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30 Hydrol. Bemerkenswerte Copepodenfunde im Pelagial des Bodensees Von FRIEDRICH KIEFER (Aus der Anstalt fiir Bodenseeforschung der Stadt Konstanz) Manuskript eingegangen am I7. Dezember I962 Die Anstalt ftir Bodenseeforschung der Stadt Konstanz hat seit Bestehen (1919/2o) einen erheblichen Teil ihrer Arbeiten den physikalischen, chemi- schen und biologischen Verh~iltnissen im Pelagial des grossen Doppelsees: Obersee mit ffberling;er See und Untersee gewidmet. So sind schon in den ersten Jahren u. a. Hunderte yon Proben auf ihren Gehalt an verschieden- artigen planktischen Kleinkrebsen ausgez~ihlt worden. Dabei hat es sich gezeigt, dass in den zwanziger Jahren noch die gleichen Arten im Frei- wasser des Obersees gefunden wurden (AUERBACH [I], p. 646), die schon dreissig Jahre zuvor BRuNo HOFER [3] bei seinen Untersuchungen fest- gesteUt hatte, an Ruderfusskrebsen n~imlich folgende: Heterocope borealis (Fischer 1851), Eudiaptomus gracilis (G. O. Sars 1862), Cyclops abyssorumpraealpinus (Kiefer I939) (frtiher unter dem Sammelnamen Cyclopsstrenuus gefiihrt), Mesocyclops bodanicola (Kiefer 1929) (frtiher als << Cyclopsleuckarti~ geftihrt). Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden derartige Arbeiten erneut ins Programm unseres Instituts aufgenommen. Dabei ist grunds~itzlich die gleiche Untersuchungstechnik wie fri~her angewandt worden. Denn es erschien wtinschenswert, die neueren Ergebnisse mit den ~ilteren ver- gleichen zu k/Snnen. Im einzelnen ist die Auswertung unserer Plankton- f~inge jedoch wesentlich verfeinert und vervollkommnet worden. Da zwei der Mitarbeiter unserer Anstalt bdsondere Kenner der Cladoceren (Dr. R. MUCKLE) und der Copepoden (der Verfasser) sind, war es seit 1952 u.a. m/Sglich, sowohl die Arten der einzelnen Gattungen als auch die Ge-

Bemerkenswerte Copepodenfunde im Pelagial des Bodensees

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30 Hydrol.

Bemerkenswerte Copepodenfunde im Pelagial des Bodensees

Von FRIEDRICH KIEFER

(Aus der Anstalt fiir Bodenseeforschung der Stadt Konstanz)

Manuskript eingegangen am I7. Dezember I962

Die Anstalt ftir Bodenseeforschung der Stadt Konstanz hat seit Bestehen (1919/2o) einen erheblichen Teil ihrer Arbeiten den physikalischen, chemi- schen und biologischen Verh~iltnissen im Pelagial des grossen Doppelsees: Obersee mit ffberling;er See und Untersee gewidmet. So sind schon in den ersten Jahren u. a. Hunderte yon Proben auf ihren Gehalt an verschieden- artigen planktischen Kleinkrebsen ausgez~ihlt worden. Dabei hat es sich gezeigt, dass in den zwanziger Jahren noch die gleichen Arten im Frei- wasser des Obersees gefunden wurden (AUERBACH [I], p. 646), die schon dreissig Jahre zuvor BRuNo HOFER [3] bei seinen Untersuchungen fest- gesteUt hatte, an Ruderfusskrebsen n~imlich folgende:

Heterocope borealis (Fischer 1851), Eudiaptomus gracilis (G. O. Sars 1862), Cyclops abyssorum praealpinus (Kiefer I939)

(frtiher unter dem Sammelnamen Cyclops strenuus gefiihrt), Mesocyclops bodanicola (Kiefer 1929)

(frtiher als << Cyclops leuckarti~ geftihrt).

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden derartige Arbeiten erneut ins Programm unseres Instituts aufgenommen. Dabei ist grunds~itzlich die gleiche Untersuchungstechnik wie fri~her angewandt worden. Denn es erschien wtinschenswert, die neueren Ergebnisse mit den ~ilteren ver- gleichen zu k/Snnen. Im einzelnen ist die Auswertung unserer Plankton- f~inge jedoch wesentlich verfeinert und vervollkommnet worden. Da zwei der Mitarbeiter unserer Anstalt bdsondere Kenner der Cladoceren (Dr. R. MUCKLE) und der Copepoden (der Verfasser) sind, war es seit 1952 u.a. m/Sglich, sowohl die Arten der einzelnen Gattungen als auch die Ge-

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schlechter sowie die Jugend- und Reifestadien der verschiedenen Arten je getrennt auszuzShlen.

Ein derart detailliertes Eindringen in die gesammelten Proben ist nur auf Grund einer sicheren Formenkenntnis m/Sglich. Damit war zugleich aber zus/itzlich die Voraussetzung dafiir gegeben, dass in den durchgesehenen Fgngen sozusagen jedes vorhandene Individuum auch yon solchen Arten erfasst werden konnte, deren Namen nicht in unsern normalen Z5hllisten verzeichnet standen. Wir haben sie alle sorgf~ltig in den Protokollen fest- gehalten. Wenn wir heute, nach fast elfj~hriger ltickenloser Arbeit auf diesem Gebiet, diese <~AussenseiteD~-Namen heraussuchen, so ergibt sich allein bei den Copepoden die erstaunlich lange Liste yon folgenden I8 verschiedenen Arten:

Eudiaptomus coeruleus (Fischer I853), dcantbodiaptomus denticornis (Wierzejski I887), Macrocyclops albidus (Jurine I82O), Eucyclops serrulatus (Fischer I85I), Eucyclops macrurus (G. O. Sars 1863)2 Paracyclopsfimbriatus (Fischer I853), Cyclop, aby,sorum oda.us ( efer 9S4), Cyclops vicinus lobosus (Kiefer I954), Cyclops strenuus landei (Kozminski I933), Mesocydops teuckarti (Claus I857), Tbermocydops dybowskyi (Lande I89o3 Megacydops gigas (Claus I857), Megacyclops viridis (Jurine I8zo), Acanthocyclops robustus (G. O. Sars I863), Acantbocyclops vernalis (Fischer x853), Diacyclops bicuspidatus (Claus I857), Diacyclofls crassicaudis (G. O. Sars I863), Cantbocamptus staphylinus (Jurine I8ZO).

Diese Arten haben nun sehr unterschiedliche Bedeutung ftir die Lebens- gemeinschaft des Bodenseeplanktons. Schon vor Beginn unserer Unter- suchungen im Jahre I95z waren die folgenden zehn als Bewohner des Sees festgestellt:

* Macrocyclops albidus, * Eucyclofls serrulatus und * E. macrurus, * Paracyclops fimbriatus,

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Cyclops abyssorum bodanus, Mesocyclops leuckarti, Megacyclops gigas und * M. viridis,

�9 Acantbocyclops robustus, �9 Cantbocamptus stapbylinus.

Die mit * bezeichneten Arten halten sich mehr oder weniger eng aufdem Boden oder zwischen Pflanzen auf.

Macrocyclops albidus, die beiden Eucyclopen serrulatus und macrurus, Para- cyclops fimbriatus sowie der Canthocamptide staphylinus sind wrihrend der zehn Beobachtungsjahre nur ganz vereinzelt und gelegentlich im freien Wasser der pelagischen Region ~erwischt,~ women. Man darf wohl an- nehmen, dass die betreffenden Tiere jeweils ohne viel eigenes Dazutun in die ihnen nicht gem~sse Umwelt gelangt, d.h. passiv dahin verfrachtet worden sind. Von diesem Schicksal werden ohne Zweifel immer wieder nicht wenige Exemplare der betreffenden Arten erfasst. Es ist aber schon ein ganz besonders giJnstiger ~(Zufalb~, wenn im riesigen Pelagial unseres Sees das Planktonnetz eines Limnologen dann gerade eine solche ~Steck- nadel im Heuhaufem~ finder.

Merklich hriufiger habe ich seit I954 Acantbocyclops robustus in unseren Planktonfringen identifiziert. Allermeist waren es auch nur einzelne Indi- viduen, in manchen Fringen konnten aber auch bis zu fiinf Exemplaren ausgelesen werden. Dabei ist auffallend, dass sich diese Tiere so gut wie immer in der obersten Wasserschicht aufgehalten haben m~issen; denn sie sind in der ~iberwiegenden Mehrzahl der F~ille zwischen o und 5 m ins Netz geraten. Schliesslich soil hier noch erwrihnt werden, class in j~ingster Zeit die Funde yon Acantbocydops robustus hriufiger geworden sind, obwohl die Zahl der monatlichen Fringe seit Jahren gleich geblieben ist.

Xhnliches ist auch yon Cyclops abyssorum bodanus zu sagen. Doch wird fiber diesen schSnen, grossen Cyclopen yon U. ErNSLW in einer soeben ab- geschlossenen Arbeit mehr berichtet [7].

Der regelmrissigste akzessorische Copepode in unseren Planktonproben ist Megacyclops gigas. Er ist im Bodensee eine profundal lebende Form und kann in Dredgefringen bisweilen in grosser Zahl vorhanden sein. Offenbar schwimmen diese krfiftigen Tiere schon als Copepodiden vom Boden her reichlich in den freien Wasserraum ein. Sie werden daher in der Mehrzahl der Frille zwar in grSsserer Tiefe erbeutet, kSnnen aber auch selbst im Bereich der grSssten Seetiefe in den obersten 5 Metern gefunden werden. Entwicklungszyclus, lokale und saisonale Variabilitrit sowie das Verhriltnis

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des Meg. gigas zu Meg.-~iridis-~hnlichen Tieren, die ab und zu mehr in Uferniihe gefangen werden, geben uns noch erhebliche R~itsel auf. Um ihrem Verst~indnis n~iherzukommen, sind bei uns schon seit einiger Zeit umfangreiche Untersuchungen im Gange.

Mesocyclops leuckarti ist bekanntlich in zahlreichen Seen, so auch im Untersee, eine planktische Form, w~ihrend er im Obersee ehedem nur spfirlich in manchen Uferbereichen angetroffen wurde, von wo er neuer- dings h~iufiger ins Pelagial vordringt. Das gegenseitige Verh~iltnis der beiden MesocycloH-Arten leuckarti und bodanicola in morphologisch-systema- tischer wie biologisch-/Skologischer Hinsicht bedarf dringend eingehender Untersuchung, die yon uns ebenfalls schon geplant ist.

Nach Abzug der eben genannten Arten bleiben aus der obigen Liste noch folgende zur Besprechung tibrig:

Eudiaptomus coeruleus, Acanthodiaptomus denticornis, Cyclops vicinus lobosus, Cyclops strenuus landei, Acanthocyclops vernalis, Diacyclops bicuspidatus, Diacyclops crassicaudis, Thermocyclops dybowskyi.

Keine dieser Arten war bisher aus dem Bodensee bekannt. Von Acantho- cyclops vernalis, der mir erst in jiingster Zeit sehr vereinzelt aus Plankton- ffingen unter die Augen gekommen ist, wollen wit an dieser Stelle v611ig absehen. Das gegenseitige Verh'altnis yon A. robustus und A. vernal# wird yon den Copepodenforschern noch recht unterschiedlich beurteilt und ist trotz mancherlei darauf beztiglicher Bemfihungen noch weir yon einer endgtiltigen Klfirung entfernt.

Von den iibrigen 6 Arten ist Cyclops vicinus lobosus insofern die bemerkens- werteste, als sie sich seit ihrem ersten erkannten Auftreten im Jahre I954 zusehends vermehrt hat und inzwischen zu einem ganz wesentlichen Bestandteil des Crustaceenplanktons des Bodensee-Obersees wie auch des Untersees geworden ist. Da U. EINSLE in seiner oben erwtihnten Arbeit fiber das Genus Cyclops im Bodensee und seiner Umgebung auch den C. ~icinus eingehend behandelt, will ich mich an dieser Stelle darauf be- schr~inken, eine kleine, schon einmal an'anderer Stelle gebrachte Tabelle fiber das Wachstum der vicinus-Population im Obersee in erg~inzter Form wiederzugeben:

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Jahr Zahl der Einzelproben Adul• in diesen Proben aus allen Monaten im ganzen je Probe

1954 72 I O,Ol 4 1955 84 z o,o12 I956 21o 35 o,17 z957 224 65 0,29 1958 23I 99 0,43 1959 252 529 2,1 196o 252 lO43 4,I 1961 315 5628 17,9

Cyclops strenuus in der Form landei, welcher vor allem im Gnadensee, dem eutrophsten Tell des Untersees, der kennzeichnende Plankton-Cydope ist, lfisst in sehr abgeschw~ichter Weise ~hnliche Tendenz wie C. picinus er- kennen. Er ist jedoch, obwohl er I96I und I962 merklich h~iufiger im Pelagial des Obersees erbeutet worden ist als friiher (immer bei gleicher Anzahl monatlicher F~inge), hier aber durchaus noch yon untergeordneter Bedeutung.

Dies gilt noch viel eindeutiger fiir Diacyclops bicuspidatus. Von ihm sind im vergangenen Sommer erstmals zu verschiedenen Zeiten drei jugend- liche Tiere und ein reifes Weibchen gefunden worden, zweimal im giber- linger See zwischen Staad und Meersburg und einmal mitten im Obersee zwischen Fischbach und Uttwil. Das w~ire kaum erw~ihnenswert, wenn dieser Cyclopide, der im allgemeinen haupts~ichlich als Bewohner kleinerer Gew~sser bekannt ist, im Untersee nicht auf ~ihnfichem ~Vormarsch~ ins Pelagial begriffen w~ire, wie wir ihn yon Cyclops ~icinus schon vorher erlebt habenl Wir verfolgen mit grosser Aufmerksamkeit, wie die Entwicklung weitergehen wird.

Schliesslich bleiben noch die beiden Calanoiden Acanthodiaptomus denti- cornis und Eudiaptomus coeruleus sowie die Cyclopiden Diacyclops crassicaudis und Thermocyclops dybowskyi. Von den beiden ersten sind bisher je nur zwei m~nnliche Exemplare gefunden worden, vom Cyclops crassicaudis iiberhaupt nur ein einziges Weibchen in einer Planktonprobe aus der Bregenzer Bucht. Ganz besonders bei diesen Arten dr~ingt sich die Frage auf, die nattirlich auch bei den iibrigen, bisher nicht aus dem Bodensee bekannten Formen zu stellen ist: in welchem Entwicklungsstadium und auf welche Weise sind diese Tiere in unseren See gelangt, und woher sind sie dahin ge- bracht worden? Wir wissen da'rauf keinerlei Antwort zu geben. Die dem Bodensee n~ichstgelegenen Populationen des Acanthodiaptomus denticornis leben meines Wissens im S~imtisersee und im F~ihlensee im S~intisgebirge,

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beide in Luftlinie rund 4o km yon der Mitte des Bodensees entfernt. Titisee und Feldsee im Feldberggebiet des stidlichen Schwarzwalds beherbergen die Art ebenfalls.

Die beiden Mgnnchen des Eudiaptomus der ~,ul~aris-Gruppe, yon denen U. EINSLE das eine im November I959, das andere im Januar 196o im Oberlingersee gefangen hat, geh6ren nach der Ausbildung des rechten

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Abbildung 1

Eudiaptomus coeruleus. Reehtes Bein des ~. Paares ~.

Abbildung 2

Eudiaptomus vulgaris. Reehtes Bein des 5. Paares ~ (nach einem Tier aus dem Miihlweiher bei Konstanz).

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Beines des 5- Thorakopodienpaares zu E. coeruleus. Bei diesem ist n~imlich das 2. Glied des Aussenastes etwa doppelt so lang wie breit und der Seitenranddorn inseriert der Endklaue sehr gen~hert (Abb. I). Manche Copepodenforscher anerkennen diese ~<Art)~ gar nicht als solche, weil sie zu grosse Xhnlichkeit mit dem weir verbreiteten EudiaUomus vulgarsi (ScnMv.m) hat und bei der erheblichen Variabilitiit dieser Spezies yon ihr in manchen F~llen kaum zu trennen ist. Im Bodenseegebiet habe ich in ver- schiedenen kleineren Gew~ssern (Teichen, Weihern und periodischen Tiimpeln) nur die als E. vulgaris zu bezeichnende Ausbildungsform gesehen (Abb. 2). Von den allermeisten Beobachtern sind aber die beiden Formen bislang ganz sicher nicht auseinandergehalten worden. E. coeruleus ist aus Deutschland z.B. bisher erst aus Schlesien und aus Schleswig-Holstein angegeben worden. Es bleibt demnach vorerst v/511ig unklar, woher die beiden im Bodensee gefundenen Tiere (yon denen das zweite das oben erwiihnte coeruleus-Merkmal noch ausgepr~igter zeigt als das, nach dem die wiedergegebene Abbildung angefertigt wurde) stammen k/Snnten.

Diacyclops crassicaudis kommt normalerweise in Klein- und Kleinstge- w~ssern vor. Im Gebiet der oberen Donau und ihres Qu, ellflusses Brigach z.B. habe ich ihn frfiher zahlreich gesammelt. Hier in der Umgebung des Bodensees ist er yon mir allerdings noch nie gefunden worden. Es kann aber sehr wohl sein, dass er an geeigneten Stellen z.B. im Einzugsgebiet des Alpenrheines vorkommt.

Von Thermocyclops dybowskyi, der u. a. in verschiedenen Weihern des Bo- danrficks lebt, habe ich erst einmal einen 5. Copepodiden im Oberseeplank- ton festgestellt.

Fassen wir die bisherigen Darlegungen im Hinblick aufden Bestand des Bodensee-Obersees an planktischen Ruderfusskrebsen zusammen, so ergibt sich folgendes: Im Zeitraum der letzten Io Jahre wurden in F~ingen aus dem Pelagial ausser den vier <<alteingesessenen>> Arten noch I8 weitere Spezies beobachtet. Einige yon ihnen sind nur in ganz vereinzelten Indi- viduen gesehen worden und miissen daher als <<Zufallsfunde>~ gewertet werden. Andere Arten treten indes doch mit einer gewissen Regelm~issig- keit im Pelagial auf, zeigen bis jetzt aber keine oder nur eine unwesentliche Zunahme. 4 Arten schliesslich haben yon ihrem ersten vereinzeltem Auf- treten an eine teils langsame, tells aber explosionsartig rasche und starke Vermehrung erfahren und sind heute schon zu mehr oder weniger wich- tigen Bestandteilen des echten Plan['tons geworden. Die Liste der euplank- tischen Ruderfusskrebse im Pelagial des Bodensee-Obersees sieht demnach zur Zeit folgendermassen aus:

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Heterocope borealis (Fischer I85I), Eudiaptomus gracilis (G. O. Sars x862), Cyclops abyssorum praealpinus (Kiefer I939), Cyclops abysmrum bodanus (Kiefer I954), Cyclops vicinus lobosus (Kiefer x954), Cyclops strenuus forma landei (Kozminski I933), Mesocyclops aoda,~icola (Kiefer x9z9), Mesocyclops leuckarti (Claus 1857).

Im Lichte der hier mitgeteilten Copepodenfundek~Snnte miSglicherweise eine bisher nur sehr schwer verst~indliche Meldung aus dem Jahre I9o8 neu gedeutet werden. Damals n~imlich hat der hervorragende Copepoden- kenner C. VAN Douwe [2] den Bodensee als zweiten Fundort fiir den bis dahin auf deutschem Gebiet nur aus dem Titisee gemeldeten <<Diaptomus>) laciniatus bekanntgegeben. <<Er bildet hier~), wie VAN Douwe schreibt, ~meben Heterocope weisma,mi und Diaptomus gracilis das Copepodenplanktom~. Diese Angabe ist dann auch yon R. LaUTWRBORN [6] und yon M. AtmP,- BACH [X] iibernommen worden. Ich selbst habe bei &r genauen Durchsicht yon Tausenden Planktonproben aus allen Teilen und Tiefen des Bodensees noch nie die geringste Spur eines Mixodiaptomus laciniatus gesehen. Daher stand ich beztiglich der van-Douweschen Angabe bisher vor einem R~itsel. Der Autor hat in seiner kurzen Notiz bedauerlicherweise keinerlei Angaben tiber die nfiheren Fundumstfinde und die Anzahl der yon ihm gesehenen Exemplare gemacht. Da ich nach all meinen Erfahrungen und Kenntnissen nicht annehmen kann, dass Mixodiaptomus laciniatus vor dem Ersten Welt- krieg <mrdentlicher>~ Bestandteil des Bodenseeplanktons gewesen ist, dann aber aus irgendwelchen Grtinden v~511ig verschwunden ist, bleiben zwei Deutungsm6glichkeiten: Entweder hatte VAN DOUWE seinerzeit einen Fang unter den Augen, in welchem einzelne Exemplare des fraglichen Diaptomiden als zuf~illige Irrg~iste vorhanden waren, was im Hinblick auf unsere eigenen fihnlichen hier mitgeteilten Funde nicht mehr so abwegig erscheint wie friiher, als man yon solchen M6glichkeiten noch keine so konkreten Kenntnisse besass - oder aber der gewiegte Copepoden- spezialist VAN DOUWE ist seinerzeit einer Probenverwechslung zum Opfer gefallen - was durchaus nicht der erste Fall dieser Art wfire! Jedenfalls kann ich reich nicht bereitfinden, den Mixodiaptomus laciniatus in die Liste der sicher im Bodensee nachgewiesenen" Ruderfusskrebse aufzunehmen.

"Kehren wir nach diesem kurzen Exkurs in ein durchaus unsicheres Gebiet wieder auf den Boden einwandfreier Feststellungen zuriick, so

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lassen sich im Blick auf die z8 hier besprochenen Ruderfiisser einige altge- meine Erkenntnisse gewinnen. Jeder Einzelfund einer normalerweise nicht in die Lebensgemeinschaft des Bodenseeplanktons geh/Srenden Art scheint zwar zun~ichst v611ig bedeutungslos und nicht der Mtihe wert zu sein, festgehalten zu werden. Wenn man jedoch solche F~ille trotzdem notiert, wie es bei uns geschehen ist, und zwar am Ende eines Beobachtungsjahr- zehnts noch mit der gleichen Sorgfalt wie an seinem Beginn, so gewinnt das zusammengefasste Ergebnis solcher ~(kleinlichen NebenarbeiD), ",vie mir scheint, doch allgemeinere biologische Bedeutung. Wir ~{erlebem~ beim Oberfliegen der Summe unserer zahlreichen zuf~illig erfassten, aber eben doch ganz konkreten Einzelf~ille geradezu innerlich mit, wie auch im lim- nischen Bereich die Natur fortw~rend auf irgendeine Weise organismische ~Keime)~ ausstreut, wahllos dahin und dorthin. Sie gelangten in unserem FaUe ins Pelagial des zweitgr/Sssten Sees im Alpenland. Die meisten yon ihnen konnten und k~Snnen sich hier nicht halten, weil die herrschenden Umweltbedingungen ihrer angeborenen Lebensweise nicht entsprechen: sie verschwinden wieder, k/Snnen sp~iter jedoch erneut angetroffen werden. An&re Arten sind zwar durchaus bef~ihigt, planktisch zu leben. Vielleicht sind ftir sie aber einzelne der vorgefundenen abiotischen oder biotischen Milieufaktoren im neuen Lebensraum nicht gtinstig, und sie miissen aus einem derartigen Grunde wieder untergehen. Ferner sind in einem Jahr- tausende hindurch bestehenden und in seiner nattirlichen Entwicklung nicht gest/Srten Biotop die Lebensm/Sglichkeiten im aUgemeinen seit langem schon optimal ausgeniitzt und die Teilbiotope gentigend besetzt. Treten hier jedoch 2i.nderungen der Umweltverh~iltnisse ein, etwa durch Steigerung der Prim~irproduktion, so finden Arten, welche die ~dnneren Voraussetzungem~ mitbringen, pl/Stzlich neue Existenzm/Sglichkeit an einem Ort, an dem sie frtiher vergeblich ~<Fuss zu fassem~ versucht haben mochten. C. 2,icinus k/Snnte sowohl im Ober- als auch im Untersee ein ganz neuzeit- liches Beispiel hierftir sein, vielleicht auch Diacyclops bicuspidatus im Unter- see. Denn hier bestehen ganz offensichtlich urs~ichliche, wenn auch im einzelnen durchaus noch ungentigend bekannte Zusammenh~inge zwischen abwasserbedingten Wandlungen im Gehalt an gel6sten N~ihrsalzen und auffallenden quantitativen und qualitativen Ver~inderungen im Plankton- bestand des Bodensees, fiber die wir an anderen Stellen schon wiederholt berichtet haben (KIEFER [4, 5])..Dass es uns m/Sglich war, solche ganz bestimmten Einzelztige im rasch sich vollziehenden Wandel des grossen Voralpensees zu erkennen, festzuhalten und laufend zu verfolgen, ist eine wissenschaftlich besonders wertvolle Frucht, mit der- neben anderen - die

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yon mancher Seite schon als unnStig weitgehend kritisierten und als geradezu <<altmodisch>~ insgeheim mitleidig bel~ichelten Planktonunter- suchungen der Anstalt fiir Bodenseeforschung der Stadt Konstanz belohnt worden sind.

L I T E R A T U R V E R Z E I C H N I S

[i] AUERBACH, M., MAERKER, W., und SCHMALZ, J., Hydrograpbiscb-biologiscbe Bodensee-Untersuchungen I, Arch. Hydrobiol. 3. Suppl., 597-738 (I924).

[2] DOUWE, C. VAN, Zur Kenntnis der $iisswasser-Copepoden Deutscblands. 3. Ein neuer prdalpiner Fundort yon Diaptomus laciniatus, Zool. Anz. 32, 584/85 (19o8).

[3] HOVER, B., Die P'erbreitung der Tierwelt im Bodemee, Bodensee-Forschungen lo, [In: Schr. Ver. Gesch. Bodensee 28] 1-64 (1896)

[4] KIEFER, FR., Neuere Ergebnisse aus Untemucbungen im Pelagial des Bodensees, Umschau 60, 6s-68 (196o).

[5] KIEFER, FR., Der limnologiscbe ZustanddesTrinkwasserspeicbers Bodensee, Gas- u. Wasser- rich 1o2, 814-82o (1961).

[6] LAUTERBORN, R., Die geographische und biolo~ische Gliederun~ des Rbeinstromes, I. Tell, S.-B. Heidelberg Akad. Wiss., Math.-nat. K1. [B] 6. Abh., 1-61 (1916).

[7] EINSLE, U., Die Gattung Cyclops (s. rest.) im Bodemee. Arch. Hydrobiol. (im Druck).