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Berufliche Kompetenz und Berufsethik Felix Rauner, Ursel Hauschildt A + B Forschungsberichte 21 Forschungsnetzwerk Arbeit und Bildung Hrsg.: Universität Bremen FG Berufsbildungsforschung (i:BB) Pädagogische Hochschule Heidelberg Professur für Technikdidakti k KIT Karlsruher Institut für Technologie Institut für Berufspädagogik und Allgemeine Pädagogik Carl von Ossietzky Universität Oldenburg Institut für Physik/Technische Bildung

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Berufliche Kompetenz und Berufsethik

Felix Rauner, Ursel Hauschildt

A + B Forschungsberichte

21

Forschungsnetzwerk Arbeit und Bildung

Hrsg.: Universität Bremen FG Berufsbildungsforschung (i:BB) Pädagogische Hochschule Heidelberg

Professur für Technikdidaktik

KIT – Karlsruher Institut für Technologie

Institut für Berufspädagogik und

Allgemeine Pädagogik

Carl von Ossietzky Universität Oldenburg

Institut für Physik/Technische Bildung

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Felix Rauner , Ursel Hauschildt Berufliche Kompetenz und Berufsethik A+B-Forschungsberichte Nr. 21/2017 Bremen, Heidelberg, Karlsruhe, Oldenburg : A+B Forschungsnetzwerk

In den A+B Forschungsberichten werden aktuelle Forschungsberichte aus der Arbeits- und Bildungsfor-schung veröffentlicht. Arbeit und Bildung verweist auf die vorberufliche und die berufliche Bildung sowie auf die berufliche Weiterbildung. Diese Form der online-Publikation erlaubt es, Forschungsergebnisse zu einem frühen Zeitpunkt zugänglich zu machen. Jeder Forschungsbericht durchläuft ein internes Reviewverfahren. Die Reihe A+B Forschungs-berichte ist auch offen für externe Autoren, die dem Forschungsnetzwerk durch ihre Forschungsarbeiten verbunden sind. Die Verantwortung für den Inhalt der Beiträge liegt bei den Autoren. A+B Forschungsberichte is a series where topical results of the current research on labour and education are being published. Labour and education refers to pre-vocational education, vocational education and training as well as continuing vocational education. In order to assure a high degree of topicality, A+B For-schungsberichte is published online. Quality is guaranteed by an internal review process involving several researchers. A+B Forschungsberichte offers a platform also for external researchers, who are linked to the Forschungsnetzwerk via their own research in the field of labour and education. The authors are responsible for the content of their contributions.

A + B Forschungsberichte erscheinen online unter: www.ibb.uni-bremen.de www.ph-heidelberg.de www.ibap.kit.edu www.uni-oldenburg.de

ISSN 1867-9277

Redaktion: Pia Mozer

Kontakt: [email protected]

Institut für Berufspädagogik und Allgemeine Pädagogik

KIT – Karlsruher Institut für Technologie

(Universität des Landes Baden-Württemberg und nationales Forschungszentrum in der Helmholtz-Gemeinschaft)

© 2018, A+B Forschungsnetzwerk

Universität Bremen

FG Berufsbildungsforschung

(i:BB)

Leobener Straße/NW 2

28359 Bremen

Tel. +49 421 218-4634

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Im Neuenheimer Feld 561

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E-Mail: haasler(at)ph-

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Technologie

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und Allgemeine Pädagogik

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76187 Karlsruhe

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Fax: +49 721 608-46104

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Institut für Physik

/Technische Bildung

Ammerländer Heerstr. 114-

118 – 26111 Oldenburg

Tel.: +49 441 798-2966

Fax: +49 441 798-2967

E-Mail: peter.roeben@uni-

oldenburg.de

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Felix Rauner , Ursel Hauschildt Berufliche Kompetenz und Berufsethik A+B-Forschungsberichte Nr. 21/2017

Bremen, Heidelberg, Karlsruhe, Weingarten: A+B-Forschungsnetzwerk

Zusammenfassung

Das Messen beruflicher Kompetenz auf der Grundlage des COMET-Kompetenz- und Messmodells

erlaubt die Repräsentation der Testergebnisse in der Form achtdimensionaler Kompetenzprofile.

Die Ausprägung der acht Teilkompetenzen zeigt, zu welchem Grad an Homogenität Auszubilden-

de bzw. Fachschulstudierende die Fähigkeit zur holistischen Lösung beruflicher Aufgaben erreicht

haben. Das Abwägen zwischen den Kriterien der Aufgabenlösungen schließt das situationsbezo-

gene Ausbalancieren zwischen den in den Lösungskriterien inkorporierten Werten Umwelt- und

Sozialverträglichkeit, der Funktionalität, des Gebrauchswertes und der Finanzierbarkeit der Lösung

sowie die Form und Präsentation von Lösungsvarianten für den Dialog mit Auftraggebern und

Kunden ein. Berufliches Handeln ist bei der Gewichtung dieser Lösungsvarianten stets mit der

Wahrnehmung von Verantwortung verbunden. Berufliche Bildung basiert daher auf einen untrenn-

baren Zusammenhang zwischen beruflicher Kompetenz und Berufsethik. Es wird untersucht, wie

das Kompetenzniveau mit dem Grad der Homogenität der Kompetenzprofile korreliert.

Abstract

The measuring of vocational competence on the basis of the COMET competence and measuring

model allows the representation of the test results in the form of eight-dimensional competence

profiles. The shape of the eight partial competences shows to which degree of heterogeneity ap-

prentices or students of technical colleges have obtained the ability to solve vocational tasks on a

holistic level. The weighing between the criteria of the task solutions includes the situational bal-

ancing between the embodied values of the solution criteria: environmental compatibility, social

acceptability, functionality, utility and financial feasibility as well as the form and presentation of

different solutions for the dialogue with clients and customers. Professional behavior is always as-

sociated with taking over responsibility while weighing different solutions. Vocational education is

therefore founded on an inseparable connection of professional competence and work ethics. In

this paper the correlation between the competence level and the degree of heterogeneity is ana-

lyzed.

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Inhalt

Einleitung: Das COMET-Kompetenzmodell ..................................................................................... 5

1 Die quantitative Ausprägung der Teilkompetenzen ................................................................... 6

2 Kompetenzprofile als Repräsentation der Kompetenzausprägung und der beruflichen Arbeitsethik ............................................................................................................................ 11

3 Zum Zusammenhang zwischen Kompetenzniveau und der Homogenität der Kompetenzausprägung .......................................................................................................... 20

Fazit .............................................................................................................................................. 25

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Felix Rauner / Ursel Hauschildt Einleitung: Das COMET-Kompetenzmodell

Als eine grundlegende Leitidee beruflicher Bildung wird die vollständige Lösung beruflicher Aufgaben

als Anforderungsdimension in das dreidimensionale Kompetenzmodell aufgenommen (Abb. 1).

Abb. 1: COMET-Kompetenzmodell (COMET Bd. III, 51)

Die Vollständigkeit einer Aufgabenlösung lässt sich mit acht Kriterien beschreiben.

Abb. 2: Modellierung der AnforderungsdimensionAnforderungsdimensionnforderungsdimensi

Diese acht Kriterien der vollständigen Aufgabenlösung repräsentieren acht berufliche Teilkompe-

tenzen, mit denen die Ausprägung beruflicher Kompetenz von Fachkräften bzw. Auszubildenden

und Studierenden erfasst und in der Form von Kompetenzprofilen repräsentiert werden kann. Die

acht Teilkompetenzen lassen sich zugleich in der Form von drei aufeinander aufbauenden Kompe-

tenzniveaus zusammenfassen (Abb. 3).

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Dabei wird zwischen den Kompetenzdimensionen (DF, DP, DG) sowie den Niveaus (KF, KP, KG)

funktionaler, prozessualer und ganzheitlicher Gestaltungskompetenz unterschieden. Im Metho-

denhandbuch COMET (MHB) werden die Formen des Messens und der Darstellung beruflicher

Kompetenz ausführlich dargestellt.

Abb. 3: Modell der Anforderungsdimension: Kompetenzniveaus, Teilkompetenzen, Kompetenzdimensionen (MHB, 91)1

In diesem Bericht soll die Form der Kompetenzprofile als eine Variante der Repräsentation der

Kompetenzausprägung dargestellt werden.2

Die Darstellung der Testergebnisse als Kompetenzprofile eignet sich in besonderer Weise für das

Feedback von Leistungsergebnissen an die Testteilnehmer und ihre Lehrer und Ausbilder. Anders

als bei einer Punktzahl oder einer Note lassen sich aus den Kompetenzprofilen eine Vielzahl von

Einsichten über den Erfolg einer Ausbildung für jeden einzelnen Testteilnehmer, die jeweilige

Lerngruppe (zum Beispiel eine Klasse), eine Region oder auch als Nachweis der Ausbildungs-

qualität im internationalen Vergleich gewinnen.

1 Die quantitative Ausprägung der Teilkompetenzen

Für alle Teilkompetenzen weist das Kompetenzprofil einen Wert zwischen 0 und ca. 20 aus. Theo-

retisch und in seltenen Ausnahmefällen können Werte bis zu 30 erreicht werden. Werte unter 11,5

sind ein Indikator für eine unzureichende Entwicklung einer Teilkompetenz (ebd., Kap 7.1). Dies

gilt auch für die Kompetenzdimensionen. Diese werden als drei Vektoren im Kompetenzprofil aus-

gewiesen (Abb. 4).

1 „Insgesamt zeigen die Ergebnisse der Reliabilitätsanalysen eine jeweils sehr zufriedenstellende Skalenstabilität für

jedes der acht Kriterien zur näheren Bestimmung der Kompetenzniveaustufen des Kompetenzmodells. Die Reliabilitäten für die bildungstheoretisch begründeten Kompetenzniveaus sowie für das Gesamtkonstrukt beruflicher Kompetenz erweisen sich als sehr hoch“ (Erdwien, Martens 2009, 72). 2 Zur Berechnung der Kompetenzniveaus und des Wissensniveaus siehe Kapitel 7.1 des COMET-Methodenhandbuchs

(MHB).

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K1 = Anschaulichkeit/Präsentation 14,9

K2 = Funktionalität 14,3

K3 = Gebrauchswertorientierung 12,7

K4 = Wirtschaftlichkeit 8,0

K5 = Arbeits- und Geschäfts- 12,6 prozessorientierung

K6 = Sozialverträglichkeit 6,4

K7 = Umweltverträglichkeit 7,8

K8 = Kreativität 12,8

DF = Funktionale Kompetenz 14,6

DP = Prozessuale Kompetenz 11,1

DG = Ganzheitliche Gestaltungs- 9,0 kompetenz

Abb. 4: Durchschnittliches Kompetenzprofil einer Testgruppe von Fachschulstudierenden (Typ „Berufliche Bildung“), n = 27,

GPW = 34,7 (ebd., 368)

Der Gesamtpunktwert (GPW)

Addiert man die Werte der drei Kompetenzdimensionen, dann ergibt dies den Gesamtpunktwert

(GPW = DF + DP + DG). Dieser Wert ist ein grober Anhaltspunkt für das erreichte Kompetenzni-

veau.3 Die Schwäche dieses Wertes zur Bewertung beruflicher Kompetenzniveaus liegt darin be-

gründet, dass er keine Aussage zulässt über die Qualität der Kompetenzprofile.

Homogenität der Kompetenzprofile (ebd., 4.8.3)

Für die Bewertung beruflicher Kompetenz ist der Grad an Homogenität der Kompetenzprofile von

zentraler Bedeutung. Werden bei einer Aufgabenlösung alle Kriterien gleichermaßen berücksich-

tigt, dann wird ein hoher Grad an Homogenität erreicht. Als ein statistischer Wert wird dazu der

Variationskoeffizient V berechnet.

V = STABW (K1 : K8) / MITTELWERT (K1 : K8)

V ist ein Maß für den Grad der Homogenität der Aufgabenlösungen. Es berechnet sich durch die

Division der Standardabweichungen der acht Kompetenzwerte mit dem Mittelwert der Kompe-

tenzwerte 1–8. Dabei werden die für eine Testaufgabe gültigen Teilkompetenzen zugrunde gelegt.

Beinhaltet eine Situationsbeschreibung (einer Testaufgabe) das Potenzial für eine homogene Auf-

gabenlösung, dann ist sie für das Messen von Kompetenzprofilen: der Fähigkeit zur vollständigen

Aufgabenlösung, geeignet.

Auf der Grundlage einer großen Zahl von Large-Scale-Projekten wurde der Grad an Homogenität

wie folgt festgelegt:

V < 0,15 sehr homogen V = 0,16 – 0,25 homogen V = 0,26 – 0,35 eher inhomogen V = 0,36 – 0,5 inhomogen V > 0,5 sehr inhomogen

Tab. 1: Grade der Homogenität der Kompetenzprofile gemessen als Variationskoeffizient V (ebd., 270)

3 Zur Einordnung eines Testergebnisses in eines der drei Kompetenzniveaus bzw. als „Risikoschüler“ siehe Kapitel 3.2

des Methodenhandbuchs (MHB).

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Es bietet sich an, den Grad der Homogenität eines Kompetenzprofils als Korrekturfaktor bei der

Berechnung des GPW zu berücksichtigen (Abb. 5).

Abb. 5: Korrektur der GPW-Rohwerte (Gegenüberstellung der Kompetenzausprägung zweier kaufmännischer Berufe)

(ebd., Abb. 66)

Dieses Beispiel zeigt, dass bei denselben GPW-Rohwerten sich unter Berücksichtigung der Kom-

petenzprofile zwei unterschiedliche (korrigierte) GPW(k)-Werte ergeben. Das bedeutet, dass die

Kompetenzausprägung der beiden Testpersonen unterschiedlich hoch ist – gemessen als GPW(k).

Die Kompetenzprofile repräsentieren sowohl quantitativ als auch qualitativ eine sehr unterschiedli-

che Kompetenzausprägung, obwohl die GPW-Rohwerte nahezu identisch sind.

Wissensniveaus

Die drei Kompetenzniveaus werden von den Testteilnehmern auf unterschiedlichen Wissensni-

veaus erreicht. Zur Differenzierung der Wissensniveaus wird zwischen drei Stufen des Arbeitspro-

zesswissens unterschieden (vgl. Hacker 1996, Fischer 2000, Rauner 2002), dem handlungsleiten-

den, handlungserklärenden und handlungsreflektierenden Wissen (Tab. 2).

Im COMET-Messmodell sowie im Ratingverfahren findet dies seinen Niederschlag in der Bewer-

tung der Teilkompetenzen (Lösungskriterien) anhand von Items, die im Rating nach einer vierstufi-

gen Intervallskala (0–3) bewertet werden.

vollständig

erfüllt eher erfüllt eher nicht

erfüllt nicht erfüllt

Intervallskala 0–3

3 2 1 0

Niveaus von Arbeitsprozesswis-sen

handlungs- reflektierendes Wissen

handlungs- erklärendes Wissen

handlungs- leitendes Wissen

Tab. 2: Zuordnung der Intervallskala zu den Niveaus des Arbeitsprozesswissens

Die Zuordnung der Skalenwerte 1–3 zu den Niveaus des Arbeitsprozesswissens basiert auf einer

pragmatischen Begründung. Ein Item wird dann als „vollständig erfüllt“ bewertet, wenn der jeweili-

ge Lösungsaspekt nicht nur berücksichtigt, sondern auch „detailliert begründet“ wird. In jeder Test-

aufgabe heißt es daher: „Begründen Sie Ihre Lösung vollständig und detailliert“. Gelingt dies voll-

ständig, dann entspricht dies dem Niveau des handlungsreflektierenden Wissens. Ein Item ist dann

eher nicht (bzw. „noch“) erfüllt, wenn die jeweils zugrundeliegenden Regeln zur vollständigen Lö-

sung einer Aufgabenstellung berücksichtigt wurden, jedoch nicht begründet werden konnten. Dies

entspricht dann dem Niveau des handlungsleitenden Wissens bzw. dem Wert „1“. Ein Item ist dann

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„eher erfüllt“, wenn der entsprechende Lösungsaspekt zwar grundsätzlich begründet werden konn-

te, ohne dabei jedoch den situativen Kontext angemessen zu berücksichtigen.

Die dem COMET-Messmodell zugrundeliegende Definition der drei aufeinander aufbauenden

Kompetenzniveaus führt in der Testpraxis zu relativ großen Intervallen bei den Gesamtpunktwer-

ten (GPW).

Dies bedeutet, dass es möglich ist, dass Probanden mit einem höheren Gesamtpunktwert auf ei-

nem niedrigeren Kompetenzniveau verortet werden können. Dies geschieht immer dann, wenn sie

dieses Niveau auf einem hohen Wissensniveau erreichen.

Abb. 6: Verteilung der Gesamtpunktwerte für nominale, funktionale, prozessuale und Gestaltungskompetenz (MHB, 363)

Abb. 6 zeigt, dass z. B. ein GPW von 45 bedeuten kann, dass eine Testperson/Testgruppe entwe-

der das Kompetenzniveau prozessuale Kompetenz (high) oder das Kompetenzniveau Gestal-

tungskompetenz (low) erlangt hat. Diese differenzierende Form der Auswertung und Darstellung

der Kompetenzausprägung bildet die Realität der beruflichen Bildung sehr viel valider und genauer

ab als ein Punktwert auf einer kontinuierlichen Kompetenzskala, der nach quantitativen Niveauun-

terschieden Kompetenzstufen definiert.

Für Darstellungen, in denen eine eindeutige Hierarchisierung der Probanden angestrebt wird, las-

sen sich die beiden Darstellungsformen zusammenfassen. Dazu muss ein Index eingeführt wer-

den, der anzeigt, ob ein bestimmtes Kompetenzniveau mit einem relativ hohen, niedrigen oder

durchschnittlichen Gesamtpunktwert einhergeht. Die Einführung eines solchen zusätzlichen Index

erlaubt es, die Probanden nach dem in ihrer Kompetenz inkorporierten Arbeitsprozesswissen ge-

nauer einzuordnen.

Kompetenzniveau 5 % Quantil

Unteres Drittel

Mittelwert Oberes Drittel

95 % Quantil

Nominelle Kompetenz

6,2 10,7 13,1 14,9 20,8

Funktionale Kompetenz

17,2 22,3 24,7 (25,0) 26,8 32,9 (34,5)

Prozessuale Kompetenz

29.2 33,4 (35,0) 38,3 10,0 (41,0) 51,1

Ganzheitliche Gestaltungskompe-tenz

40,0 47,7 53,1 55,9 71,5

Tab. 3: Differenzierung der Kompetenzniveaus nach Wissensniveaus (ebd., 364)

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Zur Bestimmung der Grenzwerte für eine Differenzierung nach den drei Niveaus des Arbeitspro-

zesswissens: high, medium, low, wird für jedes Kompetenzniveau ein Perzentilband berechnet. Für

jedes Perzentilband wird das 33. und 66. Perzentil bestimmt. Die auf diese Weise entstehenden

drei gleich großen Unterteilungen des jeweiligen Kompetenzniveaus repräsentieren die drei aufei-

nander aufbauenden Niveaus des Arbeitsprozesswissens (Abb. 7).

Abb. 7: Standardisierte Unterteilung der Kompetenzniveaus in „low“, „medium“, „high“ (ebd., 364)

Abb. 7 zeigt, dass die Perzentile der drei Kompetenzniveaus (5 %, 33 %, 50 %, 66 %, 95 %) vom

ersten (KF) zum dritten (KG) Kompetenzniveau linear ansteigen. Wendet man das Modell des li-

nearen Anstiegs der Perzentilwerte vom ersten zum dritten Kompetenzniveau auf die Bestimmung

der Differenzierung nach den drei in den beruflichen Kompetenzen inkorporierten Arbeitsprozess-

wissensniveaus an, dann ergeben sich die in Tab. 3 angegebenen Grenzwerte. Die Werte zeigen

eine sehr hohe Übereinstimmung zwischen den empirischen und den modellbasierten Werten für

die standardisierte Differenzierung nach dem handlungsleitenden (Know That), handlungserklä-

renden (Know How) und dem handlungsreflexiven Wissen (Know Why).

Je nach erreichtem Gesamtpunktwert lassen sich die Ergebnisse innerhalb der Kompetenzniveaus

nach „niedrig“, „mittel“ und „hoch“ differenzieren, so dass damit die Auswertung noch einmal ver-

feinert wird. Diese Differenzierung korrespondiert mit den drei Niveaus beruflichen Arbeitspro-

zesswissens:

Arbeitsprozesswissen Niveau

Handlungsleitendes Wissen Know That

Handlungserklärendes Wissen Know How

Handlungsreflektierendes Wissen Know Why

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Abb. 8: Beispiel: Kompetenzniveaus differenziert nach low/medium/high (KOMET NRW Tischler) (ebd., 365 f.)

Diese Differenzierung erlaubt eine Erweiterung des COMET-Kompetenz- und Messmodells um

eine weitere Komponente der Anforderungsdimension. Für jede der acht Teilkompetenzen kann

jetzt angegeben werden, auf welchem Wissensniveau sie erreicht wird. Im COMET-Messmodell

sowie im Ratingverfahren findet dies seinen Niederschlag in der Bewertung der Lösungsaspekte

anhand von Items, die im Rating nach einer vierstufigen Intervallskala (0–3) bewertet werden.

2 Kompetenzprofile als Repräsentation der Kompetenzausprägung und der beruflichen

Arbeitsethik

Die Leitidee der vollständigen Aufgabenlösung ist von zentraler Bedeutung für die berufliche Bil-

dung, da jede unvollständig gelöste berufliche Aufgabe mehr oder weniger große Risiken für den

Auftraggeber, das ausführende Unternehmen oder auch für die Fachkräfte birgt. Werden z. B. die

gesetzlich vorgegebenen Regelungen für den Umweltschutz und die Vorschriften der Unfallverhü-

tung und des Gesundheitsschutzes nicht eingehalten, dann haftet das Unternehmen für die ent-

sprechenden Sanktionen. Bietet ein Heizungsunternehmen seinen Kunden höchste technische

Funktionalität bei der Modernisierung seiner Heizung an und beachtet dabei nicht die Finanzier-

barkeit und den Gebrauchswert (z. B. den Bedienungskomfort) der Anlage, dann dürfte der Auftrag

nicht zustande kommen. In jedem Fall geht es daher immer um das Abwägen der miteinander

konkurrierenden Kriterien und der darin inkorporierten Werte. Daraus ergibt sich die Vielfalt mögli-

cher Lösungen für berufliche Aufgaben. Es geht daher stets um das situationsbezogene Aus-

schöpfen der Möglichkeiten des gegebenen Lösungsraumes: um eine holistische Aufgabenlösung.

Die dabei zu berücksichtigen Lösungskriterien sind nicht nur alle (!) zu berücksichtigen, sondern

sie sind in ihrer situationsbezogenen Wertigkeit zu gewichten. Die Kompetenzprofile repräsentie-

ren daher die Problemlösungsmuster – und damit das Fachverständnis – der Auszubildenden so-

wie das darin inkorporierte Gefüge der wertebezogenen Entscheidungen in den beruflichen Ar-

beitsprozessen.

Für den Lernort Schule erweitert sich der Lösungsraum zu einem Gestaltungsspielraum, der über

die in einer spezifischen Auftragssituation gegebenen Rahmenbedingungen hinausweisende Lö-

sungen ermöglicht (vgl. dazu Dewey 1916, 316 ff.; Rauner 1988). Eine besondere Bedeutung

kommt dabei dem über das handlungsleitende Wissen hinausreichenden handlungserklärenden

und handlungsreflektierenden Wissen zu.

Analysiert man die Kompetenzprofile der Testteilnehmer, dann reicht es nicht aus, auf einen hohen

Grad an Homogenität zu achten, sondern zugleich auf das erreichte Kompetenzniveau (Abb. 9).

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Beispiele

MFA: GPW=42,93; V=0,38 SPKA-A: GPW=30,28; V=0,43 Pflege: GPW=48,21; V=0,23

Abb. 9: Kompetenzprofile mit unterschiedlichem Kompetenzniveau und Graden der Homogenität

So erreichen in diesem Beispiel sowohl die Auszubildenden der Medizinischen Fachangestellten

(MFA) als auch die Pflegefachkräfte im Unterschied zu den Speditionskaufleuten (SPKA-A) ein

vergleichbar hohes Kompetenzniveau von GPW = 42,9 und 48,2. Die Homogenität ihrer Kompe-

tenzprofile ist jedoch mit V = 0,38 für die MFA-A inhomogen und mit V = 0,23 für die Pflegeauszu-

bildenden homogen. Betrachtet man die Ausprägung der Kompetenzdimensionen, dann erkennt

man die Ursache für die Inhomogenität des MFA-Kompetenzprofils: Die Teilkompetenzen K4,

Nachhaltigkeit/Gebrauchswert, sowie K6 und K 7, Umwelt- und Sozialverträglichkeit, sind unter-

entwickelt (im Vergleich zu den anderen Teilkompetenzen). Das Kompetenzprofil der Pflegestudie-

renden der Höheren (dualen) Fachschulen (Schweiz) zeigt eine leichte Schwäche bei der Berück-

sichtigung der umweltverträglichen Lösungsaspekte (K6).

Die Kompetenzprofile der MFA-A und der SPKA-A sind mit V = 0,38 und V = 0,43 beide inhomo-

gen, jedoch auf einem deutlich unterschiedlichen Kompetenzniveau. Die Differenz zwischen den

Kompetenzniveaus wird in diesem Fall nicht durch einen unterschiedlichen Grad an Homogenität

hervorgerufen, sondern durch das unterschiedliche Kompetenzniveau, auf dem die Testaufgaben

gelöst wurden.

Beispiel: Ausbildung im Kfz-Service: ein deutsch-chinesischer Vergleichstest (Zhou, Rauner, Zhao

2015)

Erweitert man die Vergleiche um Beispiele der internationalen COMET-Projekte, dann werden wei-

tere – sehr grundlegende – Differenzen in der Kompetenzausprägung deutlich, die weitreichende

Konsequenzen für die Wahrnehmung von Verantwortung und Aufgaben der Qualitätssicherung

durch die beruflichen Fachkräfte haben.

Die Kompetenzprofile von Auszubildenden und Studierenden der Kfz-Mechatronik bzw. des Kfz-

Service

An einem deutsch-chinesischen Vergleichsprojekt für die Ausbildung von Fachkräften im Bereich

des Kfz-Service nahmen insgesamt 1298 Auszubildende, Fach(hoch)schul-Studierende und Meis-

terschüler teil (Tab. 4).

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Testgruppen Region/Land GPW V N

1. Auszubildende Hessen 37,4 0,37 375

2. Auszubildende China (TC) 36,8 0,30 98

3. Meisterschüler Hessen 36,0 0,40 32

4. Senior-Auszub. China (TC) 32,0 0,30 190

5. Auszubildende NRW 27,7 0,41 353

6. Colleges China (IC, CC) 26,4 0,60 350

Tab. 4: Gesamtpunktwerte (GPW) und Varianzkoeffizienten (V) der Testgruppen (ebd., 396)

Die Testergebnisse sind in mehrfacher Hinsicht aufschlussreich. Darauf haben die Autoren hinge-

wiesen (ebd. 396 ff.). Hier soll (ergänzend) der spezifische Aspekt der Homogenität der Kompe-

tenzausprägung der Testgruppen betrachtet werden.

Den höchsten Grad an Homogenität der Kompetenzausprägung erreichen die chinesischen Aus-

zubildenden und Meisterschüler (Senior-Auszubildende) (!) mit je V = 0,30. Die drei deutschen

Testgruppen verfügen über inhomogenere Kompetenzprofile. Im zweiten Haupttest (NRW) konn-

ten die Auszubildenden ihr Kompetenzprofil auf V = 0,33 verbessern (Datenreport KOMET NRW

Kfz-Mechatroniker/-innen 2015, 664). Während die chinesischen Facharbeiter- und Meisterschüler

mit dem didaktischen Konzept der holistischen Aufgabenlösung durch ihre Teilnahme an einem

einschlägigen Modellversuch zur Einführung des Lernfeldkonzeptes (Zhou, Rauner, Zhao 2015,

399) vertraut waren, gilt dies für die chinesischen Collegestudierenden nicht.

Abb. 10: Die Kompetenzprofile der Collegestudierenden

Die Testergebnisse zeigen mit einer nicht erwarteten Deutlichkeit die Schwächen der höheren

(hochschulischen) beruflichen Bildung Chinas (in diesem Berufsfeld). Die berufsbildungspolitischen

Ziele dieses Reformprojektes waren und sind sehr hoch gesteckt. Mit den Bildungsgängen der

„höheren Berufsbildung“ sollte der verbreiteten Stigmatisierung der beruflichen Bildung entgegen-

gewirkt werden.

4 Der Datenreport NRW wird im Literaturverzeichnis unter Forschungsgruppe Berufsbildungsforschung I:BB (Universität

Bremen) (2015) aufgeführt.

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Hier zeigt sich, dass die „höhere berufliche Bildung“ Chinas, die auf Führungsaufgaben – hier im

Kfz-Service – vorbereiten soll, berufliche Fachkompetenz überwiegend auf dem Niveau funktiona-

ler Kompetenz vermittelt. Bei den Studierenden der Comprehensive Colleges (CC) sind dies 65,5

% und der Industrial Colleges (IC) 52,3 %. Das für die Wahrnehmung von Führungsaufgaben im

Arbeitsprozess erforderliche Niveau der Gestaltungs- und Prozesskompetenz erreichen lediglich 7,4

% CC- und 1,7 % (!) der IC-Studierenden, da das hochschulische Lernen sich an der Tradition des

akademischen Studiums orientiert: an der Vermittlung zweckfreien und kontextfreien fachwissen-

schaftlichen Wissens (Abb. 11).

Abb. 11: Kompetenzverteilung der Testgruppen China (Industrial Colleges, Comprehensive Colleges, Technician Colleges),

Hessen, NRW (Auszubildende des zweiten und dritten Jahres) (MHB, 348)

Die Kompetenzprofile dieser beiden Testgruppen zeigen anschaulich, dass es den Studierenden

dieser Colleges nicht gelingt, sich im Rahmen ihres Hochschulstudiums professionelle Kompetenz

anzueignen. Ihre Kompetenzprofile sind sehr inhomogen und erreichen an einem College sogar

ein Wert von V = 0,80 (!) (vgl. Abb. 12). Das Kompetenzniveau liegt außerdem unter dem der Aus-

zubildenden der Facharbeiterschulen (Technical Colleges) von Guangzhou.

Abb. 12: Ausgeprägtes inhomogenes Kompetenzprofil einer Testgruppe IC (Zhou, Rauner, Zhao 2015, 401)

Die Absolventen dieser IC- und CC-Studiengänge sind durch ihre einseitige fachsystematische

Ausbildung nicht in der Lage – ohne eine umfassende berufliche Weiterbildung durch die Automo-

bilhersteller – Verantwortung und Aufgaben der Qualitätssicherung im Kfz-Service zu übernehmen.

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Beispiel: MFA (NRW)

Vergleicht man die Kompetenzprofile und ihre Entwicklung im Projektverlauf der Testgruppen MFA

und Kfz-Mechatroniker des NRW-Projektes miteinander, dann werden zwei unterschiedliche Be-

rufstraditionen deutlich (Abb. 13).

Pretest, MFA KOMET NRW 2013, n=71, GPW=48,9, V=0,33

MFA KOMET NRW 2013, n=156, GPW=47,4, V=0,20

MFA KOMET NRW 2014, n=154, GPW=54,9, V=0,18

Abb. 13: Kompetenzprofile MFA: Pretest, Haupttests 2013 und 2014)

Bei den MFA-Auszubildenden nimmt sowohl das Kompetenzniveau im Projektverlauf (von GPW =

47,4 beim 1. auf GPW = 54,9 beim 2. Testzeitpunkt) als auch die Homogenität des Kompetenzpro-

fils von V = 0,33 auf V = 0,18 deutlich zu.

Zu dieser Entwicklung hat auch die im Vergleich zu den anderen Berufen sehr hohe (und alle be-

teiligten Klassen einschließende) Testmotivation beigetragen (Abb. 14).

Abb. 14: Anstrengung aller Klassen MFA KOMET NRW 2014 (Datenreport KOMET NRW MFA 2015, 47)

Die hohe Testmotivation der MFA-Auszubildenden und das hohe Kompetenzniveau können als

Indikatoren für eine hohe Berufsethik interpretiert werden.

Der Vergleich mit dem Projekt Elektroniker der Betriebstechnik (EB) zeigt eine deutlich niedrigere

Testmotivation von durchschnittlich 5,06 (!) und eine Streuung zwischen Werten von 2,97 bis 6,91

(Abb. 15).

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16

Abb. 15: Anstrengung aller Klassen EB NRW, 2014 (Datenreport KOMET NRW EB 2015, 86 f.)

Das Fachverständnis und die Problemlösungsmuster der Lehrkräfte als Determinanten für die Ho-

mogenität der Kompetenzprofile ihrer Schüler

Die INK-A erreichen (im Haupttest) einen bisher in keinem anderen Beruf gemessenen sehr hohen

Grad an homogenen Kompetenzprofilen mit V = 0,11 im zweiten und V = 0,12 im dritten Ausbil-

dungsjahr.

2. Ausbildungsjahr: n=37, GPW=43,93; V=0,11

3. Ausbildungsjahr: n=45, GPW=48,14; V=0,12

Abb. 16: Kompetenzprofile bei Industriekaufleuten im 2. und 3. Ausbildungsjahr, 2. Haupttest (Datenreport KOMET NRW

INK 2015, 19)

Damit ist auch das verbreitete Vorurteil widerlegt, dass die kaufmännische Berufsausbildung eine

fachsystematische (semi-akademische) und nicht eine an Lernfeldern orientierte Ausbildung erfor-

dere. Nun zeigt sich gerade das Gegenteil! In keinem anderen der bisher in den KOMET-Projekten

beteiligten Gruppen wurde eine so konsequente und erfolgreiche Umsetzung des Lernfeldkonzep-

tes nachgewiesen wie im Teilprojekt INK-A des NRW-KOMET-Projektes. Der Grad an Homogeni-

tät der Kompetenzausprägung ist bei den Industriekaufleuten (Auszubildenden) kaum noch zu

steigern. Dies spricht auch dafür, dass es der Projektgruppe gelungen ist, auf der Grundlage der

Pretest-Ergebnisse die Kriterien für die (Test-)Aufgabenentwicklung konsequent umzusetzen. Am

Vergleich der Kompetenzprofile der Pretest-Teilnehmer (Aufgaben 1, 4, 5, 6) mit den Kompetenz-

profilen derselben (überarbeiteten) Aufgaben im Haupttest wird dieses besonders deutlich (Abb.

17).

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17

Der Pretest hat im Rahmen der Kompetenzdiagnostik beruflicher Bildung die Funktion, die von den

beruflichen Projektgruppen (i. d. R. Lehrkräfte) entwickelten Entwürfe für Testaufgaben zu erpro-

ben und Aufgaben auszuwählen sowie zu überarbeiten, die im Test angewendet werden. Die Ent-

wickler der Testaufgaben eignen sich in einem eintägigen Training die Fähigkeit an, die Aufgaben-

lösungen der Testteilnehmer zu bewerten (Ratertraining). Die Überprüfung der Interraterreliabilität

– der Grad der Übereinstimmung ihrer Bewertung – zeigt, dass dies regelmäßig gelingt.

Die Entwürfe der Testaufgaben repräsentieren das Fachverständnis und die Problemlösungsmus-

ter der Lehrkräfte am Beginn eines Projektes (vor dem Ratertraining). Vor allem lässt sich an den

Aufgabenprofilen ablesen, ob und mit welcher Wertigkeit die acht Lösungskriterien in den Situati-

onsbeschreibungen der Testaufgaben von den Entwicklungsteams berücksichtigt wurden. Die

Kompetenzprofile der Testaufgaben repräsentieren daher nicht nur die Kompetenzausprägung der

Pretest-Teilnehmer, sondern auch die der Lehrkräfte (Entwickler der Testaufgaben) (Abb. 17). Die

Aufgabenentwürfe 2 und 5 weisen mit einem V = 0,11 und V = 0,19 (sehr) homogene Kompetenz-

profile auf und eignen sich daher als Testaufgaben. Alle anderen Aufgabenentwürfe mussten mehr

oder weniger gründlich überarbeitet werden, um vergleichbare Homogenitätswerte zu erreichen.

Die Kompetenzprofile der Aufgaben 2 und 5 zeigen, dass die Testteilnehmer bereits beim Pretest

über ein hohes und homogenes Kompetenzprofil verfügten. Daher sind die anderen Aufgabenprofi-

le nicht ein Ausdruck schwacher Testleistungen, sondern mehr oder weniger großer Schwächen

der Testaufgaben. Die Pretest-Daten ermöglichen es, diese Schwächen zu beheben.

Test

Aufgabe 1

Aufgabe 4

Aufgabe 5

Aufgabe 6

Pretest

GPW=48,08; V=0,42; n=16

GPW=32,53; V=0,51; n=12

GPW=45,37; V=0,19; n=14

GPW=35,38; V=0,51; n=10

Haupttest

GPW=46,45, V=0,07; n=22

GPW= 44,82, V=0,27; n=19

GPW= 47,76, V=0,05; n=18

GPW= 45,05, V=0,2; n=23

Abb. 17: Vergleich der Kompetenzprofile der ausgewählten Testaufgaben im Pretest und im Haupttest

Die Ergebnisse des 1. Haupttests zeigen, dass

1. ein höherer Grad an Authentizität (Praxisbezug) und damit auch ein angemessener Schwierig-

keitsgrad sowie

2. eine deutliche Verbesserung des Variationskoeffizienten erreicht wurde und

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3. die überarbeiteten Testaufgaben über das Potenzial verfügen, die holistischen Aufgabenlösun-

gen herauszufordern.

Die deutlich verbesserten Variationskoeffizienten repräsentieren die Kompetenzausprägung der

Testteilnehmer/-innen. Diese verfügen über ein sehr hohes Kompetenzniveau und über einen ho-

hen Grad an holistischer (ganzheitlicher) Gestaltungskompetenz.

Beispiel: Schulstandorte als Determinante der Kompetenzentwicklung

Dass unterschiedliche Berufsbildungssysteme und vor allem die Lehrkräfte die Kompetenzentwick-

lung prägen, konnte vielfältig nachgewiesen werden. Dass außerdem die Schulstandorte und die

entsprechenden Regionen sich auf die Kompetenzentwicklung auswirken, soll am Beispiel zweier

Standorte des Elektroniker-Projektes (NRW) gezeigt werden (Abb. 18).

Standort C: n=42,GPW=38,5; V=0,24 Standort B: n=48, GPW=16,9; V=0,55

Abb. 18: Durchschnittliche Kompetenzprofile nach Standorten, Elektroniker/-innen für Betriebstechnik (Datenreport KOMET

NRW EB 2015, 75)

Das durchschnittliche Kompetenzprofil für die Auszubildenden des Industrieberufs Elektroniker

Betriebstechnik am Berufskolleg (BK) (B) weist besonders große Schwächen auf (Abb. 19).

Abb. 19: Verteilung der Kompetenzniveaus nach Standorten, n=141 (Datenreport KOMET NRW EB 2015, 61)

54,2 % der Testteilnehmer erreichen nicht das 1. Kompetenzniveau (sind also „Risikoschüler). Nur

einer von 48 Teilnehmern erreicht das höchste und weitere 4 das Niveau der prozessualen Kom-

petenz. Im BK (C) liegt eine umgekehrte Situation vor. 71,5 % (!) der Testteilnehmer erreichen ei-

nes der beiden oberen Kompetenzniveaus. Das durchschnittliche Kompetenzprofil an diesem

Standort weist mit V = 0,24 ein homogenes Kompetenzprofil auf.

Funktionale Kompetenz

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Für das Erreichen der Berufsfähigkeit bedeutet das, dass 90 % der Absolventen der EB-

Auszubildenden am BK (B) keine verantwortungsvollen Aufgaben übertragen werden können, da

nicht sichergestellt ist, dass sie bei der Ausführung der ihnen übertragenen Aufgaben auf die not-

wendig einzuhaltenden Kriterien achten. Ihre berufliche Arbeitsethik kann sich nicht entfalten.

Das Wissensniveau als eine Voraussetzung für Verantwortungs- und Qualitätsbewusstsein

Das COMET-Kompetenzmodell differenziert zwischen einem hohen, mittleren und niedrigen Wis-

sensniveau, auf dem die aufeinander aufbauenden Kompetenzniveaus erreicht werden. So errei-

chen z. B. von den 203 Auszubildenden der Elektroniker EEG (NRW) 69 % eines der drei Kompe-

tenzniveaus (Abb. 20).

Abb. 20: Verteilung der differenzierten Kompetenzniveaus, n=203 (Datenreport KOMET NRW EEG 2015, 67)

Allerdings ist der Anteil der EEG-Auszubildenden, die bei der Bearbeitung ihrer beruflichen Aufga-

ben alternative Lösungsmöglichkeiten (die der Lösungsraum bietet) auch gegeneinander abwägen

können: die also über ein handlungsreflektierendes Wissen verfügen, sehr niedrig. Keiner der 12

% Testteilnehmer, die das 3. Kompetenzniveau erreicht haben, verfügt über dieses Wissensni-

veau. Auf dem Niveau der funktionalen und prozessualen Kompetenz sind es gerade einmal 8,4 %

und 3,9 % (!) der Testteilnehmer. Im Berufsbild für Elektroniker wird durchgängig auf die Kompe-

tenz verwiesen: bei der Bearbeitung beruflicher Aufgaben zwischen den „zu entwickelnden, zu

begründenden und zu beurteilenden/bewertenden Lösungsvarianten abzuwägen unter Bezug-

nahme auf

technische/funktionale,

ökonomische,

ökologische und

kundenbezogene

Bewertungskriterien (vgl. Tab. 2, KOMET Bd. II., 32). Das Berufsbild legt diesen Standard für das

Erreichen der Berufsfähigkeit fest, da es dem Ordnungsgeber (BMWi) sowie den Sachverständi-

gen der Elektroindustrie darum geht, Fachkräfte auszubilden, die über eine hohe berufliche Hand-

lungskompetenz und über Verantwortungs- und Qualitätsbewusstsein – und damit auch über eine

berufliche Arbeitsethik – verfügen.

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Beispiel MFA (NRW)

Das Beispiel MFA (Abb. 21) zeigt, dass nahezu alle Testteilnehmer ein (sehr) hohes Kompetenzni-

veau erreicht haben und davon jeder zweite auf einem hohen Wissensniveau!

Abb. 21: Verteilung der differenzierten Kompetenzniveaus, n=154 (Datenreport KOMET NRW MFA 2015, 34)

3 Zum Zusammenhang zwischen Kompetenzniveau und der Homogenität der Kompetenzausprägung

Die psychometrische Evaluation des COMET-Kompetenzmodells bestätigt die Hypothese der auf-

einander aufbauenden Kompetenzniveaus: „In Übereinstimmung mit dem theoretischen Modell,

nach dem höhere Leistungen im Bereich ‚prozessuale Kompetenz‘ erst erbracht werden können,

wenn die ‚funktionale Kompetenz‘ in ausreichender Weise ausgeprägt ist und weiterhin

,Gestaltungskompetenz‘ erst dann in höherem Maße ausgebildet wird, wenn die Kompetenzni-

veaus ,funktionale Kompetenz‘ und ,prozessuale Kompetenz‘ in ausreichender Weise ausgeprägt

sind, zeigt sich in allen Typen ein tendenzieller bis ausgeprägter Abfall der Bewertungsurteile“

(Erdwien, Martens 2009, 80).

Ausgehend von dieser Erkenntnis lässt sich die Hypothese begründen, dass mit zunehmendem

Kompetenzniveau die Homogenität der Kompetenzausprägung (Kompetenzprofile) ebenfalls zu-

nimmt. Ob sich diese Hypothese empirisch bestätigen lässt, wurde anhand von Daten der Projekte

Elektroniker (Hessen) und (NRW) sowie Kfz-Mechatroniker (NRW) untersucht.

Für die Berechnung der Korrelation der beiden Größen wurde das mittlere Kompetenzniveau (als

Gesamtpunktwert) sowie das mittlere Kompetenzprofil der beteiligten Klassen zugrunde gelegt.

Stichproben

A: Testergebnisse des COMET-Projektes Elektroniker (Hessen) (KOMET-Bd. III., 254–258)

Die Homogenität der Kompetenzprofile der insgesamt 28 Klassen variiert zwischen „homogen“ für

zwei Klassen und „sehr inhomogen“ für zwei Klassen (Abb. 22 und Abb. 23).

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2. EB, n=17, GPW=39,5; V = 0,19

7. EB, n=26, GPW=33,1; V=0,21

Abb. 22: Homogene Kompetenzprofile

29. EEG, n= 1, GPW=17,7; V=0,53

31. EEG, n=14, GPW=16,0; V=0,49

Abb. 23: Sehr inhomogene Kompetenzprofile

B: Testergebnisse des COMET-Projektes Elektroniker (NRW). Von den 20 Klassen verfügen drei

Klassen über ein sehr inhomogenes und fünf Klassen über ein homogenes Kompetenzprofil.

Berechnung des Korrelationskoeffizienten

Abb. 24: Korrelation (r = -0,64) zwischen V und GPW bei 28 Klassen EB und EEG des Projektes Elektroniker (Hessen)

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Abb. 25: Korrelation (r = -0,64) zwischen V und GPW bei 20 Klassen EB und EEG des Projektes Elektroniker (NRW)

Abb. 26: Korrelation zwischen V und GPW bei 20 Klassen KFZ NRW (r = - 0,84)

Eine Analyse der Kompetenzprofile zeigt, dass mit abnehmender Kompetenz der Klassen die zu-

nehmende Inhomogenität der Kompetenzprofile auf die Kompetenzdimensionen der ganzheitlichen

und prozessualen Kompetenz (in dieser Reihenfolge) zurückzuführen ist. Es besteht eine hohe

Korrelation von r = -0,63 für beide Erhebungen (EB, EEG Hessen und NRW) und eine sehr hohe

Korrelation von r = -0,84 für die 20 Klassen KFZ (NRW).

Thomas Martens hat mit einer Latent-Class-Analyse die Kompetenzmuster untersucht. Dazu wer-

den unter Abwägung von „Passung“ und „Einfachheit“ mit der Latent-Class-Analyse zehn Sub-

gruppen gebildet (Martens 2015, 185 ff.). Das „Messmodell beruht darauf, dass alle Aufgabenlö-

sungen, die einer Subgruppe zugeordnet werden, exakt dasselbe (latente) Kompetenzprofil auf-

weisen“. Die Analyse ergibt, dass die Kompetenzmuster der meisten Subgruppen parallel verlau-

fen.

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Abb. 27: Kompetenzmuster der Subgruppen 1, 2, 3, 5, 6 und 10 (ebd., 199)

Die Frage, ob es sich bei den Kompetenzmustern um aufgabenspezifische Muster oder charakte-

ristische Muster beruflicher Kompetenz handelt, kann somit mit dieser Analyse beantwortet wer-

den: „Die Verteilung der Kompetenzmuster auf die vier komplexen Testaufgaben, [die dem Test

zugrunde lagen,] kann als Beleg dafür gelten, dass die identifizierten Muster der Subgruppen keine

spezifischen Kompetenzprofile einzelner Aufgaben sind“ (ebd., 201). Erreicht wird diese Qualität

der Testaufgaben durch das COMET-Pretestverfahren (s. MHB).

4 Kompetenzprofile und Berufsethik

Das reflektierte Abwägen zwischen den für die Lösung bzw. Bearbeitung einer beruflichen Aufgabe

relevanten Kriterien ist immer verbunden mit Wertentscheidungen: Nachhaltigkeit, Funktionalität,

Umwelt- und Sozialverträglichkeit müssen situationsbezogen gegeneinander abgewogen werden.

Fachkräfte, die ihre Arbeitsaufgaben kompetent planen und ausführen, sind daher zwangsläufig

eingebunden in das verantwortliche Ausbalancieren von Werten. Berufliche Kompetenz und beruf-

liche Arbeitsethik sind daher ein nicht auflösbarer Zusammenhang. Matthew Crawford begründete

anhand eines Beispiels aus seiner Motorradwerkstatt diese These: „Das Kolbenklappern (bei ei-

nem Motorrad) kann sich tatsächlich nach zu großem Ventilspiel anhören, weshalb ein guter Me-

chaniker stets aufmerksam sein und die Möglichkeit im Auge haben muss, dass er der falschen

Hypothese nachgeht. Dies ist eine ethische Tugend“ (Crawford 2016, 132). Verallgemeinernd

kommt er zu dem Schluss: „Im Gegensatz zur Einschätzung der Kognitionspsychologen (oder

besser gesagt: außerhalb des von ihnen definierten Geltungsbereiches ihrer Disziplin) scheint die-

se kognitive Kompetenz – über die eigene Denkweise nachzudenken – einer moralischen Eigen-

schaft zu entspringen“ (ebd., 131).

Das COMET-Kompetenzmodell und die auf dieser Grundlage erfassten Kompetenzprofile veran-

schaulichen, was diese Erkenntnis im Einzelnen bedeutet.

Die Berücksichtigung einer möglichst hohen Funktionalität und zugleich eines nicht minder hohen

Gebrauchswertes bei der Aufgabenlösung – bei einem gegebenen Kostenrahmen – sowie die Ein-

beziehung der Regelungen für die Umwelt- und Sozialverträglichkeit – verweisen auf das komple-

xe Verantwortungsgefüge, dem berufliche Fachkräfte nicht ausweichen können. Dies schließt auf-

klärende Beratungen von Kunden bis hin zum Umgang mit Konflikten mit dem Auftraggeber ein,

wenn Fachkräfte z. B. mit unrealistischen oder auch unverantwortlichen Anforderungen konfrontiert

werden.

Die Berufsethik bildet sich mit der Entwicklung beruflicher Kompetenz und beruflicher Identität her-

aus und führt zu einem gewissen Spannungsverhältnis zwischen beruflicher und betrieblicher Iden-

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tität. So kann berufliches Verantwortungsbewusstsein – als Ausdruck der Berufsethik – bei der

Realisierung eines betrieblichen Auftrages in Widerspruch zu den betriebswirtschaftlichen Interes-

sen des Unternehmens und damit auch zur eigenen betrieblichen Identität geraten. Berufliche

Kompetenz auf dem Niveau des handlungsreflektierenden Wissens ist daher eine wesentliche Vo-

raussetzung für das verantwortliche berufliche Handeln und damit für berufliche Gestaltungskom-

petenz.

Helmut Heid kritisiert in diesem Zusammenhang die Vermittlung abstrakter, betriebswirtschaftlich

erwünschter, moralischer Werthaltungen – losgelöst von den Inhalten der beruflichen Bildung: Bei

den „personal- und qualifikatorischen Aussagen über die zunehmende Bedeutung moralischer

Komponenten erwünschter Qualifikationen [….] überwiegen – sofern die Werte in herrschenden

Debatten von ihren Inhalten ‚gereinigt‘ bzw. getrennt werden – Abstrakta wie Leistungsbereitschaft,

Verantwortungsbewusstsein, Anpassungs-, Kritik- und Kooperationsfähigkeit und andere als einfa-

che ‚Schlüsselqualifikationen‘ apostrophierte ‚Tugenden‘“ (Heid 2006, 40 f.). Reinigt man die beim

Lösen beruflicher Aufgaben zu berücksichtigenden Werte (wie Gebrauchswert, Umwelt- und Sozi-

alverträglichkeit), dann spaltet man berufliche Kompetenz in eine zweckfreie Fachkompetenz und

eine von den realen Arbeitsprozessen abstrahierende moralische Bildung. Damit verfehlt die beruf-

liche Bildung ihr Ziel: die „Befähigung zur Mitgestaltung der Arbeitswelt in sozialer, ökologischer

und ökonomischer Verantwortung“ – und damit das Lernfeldkonzept (vgl. KMK 1991, 1996). In der

berufspädagogischen Diskussion und Forschung ist die Separierung in eine zweckfreie fachliche

Kompetenzvermittlung und eine Vermittlung moralischer Kompetenzen und normativer Orientie-

rungen weit verbreitet. Dies resultiert vor allem aus der inhaltlichen Orientierung der ökonomischen

Bildung im Berufsfeld Wirtschaft und Verwaltung an den Wirtschaftswissenschaften – und nicht an

den beruflichen Handlungs- und Lernfeldern (vgl. Retzmann 2006). So beklagt z. B. Joungebloed:

„Und so prägt bis heute das ‚Wertfreiheitspostulat‘ und das insoweit für ethisch neutral angenom-

mene ökonomische Prinzip die Erkenntnis- und Handlungsinteressen ökonomischer Ergebnisge-

winnung“. Es liege doch auf der Hand, dass das „Prinzip der reinen Wirtschaftlichkeit an den Maß-

stäben moralischer Grundsätze zu orientieren [sei]“ (2006, VIII f.). Da Joungebloed mit der Katego-

rie der „ökonomischen Ergebnisgewinnung“ nicht differenzieren kann zwischen dem Gewinnen

wirtschaftswissenschaftlicher Erkenntnisse, dem Erzielen beruflicher Handlungskompetenz und

dem Umsetzen wirtschaftspolitischer Innovationen, verstrickt er sich in nicht auflösbare Widersprü-

che. Erst auf der Grundlage dieser Differenzierung lässt sich die Berufsethik in die Wirtschaftspä-

dagogik und -didaktik integrieren, wie das COMET-Projekt NRW mit seinen zwei kaufmännischen

Berufen zeigt (s. o.). Damit würde auch die verbreitete Praxis entfallen, die Wirtschaftsethik in das

wirtschaftswissenschaftliche Hochschulcurriculum zu integrieren. Die Wirtschaftsethik ist wie die

Ethik der Technik ein Fach der angewandten Philosophie. Im Projektstudium bietet es sich natür-

lich an, die Erkenntnisse und Orientierungen dieser Fächer aufeinander zu beziehen. Erst auf der

Grundlage der beruflichen Fachrichtungen und der berufswissenschaftlichen Forschung gelingt es

in der beruflichen Bildung, die Inhalte der beruflichen Bildung auch fach- bzw. berufswissenschaft-

lich zu begründen (vgl. Pahl 2006) und die Entwicklung beruflicher Arbeitsethik als eine integrierte

Dimension der beruflichen Kompetenzentwicklung zu verstehen und zu gestalten.

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Fazit

Das COMET-Testverfahren ermöglicht die Repräsentation der Testergebnisse in der Form von

Kompetenzprofilen.

An den achtdimensionalen Kompetenzprofilen lässt sich ablesen, auf welchem Niveau die berufli-

che Kompetenz mit ihren Teilkompetenzen erreicht wird und über welches fachliche Problemlö-

sungsmuster die Testteilnehmer verfügen. Das Fachverständnis (Problemlösungsmuster) findet

seinen Ausdruck in den Kompetenzprofilen. Sie repräsentieren die Gewichtung der in den acht

Teilkompetenzen inkorporierten Werte und damit die Ausprägung der beruflichen Arbeitsethik,

über die die Fachkräfte verfügen. Die Problemlösungsmuster der Testteilnehmer sind daher zu-

gleich die Muster ihrer Berufsethik. Mit dem Variationskoeffizienten V lässt sich der Grad der Ho-

mogenität der Kompetenzprofile und damit auch die Ausprägung der Berufsethik quantifizieren.

Damit steht der Kompetenzdiagnostik ein Instrument zur Verfügung, mit dem sich sehr genau und

anschaulich überprüfen lässt, zu welchem Grade es in der Berufsausbildung gelingt, die Leitidee

der beruflichen Bildung umzusetzen: „die Befähigung zur Mitgestaltung der Arbeitswelt in sozialer

und ökologischer Verantwortung“ (KMK 1991). Die Überprüfung der Hypothese, dass mit zuneh-

mendem Kompetenzniveau auch die Homogenität der Kompetenzprofile ansteigt, konnte bestätigt

werden.

Der hohe Anteil der Auszubildenden und Fachschulstudierenden, der in zahlreichen COMET-

Projekten lediglich das erste Kompetenzniveau (funktionale Kompetenz) erreicht hat oder gar der

Risikogruppe (nominelle Kompetenz) zugerechnet werden muss, legt die Einführung der COMET-

Kompetenzdiagnostik als eine effektive Methode der Qualitätssicherung und Qualitätsentwicklung

in der beruflichen Bildung nahe.

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