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ACTA OPHTHALMOLOGICA VOL. 52 1974 Augenklinik des Bereiches Medizin der Universitat Rostock - DDR (Direktor: OMR Prof. Dr. sc. med. G. Pietruschka) BEITRAG ZUM ULLRICH-FREMEREY-DOHNA- ODER FRANC;OIS-SYNDROM* VON MANFRED TEUSCHER Nach kurzer Literaturiibersicht wird iiber einen an der Augenklinik des Bereiches Medizin der Universitat Rostock beobachteten Fall von Fran- sois-Syndrom berichtet. Der derzeitige Status wird an Hand von 4 Bildern dargestellt . Key words: syndrome of Ullrich-Fremerey-Dohna-Fransois - malformat- ions. Im Jahre 1953 beschreiben Ullrich und seine Mitarbeiterin Fremerey-Dohna einen Symptomenkomplex von: Dyscephalie Schadelnahtanomalien Mikrogenie und Mikrostomie Mikrophthalmus Cataracta congenita Hypotrichose in Form suturaler Alopezie oder Alopezia areat Sklerotisch-atrophische Hautveranderungen im Bereich des ventralen Kopfsegmentes Proportionierter Zwergwuchs und normale geistige Entwicklung. (31) * Auszugsweise vorgetragen auf der Tagung der Berliner Augenarztlichen Gesellschaft im November, 1973. 534

BEITRAG ZUM ULLRICH-FREMEREY-DOHNAODER FRANÇOIS-SYNDROM

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Augenklinik des Bereiches Medizin der Universitat Rostock - DDR (Direktor: OMR Prof. Dr. sc. med. G. Pietruschka)

BEITRAG ZUM ULLRICH-FREMEREY-DOHNA- ODER FRANC;OIS-SYNDROM*

VON

MANFRED TEUSCHER

Nach kurzer Literaturiibersicht wird iiber einen an der Augenklinik des Bereiches Medizin der Universitat Rostock beobachteten Fall von Fran- sois-Syndrom berichtet. Der derzeitige Status wird an Hand von 4 Bildern dargestellt .

Key words: syndrome of Ullrich-Fremerey-Dohna-Fransois - malformat- ions.

Im Jahre 1953 beschreiben Ullrich und seine Mitarbeiterin Fremerey-Dohna einen Symptomenkomplex von:

Dyscephalie Schadelnahtanomalien Mikrogenie und Mikrostomie Mikrophthalmus Cataracta congenita

Hypotrichose in Form suturaler Alopezie oder Alopezia areat Sklerotisch-atrophische Hautveranderungen im Bereich des ventralen Kopfsegmentes

Proportionierter Zwergwuchs und normale geistige Entwicklung. (31)

* Auszugsweise vorgetragen auf der Tagung der Berliner Augenarztlichen Gesellschaft im November, 1973.

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Syndrome of Ullrich-Fremerey-Dohna-Francois

Abb. I . Darstellung des Gesichtes mit der typischen Physiognomie.

Dieser Symptomenkomplex ging spater als Ullrich-Fremerey-Dohna-Syndrom in die Literatur ein und wurde gleichbedeutend fur die Synonyma Dyscephal- odermatophakie, Dyskraniodysopie und Dyscephalie mit Cataracta congenita und Hypotrichose gebraucht. Es muss jedoch festgestellt werden, dass beide Autoren nicht als erste diese Symptomenkombination beschrieben, denn bereits 1899 teilten Aubry (1) und 1911 Bergmeister (3) deragtige Falle mit, wie aus der sehr umfangreichen und alle Falle erfassenden Arbeit von Fransois aus dem Jahre 1957, sowie aus denen von 1958 und 1960 zu ersehen ist (11 , 12).

Fransois selbst konnte zu den von ihm zusammengestellten 21 Fallen der Weltliteratur noch 3 weitere hinzufugen, die er selbst beobachtet hatte (12, 13, 14).

Seit dem Jahre 1957 erscheint der oben beschriebene Symptomenkomplex auch unter der Bezeichung Fransois-Syndrom oder dyscephalic syndrome nach Fransois in der Literatur (6, 8, 15, 19, 25, 33, 36).

Nach den grundlegenden Arbeiten von Ullrich, Fremerey-Dohna und Fran- sois erschienen weitere Fallberichte, sodass die zur Zeit bekannte Fallzahl von Fransois-Syndrom etwa 30 betragt (7, 8, 19, 27, 28, 30, 33, 36).

Seit dem Jahre 1966 haben wir an der Augenklinik des Bereiches Medizin der

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Abb. 2. Seitendarstellung des beschriebenen Falles (Kopf).

Universitat Rostock Gelegenheit ebenfalls ein Kind mit einem Francois-Syn- drom zu beobachten, iiber welches nun berichtet werden soll.

Die erste Vorstellung des 1965 geborenen Kindes erfolgte im Alter von 1 1/4 Jahren wegen des Verdachtes auf einen friihkindlichen Hirnschaden, der von der Universitats-Kinderklinik (Direktor: Prof. Dr. sc. med. J. Kiilz) geaussert worden war. Dabei fie1 von seiten unseres Fachgebietes eine totale Linsentriib- ung und ein Horizontalnystagmus auf. Wegen der bestehenden Linsentrubung wurden zunachst Untersuchungen zum Ausschluss eines Diabetes, einer Toxo- plasmose, einer Listeriose, einer Tetanie sowie einer Myotonie vorgenommen. Das Ergebnis war negativ. Ausserdem fanden wir bei dem Kind eine Dyscepha- lie, eine Hypotrichose in Form einer Alopezia areata im Bereich des Hinter- kopfes sowie sklerotisch-atrophische Hautveranderungen, die besonders deutlich im Bereich der Nase ausgepragt waren. Desweiteren bestand eine Mikrognathie mit konsekutivem Sperrbiss und Zahlstellungsanomalien.

Auf Grund der von uns erhobenen Augen- und Allgemeinsymptomatik ordneten wir das Krankheitsbild als FranGois-Syndrom ein. Am 23.5.66 fiihrten wir die Linsenablassung bds. durch. Nach komplikationslosem Heilverlauf erfolgte drei Wochen spater eine Narkoseuntersuchung des Augenhintergrun- des. Dabei stellte sich am rechten Fundus die Papille vital aber unscharf be- grenzt dar, ein Gefasstrichter war nicht zu finden. Die Papille lag in einem

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Abb. 3. Darstellung der sklerotisch-atrophischen Hautveranderungen im Bereich der Nase und

der Wange.

grossen zirkularen peripapillaren Herd feiner graulich pigmentierter Tiipfelung. Am linken Fundus befand sich die Papille in einem grossen deutlich begrenzten chorioretinitischen Herd, der sich weit nach nasal erstreckte und zum Maculage- biet hin in einer weisslich atrophische Narbe auslief.

Mit einer Obungsbrille bds. + 13,O dpt. erfolgte am 10.6.1966 die Entlassung.

Abb. 4. Darstellung der bei dem Kinde bestehenden Alopezia areata im Bereich des Hinter-

kopfes.

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Anlasslich einer Narkoseuntersuchung 1970 fanden wir bds. eine Papillen- prominenz von + 4,O -dpt. Die Papillen erschienen durch Einlagerung von glio- sem Gewebe insgesamt vergrossert und allseits unscharf begrenzt.

Die beschriebenen peripapillaren Veranderungen bestanden weiter unver- andert.

Der Visus betrug zu diesem Zeitpunkt: R: + 19,O = 1/12 BT L: + 19,0 = l,/lO BT, binokular 5/25 BT.

Auf Grund des Papillenbefundes erfolgte eine stationare Untersuchung in der Abteilung fur Kinder-Neuro-Psychiatrie (Direktor: Prof. Dr. sc. med. G. Go11- nitz) an der Universitats-Nervenklinik Rostock, wo ein intrakranieller raum- fordernder Prozess mit Sicherheit ausgeschlossen werden konnte.

Wir fassten deshalb den Papillenbefund als Pseudostauungspapille mit zir- kumpapillarer Chorioidalatrophie unklarer Genese auf.

Bei einer im Herbst 1973 durchgefuhrten Kontrolluntersuchung ergaben sich hinsichtlich Visus, Befund an Augenvorderabschnitten und am Fundus keine neuen Gesichtspunkte.

Diskussion

Der von uns beobachtete Fall zeigt alle typischen Merkmale eines FranCois- Syndrome.

Das Verschwinden des Nystagmus nach erfolgreich durchgefuhrter Katarakt- operation, wie es von Torres Marty (30) beschrieben wurde, konnten wir bei unserem Falle nicht finden.

Durch Carones (8) wurden Netzhautdystrophien mit gekornter Pigmentation am hinteren Augenpol bei Fransois-Syndrom beobachtet. Inwieweit die von uns beobachteten peripapillaren Pigmentverschiebungen als ebensolche Erscheinung gewertet werden konnen, ist nicht mit Sicherheit zu sagen.

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Anschrift: Dr. med. Manfred Teuscher, University Eye Clinic, Doberaner Str. 140,

German Democratic Republic. DDR-25 Restock,

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