Bergbrut (Dombach, Florian G.)

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Eine schaurige Kurzgeschichte.

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Bergbrut

Florian Dombach

Meine Kindheit in dem kleinen, beschaulichen Dorf im waldigen Hinterland war so ruhig, behtet und in jeder Hinsicht normal wie man es sich es nur wnschen kann. Meine Eltern waren aufopferungsvolle, fleiige Menschen, die versuchten, mir und meinem Bruder alles zu geben, was Kinder brauchen oder begehren mgen, und auch mit meinem Bruder stritt und raufte ich nicht hufiger als alle anderen Knaben dies tun. Wir besuchten die Schule, spielten mit den anderen Kindern des Dorfes und sonntags gingen wir mit den Eltern und der einen uns verbliebenen Gromutter in die Kirche. Alles in allem war meine Kindheit also wohl eine Idylle wie man sie sonst nur aus kitschigen Heimatgeschichten kennen mag.Doch Gott! wie schnell sich all das in sein grausames Gegenteil verkehrte an diesem einen Tag, an dem ich sah, was meine Welt fr immer verndern sollte an dem meine Augen dieses namenlose Dinge erblickten, das niemals ein menschliches Auge htte erblicken drfen, ja: dass es nicht einmal geben drfte in einer Welt, wie ich sie als Knabe einst kannte; in einer Welt mit einem gndigen himmlischen Vater und seinen gtigen Engeln.Fr viele Jahre raubte mir die bloe Erinnerung den Schlaf einer jeden Nacht und lie mich oft erst nach Tagen des aufzehrenden Ausharrens unbeabsichtigt in einen unruhigen und von Alptrumen geplagten Schlaf sinken. Doch was mir damals als eine Qual erschien, die mein ganzes Leben zusehends in eine fortwhrende Aneinanderreihung von durch meine nervse Natur verursachten Schicksalsschlgen und Enttuschungen verwandelte erscheint mir heute wie eine Erlsung. Heute bin ich ein alter Mann, und wie es in meinem Alter nun einmal ist, so sinke auch ich hufig in einen unverhofften Schlaf, wenn meine Sitzgelegenheit nur bequem genug ist und ich krperlichen Anstrengungen wie einem Spaziergang oder dem Erklimmen einer Treppe ausgesetzt war. Und was ber die Jahrzehnte des Schlafmangels zu einer bloen Erinnerung verblasst war, zu einem schattenhaften Abbild des Unaussprechlichen, das steht mir heute in all seiner diabolischen Abnormitt wieder ebenso klar vor Augen wie in jener verdammten Nacht jedes mal, wenn ich in die schwarzen Untiefen jenes Reiches hinber gleite, in dem Zeit nichts als eine Illusion ist und aus dessen ghnenden Abgrnden mich keine lang verdrngte Erinnerung, sondern das Unding selbst anzugrinsen scheint.Nur widerwillig werde ich das berichten ber das ich in meinem ganzen Leben doch nie auch nur ein Wort zu einer Menschenseele verloren habe wer htte mir denn glauben knnen, wenn ich es doch selbst kaum zu glauben vermag? Doch jetzt, wo mein Lebensabend naht und ich nichts mehr zu erwarten habe als den Tod oder Schlimmeres, jetzt endlich habe ich den Entschluss gefasst, dass ich der Welt ein Wort der Warnung hinterlassen muss, dass es meine Pflicht ist, von dem zu berichten, was ich vor ber 80 Jahren aus alten Tagebucheintrgen erfuhr und welche verabscheuungswrdige und alle Regeln der Natur verspottende tiefe Wahrheit sich hinter jenen Zeilen verbarg, wie mir noch in der selben Nacht so unmissverstndlich vor Augen gefhrt wurde.

Mein Heimatdorf liegt in einem Flusstal und wird von einer engen Windung dieses Gewssers dergestalt umarmt, dass nur an einer Seite nicht der Fluss die uerste Grenze des Dorfes und seiner Felder darstellt, sondern ein bewaldeter Hang, hnlich wie er sich auch jenseits des Flusses ringsum erhebt. stlich der Strae, die unser Dorf von der alten Brcke im Sden her kommend in der Mitte durchluft und sich den Hang hinauf in nordstlicher Richtung weiterzieht ist der Wald ein reicher Laubwald (wiederum ganz so wie jenseits des Flusses). Doch westlich der Strae steigt der felsige Grund zu einem steileren Plateau an, auf dem ein dichter, dunkler Nadelwald seine Wipfel zu Himmel streckt wie die Zhne eines Raubtiers oder die dsteren Trmchen einer gotischen Kirche.Solche schaurigen Vergleiche schwebten mir als Kind natrlich nicht vor, wenn ich dieses Waldstck betrachtete, und doch sind sie nicht ausschlielich ein Produkt meiner Mark erschtternden Erfahrung. Dorthin, so hatten uns die Eltern stets eingeblut, geht man nicht. berall im Dorf und der Umgebung durften wir spielen und auch in den anderen Waldstcken rings umher bewegten wir uns mit einiger Freiheit (zunchst mit den Eltern, wenn sie etwa Holz machten, spter sogar allein) aber den dunklen Nadelwald auf der felsigen Anhhe, den durften wir nicht betreten und sahen auch nie einen Erwachsenen dorthin gehen.

Ich wusste von der Gromutter, dass dort einst ein Bergwerk gewesen war, in dem ihr eigener Grovater noch unter Tage gearbeitet hatte, doch der Betrieb war bereits eingestellt worden als sie selbst noch lange nicht geboren war. Einmal frug ich den Vater weshalb niemand in den Wald drfe, doch der antwortete nur es sei gefhrlich und fgte nach einer Weile hinzu, die alten Stollen knnten nachgeben und so knne man jederzeit und berall einbrechen, wenn man nicht wisse wo sie verliefen und das wusste natrlich niemand mehr so genau. Mit dieser Antwort gab ich mich frs Erste zufrieden, doch jugendliche Neugierde und Abenteuerlust wird von Verboten bekanntlich eher noch angestachelt so natrlich auch in meinem Fall. Und hatte ich nicht zu hufig schon die alten Frauen hinter vorgehaltener Hand wispern gehrt, dass es noch andere Grnde gab, den Wald nicht zu betreten? Allerlei Geistergeschichten und anderer aberglubischer Unsinn wurden dem finsteren Gehlz von den Alten angedichtet; das meiste Auswchse der Fantasie von Generationen, durch die angebliche Augenzeugenberichte beim Weitererzhlen so weit aus-geschmckt worden waren, dass sie den Kern der Sache schon lange verloren hatten. Dass jedoch ein solcher Kern existiert, und welch hllische Wahrheiten dem Geschwtz der alten Waschweiber zugrunde liegt, das erfahre ich seit damals jede Nacht aufs Neue.

Das Haus meiner Eltern lag westlich der Strae am sdlichen Ende des kleinen Marktplatzes an dem auch die meisten anderen Handwerker Geschft und Wohnsitz hatten. Nordwestlich schloss sich direkt die kleine Kirche an, hinter der sich in Richtung des finsteren Tannenwaldes nur noch der Friedhof erstreckte. Alle anderen Wohnhuser und Hfe lagen mehr sdlich oder etwas weiter im Norden. Manchmal kam ich als Knabe auf diesen Friedhof und betrachtete mit einer morbiden Faszination die ich damals nicht htte in Worte fassen knnen die alten Steine mit ihren verwitterten Inschriften, die neuen Holzkreuze der jngsten Bestattungen, die noch darauf warteten von einem schweren Stein ersetzt zu werden, und die eigentmlichen Mulden im Erdreich, wo ein alter Sarg nachgegeben hatte und die sich darber befindende Erde nachgerutscht war um den neu entstandenen Platz einzunehmen. Stand man hier am Morgen, so fiel der Schatten des Kirchturms auf einen, am Abend schien der Schatten des Tannenwaldes mit spitzen Fingern nach dem Kirchhof zu greifen, den er doch nie ganz erreichen konnte, weil der Lauf der Sonne ihn jeden Tag aufs Neue das Dorf knapp im Norden verfehlen lie.Und so kam es schlielich auch, dass ich eines Abends dort auf einer alten Bank sa und auf die Grber schaute, wie ich es schon so oft getan hatte. Am Tag zuvor war ich 13 geworden, doch mir stand der Sinn nicht nach Feier und Spiel, war doch nicht einmal eine Woche vergangen seit meine Gromutter gestorben war. Die Erde auf ihrem Grab war noch frisch und noch war es das helle Holzkreuz, das Auskunft darber gab, wer hier zur ewigen Ruhe gebettet lag. Trbselig blickte ich auf und lie meinen Blick zum Tannenwald hinber gleiten, der schwarz vor dem Blutrot der untergehenden Sonne stand. Die Flche, die sich zwischen der bewaldeten Anhhe und den Grbern zu meinen Fen befand lag kahl im Zwielicht; kein Baum oder Strauch erhob sich, keine Blumen oder andere Zeichen des Lebens waren zu sehen nur die wenigen blassen Grashalme, die zwischen den vereinzelten Steinen hervor lugten ein unfruchtbares dland.Vereinzelt schien es auch dort so als sei die Erde eingesackt und habe Vertiefungen hinterlassen, doch das Schattenspiel der Abendsonne machte es unmglich dies genauer zu erkennen. Ich fragte mich kurz ob die alte Mine sich vielleicht auch bis unter diese Ebene erstreckte und ich vielleicht wirklich Spuren einzelner eingestrzter Stollen sah, wie mein Vater sie im Wald befrchtete. Doch nein wir waren nie gewarnt worden nicht hinter dem Friedhof zu spielen und hatten es so oder so nie erwogen. Nur den Wald galt es zu meiden. Verband man die vermeintlichen Vertiefungen gedanklich, so konnte man den Eindruck gewinnen sie verliefen in einigermaen geraden Linien zwischen dem Wald und dem Friedhof.Natrlich war dies nur ein optischer Effekt, verursacht eben gerade erst durch die langen Schatten des Sonnenuntergangs, aber es hatte eine eigentmliche Wirkung auf mich und jetzt da ich den Gedanken einmal ersonnen, da wurden die imaginren Linien in meinem Kopf zu Pfaden die von der verbotenen Anhhe aus direkt zu meinen Fen verliefen. Und pltzlich packte mich wieder die Abenteuerlust und ich hrte die Verbote und Erklrungen des Vaters in meinen Ohren und ich beschloss den Geschichten und Ahnungen, den Gespinsten und Fantasien auf den Grund zu gehen und mich in den Wald zu wagen.Gott! Welch infernale Agonie wre mir erspart geblieben, htte ich diesem jugendlichen Drang doch niemals nachgegeben!

Ohne weitere Planung oder auch nur den klaren Gedanken an ein bestimmtes Ziel stand ich augenblicklich auf und lief los, vom Friedhof herunter auf die kahle Ebene und auf den Wald zu. Ob mich wohl jemand auf meinem verbotenen Weg she, auch daran verschwendete ich keinen Gedanken. Nach einer Weile kam ich an der felsigen Anhhe an und blickte noch einmal auf mein Heimatdorf zurck. Heute wei ich, dass ich es in diesem Augenblick zum letzten mal mit den unschuldigen Augen eines Kindes sehen sollte und zum letzten mal so etwas wie Geborgenheit bei diesem Anblick empfand.Hastig erklomm ich die Felsen und schrfte mir dabei Hnde und Knie blutig, doch das merkte ich kaum und oben angekommen trat ich ohne mich umzublicken zwischen den uersten Bumen hindurch und fand mich fast augenblicklich in einem Reich von Schatten und Zwielicht wieder. Das Rot der tiefstehenden Sonne blitzte nur selten zwischen den struppigen Baumwipfeln hervor und wirkte auch dann mde und schal. Ich wei nicht wie lange ich lief und wohin; noch wei ich seit wann das blasse Totengrau um mich vom kalten Licht des fast vollen Mondes abgelst worden war, doch er stand bereits hoch am Himmel als ich schlielich auf die Lichtung trat.Vor mir ghnte wie ein zahnloses Maul ein von schweren Balken gesttzter Mineneingang und weiter hinten (kaum auszumachen gegen das Dunkel der Bume) erhoben sich eine Hand voll windschiefer, halb verfallener Gebude. Auf diese steuerte ich nun langsam zu und machte dabei einen weiten Bogen um den schwarzen Eingang in die unbekannten Tiefen des Berges. Und doch war es mir als streife mich ein modriger Pesthauch als ich geradewegs in die ffnung htte blicken knnen (es aber krampfhaft vermied). Eilig huschte ich weiter und erblickte vor mir ein eingestrztes Lagergebude vor dem auf rostigen Geleisen noch immer ein paar mit Gesteinsbrocken gefllte Loren standen, ganz so als sei die Mine in groer Hast gerumt worden.Ich steuerte das zweite Gebude an, das am besten erhalten schien obwohl es mit zwei Stockwerken gleichzeitig auch das hchste war. Die Eingangstr hing nur noch halb in den Angeln und strzte mit einem lauten Krachen endgltig um als ich versuchte sie ffnen. Erst als mich der Lrm zusammenfahren lie wurde mir bewusst, dass ich auer meinen eigenen Schritten und Atemzgen nicht ein einziges Gerusch vernommen hatte seit ich mich im Wald befand. Kein Rascheln war zu hren gewesen, kein Flgelschlag und kein Eulenruf ja, nicht einmal das Rauschen von Wind in den Bumen. Es schien absolut windstill. Gespenstisch.Zgerlich trat ich auf das umgestrzte, halb zerfallene Trblatt und sphte durch die ffnung. Durch die schmutzverkrusteten Scheiben vermochte kaum ein Lichtstrahl zu dringen, sodass alles in mehr als vielleicht anderthalb Metern Entfernung hinter dem Trrahmen in tiefem Schwarz verschwand. Das fahle Mondlicht reichte gerade aus um mich eine Anrichte unmittelbar neben der Tr erkennen zu lassen auf der neben allerlei Unrat auch zwei staubige Kerzenstummel zu finden waren. Ich kramte einen Moment in meinen Hosentaschen bis ich ein fast aufgebrauchtes Pckchen Zndhlzer fand, von denen ich eines anriss und den greren Kerzenstummel entzndete. Knisternd entstand ein kleiner Kreis gelben Lichtes um mich, der mich nun einiges mehr von dem Raum erkennen lie in den ich nun trat. Es schien sich um eine Art Wohnkche zu handeln, oder in Anbetracht der rtlichkeit vielleicht um einen Aufenthaltsraum der Kumpel. Ein alter Herd stand in der linken hinteren Ecke, Tpfe und Pfannen hingen an der Wand dahinter und allerlei schmutziges Geschirr trmte sich auf der Arbeitsflche die sich an der Wand entlang bis zu Tr hin zog. Rechts stand ein groer Tisch mit mehreren Sthlen und einer Eckbank. Auch hier standen mit Schimmel und Schlimmerem verkrustete Teller, Tpfe, Becher und Trinkglser und wieder konnte ich mich des Eindrucks nicht erwehren, als sei die Mine berstrzt und in groer Hast aufgegeben worden.Ich nahm den saubersten Glaskrug den ich finden konnte und befestigte die Kerze darin. Diese improvisierte Laterne hoch ber dem Kopf erhoben nherte ich mich dem Treppenaufgang am hinteren Ende des Zimmers. Die ausgetretenen Stufen knarrten gefhrlich unter meinen Fen, doch von Neugierde und einem eigentmlichen Schauer getrieben erreichte ich das Obergeschoss unbeschadet und fand mich in einem kurzen Flur wieder, von dem aus links wie rechts je zwei Tren in weitere Zimmer fhrten. Keine der Tren war verschlossen, und so trat ich willkrlich in das vordere linke Zimmer und fand lediglich eine kleine Kammer mit zerwhltem Bett und einigen zurckgelassenen Gegenstnden vor Rasierklingen, eine alte Taschenuhr, ein kleiner Spiegel. Offenbar hatten manche Bergleute zeitweise sogar an diesem Ort gelebt?Das gegenberliegende Zimmer offenbarte ein hnliches Bild und auch der hintere linke Raum stellte sich als eine verlassene Schlafkammer heraus. So erwartete ich freilich nichts anderes, als ich das letzte Zimmer betrat, und in der Tat fand ich auch hier einen Schlafraum, doch dieser hier war deutlich grer als die anderen und auch besser eingerichtet mit einem Schreibtisch, Ohrensessel und einem eigenen kleinen Ofen. Der wirklich auffllige Unterschied jedoch lag im Zustand der Einrichtung. Zwar lag auch hier ber allem ein grulicher Staubschleier, doch hier wies nichts auf ein eiliges Verlassen hin. Ja, wre die Staubschicht nicht gewesen, so htte man meinen knnen der Bewohner des Zimmers habe nur kurz seine frisch aufgerumte Kammer verlassen und msse sobald wieder zurck sein. Sollte ausgerechnet der komfortabelste Raum unbenutzt gewesen sein als man die Mine aufgegeben hatte? Warum fanden sich dann auch hier allerlei persnliche Gegenstnde? Rasierutensilien lagen auf einem Tischchen neben einer Waschschssel, suberlich aufgereiht, ein dunkelblauer Rock hing an einem Haken neben der Tr und mitten auf der staubigen Tischplatte lag ein groformatiges Buch.Htte ich jetzt kehrt gemacht vielleicht htte ich noch alles Unheil verhindern knnen, das mir seitdem widerfahren ist und immer weiter widerfahren wird. Htte ich nur nicht in diesem verteufelten Buch gelesen und mich nicht von den Aufzeichnungen in ihren Bann ziehen lassen...Ich blies den grbsten Staub vom Einband und beobachtete wie die Krnchen im unwirklichen Licht der Szenerie durch die Luft tanzten. Nach kurzem Zgern ergriff ich das Buch, lie mich in dem einigermaen bequem aussehenden Sessel nieder und schlug das Buch an einer willkrlichen Stelle auf.

Wie ich schnell erfuhr handelte es sich hierbei um Aufzeichnungen des Vorstehers, oder wie auch immer der Leiter eines solchen Unternehmens wohl genannt wurde. In einer altmodischen aber gut leserlichen Handschrift hatte dieser fast tglich Notizen gemacht: Meist bezogen auf Angelegenheiten der Mine; guter oder schlechter Ertrag etwa, ein kleiner Unfall oder geringfgigere Verletzungen dann und wann im spteren Verlauf jedoch immer hufiger privater Natur; Abneigungen gegen einige der Mnner, Einzelheiten zu allerlei Streitigkeiten. Der Verfasser schien alles in allem ein recht mrrischer und znkischer Mensch gewesen zu sein.113 Jahre zuvor, so entnahm ich den Aufzeichnungen, waren die Funde immer rarer geworden. Ich las von allerlei berlegungen neue Adern zu erschlieen, Bohrungen hier und Sprengungen dort vorzunehmen um in immer grere Untiefen vorzudringen. Nach einigem Fr und Wider hatte man im Mai dann schlielich mit den ersten Sprengungen in einem bislang unerschlossenen und umstrittenen Bereich begonnen zunchst mit keinem nennenswerten Ergebnis, doch am Abend des 16. war schlielich ein Durchbruch gelungen der unerwartete Hohlrume von zunchst nicht abschtzbaren Dimensionen freigelegt hatte.Die immer bizarrer werdenden Zeilen die nun folgten haben sich tief in meinen Geist gebrannt, sodass ich sie auch heute noch wiederzugeben vermag ohne dass Alter und Einbildung nennenswerte Eingriffe in den Wortlaut vorgenommen haben werden.16. Mai 17
Sprengung im westlichen stollen hat hhle frey gelegt. Boden und wnde nicht erkennbar. Slicher geruch. Werde morgen frh hineynsteigen.17. Mai 17
Schulz, Rudloff, Geissel und Mertens haben mich an seyl herabgelassen. Keinen boden erreicht. War eigenthmlich so im finsteren zu baumeln auch lampe hat keine wnde oder Boden offenbardt. Spter mit lngerem seil. Slicher geruch nimmt weiter unten deutlich zu.
Habe mit lngerem seil den Boden erreicht: Sehr glatt, teils wie polirt. Geruch allgegenwertig. Mertens und Richard meinen ich sollte alleyn nicht tiefer hinein. Idioten!18. Mai 17
Bin hete tiefer vorgedrungen und habe im unebenen boden schrge stollen entdeckt, ebenso spiegelglatt, iedoch auch weiter keine auenwnde. Mertens und Richard protestiren weiter, wollen mich begleiten. Beginnen mir wirklich! auf die nerven zu gehn!
Lieblicher geruch ietzt berall.19. Mai 17
Habe den gantzen tag unten verbracht und die gnge erkundet. Richard und Mertens haben wohl auch Geissel auf jhre seite gezogen. Habe sie alle fortgeschickt und das seil oben befestigt. Mu ich eben aus eigener krafft hineingelangen
Dumme Schweine dafr habe ich jhnen nichts von den Reliefs erzhlt das haben sie jetzt davon!
Sie duftet so zauberhaft 20. Mai 17
Komplette belegschaft heim geschickt haben auch kaum protestirt, aber wie diese affen mich angegafft haben! Ob sie wohl etwas an mir gerochen haben? Hchste zeit da sie weck sind! Die kammern sind gerumt und die Leute aus dem Dorf kommen auch nicht wieder. Nur Richard, Mertens und Geissel natrlich nicht! Neugierige bastarde als wte ich nicht da sie an meiner statt in jhrem duft baden wollen!
Werde sehr vorsichtig seyn wenn ich nachher wieder runtergehe was men ihre kammern auch oben bei meyner liegen?!
Mertens ist mir am seil hinunter gefolgt. Faselte von Pestgestanck und wollte mich nicht zu ihr lassen. Habe ihm die Gurgel durchgebissen.
Darf nicht zulaen da iemand anderes jhr nahe kommt!
Geissel und Richard tun als schliefen sie, doch ich rieche da sie wach sindt und auf iedes Gerusch achten. Werde mich morgen darum kmmern.
Nur ich nur ich darf bei jhr seyn! Und bald schon werde ich nie wieder von ihrer Seite weichen men.21. Mai 17
Htte Richard sich nicht so unertrglich blde gestellt htte er einfach gehen knnen.
Wovon sprichst du? Ist das blut? Welchen platz streitig machen? Es steht doch alles da! Als knne man es nicht ebenso deutlich in ihrem duft lesen wie ich es an allen Wnden lesen kann, wenn ich durch jhre Straen wandle!
Geissel strmte in den raum noch ehe ich Richard ausgetrunken hatte und mit jhm habe ich dann garnicht mehr diskutirt.
Ietzt kann ich der oberflche endtlich Adieu sagen und nachhause gehen zu jhr. Geissel und Richard nehme ich mit. Sie werden ja hungrig sein wenn sie ankommen.
Endtlich eyne Familie!

Hier endeten die Aufzeichnungen in deren so einfachen Worten sich so unvorstellbare Abscheulichkeit verbarg. Zitternd legte ich den Bericht beiseite und entfernte mich langsam von dem Buch, den Blick darauf gefesselt als wohne ihm selbst der Schrecken inne, der sich in Wahrheit auch in diesem MoMoment hatte tief unter meinen Fen befinden mssen. Mit einem Ruck riss ich mich los und strzte zur Tr hinaus, den Gang entlang und eilig die Treppe hinab nur weg von diesem Wahnsinn! Doch unten in der Kche angelangt strauchelte ich, blieb mit dem Fu an etwas hngen und strzte der Lnge nach zu Boden, wobei meine improvisierte Lampe polternd erlosch und davon rollte.Ich wei nicht wie viel Zeit verging in der ich panisch auf dem Boden umher tastete es mgen Sekunden gewesen sein oder Stunden, ebenso htten es Tage, Jahre und onen sein knnen die ich so in vlliger Finsternis verbrachte, heimgesucht von den abscheulichsten Gesichten, die mein junger Verstand zu ersinnen in der Lage war. Als ich den fast herunter gebrannten Stummel endlich fand zitterten meine Hnde so sehr, dass ich einige Mhe hatte ein neues Zndholz anzureien. Doch als es endlich gelungen war fand ich mich hinter dem Tisch beim Ofen wieder. Das erste worauf mein Blick fiel war ein schwerer Metallring, der in die groben Holzdielen eingelassen war und der offenbar zu einer Luke gehrte, die sich nun unmittelbar vor meinen Knien befand. Einige Zeit starrte ich sie nur an, doch schlielich streckte ich meine Hand aus und begann langsam die Luke zu ffnen. Ich vermag heute nicht mehr zu sagen was meine Hand damals fhrte war es wieder meine jugendliche Neugierde? War es der Wahnsinn der mich nach der grauenhaften Lektre zweifelsohne erfasst hatte? Oder war es etwas Anderes, Fremdes das Gleiche etwa, das auch jenen Mann geleitet hatte dessen Worte mich gerade noch so berstrzt hatten die Flucht ergreifen lassen?Fast wider meinen Willen und doch auch wieder nicht ffnete ich also die Luke in das Untergeschoss und setzte wie eine Marionette meinen Fu auf die schimmelige oberste Stufe. Langsam stieg ich die Treppe hinab, die unter meinen Schritten chzte und mehr als einmal gefhrlich nachgab. Doch auch diesmal erreichte ich mein unbekanntes Ziel ohne Zwischenfall und stellte im matten Licht der langsam verlschenden Kerze fest, dass ich mich in einem kleinen Vorratsraum zu befinden schien.An den Wnden befanden sich einige modrige Regalbretter und von der Decke hingen mehrere Haken, doch es gab hier nichts mehr das an Nahrung htte erinnern knnen. Auf dem Boden befand sich ein Wirrwarr aus gammeligem Holz und rostigem Metall, das einmal Fsser, Kisten und herabgestrzte Regale gewesen sein mochten. Doch da war noch etwas Als ich nher an eine der Wnde herantrat entdeckte ich in Bodennhe einige ffnungen schwarze Lcher, deren Tiefe ich nicht erkennen konnte, hchstens einen halben Meter im Durchmesser, doch alle etwa von gleicher Gre. Eines befand sich an der Stirnseite, zwei auf der gegenberliegenden, und auch neben und gegenber der Treppe mochten sich weitere ffnungen befinden, doch meine Aufmerksamkeit lag ganz auf dem Loch in der Stirnseite, das etwa in Richtung des Dorfes liegen musste.Hatte ich etwas gehrt? Etwas gesehen? Auch das kann ich heute nicht mehr mit Sicherheit sagen, doch ich nherte mich wie mesmeriert der kleinen ffnung. Ich lie mich zitternd auf ein Knie herab und hielt meine fast erloschene Kerze vor mich und versuchte den letzten matten Lichtstrahl in das Innere des winzigen Stollens zu richten (denn um nichts anderes konnte es sich handeln).Wre es mir nur nie gelungen

Meine nchste wirklich klare Erinnerung ist die an meinen Vater und Bruder, die mich mit aller Kraft zu halten versuchten, whrend ich schrie wie am Spie und um mich schlug wie ein Rasender. Wie ich spter erfuhr hatten sie mich die ganze Nacht hindurch gesucht, bis ich ihnen im Morgengrauen schreiend in die Arme gelaufen war, von Kopf bis Fu mit Kratzern und blutigen Schrammen berst offenbar war ich Stunde um Stunde ohne Orientierung und Verstand im Wald umher geirrt. Nie habe ich ihnen sagen knnen was mir widerfahren war sie htten es mir niemals geglaubt; ja, niemals glauben knnen. Wie htte irgendjemand glauben knnen welch blasphemisches Geheimnis sich hinter den Aufzeichnungen des wahnsinnigen Bergmannes verbarg? Hinter dem einsackenden Boden und den eingebildeten(?) Linien zwischen Wald und Friedhof? Wie mir glauben knnen, was ich mit dem letzten verblassenden Lichtstrahl mehr erahnt als gesehen habe? Und doch wei ich, dass ich es gesehen habe, so wahrhaftig wie ich in diesem Moment meine eigenen Zeilen vor mir sehe, das Ding, das dort in seinem Schacht kauerte und mich ansah, mit Augen, die menschlicher waren als sie htten sein drfen, in einem Gesicht, das nicht einmal als animalisch zu bezeichnen wre. Dieses abscheuliche Exemplar der unheiligen Bergbrut, hervorgegangen aus einer verbotenen, aller gttlichen Natur spottenden Liaison wie es da sa und sich labte an dem, was ich ohne jeden Zweifel und in grausamer Klarheit als eine menschliche Hand erkennen konnte, an der noch immer der Ring stak, den meine Gromutter mit ins Grab genommen hatte.