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la resistenzaBeiträge zumWiderstandin Italien

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Stefan Poetzsch:Violine/Viola/Prerecordings/Liveelektronik/Komposition(auf den Aufnahmen zusätzlich:Stimme/Klavier/Gitarre)

Am Samstag den 27. Januar 2001wird die Klangcollage von und mitStefan Poetzsch in der StadtbüchereiErlangen uraufgeführt. Sie ist aberauch während der gesamten Ausstel-lungsdauer für interessierte Besuche-rInnen hörbar.

Die Klangcollage erhebt nicht denAnspruch einer Dokumentation, son-dern ist eine klangliche Verarbeitungder Interviews, was in dieser Form amehesten einem experimentellen Hör-spiel nahe kommt.

Originalstimmen von ZeitzeugIn-nen, Aufnahmen originaler Partisanen-lieder und Textpassagen aus Büchernergänzen eigene Arrangements undextra für dieses Projekt erstellte Kom-positionen, die in der Performance live

zu den mehrkanalig aufgenommenenAufnahmen gespielt werden. DieKlangkomposition ergänzt die Aus-stellung auf einer gefühlsmäßigenEbene, ohne dabei in pure Unterma-lung oder plakative Illustration inForm von etwa Gewehrklängen abzu-gleiten. Es wird nichts nachgestellt.Das Jetzt dient als Basis für denRückblick.

Die Originalstimmen der erst imSeptember 2000 befragten Partisa-nInnen, die nun mit einem gewissenAbstand über die damaligen Erlebnisseund Aktivitäten aus der Erinnerung be-richten, haben ihren ganz eigenenCharakter. Die Stimmen der Überset-zer vor Ort sind in unbearbeiteter Formzu hören. Doch sind die italienischenStimmen nicht immer zeitgleich mitden Übersetzungen zu hören. So erle-ben HörerInnen, die italienisch verste-hen eine andere Reihenfolge und einanderes zeitliches Zusammentreffenmit wiederum anderen klanglichen Er-eignissen.

Für die Musik wurden 24 Liederder Resistenza bearbeitet und fließenin Form einzelner Töne, Klänge, Pas-sagen oder typischer Rhythmik ein.Das musikalische Material entstammtüberwiegend diesen Liedern. Die vor-liegenden Melodien wurden als instru-mentale Interpretationen bearbeitet.

Aus dem reichhaltigen Interview-material wählte Stefan Poetzsch Infor-mationen aus, die in gedruckter Formoder auch in anderem Zusammenhangnicht spektakulär genug wären oderdurch die Form des Berichtes nicht inFrage kommen würden. Es werdenauch Sätze oder Wortfetzen wieder-holt, die von ihrer Bedeutung viel-leicht unwichtig sind, durch die klang-liche Hervorhebung aber durchausAssoziationen wecken können.

Bei der ausgewählten Literaturhandelt es sich um Auszüge oderSplitter aus “Der verschollene Deut-sche” von Nuto Revelli - einem ehe-maligen Partisanenoffizier - und “FürVioline Solo” von Aldo Zargani, derals jüdisches Kind die Zeit der Juden-verfolgung bei PartisanInnen überleb-te.

Neben den Bildern und Informatio-nen der Ausstellung und des Begleit-programms bietet die Klangcollage dieMöglichkeit, sich auf anderer Ebenedem Thema anzunähern.

Wir danken dem Kulturamt Erlangenfür die Unterstützung diesesProjektes.

Das Hörspiel kann auch bestelltwerden unter [email protected],per Fax 09131/208255oder unter VezuFaM,Feldstr.22, 91052 Erlangen.

Experimentelles HörspielEine Klangcollage zur Ausstellung ''Partigiani''

Zur Person von StefanPoetzsch: Nach vielen Er-fahrungen mit Improvisa-tion und Jazz arbeitet erderzeit kompositorischund spezialisiert sich u.a.auf die Einbeziehung elek-tronischer Möglichkeiten(Liveelektronik; Prerecor-dings) in die Komposition.In seinen überwiegend ex-perimentellen und kamm-mermusikalischen Projek-

ten mit meist amerikani-schen MusikerInnen/Kom-ponistInnen konzertiert erregelmäßig in Europa undUSA (u.a. mit BenjaminBoone/Ha-Yang Kim/LukasLigeti). Er erhielt für seineKompositionen und Kon-zerte als Geiger/Bratscherverschiedene Preise undproduzierte für Rundfunkund CD.

für die finanzielle Unterstützung derAusstellung und Veranstaltungsreihe'Partigiani' in Erlangen:

Kulturamt Stadt Erlangen, Grüne ListeErlangen, Bismarckstraßenfest Erlangen,Kurt-Eisner-Verein für politische Bildungin Bayern e. V. in Zusammenarbeit mit derRosa-Luxemburg-Stiftung, Q-PunktNürnberg, ötv Erlangen, IG-MedienNürnberg, Italienisches KulturinstitutMünchen, FrauengruppentreffenErlangen, Gleichstellungsstelle StadtErlangen, Feministisches Forum derUniversität Erlangen-Nürnberg,Rifondazione Comunista Nürnberg,Rechtsanwältin Schreiber-Dach Erlangen,Taxi Hann Erlangen, IG Metall Erlangen,Erlanger Bündnis für FriedenV

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K für die gute Zusammenarbeit:

Dr. Guido Pisi, Laura Polizzi, MarcoComello, Gianfranco Poli, AlbertoCustodero, Luciano Boccalatte,Giuglio Nicoletta, Joachim Bahler,Beate Bennewitz-Carpino,Gabriella Dondolini-Scholl, LianaNovelli-Glaab, Andreas Kohrs,Libreria delle donne di Milano,Istituto storico della Resistenza diParma, Istituto Regionale FerruccioParri di Bologna, IstitutoPiemontese della storia dellaResistenza, ISTORECO Reggio Emiliaund vielen anderen ...

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la resistenzaherausgeben zur Ausstellung und Veranstaltungsreihe'Partigiani' vom

Verein zur Förderung alternativer Medien e.V.Feldstr. 22, 91052 Erlangen, Fax 09131 - 205020,[email protected].: Wolfgang MostIn Kooperation mit: IMEDANA(Institut für Medien- u. Projektarbeit) NürnbergSatz & Layout: Schwarzer Block Mc/o Verein zur Förderung alternativer MedienDruck: Brockmann & Klett, CadolzburgErscheinungsdatum: 22. Januar 2001

h t t p : / / w w w . p a r t i g i a n i . d e

I N H A L T

Seite 4La Resistenza - derWiderstand in Italien Gegen Faschismus unddeutsche Besatzungvon Nadja Bennewitz

Seite 6Den Unterschied zu vergessen,bedeutet den Sinn der GeschichteaufzugebenRevisionistische Bestrebungen in der aktuellenDebatte um Resistenza und Faschismusvon Guido Pisi

Seite 8Deckname: ''Toni''Aus der Arbeit eines SaboteursGespräch mit Fernando Cavazzin

Seite 10''In den Untergrund zu gehen,war wie eine Beförderung''Laura ''Mirka'' Polizzi war imantifaschistischen Widerstand aktiv

Seite 11''Obenauf die Kartoffeln,darunter die Munition'' Vom täglichen Widerstand einerPartisaninGespräch mit Giacomina Castagnetti

Seite 12Absage an das faschistische Modell –Italienische Frauen im WiderstandOhne die Teilnahme von Frauen wäre derWiderstand nicht möglich gewesenvon Liana Novelli-Glaab

Seite 14Covo di banditi- Höhle der BanditenDas Massaker von Cumiana vom Verein zur Förderungalternativer Medien e.V.

Seite 16''Sie sollten wissen, dass wir sienicht in Ruhe lassen würden'' Giulio Nicoletta, Unterhändler derPartisanen in Cumiana, erinnert sich

Seite 17''Sehen Sie, was für eineschicke Uniform er hatte'' Journalist Alberto Custodero besuchteAnton Renninger in Erlangen

Seite 18''Ein Schwarzer Moment in derGeschichte der Partisanen'' Der Krieg der deutschen Besatzergegen die Resistenzaaus einem Gespräch mit Luciano Boccalatte

Seite 18''Geschichtsfälschungenverhindern'' 1994 werden in Rom Kriegsverbrecheraktenwiederentdeckt Interview mit Staatsanwalt Dr. Rivelli

Seite 19Deutsche KriegsverbrechenDer verbrecherische Charakterdes Krieges in Italienvon Gerhard Schreiber

Seite 20''Du musstest gleichzeitig Hausfrau,Parteifunktionärin, Mutter sein ...'' Das politische Engagement einer Partisaninin der Nachkriegsgesellschaftaus den Erinnerungen von Laura ''Mirka'' Polizzi

Seite 21Die verratene ResistenzaDie Bedeutung der Resistenzafür die italienische Nachkriegsgesellschaftund die Neue Linkevon Dario Azzellini

IM

PR

ES

SU

M Fotos:

Austellungskatalog Partigiani der Institute fürWiderstand und Zeitgeschichte Modena, Parma,Reggio Emilia: Titelblatt, S. 4, 5, 8 oben links,

19, 24

Istituto Piemontese della storia dellaResistenza: S. 3 oben, 12, 13

Laura Polizzi: S. 10, 20

Marco Comello: S. 15

Verein zur Förderung alternativer Medien: Titelblatt (Hintergrund), S. 6, 7, 8 oben rechts,

9, 11, 14 oben rechts, 16, 17 oben, 18

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von Nadja Bennewitz

Am 10. Juni 1940 tritt das faschis-tische Italien unter Mussolini an derSeite Nazideutschlands in den 2. Welt-krieg ein. Doch die italienischeKriegsmaschinerie ist schlecht ausge-rüstet, der Militärhaushalt durch denKriegseinsatz in Äthiopien erschöpft.Die Angriffe gegen Frankreich, Grie-chenland und Jugoslawien bleiben na-hezu erfolglos. Als Italien 1941Deutschland bei seinem Angriffskrieg

im Widerstand tätig wird. Im Mai 1943kapitulieren die deutsch-italienischenTruppen in Afrika, am 9. Juni landendie Alliierten auf Sizilien, wo sie kaumauf Widerstand stoßen. Von dort setzensie auf das italienische Festland über.

Die Macht Mussolinis schwindet.Am 25. Juli stellt sich der Faschisti-sche Großrat gegen ihn. Die Monar-chie sieht Handlungsbedarf und setztMussolini ab und gefangen. Die Be-völkerung feiert und demonstriert fürden Frieden. Die Symbole des Fa-schismus werden zerstört: Die Abset-zung Mussolinis ist für die meistengleichbedeutend mit dem Ende vonFaschismus und Krieg. Die bisher imUntergrund arbeitenden antifaschisti-schen Parteien, in erster Linie dieKommunisten, formieren sich neu.

Die Resistenza, der Widerstand inItalien, beginnt am 8. September 1943.An diesem Tag wird das Waffenstill-standsabkommen mit den Alliiertenbekannt. Für die italienischen Streit-kräfte entsteht dadurch eine unklareSituation. Militärische Befehle bleibenaus, was viele Soldaten als Aufforde-rung auffassen, nach Hause zu gehen.Die Situation eskaliert: Innerhalb we-niger Tage besetzt NazideutschlandItalien. Flüchtende Soldaten werdenvon deutschen Truppen gefangen ge-nommen und in Internierungslagernach Deutschland verschleppt. Insge-samt sind es 730.000 italienische Sol-

daten, von denen über 16.000 in denLagern sterben werden. Um die Solda-ten vor der Deportation zu schützen,beginnt nun die “größte Verkleidungs-aktion der italienischen Geschichte”.Es sind die Frauen, die auf den Plantreten. Sie beschaffen den Soldaten zi-vile Kleidung und verstecken ihreWaffen für den bevorstehendenKampf. Tausende werden auf dieseWeise verkleidet, versteckt, versorgtund auf den Weg nach Hause gebracht.In der Forschung wird dieses Vorge-hen als “Massen-Maternage” bezeich-net, als eine spezifisch weibliche Formder Resistenza, bei der den Frauen erstaufgrund dieser Zuschreibung zuge-standen wird, stärker als Männer zusein.

Um der Deportation nach Deutsch-land zu entgehen, ziehen sich vieleMänner in die Gebirgsregionen derEmilia Romagna, des Piemont und Li-guriens zurück. Sie bilden die erstenPartisanenbanden als Reaktion auf denVersuch Deutschlands, das Land fürseine Kriegsführung auszunutzen.Meist sind es Ortskundige, die von ih-ren Verstecken in den Bergen aus dieBewegungen der deutschen Truppenbeobachten und dadurch einen Gue-rillakrieg führen können, bei dem sieauf Überraschungsangriffe setzen. Da-zu stoßen ebenfalls militärisch ausge-bildete entflohene anglo-amerikani-sche, sowjetische und jugoslawischeKriegsgefangene, nachdem sie zuvormeist von Frauen der Gegend aufge-nommen, versteckt und in dieWiderstandsbewegung eingeführtworden waren. Auch Deserteureder Wehrmacht schließen sich denPartisanen an.

Die politische Situation hatte sichverschlechtert, seit es deutschen Fall-schirmjägern gelungen war, Mussoliniaus dem Gefängnis zu befreien. Dievon Deutschland abhängige faschisti-sche “Republik von Saló” wird imSeptember 1943 gegründet; Mussolinibildet deren “Marionettenregierung”.Im Frühjahr 1944 mobilisiert die fa-schistische Regierung abermals fürden Krieg. Um sich dem Kriegsdienstzu entziehen, schließen sich vieleMänner der Resistenza an. Dies ist derUnterschied zwischen Frauen undMännern im Widerstand, den CarlaBadiali, die Dokumente für die Parti-sanenbewegung fälscht, gegenüber ih-rem Mann sagen lässt: “Ich mache dasalles, weil ich es mir ausgesucht habe.Du hattest keine Wahl, ich ja.”Die größte Bedeutung für die politi-sche und militärische Führung der Re-sistenza haben diejenigen Frauen undMänner, die sich der Widerstandsbe-

''So etwas hatte man nochnie gesehen! Es war eindeutliches Zeichen, dassdie Dinge sich änderten''

gegen die UdSSR unterstützt, ist dieStimmung in den italienischen Trup-pen gespalten, der Sinn des Kriegesvielen unklar. Auch in der Zivilbevöl-kerung wächst der Unmut gegen denKrieg angesichts täglicher Entbehrun-gen, verstärkt durch die einsetzendenBombardierungen. Anfang 1943scheint der Krieg bereits verloren. ImMärz werden in den norditalienischenFabriken die ersten Streiks organisiert,an denen Hunderttausende teilnehmen.“So etwas hatte man noch nie gesehen!Es war ein deutliches Zeichen, dass dieDinge sich änderten”, berichtet dieLehrerin Ines Barone, die als Staffette4

La Resistenza –der Widerstandin Italien

Nach der Befreiung auf dem Rathausplatz in Reggio Emilia

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diese Fähigkeit deutlich: Der Trans-port illegaler Zeitschriften zur Schu-lung der PartisanInnen wird alsschwangerer Bauch getarnt, Waffenwerden im doppelten Boden der Ta-sche geschmuggelt. Gekleidet sind dieFrauen fast mädchenhaft - so entgehensie den Deutschen und leiten lebens-wichtige Informationen und Materia-lien weiter.

Nach dem Waffenstillstand am 8.September 1943 und der Auflösungder Streitkräfte gründen die antifa-schistischen Parteien das NationaleBefreiungskomitee, den CLN, der einbreites Bündnis umfasst: Kommunis-ten, Sozialisten, Liberale, Republika-ner und Katholiken. Drei Männer bil-den die Führungsspitze des “Freiwilli-genkorps für die Freiheit”, des militä-rischen Arms des CLN, dem die be-waffneten Partisaneneinheiten zuge-ordnet sind. Die Garibaldini stellen et-wa die Hälfte der bewaffneten Wider-standskämpferInnen und werden vonder kommunistischen Partei organi-siert. Politische KommissarInnenschulen die Partisanen, diskutierenGründe für den Befreiungskampf undwie ein befreites Italien aussehenkönnte. Die Formationen “Gerechtig-keit und Freiheit” stehen der liberalenAktionspartei nahe. Die AutonomenGruppen nähern sich schließlich denLiberalen an. Quantitativ unerheb-licher sind die sozialistischen BrigateMatteotti und die Brigate Mazzini derRepublikaner. Die anarchistischen undeinige marxistische Einheiten unter-stellen sich nicht der Autorität desCLN. Die Kontakte innerhalb desOberkommandos und zwischen denPartisanengruppen sind wegen unter-schiedlichen politischen Ansichtenund militärischen Vorgehensweisennicht immer spannungsfrei. Sabotage-akte wichtiger Versorgungsstrukturender Deutschen, Angriffe auf Polizeista-tionen zur Beschaffung von Waffenund mit den Alliierten koordinierte An-griffe gehören zum Kampf der Partigi-ani. Vergeltungsmaßnahmen deutscherTruppen und italienischer Faschisten,Geiselnahmen, Erschießungen von Zi-vilistInnen und mangelnde Ausrüstungerschweren den Widerstand in denBergen.

Frauen gehören nicht den Füh-rungspositionen des CLN an, obgleichsie wichtige Verbindungsfunktioneneinnehmen. Sie gründen im November1943 die Gddd, die Frauenbefreiungs-gruppen, die eigene Zeitschriften her-ausgeben, in den Fabriken für den anti-faschistischen Kampf agitieren, glei-chen Lohn wie für Männer fordern,Material und Kleidung für die kämp-

wegung aus antifaschistischer Über-zeugung heraus anschließen. DieserTeil der italienischen Resistenza wirdspäter die Grundlage für die Identitätder Nachkriegsgesellschaft bilden undverdeutlichen, dass die Resistenza dreiAspekte und Zielsetzungen vereinigte:den nationalen Befreiungskampf, denBürgerkrieg gegen Faschismus undden Klassenkampf. Durch dieseWiderständigen wird die Schaffungideologisch-politisch gefestigter Parti-sanengruppen möglich. Zwar ist esFrauen nicht wie Männern ohne weite-res möglich, sich dem bewaffnetenWiderstand anzuschließen - zwanzigJahre Faschismus prägen das Frauen-bild auch der progressivsten linkenKräfte -, dennoch kämpfen auch unterihnen einige mit der Waffe, leben mitin den Formationen und übernehmendort politische Aufgaben.

Doch unter Resistenza ist nicht nur be-waffneter Widerstand zu verstehen,sondern grundsätzlich eine Resistenzacivile, der zivile Widerstand, als Ant-wort auf die Ausbeutung menschlicherund materieller Ressourcen durch denNationalsozialismus. Unabhängig vonParteien oder Organisationen sind esmeist Frauen, die Verfolgte schützen,Einrichtungen und soziale Zusammen-hänge frei von faschistischen Einflüs-sen halten, den ökonomisch-politi-schen Kampf gegen die Besatzer füh-ren. Ihre Mittel sind Mut, Verstellungund Täuschung, die Fähigkeit, Bezie-hungen zum Schaden des Feindes zumanipulieren. Anhand der Staffetten-dienste der Frauen, die die Kontaktezwischen den Formationen und zu denParteien halten und gleichzeitig ihr“normales” Leben weiterführen, wird

Unter Resistenza ist nichtnur bewaffneter Widerstandzu verstehen, sonderngrundsätzlich eineResistenza civile, der zivileWiderstand, als Antwort aufdie Ausbeutung mensch-licher und materiellerRessourcen durch denNationalsozialismus

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fenden Truppen produzieren, Geld vonFabrikbesitzern besorgen. In der For-schung wird heute von 150.000 be-waffneten Partigiani ausgegangen.Der Partisanenkampf benötigt dieUnterstützung der Zivilbevölkerung.Es ist von 14 Unterstützenden proKämpfenden auszugehen.

Ab Frühjahr 1944 gelingt einigenPartisanenformationen die Schaffungbefreiter selbstverwalteter Republi-ken, so u.a. in Montefiorino/Emiliaoder im Ossola-Tal/Piemont. Hierwerden kleine “Parlamente” einge-richtet, in denen männliche Dorfrätedie politische Verantwortung überneh-men.

Neben dem Widerstand in denBergregionen agieren die GAP, die Pa-triotischen Aktionsgruppen in denGroßstädten, organisiert von derKommunistischen Partei. Diese Frau-en und Männer arbeiten vollständig imUntergrund, übernehmen Sabotageak-te, Anschläge und erschießen Faschis-ten.

Im Frühjahr 1945 befreien Partisa-nInnen und EinwohnerInnen zahlrei-che Städte. Am 25. April übernimmtdas CLN in den befreiten Gebieten dieMacht. Bennito Mussolini und seineGeliebte Claretta Petacci werden dreiTage später hingerichtet. Die Deut-schen müssen bedingungslos in Italienkapitulieren. Die Partisanenformatio-nen ziehen als Sieger durch die Stra-ßen. Die Partisaninnen dürfen nichtmitlaufen oder müssen die Binde derKrankenschwester tragen ...

A. Bravo & A.M. Bruzzone:In guerra senza armi, Roma 1995L. Klinkhammer: Zwischen Bündnisund Besatzung, Tübingen 1993C. Pavone: Una guerra civile,Torino 1991

Warnung vor PartisanInnengebieten

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rischen Revisionismus, unterstütztdurch das Mitte-Rechts Lager, wieder.

Diese Debatte über die Geschichteder Resistenza schlägt sich im Wahl-kampf zu den Parlamentswahlen imFrühjahr 2001 nieder. Um den deut-schen Lesern das konfuse Klima ver-ständlich zu machen, in dem diese De-batte geführt wird, möchte ich michhier auf Italo Calvino beziehen, einender bedeutendsten Schriftsteller unse-rer Zeit.

Im Dezember 1946 vollendete Cal-vino seinen ersten Roman “Wo Spinn-nen ihre Nester bauen”. Er stellt darinunterschiedliche Überlegungen überseine frischen Erfahrungen in den Rei-hen der Resistenza an. Calvino gingAnfang 1944 im Alter von 20 Jahrenmit seinem 16-jährigen Bruder in dieBerge und schloss sich den Partisanender 2. Division “Garibaldi” an, die inden Ligurischen Alpen an der französi-schen Grenze operierten. Er kämpftedort bis zur Befreiung gegen die Deut-schen und die Faschisten der Republikvon Salò. Seine frühen Aufzeichnun-gen zeugen noch heute, 55 Jahre spä-ter, von einer intellektuellen Klarheitund Weitsicht, die um so erstaunlichersind, wenn man sie den stereotypenÜberzeugungen gegenüberstellt, diedamals in der antifaschistischen Bewe-gung vorherrschten.

“Wo Spinnen ihre Nester bauen”erzählt die Geschichte des kleinen Jun-gen Pin, der durch eine Spielerei un-versehens in den Partisanenkrieg ver-

wickelt wird. Nachdem er aufgrund ei-ner Wette eine Pistole gestohlen hat,wird er von den Deutschen verhaftet.Mit Hilfe eines Partisanen kann er ausdem Gefängnis fliehen.

Durch den linearen Handlungsab-lauf und die schnörkellose Sprachebietet die Erzählung eine Darstellungder Resistenza jenseits von Heldentumund Verherrlichung. Calvino wählt fürseine Geschichte Randfiguren undAntihelden wie den Jungen Pin. DiePartisanenabteilung, der er sich an-schließt, besteht aus Individuen ohnesoziale Verankerung und ohne politi-sches Bewusstsein oder Klassenbe-wusstsein. Der Blick des Autors rich-tet sich auf Gruppen am äußerstenRand der Welt der Resistenza, auf je-

Diese Debatte über dieGeschichte der Resistenza

schlägt sich im Wahlkampfzu den Parlamentswahlen

im Frühjahr 2001 nieder

von Guido Pisi

Während in Erlangen die Ausstell-lung “Partigiani” eröffnet wird, diedem deutschen Publikum eine umfang-reiche Dokumentation über die italie-nische Resistenza und dem mit dendeutschen Besatzern kollaborierendenFaschismus der Republik von Salò bie-tet, sind in Italien vor kurzem zwei Bü-cher von großer Bedeutung überdasselbe Thema erschienen: Der vomNationalen Institut für die Geschichteder Befreiungsbewegung herausgege-bene “Historische Atlas der italieni-

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Den Unterschied zu vergessen, bedeutetden Sinn der Geschichte aufzugebenRevisionismus in der aktuellen Debatte um Resistenzaund Faschismus in Italien

schen Resistenza” und der erste Banddes “Wörterbuchs der Resistenza” (hg.von Enzo Colotti). Dies ist ein deut-licher Beleg für das Interesse, das die-se historische Periode in Italien noch55 Jahre nach der Beendigung des 2.Weltkrieges findet.

Es geht hier auch um einen beson-deren Fall von öffentlichem Umgangmit der Geschichte. In den großen ita-lienischen Tageszeitungen spiegelt ersich in der Auseinandersetzung zwi-schen einer politischen Kultur antifa-schistischer Prägung und einem histo-

nes unsichere Gebiet, in dem die Grün-de dafür, ob einer auf der Seite der Par-tisanen oder der Deutschen und der Fa-schisten steht, dem Leser nicht deut-lich werden. Was die Entscheidungender einen oder anderen bedingt hat, istweder klar bestimmbar noch rational.In beiden Lagern wurden die Men-schen durch sehr ähnliche Gefühle ge-trieben: “Raserei und sinnlose Wut”,“ein Spiel unter Gefährten, dessen Ein-satz der Tod ist”, wie es Calvino ver-schiedentlich beschreibt.

Was also unterscheidet die einenvon den anderen? Was macht sie un-widerruflich verschieden, trotz derÄhnlichkeiten der Einstellungen undder Impulse: Der brutalen Gewalt, derWut, des Fehlens von Mitleid? Wasmacht es unmöglich, über die Partisa-nen und ihre Gegner in der gleichenArt und Weise zu urteilen?

Das Problem, das Calvino formu-liert, ist dasselbe Problem, das in denletzten Monaten häufig auf den Kultur-seiten der größten italienischen Zei-tungen diskutiert wird. Darüber disku-tieren bei Calvino auf einem nächt-lichen Marsch Ferriera, der Comman-dante der Brigade – logisch und kon-kret denkender Arbeiter, typischer Ver-treter der um Befreiung kämpfendenKlasse – und der politische KommissarKim – ein angehender Psychiater aufder Suche nach unkonventionellen Er-klärungen. Die Überlegungen desKommissars Kim suchen auch nachdem Sinn im Kampf derer, die “keinwahres und kein erdachtes Vaterland

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Eben diese These wurde kürzlichvon den großen Tageszeitungen “LaStampa” und “Corriere della Sera”aufgegriffen. Anlass war das gerade er-schienene Buch “La fine di una stagio-ne” (Ende eines Lebensabschnittes)von Roberto Vivarelli.

Der siebzigjährige Vivarelli warbisher für seine antifaschistischeOrientierung und seine Untersuchun-gen über die Arbeiterbewegung be-kannt. In seiner späten Autobiografieverspürt er das Bedürfnis, einen Teilseiner verschwiegenen und verdräng-ten Erfahrungen zu enthüllen.

Durch das Beispiel des Vaters an-geregt, der als Freiwilliger im Krieggefallen war, und geformt durch diePropaganda der faschistischen Jugend-organisationen, schloss sich Vivarellimit 14 Jahren begeistert der Republikvon Salò an. Er kämpfte in denschwarzen Brigaden, war an der Er-schießung von drei Partisanen (“Spio-nen”, wie er sie nennt) beteiligt undschwenkte mit Überzeugung die Fahnemit dem Hakenkreuz.

Bei der Erinnerung an jene ferneVergangenheit verspürt er heute wederBedauern noch Reue und räumt ledig-lich ein, dass er damals von den Ver-nichtungslagern nichts wusste. Zu sei-ner Entschuldigung führt er seine Gut-gläubigkeit und sein jugendliches Un-gestüm an. Seine Rechtfertigung gehtjedoch noch weiter, er versucht gefähr-licherweise mit Argumenten zu be-gründen, warum er sich für den be-waffneten Faschismus von Salò ent-schieden hat. Für Vivarelli liegt diemoralische Grenze weniger zwischendem geschichtlich “Richtigen” und“Falschen”. Für ihn liegt sie vielmehr“zwischen dem, der in gutem Glaubenauf der einen oder anderen Seite derBarrikaden sein Leben aufs Spiel setz-te, und jener Mehrheit, die es vorzog,am Fenster zu stehen und zu schauen,wie das Ganze wohl enden würde”.Darin begegnet uns ein häufig verwen-detes Thema der postfaschistischenTäterentlastung: Es billigt allen, die imNamen einer Vision mutig ihr Lebenaufs Spiel setzten, den Partisanen undden Milizionären von Salò, dieselbehohe moralische Gesinnung zu, egalauf welcher Seite sie kämpften. DieMehrheit der Bevölkerung wird dage-gen in einen Topf geworfen und als fei-ge bezeichnet. Mit dieser Lesart wirdaus der Geschichte jene Vielfalt vonVerhaltensweisen der Zivilbevölke-rung eliminiert, die sich in der “Grau-zone” abspielte. Dabei wurde dieseVielfalt nebst der komplexen Bewegg-gründe bereits durch die Geschichtss-schreibung beschrieben und reflek-tiert: Die Courage der Frauen, die dieSoldaten nach dem Waffenstillstand

haben”, derjenigen die vielleichtkämpfen, ohne das warum zu kennen,und die ein “Aufbegehren der Seele”auf die falsche Seite geworfen hat. Esist möglich, dass ihre Beweggründedieselben wie die der Faschisten sind,erklärt Kim, “dieselben und doch ge-nau das Gegenteil”. Um die einen klarvon den anderen zu trennen gibt es“die Geschichte”: “Und geschichtlichgesehen sind wir auf der Seite der Be-freiung, sie (die Faschisten) auf der an-deren” (all dies sind Formulierungenvon Calvino). Die Geschichte verleihtder Gewalt und der Wut der Partisaneneinen Sinn; dieselbe Geschichte ziehtdie Faschisten in einen zerstörerischenSog sinnloser Gewalt, die Unterdrück-ung und Knechtschaft für immer fest-schreibt. Auf der einen Seite gibt es“das Richtige”, auf der anderen “dasFalsche”.

Diesen einfachen, schrecklichenUnterschied zu vergessen, bedeutetden Sinn der Geschichte aufzugeben.Das Wesentliche, an das Calvino er-innert, ist, dass auch hinter dem idea-listischsten Kämpfer der faschisti-schen Brigate nere die Folterkammern,Deportationen, Konzentrationslagerund Gaskammern standen; aber hinterdem schlimmsten und unwissendstenPartisanen stand eine große Bewegungvon Männern und Frauen, die für einepazifistische, demokratische und soweit wie möglich gerechte Gesell-schaft kämpften.

Die Auffassung, die Geschichte seiauf eine einfache Anhäufung von Ein-zelschicksalen reduzierbar, jederMensch müsse einzeln für sich beur-teilt werden – in seiner unabänder-lichen, existenziellen Individualität.Diese Idee ist die Grundlage für dieunzulässige revisionistische Gleichset-zung der Partisanen mit den ”Jungenvon Salò”.

Ob einer “gut” ist oder “schlecht”,ob er von der Geschichte freigespro-chen oder verurteilt wird, hinge dannnicht so sehr von den Ideen ab, für dieer sich eingesetzt hat, sondern – ganzgleich ob Partisan oder Schwarzhemd,Opfer oder Schlächter – von dem indi-viduellen Auftritt, den er im Theaterder Vergangenheit hatte.

Eine neue Variante desfaschistischen Denkensbahnt sich heute ihren Weg

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versteckten, der Widerstand der Solda-ten in den Gefangenenlagern, die Ab-lehnung der Einberufungen, der zivileUngehorsam der Bauern, die ihre Pro-dukte bei den staatlichen Sammelstell-len nicht abgaben, sowie der gewalt-freie Widerstand der Kirchengemein-den.

Es ist alarmierend, wenn der aus-gewogene, angesehene Journalist Pao-lo Mieli in seiner Besprechung desBuches von Vivarelli sich beeilt, des-sen Interpretation gut zu heißen. Ersetzt die Mehrheit, “die es bevorzugthat, am Fenster zu stehen” mit jenergleich, “die sich in der Nachkriegszeitzur neuen herrschenden Klasse erklärthat, im Namen des Antifaschismus”.

Die Kontrahenten, die sich im“Bürgerkrieg” gegenüberstanden,werden auf eine Ebene gestellt; der“italienischen Republik, die aus derResistenza hervorging”, wird die Le-gitimität abgesprochen, der Kreisschließt sich bei der Zerstörung von

Paradigmen der Geschichtsschreibungund der Gesellschaft, und so enthüllensich die politischen Absichten derer,die all das betreiben. Das ideologisch-historiographische Modell richtet sichnach dem politischen Interesse, demes dient.

Wenn man sich heute vorstellt,man wäre an Pins Stelle in jener langevergangenen Zeit, und als junger Ita-liener nicht glaubt, man könnte selberentlang der Wege, “wo Spinnen ihreNester bauen”, in die Berge gehen, umsich den Partisanen anzuschließen, be-deutet dies zweierlei: Nicht nur, dassdie Vergangenheit falsch interpretiertwird, sondern auch, dass Gerechtig-keit und Freiheit heute an Wert undBedeutung verloren haben. Eine neueVariante des faschistischen Denkensbahnt sich heute ihren Weg durch dierevisionistische Lesart der Marionet-tenrepublik von Salò und versucht, sieder Verurteilung durch die Geschichtezu entziehen und ihr eine Würdewiederzugeben, die sie wahrscheinlichnie hatte.

Im Moment kommt dieses kultu-relle und politische Manöver krie-chend und mit einer gewissen Vorsichtdaher. Wie lange noch? Und wo wirdes enden?

(übersetzt aus dem Italienischenvon Heike Herzog und Matthias Brieger)

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schwere Niederlage zufügen. Das gabuns so einen Motivationsschub, dasswir darauf hin fast alle kleineren Ka-sernen und Polizeistationen in dieserGegend angriffen und entwaffneten.

Es verbreitete sich wie ein Lauf-feuer, dass diese relativ kleine Partisa-nenbewegung plötzlich große Erfolgezu haben schien. Das führte dazu, dassim Laufe des Monats Juni unsere Ein-heit bis auf 2000 Leute anwuchs. Wirhatten enorme Schwierigkeiten, dieNeuzugänge ein bisschen auszubilden,auszurüsten und in unsere Formatio-nen einzugliedern, weil fast täglichneue Gruppen zu uns stießen.

Auch die Einheiten in der Gegendvon Modena wuchsen innerhalb kurzerZeit auf 5000 Partisanen an. So konn-ten wir insgesamt ungefähr 7000 Leu-te hier in den Bergen zusammenzie-hen. Mitte Juni 1944 haben wir imHochapennin zwischen Reggio Emiliaund Modena eine sieben Gemeindenumfassende Partisanenrepublik, einzusammenhängendes befreites Gebiet,ausgerufen und organisiert. Eine großeFläche, circa 40 Kilometer breit, woerstmals seit zwanzig Jahren wiederBürgermeister und Gemeinderat ge-wählt wurden. Wir hatten gute Verbin-dungen zu den Alliierten, sie habenuns fast täglich aus der Luft versorgt.Wir hatten begonnen, eine Landebahnfür kleine Flugzeuge zu bauen. Dasbrachte wahrscheinlich das Fass zumÜberlaufen. Die Deutschen führten am30. Juli eine große Durchkämmungs-aktion in diesem Gebiet durch und zer-störten die Partisanenrepublik.

Zwei von der Front abgezogeneDivisionen kamen von drei Seiten undversuchten uns in eine Sackgasse zu

treiben. Unsere Verbände lösten sichauf, und wir schlugen uns in Klein-gruppen durch. Es gibt hier sehr vielWald, die Deutschen konnten nichtdas ganze Gebiet überblicken, und sosind viele durch die deutschen Linienweggekommen. Unsere Gruppe, umdie 60 Leute, hat 24 Stunden langWiderstand leisten können, da wir gutim Wald versteckt waren. Uns ist esauch noch gelungen, eine Brücke zusprengen. Irgendwann waren wir ein-gekreist, und unsere Gruppe zog sich12 Tage lang unter Gefechten in dieToscana zurück. Die Wälder lagenständig unter Mörserbeschuss, jedochmeist nach dem Zufallsprinzip, und sohaben sie uns nicht gekriegt.

Bei den Rückzugsgefechten gab esauf beiden Seiten erhebliche Opfer.Die Deutschen brannten als Vergel-tungsaktion eine Kleinstadt und ande-re kleine Dörfer ab, töteten ca. 10 Zi-vilisten und deportierten mehrere 100Leute zur Zwangsarbeit nach Deutsch-land. All das konnten wir nicht verhin-dern. Die Deutschen haben sich dannnach 15 Tagen zurückgezogen. Kurzdarauf sind unsere Kleingruppen nachund nach zurückgekehrt, wir fandenuns wieder zusammen. Als wir zu-rückkamen, gingen wir nicht wieder indie gleichen Dörfer, sondern hieltenuns in Zelten aus Fallschirmen aufdem Land auf. Wir konnten erst wie-der ganz langsam Kontakte in die Dör-fer knüpfen, die in der Zwischenzeitabgebrannt, zerstört, halb deportiertwaren. Es hat lange Zeit gedauert, biswir wieder auf 1500 bis 2000 Partisa-nen angewachsen waren. Doch dannhaben wir das Gebiet der vorherigenoffiziellen Partisanenrepublik wiederunter eigene Kontrolle bekommen. AbWinter 1944/45 war es faktisch durch-gehend befreites Gebiet. Zwar sind dieDeutschen ab und zu noch gekommen,aber nicht in so großer Anzahl undnicht für lange Zeit. Sie führten An-griffe über ein, zwei Tage aus und zo-gen dann wieder ab. So war unsereTaktik, zusammen mit den uns be-kannten und von uns eingesetztenBürgermeistern: Man zog sich zurückund kam wieder.

Der Winter 1944/45 war fürchter-lich. Die Alliierten haben aufgrund des“Alexander-Befehls” die Abwürfe vonWaffen und Hilfsgütern gestoppt, wasdie Deutschen natürlich bemerkten.General Alexander ließ verkünden:Partisanen, geht nach Hause, wir neh-men den Kampf im Frühjahr wiederauf. Für die Deutschen war das eingroßer Vorteil. Da sich an der Frontnichts mehr bewegte, konnten sie vondort immer wieder Kräfte zur Be-kämpfung der Partisanen abziehen.

Fernando Cavazzini, Deck-name ''Toni'', ist ein ehemali-ger Partisan aus dem Emilia-nischen Appenin. Er berichtetvon seiner Partisaneneinheitund den Aktionen der Sabo-tagegruppe ''Demonio'':

Die Mühender Anfänge

In den Bergen waren Waffen an-fangs Mangelware. An einem der er-sten größeren Gefechte bei Ceresolog-no im Frühjahr 1944 waren 130 Parti-sanen beteiligt, davon hatten nur 30 ei-ne Schusswaffe. Wir waren also drin-gend auf die Fallschirmabwürfe durchdie Alliierten angewiesen.

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Deckname: ''Toni''Aus der Arbeit eines Saboteurs

Funkkontakte zu den Alliierten gabes über einen Priester bereits im Ok-tober 1943. Aber erst im Mai 1944warfen die Alliierten die ersten Waff-fenkisten in unserer Gegend ab. Wirwaren nur um die 100 Personen undsind dadurch gut ausgerüstet worden.Daraufhin konnten wir einen Angriffvon mehreren hundert Schwarzhem-den abweisen, obwohl von uns nur 12Leute beteiligt waren, aber gut postiertund bewaffnet. Gemeinsam mit dennachrückenden Partisanengruppenkonnten wir den Faschisten eine

Winter 1944, bei Reggio Emilia:Sabotage an der Infrastruktur isteine der grundlegenden Aktions-felder der PartisanInnenbewegung

''Toni'' im September 2000

Mitte Juni 1944 haben wirim Hochapennin zwischenReggio Emilia und Modena

eine Partisanenrepublikausgerufen und organisiert

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9. September 2000: Buchvorstellung "pietre dolenti (schmerzenden Steine) - PartisanInnendenkmäler in ReggioEmilia" auf der Lichtung Lama Golese bei Febbio. In der Nacht zum 19.5.1944 warfen hier die Allierten zum erstenmal Waffen ab.

sche Partisanen mit dem Gruppenna-men “Der blaue Hund”.

Manchmal zog unsere Gruppe zu-sammen los, manchmal gingen nurzwei oder drei. Wir waren ständig aufden Beinen. Auch in der Poebene undauf der anderen Seite der Berge, in derToscana, waren wir im Einsatz. Wirumgingen Kampfgebiete, um hinterdem Rücken der Deutschen Brücken zusprengen, die Munitionszufuhr zu un-terbrechen oder Verwirrung zu stiften.Während des massenhaften Rückzugsder deutschen Truppen stellten wirdeutsche Wegausschilderungen in diefalsche Richtung auf. Dadurch verliefsich eine große Wehrmachtseinheit,mehrere tausend Soldaten, in eineSackgasse und konnte von den Alliier -ten gefangen genommen werden.

Überläufer undGefangene

Viele Deutsche sind zu uns überge-laufen. Manche sind als Einzelperso-nen gekommen, andere haben sich inGruppen gestellt. Sie mussten ihreWaffen abgeben und waren ein paarTage bei uns, bevor sie vielleicht wie-der welche bekamen; darüber ent-schied das Kommando. Das Komman-do hat sie natürlich befragt. Wir hatteneigentlich nie Probleme.

Von Januar 1945 bis zur Befreiungkamen täglich 50 - 100 zu uns, um sichzu ergeben, Deutsche und Italiener.Wir brachten sie über die Frontlinie inden befreiten Teil Italiens. Einmal ha-ben wir bei Viano drei Deutsche gefan-gen genommen, die wir mitnahmen.Irgendwann wurde Tabak verteilt. Ob-wohl es selten Tabak gab, haben wirauch mit denen geteilt. Sie sind sogarunsere Freunde geworden. Diese Deut-schen kamen aus dem Grenzgebiet zu

SabotageDas Gebiet der ehemaligen Partisa-

nenrepublik war dann unsere Basis.Von da aus gingen unsere Gruppen los,um z. B. die beiden großen Bundes-straßen anzugreifen, Brücken zusprengen und die Infrastruktur zu zer-stören. Das hat die Deutschen sehr inRage versetzt, denn es waren ihrewichtigen Verbindungswege: fürNachschub in die eine und Rückzug indie andere Richtung. So versuchte dieBesatzungsmacht gegen Ende desKrieges, kurz vor den Tagen der Be-freiung nochmals, mit schlagkräftigen,schnellen Aktionen die Straße frei zukriegen, um sich über die Toscana unddie Emilia in Richtung Brenner undheim ins Reich zurückziehen zu kön-nen. Das hat aber zum großen Teilnicht geklappt, weil wir sämtliche Brü-cken hier in der Gegend gesprengthatten. In der Gegend von Reggio nah-men wir große Teile der durchziehen-den deutschen Truppen gefangen. In-zwischen waren wir so kampferprobt,ausgerüstet und motiviert, dass wirGegenangriffe durchführten und dieDeutschen auch durchaus Niederlageneinstecken mussten.

Mein Job war Sabotage. Wir warensechs Personen in einer Spezialgruppe,davon sind am Ende nur zwei übrig ge-blieben. Daraufhin stellte ich eine neueGruppe mit 12 Leuten zusammen, diedarauf spezialisiert war, Brücken, Stra-ßen, Eisenbahnlinien etc. zu sprengen.Wir waren direkt dem Zentralkom-mando der Partisanen unterstellt undwurden als flankierende Maßnahmeeingesetzt, wenn die Infrastrukturlahm gelegt werden musste, um dieentsprechenden Voraussetzungen fürAngriffe zu schaffen.

Es gab noch eine zweite wichtigeSabotage-Gruppe, das waren sowjeti-

Mein Job war Sabotage.Wir waren sechs Personenin einer Spezialgruppe,davon sind am Ende nurzwei übrig geblieben

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Frankreich, das bereits von den Alli -ierten befreit worden war. Sie wusstendas noch gar nicht. Wir haben auch sieüber die Frontlinie zu den Alliiertengebracht.

Bei uns waren auch Deutsche mitdabei, der Berliner zum Beispiel. Ei-nes Tages hatten wir Spione verhaftet.Einer von ihnen beteuerte seine Un-schuld. Den sperrten wir mit unserem

Deutschen aus Berlin zusammen, dersich auch als Gefangener ausgab. Ihmerzählte er bereitwillig, dass er einSpion war. Daraufhin haben wir ihnerschossen.

Ich kann mich nicht erinnern, dassunsere Gefangenen schlecht behandeltwurden. Auch nicht die deutschen Off-fiziere, denn die wollten wir ja austau-schen.

Aber auch Faschisten, die wir ge-fangen nahmen, behandelten wir nichtschlecht. Wir schickten viele wiedernach Hause und sagten, sie sollten sichnicht wieder blicken lassen, beimnächsten Mal würden wir sie schlech-ter behandeln. Wir machten damitauch Propaganda: Wir wollten ja, dassLeute überliefen, um das Heer zuschwächen.

Die Gespräche mit FernandoCavazzini und GiacominaCastagnetti (S. 11) fanden statt imRahmen von "Sentieri Partigiani",veranstaltet vom ISTORECO ReggioEmilia (http://www.istoreco.re.it).

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in meiner Erziehung verhaftet, dass icherst Papa fragen wollte. Der war ein-verstanden, und ab dem Moment be-gann mein neues Leben.”

Polizzi arbeitet weiter als Schuh-verkäuferin, ist in ihrer freien Zeit alsKurierin für den PCI tätig, nimmt anVersammlungen teil, arbeitet für dieantifaschistische Agitation und Propa-ganda und baut eine Frauengruppe auf.

“Mit der Arbeit als Verkäuferinmusste ich plötzlich aufhören, weil ichvon einer Arbeitskollegin angezeigtwurde. Es heißt, sie habe 5.000 Liredafür bekommen. Als die Polizei zuuns nach Hause kam, fand sie meineSchwester und meinen Onkel vor, bei-de wurden verhaftet, meine Schwesterwar noch nicht mal siebzehn. Ich wur-de zwar immer gesucht, aber nie ge-funden. Natürlich war ich nun ‘ver-brannt‘ und musste mich verstecken.Später bekam ich einen falschen Aus-weis und musste Parma verlassen.

Man sollte meinen, dass es furcht-bar war, in den Untergrund zu gehen,dass ich hätte verzweifelt sein müssen,aber ich muss sagen, ich habe das hin-genommen. Ich wollte schon immerdem Widerstand angehören. Es war,als hätte man mich befördert. Unddann bin ich mit demselben Auftrag,den ich schon in Parma hatte, nach Pi-acenza gegangen: die Verteidigungs-gruppen der Frauen zu organisierenund im Bereich Agitation und Propa-ganda zu arbeiten. Von dort aus gingich nach Reggio Emilia.”

Immer wieder bittet Polizzi diePartei, mit einem militärischen Auftragin die Berge gehen zu können. Aberwas ihr versagt bleibt, wird einemFreund gestattet. Sie ist darüber ent-setzt:

“Und ich: ‘Ja wie, du ja und ichnicht?‘ Madonna! Ich war wirklichverzweifelt. Aber er sagt mir: ‘Warumgehst du nicht auch einfach? Ich gebedir die Parole, überleg‘s dir‘.”

Er verrät ihr das Losungswort fürden Zugang zu den PartisanInnen. Ob-wohl sie gerade mit der wichtigen Auf-gabe betraut ist, den Kontakt zwischenden katholischen und kommunisti-schen Frauengruppen aufzubauen,schmeißt sie alles hin und geht in dieBerge.

“Ich bin in die Berge mit einerGruppe Jugendlicher, die auch schonimmer dorthin wollten. Dort sagte man

mir dann, dass ich zwar für meinenMut ausgezeichnet werden müsste,aber gleichzeitig erschossen gehörte,weil ich meinen Platz verlassen hatte.”

Nach langem Hin und Her gelingtes einem Kommissar gegenüber derPartei durchzusetzen, dass Polizzi mitdem Decknamen “Mirka” in den Ber-gen bleiben kann - als Vizekommissa-rin. Ihre Aufgabe besteht nun darin,die PartisanInnen politisch zu schulen.

“Dieses Amt hatte ich nur kurzeZeit inne. Denn inzwischen hatte ichmich mit dem Kommandanten verlobt.Man war nun der Meinung, dass derKommandant und die Kommissarinunmöglich eine Liebesbeziehung ha-ben könnten, weil dies zweifellos dasLeben der Guerilla in Unruhe gebrachthätte. Ich war nicht besonders bereit,dies zu akzeptieren, aber dann habeich es doch geschluckt und bin in dieEbene zurückgekehrt.”

Als “Mirka” verkleidet nach Par-ma geht, um Sachen von zu Hause zuholen, erfährt sie, dass ihre Eltern ver-haftet worden sind. Die Eltern undbeide Geschwister werden schließlichin die KZ Mauthausen und Ravens-brück deportiert.

“Nun war alles sehr tragisch fürmich. Als ich nach Reggio zurückkam,wollte ich mich den Faschisten stellen.Die Genossen waren sehr erschrockenund haben mich eine Woche lang ein-gesperrt. Dann habe ich mich beru-higt, aber es war furchtbar.

In der Ebene haben sie mir wiedermeine alten Aufgaben übertragen, ichhabe meine Kontakte wieder aufge-nommen. Aber ich wurde immer in-tensiver gesucht, und der Kreis ummich begann immer enger zu werden.Es wurden Genossen erschossen, mitdenen ich eng zusammen gearbeitethatte. Kurz, das Leben in Reggio be-gann für mich sehr gefährlich zu wer-den. Deshalb beschloss die Partei,mich nach Mailand zu schicken.”

Dort erlebt “Mirka” die Befreiung.Danach kehrt sie nach Parma zurück,wohin auch später ihre Mutter, ihreSchwester und ihr Bruder zurückkeh-ren. Der Vater überlebt Mauthausennicht.

Bearbeitete Übersetzung aus:M. Minardi: Ragazze dei Borghi inTempo di Guerra, Parma 1991

Laura Polizzi stammt aus ei-ner antifaschistischen Familieaus Parma. Politisiert wird siedurch ihre Onkel, die Führungs-positionen in der Kommunisti-schen Partei (PCI) einnehmen.Sie selbst tritt als Partisanin un-ter dem Decknamen ''Mirka''der Resistenza bei.

“Nach der Absetzung Mussolinisim Juli 1943 zogen meine beiden On-kel zu uns, weil sie sich zu Hause nichtmehr sicher fühlten. So wurde unserHaus zu einem Treffpunkt des antifa-schistischen Widerstands. Ich erhielthier viele politische Kontakte und bateinen Onkel schließlich, in die Parteieintreten zu dürfen. Er freute sich zwardarüber, lehnte aber ab, weil ich noch

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''In den Untergrund zugehen, war wie eineBeförderung''

zu jung und unsere Familie sowiesoschon zu sehr in den Widerstand ein-gebunden sei.”

Stattdessen bekommt PolizziUnterricht in politischer Ökonomieund Theorie, liest Lenins Schriften undübt die Handhabung von Waffen. Nachdem 8. September ‘43, dem Einmarschder Deutschen, schließt sie sich demWiderstand an.

“Es passierte für mich etwas Wun-derbares. Mein Onkel nahm mich bei-seite und sagte mir: ‘Ab jetzt gehst dunicht mehr nach Hause, du stehst derPartei zur Verfügung‘. Aber ich war so

Laura Polizzi 1944

Dann bin ich nachPiacenza gegangen: die

Verteidigungsgruppen derFrauen zu organisieren

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Giacomina Castagnetti vor dem Denkmal für die Frauen der Resistenza inCastelnovo Monti.

Die Arbeit dieser Frauenbefrei-ungsgruppen bestand darin, in die Fa-milien zu gehen, um für die Partisanenzu sammeln oder andere Familien inden Kampf mit einzubeziehen, sie fürden Widerstand zu gewinnen. Wirsprachen mit Familien, ob sie Partisa-nen beherbergen würden. Diese Arbeitwar natürlich nicht ungefährlich. Wirwussten ja nicht immer, mit wem esdiese Leute hielten, wie sie politischeingestellt waren. Aber der Widerstandhätte sich nicht vergrößert, wenn wiruns nur in unserem Kreis von Antifa-schisten aus den Jahren zuvor ver-schanzt hätten.

Außerdem war jeder Truppenabtei-lung eine Staffette zugeteilt, es solltenund durften nicht mehr sein. Wir kann-ten immer nur eine oder maximal zweiPersonen. Wenn ich alle Personen ge-kannt hätte, die wie ich an derselbenAktion beteiligt waren, und sie michgefangen hätten, wäre es einfacher ge-wesen, alles aus mir herauszube-kommen; vielleicht hätte ich demDruck und dem Terror standhaltenkönnen, aber ich hätte auch Namenpreisgeben und dadurch die ganzeGruppe und unsere Organisation inGefahr bringen können. Deswegenmusste diese Reihe unterbrochen wer-den, indem man nichts wusste, nie-mand weiteren kannte.

Als Staffetten übermittelten wirNachrichten und transportierten Flug-schriften und Waffen. So trugen wir inunserem Einkaufskorb beispielsweiseobenauf die Kartoffeln und versteckt

Mit der Resistenza wurdendie sogenannten Frauenbe-freiungsgruppen gegrün-det, denen ich beitrat

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darunter die Munition und den Revol-ver. Um Informationen weiterzugebenwar das Fahrrad das schnellste Mittel.Wir mussten oftmals flüchten oder unsverstecken. Heute kauft man einfacheine Zeitung am Kiosk, aber damalsbedeutete, eine Zeitung gegen denKrieg in der Tasche zu haben, sich inLebensgefahr zu befinden. Uns gegen-über stand die deutsche Streitkraft,sehr gut ausgerüstet und versorgt. Wirwaren mit Sicherheit etwas unbedacht,die Gefahren waren uns nicht so be-wusst. Hier wurden Mechanismenausgelöst, die uns zum Handeln be-wegten, die heute im Nachhinein sehrschwer zu erklären sind.

Bei Kriegsende war uns bewusst,dass wir einen erheblichen Beitrag zurBefreiung des Landes geleistet hatten.Als die Frauen nach dem Krieg dasWahlrecht erhielten, war es letztend-lich auch hier so, dass die Parteien,gleich welcher Coleur, die Frauenbrauchten. Deshalb hat sich niemandauf politischer Ebene getraut, sich ge-gen das Frauenwahlrecht zu stellen. Eswar klar für uns, dass wir jetzt auchmehr Rechte und Freiheiten erhaltenwollten, und dass dies auch unser gu-tes Recht war. Es hätte nach dem Ge-schehenen einfach nicht mehr anderssein können. Der Faschismus hatte die

Frauen, die bisher immer im Haushaltoder auf dem Hof gearbeitet hatten, inden Fabriken gebraucht, weil dieMänner an der Front waren. Wir wa-ren daher keine voneinander isoliertenFrauen mehr, nicht mehr jede für sichhinter ihrem Herd, abgeschieden vonanderen Frauen. Wir waren Frauen ge-worden, die in der Gesellschaft prä-sent waren.

Trotzdem aber mussten wir nachdem Krieg tausend Widerstände bre-chen. Denn natürlich gab es Rück-wärtsgewandte. Man hat so manchePartisanin misstrauisch beäugt. Aberletztendlich mussten die Männer ein-sehen, dass die Arbeit der Frauenwichtig war, denn wenn es z.B. dieStaffetten nicht gegeben hätte, wärendie Partisanengruppen völlig isoliertvoneinander gewesen. Es gab natür-lich immer wieder Männer, die dieFrauen genauso wie in vergangenerZeit gering geschätzt haben, aber alsPartisanen konnten sie das nicht mehrtun.”

Giacomina Castagnettistammt aus einer antifaschisti-schen Familie. Schon als Kindwird sie somit politisiert. Als1940 Italien an der SeiteDeutschlands in den ZweitenWeltkrieg eintritt, schreibt siesich - 15jährig - in die Kom-munistische Partei ein. Nachdem Waffenstillstand mit denAlliierten am 8. September1943 schließt sie sich demWiderstand an.

“Mit der Resistenza wurden die so-genannten Frauenbefreiungsgruppengegründet, denen ich beitrat. Natürlichwar unser erstes Ziel, gegen den Kriegzu kämpfen, aber selbst in der Zeit, inder wir illegal leben mussten, trafenwir uns und diskutierten über das Frau-enwahlrecht und andere Rechte, diewir für Frauen einforderten. UnsereZusammenkünfte haben wir mitten aufdem Land abgehalten, um nicht die Fa-milie und den Hof, in deren Nähe wiruns trafen, in Gefahr zu bringen. Eswaren sehr viele Frauen in diesenGruppen organisiert. Ich war ja schonvorher aktiv, aber viele andere habensich erst 1943 für den Widerstand ent-schieden. Nach dem 8. Septembermusste man sich entscheiden: Entwe-der gingst du in die Berge oder du hastdich der faschistischen Republik vonSalò angeschlossen. Es gab keine drit-te Möglichkeit. Das wichtigste Ziel,das muss man sich klar machen, wardas Ende des Krieges.

''Obenauf die Kartoffeln,darunter die Munition''Vom täglichen Widerstand einer Partisanin

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rade die sehr starke Beteiligung vonFrauen belegt aber das Gegenteil.

Frauen hatten vielfältige Aufga-ben: Sie verlangten einen hohen Gradan Flexibilität, Risikogespür und dieFähigkeit, eigenständig zu handeln,was keineswegs einem untergeordne-ten Rang entspricht. Dagegen war dasBewusstsein der Partisaninnen in Be-zug auf das, was sie taten, sehr be-scheiden, und sie empfanden es als ei-ne bloße Erweiterung ihrer Fürsorge-pflicht. Obwohl sie unter erheblichenRisiken arbeiteten, werteten sie ihreAktion als “nichts Besonderes”, gera-de weil viele ihrer Aktivitäten zur üb-lichen Tätigkeit von Frauen gehörten.

Welche Motive brachten Frauendazu, sich im Widerstand zu engagie-ren?

Was ihnen nachgesagt wurde - fa-miliäre Erziehung, Liebe zu einemPartisanen (Vater, Sohn, Bruder, Ver-lobten), Mütterlichkeit - stimmen oftnicht mit der Realität überein odermüssen in Beziehung zu den Motivender Männer überprüft werden: AuchMänner wurden in oppositionellen Fa-milien großgezogen, aber niemand hatihnen dies als Zeichen unzureichendenBewusstseins ihres Tuns angelastet.

Solche Erklärungen für das Enga-gement von Frauen in der Resistenzasind insofern interessant, als sie demWunsch entspringen, Frauen nicht alsSubjekte der Geschichte, sondern alsPersonen zu sehen, die nach immergleichen Mustern agieren - Mütterlich-keit, Fürsorge, Verantwortung für dasWohl der Familie, in diesem Fall dererweiterten Familie der Partisanen.Dass diese Sicht einem psychologi-schen Bedürfnis entspricht - mindes-tens das Verhalten der Frauen sollstabil sein, damit man darauf bauenkann -, erklärt, warum die Figur derPartisanin in der Nachkriegszeit sodargestellt wurde. Diese Rezeption istbesonders in der Literatur zu finden.

Aus den Aussagen der Frauen ent-steht ein differenzierteres Bild der Par-tisaninnen. Sehr oft kommen sie ausangestautem Ärger über die Ungerech-tigkeit des Regimes zum Widerstand.Vor allem soziale Unterschiede werdenschon von kleinen Mädchen als

schmerzhaft empfunden und nichtmehr vergessen. Aber auch die patriar-chalen Gesetze des Faschismus, derAusschluss der Frauen aus jeglicherpolitischer Verantwortung und ihreUnterordnung dem Mann gegenüberim Zivil- und Strafrecht sind Grundgenug für ihre oppositionelle Haltung,die schon in den Vorkriegsjahren inErscheinung tritt. Auffallend ist zumBeispiel, dass ein Geburtenrückgangtrotz Propaganda des Regimes ver-stärkt zu bemerken ist. Ausgerechnetdie Frauen, die vom Land in die Stadtziehen, was die Regierung mit ver-schiedenen autoritären Maßnahmen zuverhindern sucht, beschleunigen dieseEntwicklung. Sollte nicht die bäuerli-che, kinderreiche “mamma” als ty-pisch italienisches Frauenbild wiederhergestellt werden?

Viele Frauen erteilten dem faschis-tischen Modell eine Absage, und dieTeilnahme an der Resistenza ist ihrekonsequente und logische Folgerung.Gegnerinnen des Regimes sind in je-der sozialen Schicht zu finden, siestellen einen Querschnitt durch die ge-samte italienische Bevölkerung dar.Alle Berufsstände sind vertreten, undden größten Anteil machen die Haus-frauen aus. Das ist wiederum eine Be-stätigung des Volkscharakters der Re-sistenza.

Es ist behauptet und beklagt wor-den, dass das Engagement der Frauennur vom 8. September 1943 bis zumKriegsende gedauert hat, dass sie dannvon der öffentlichen Bühne ver-schwunden und wieder ins Private zu-rückgekehrt sind. Das stimmt nur zumTeil. Aus den Gruppi di difesa delladonna (Frauenverteidigungsgruppen)entsteht zum Beispiel die UnioneDonne Italiane (Union der italieni-schen Frauen), die versucht, dasSelbstverständnis und das Leben derItalienerinnen zu modernisieren undzu verändern. In die zwei großenVolksparteien - die Democrazia Cristi-ana und die Kommunistische Partei -treten ehemalige Partisaninnen einund bilden weibliche Sektionen. Aberdie meisten Frauen kehren tatsächlichnach Hause zurück.

Giuliana Gadola Beltrami, Präsi-dentin des Italienischen Partisanenver-

von Liana Novelli-Glaab

Bis vor kurzem hat man nur von ei-nem “Beitrag” der italienischen Frauenzum Widerstandskampf gesprochen.Die historische Frauenforschung gehtheute davon aus, dass ohne die aktiveTeilnahme der Frauen der Widerstandin Italien nicht möglich gewesen wäre.

Die offizielle Zahl der Partisanenbezieht sich auf die Kämpfenden unterihnen, und darunter sind die Frauen inder Minderheit. Dabei wird aber über-sehen, dass die gesamte Versorgungder Kämpfenden in ihrer Verantwor-tung lag. Für die Versorgung einer Ar-mee - vor allem einer Untergrundar-mee - ist eine sehr hohe Zahl von Hel-

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Absage an dasfaschistische ModellItalienische Frauen in der Resistenza

ferinnen und Helfern nötig, die die derKämpfenden weit übersteigt. Sie istauf 14 Personen pro Kämpfenden be-ziffert worden.

Dieses Argument ist heute sehrwichtig, weil man mit einer offiziellenZahl von etwa 350.000 Partisanen derWiderstandsbewegung ihre Veranke-rung im Volk absprechen möchte. Ge-

Stafetten aus dem Piemont (vonlinks nach rechts): Assunta undMarcella Versino, ReginaldaSantacroce, die bei ihrerGefangennahme durch dieDeutschen gefoltert wurde.

Frauen hatten vielfältigeAufgaben: Sie verlangten

einen hohen Grad anFlexibilität, Risikogespürund die Fähigkeit, eigen-ständig zu handeln, was

keineswegs einem unter-geordneten Rang entspricht

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politische Eignung der Frauen in Fragestellt.

Anna Bravo hat das mütterlicheVerhalten der Partisaninnen zu Rechtunterstrichen. Es soll nicht vergessenwerden, dass der Partisanenkrieg nachdem Waffenstillstand vom 8. Septem-ber mit der größten Verkleidungsak-tion anfängt, die in der italienischenGeschichte bekannt ist. Die Soldatenaus der zusammengebrochenen italie-nischen Armee brauchten neue Klei-dung, um nicht als Feinde nachDeutschland deportiert zu werden. Da-mals schneiderten Frauen in kürzesterZeit Hosen und Jacken aus alten Dek-ken und Hemden. Die Soldaten beka-men am Bahnhof Adressen, wo sie ih-re Uniformen gegen zivile Kleidungumtauschen konnten. Ihre Schuhewurden gefärbt und später anderen ge-geben. Jede italienische Frau, die imbesetzten Teil des Landes gelebt hat,erinnert sich an diese Aktion.

Eine offizielle Anerkennung fürdiese Leistung gibt es nicht: Sie wirdin keinem Schulbuch erwähnt. Nur dievon der provisorischen Regierung ver-abschiedete Erweiterung des Wahl-rechts für Frauen erinnert an ihre Ver-dienste im Krieg. Es ist ein Dekret vonFebruar 1945, das fast unbemerktbleibt. Nur ein Zeitungstitel äußert dieBefürchtung: “Werden jetzt die Frauengebieten?” (Daraus spricht die alte Be-fürchtung, wenn die Frau nicht mehrgehorchen muss, wird sie befehlenwollen ...) Aber keine Debatte über ei-ne neue Rolle der Frau in der Politikentsteht. Gleichgültigkeit ist die allge-meine Reaktion.

Es sieht so aus, als ob sich vieleFrauen, die sich in der Hoffnung aufradikale Änderungen mobilisieren,hinterher freiwillig zurückziehen, weildie politische Verwaltung des Alltagssie nicht interessiert. Mehrere Fakto-ren treffen zusammen und geben einsehr differenziertes Bild. Zum einen istden Männern die Rückkehr der Frauenins Private höchst willkommen, zumanderen sind es die Frauen selbst, diees aus Desinteresse oder Angst tun, alsehemalige Partisaninnen gesellschaft-lich ausgegrenzt zu werden. Schließ-lich spielen regionale Unterschiede ei-ne Rolle. In der Emilia-Romagna be-günstigt das bereits bestehende politi-sche Klima Institutionen, die den Frau-en eine Kontinuität ihrer im Krieg be-gonnenen Politisierung erlauben. ImPiemont z.B. geschieht dies nicht, weildie individuellen Motivationen dereinzelnen Partisaninnen nicht in politi-schen Gruppierungen kanalisierbarsind.

So verschwinden viele Frauen insNamenlose, die, im Gegensatz zu denvon der Faschistischen Republik ein-

bandes ANPI, sagte Ende der 70 Jahre:“Die Familie ... hat sie (die Frauen)wie ein Riesenpolyp gefressen. Undniemand hat es bemerkt.” Wie konntedas geschehen? Die Historikerin Fran-ca Pieroni Bortolotti sieht die Wurzelnder allgemeinen Nichtbeachtung die-ses Phänomens in der Frauenfeindlich-keit der patriarchalen Gesellschaft, de-ren Spuren auch in der Resistenza vor-handen waren. Man denke nur, dass inden meisten Partisanenrepubliken dieFrauen kein Wahlrecht bekamen. AnnaBravo erzählt, dass die Näherinnen,die die Bekleidung der Garibaldi-Bri-gaden schneiderten, nach rigiden An-weisungen getrennt von Männern le-ben sollten und sich einmal in der Wo-che einer ärztlichen Untersuchungunterziehen mussten - aus der Be-fürchtung, dass die Partisanen aus mo-ralischen Gründen in Verruf kommenkönnten. Das Misstrauen gegenüberden Frauen war nicht nur in der Angstbegründet, die Bevölkerung würde sieals sexuell leichtfertig abstempeln.Das geschah ohnehin und deswegenwurden viele Partisaninnen von ihrenKampfgenossen daran gehindert, beiUmzügen zur Feier der Befreiung mit-zugehen.

Wie so oft in der Geschichte sinddie Frauen gern gesehen bei spontanenAufständen: Wenn sie in den erstenReihen - am besten mit ihren Kindernauf dem Arm - für Brot oder Freiheitdemonstrieren, zählt man auf sie undhofft, dass ihretwegen der Schießbe-fehl unterbleibt - was nicht immer derFall ist. Nach Ende der Revolte störtgerade diese urwüchsige Mutterge-stalt, deren Kraft und Leidenschaft die

Aber keine Debatte übereine neue Rolle der Frau inder Politik entsteht.Gleichgültigkeit ist dieallgemeine Reaktion

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berufenen Männern, gar nicht ge-zwungen waren, sich für die Republikoder für den Untergrundkampf zu ent-scheiden. Ihre Wahl ist tatsächlichfreiwillig.

Wenn Ernesto Galli della Loggiadie Zeit vom 8.9.1943 bis zum25.4.1945 als “guerra femminile”(weiblichen Krieg) bezeichnet, stützter sich auf die Tatsache, dass sich imbesetzten Italien nur die Frauen freibewegen konnten, die Männer zwi-schen 18 und 65 Jahren - wegen desDeportationsrisikos - nicht.

Wie hätte man also ohne Fraueneinen Kampf führen können? Werhätte Unterkunft und Verpflegung be-sorgt, Waffen geliefert, Befehle ge-bracht, Verletzte versorgt, Untergrund-propaganda geschrieben, getippt undverteilt, um nur einige der Aufgabenzu nennen?

Dass man heute solche Überlegun-gen anstellt, ist nicht zuletzt das Ver-dienst von Frauen. Es waren diejeni-gen, die den Krieg und den Partisa-nenkampf selbst miterlebt hatten unddie Erinnerung der Teilnehmerinnenzu Papier brachten - Bianca GuidettiSerra, Anna Maria Bruzzone, RacheleFarina, Franca Pieroni Bortolotti undNuto Revelli (unter den Männern)sind die bekanntesten von ihnen.

Wenn auch ihre Bücher die histori-sche männliche Perspektive in Fragestellten, beeinflussten sie kaum dieallgemeine Geschichtsschreibung undblieben innerhalb der Grenzen derFrauenforschung. Erst seitdem dieneue englische und amerikanischeHistoriographie männliche und weib-liche Rollen im Krieg und ihre Rezep-tion als zentrales Thema betrachtet, isteine neue Sicht möglich. Der Kriegwird nicht mehr nur unter ideologi-schen, politischen und militärischenAspekten betrachtet, wobei nicht be-waffnete Personen wie Frauen, Kin-der, Gefangene und Deportierte nurnebensächliche Akteure sind.

Heute kann die zivile Resistenzader Frauen als neue Kategorie in derGeschichte ihren gebührenden Platzeinnehmen.

Literaturtipps:F.P. Bortolotti: Le Donne dellaResistenza Antifascista, Milano 1978A.M. Bruzzone/R. Farina: LaResistenza Taciuta, Milano 1976

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schen in ganz Italien die Bekämpfungdes Widerstands forcieren, wird auchCumiana Zielort der Repression: An-fang März wird das VII. Bataillon deritalienischen SS in der Ebene fünf Ki-lometer vor Cumiana stationiert.Unterstützt von anderen Einheiten be-ginnt die SS mit Durchkämmungsak-tionen und Verhaftungen.

Bei einer Razzia am 30. März wer-den 80 Personen verhaftet, eine unbe-kannte Anzahl von ihnen verschwindetin Arbeitslagern in Deutschland. EinenTag später bringt ein Lastwagen, ge-fahren von einem der Gefangenen desVortages, die Lebensmittelzuteilungfür Cumiana. Eskortiert wird er von 40italienischen SS-Männer unter demKommando deutscher Unteroffiziere.Die Eskorte bleibt über Nacht mit demLastwagen im Zentrum von Cumiana,da die Verteilung an die Händler erstam nächsten Morgen erfolgen kann -eine Provokation für die PartisanIn-nen.

Im Morgengrauen beschließen dieKommandanten dreier PartisanInnen-gruppen, darunter Franco Nicoletta,den Lastwagen an sich zu bringen. DieAktion beginnt am 1. April um 11 Uhr.An ihr nehmen 60 PartisanInnen teil,die aus den umliegenden Häusern dieEskorte des Lastwagens unter Be-schuss nehmen. Nach heftigen Gefech-ten bemächtigen sich die PartisanInnendes LKWs. Sie nehmen 31 SS-ler alsGefangene mit in die Berge. Zwei Par-tisanen kommen ums Leben.

Die Vergeltungsaktion beginntzwei Stunden später. Einige 100 Solda-ten, Deutsche und Italiener, beginnen

die Häuser zu räumen, zu plündernund niederzubrennen. 135 ZivilistIn-nen werden am Dorfeingang zusamm-mengetrieben und am Nachmittag alsGeiseln in die SS-Kaserne gebracht.

Aus dem Augenzeugenbericht desArztes von Cumiana, MichelangeloFerrero: “Am 2. April gegen 9 Uhrwurde ich gefragt, ob ich den Partisa-nen eine Mitteilung des deutschen Off-fiziers überbringen würde. Ich bejahte.Der Offizier diktierte mir mit Hilfe ei-nes Dolmetschers einen Brief, den ichniederschrieb. Ich habe am 8. Januar1946 dem Oberleutnant Fairley eineKopie des Briefes übergeben, der inmeiner Anwesenheit unterschriebenwurde. Ich sah den deutschen Offizierdiesen Brief unterschreiben und erinn-nere mich, dass sein Name ‘Rennin-gen’ war. Zusammen mit Don FelicePozzo und einem anderen Pfarrer gingich zu den Partisanen. Sie schriebenden Brief ab und brachten ihn in ihrHauptquartier.”

Dieser Brief ist das UltimatumRenningers, in dem gedroht wird, dieGeiseln zu erschießen und Cumiananiederzubrennen, wenn die Partisa-nInnen ihre Gefangenen nicht “heilund unversehrt” freiließen.

In einer ersten Entscheidung lassendie PartisanInnen mitteilen, dass sienur bereit seien, acht Gefangene gegenacht Partisanen, die am 30. März in dieHände der Deutschen gefallen waren,zu tauschen.

“Diese Entscheidung entstand ausdem militärischen Charakter der Situa-tion: Wäre man auf die Erpressungeingegangen, hätten die Partisanen inZukunft bei ähnlichen Geschehnissen

In seinem Buch “Covo di banditi”beschreibt der PolitikwissenschaftlerMarco Comello aus Cumiana eines dergrößten Massaker während der deut-schen Besetzung Italiens: 51 Zivilistenwerden in Cumiana als Vergeltung füreine Partisanenoperation erschossen.

Im Herbst 1999 erhob die TurinerMilitärstaatsanwaltschaft in dieser Sa-che Anklage wegen Mord, begangenan italienischen Zivilisten durch feind-liche Militärangehörige. Angeklagtwar Anton Renninger aus Erlangen.Nach Zeugenaussagen war er damalsmit einer italienischen SS-Einheit un-ter deutschem Kommando in Cumiana.

Circa 40 Kilometer westlich vonTurin liegt die Gemeinde Cumiana. Fürdie Deutschen galt diese Gegend amFuß der Berge als “rifugio di banditi” -

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Covo di banditi –Höhle der Banditen

als ein Rückzugsgebiet der Partisa-nInnen, von dem aus diese operiertenund Zugang zur Ebene um Turin hat-ten. In den Februartagen des Jahres1944 gelingt es den PartisanInnen desVal Sangone (nahe Cumiana), dieKontrolle über die umliegenden Bergeund Dörfer zu erlangen. Cumianas fa-schistischer Bürgermeister macht sichaus dem Staub.

Als im Frühjahr 1944 die Deut-

Der italienischeUnteroffizier sagte: ''Es ist

jetzt 17.38; ihr habt 5Minuten um die heiligen

Sakramente zu empfangen,um 17.43 wird begonnen''

Das Massaker von Cumiana

1944: Niedergebrannter Straßenzug in Cumiana Gedenktafel für die 51 Opfer

Buchtitel 'Covo di banditi'

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Dann befahl der italienische Unteroffi -zier je drei Geiseln vorzutreten undführte diese um die Ecke der Mauer.Wir konnten die Schüsse hören. Unge-fähr die Hälfte der Geiseln war schonliquidiert, als ich an der Reihe war vor-zutreten. Ich ging gerade mit meinenzwei Kameraden in Richtung der Ek-ke, als einer der noch zurückgebliebe-nen Geiseln schrie: ‘Lasst uns fliehen.’Als ich diese Worte hörte, blieb ichstehen, genau an der Ecke der Mauerund sah den deutschen Unteroffizier,der neben den Leichen stand und michansah. Ich tat so, als wollte ich nocheinmal den Priester grüßen und drehtemich um, um zu sehen, was die ande-ren Geiseln taten. Als ich mich wiederzu dem deutschen Unteroffizier wand-te, sah ich, dass er schon einen meinerbeiden Kameraden getötet hatte undgerade dabei war, auch den anderen zutöten. In diesem Moment schleuderteeine der Geiseln eine Flasche gegendie Soldaten, die die Geiseln in einemengen Kreis umzingelten. Diese be-gannen daraufhin mit ihren Maschi-nengewehren zu schießen. Kurz bevordas Feuer eröffnet wurde, rannten dreiGeiseln zur Mauerecke in Richtungdes deutschen Unteroffiziers. Sie lie-ßen sich lieber von ihm erschießen, alsvon einem Maschinengewehr getrof-fen zu werden. Der deutsche Unterof-fizier wurde durch die Schüsse über-rascht und erschoss eilig diese dreiGeiseln. Während er dies tat, warf ichmich auf den Leichenberg. Der deut-sche Unteroffizier, besorgt wegen derSchreie und Schüsse, lief an die Eckeder Mauer um zu beobachten, was ge-schah, und begann zu schießen. Als ermir den Rücken zukehrte, sprang ichvon dem Leichenberg auf und rannteauf eine Tür in der Mauer zu. Ich kamin das Haus und befand mich vor derTür zum Keller, in dem ich mich dannversteckte. Einige Minuten später kamdorthin auch der Lehrer Luigi Losano,und wir versteckten uns zusammenhinter einem Weinfass.”

Nach neuen Verhandlungen wer-den zwei Tage später die übrigen Gei-seln gegen die Gefangenen der Partisa-nInnen ausgetauscht.

Am selben Tag schreibt DoktorFerrero auf Geheiß des deutschenKommandos eine Proklamation an die

keinerlei Handlungsspielraum mehrgehabt. Außerdem schien es in diesemMoment legitim, den Deutschen einenGegenvorschlag zu unterbreiten. DieBevölkerung sollte aus dem Kriegsge-schehen herausgehalten werden” (Co-vo di banditi, S. 88).

Dieses Angebot der PartisanInnenwird von den Deutschen abgelehnt. Inden nächsten Stunden trägt DoktorFerrero immer wieder Angebote undAntworten zwischen den PartisanIn-nen und der SS hin und her. Die Parti-sanInnen schlagen eine Unterredungvor, Renninger will dem nur zustimm-men, wenn diese im Umkreis von 500Metern von Cumiana stattfindet. Dieswiederum lehnen die PartisanInnenaus Sicherheitsgründen ab.

Dazu Ferrero: “Am frühen Nach-mittag des 3. April ging ich das vierteMal zu den Partisanen. Die Partisanenschlugen Giaveno als Ort der Unterre-dung vor. Giaveno liegt 9 Kilometervon Cumiana entfernt. OberleutnantRenninger lehnte dies ab und sagte:‘Entweder innerhalb von 500 Meteroder gar nicht.’Gegen 16 Uhr ging ichdas fünfte Mal zu den Partisanen mitdem Ziel, sie dazu zu bewegen, einemTreffen in nächster Nähe von Cumianazuzustimmen. Die Partisanen willigtenschließlich ein, dass aus ihren ReihenGiulio Nicoletta mit mir nach Cumia-na zurückkehrte. Wir kamen gegen 19Uhr nach Cumiana. Nicoletta blieb amDorfeingang, und ich machte mich aufdie Suche nach Oberleutnant Rennin-ger. Entlang der Straße lagen die Lei-chen von vielen Menschen, und ein fa-schistischer Offizier sagte mir, dassdie Befehle des Generals inzwischenausgeführt worden sind.”

Die Leichen entlang der Straßesind die Leichen von 51 Dorfbewoh-nern, hauptsächlich Männer im mittle-ren Alter und acht Partisanen. Gioacc-chino Mollar, der selbst unter den Gei-seln war, erinnert sich, dass dieseGruppe schon am Vortag aus den an-deren Geiseln, ältere Männer und Eva-kuierte aus Turin, ausgesondert wor-den war.

Augenzeugenbericht von Gioacc-chino Pietro Mollar, Schuster von Cu-miana: “Der italienische Unteroffiziersagte: ‘Es ist jetzt 17.38; ihr habt 5 Mi-nuten um die heiligen Sakramente zuempfangen, um 17.43 wird begonnen.’

''Der deutsche Unteroffizierwurde durch die Schüsseüberrascht und erschosseilig diese drei Geiseln.Während er dies tat, warf ichmich auf den Leichenberg''

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Bevölkerung von Cumiana: “JedeFeindseligkeit ist beendet. Die Bevöl-kerung wird aufgefordert zu den all-täglichen Arbeiten zurückzukehren, daes nun keinen Grund mehr für Ausein-andersetzungen und Aufruhr gibt”(Covo di banditi, S. 114).

55 Jahre später

Anton Renninger wird in der An-klageschrift vorgeworfen, “ohne Not-wendigkeit” den Tod dieser 51 Perso-nen bewirkt zu haben. Der 81-jährigeErlanger reagierte anfänglich mit derRechtfertigung, er habe nur Befehleausgeführt. Im Frühjahr diesen Jahresteilte Renningers italienischer Anwaltdann dem Gericht mit, er könne Be-weise vorlegen, dass sein Mandant zurZeit des Massakers nicht in Italien,sondern in Deutschland in einemKrankenhaus gewesen sei. Für denStaatsanwalt Pier Paolo Rivello klingtdies nicht plausibel: “Dies war aucheines der Elemente, das wir versuchthaben zu widerlegen. Diese ganzeReise nach Deutschland erschien un-glaubwürdig.” Des Weiteren führt erzur Beweislage gegen Renninger aus:

“Die Schlüsselfigur für diese Verhand-lungen war der Partisan Giulio Nico-letta. Er wurde dreimal vernommenund hat sich mit großer Klarheit anRenninger erinnert.”

Anton Renninger starb im April2000 in Erlangen, bevor der Prozessbeendet werden konnte.

In Cumiana ist diese Geschichte,wie Marco Comello ausführt, nochheute gegenwärtig: “Auch wenn seit-dem fast 60 Jahre vergangen sind, hatsie niemand vergessen. 51 Bewohnereiner Kommune mit 5000 Einwohnernsind relativ gesehen ungeheuer viele.Das wäre ungefähr so, als wenn in Tu-rin, einer Stadt mit 1 Million Einwoh-nern, 10.000 Einwohner auf einmal er-schossen würden. Es ist vielleicht einbisschen hässlich, solche Vergleicheanzustellen, aber es dient dazu, besserzu verstehen, was dies für ein Schockwar, der auch heute noch - nach bald60 Jahren – anhält. Deswegen ist dieseGeschichte nie vergessen worden.”

M. Comello: Covo di banditi,Pinerolo 1998

Gedenkveranstaltung inCumiana am Ort desMassakers

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Giulio Nicoletta war Partisanim Val Sangone in der Umge-bung von Cumiana. Er verhan-delte mit Anton Renningerüber den Austausch der Sol-daten gegen die zivilen Geiselnder Deutschen. Der Verein zurFörderung alternativer Medien(VezuFaM) sprach im Septem-ber 2000 mit Nicoletta in Turin,wo der 76-jährige heute, lebt.

Sie waren damals in Cumiana?

Nicoletta: Das deutsche Heer hatteCumiana besetzt. Der Priester und derArzt von Cumiana versuchten, überden Austausch der Geiseln zu verhan-deln. Sie sind nach Forno di Coazzogegangen, wo die Kommandozentraleder Partisanen war und baten um denAustausch. Irgendwann war klar: Dieeine Hälfte von uns ist dafür, die ande-re dagegen. Ich war einer der vielenAnführer kleiner Partisanengruppen,und wegen einer Verwundung war ichzu der Zeit in den Bergen. Mein Bru-der bat mich, hinunter zu kommen. Erhatte die Befürchtung, dass in Cumia-na großes Unheil geschehen könnte. Indieser unentschiedenen Situationstimmte ich also für den Austauschund hörte auf die Befürchtungen mei-nes Bruders, der in Kroatien schreckli-che Sachen gesehen hatte. Mein Votumwar entscheidend. Damit war klar, dassich mit den Deutschen verhandelnmusste. Also bin ich mit dem Arzt unddem Priester nach Cumiana gegangen.

Ich traf dort jemanden, der sich alsRenninger vorgestellt hat. Am Anfangwar er sehr aufgebracht: “Die Partisa-nen haben angegriffen, wir haben dar-auf reagiert”, schrie er mehrmals. Ichsagte: “Sagen Sie mir, was wir tunmüssen”. Daraufhin hat er sich einbisschen beruhigt und mir mitgeteilt,dass bereits 51 Zivilisten erschossenworden waren. Angesichts dessenkonnte ich natürlich nicht weiter ver-handeln, sondern musste fragen, wasnun geschehen sollte. Renninger teiltemir mit, dass er bis morgen eine Ant-wort erwarten würde.

Wir entschieden uns, die Gefange-nen auszutauschen. Doch Renningersagte mir am nächsten Morgen, ab jetztsei General Hansen in Pinerolo zustän-dig. Zusammen mit dem Arzt und demPfarrer bin ich dorthin gegangen. Der

General gab zu verstehen, dass ernichts mit dieser Sache zu tun habenwolle. Statt dessen sprach ich mit Alo-ist Schmidt, Führer des Sicherheits-dienst in Turin, der eigentliche Chefdieser Operation. Schließlich habenwir uns geeinigt: Wir geben die deut-schen Gefangenen frei, und sie solltendie Truppen aus Cumiana abziehen.

Am nächsten Tag in Cumiana ver-gewisserte ich mich bei Renninger, obdie Vereinbarung eingehalten werde.Auf mein Zeichen hin kam jemand mitden 30 Gefangenen, die wir austausch-ten.

Warum wurde der Lebensmittel-transport in Cumiana angegriffen?

Nicoletta: Die Partisanen sahen dieZone um Cumiana als befreites Gebietan. Die Tragödie von Cumiana bedeu-tete, dass die Deutschen befreite Ge-biete nicht mehr zulassen wollten.

Wir haben in dieser Zeit einigehundert Tote gehabt. Von da an war dieResistenza eine andere Sache. Manmusste denen, die zu uns kamen, sa-gen: Schaut her, wir haben viele Totegehabt. Wer trotzdem blieb, wusste,was auf ihn zukommen würde.

Wir wollten den Deutschen undden Faschisten zeigen, dass wir sienicht mehr in Ruhe lassen würden. Esging nicht um die Zerstörung des Fein-des, sondern um Einschüchterung. Wirbildeten uns nicht ein, in Italien denKrieg beenden zu können, es war ja einWeltkrieg.

War die Aktion gegen denTransport umstritten?

Nicoletta: Es gab eine Diskussion,ob der Angriff falsch war, aber die warnicht sehr heftig. Später war die natio-nale Leitung der Partisanen, der CLN,der Meinung, dass der Kampf nichtohne einen Kommandanten für alleGruppen weitergehen könne. Wir wa-ren zwar nicht abhängig vom CLN,aber alle waren damit einverstanden.Zu meiner großen Überraschung wur-de ich als Kommandant vorgeschla-gen, weil ich damals Ausgewogenheitgezeigt hatte. Wir haben den Kriegfortgeführt. Es ging darum, Europavom Nationalsozialismus und vom Fa-schismus zu befreien.

Haben Sie sich vom Prozess gegenRenninger etwas erwartet?

Nicoletta: Natürlich habe ich mirgewünscht, dass wenigstens formalGerechtigkeit stattfände, und Rennin-ger in Turin verurteilt würde. Der wah-re Teufel aber war Schmidt, der denBefehl erteilt hatte. Renninger hat denFehler begangen zu gehorchen, einetypisch deutsche Tradition.

Daraufhin hat er sich einbisschen beruhigt und mir

mitgeteilt, dass bereits51 Zivilisten erschossen

worden waren

Giulio Nicoletta: Ich stamme ausKalabrien und wurde im Krieg zumMilitärdienst eingezogen. Ab und ankonnte ich nach Hause fahren, womein Onkel lebte, ein Sozialist. Wirdiskutierten viel. Mein älterer Bruder,ein überzeugter Antifaschist, war mitder Finanzpolizei in Kroatien. Bei sei-ner Rückkehr schlug er sich zu mirnach Turin durch. Mein Bruder warüberzeugt, dass das Land bald vonDeutschen besetzt werde. Daraufhinfuhren wir in Zivil mit einem Lastwa-gen in Richtung Berge. Wir wussten,dass es dort Partisanen gab.

VezuFaM: Welcher Einheitschlossen Sie sich an?

Nicoletta: Meine Einheit war auto-nom. Es gab auch einige kommunisti-sche Formationen im Tal sowie katho-lische und monarchistische. Als ichspäter Kommandant all dieser Grupp-pen war, habe ich Wert darauf gelegt,dass alle zusammen arbeiteten.

''Sie sollten wissen,dass wir sie nicht in Ruhelassen würden''Ein Unterhändler der Partisanenin Cumiana erinnert sich

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Giulio Nicoletta

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Alberto Custodero ist Jour-nalist der italienischen Tages-zeitung 'La Repubblica'. Als inRom vor ein paar Jahren ver-schwundene Akten zu Verbre-chen an der italienischen Zivil-bevölkerung während derdeutschen Besatzung auf-tauchten, begann Custoderomit Recherchen zum Massakervon Cumiana. Mit Hilfe vonMarco Comello veröffentlichteer eine Reihe von Artikeln undbenannte die Verantwort-lichen. Die Militärstaatsanwalt-schaft in Turin nahm die Er-mittlungen auf, und ein ehe-maliger Partisan überließ ihmein altes Foto von Renninger.

Mit diesem Foto machtesich Custodero vor zwei Jahrenauf nach Erlangen.

Alberto Custodero: Wir begannenzu untersuchen, ob Renninger über-haupt noch am Leben war, ob er inDeutschland wohnte oder vielleicht inSüdamerika oder sonst wo. Ich bat al-so einige Kollegen in Deutschland, inihren Computern und in Telefonbü-chern nachzuschauen. Schließlich ha-ben wir in Erlangen einen Eintrag na-mens Anton Renninger gefunden, na-türlich wussten wir nicht, ob es wirk-lich “er” war. Aber ich hatte ja das Fo-to und wusste von seiner Kriegsverlet-zung, einer Narbe auf seiner Hand. Al -so bin ich am 13. Februar 1998 nachNürnberg aufgebrochen, weil in Italienniemand wusste, wo Erlangen ist. Vondort fuhr ich dann mit einem vereidig-ten Dolmetscher zur Adresse vonRenninger nach Erlangen. Ich klingel-te. Der Dolmetscher erklärte Rennin-gers Frau, dass hier ein italienischerJournalist stehe, der mit ihren Mannüber seine Zeit in Italien reden möch-te. Nein, nein, sie hätten keine Zeit; ih-rem Mann gehe es nicht besonders gut,wehrte die Frau ab.

Als ich alle anderen Klingelknöpfeausprobiert hatte, ließ uns jemand insHaus. Wir sind hoch in den erstenStock und haben direkt an der Woh-nungstür nochmals geläutet. Die Fraufragte wieder, was wir denn wollten,ihren Mann gehe es nicht gut. Wirmöchten gerne mit ihrem Mann überseine Zeit in Italien sprechen, erwider-ten wir, über seine Zeit während des

Krieges. “Nein, nein, nein, darüberwollen wir nicht sprechen”, verdeut-lichte die Frau. Daraufhin schob ichdie Fotografie unter der Tür durch:“Sehen sie, diese wunderbare Fotogra-fie, was für ein schicker Mann ihrMann damals war, und was für eineschicke Uniform er hatte. “Nun öffnetesie doch die Tür und ließ uns eintreten.Renninger saß in einem Ledersessel,war wach und bei klarem Bewusstsein.Er begrüßte mich und bot mir einenSitzplatz an. Er erkannte sich auf demFoto wieder.

Langsam näherten wir uns dannder Thematik an. Ich zeigte ihm dasBuch von Marco Comello über dieTragödie von Cumiana. “Sehen Sie”,erläuterte ich dazu, “da gibt es einBuch über diese Geschichte, und Siekommen darin vor. Ich würde sagen,dass es sich wirklich um Sie handelt,denn ich weiß, dass Sie eine Narbe aufder Hand haben.” Seine Frau fragtemich erstaunt, woher ich von der Nar-be wissen könne. “Das hat mir der Par-tisan, Giulio Nicoletta erzählt”, ant-wortete ich. Ja, das sei er gewesen, gabRenninger daraufhin zu, er sei dort ge-wesen. So hatte ich also einen Beweis.

Ich habe ihm dann ausführlich ausdem Buch vorgelesen und seine Frauwar - sagen wir es mal so - sehr be-sorgt. Sie wusste nicht Bescheid. Alsich das merkte, war ich sehr schok-kiert. Es ist mir unangenehm gewesen,herzukommen und jemandem zu sa-gen. “Schau her, du hast 40 Jahre miteinem Kriegsverbrecher zusammenge-lebt - zumindest in den Augen von unsItalienern.” In den Augen von Deut-schen mag er vielleicht ein Held sein.

''Sehen Sie, was für eineschicke Uniform er hatte''Ein italienischer Journalist zu Besuchbei Anton Renninger

''Nein, nein, nein,darüber wollen wirnicht sprechen''

Alberto Custodero mit Foto von Anton Renninger(s. unten) vor dem Hotel Nazionale in Turin, zurZeit der deutschen Besatzung Sitz desSicherheitsdienstes (SD)

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Irgendwann ist seine Frau ans Tele-fon gegangen, und ich redete mitRenninger unter vier Augen. Ob er denBefehl zur Erschießung wirklich nichtverweigern konnte, fragte ich ihn. Erschlug mit der Faust auf den Tisch undsagte entschieden: “no”. Er sei nur derAusführende gewesen, habe nicht ent-

scheiden können, jemanden zu er-schießen, habe den Befehl aber auchnicht verweigern können.

Wer den Befehl denn gegeben ha-be, fragte ich ihn, ob es General Han-sen oder der Hauptsturmführer AloisSchmidt gewesen sei? Nein, Hansenhätte niemals so einen Befehl gegeben,antwortete er, das sei Schmidt gewe-sen.

Ja, und das war’s. Ich wusste nunalles, was ich wissen wollte. Auch dassSchmidt diesen Befehl gegeben hat,war bisher nicht bekannt.

Anmerkung: Alois Schmidt warKommandierender des Sicherheits-dienstes (SD) für die Region Pie-mont. Seine Behörde organisiertesowohl den Kampf gegen die Partisa-nInnen als auch die Deportierung derTuriner Juden und Jüdinnen. 1950wurde er in einem Prozess in Neapelwegen anderer Kriegsverbrechenverurteilt. Man hatte aus Furcht vorRacheakten und Unruhen den Pro-zess nach Süditalien verlegt.

Renninger (links) auf einemVolksfest in der Gegend vonPinerolo. Nach dem Abzug derdeutschen Truppen nahmen Parti-sanen das Bild an sich. Das Originalliegt bei der Staatsanwaltschaft inden Prozessunterlagen.

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Luciano Boccalatte:“Um den historischen Rahmen zu

verstehen, ist es nötig, sich Folgendesvor Augen zu führen: Die Tragödievon Cumiana fand in einem Momentverschärfter Aktionen der Besatzungs-macht und der Faschisten gegen diePartisanen statt. Man fürchtete nachdem Generalstreik vom März 1944 dieZusammenarbeit von Partisanen undsozialen Bewegungen, die gerade inden Turiner Fabriken entstanden wa-ren. Somit war eines der Ziele der mi-litärischen Besetzung Italiens in Ge-fahr: die ökonomische Ausbeutung.”

Auch die PartisanInnen um Cumia-na unterstützen die Streiks in Turin.Am Morgen des 2. März besetzen 200bewaffnete PartisanInnen die Zufahrts-wege nach Cumiana. Busse, die Arbei-terInnen nach Turin fahren, werden an-gehalten und das Telefon- und Telegra-fenamt blockiert.

Zur selben Zeit, in der die Tragödiein Cumiana stattfindet, ereignen sichmindestens zwei weitere Massener-schießungen im Piemont.

Als Vergeltungsaktion für die Er-

schießung eines Unteroffiziers durchPartisanInnen werden 27 Partisanen,Gefangene aus dem Turiner Gefäng-nis, erschossen - eine außerordentlichharte Vergeltungsmaßnahme. Bei eineranderen Vergeltungsaktion werden elfZivilisten erschossen, einfach von ih-ren Feldern weggeholt und umge-bracht.

Am 2. April wird auf den Direktorder Zeitung “Gazetta del Popolo” einAttentat verübt. Daraufhin werden alsVergeltungsmaßnahme fünf gefangenePartisanen erschossen.

Dazu Boccalatte:“In diese Zeit fallen auch große

Durchkämmungsaktionen, die die Par-tisaneneinheiten teilweise völlig zer-sprengen. Ziel ist es, die Talböden freizu halten, um so die Sicherheit für dendurchquerenden Verkehr zu garantie-ren. Dies ist also die Situation, vor de-ren Hintergrund die Tragödie von Cu-miana stattfand. Es ist wirklich einschwarzer Moment in der Geschichteder Partisanen, zumindest der des Pie-mont.”

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''Ein schwarzer Moment in derGeschichte der Partisanen''

Gespräch mit LucianoBoccalatte, Mitarbeiter amTuriner Institut für Zeitge-schichte, über Maßnahmengegen PartisanInnen zur Zeitdes Massakers von Cumiana

Dr. Pier Paolo Rivello istMilitärstaatsanwalt in Turinund ermittelte wegen derErschießung in Cumianagegen Anton Renninger.Der Verein zur Förderungalternativer Medien(VezuFaM) fragte Dr. Rivello,warum nach über 50 Jahrenin Italien eine Welle vonKriegsverbrecherprozesseneröffnet wurde.

Dr. Rivello: Nach dem Krieg be-schlossen die Alliierten, Prozesse, diemit Erschießungen in Italien zu tunhatten, ähnlich zu veranstalten wie inNürnberg - natürlich auf einem ande-ren Niveau. Doch dieses Vorhabenlöste sich in Rauch auf. Alle Prozes-sunterlagen wurden in Rom aufbe-wahrt und hätten an die verschiedenen

Militärstaatsanwälte verschickt wer-den müssen. Das geschah nicht. DieUnterlagen verblieben in Rom. EinBriefwechsel zwischen dem italieni-schen und dem deutschen Außenminis-terium dokumentiert, wie die italieni-sche Seite im Laufe der Jahre dieseProzesse aus Rücksicht auf die Bezie-hungen zu Deutschland nicht weitervoran trieb. Die Dokumente wurden ineinem Schrank verstaut und gerieten inVergessenheit.

Ihre Wiederentdeckung 1994 ist ei-ne unglaubliche Geschichte: Währendirgendwelcher Arbeiten wurde diesergroße Schrank geöffnet, der seit Jahrenzugeschlossen war und dessen Inhaltniemand kannte. Als man ihn öffnete,stellte man fest, dass er all diese Unter-lagen über Kriegsverbrechen in Italienenthielt. 1994/95 wurden sie dann end-lich den zuständigen Militärstaatsan-wälten zugesandt. Nun musste jederStaatsanwalt entscheiden, ob Ermitt-lungen aufgenommen werden oder dieSache eingefroren werden sollte. Ganzfrei ist eine solche Entscheidung nicht,jede juristische Struktur hat natürlich

ihre Beschränkungen, seien es perso-nelle oder andere.

VezuFaM: Gab es eine öffentli -che Diskussion in Italien, ob dieseProzesse eröffnet werden sollten?

Dr. Rivello: Abgesehen von demProzess gegen Erich Priebke, der eini-ges Aufsehen in der Öffentlichkeit er-regt hat, fanden diese Prozesse in denitalienischen Zeitungen ein spärlichesEcho. Vielleicht wurden sie im Aus-land mehr beachtet.

In Italien waren möglicherweiseauch innenpolitische Erwägungenausschlaggebend: Man fürchtete, dasssolche Prozesse, nach jahrzehntelan-gen gesellschaftlichen Widersprüchen,in einem Moment, in dem der innenpo-litische Frieden einigermaßen gewähr-leistet ist, wieder ein Klima derGegensätzlichkeit schaffen könnte.Diese Meinung teile ich nicht. Harmo-nie entsteht vielmehr aus historischerKlarheit und nicht durch Verschleie-rung dessen, was in der Vergangenheitgeschehen ist.

''Geschichtsfälschungenverhindern''

Das Frühjahr 1944 markiert für dieResistenza den Beginn einer Krise, dieweit in den Sommer hinein reicht. Diedeutschen Besatzer und die italieni-schen Faschisten verstärken ihrenKampf gegen die PartisanInnen.

Einer der härtesten Schläge ist dieVerhaftung des gesamten militärischenFlügels des CLN der Region Piemont.Auf persönliche Anweisung Mussoli-nis wird in aller Eile ein Prozessdurchgezogen. Acht hochrangige Mit-glieder werden am 5. April erschossen,dem Tag, an dem in Cumiana die Ge-fangenen ausgetauscht werden.

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von Gerhard Schreiber

Als im Herbst 1962 der italienischeSpielfilm “Die vier Tage von Neapel”in den Kinos anlief, rief das in derBundesrepublik nicht nur bei bestimm-ten Journalisten, sondern auch bei Mit-gliedern der Regierung in Bonn, Un-mut hervor. Weshalb kam es zu einerso gereizten Reaktion?

Vermutlich erklärt sich die tief ge-hende - zugleich Arroganz verratende -Missstimmung mit der Verletzung ei-nes Tabus, das besagte, dass die Wehr-macht, wenn überhaupt, nur im Osteneine verbrecherische Kriegführungpraktizierte. Diese angenehme gesell-schaftliche Konvention stellte jenermeisterhafte Antikriegsfilm über denerfolgreichen Volksaufstand der Nea-politaner gegen die nationalsozialisti-sche Besatzungsherrschaft in Frage.Seine Bilder und Texte konfrontiertenmit einer historischen Wahrheit, dieman hierzulande im öffentlichen Be-wusstsein perfekt verdrängt hatte.

Bezeichnenderweise erschienenwissenschaftliche Arbeiten über italie-nische Kriegsgefangene, Zwangs-arbeiter und aus politischen sowierassistischen Gründen deportierte Ita-liener erst Mitte der achtziger Jahre.Auf Untersuchungen deutscher Auto-ren über in Italien verübte Kriegsver-brechen musste man sogar noch zehnJahre länger warten. Hingegen widme-te die bundesrepublikanische zeit-geschichtliche Forschung den genann-ten Themenkreisen - bezogen auf an-dere europäische Nationen - schon ver-hältnismäßig früh die gebührende Auf-merksamkeit.

Was da gewollt oder ungewollt inVergessenheit geriet und in aller Regelstrafrechtlich ungeahndet blieb, ist kei-ne Bagatelle. Handelt es sich dochzum Teil um staatlich legitimierterechtswidrige Tötungshandlungen, al-so im Auftrag des NS-Regimes undseiner entsprechend autorisierten

Funktionsträger begangene oder vonihnen geduldete Kriegsverbrechen. InRede stehen der Tod von 46.000 soge-nannten Militärinternierten, die Er-mordung von fast 6.800 Soldaten, dieverbrecherische Tötung von rund16.800 zivilen Staatsbürgern, darunter7.600 italienische Juden, und der Ver-bleib von 37.000 politischen Gefange-nen. Anders gewendet, zwischen dem8. September 1943, als der “Achsen-partner” aus dem Krieg ausschied, unddem 2. Mai 1945, als die Kapitulationder deutschen Wehrmacht samt SS undPolizei in Italien in Kraft trat, starben -ohne Berücksichtigung der gefallenenPartisanen und regulären Soldaten so-wie der durch Kriegseinwirkungen ge-töteten Staatsbürger - täglich über 160italienische Kinder, Frauen und Män-ner jeden Alters durch deutsche Hand,sei es auf direkte, sei es auf indirekteWeise.

Ein solcher Befund, der die voneinzelnen Soldaten unter Verletzungdes Militärstrafrechts verübten Kriegs-verbrechen bewusst ausklammert, ver-langt Antworten. Und wie so oft lautetdie entscheidende Frage bezogen aufden völkerrechtswidrigen Umgang mitden italienischen Militärangehörigenbeim Kriegsaustritt des Landes sowieauf die menschenverachtende Behand-lung der Zivilbevölkerung im Rahmender deutschen Besatzungspolitik: Wiewurde all das möglich?

Es geht dabei historisch und juris-tisch betrachtet um den verbrecheri-schen Charakter des Krieges in Italien.Dieser manifestierte sich in Mord,Ausrottung, Versklavung, Zwangsver-schleppung, Freiheitsberaubung, Fol-terung, Verfolgung aus politischen,rassischen oder religiösen Gründen,Misshandlung von Kriegsgefangenensowie Zivilpersonen und in der Tötung

von Geiseln. Zu berücksichtigen sindhierbei zum einen die internationaleund zum anderen die nationale Rechts-lage sowie insbesondere die Befehls-gebung, welche die Täter zur Rechtfer-tigung ihres Verhaltens in Anspruchnehmen konnten und nahmen. Zu-gleich ist die Frage nach den Mög-lichkeiten zu thematisieren, die es demeinzelnen Militärangehörigen erlaub-ten, verbrecherische Befehle zu ver-weigern.

Im Hinblick auf das WIE WARALL DAS MÖGLICH zeigt sich beieinem solchen Untersuchungshorizont,dass im Zusammenhang mit der Täter-forschung eine Vielzahl historischer,situativer, juristischer, ideologischerund anthropologischer Faktoren zu be-denken und zu prüfen sind. In der Ge-samtschau imponierte ein deutscher-

Deutsche Kriegsverbrechen gegenüber Italienern - historische und juristische Aspekte

Was da gewollt oderungewollt in Vergessen-heit geriet und in allerRegel strafrechtlichungeahndet blieb, istkeine Bagatelle

seits zu verzeichnender alltäglicherantiitalienischer Rassismus, der wie je-der Rassismus eine Absage an die Ideegleicher Grundrechte aller Menschenausdrückte und jegliche zwischen-menschliche Solidarität erstickte, ge-meinsam mit einem blinden Gehor-sam, auf den die Täter rekurrierten, umsich ihrer ethisch-moralischen Ver-antwortung zu entheben. Diese Fakto-ren bieten die überzeugendste Erklä-rung für die Ursachen der an Italienernverübten Kriegsverbrechen und Ver-brechen gegen die Menschlichkeit.

G. Schreiber: DeutscheKriegsverbrechen inItalien. Täter - Opfer -Strafverfolgung, München1996

Erschießung vonWiderstandskämpfern(unbekannter Ort) 19

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Laura Polizzi kämpfte inder Resistenza, dann arbeite-te sie als Funktionärin derKommunistischen Partei(PCI). Der PCI hatte denhöchsten Frauenanteil unterden Parteien, auch innerhalbder Führungspositionen. Den-noch hielt er am traditionell-len Frauenbild und bürger-lichen Geschlechterverhältnisfest. Heute ist Polizzi Vorsit-zende der Frauensektion imPartisanenverband ANPI undberichtet über ihre politischeArbeit in der Nachkriegszeit:

ren. Bestimmte Genossen aber wolltennichts davon wissen, dass ich Vorträgehielt, da “eine Frau nicht sprechenkann”.

(...) Mein Gefährte und ich wolltenaus Prinzip nicht heiraten, auch dannnicht, als ich schwanger wurde. Abermein Onkel war Sekretär des PCI. Ersagte, er selbst hätte nichts dagegen,aber da ich Kommunistin sei, stündeich im Rampenlicht und solle des-wegen heiraten, um mich den Sittenanzupassen. So haben wir eben gehei-ratet. Dann hat mir der PCI das Gehaltgestrichen, weil “zwei Gehälter in ei-ner Familie zuviel sind”. Aber weil wires wirklich nicht schafften, habe ich ei-nen Brief an die Partei geschrieben.Doch sie antwortete nur, ich müsse einBeispiel geben. Immer wieder das mitdem Beispiel, ich arbeitete, schufteteund bekam kein Gehalt. Ich erklärteihnen meine Situation, und sie gabenmir wenigstens das halbe Gehalt.Dann ist das Kind zur Welt gekom-men, meist hat meine Mutter daraufaufgepasst. Aber es war wirklich einHundeleben, denn du musstest gleich-zeitig Hausfrau, Mutter und Partei-funktionärin sein, und bei der Parteiwaren sie nicht besonders verständnis-voll, wenn du mal zu spät kamst oderunvorbereitet erschienst. Du hattest ei-ne Wahl getroffen, und nur das zählte.Zudem war ich lange die einzige Funk-tionärin, die ein Kind hatte. Es gab an-fangs noch wenige Funktionärinnen,dann kamen immer mehr.

Wir waren alle so voller Idea-lismus. Du warst mit dem Wiederauf-bau beschäftigt, damit, den Frauen zueinem demokratischen Bewusstsein zuverhelfen (In Italien wird das Frauen-wahlrecht erst 1945 eingeführt.), undden Grundstein für den Sozialismus zulegen, denn wir dürfen nie vergessen,dass genau der die treibende Kraft war.Das war nicht gerade eine Kleinigkeit!Und dann gab es für mich wie auch fürviele andere das Problem der Abtrei-bung. Erst mal die Sitten und von derSexualerziehung ganz zu schweigen.Innerhalb der Partei und in der Gesell-schaft war die Moral rigide. Ich bin si-cher, dass es Geschwätz über michgab, wenn ich erst um zwei, drei Uhr

nachts heimkam, in Begleitung vonGenossen. Oft haben Genossen zumeinem Mann gesagt: “Also ich hättees ja nicht gern, wenn meine Frau soein Leben führen würde.”

Zudem hatten weder ich noch meinMann große Erfahrung mit Sexualität,so dass ich oft schwanger wurde, mitsehr schmerzhaften Schwangerschaf-ten. Ich habe nicht mal der Partei ge-sagt, dass ich schwanger war und dassmein Unwohlsein daher kam.Und es blieb das Drama der Abtrei-bungen, heimlich, ohne Geld.Bis es zur Legalisierung kam, habe ichnie jemandem davon erzählt, da wardie Angst vor dem Gefängnis. Es gabkein Geld für einen Arzt, sondernStricknadeln bei der Engelmacherin.Auch wenn sie weniger kostete als einArzt, war es ein Problem. Es gab jakeinen Posten “Abtreibung” in der Fa-milienbilanz. Zudem war eine Abtrei-bung eine moralische Belastung. Undsie endete unweigerlich mit Infektions-fieber und Ausschabung in der Entbin-dungsstation bei vollem Bewusstsein.Es war nicht leicht, nicht zu schreien.Wir wurden dort sehr schlecht behan-delt, weil du sagtest, dass du vonnichts wusstest, um Himmels Willen,sonst landest du im Gefängnis. Ichkonnte schon wegen der Partei nichtins Gefängnis, ich hätte meine Ehreverloren. Es war sehr unehrenhaft, ausnicht politischen Gründen inhaftiert zuwerden.Als Kommunistin fühlte ich mich nichtschuldig abzutreiben, sondern weil ichdanach krank wurde und immer fehlte.Ich habe damals ein elendes politi-sches Leben geführt, weil ich zu et-lichen Kongressen und Versammlun-gen nicht gehen konnte. Es war nichtso, dass ein Genosse dich wegen derAbtreibung kritisiert hätte, wenigstenshoffe ich das doch. Ich, Stadträtin, Par-teimitglied, die auf den Plätzen laut-stark die Familie verteidigte und soweiter, und die dann wegen Abtrei-bung ins Gefängnis gemusst hätte, sowas war nicht vorstellbar.

Bearbeitete Übersetzung aus:M. Minardi: Ragazze dei Borghi inTempo di Guerra, Parma 1991

Da ich Kommunistin sei,stünde ich im Rampenlicht

und solle deswegenheiraten, um mich den

Sitten anzupassen

In die Politik einzusteigen war eineideelle Entscheidung. Es ging darum,eine Revolution vorzubereiten, an diewir alle im tiefsten Inneren glaubten.

Nach dem Krieg war es wahr-scheinlich auch für die Männer hart.Aber für uns war es genauso hart. Inder Tat hatte ich enorme Hindernissezu bewältigen. Als Verkäuferin zu ar-beiten und den Haushalt zu erledigenwar schon doppelte Arbeit, aber zudemBerufsrevolutionärin zu sein... BeimUDI (Vereinigung der italienischenFrauen) gab es lange kein Gehalt. Je-denfalls mussten wir als Frauen wirk-lich sehr viel ertragen, auch innerhalbder Partei.

Eine Frau, die öffentlich sprach,erregte viel Neugierde und zog sogarLeute an. Ich erinnere mich an eineVersammlung, die ich in Parma ab-hielt, der Platz war brechend voll, ein-fach grandios, und die Leute warenneugierig darauf, mich als Frau zu hö-

''Du musstestgleichzeitig Hausfrau,Parteifunktionärin,Mutter sein ...''

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von Dario Azzellini

Der zahlenmäßig größte Anteil derPartisanen war in Verbänden wie denGaribaldini organisiert, die derKommunistischen Partei (PCI) nahe-standen. Viele erwarteten nach demSieg über die deutsche Besatzungs-macht und den italienischen Fa-schismus eine revolutionäre Umwäl-zung der alten Gesellschaft. Der PCIverfolgte jedoch, wie Rossana Rossan-da in den ”Verabredungen zum Jahr-hundertende” feststellt, seit Kriegsen-de kein revolutionäres Projekt mehr.

Den Kampf der Partisanen als reinnationalen Befreiungskrieg zu inter-pretieren, verklärt den Blick auf dieEreignisse und macht es unmöglich,den weiteren Verlauf der italienischenGeschichte zu verstehen. Nur ein ge-nauer Blick auf die Rolle des PCI ab1944 vermag die ab 1960 auftretendenKämpfe und ihre Radikalität zu erklä-ren.

Bei der Zerschlagung des Fa-schismus und dem Sieg über die deut-schen Besatzer in Nord- und Mittelita-lien spielten die Partisanen eine ent-scheidende Rolle. Doch ein einheit-licher Block waren die mehr als250.000 Angehörigen der Partisanen-armee nicht. Neben den Kommunisten,die die Mehrheit bildeten, den Sozia-listen und den Konservativen warenauch kleinere Gruppen von Linkska-tholiken und Monarchisten Teil derResistenza. Nachdem Mussolini ver-haftet und am 8. September die Kapi-tulation bekannt gegeben worden war,kämpfte die Armee offiziell auf Seitender Alliierten. Viele ehemalige Mili-tärs schlossen sich der Resistenza an.Die italienische Bourgeoisie hatteMussolini und die Faschisten fallenge-lassen, woraufhin dieser, von deut-schen Truppen aus dem Gefängnis be-

freit, mit deutscher Protektion die “Re-publik von Salò” gründete.

Durch die Breite der Resistenzafanden sich viele Widersprüche der ita-lienischen Nachkriegsgesellschaftauch in ihr wieder. In der PCI bestandein deutlicher Unterschied zwischendem PCI-Überbau, der auf Machtbe-teiligung und nationale Einheit setzte,und der Basis, die auf eine soziale Re-volution drängte.

Die Alliierten standen schon frühvor dem Dilemma, militärisch nichtauf die Partisanen im Kampf gegen dieNazis verzichten zu können, aber auchkein Interesse an bewaffneten Komm-munisten oder sozialen Reformen zuhaben. So waren sie bestrebt, sich nochwährend des Krieges vieler Partisanenzu entledigen, und versuchten Waffen-lieferungen zu steuern.

Die Wiedereinsetzung ehemals fa-schistischer Eliten nach 1945 durch dieUSAberuhte auf dem Problem der Al l-liierten, keine anderen bürgerlichenEliten vorgefunden zu haben. Des-wegen bauten sie bei der Landung inSüditalien 1943 auf die Mafia als Ga-rantin stabiler Herrschaftsverhältnisseund unterstützten sogar die Kandidaturdes Mafia-Bosses der Provinz Trapanifür den Posten des Hochkommissarsvon Sizilien. Der soziale Druck warauch in Süditalien groß, 1944 began-nen Landarbeiter vielerorts mit der Be-setzung und Bestellung von brachlie-gendem Großgrundbesitz.

Als die Alliierten schließlich imApril 1945 in die Poebene vorrückten,waren die meisten Städte bereits durchvon den Partisanen ausgelöste Volks-aufstände befreit und besaßen einevom CLN (Komitee der nationalen Be-freiung) aufgebaute Verwaltung.Nachdem sich dann die bürgerlicheDemokratie unter Beteiligung des PCIals Kompromiss herausgeschält hatte,kostete es die italienische Bourgeoisie

Die verratene ResistenzaDie Bedeutung der Resistenza für die italienischeNachkriegsgesellschaft und die Neue Linke

Den Kampf derPartisanen als reinnationalen Befreiungs-krieg zu interpretieren,verklärt den Blick auf dieEreignisse und macht esunmöglich, den weiterenVerlauf der italienischenGeschichte zu verstehen

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und die PCI-Führung viel Kraft, diebreite Basis mit sozialrevolutionärenInteressen wieder zurückzudrängen.Dem fiel auch der radikaldemokrati-sche antifaschistische Parlamenta-rismus, wie ihn der CLN in Nordita-lien durchgesetzt hatte zum Opfer, dervom PCI ebenfalls aufgegeben wurde.

Sozialrevolutionäre Veränderun-gen waren nicht nur die Idee einerHand voll Linksradikaler. Dies zeigtesich auch an Streiks, die 1943 in Nord-italien stattfanden, oder dem Vorgehender Polizei der Regierung Badoglio ge-

gen Arbeiter, das 1943 zwischen Juliund September 95 Tote forderte. Stetsvermischten sich Elemente des Klas-senkampfes mit dem antifaschistischenWiderstand. Diese Tendenzen ver-stärkten sich bis zum Höhepunkt derdurch die Partisanen ausgelöstenVolksaufstände und setzten sich auchnach Kriegsende fort.

Der PCI jedoch fügte sich Ordernaus Moskau, die von den Alliiertenfestgelegten Einflusssphären zu res-pektieren, und strebte nach Anerken-nung des CLN durch die Alliierten. ImJanuar 1944 reduzierte er seine Forde-

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Die kapitalistischeRestauration Italiens

wurde zügig voran-getrieben und die Polizei

ging mit äußersterBrutalität gegen Land- und

Industriearbeiter vor

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rungen auf die Abdankung des Königsund vertagte die Frage einer neuenVerfassung auf spätere Zeiten. ImMärz erkannte die UdSSR die Regie-rung Badoglio an und der PCI verzich-tete auf die Abdankung des Königs.Der PCI hatte sich für einen konstitu-tionellen Pakt mit den Industriellenentschieden. Der aus dem sowjeti-schen Exil zurückgekehrte PCI-Vorsit-zende Togliatti schrieb der kommunis-tischen Leitung des Nordens am 6. Ju-ni 1944: “Man muss immer daran den-ken, dass der Aufstand, den wir wol-len, nicht den Zweck sozialer oder po-litischer Transformationen im sozialis-tischen oder kommunistischen Sinnehat, sondern den Zweck der nationalenBefreiung und der Zerstörung des Fa-schismus. Alle anderen Probleme wer-den vom Volk gelöst, morgen, wenneinmal ganz Italien befreit ist, durcheine freie Volksbefragung und dieWahl einer konstituierenden Versamm-lung.” Dieser Hinweis war auch nötig,

Die verrateneResistenza ...

denn ein Teil der Resistenza hattemehr als die “nationale Einheit” imKopf.

Spannungen innerhalb der Resis-tenza werden an Vorkommnissen wieder Hinrichtung von 14 rechten Parti-sanen durch kommunistische Partisa-nen am 7. Februar 1945 deutlich: DieErschossenen hatten sich geweigert,sich den Tito-Partisanen unterzuord-nen. Nach dem Krieg verweigerte einTeil der Partisanen die Abgabe der

Waffen. Unterschiedlichen Schätzun-gen zufolge waren 1947 noch bis zu80.000 linke Ex-Partisanen bewaffnet.

Aufgrund seiner faktischen Machtwurde der CLN im Dezember 1944von der italienischen Regierung undden Alliierten als Regierungsvertreterin den von den Deutschen besetztenGebieten anerkannt. Der CLN trat indie Regierung in Rom ein, wo es zuSpannungen kam, da die Bourgeoisiemit Unterstützung der USAihre Machtausbauen und festigen wollte, währenddie Bevölkerung mit Streiks und Land-besetzungen auf soziale Reformendrängte. Die Konflikte spitzten sichauch zwischen den linken und rechtenKräften in der Regierung zu. Der PCIbeugte sich auf der Suche nach der vielbeschworenen “nationalen Einheit”den Interessen der Bourgeoisie undwurde im Mai 1947, als die konserva-tiven Kräfte ihre Position gefestigthatten, gemeinsam mit den Sozialistenaus der Regierung ausgeschlossen.

Die Enttäuschung bei einem Teilder Ex-Partisanen war bereits durchdie “ausgebliebene Revolution” groß.Aus dieser “verratenen Resistenza”des Nordens gingen in der unmittelba-ren Nachkriegszeit verschiedene be-waffnete Gruppen hervor, die Strafak-tionen gegen Faschisten durchführten.In der Region Emilia wurden in den er-sten 18 Monaten nach der Befreiung1.496 Kommunisten zugeschriebene“politische Straftaten” gezählt. Alleinim Kreis Bologna gab es 615 Tote, 75Faschisten “verschwanden”. Nebenspektakulären Aktionen wie der Stür-mung eines Gefängnisses und der Er-schießung von 54 inhaftierten Faschis-ten durch eine kommunistische Einheitin Schio im Juli 1945, spitzten sichauch die Konflikte auf dem Land zu.Im Kreis Bologna wurden 21 Groß-grundbesitzer aufgrund von Landkon-flikten getötet oder schwer verletzt, imKreis Ravenna kamen 15 Großgrund-besitzer ums Leben, weitere zwölfwurden verschleppt, ohne dass sie je-mals wieder auftauchten. Als Togliatti1945 und 1946 als Justizminister vageformulierte Amnestien erließ, die prak-tisch zur Freilassung aller verurteiltenFaschisten und zum Abbruch laufenderVerfahren führten, verursachte diesstarken Unmut. Insgesamt begabensich über 500 Bewaffnete wieder in dieBerge. Es gelang erst 1947 dieseGruppen wieder zu zerschlagen. Vieleandere enttäuschte Ex-Partisanen zo-gen sich aus der aktiven Politik zu-rück.

Auch erhalten gebliebene faschisti-sche Verbände führten in der direktenNachkriegszeit Anschläge und An-griffe auf Linke durch. Die Alliiertenübten Druck auf die italienische Poli-

zei aus, jene aufzulösen - einige wur-den in die Geheimdienststrukturen derjungen Republik integriert. Die Angstvor dem gemeinsamen Feind, der Lin-ken, einte Alliierte, Konservative undFaschisten schnell wieder. Der Kom-promiss zwischen Faschisten und Kon-servativen auf der Grundlage einerstreng antikommunistischen Ideologieim Geist des kalten Krieges bestimmteden weiteren Verlauf der italienischenPolitik.

Die kapitalistische RestaurationItaliens wurde zügig vorangetriebenund die Polizei ging mit äußerster Bru-talität gegen Land- und Industriearbei-ter vor: Von Juni 1947 bis Januar 1951starben 81 Protestierende durch Poli-zeieinsätze, weitere durch Großgrund-besitzer. Bei einem Generalstreik 1949in Modena tötete die Polizei sechskommunistische Arbeiter. Im gleichenJahr setzte sie in Kalabrien Handgra-naten und Maschinengewehre gegenunbewaffnete Landbesetzer ein. Jed-weder Protest wurde mit gnadenloserRepression überzogen.

Nachdem die Christdemokratenbei den Wahlen 1953 zwei MillionenStimmen verloren hatten, wuchs in Ita-lien und den USAdie Angst vor der er-starkenden Linken weiter an. Der PCIhatte 5 Millionen Wählerstimmen und2,5 Millionen Mitglieder. Aber die To-gliatti-Linie - “Ja zur demokratischenMachtergreifung, Nein zum revolutio-nären Prozess” - war von der Funktio-närsebene durchgesetzt worden. DerPCI und seine Organisationen hütetensich, die lokal stattfindenden Streikszu koordinieren. Der von ihnen propa-gierte Arbeitsethos, der den antifa-schistischen und qualifizierten Fabrik-arbeiter des Nordens als - im Gegen-satz zur parasitären Bourgeoisie ste-henden - produktiven und gesundenTeil der Nation ansah, propagierte dieständige Weiterentwicklung der Pro-duktivkräfte als historische Aufgabeder Arbeiterschaft. Denn eine fort-schrittliche Demokratie wäre unver-einbar mit den Unternehmerinteressenund damit auch die Vorbereitung fürdie - friedliche - Übernahme der Fabri-ken. So zeigten PCI und Gewerkschaf-ten bei den nach 1958 sporadisch auf-tauchenden Landkämpfen im Südenund bei Fabrikbesetzungen im NordenZurückhaltung.

Es sollten schließlich die Ereig-nisse des Jahres 1960 sein, die eineneue Dynamik in die politischen undsozialen Auseinandersetzungen brach-ten. Die Regierung Tramboni geneh-migte, unterstützt durch MSI-Abge-ordnete, einen Kongress der Faschis-ten in Genua. Die Regierung wolltemit der Genehmigung des Kongresses

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Die linken Gewerkschaften undParteien rufen für den 30. Juni zumGeneralstreik in Genua und Savonaauf, um die Protestbewegung wiederunter Kontrolle zu bekommen. Wäh-rend sie betonen, daß es sich um einenfriedlichen Protest handelt, greifenTausende von Studierenden, proletari-schen Jugendlichen, kommunistischenDissidenten und Anarchisten die15.000 aufmarschierten Ordnungskräf-te an. Die Funktionäre des PCI sowiedie Gewerkschaften und der PCI-do-minierte Partisanenverband ANPImahnen zur Ruhe, die Demonstrantenhingegen beklagen den Mangel anWaffen und fordern eine Interventionder Ex-Partisanen. In Turin findet einspontaner Solidaritätsstreik statt, beidem die kommunistische Gewerk-schaft CGILArbeiter und Studenten

davon abhält die Poli-zei anzugreifen. InGenua werden die Ak-tionen am nächstenTag, ohne die offi -zielle Linke, wiederaufgenommen. DerVorsitzende der ANPIdistanziert sich vonden Kämpfen und for-dert öffentlich, dieVerhafteten nicht zuunterstützen. Dennochströmen Tausende Ju-gendliche und bewaff-nete Ex-Partisanennach Genua. Vertreterder offiziellen Linkenwerden ausgepfiffenund angegriffen. DerKongress wird abge-sagt. Die offizielleLinke organisiert fürdie folgenden Tage“friedliche” Demon-strationen in ganz Ita-lien, doch diese mün-den in massive Zu-sammenstößen mitden Ordnungskräften,die in der ersten Juli-woche landesweitzehn Arbeiter erschie-ßen. Es kommt zumGeneralstreik, die Re-gierung wird kurzeZeit später umgebil-det.

Neben dem kon-kreten politischen Er-folg stellen die Kämp-fe vom Juni und Juli1960 die Geburtsstun-de der neuen Linkenund neuer Kampffor-men dar. In denKämpfen von 1960 in

Die Ideen der Partisanenlebten weiter, und siekamen in denKlassenkämpfen am Endeder 60er und 70er Jahreimmer wieder zumDurchbruch

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Genua trat eine Dissidenz zur klassen-versöhnlerischen Haltung der PCI anden Tag, die bis in die Tage der Resis-tenza zurückverfolgt werden kann.

Die revolutionären und antifa-schistischen Ideen der Partisanen leb-ten weiter, und sie kamen in denKlassenkämpfen am Ende der 60erund 70er Jahre immer wieder zumDurchbruch. 1969 bildeten sich be-waffnete Gruppen als Reaktion auf dieKämpfe in den Stadtteilen und Fabri-ken, die sich in eine direkte Nachfolgeder Resistenza stellten. Die Partisa-nenaktionsgruppe GAPum den Verle-ger Feltrinelli teilte sich mit den städ-tischen Sabotagegruppen der Resisten-za nicht nur das Namenskürzel: An ihrsollen auch ehemalige Partisanen be-teiligt gewesen sein. Am 25. April,dem Tag der Befreiung vom Fa-schismus, werden 1971 und 1972 inMailänder Arbeitervierteln hundertevon Fahnen der Brigate Rosse gehisst.

Aktionen der Autonomia richtetensich in den Jahren um 1977 auch gegendie faschistische MSI, die sich nachMussolinis Marionettenrepublik be-nannt hatte: Immer wieder kam es zuÜberfällen auf Faschisten, Parteilokaleder MSI wurden aus Demos heraus be-schossen.

Die schärfer werdenden Ausein-andersetzungen der Jahre nach 1960sind in gewisser Weise auch ein Kampfum das verratene Erbe der Resistenza.

Literaturtipp:P. Moroni & N. Balestrini: Diegoldene Horde. Arbeiterautonomie,Jugendrevolte und bewaffneterKampf in Italien, Berlin & Göttingen1994

Fotos (Seite 21-23) aus:‘77- L’anno della grande rivolta(CD-ROM), Castelvecchi Editoria &Comunicazione 1997

in der linken Hochburg Genua testen,ob eine Öffnung zu den Faschistenmöglich ist.

Während sich die Organisationender offiziellen Linken darauf beschrän-ken, ein Verbot des Kongresses zu for-dern, organisieren Studierende, Ange-stellte und Jugendliche für den 25. Ju-ni eine Protestversammlung. Als diePolizei die Kundgebung angreift, stür-men Arbeiter vom nahen Hafen undaus Fabriken mit Stahlhaken und Ei-senstangen herbei und kämpfen an derSeite der Protestierenden. Tags draufwerden Kontakte zu Ex-Partisanen, diewegen ihrer Kritik an der Linie der off-fiziellen Linken aus der aktiven Politikausgeschieden waren, geknüpft. DieStudenten wenden sich direkt an dieArbeiter, ohne den Umweg über dieGewerkschaft zu gehen.

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la resistenza

Beiträge zumWiderstandin Italien

Friedensdemonstration

25. Juli 1943 in Mailand