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Beitrag zur Kenntnis der sog. Paralysis agitans sine agitatione auf dem pathologisch-anatomischen Boden der Encephalitis epidemica. V'on Dr. Otto KSnig. Mit 2 Textabbildungen. (Aus dem Pathologischen Institut des St~dtischen Krankenhauses Mtinchen r.d.I. [Prof. Dr. Hermann Diirck].) (Eingegangen am 21. November 1921.) Nachdem im Jahre 1917 yon v. Economo das Krankheitsbild der Encephalitis lethargica epidemiea sowohl im klinischen Ver- lauf wie in den pathologisch-anatomischen Grundlagen aufgestellt worden war, haben sich groi]e Mengen literarischer Ausffihrungen fiber alle mSglichen Arten yon klinisehen Symptomenbildern der Encephalitis angehimft. Es mul~ten aber vor allem mancherlei Nach- triage zu v. Economos anatomischem Entwurf gemacht werden, Befunde, die im Laufe der letzten Jahre bei Encephalitis epidemica erhoben wurden. Gerade in der allerletzten Zeit wurde yon verschiedener Seite fiber encephalitische und postencephalitische Krankheitsbilder berichtet, die in ihrem Symptomenkomplex innige Beziehungen zu einigen erst in den letzten Jahren neu erforschten neurologischen Krankheiten aufwiesen, so vor allem Bilder, die lebhaft an das im Jahre 1916 yon Strfimpell entdeekte und yon ihm als ,,amyostatischer Symptomen- komplex" bezeichnete Syndrom erinnern und damit in nahe Beziehung treten zur Pseudosklerose (Westphal-Strfimpell) resp. zur Wil- sonschen Krankheit einerseits, zur Parkinsonschen Krankheit, speziell der Paralysis agitans eine agitatione andererseits. Es ist li~ngst bekannt, daI~ Paralysis agitans mit und ohne Tremor entstehen kann auf dem Boden von Entwicklungsst6rungen, yon arteriosklerotischen, senilen, syphilitischen Veri~nderungen, die sich gewShnlich im Streifenhfigel etablieren. Man hat deshalb sehon den Vorschlag gemacht, die Paralysis agitans als selbstandiges Erkrankungs- bitd abzusehaffen und nur mehr yon einem Symptomenkomplex zu reden. Ffir das letztere m6chte ja die Tatsaehe sprechen, dal~ nun auch

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Beitrag zur Kenntnis der sog. Paralysis agitans sine agitatione auf dem pathologisch-anatomischen Boden der Encephalitis

epidemica. V'on

Dr. Otto KSnig. Mit 2 Textabbi ldungen.

(Aus dem Pathologischen Institut des St~dtischen Krankenhauses Mtinchen r.d.I. [Prof. Dr. Hermann Diirck].)

(Eingegangen am 21. November 1921.)

Nachdem im Jahre 1917 yon v. E c o n o m o das Krankheitsbild der E n c e p h a l i t i s l e t h a r g i c a e p i d e m i e a sowohl im klinischen Ver- lauf wie in den pathologisch-anatomischen Grundlagen aufgestellt worden war, haben sich groi]e Mengen literarischer Ausffihrungen fiber alle mSglichen Arten yon klinisehen Symptomenbildern der Encephalitis angehimft. Es mul~ten aber vor allem mancherlei Nach- triage zu v. E c o n o m o s anatomischem Entwurf gemacht werden, Befunde, die im Laufe der letzten Jahre bei Encephalitis epidemica erhoben wurden.

Gerade in der allerletzten Zeit wurde yon verschiedener Seite fiber encephalitische und postencephalitische Krankheitsbilder berichtet, die in ihrem Symptomenkomplex innige Beziehungen zu einigen erst in den letzten Jahren neu erforschten neurologischen Krankheiten aufwiesen, so vor allem Bilder, die lebhaft an das im Jahre 1916 yon S t r f i m p e l l entdeekte und yon ihm als ,,amyostatischer Symptomen- komplex" bezeichnete Syndrom erinnern und damit in nahe Beziehung treten zur Pseudosklerose ( W e s t p h a l - S t r f i m p e l l ) resp. zur Wil - sonschen Krankheit einerseits, zur P a r k i n s o n s c h e n Krankheit, speziell der Paralysis agitans eine agitatione andererseits.

Es ist li~ngst bekannt, daI~ Paralysis agitans mit und ohne Tremor entstehen kann auf dem Boden von Entwicklungsst6rungen, yon arteriosklerotischen, senilen, syphilitischen Veri~nderungen, die sich gewShnlich im Streifenhfigel etablieren. Man hat deshalb sehon den Vorschlag gemacht, die Paralysis agitans als selbstandiges Erkrankungs- bitd abzusehaffen und nur mehr yon einem Symptomenkomplex zu reden. Ffir das letztere m6chte ja die Tatsaehe sprechen, dal~ nun auch

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auf dem Boden encephalitischcr bzw. postcncephalit ischer Veri~nde- rungen -- gemcint sind die Encephali t isepidemien der letzten Jahrc - - Paralysis agitans festgestellt worden ist. Meist erschcint sie als eine Art Sp~tzustand nach Encephalitis oder wenigstens erst einige Zeit nach Auft re ten der ersten encephalit ischen Erscheinungen. So auch in unserem Falle, wo sie sich in einem mehr als 2ji~hrigen Krankhei ts- verlauf allmi~hlich herausgebildet und zu einem bei Paralysis agitans sonst nicht gewShnlichen hohen Grad der klinischen Erscheinungen entwickelt hat. Der Fall ist insofern yon besonderem Interesse, als er intra v i t am wohl als Paralysis agitans sine agitatione diagnosti- ziert worden war, abet post mor tem durch die Obduktion die kaum erwartete pathologisch-anatomische Grundlage einer Encephalit is er- kann t wurde. Dabei wurden wohl encephalitische Ver~tnderungen im Corpus s t r ia tum gefunden, der Haupt te i l derselben aber lag in Teilen, die bei Paralysis agitans nur ausnahmsweise oder i i ~ r h a u p t hie ergriffen werden.

Von der Krankengeschichte mSchte ieh nur kurz hervorheben, was fiir die Beur te ihmg des Falles yon Interesse ist :

M. H., geb. 1. VII. 1857, Zimmermannsfrau, wurde am 7. I. 1919 wegen ,,Nervenleiden" ins Krankenhaus gebraeht. Seit einem Monat arges Kopfweh Tag und Nacht. Kann nut noch einige Schritte gehen, kann nicht mehr ordentlich reden, ist sehr sehwach geworden und abgemagert. Pat. ist 5rthch und zeitlich orientiert, macht einen schwerfi~lligen, schwer besinnlichen Eindruck, versteht alles, gibt sinngemi~fle Antwo~en in einer undeutlichen, verwaschenen Sprache.

Kopf: Linker unterer Faeialis etwas sehwach innerviei% oberer intakt. - - Augenbewegungen frei. Linke Pupille im oberen inneren Quadranten etwas entrundet. Pupillen reagieren etwas tr/~ge auf Licht. - - Zunge weicht etwas nach rechts ab, ebenso Z~pfchen.

Nervensystem: Alle Bewegungen, wenn auch mit etwas verminderter Kraft, mSglich. - - Spasmen in beiden Beinen. - - Reflexe normal. Wtirgereflex schwach. Romberg + . Gang spastisch (?), unsicher, langsam. 9. V. 1919 Pat.. hat eine SprachstSrung dysarthrischer Art. - - Liquor wasserklar. - - Wasse rmannsche Reaktion negativ.

11. VII. 1919. Beim Aufstehen Schwindel. Gang steif, breitspurig. 27. V. 1920. G~nzliches UnvermSgen zu sprechen. 0fters Zwangsweinen. 12. VII. 1920. Maskenart~ger Gesichtsansdruck und starre KSrperhaltung.

Bei Bewegungen deutlich grobes Zittern. SchriftstSrung der SprachstSrung analog. Pat. ist weniger dement als es den Anschein hat. - - Pat. gibt spontan an, da$ sie nicht sehlucken kSnne. Leichte Ptosis rechts. Hi~nde befinden sich h~ufig in typischer Pillendreherstellung, manehmal aueh angedeutete Pillendreherbewcgung. Selten leiehte Wackelbewegungen der Hi~nde. Starke Adiadochokinesis.

22. XI. 1920. Auffallende Bewegungsarmut und starke Triigheit aller Bewe- gungen. Hi~ufig Zwangslaehen und Zwangsweinen. Pupillen beiderseits entrundet, reagieren nur ganz minimal auf Lichteinfall. Kein gelblich griiner Cornealring. Gang steif, unbeholfen, nicht deutlich spastisch-paretisch. Athetotisehe Bewegun- gender Finger und Zehen.

10. III. 1921. Pat. liegt teilnahmlos, bewegungslos, zusammengerollt im Bett, Kopf stets nach vorn gebeugt. Beim Versuch, den Kopf passiv nach riiekwi~rts zu richten, spannen sich die Musculi sternocleidomastoidei an. Dabei Schmerzen.

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Die Muskulatur zeigt bei passiven Bewegungen deutliche Rigiditi~t. Aktive Bewegungen werden langsam ausgeffihrt.

23. III. 1921. P16tzlieh Exitus nach einem vor drei Tagen aufgetretenen Erysipelas faeiei.

Zusammenfassend sehen wir hier also das Bild einer Paralysis agitans sine agitatione, wie wit es bei L~sionen des Linsenkerns zu finden gewohnt sind, aul]erdem aber auch deutliche bulb~re und Klein- h i rnsymptome, die im Sektionsbericht und in der histologischen Unter- suchung ihre Erkli~rung finden.

S e k t i o n s b e r i c h t : Aus differentialdiagnostischen Grfinden sei erw~hnt, dab die Leber aul~er leichten Stauungserscheinungen keine krankhaf ten Ver~nderungen zeigte.

Im folgenden die Sektion des Kopfes:

Sch/~deldaeh symmetrisch. I-Iarte Hirnhaut nirgends verwachsen, gleiehmgl3ig gut gespannt, mit glatter Innenfl/iche fiber der Konvexit/it. Im Subduralraum wenig Fliissigkeit, die weichen H/~ute fiber der ganzen Konvexit~t vollkommen durchsichtig, zart, glatt, gut anliegend, im Subarachnoidealraum sehr wenig Flfissigkeit. Die Windungen namentlieh auf der Scheitelh6he ziemlich breit, gut aneinanderliegend, an keiner Stelle irgendwelche Verschmglerungen oder Einsenkungen. An der Basis betrgchtlich vermebrter subarachnoidealer und sub- duraler Liquor. Die Basis des Grol~hirns 1/~$t keine Abweichungen in der Kon- figuration und im Windungsrelief erkennen. Dagegen erseheinen Kleinhirn, Brficke und verl/ingertes Mark sehr betr~chtlich ver~ndert. Beide Kleinhirnhemisph~ren sind auffallend klein, feinrunzelig, der Unterwurm ist hochgradig atrophisch, tier eingezogen, wodurch die beiden Hemisph/~ren, von unten her betrachtet weit- kin voneinander getrennt erscheinen. Die weichen H~ute sind auch hier an keiner Stelle verdickt oder getriibt. Die Konsistenz beider Hemisph~ren besonders der rechten, sehr erheblich vermehrt, derb und z/~he. Die Zeichnung des Lebensbaumes auflerordentlich rein, alle Windungen gul]erst verschm/~lert, die Markzungen in ihnen sehr atrophisch, aucb die zentralen Markpartien des Kleinhirns erscheinen iiullerst verschm/ilert, der Zahnkern beiderseits, besonders rechts, sehr klein, etwas br~unlich, vorspringend, aber unschaff abgegrenzt. Die Brficke ist sehr verschm/~lert, fiihlt sich ebenfalls auffaliend derb an und li~fit linkerseits yon unten her seichte, grubenartige Einsenkungen erkennen. Verl/~ngertes Mark sehr schmal, namentlich auch im Oliventeil, und auffallend derb. Auf Querschnitten erscheint die Zeichnung der Briicke sehr stark verwaschen, ganz unregelmiil~ig von br/~unlichen, leicht einsinkenden, aber nicht erweichten Partien durchzogen, dazwischen hellere, etwas vorragende Sfreifen. Auch im verlgngerten Mar~k ist die Zeichnung sehr undeutlich, die Olivenkerne unscharf abgegrenzt, die ganze Substanz yon blai]br~unlicher Farbe.

Im Groi~hirn dagegen an keiner Stelle irgendwelche abnorme Einlagerungen oder Schwundpartien erkennbar. In den Hemisph/~ren die Windungen breit, die ]~inde iiberall gut abgegrenzt. Die Hirnkammern nicht erweitert. Liquor klar. Ependym durchsichtig, Adergeflechte zart. Zeichnung der basalen Ganglien beiderseits vollkommen deutlich erkennbar, sehr dunkel, etwas br~unlich, nirgends einsinkend. Sowohl die grol~en basalen Hirnarterien und deren verfolgbare Zweige wie auch die intracerebralen Gef~13durchschnitte lassen mit freiem Auge keine Ver~nderungen erkennen.

Wirbelkanal: Epidurales Fett gering, im Duralsack wenig klare Fliissigkeit, Durainnenfl/~che glatt und gl~nzend, die weichen H/iute vollkommen durchsiehtig.

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Die Konsistenz des Markes, besonders im Halsteil, derb. Zeiclmung hier etwas undeutlich, nach abw~rts zu wird die Figur der grauen Substanz im Querschnitt sehr viel sch~rfer. Herdeinlagerungen lassen sieh an keiner Stelle auffinden.

Gehirngewicht: 1240 g. Die nahere histopathologische Untersuchung, die an jeweils einigen

Schnitten der einzelnen Hirnabteilungen ausgeffihrt wurde, ergab nun folgendes :

K l e i n h i r n : Am Kleinhirn fallt zuni~chst auch mikroskopisch die au[terordentlich starke Verschmalerung sowohl der Rindenschicht wie der Markzone sofort auf. In der Schicht der P u r k i n j e s c h e n Zellen ist eine ganz bedeutende Abnahme der Zahl dieser Zellen fest- zustellen, schatzungsweise ist noch ein Drittel der normalen Zellenzahl vorhanden. Eine pathologische Beschaffenheit der noch erhaltenen P u r k in j e schen Zellen ist nicht sichtbar. An der Stelle der zugrunde gegangenen Ganglienzellen haben sich umschriebene ,,strauchartige Gliawucherungen" gesetzt, die sich teilweise gerade, teilweise schri~g fiber die Molekularzone der Kleinhirnrinde erstrecken. Es handelt sich urn, wie in den S p i e l m e y e r s c h e n Fallen, ,,gro[te plasmareiche, lang- ausgezogene Gliaelemente, die meist in deutlichen plasmatischen Ver- banden zusammenh~ngen, sich durch die breiten, stark gefarbten plasmatischen Fortsatze auszeichnen und durch zahlreiche Mitosen eine intensive Wucherungst~tigkeit manifestieren". Die KSrnerschicht des Kleinhirns ist, wie schon erwiihnt, stark verschmalert, zeigt aber sonst keine Verandcrungen. Das an manchen Stellen festzustellende Auftreten einer ,,hul~eren KSrnerschicht" soll weiter unten im Zusam- menhang mit der Atrophie des Kleinhirns noch nigher besprochen werden. Im gleichfalls atrophischen Mark finder sieh freies und in Zellen eingeschlossenes sehwarzes Pigment, das wohl als Hamosiderinpigment angesprochen werden mul~ und als ~berrest yon Gewebsblutungen zu betrachten ist. Au[terdem sind an den hier getroffenen Gefal~en stellen- weise sog. perivasculare Gliam~,ntel festzustellen, einfache oder mehr- fache syncytiale Reihen yon Gliazellen, die au[terhalb der Adventitia !iegend streckenweit ein Gefit~ begleiten. Der schon makroskopisch ver- anderte Nucleus dentatus bietet ein Bild mannigfaeher Veranderungen seiner nervSsen Elemente. Die Zahl seiner Zellen mag als noch fast normal bezeichnet werden. Aber diese Zellen weisen in gro[ter Mehr- zahl Zeichen des Verfalles auf, die sich in eigentiimlichen Lichtungen und Verfarbungen als Schwellung und Vakuolisierung des Protoplasmas, Verlagerung des Kernes, AuflSsung der Tigroidsubstanz dokumentieren. Auch sind einige zellig-gliSse Herde sichtbar, die aus Anhaufungen von grS]~eren und kleineren Gliaelementen bestehen und von zahlreichen schwarzes und gelbes Pigment ffihrenden KSrnchenzellen bestreut er- seheinen. Von Ganglienzellresten ist unter diesen Gliazellenanhaufungen nichts mehr zu sehen.

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Medul la o b l o n g a t a : Bedeutend welter fortgeschritten ist dieser Nervenzellen zerstSrende Prozel3 in der Medulla oblongata, besonders in den Oliven. Zwar ist das blal3bl~tuliche Band der beiden Oliven gut sichtbar, aber die Zahl tier vorhandenen Ganglienzellen ist nur mehr sehr gering, sie betrggt vielleicht noch ein Ffinftel der Norm. Und die noch erhaltenen Ganglienzellen zeigen alle die verschiedensten Stadien des Verfalles, wie sie schon in geringem Grade im Nucleus dentatus beschrieben warden, als da sind: Schwellung und Abrundung des ZellkSrpers, Vakuolisierung des Protoplasmas, Verlagerung des Kernes an den Rand, staubfSrmiger Zerfall der Nisslschollen und vom Rande her nach dem Kern zu fortschreitende Aufhellung und Auf- lSsung der f~rbbaren Substanz. Aul3erdem sind hier in den Oliven und Nebenoliven und anderen Kerngebieten der Oblongata typische Bilder yon Neuronophagien zu sehen, die als Reste der hier vorgegangenen entziindtichen und an den schweren Ver~tuderungen schuldigen I)rozesse zu betrachten sind. Obwohl ich nur wenige Schnitte des Bulbus zur Verfiigung hatte, konnte ich an einem ziemlieh zentral gelegenen Gefi~I3 ein deutliches perivascul~res Zellinfiltrat sehen, eine dichte Einlagerung yon gro/3en Plasmazellen und lymphoiden Zellen, aber aueh Gliaelemen- ten in die Schiehten der Gef~t{3wand, besonders Adventitia und Vir- chow- Robinsehen Raum. (Abb. 1 u. 2.)

Bri icke: An den Schnitten der Briicke, die wie die Oblongata mikroskopiseh eine starke Verkleinerung ihrer Areale aufwies, war ebenfalls an einer Stelle eine Ansammlung yon Gliazellen festzustellen, die vielleicht aueh als ~3berbleibsel eines neuronophagisehen Herdes zu deuten ist. Grol3hirnrinde, Thalamus optieus und Regio subthala- mica wiesen nirgends eine pathologisehe Ver~nderung auf.

Corpus s t r i a t u m : Dagegen zeigte der Linsenkern eiuige Be- sonderheiten, so besonders eine ausgesproehene Vermehrung der glio- genen Trabantzellen, die manehmal zu 5--8 um eine sonst nicht sichtbar ver~nderte Ganglienzelle herumliegen oder an einem Pol der Ganglienzelle angehi~uft sind. Ferner treten aueh hier an man- ehen Stellen die perivaseul~tren symplasmatischen Gliazellenm~ntel, wie uns solehe sehon im Kleinhirn begeguet sind, deutlich hervor. Endlich linden wir an pr~eapilli~ren Arterien und Capillaren des Globus pallidus eine eigentiimliehe Wandveri~nderung. Sie besteht in einer Kalkeinlagerung, die so ziemlieh die ganze Media und einen Teil der Adventitia einschliel31ieh des Virchow-Robinschen Rau- rues betrifft, w~hrend die Intima frei ist, und erseheint als dunkel- gef~rbter Ring, der die ganze Zirkumferenz des Gef~131umens ein- nimmt. An einigen Gef~13durchsehnitten sind die Zeichen beginnen- der Mediaverkalkung zu sehen in Form yon eingestreuten dunklen Klumpen und St~ubehen.

Z. f. d. g. Neur. u. Psych. L X X V . 15

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Zusammenfassend haben wir hier also ein Sammelbild vieler in letzter Zeit gefundener und beschriebener pathologisch-anatomischer Befunde yon Encephalitis epidemica.

E c o n o m o hat in seinem ersten Entwurf des pathologiseh-anato- misehen Brides der yon ihm nach dem hervorstechendsten klinisehen Symptome so benannten Encephalitits lethargiea schon he~vorgehoben das regehnitNge Vorkommen yon Neuronophagien. Frcilieh sind diese Er-

Abb. 1. Normale Olive. Nisslfitrbung. Winkel 2'a. Ok. 3.

scheinungen nicht im urspriinglichen E c o n o m o schen Sinne als charak- teristiseh ftir Encephalitis anzusehen. Denn Neuronophagien linden sich bei den verschiedensten toxischen und infckti6sen Sch~digungen des Zentralnervensystems und sind mehr als Zeichen der fortdauernden Wirksamkeit einer im Zentralnervensystem t~tigen Noxe zu betrachten.

J~hnlich ist es mit allen anderen Befunden. So wurden die in der Molekularzone des Kleinhirns vorhandenen umschriebenen ,,strauch- artigen Gliawueherungen" yon S p i e l m e y e r zuerst bei Flcckfieber, spitter bci Typhus abdominalis und Paratyphus, ferner bei fiinf Fitllen yon Status epilepticus bei genuiner Epilepsie und an 4 Fi~llen yon Status bei symptomatiseher Epilepsie gefunden. D i i r c k hat ihr Auf-

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treten bei einer Reihe yon Fi~llen tropischer Malaria in Mazedonien und Thrazien und endlich in 50% aller von ihm histologisch untersuchten Encephalitisfi~lle beschrieben. Sie linden sich, allerdings meist iiberdeckt yon anderen Vorgi~ngen, auch bei der progressiven Paralyse. Sie stellen also ebenso wie die Neuronophagien nichts Charakteristisches ffir Encephalitis dar, sondern sind, wie die beiden Autoren ausdriicklich hervorheben, nur der Ausdruck akuten Anschwellens irgendeines ehro-

Abb. 2. Vollkommen verOdete Olive. Nut links oben noch ein paar gesehrumIffte Ganglienzellen. Nisslfftrbung. Winkel 2a. Ok. 3.

nischen zentralen Prozesses. Die Molekularzone des Kleinhirns bzw. die P u r k i n j e schen Zellen stellen einen ~tul~erst e mpfindlichen Apparat vor, der auf dic verschiedensten Schi~dliehkeitcn reagiert. Man kann hier geradezu yon einer elektiven Erkrankung yon bestimmten Zellelementen und ihrem Ersatz durch Gliaelemente spreehen, wie S p i e 1 m e y e r hervorhebt.

Eine elektive Veri~nderung stellt auch die eigentfimliehe Gefitl3- verkalkung im Globus pallidus dar. Dt i rc k hat sie bei mehreren Fi~llen yon tropischer Malaria gefunden, W e i n g i ~ r t n e r in einem Falle yon mazedonischer Malaria, ferner hat sie D f i r c k in einer jiingst in dieser

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Zeitschrift erschienenen Abhandlung bei 15 Sektionen yon Encephalitis- fhllen 12 mal gefunden und eingehend beschrieben. S c h mi n e k e nimmt fiir die Gefi~Bverkalkung an, dab in einer in der Zwischensubstanz zur Ablagerung gekommenen hyalinen EiweiBmasse Kalk zum Nieder- schlag kommt. Dies setzt aber langdauernde Prozesse voraus, ehro- nische Degenerations- und Entzfindungszust/~nde, denen die Ver- kalkung folgt. Diirc k hebt ausdrficklieh hervor, dab ganz akut vor sich gehende, ja sogar in wenigen Tagen ablaufende patho]ogisehe Zusti~nde des Gehirns ztt ausgedehnten Gefi~Bverkalkungen bestimmter Bezirke ffihren kSnnen. Als Beispiel nennt er, dab G. Herzog bei akuter Leuchtgasvergiftung in 3 Fi~llen die kleineren und mittleren Arterien von sehweren Verkalkungen ihrer Wi~nde, namentlieh der Media be- fallen sah, sehon 4--11 Tage naeh der Vergiftung, und ffihrt schlieBlich an, dab er sie bei Encephalitisfi~llen sehon nach 8 Tagen angetroffen babe. Es ist anzunehmen, dab die lokalen Verh~ltnisse die Eikrankung und Verkalkung der LinsenkerngefitBe besonders begiinstigen, wobei eine hyaline Verquellung der Gef~Bwand, namentlich der Media der Verkalkung voraufgehen kann. Diirck miBt ihnen darum, wie gesagt, keine spezifisehe Bedeutung zu, viehnehr nimmt er sie als Ausdruck einer diffusen Gewebssehgdigung des Zentralnervensystems, welehe durch sehr versehiedene toxisehe bzw. toxisch-infektiSse Einwirkungen in gleicher Weise hervorgebracht werden kann, welche aber in der Regel -- und darum spreehe ieh yon elektiver Erkrankung dieser Gebiete -- nur in ganz bestimmten Regionen des Gehirns als eine Art lokalspezi- fischer Reaktion den Vorgang einer Kalkausfi~llung in dem vorgi~ngig veri~nderten Gewebe naeh sieh zieht. Es seheint, dal3 die Verkalkungen dann auftreten, wenn der Hemmungsmechanismus, weleher normaler- weise die Gewebe vor dem Eintritt des Kalkniederschlages dureh ver- mehrte Ca-Bindung sehiitzt ( F r e u d e n b e r g und GySrgy) unter dem EinfluB der toxisch-infektiSsen Schi~digung versagt. Von gro$em lnteresse ist, dab die Verkalkung immer in Gebieten festzustellen ist, die in funktioneller und bioehemischer Beziehung gewissermaBer physio- logiseh ein einheitliehes Organ darstellen. Es sind fast aussehlieBlieh Gebiete, in denen naeh L u b a r s c h und H. Spa tz ein gewisser physio- logischer Eisengehalt naehweisbar ist und die sich aueh dadurch als ein zusammengehSriges System erweisen. Im iibrigen hat dieser Velkal- kungsvorgang nattirlieh nicht das geringste mit Arteriosklerose zu tun, was ffir unseren Fall, wo es sich um eine 64ji~hrige Frau handelt, yon besonderem Interesse ist. Soweit die Ausffihrungen H. Diircks.

Ebenso wie diese Verkalkungen ist auch das Auftreten perivaseuli~rer Zellinfiltrate und der in Anhgufungen yon gliogenen Elementen bestehen- den neuronophagisehen Herde als Zeiehen einer toxisehen oder toxiseh- infektiSsen SehSdigung dieser Gebiete zu betraehten. Diese beiden

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eigentlich entziindlichen Erscheinungen wurden besonders von W. G r o s s in einer neueren zusammenfassenden Darstellung der pathologisch- anatomischen Befunde bei Encephalitis epidemica, wie schon friiher von Oberndor fe r , als die eigentlieh regelmal~ig zu findenden Ver- ~nderungen bei Encephalitis hervorgehoben. Er bezeichnet die epi- demische Encephalitis als eine zerstreute herdfSrmige Erkrankung des Zentralnervensystems mit eigenartiger Bevorzugung der grauen Sub- stanz und beschreibt zweierlei Arten dieser Herde: 1. Herde, bestehend aus einer Ghawucherung ohne Faserbildung, wenigstens in frischen F~llen, mit Neigung zur Entartung der gewucherten Glia, zusammen mit einem Untergang von ~ervenzellen, 2. adventitielle Infiltrate, vorwiegend aus Plasmazellen und Lymphoeyten bestehend, wie sic sonst bei langdauernden, langsam sich entwickelnden Erkrankungen zu finden sind. Offenbar k6nnen sich sowohl die zerstreuten lockeren Gliawucherungen wie auch die adventitiellen Infiltrate zuriickbilden, so dal~ nur noch kleine Gliakn6tchen als Reste der Erkrankung zuriick- bleiben.

Die perlschnurartig angereihten Anh~ufungen kleiner runder gli6ser Zellen an der gli6sen Grenzlamelle der Gef~f3e mui~ man wohl als eine Art Sehutzwall gegen das Eindringen der Sch~dlichkeit in das nerv6se Gewebe betrachten. Die durch die Trabantzellenvermehrung angedeu- tete Alteration der Ganglienzellen des Corpus striatum m6chte ich aber nieht allein auf die toxische Sch/~digung, sondern wohl auch zum Teil auf eine Ern/~hrungsstSrung zuriickfiihren. Denn dab die Verkalkung der hier ohnehin sp~rlichen Gef~Be nicht allein durch Erstarrung des sonst elastischen Rohres, sondern auch dureh Verlegung der Lymph- strSmung im u Raum eine NutritionsstSrung der empfindlichen Ganglienzellen herbeifiihren kann und muB, ist wohl ohne weiteres anzunehmen. Und somit w~re diese Trabantzellen- vermehrung mehr als Zeichen einer sog. Pseudoneuronophagie auf- zufassen, d. h. die gli6sen Elemente werden nicht gleichzeitig mit der Ganglienzelle dureh die Noxe alteriert und zu aggressiver T~tigkeit angereizt, sondern sic werden durch die vorg~ngig alterierte Ganglien- zelle, bzw. durch Stoffe lipoider und protagonoider Art, die im Zerfalls- prozef~ der Zelle entstehen, chemotaktisch angelockt, um nach Zer- fall und Aufl6sung der funktionsuntiichtig gewordenen Zelle sich an deren Stelle zu setzen. Mi t t a sch , der diese Trabantzellenvermehrung ebenfalls beschreibt, hebt hervor, dab nicht zu entscheiden ist, ob es sich um echte Phagocytose handelt oder ob sich die Begleitzellen nur an die Stelle der zugrunde gegangenen Ganglienzelle setzen. Eine andere Auffassung hat H o l m g r e n , der den Trabantzellen die Rolle yon Trophocyten zuschreibt. Er meint, die hochdifferenzierten Nerven- zellen batten die Fahigkeit der selbst~ndigen Ernahrung verloren

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und wiirden in ihrer nutrit iven Funktion vollsti~ndig yon ihren Trabant~ zellen abhi~ngig. Diese Vorstellung ist aber sicher zu eng; denn H. Di i rc k u. a. haben deutliche Bilder gesehen, wo diese Begleitzellen mehr oder weniger aggressiv den ZellkSrper selbst angegriffen, umklammert, in seiner Form ausgenagt haben und so schlieBlich zu eehten Neuronopha- gen geworden sind. Dal] die Trabantzellen in unserem Falle diesen aktiven Charakter nicht zeigen, wurde schon hervorgehoben. Sollte nicht die Funktion dieser Trabantzellen entsprechend ihrer Abstam- mung yon der Glia je naeh den Verh~tltnissen nach der einen oder naeh der anderen Richtung ausschlagen kSnnen? --

Sehlieitlieh taucht noch die Frage nach der Erkli~rung der attl~er- ordentlich hochgradigen Atrophie von Cerebellum, Bulbus und Pons und des Anfangsteiles des oberen Halsmarkes auf. Senile Veri~nderungen wfirden jedenfalls nicht geniigend sein zur Erkli~rung dieser Ersehei- nung, abgesehen davon, dal~ eharakteristische Zeiehen des Senilismus, wie fleekweise Erweichungen ( C a l m e t t e ) hier ggnzlich fehlen und andererseits die bier vorliegenden sehweren Veri~nderungen yon Pons und Oblongata bei senilen Vorg~ngen nicht vorkommen. Gewi~ werden encephalitische Prozesse in diesem Umfange, wie die Zerst5rung des grSl~ten Teiles der funktionierenden Elemente der beiden Oliven und eines Teiles der anderen Kerne in der Medulla oblongata und die damit verbundene sekundi~re Degeneration der Fasersysteme zum Kleinhirn und zur Briicke, dann die nicht weniger umfangreichen ZerstSrungen in Kerngebieten des Kleinhirns und der Briicke und den abhi~ngigen Leitungsbahnen, einen gewissen Grad von Atrophie dieser Organe bedingen; aber um den hohen Grad dieser Erscheintmg zu erklgren, dazu bedarf es doch meiner Ansieht nach noch der Annahme eines schon vorausgegangenen, und zwar eben kongenitalen Prozesses oder Zustandes. Die dutch niehts weiter zu erkli~rende Kleinheit und derbe Beschaffenheit des oberen ttalsmarkes sei nur erwi~hnt. Es sind genug Fi~lle yon bedeutender angeborener Atrophie dieser Organe bekannt, die meisten allerdings mit sehr bald manifest werdenden klinischen Symptomen. Aber man kann ja wohl annehmen, daI~ die Funktionen dieser Organe im ganzen erhalten bleiben, bzw. zur Entwieklung kommen, wenn die anzunehmenden embryonalen Prozesse nicht so fast zu einer ZerstSrung funktionierender Elemente ftihren, sondern vielmehr nur ein gewisses Bestehenbleiben von embryonalen Gestaltungsstufen be- dingen. Ieh mSehte bier speziell erinnern an die schon oben erwghnte ,,i~u~ere KSrnerschicht" des Kleinhirns, die an manchen Stellen auiter- ordentlich deutlich zu sehen ist. Die Ansichten der Autoren gehen hier allerdings auseinander und man hat bis heute m. W. eine einheitliche Deutung dieser Gebilde nicht gefunden. O b e r s t e i n e r und G. H o l m e s betrachten diese au~erhalb der KSrnerschieht in der Ebene der P u r -

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k injeschen Zellen gelegene, ein- oder mehrreihige Zone yon gliogenen Zellen als eine normalerweise vorhandene Schicht, die besonders deutlich bei atrophischen Prozessen hervortritt, bei denen die nervSsen Zellen der Kleinhirnrinde der Erkrankung zum Opfer fallen. H. V ogt und M. A s t w a z a t u r o w , auf die ich mich besonders stiitzen mSchte, fanden.dagegen diese Schicht auch bei vSlligem Erhaltensein der P ur- ki njeschen und KSrnerschicht, w~hrend sie andererseits bei vSlligem Verschwinden dieser Elemente ebenfalls fehlte. Die beiden Autoren sehen die ,,~uBere KSrnerschicht" an als Rest der im embryonalen Leben normalerweise vorhandenen Zellenreihe. Im 9.--10. Lebens- monat verschwindet die oberfli~chliche KSrnerschicht vollkommen oder ist nur noch in Spuren vorhanden. Man miiBte also dieses Fort- bestehen als Zeichen einer Hemmung der Entwicklung der Kleinhirn- rinde auffassen und k~me somit zu der yon mir oben angegebenen Auf- fassung, dai~ die Kleinheit yon Medulla, Pons und Cerebellum auf eine solche Hemmung zurfickzuffihren ist. Welcher Art diese Hemmung ist, ob wir eine gewisse Keimsch~digung oder eine das Gehirnbl~schen zu verschiedenen Zeiten seiner Entfaltung treffende Noxe annehmen sollen, entzieht sich unserer Erkenntnis. Der Vollst~ndigkeit halber soll nicht unerw~hnt bleiben, dab L. B driel diese aui]erhalb der KSrner- schicht sichtbare Zellenschicht ebenfalls yon Gliazellen ableitet und sie fiir identisch mit den Cdllules ~pitheliales von Cajal h~tlt. Durch vascul~tre Ver~nderungen bedingte Entzfindungsprozesse richten die nervSsen Elemente zugrunde und in der Schicht, wo sich normalerweise viele Gef~Be befinden, verursachen sie Hyperplasie der Neurogliazellen (Neurogliadamm der Kleinhirnrinde). Wir kommen damit den zuerst yon L e y d e n beschriebenen Zellen F r i e d m a n n s nahe, der diesen Zellen eine ausschlaggebende Bedeutung ffir die pathologische Histo- logie der Encephalitis cerebelli zuschreibt. F r i e d m a n n und Spiel- meye r sehen in ihnen eine besondere Form von Abr~tum- oder Fett- kSrnchenzellen und leiten diese Zellen yon Gliazellen ab, indem man fSrmliche l~berg~nge yon geschwollenen protoplasmatischen Gliazellen zu den epitheloiden Zellen finder. S te rn spricht den gliogenen Epithe- loidzellen jeden entzfindlichen Charakter ab und nennt sie genetisch nicht weiter erkl~rbare Abr~tumzellen. Alle diese Fragen sind jedenfalls vorl~iufig zu wenig gekl~rt, als dab man ein abschliei~endes Urteil fSllen kSnnte.

Wir haben damit eine Reihe mannigfaltiger pathologisch-anato- mischer Befunde beschrieben, wie sie seit E c o n o m o s Beschreibung bei Encephalitis (lethargica) epidemica aufgestellt worden sind, und zwar neben alten encephalitischen und postencephalitischen tterden mehr rezente Erscheinungen. Es ist, wie gesagt, keines dieser Zeichen spezi- fisch-charakteristisch ffir Encephalitis lethargica oder wie wir besser

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sagen -- in unserem Falle fehlt das Symptom der Schlafsucht gi~nzlich Encephalitis epidemica, und nur ihre Gesamtheit und der Ausschlul.~ der anderen noch in Betracht kommenden Krankheiten durch den klinischen Verlauf und das Fehlen der fiir diese Krankheiten charak- teristischen anatomischen Grundlagen ermSglichen die pathologisch- anatomische Diagnose auf Encephalitis zu stellen.

Es handelt sich am eine Encephalitis cerebelli, pontis et medullae oblongatae und des Corpus striatum, und zwar cine Encephalitis non purulenta, -- der Liquor, der bei Encephalitis epidemica in der hintere, Schi~delgrube sehr hi~ufig vermehrt gefunden wird, war v511ig wasse~- klar und ohne die geringsten Zeichen einer Eiterung, ebenso die Menin- gen --, eine Encephalitis non hiimorrhagica -- die kleinen Blutungs- reste in der Form der schwarzen PigmentkSrnchen sind ein sehr gewShn- licher Befund bei Encephalitis epidemica, der nicht als Zeichen einer wirklich h~morrhagischen Encephalitis gedeutet werden kann wie z. B. die sehr typischen l%ingblutungen der Influenza -- Encephalitis eine Encephalitis epidemica.

Sic stellt naeh unseren Befunden dar eine Erkrankung, der eine Schi~digung toxisch-infektiSser Natur zugrunde liegt und die sich offen- bar schubweise fiber die befallenen Gebiete ausbreitet. Ihre Auswirkung sind diffuse Alterationserscheinungen an grSl~eren Partien der nervSsen Teile mit reaktiven Ver:,tnderungen der Glia ohne gleichzeitige exsu- dative Prozesse. Inwieweit man berechtigt ist, in diesem Falle von einer Entziindung zu sprechen, ist bei dem neuerdings mehr denn je ent- brannten Streit fiber den Entziindungsbegriff im Zentralnervensystcm sehwer zu entscheiden. DaB in unserem Falle die Erkrankung vor- wiegend und anscheinend in erster Linie die Bezirke des Nach- und Hinterhirns ergriffen hat, mag denen Recht geben, die das eigentiimlich Wiihlerische des Befallenwerdens yon Encephalitis damit erkl~ren, dal~ sie immer eine gewisse vorausgehende Alteration der befallenen Teile annehmen. Diese wiire in unserem Falle gegeben durch die ange- nommene embryonale StSrung, die in diesem hohen Alter noch die Grundlage ffir das Eindringen des Encephalitis-Virus geboten hat. Dai.~ speziell der StreifenkSrper ein Lieblingssitz encephalitischer Erkrankun- gen ist, wurde wiederholt in der Literatur hervorgehoben und als Erkli~rung daffir seine eigentfimlich schlechte Gef~Bversorgung angegeben, die nur eine langsame Elimination des einmal eingedrungenen Virus ermSglicht.

Die Frage, ob ein Zusammenhang mit Grippe besteht oder ob es sich ganz um eine Erkrankung sui generis handelt -- in unserem Falle wird von einer Grippe nichts erwithnt -- sind wir aus dem einzelnen Fall nicht berechtigt zu entscheiden.

Zum Schluf~ sei nut noch darauf hingewiesen, dais sich die klinischen Erscheinungen zwanglos aus den pathologiseh-anatomischen Ver-

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~ n d e r u n g e n e rk l~ ren lassen . Es e r i i b r i g t s ich, N ~h e re s da r f ibe r auszu -

f i ihren , n a c h d e m die L i t e r a t u r f iber E n c e p h a l i t i s y o n d e r a r t i g e n Aus-

f f i h r u n g e n na tu rgemaf~ r e i ch l i ch b e d a c h t is t . I n m e i n e m Fal le h a t es

s ich d a r u m g e h a n d e l t , e ine p a t h o l o g i s c h - a n a t o m i s c h e D i a g n o s e zu

s t e l l en u n d diese l a u t e t e : E n c e p h a l i t i s e p i d e m i c a .

L i t e r a t u r v e r z e i c h n i s .

B 6r ie l , Arch. f. Psychiatr. u. NerveI~krankh. 51. - - B i n g , Schweiz. med. Wochenschr. 1921, I-I. 1. - - B r e g a z z i , Dtsch. Zeitsehr. f. Nervenheilk. 72. 1921. - - D i i r e k , diese Zeitsehr. ~2. - - D i i r e k , Miinch. med. Wochenschr. 1921, H. 2. - - v. E c o n o m o , Jahrb. f. Psychiatr. u. Neurol. 38. 1917. (Obersteiner-Festschrift.) - - v. E c o n o m o , Neurol. Zentralbl. 1917, Nr. 21. - - v. E c o n o m o , Mfincb. reed. Woehensehr. 1919, Nr. 46. - - v. E c o n o m o , Wien. med. Wochenschr. 1921, Nr. 30. - - F l a t a u , J a c o b s o h n und M i n o r , Handbuch der pathologisehen Anatomie des Nervensystems. - - F r e y s c h l a g , Dtsch. med. Wochenschr. 1921, Nr. 37. - - G r o s s , diese Zeitschr. 63. 1921. - - H a r t , Med. Klinik 1920, Nr. 33. - - H e r x h e i m e r , Berl. klin. Woehenschr. 1920, Nr. 49. - - H o l t h u s e n und H o p - m a n n , Dtsch. Zeitschr. f. Nervenheilk. ~2. 1921. - - H o l z e r , Berh klin. Wochen- schr. 1921, Nr. 38. - - H u b e r , dicse Zeitschr. 9. 1912. - - J a f f e , Med. Klinik 1920, Nr. 39. - - L e w a n d o w s k y , Handbuch der Neurologie. - - M i n g a z z i n i , diese Zeitschr. 63. 1921. - - M i t t a s c h , Med. Klinik 1921, Nr. 5. - - M o n a und S p i e g e l , Arbeiten aus dem Neurologischen Inst i tut an der Wiener Universit~it. Band 23. 1920. Herausg. von Obersteiner. - - N o n n e , Dtsch. Zeitschr. f. Nerven- heilk. 1919, H. 5 u. 6. - - O b e r n d o r f e r , Miinch. reed. Wochensehr. 1919, Nr. 36. - - O p p e n h e i m , Lehrbuch der Neurologie. - - R e d l i c h , diese Zeitschr. 37. 1917. - - R u n g e , Med. Klinik 1919, Nr. 14. - - S c h a f f e r , diese Zeitschr. 10. 1912. - - S e h i l d e r , Dtsch. Zeitsehr. f. Nervenheilk. 1919, H. 5 u. 6. - - S c h l e s i n g e r , Wien. med. Wochenschr. 1921, Nr. 30. - - S c h r S d e r und P o p h a l , Med. Klinik 1921. - - S c h u l t z e , Berl. klin. Wochenschr. 1921, H. l l . - - S i e g m u n d , Ber]. klin. Wochenschr. 1920, H. 22. - - S p i e g e l und S o m m e r , Arb. a. d. neurol. Inst. d. Wiener Univ. 22. I-Ierausgeg. von Obersteiner. - - S p i e l m e y e r , Mfinch. reed. Woehenschr. 1919, Nr. 12. - - S p i c l m e y e r , diese Zeitschr. 47. 1919. - - S p i c l m e y e r , Miinch. med. Wochenschr. 1919, Nr. 26. - - v. S t a u f f e n b e r g , diese Zeitsehr. 39. 1918. - - S t e r n , Arch. f. Psychiatr. u. Nervenkrankh. G. I. - - S t 6 c k e r , diese Zeitschr. 15. 1913. - - S t r i i m p e l , Dtsch. Zcitschr. f. Nerven- heilk. 54. 1915. - - V o g t und A s t w a z a t u r o w , Arch. f. Psychiatr. u. Nerven- krankh. 49. 1912.