit einiger von mir ausge- fuhrten Bestimmungen von Selen in orgnnischen Substanzen ergiebt. So wurden in reinem (farblosem, bei 107-1080 sie- dendem) Selengthyl, Se(C,H,),, durch Oxydation mit Salpeter- saure und chromsaurem Kali , sechsmaliges Eindampfen mit Chlorwasserstoffsaure bis zur Trockne und Fiillen des Selens

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Rathke : BeitrSige zur Kenntniss des Selens. 251

durch schweflige SIure 57,15 p.C. statt 57,82 p.C. Selen ge- funden. Auch als ich bei der Oxydation organischer Sub- stanzen atatt des chromsanren Knlis Chromsaure anwandte und zu deren Zersetzung 2-3 Ma1 mit Snlzsaure abdampfte, wurde bis auf Differenzen von circa 1 p.C., welche sich leicht nnders erkllren lassen, die theoretische Menge Selen gefun- den. Es scheint also die selenige Saure auch, wenn sie an Chromovyd gebunden ist , durch Salzsaure nicht frei gemacht und verfliichtigt zu werden. Demnach ist es wahrschein- lich auch statthaft, das Selen durch Salzszure und chlor- saures Kali zu oxydiren. Versuche hieriiber habe ich nicht angestellt.

Bei der Analyse der verschiedenen Proben von Schwefel- selen wurden folgende Resultate erhalten :

(1) 0,3151 Grm., mittelst Cyankalium analysirt, gaben 0,2012 Se und 0,8145 BaSO,.

(2a) 0,3402 Grm. gaben 0,2796 Se und 0,4608 BaSO,. 0,1971 Grm. mit rauchender Snlpetersiiure oxydirt, im Wasserbade abgedampft, mit Wasser aufgenommen und nochmals zur Trockne gebracht und aus mit Salzslure angesauerter Li5sung durch schweflige SLure gefallt gaben 0,1595 Se.

(2b) 0,3324 Grm. gaben 0,2418 Se und 0,6276 Bas@,. (2c) 0,3579 Grm. gaben 0,2312 Se und 0,9004 BaSO,.

0,5696 Grrn. gaben 0,3725 Se (heiss gefdlt) und 1,4325 Bas@,, 0,145 1 Grm. mit rauchender Salpetersaure oxy- dirt, gaben 0,0928 Se.

Se28 SeSe (1) (?a) (Tb) ~~, (‘2C) -A--

Se 83,25 55,OO 63,% 82,17 XO,93 52,74 64,60 65,39 63,95 S 16,75 44,60 35,50 l8,60 25,93 34,53 34,54

100,OO 100,OO 99,36 100,77 98,67 99,13 99,93 - _ ~ _ _ ______ ~ ____

Die Krystalle standen also in ihrer Zusammensetzung alle zwischen Se,S und SeS, ; die Probe (2%) besass sehr nahe die Zusammensetzung des ersteren. Ich stehe nicht an , die Krystalle sammtlich fur isomorphe Mischungen dieser beiden Substanzen zu tralten ; urn so weniger, d s die Messungen von (1) und (2b), welcbe in ihrem Selengehalt um circa 9 p.C. diffeeriren , keine nachweisbare Differenz der Prisrnenwinkel

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252

ergaben. Schwefelselen von geringerem Selengehalt, als ihn die fast gleich zusammengesetzten Substanzen (1 1 und (2c) zeigen , scheint nicht mehr gut krystallisiren xu konnen , da aus den Mutterlaugen von beiden keine deutlichen Krystalle mehr erhalten wurden.

Der Niederschlag also, welcher durch Selenwasserstoff aus schwefliger Sanre gcfiillt wird , und die Gesammtzusam- niensetzung 2Sc + S hat, ist nicht reines Se,S, obgleich die- ses in ihm vorwaltet; er ist vielmehr ein Gcmisch von Sclen (welches bei Behandlung niit Schwefelkohlenstoff zuriick- blieb, da es vorher durch Erhitzen unlijslich gemacht war), Se,S und SeS,. Der Niederschlag, der durch Schwefelwasser- stoff aus seleniger Saure gefillt wird , von der Gesammtzn- sammensetzung Se + 25, besteht zwar fiberwiegend aus SeS,, enthalt aber auch Se,S, und man darf aus der Analogie schliessen, dass er daneben nicht ein schwefelreicheres Schwe- felselen, sondern freien Schwefel *) enthalt , obgleich dieser, weil er ebenfalls in Schwefelkohlenstoff lijslich ist, nicht, wie das freie Selen, leicht nachgewiesen werden konnte.

Krystalle, in welchen neben Schwefelselen freier Schwefel oder freies Selen angenommen werden mussten, waren nicht erhalten worden (Selen enthaltcnde konnten auch nicht erhal- ten werden), wie denn auch die fur diese Elemente bekannten Krystallformen verschieden sind von der , welche an dem Schwefelselen bestimmt wurde. Ich halte indess die Unmiig- lichkeit eines solchen Zusammenkrystallisirens durch obige Versuche noch nicht fiir errviesen und denke dieselben mit besonderer Berucksichtigung dieser Frage in etwas grosserem Maassstabe zu wiederholen.

Rathke : Aeitriige zur Kenntniss des Selens.

Die Krystalle (1) zeigten die Flachen : o a : b : c d 2 a : o o b : c p 2 a : b : m c P a :oob : me.

Die Flachen p und besonders P walten vor.

*) Hieraus wiirde sich fur die analytische Bestitnmung des Selens als Schwefelselen die Regel ergeben , letzteres nicht langer, als niithig, bei I000 zu trocknen urn nicht wagbare Quantitlten von Schwefel zu verfltichtigen.

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Itathke : Beitriige eur Kenntniss des Selens. 253

Da die Krystalle eehr klein, die Flachcn wenig ghnzend, etwas gekriimmt und rnit kieinen Lamellen belegt waren, so war bei den Messungen wenigstens der untergeordneten Flachen o und d kcine grossere Genauigkeit, als Ton etwa ' I2 Grad xu erreichen. Der Berechnung wurden zu Grunde gelegt die Neigungen p, p,,, o, o,,, d, d,,, bestimmt aus dem Rlittel der Messungen dieser Neigungen selbst und derer von p , o und d zu P.

P, Ptr 124' 8'*) 0, 0,, 1190 48'*) o, o,,, 1230 54' d, d,, 1410 lo'*) P,p, 1170 56'*) P, o, 1200 6'*) P, d, 1090 25'*) p , o, 0, d,

1290 45' (beob. 1290 48') 1480 17' (beob. 1470 53')

Aus den Neigungen der Oktaederfliichen 0, o,, und 0, 0,,,,

berechnen sich die Axenverhaltnisse : b = 1,06650 a c = 0,69059 a

Mit Zugrundelegung der letzteren ergeben sich aus den Formeln der Fliichen p und d die Neigungswinkel p,p,, = 1230 52' (statt 1240 8') und d, d,, = 1410 54' (statt 1410 10').

*) Beobachtet.

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254 Notizen.

An den Krystallen (2b) konnten nur die Prismenwinkel gemessen werden. Es wurde gefunden im Mittel p I pI , =

1230 59', also ein nur innerhalb der Beobachtuiigsfehler von dem bei ( I ) gemesseneu 124O 8' abweichender Werth.

(Fortsetzung folgt.)

XXIX.

N o t i z en.

1) Ueber die Einwirkung von Kalihydrat auf die Sulfosihren der Kohlenwasserstoffe,

Berthelot. (Compt. rend. t. 69, p. 563.)

1 ) Aethylschwefelsaures Natron (nach S t r e c k e r aus Jodathyl und schwefligsaurem Natron bereitet) wird durch schmelzendes Kali ganz glatt in Aethylen und schwefligsau- res Salz gespalten:

C,H,SO,ONa + KOH = C,H, + KNaS03 + H,O.

Von

Wendet man nicht genug Kali an, so entstehen dabci auch Aethyischwefelverbindungen.

2) Methylschwefelsaures Natron hiitte bei analogem Ver- lauf der Reaction Methylen liefern miissen. Kei Anwendung eines Ueberschusaes von Kali entstcht jedoch nur It'asserstoff, kohlensaures und schwefligsaures Salz :

CR,S020Na + 3KOH = 3H, + K,CO, + KNaSO,. Veriuindcrt man die Menge des Kalis, so eutsteht ein

leicht fluchtiger Kiirper mit den Eigenschaften des Methyl- rnercaptans :

2CH,SO,ONa + 2KOH = CH,SH + Na,S02 + K,CO, + 2H,O,

aber niemals auch nur cine Spur von Methylen. Vf. hat viele Versuche zur Darstellung dieses Korpers angestellt , densel- ben jedoch weder bei trockenen Destillationen, noch bei pyro- genen Reactionen, noch bei Zersetzung des Chlormethyls, noch bei Einwirkung von Sch wefelsBure auf Methylalkohol