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Berufsorientierung durch Interviews Praktische Einblicke in den Berufsalltag Stand: September 2018 (Alle Fotos nur im Zusammenhang mit diesem Buchinhalt autorisiert)

Berufsorientierung durch Interviews · sie uns bezahlen und uns trauen – und nicht die Berufskritiker, die damit ihr Geld verdienen. Als mir ein solcher (sehr bekannter!) Kritiker-Kollege

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Berufsorientierung

durch Interviews

Praktische Einblicke in den Berufsalltag

Stand: September 2018

(Alle Fotos nur im Zusammenhang mit diesem Buchinhalt autorisiert)

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Inhaltsverzeichnis: ………………………………………………….. 1 - 2

Vorwort von Christoph Mühlthaler ……………………………………………… 3 – 4

(Rektor des Ernst-Sigle-Gymnasiums Kornwestheim)

Vorwort von Horst Ensinger, Rainer Nübel & Michael T. Wurster………….. 5 – 7

(Projektleiter)

Schülerteam des Ernst-Sigle-Gymnasiums Kornwestheim ………………… 8 – 9

Nina Haug im Gespräch mit Peter Hahne …………………………………… 10 – 12

(Fernsehmoderator & Autor)

Tim Hessenthaler im Gespräch mit Hans-Gerd Bode ……………………….13 – 19

(Ehemaliger Leiter der Konzernkommunikation des VW-Konzerns)

Tim Hessenthaler im Gespräch mit A. Gieseke & N. Schork …………….. 20 – 24

(Gründer von TheSimpleClub)

Jothini Sritharan im Gespräch mit Ranga Yogeshwar ……………………… 25 – 30

(Moderator, Wissenschaftsjournalist & Physiker)

Timo Holten im Gespräch mit Ursula Keck …………….……………………. 31 – 37

(Oberbürgermeisterin der Stadt Kornwestheim)

Timo Holten im Gespräch mit Alfred Waldenmaier ……….………………… 38 – 50

(ehemaliger Schulleiter des Ernst-Sigle-Gymnasiums Kornwestheim)

Nele Schauer im Gespräch mit Catrin Boldebuck …………………………… 51 – 54

(ehemalige Leiterin der Pressestelle der Deutschen Schulakademie.

Aktuell: Redaktionsleitung Dr. v. Hirschhausens Stern Gesund Leben)

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Carrie Lee im Gespräch mit Manfred Bechtel ………………………………. 55 – 57

(Geschäftsführer Bechtel Baumanagements)

Sven Bode im Gespräch mit Martina Wörner ……………………………….. 58 – 63

(Leiterin der Volkshochschule Ludwigsburg)

Nele Schauer im Gespräch mit Prof. Dr. phil. Jürgen Belgrad ……………. 64 – 69

(emeritierter Prof. für Literaturwissenschaft & Literaturdidaktik/

Pädagogische Hochschule Weingarten)

Jothini Sritharan im Gespräch mit Marcel Nguyen …………………………. 70 – 73

(Deutscher Kunstturner, Silbermedaillengewinner 2012 in London)

Jothini Sritharan im Gespräch mit Dr. Alexander Urban …………………... 74 – 80

(Geschäftsführer der Heidehof-Stiftung und Vorsitzender von

MiNe-MINT e.V.)

Nina Haug im Gespräch mit Alexander M. Rümelin ………………….….… 81 – 84

(Schauspieler, Filmproduzent & Drehbuchautor)

Carrie Lee im Gespräch mit Sigmar Gabriel ………………………..……… 85 – 86

(ehemaliger Bundesminister des Auswärtigen. Aktuell: Bundestags-

abgeordneter)

Schlusswort von Béatrice Ensinger …………………………………..…….. 87 – 89

(Coach)

Literatur- und Quellverzeichnis ……………………………………..………. 90

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Zielsetzung des vorliegenden Projektes war es unter anderem, angehenden

Abiturientinnen und Abiturienten Orientierung und Entscheidungshilfen für die

anstehende Berufs- und Studienwahl zu geben. Die jungen Schulabsolventen stehen

vor schwierigen Entscheidungen: Allein in Deutschland gibt es über 300

Hochschulen und über 10.000 verschiedene Studiengänge. Schule und Gesellschaft

dürfen die jungen Menschen bei den Fragen über Ihre Zukunft zu Studium,

Ausbildung und Berufswahl nicht alleine lassen.

Neben den Eltern kommt hierbei auch den Lehrern eine entscheidende Rolle zu: Sie

können ihre Schüler einschätzen, beraten und unterschiedliche Wege aufzeichnen.

Dies ist das wesentliche Ziel der Studien- und Berufsberatung am Gymnasium. Es ist

ein Baustein der schulischen Ausbildung, der in den letzten Jahren stark an

Bedeutung gewonnen hat.

Vorwort von

Christoph Mühlthaler Rektor des Ernst-Sigle-Gymnasiums Kornwestheim

(© Bild)

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Neben der Schule ist es aber auch essentiell, dass Schüler die Möglichkeit

bekommen, Experten aus der Berufswelt zu befragen. Nur sie können Einblicke in

die „echte“ Berufswelt vermitteln. Im vorliegenden Projekt haben Schüler Interviews

geführt mit Persönlichkeiten aus den Bereichen Wissenschaft, Wirtschaft, Bildung,

Verwaltung und Journalismus. Sie haben darüber hinaus Fragenkataloge

zusammengestellt und den Kontakt mit vielen außerschulischen Partnern gepflegt.

Allein dieser Blick über den Tellerrand der Schule hinaus ist bereits ein zentraler

Schritt hin zu einer qualifizierten und informierten Ausbildungsentscheidung.

Herzlichen Dank an alle Beteiligten, die dieses Projekt zusammen mit den Schülern

ermöglicht haben. Besonderen Dank an Horst Ensinger, der den schulischen Teil im

Wesentlichen betreute. Möge die Erfahrung und die Expertise, die hier

zusammengetragen wurde, vielen Schülern ein hilfreicher Wegweiser für ihre Zukunft

sein.

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„Und wie startet man überhaupt seine Karriere?“

Im Jahr 2004 berichtete die Wirtschaftswoche von einer Abiturientin aus Köln, die

mittels eines Briefes mit 63 Vorstandsvorsitzenden verschiedenster Konzerne in

Kontakt trat. Sie schilderte Ihre Situation und Ihren Traum eines Tages eine

Führungsaufgabe in der Wirtschaft zu übernehmen. Und vor allem bat sie um

Ratschläge für ihren Berufsweg… Diese mutige Aktion lohnte sich für die Abiturientin

in gleich mehrfacher Hinsicht: 35 Manager antworteten – größtenteils persönlich! Es

gab zahlreiche Ratschläge und sogar mehrere Praktika-Angebote.1,2

1 Vgl. Wirtschaftswoche Nr. 40 / 23.09.2004.

2 Vgl. Scherer, Hermann: Jenseits vom Mittelmaß, Gabal Verlag 2009, S.101.

Vorwort der Projektleiter

links: Horst Ensinger, Oberstudienrat a. D. Mitte: Rainer Nübel, Journalist rechts: Michael T. Wurster, Jungunternehmer

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Von dieser Idee inspiriert entstand unter der Leitung von Prof. Dr. Werner Ziegler,

Jürgen Hilse, Michael T. Wurster und Valentina Scharte ein vergleichbares Projekt an

der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen. Unter der

Betreuung der vier Herausgeber führten fünf Studierende zahlreiche Interviews mit

Wirtschaftsbossen. 2013 wurden diese Interviews dann in dem Buch „Germanys next

top manager“ veröffentlicht.3 Ergänzend dazu fanden verschiedene Kamingespräche

mit Wirtschaftsbossen als regelrechte Exklusiv-Events auf dem Campus statt.

Mit diesem Buch gehen wir nun gleich mehrere Schritte weiter: Das Ziel ist dieses

Mal nicht nur die Wirtschaft, sondern verschiedene Berufs-Bilder. Schließlich sind

jedes Jahr zahlreiche Abiturienten mit drei äußerst schwierigen Fragen konfrontiert:

Welcher Beruf passt zu mir? Wie wird man eigentlich…? Und wie startet man

überhaupt seine Karriere?

Es sind Fragen wie diese, die entscheiden, wer wir eines Tages werden können.

Wie die beiden Referenz-Projekte bereits zeigen, kann man mittels Interviews

hervorragende Einblicke über den Tellerrand gewinnen. Im Jahr 2015 begann das

Interview-Projekt am Ernst-Sigle-Gymnasium in Kornwestheim. Unter unserer

Betreuung vernetzten sich Schüler mit verschiedenen Personen aus dem

Berufsleben. Zu Wort kommen dabei Unternehmer, Journalisten, Lehrer, Politiker

und viele weitere Persönlichkeiten, die im Blickpunkt stehen bzw. standen.

Mit Hilfe eines gemeinsam erarbeiteten Interview-Kataloges konnten die Schüler

tiefere Einblicke in die Praxis sammeln und erfahren, worauf es in den jeweiligen

Berufsbildern wirklich ankommt. Das Projekt selbst ist dabei eine „Blaupause“, die

jederzeit für eigene Interview-Projekte genutzt werden kann. Sowohl im Rahmen des

Schulunterrichts als auch in der Freizeit.

3 Vgl. Ziegler, Werner; Hilse, Jürgen; Wurster, Michael; Scharte, Valentina: germany’s next top manager – Studierende im Gespräch mit Wirtschaftsbossen, Aventinus Edition 2013.

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Es würde uns sehr freuen, wenn Sie liebe Leserinnen und Leser nicht nur von den

Ratschlägen aus diesem Buch profitieren, sondern vielleicht sogar selbst die Initiative

ergreifen und eigene Interviews starten. Schließlich kann unser Projekt sowohl von

einem einzelnen Schüler, einer kleinen Clique oder gar einer ganzen Klasse oder

Stufe durchgeführt werden.

Und wer weiß, vielleicht ergibt sich bei Ihnen dabei ebenfalls ein Praktikum oder ein

wertvoller Kontakt, der Ihnen dabei hilft Ihre persönliche Karriere zu schmieden…

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Das Schüler-Team hinter diesem Projekt

Nina Haug Timo Holten Sven Bode

Jothini Sritharan Christina Schultz Carrie Li

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Amelie Grosenick Nele Schauer Adam König

Ralf Händle Sandra Löhle Tim Hessenthaler

Tim Schneider

„Die engagierten Abiturientinnen

& Abiturienten des Ernst-Sigle-

Gymnasiums in Kornwestheim.“

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Nina Haug im Gespräch mit…

Peter Hahne Fernsehmoderator und Autor (Bild: Quelle privat)

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Nina Haug: Wie kamen Sie zu der Entscheidung Journalist zu werden, obwohl Sie

etwas komplett Anderes studiert haben und was hat Sie beim Treffen dieser

Entscheidung beeinflusst?

PETER HAHNE: Na ja, Theologie und Journalistik liegen soweit nun auch nicht

auseinander, haben dasselbe Handwerkszeug: Man will eine wichtige Nachricht an

den Mann/die Frau bringen, dazu muss man gründlich recherchieren, verständlich

formulieren, überzeugend präsentieren, um die Empfänger zu interessieren, zu

informieren – und wenn’s gut läuft, zu motivieren, sich zu engagieren. Beeinflusst hat

mich mein früherer Deutschlehrer, der uns Zeitungen auswerten oder

Hörfunksendungen analysieren ließ – und später eine Studentenbegegnung mit

Journalisten, so dass ich nach wenigen Tagen „Reinschnuppern“ bei der

Europawelle Saar bereits am Mikrofon saß – und das ohne Unterbrechung nun seit

44 Jahren…

Nina Haug: Welche Herausforderungen kommen in Ihrer Branche auf uns zu? Wie

sollen wir damit umgehen?

PETER HAHNE: Es wird alles schneller, schriller, hektischer, exotischer, alles kommt

als Unterhaltung daher, von früher üblichen längeren Features oder

Dokumentationen bleiben oft nur noch Wortfetzen als Infotainment. Das liegt am

Konkurrenzdruck von immer mehr Medien, natürlich auch durchs Internet – jeder will

die schnellste Schlagzeile, als Erster auf dem Markt sein. Man kann das Rad nicht

zurückdrehen, sollte sich aber der journalistischen Grundstandards neu

vergewissern: sauber recherchieren, objektiv informieren, meinungsfreudig

kommentieren. Ur- „Sünden“ der letzten Zeit dürfen sich einfach nicht wiederholen,

sonst ist das wichtigste Kapital der Medien im Eimer: Glaubwürdigkeit und Vertrauen

-mit diesen Sünden meine ich zum Beispiel das Total-Versagen der Medien nach der

„Kölner Silvesternacht“ 2015/16 oder während des US-Wahlkampfes Trump/Clinton-

Da hat die Pippi-Langstrumpf-Welt die Medien bestimmt, nicht die Realität.

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Nina Haug: In einem so öffentlichen Beruf wie Ihrem wird man sicherlich oft mit Kritik

konfrontiert. Wie gehen Sie am besten mit Kritik und Rückschlägen um?

PETER HAHNE: Man muss die Motive durchschauen, oft sind es ganz

vordergründige politisch-ideologische. Vieles ertrage ich nach dem Motto: Neid ist die

Mehrwertsteuer des Erfolges. Ich habe es immer so gehalten: ernst nehme ich die

Kritik derer, für die wir arbeiten, denen wir dienen, um es altmodisch zu sagen, weil

sie uns bezahlen und uns trauen – und nicht die Berufskritiker, die damit ihr Geld

verdienen. Als mir ein solcher (sehr bekannter!) Kritiker-Kollege nach Jahren mal

eingestand, er habe den Verriss schreiben „müssen“, da wusste ich, dass meine

Haltung zu Kritik und Kritikern nicht so falsch liegt…. Aber ich will nicht hochmütig

sein: Vieles ist berechtigt und kann einem nur helfen, besser zu werden. Deshalb:

Schauen, wer wann was sagt und dann gelassen bleiben und sich zum Besseren

motivieren lassen. Bloß nicht resignieren!

Nina Haug: Was ist Ihre tägliche Motivation, mit der Sie Ihre Tätigkeit ausführen?

PETER HAHNE: Es ist der Reiz des Neuen, die Neugier – aber auch die Dankbarkeit

Vieler, die mir in den Jahrzehnten treuer Zuschauerschaft signalisiert haben: Ihnen

vertrauen wir, Sie sehen wir gerne, wir mögen Sie. Das muss auch umgekehrt gelten.

Der Verleger Axel Springer und der Entertainer Hans Rosenthal hatten ein

gemeinsames Motto: „Man muss seine Leser und Zuschauer lieben.“ Das mag

pathetisch klingen, birgt aber eine tiefe Wahrheit. Sonst wird man leicht zum

überheblichen Zyniker.

Nina Haug: Welche 3 Ratschläge können Sie uns Schülern für den Karriere-Start

mitgeben?

PETER HAHNE: Nie die Grundstandards, die Gütesiegel jedes Berufes, vor allem

aber des Journalismus aus den Augen verlieren: Glaubwürdigkeit, Vertrauen und

Kompetenz. Und vielleicht den Rat, den mir ein lebenserfahrener Seelsorger mit auf

den Weg gab: „Öffne Dir keine Tür gewaltsam selbst, aber wenn sich eine Tür öffnet,

dann geh mutig hindurch, ohne zurückzublicken!“

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Tim Hessenthaler: Wie würden Sie ihre bisherige Karriere zusammenfassen?

HANS-GERD BODE: Extrem spannend, sehr abwechslungsreich - ich habe immer

neue Erfahrungen gesammelt.

Tim Hessenthaler im Gespräch mit…

Hans-Gerd Bode Ehemaliger Leiter der Konzernkommunikation des VW- Konzerns (© Bild)

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Tim Hessenthaler: An welchen Projekten arbeiten Sie zurzeit, was erhoffen Sie sich

davon?

HANS-GERD BODE: Momentan arbeite ich als Leiter der Kommunikation der

Volkswagen Gruppe hauptsächlich daran, die öffentliche Wahrnehmung des

Unternehmens während der Diesel-Thematik zu steuern und habe fest im Blick,

danach das Image des Unternehmens wieder auf eine andere Ebene zu heben. Es

passiert viel im Unternehmen, es ist eine spannende Zeit.

Tim Hessenthaler: Was macht Ihnen am meisten Spaß an Ihrer Tätigkeit?

HANS-GERD BODE: Ich kann permanent mit anderen Leuten sprechen und habe

täglich neue Themen vor Augen. Das ist extrem abwechslungsreich. Ich kann eine

ganze Menge bewegen und beeinflussen. Das, was wir machen, hat sofort eine

Auswirkung in aktuellen Medien wie Fernsehen, Online oder Print. Und da das

Unternehmen so groß ist, passiert das weltweit.

Tim Hessenthaler: Gibt es auch Dinge, die Ihnen nicht so gefallen?

HANS-GERD BODE: Ja, aber das liegt in der Natur der Sache. Wir haben mit vielen

schwierigen Themen zu tun. In der derzeitigen Situation, in der sich Volkswagen

befindet, muss jede neue kleine Entwicklung, jede neue Information in einen

Gesamtzusammenhang eingeordnet werden. Das den Medien zu vermitteln, ist

wahrlich nicht so einfach.

Tim Hessenthaler: Wie lange arbeiten Sie?

HANS-GERD BODE: Ich starte morgens mit den ersten Telefonaten gegen sieben

Uhr, bin dann aber noch nicht im Büro. Ich verschaffe mir meist von Zuhause aus

einen ersten Überblick über die aktuelle Medienlage. Abends geht es meist bis acht,

neun oder zehn Uhr. Das lässt sich nicht so klar fassen, weil es in der

Nachrichtenwelt eines internationalen Unternehmens leider keinen Pausenknopf gibt.

Meistens zählt auch das Wochenende dazu: Am Samstag wollen die Redakteure der

Sonntagszeitungen betreut werden, am Sonntag sind es dann diejenigen mit den

Ausgaben am Montag.

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Tim Hessenthaler: Wie viel Urlaub haben Sie?

HANS-GERD BODE: Ich habe einige Wochen Urlaub im Jahr. Zuletzt waren wir drei

Wochen am Stück unterwegs, das war sehr entspannend. Trotzdem telefoniere ich

zwischendurch immer mal wieder und lese die wichtigen Emails.

Tim Hessenthaler: Wie bringen Sie Privates und Berufliches unter einen Hut?

Welche Einschränkungen entstehen aufgrund Ihres Berufs?

HANS-GERD BODE: Familiäre Planungen haben manchmal Einschränkungen, da

spontan Unternehmensthemen in die Öffentlichkeit treten, die wir als Kommunikation

managen müssen. Während der Diesel-Krise bei Volkswagen war ich selten

zuhause. Aber die Familie kann damit gut umgehen, das stärkt auch mich.

Tim Hessenthaler: Welche Eigenschaften sind am wichtigsten für Ihre Tätigkeit?

Welche Ihrer Eigenschaften haben Ihnen bei Ihrem beruflichen Aufstieg geholfen?

HANS-GERD BODE: Es muss viel Neugier vorhanden sein, um diesen Job

ausführen zu können. Außerdem muss man kritikfähig sein. Es gibt natürlich Dinge,

die einen sehr stark ärgern, aber diesen Ärger darf man sich nicht anmerken lassen –

das heißt, man muss Emotionen kontrollieren können.

Tim Hessenthaler: Von wem/ inwiefern haben Sie sich bei der Wahl Ihres

Studiums/Ausbildung/Beruf beeinflussen lassen?

HANS-GERD BODE: Ich wollte Journalist werden. Zum damaligen Zeitpunkt haben

Studiengänge wie z. B. Medien- oder Kommunikationswissenschaften noch nicht

existiert. Ich habe dann Germanistik und Geographie auf Lehramt studiert. Nach dem

Studium habe ich das Lehramt nicht angetreten, bin in den Journalismus gewechselt,

habe zunächst ein Volontariat in einer Nachrichtenagentur absolviert und bin dann

relativ schnell in die PR-Branche gewechselt.

Tim Hessenthaler: Haben Sie Vorbilder und wenn ja wen?

HANS-GERD BODE: Große Vorbilder habe ich eigentlich nicht. Ich habe immer

ziemlich außergewöhnliche Chefs gehabt und ich konnte mich in deren Umfeld sehr

gut weiterentwickeln. Sie haben mir sehr große Freiräume ermöglicht. Es war immer

für mich möglich, den nächsten Schritt zu gehen.

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Tim Hessenthaler: Wie motivieren Sie ihre Mitarbeiter?

HANS-GERD BODE: Indem ich ihnen sehr große Freiräume ermögliche, aber auch

konsequent im Einfordern von Ergebnissen bin. Freiräume allein helfen nicht – die

Mitarbeiter müssen Leitplanken kennen, in denen sie sich bewegen können. Wichtig

ist auch, Ziele zu stecken und diese auch immer wieder gemeinsam zu überprüfen.

Wenn Mitarbeiter ein Ziel erreicht haben, sind sie voller Motivation, auch die

nächsten Ziele zu packen. Ganz wichtig ist es auch, mit den Mitarbeitern zu reden.

Man braucht immer ein offenes Ohr und vor allem eine offene Tür. Im Büro kann

jeder zu mir kommen, wenn es etwas zu besprechen gibt: privat, beruflich, wie auch

immer.

Tim Hessenthaler: Inwiefern hat Sie ihre Schulbildung/Studium/Ausbildung auf Ihren

heutigen Beruf vorbereitet?

HANS-GERD BODE: Ein Studium ist grundsätzlich eine wichtige Voraussetzung, weil

man dort selbständiger arbeitet und mehr Initiative zeigen muss, als in der Schule.

Man lernt, sich selber Rahmenbedingungen zu setzen: Was will ich studieren? Wie

will ich das erreichen? So ist man mit einem deutlich breiteren Blick unterwegs. Das

Studium bietet so viele Facetten, so viele Möglichkeiten, mit anderen Menschen

zusammen zu kommen. Das ist ja anders als im Klassenverbund. Und vor allem ist

ganz wichtig, die Möglichkeit zu ergreifen, andere Kulturen und andere Länder

kennen zu lernen. Wenn man einmal den Weg in den Beruf eingeschlagen hat, wird

gerade dieses Vorhaben immer schwieriger.

Tim Hessenthaler: Hatten Sie Rückschläge in Ihrer Karriere? Wenn ja, welche

Lektionen haben Sie daraus gelernt?

HANS-GERD BODE: Rückschläge hat wahrscheinlich jeder, aber meine waren nicht

so gewaltig. Ich habe Grundsätze, die zu diesem Ergebnis geführt haben: Man muss

geduldig sein. Man muss sich auf andere Menschen einstellen. Ich habe schon

häufiger meinen Job gewechselt und habe dabei immer neue Herausforderungen

gesucht. So lernt man, mit vielen Situationen umzugehen.

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Tim Hessenthaler: Gab es Zeiten wo Sie sich nicht sicher waren, ob Sie die richtige

Entscheidung getroffen haben?

HANS-GERD BODE: Ja, das habe ich durchaus auch erlebt. Kein Mensch ist perfekt.

Wichtig ist, nach Fehlern nicht den Kopf einzuziehen und sich weg zu ducken.

Vielmehr bietet eine falsche Entscheidung die Möglichkeit, daraus zu lernen. Bei

Volkswagen wird mittlerweile der Mut zu eigenen Entscheidungen gefördert – ich

hatte ja schon von Freiräumen gesprochen. Das macht die Mitarbeiter

selbstständiger, offener und Prozesse schneller. Fehler werden passieren, aber sind

Teil des Ganzen.

Tim Hessenthaler: Schildern Sie Szenen, die typisch dafür sind, was Ihren Beruf

ausmacht.

HANS-GERD BODE: Ein Journalist meldet sich bei mir und spricht ein

Unternehmensthema an, welches mir bis dahin unbekannt war. Und diese Branche

arbeitet mit großem Zeitdruck, daher benötigt er von uns wie immer möglichst schnell

eine Antwort. Viele Telefonate und große Recherche sind gefragt, bis die

Kommunikation ihm am Ende eine fundierte Antwort geben kann. Als Kommunikator

benötigt man einen guten Blick auf alle Bereiche des Unternehmens, um schnell den

richtigen Ansprechpartner zu kennen. Und das Vertrauen des Vorstands, von dem

die Kommunikation viele Informationen erhält.

Tim Hessenthaler: Wie gehen Sie mit der Verantwortung um? Nehmen Sie das nicht

als Druck wahr?

HANS-GERD BODE: Das lernt man im Laufe seiner Karriere natürlich, weil die

Verantwortung immer größer wird. Jetzt stehe ich an der Spitze der Kommunikation

der Volkswagen Gruppe, habe weltweit über tausend Mitarbeiter und bin natürlich

genauso für diese Mitarbeiter verantwortlich, wie auch für die öffentliche

Wahrnehmung eines Unternehmens mit einem Umsatz in Milliardenhöhe und

600.000 Mitarbeitern. Man steht in unserem Job an einer Stelle, an der man auch

Unternehmenskrisen auslösen kann und darüber muss man sich im Klaren sein.

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Tim Hessenthaler: Wie gehen Sie mit Lampenfieber um? Haben Sie Tipps?

HANS-GERD BODE: Lampenfieber ist ganz normal und ereilt auch mich immer

wieder. Ob nun vor Fernsehkameras oder hunderten von Menschen: Bei öffentlichen

Auftritten ist gute Vorbereitung alles, um Lampenfieber klein zu halten. Es hilft, die

Situation im Vorhinein genau zu kennen, so wirkt man professionell. Jede Person in

der Öffentlichkeit hat ein eigenes Mittel, mit Lampenfieber umzugehen. Aber vorher

sich noch einmal solide mit einem anderen Thema beschäftigen und zur Ruhe

kommen, das ist ein guter Tipp von meiner Seite.

Tim Hessenthaler: Was ist Ihre tägliche Motivation mit der Sie Ihre Tätigkeit

ausführen, vor allem, wenn sich der Beruf so sehr mit dem Privaten vermischt?

HANS-GERD BODE: Man findet im Laufe der Karriere schon einen Weg, es

miteinander zu verbinden. Was mich täglich motiviert, ist der Reiz, etwas schaffen zu

können, etwas bewegen zu können und natürlich am Ende des Tages etwas positiv

bewegen zu können. Da liegt eine riesige Herausforderung. Wenn die Zeiten etwas

stressiger sind, finde ich mit meiner Familie immer eine Möglichkeit, das an anderer

Stelle auszugleichen.

Tim Hessenthaler: Würden Sie ihren Beruf/Berufsrichtung unserer Generation

weiterempfehlen? Wenn ja, wieso? Wenn nein, wieso nicht?

HANS-GERD BODE: Ich kann jeder Person empfehlen, eine Karriere in der

Kommunikation zu starten. Es ist kein Job, der einen geregelten Tagesablauf hat.

Jeder Tag ist anders, jeden Tag gibt es vielfältige Themen. Die Medienwelt hat

gewaltigen Einfluss auf die Gesellschaft – und in diesem Feld mitzuspielen, das ist

schon eine spannende Herausforderung. Zumal sich unsere Grundprinzipien gerade

komplett ändern: Durch die Digitalisierungen sind die Printredakteure die Dinosaurier

und die neuen Blogger und Online-Journalisten erobern die Branche. Nicht nur

unsere Themen sind also immer im Wandel, auch unsere Zielgruppen, mit denen wir

tagtäglich zu tun haben. Eine nicht enden wollende Dynamik.

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Tim Hessenthaler: Welche 3 Ratschläge wollen Sie uns Schülern für den

Karriereschritt mitgeben?

HANS-GERD BODE: Mein erster Ratschlag ist, das zu machen, worauf ihr Lust habt.

Das klingt banal, ist aber das wichtigste für eine spannende Karriere. In den Jahren

eurer Schulzeit habt ihr ja ein Gefühl bekommen, wo eure Interessen liegen. Darauf

solltet ihr hören.

Dann müsst ihr schauen: Wo könnte ich das, was ich mir vorstelle ausprobieren, da

gibt es ja interessante Möglichkeiten. Und wenn man nach einer gewissen Zeit merkt:

Oh, das ist doch nichts für mich, dann schadet es nichts, noch einmal einen Schritt

zurückgehen und dann vielleicht wieder mit etwas Anderem anzufangen. Das Leben

ist lang genug. Arbeit soll nicht lästig sein, denn sonst fällt die Motivation schwer.

Das Geld sollte übrigens auch nicht im Fokus stehen. Mein zweiter Rat: Versucht

immer, andere Kulturen und Länder kennenzulernen. Der eigene Horizont öffnet sich

dadurch für andere Denkweisen und das ist insofern hilfreich, als kaum ein

Unternehmen heutzutage nur in einem Land tätig ist. Außerdem profitiert die eigene

Entwicklung unheimlich davon.

Und als dritten Ratschlag würde ich euch zum Abschluss gerne einen kurzen Spruch

mit auf den Weg geben, der gerade bei Berufseinsteigern auf den ersten Schritten in

Unternehmen oft Wunder wirkt: „Alle sagten: Das geht nicht. Dann kam einer, der

wusste das nicht und hat's einfach gemacht.“

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Tim Hessenthaler: Wie würden Sie Ihre bisherige Karriere zusammenfassen?

Alex & Nico: Wir haben in der 11. Klasse angefangen Mathe-Nachhilfevideos auf

Youtube hochzuladen. Die erste Version von TheSimpleClub war geboren.

Inzwischen haben wir ein Team aus 20 Leuten und produzieren professionelle

Lerninhalte in 8 Fächern. TheSimpleClub ist mit über 1,3 Mio. Abonnenten

Deutschlands reichweitenstärkster Anbieter für Online-Nachhilfe.

Tim Hessenthaler im Gespräch mit…

Alexander Giesecke & Nicolai Schork Gründer von TheSimpleClub

(© Bild)

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Tim Hessenthaler: An welchen Projekten arbeiten Sie zurzeit, was erhoffen Sie sich

davon?

Alex & Nico: Wir arbeiten im Moment am Aufbau unserer eigenen Lernplattform.

Unser Ziel ist es, dass wir mit der Plattform die eine Anlaufstelle bieten, wenn

Schüler & Studenten beim Lernen etwas nicht verstehen.

Tim Hessenthaler: Was waren Ihre 3 größten Sternstunden?

Alex & Nico: 1. Als wir unseren ersten 1.000 Abonnenten hatten. Da wussten wir,

dass die Reichweite über den eigenen Freundeskreis hinausgeht und wir langsam

das notwendige Anfangsmoment aufgebaut hatten.

2. Als wir als Youtube-Partner bei Mediakraft Networks angenommen wurden. Ab

dem Zeitpunkt wussten wir, dass wir extrem professionelle Unterstützung bekommen

würden und im Nachhinein betrachtet, war es tatsächlich so.

3. Der Zeitpunkt als wir das Konzept vor ersten potentiellen Investoren gepicht haben

und alle es umwerfend fanden. Da wussten wir, dass selbst die erfahrensten

Unternehmer Deutschlands das Potential in unserer Idee sehen.

Tim Hessenthaler: In wie weit würden Sie sagen, Sie haben Ihr Hobby/Ihr Interesse

zum Beruf gemacht?

Alex & Nico: 50:50. Einerseits hatten wir TheSimpleClub als Schüler neben der

Schule angefangen, was es in gewisser Weise zum Hobby macht. Andererseits

haben wir es nie gemacht, weil wir zu viel Zeit übrig hatten, sondern weil wir wirklich

etwas bewegen wollten. Allerdings könnte man TheSimpleClub aber schon als unser

Hobby bezeichnen, weil wir jede Sekunde unseres Jobs lieben.

Tim Hessenthaler: Schildern Sie Szenen, die typisch dafür sind, was Ihren Beruf

ausmacht.

Alex & Nico: Ständig mit der Zielgruppe in Kontakt sein (über Facebook, Youtube,

etc. Kommentare), um genau zu wissen, was gerade gebraucht wird.

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Tim Hessenthaler: Wie motivieren Sie Ihre Mitarbeiter?

Alex & Nico: Indem wir ihnen vor Augen führen, dass sie eine ganze Generation

bewegen und Teil einer Revolution des Lernverhaltens von Schülern sind. Was

macht Ihnen am meisten Spaß an Ihrer Tätigkeit? Die Kombination: Wir verdienen

Geld damit, anderen Leuten zu helfen. Meistens denken Leute, dass entweder das

eine oder das andere geht. Wir haben aber einen Weg gefunden, beides miteinander

zu verknüpfen.

Tim Hessenthaler: Welche Ihrer Eigenschaften haben Ihnen bei Ihrem beruflichen

Aufstieg geholfen?

Alex & Nico: Dadurch, dass wir die Firma gegründet haben, mussten wir uns nicht

innerhalb der Firma um Aufstieg kümmern. Stattdessen konzentrieren wir uns drauf,

das Beste aus uns rauszuholen, was möglich ist.

Tim Hessenthaler: Wie bringen Sie Privates und Berufliches unter einen Hut?

Welche Einschränkungen entstehen aufgrund Ihres Berufs?

Alex & Nico: Das wichtigste ist, dass man sich immer nur auf eine Sache

konzentriert, während man sie macht. Wenn man sich einen festen Zeitraum setzt, in

dem man nur arbeitet oder nur Zeit mit der Familie verbringt, dann funktioniert das

einwandfrei.

Tim Hessenthaler: Hatten Sie Rückschläge in Ihrer Karriere? Wenn ja, welche

Lektionen haben Sie daraus gelernt?

Alex & Nico: Große Rückschläge haben wir bisher noch nicht erlebt, zumindest nie

so empfunden. Natürlich gibt es immer wieder Probleme bzw. besser gesagt

Hindernisse, die einen zunächst daran hindern, sein Ziel zu erreichen. Wenn man

aber lernt auf solche Hindernisse richtig zu reagieren und wenn nötig Taktik und

Strategie zu ändern, kommt man immer an sein Ziel.

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Tim Hessenthaler: Gab es Zeiten wo Sie sich nicht sicher waren, ob Sie die richtige

Entscheidung getroffen haben? Wenn ja, wie sind Sie durch diese Zeiten

durchgekommen? Welche Fehler würden Sie heute nicht mehr machen?

Alex & Nico: Wir kamen bisher nie in eine solche Situation. Wenn wir vor einer

Entscheidung stehen, wägen wir alle Optionen ab, die wir haben und entscheiden

uns für die mit dem größtmöglichen Potential. Wenn sich später herausstellen sollte,

dass diese Entscheidung falsch war, wissen wir, dass wir alles in unserer Macht

Stehende getan haben, schauen uns an, was wir trotzdem falsch gemacht haben

und lernen daraus.

Tim Hessenthaler: Haben Sie Vorbilder? Wenn ja, Wen?

Alex & Nico: Lewis Howes, Gary Vaynerchuk, Steve Cook, Tony Robbins, Tim

Ferriss.

Tim Hessenthaler: Welchen Stellenwert messen Sie Geld zu?

Alex & Nico: Geld ist niemals der Grund, sondern der Effekt.

Tim Hessenthaler: Wie gehen Sie mit der Verantwortung um? Nehmen Sie das nicht

als Druck wahr?

Alex & Nico: Nein, wir sehen Verantwortung nicht negativ, sondern realisieren, dass

es ein Synonym für Chancen ist.

Tim Hessenthaler: Was machen Sie anders als andere in Ihrer Branche?

Alex & Nico: Wir entwickeln erst etwas, was den Nutzern unglaublich hilft und geben

ihnen alles was sie brauchen. Erst dann schnüren wir ein Geschäftsmodell darum,

das aber ebenfalls auf einer Win-Win-Mentalität basiert.

Tim Hessenthaler: Was ist Ihre tägliche Motivation, mit der Sie Ihre Tätigkeit

ausführen?

Alex & Nico: Wir helfen einer ganzen Generation an Schülern und sind für zukünftige

Generationen verantwortlich.

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Tim Hessenthaler: Würden Sie Ihren Beruf/Berufsrichtung unserer Generation

weiterempfehlen? Wenn ja, wieso? Wenn nein, wieso nicht?

Alex & Nico: Auf alle Fälle. Der Grundsatz, mit einem Job Geld zu verdienen, bei

dem man anderen Leuten hilft, ist unglaublich erfüllend.

Tim Hessenthaler: Welche 3 Ratschläge wollen Sie uns Schülern für den

Karriereschritt mitgeben?

Alex & Nico:

1) Schreibt euch auf einem Blatt Papier alle Stärken und Schwächen auf die ihr habt.

Der erste Schritt ist Self-Awareness, sich also über sich selbst im Klaren sein.

2) Überlegt euch gut, was euch glücklich machen würde. Macht es euch glücklich,

Leuten zu helfen? Macht es euch glücklich, etwas Revolutionäres zu entwickeln?

Macht es euch glücklich 4 Stunden die Woche zu arbeiten und den Rest zu chillen?

Dieser Schritt ist enorm wichtig, um sich darüber bewusst zu werden, in welche

Richtung man gehen muss, um sein Glück zu finden.

3) Malt euch euer perfektes Leben im Kopf aus. Stellt euch vor, wie ihr das Leben

eurer Träume habt. Was fühlt ihr? Wo seid ihr? Was macht ihr? Wie sieht euer

Tagesablauf aus? Vergesst komplett, was alles schiefgehen kann, sondern

konzentriert euch NUR darauf, wie es am Ende aussehen müsste, damit ihr glücklich

seid. Geht richtig tief ins Detail. Und dann schreibt euch alles auf einen Zettel, faltet

ihn und legt ihn irgendwo ab, wo ihr ihn wiederfindet. Diesen Zettel lest ihr immer

dann, wenn ihr mal Motivation braucht. Das ist das, wo ihr hinwollt.

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Jothini Sritharan im Gespräch mit…

Ranga Yogeshwar Moderator, Wissenschaftsjournalist und Physiker

(© Bild)

©

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Jothini Sritharan: Sie haben ja Physik studiert und oftmals geht man dann in

Richtung Forschung, also bleibt direkt an der Universität, oder aber geht in die

Industrie. Sie haben aber den Weg in Richtung Moderation eingeschlagen. Wie ist es

dazu gekommen?

RANGA YOGESHWAR: Also zuerst einmal ist es interessanterweise so, dass nur

der geringste Teil der Menschen, die Physik studieren, wirklich danach auch Physik

in ihrem Beruf im Alltag dann machen. Ich habe einmal einen Berufsführer

mitverfasst und da haben wir das genau untersucht, also insofern ist es gar nicht

atypisch, dass einer, der Physik studiert, am Ende möglicherweise gar nicht Physik

im Alltag praktiziert. In meinem konkreten Fall war das einfach eine sehr persönliche

Überlegung meinerseits: mein Leben nach meinen Vorlieben, Stärken, Neigungen

auszurichten, eine sehr bewusste Entscheidung.

Jothini Sritharan: Sind Sie geradlinig in den Bereich Medien gekommen?

RANGA YOGESHWAR: Nein, wenn man hier überhaupt von geraden Linien reden

kann in diesem Kontext, habe ich viel geschrieben und zwar manchmal so etwas,

was Vermittlung betrifft, also Dinge erklärt, teilweise auch sehr politisch. Also ich

habe ein Anliegen, also Themen gesellschaftlicher Relevanz zu beleuchten. In der

Folge war es dann so, dass ich zu den Medien kam. Mein Ziel war es aber nicht

ursprünglich vor der Kamera zu stehen. Das ergab sich danach, ist übrigens heute

immer noch nicht das, was mich im Fernsehen hält.

Jothini Sritharan: Sondern?

RANGA YOGESHWAR: Inhalt. An Inhalten arbeiten und insofern Inhalte a) selber

verstehen und b) so zu reduzieren, dass man sie einer breiten Gesellschaft

vermitteln kann. Mit dem Hintergrund, dass inhaltliche Arbeit im Journalismus immer

auch mit gesellschaftlicher Relevanz und am Ende sogar auch vielleicht mit

Demokratie zu tun hat. Bei Sendungen wie Quarks und Co. ist es so, dass ich einen

ganz großen Stab von Kollegen habe, also ich kann nicht mehr jeden Beitrag selber

machen. Aber mir ist es wichtig, dass es sich wirklich in dem Inhaltlichen entwickelt.

Was übrigens dazu führt, dass ich nur eine begrenzte Zahl an Sendungen machen

kann/machen darf.

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Jothini Sritharan: Welche Voraussetzungen und Qualifikationen braucht man für

Ihren Beruf?

RANGA YOGESHWAR: Ich glaube zuerst einmal, dass das, was ich tue, kein

regulärer Beruf ist. Insofern geht es darum, dass wahrscheinlich eine Handvoll

Menschen in Deutschland genau das tun, was ich tue und insofern ist es schwer, bei

so Wenigen allgemeingültigen Regeln aufzustellen. Ich bin eher einer, der nicht

unbedingt sagt, dass das was ich tue, nur ein Vorbild ist für andere.

Insofern tue ich mich da schwer, weil es ist ein Gemisch ist aus vielen verschiedenen

Dingen wie Neugier, Interesse, tatsächliche Kompetenz nach und nach in

bestimmten Bereichen, Empathie, was das Miteinander betrifft, Teamfähigkeit,

Beharrlichkeit. Aber das alleine ist wahrscheinlich nicht ausschlaggebend. Am Ende

hat es auch mit vielen Faktoren zu tun, die man kaum konkret benennen kann:

Warum akzeptieren den Zuschauer den einen, wenn er was erklärt, und den anderen

nicht?

Jothini Sritharan: Wussten Sie schon am Anfang ihres Studiums, dass Sie in den

Bereich Moderation gehen wollen?

RANGA YOGESHWAR: Das war nicht so, dass ich in den Bereich Medien gehen

wollte. Es ist eher so, dass ich heute, wenn ich junge Leute treffe, die sagen „Ich

möchte etwas mit Medien machen“ ihnen eher davon abrate.“

Jothini Sritharan: Aus welchem Grund?

RANGA YOGESHWAR: Ja also das ist meine ganz persönliche Überzeugung. Ich

glaube, dass Medien manchmal eigentlich ganz am Ende stehen. Und dass es um

Inhalte geht und dass ich mir immer wünsche, dass Menschen, die in den Medien

arbeiten auch irgendwo eine sehr solide Grundhaltung haben. Auch eine

Grundhaltung, was die Inhalte betrifft, eine Kompetenz, weil wir sonst so

Medienprodukte haben, die nur noch aus sich heraus den Selbstbezug zu den

Medien herstellen.

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Jothini Sritharan: Sie haben sich ja auch einmal in der Berufsfindung befunden.

Wussten Sie von Anfang an, dass Sie Physik studieren wollen oder gab es

irgendwelche Einflüsse von der Schule, vom Elternhaus?

RANGA YOGESHWAR: Als ich 18 war, drehte mein Kompass in alle Richtungen und

das tut er zum Teil heute noch. Es ist nicht so, dass ich geboren wurde und mir im

Sandkasten klar war, was ich tue, sondern es sind dann sehr persönliche Neigungen,

vielleicht auch Zufälle. Seien wir ehrlich: wenn heute ein junger Mensch oder als ich

damals noch jung war, sich für ein Studium entschieden hat, dann kauft man die

Katze im Sack.

Man hat eigentlich keine Ahnung, wofür man sich entscheidet. Man hat vielleicht eine

grobe Vorstellung, oft trifft sie auch nicht das, was es dann auch wirklich ausmacht.

Wenn man studiert, glaube ich, ist es viel einfacher, wenn man sich versucht etwas

klarzumachen: Man investiert, ich sag mal für die nächsten 5 Jahre. Die tiefere Frage

ist, sich für ein Thema oder einen Bereich zu entscheiden, einfach im Hinblick, was

möchte ich die nächsten fünf Jahre intensiver betreiben. Nicht mehr, nicht weniger.

In dem Moment wird es einfacher sich zu entscheiden. Wenn man das eine oder

andere tut, sei es nur, man macht es mit Leidenschaft. In dieser Phase habe ich

mich sehr intensiv mit Physik auseinander gesetzt und fast alles, was ich da gelernt

habe, hat heute in meinem jetzigen Beruf in den Fragestellungen eine sekundäre

Bedeutung. Aber ich bin trotzdem ganz froh, dass ich diese Erfahrung einmal hatte.

Wichtig ist mir für die jüngeren Leute, dass man diese Auswahl nicht nur

berufsorientiert, sondern vor allem auch neigungsorientiert trifft.

Jothini Sritharan: Und inwiefern haben Ihre früheren Interessen Einfluss auf Ihren

jetzigen Beruf genommen?

RANGA YOGESHWAR: Eigentlich viel. Interessen bestehen ja nicht nur aus

Sachinteressen, sondern es ist auch eine Frage der Haltung. Wenn man Glück hat,

dann versucht man sehr konsequent die spätere berufliche Orientierung mit den

Interessen und Neigungen in Einklang zu bringen.

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Jothini Sritharan: Gibt es einen beruflichen Alltag bei Ihnen, wenn Sie teilweise

einen 16-Stunden Arbeitstag haben oder ist jeder Tag für sich einzigartig?

RANGA YOGESHWAR: Eher Letzteres. Mir geht es eher darum, dass ich das

mache, was ich gerne tue. Bei mir ist es so, dass auch mal das Privatleben ins

Berufsleben einfließen kann. Zu meinen Aufgaben gehören unter anderem

Meetings, Telefonate tätigen, Filme drehen, Drehbücher schreiben. Es gibt einfach

Momente, bei denen ich keine Mails beantworte und keine Telefonate annehme. Man

muss versuchen, bei sich zu bleiben und immer wieder für sich Phasen der

Fokussierung finden.

Jothini Sritharan: Was ist das für ein Gefühl, wenn man das Produkt seiner Arbeit

hinterher beispielsweise im Fernsehen betrachten kann?

RANGA YOGESHWAR: Ich glaube, es geht eher weniger um das Endprodukt. Die

Arbeit an sich ist ja die Befriedigung.

Jothini Sritharan: Wenn Sie auf Ihre Karriere zurückblicken, gab es da irgendwelche

Höhepunkte, Wendepunkte oder aber auch Rückschläge in Ihrem Leben und wie

sind Sie damit umgegangen?

RANGA YOGESHWAR: Natürlich gibt es immer wieder Momente des Glücks, aber

auch Phasen des Zweifelns. Das gehört einfach dazu. Es ist mir wichtig, dass man

immer wieder seine Arbeit reflektiert. Ich glaube auch, dass es ein Stück

Wahrnehmung ist. Es gibt Dinge, die ein Außenstehender als Höhepunkt bezeichnen

würde, die für einen selber aber gar nicht so das Ausschlaggebende sind. Wichtiger

ist eine Kontinuität, also bin ich in der Lage gewisse Dinge täglich zu machen, weil

Höhepunkte ja oftmals nur von kurzer Dauer sind.

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Jothini Sritharan: Sie haben ja erwähnt, dass Ihr Beruf kein regulärer Beruf ist, den in

der Hinsicht auch nur wenige Menschen ausüben. Was macht Ihrer Meinung nach

Ihren Beruf so einzigartig?

RANGA YOGESHWAR: Der Beruf ist tatsächlich einzigartig. Man erhält die Chance

eine enorme Vielzahl an Dingen zu sehen und erleben, und das macht ihn so

besonders.

Jothini Sritharan: Haben oder hatten Sie Vorbilder, an denen Sie sich orientieren?

RANGA YOGESHWAR: Ich hatte keine Vorbilder. Es ist eher sogar ein Prinzip bei

mir, weil ich immer sage, man sollte nicht in die Fußstapfen eines anderes treten,

weil man ihn dann nicht überholen kann. Und das ist die eigentliche

Herausforderung. Es ist eine Sache, die nicht einfach ist, aber die auf Dauer total

befriedigend ist.

Jothini Sritharan: Und zum Schluss: Was können Sie uns Berufseinsteigern mit auf

den Weg geben?

RANGA YOGESHWAR: Das Wichtigste ist ständig auf seine eigene innere Stimme

zu hören. Ich finde es total wichtig, dass man bei sich bleibt und sich selber fragt, „Ist

das richtig für mich?“.

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Timo Holten im Gespräch mit…

Ursula Keck Oberbürgermeisterin der Stadt Kornwestheim (© Bild)

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Timo Holten: Wie sind Sie überhaupt Oberbürgermeisterin geworden? – ist nun

einmal nicht der alltäglichste Beruf, den man ergreifen kann.

URSULA KECK: Bei mir war das eine Entwicklung: ich komme aus der

Verwaltungslaufbahn, bin studierte Diplomverwaltungswirtin FH und hab dann

verschiedene Aufgabenfelder in der Verwaltung durchlaufen, verschiedene Stufen

durchlaufen. Irgendwann hab ich mir gedacht, dass ich jetzt so eine Erfahrung habe,

schon so viele Aufgaben bewältigt habe und just dann habe ich in der Zeitung

gelesen, dass die Gemeinderatsfraktionen einen OB Kandidaten suchen. Da ich hier

direkt daneben in Mühlhausen gewohnt habe, habe ich mich mit meinem Mann

besprochen und wir sind dann zu dem Ergebnis gekommen, dass wir zumindest

einmal in die Vorgespräche einsteigen und dann einmal sehen, ob man dort

überhaupt eine Chance hat, als Kandidatin nominiert zu werden.

Timo Holten: Also eine ganz stufenmäßige Karriere – nicht von 0 auf 100?

URSULA KECK: Nein bei mir war das ganz stufenmäßig, war so nicht geplant, war

so nicht vorprogrammiert, da kam wirklich Schritt für Schritt eines zum anderen.

Timo Holten: Wie sieht dann heute Ihr beruflicher Alltag aus?

URSULA KECK: Mein beruflicher Alltag sieht so aus, dass man ihn nicht beschreiben

kann, weil jeder Tag anders ist und bei mir in der Regel nur besondere,

außerplanmäßige Termine ankommen, d.h. die Routineanlässe, die man immer im

Rathaus macht, die Anmeldungen, Abmeldungen, Bauanträge, also das, was ein

Bürger üblicherweise macht, findet bei uns in den Fachabteilungen statt.

Die Termine, die bei mir laufen, sind sehr situativ: ich hatte zum Beispiel noch nie

zwei junge Schüler bei mir, die sich mit dem Thema Berufsbegleitung beschäftigen.

Ich habe auch das große Glück, dass ich mir meine Termine ein bisschen aussuchen

kann und dann mache ich auch Termine, wo ich Lust draufhabe. Allgemein fange ich

um 8:30 Uhr an und dann ist es bei mir so, dass ich eigentlich nie vor 20 Uhr nach

Hause komme, aber dann versuche ich spätestens um 22 Uhr zu Hause zu sein.

Wenn es nach 23 Uhr wird, rufe ich immer meinen Mann an, aber das sind

Einzelfälle: da habe ich dann Sorge, dass ich im Aufzug stecken bleibe und mich

keiner vermisst.

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Timo Holten: Also kein Beruf für Leute, die das schnelle Geld verdienen wollen und

nicht dafür arbeiten wollen?

URSULA KECK: Nein, es ist kein Beruf für Leute ohne Idealismus, es ist kein Beruf

für Leute, die nicht neugierig sind und es ist kein Beruf für Leute, die auf die Uhr

schauen, sondern da gehört schon viel Idealismus und Freude am Arbeiten dazu.

Timo Holten: Ein Beruf mit Herzblut schlechthin also!

URSULA KECK: Absolut!

Timo Holten: Was würden Sie sagen, was Ihren Beruf so einzigartig und besonders

macht, was gefällt Ihnen am besten?

URSULA KECK: In der Regel gehe ich zu Fuß ins Büro und gehe natürlich auch zu

Fuß wieder nach Hause, und wenn ich heimgehe abends, denke ich mir immer „was

war das Besondere dieses Tages“. In all meinen Berufsjahren gab es keinen Tag, wo

mir nichts eingefallen ist, was besonders war. Genau das zeichnet meinen Beruf aus,

dass es jeden Tag einen besonderen Moment oder eine besondere Begegnung mit

besonderen Gesprächen gibt, wo ich jeden Tag sage: das war der Höhepunkt des

Tages. Das freut mich selber und gibt mir jeden Tag auf dem Heimweg ein Gefühl

der Zufriedenheit, was man wohl nicht in jedem Beruf von sich sagen kann.

Timo Holten: Können Sie Ihren Beruf dann jedem empfehlen?

URSULA KECK: Nein, würde ich nicht, denn ich finde, man muss sehr genau

überlegen, ob man das machen will. Man muss bereit sein, einen Teil seines Lebens

der Öffentlichkeit bereitzustellen, sodass die Familie, Ehemann, Ehefrau, Kinder das

auch mittragen müssen. Ich würde jedem raten, sich sehr genau zu überlegen, ob er

diesen Weg gehen möchte“.

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Timo Holten: Viele Leute teilen Ihre Meinung, dass Sie ohne die Familie wohl vieles

im Job nicht aushalten würden.

URSULA KECK: Das ist eben vor allem bei solchen öffentlichen Ämtern die

Besonderheit: wenn ich jetzt beispielweise bei Daimler oder Bosch arbeite, gehe ich

da morgens hin, komme abends zurück und da ist das völlig egal, ob ich verheiratet,

geschieden, mit oder ohne Kinder bin, aber in so einem öffentlichen Amt, nimmt die

Öffentlichkeit immer Anteil am familiären Leben; daher ist es wichtig, dass die Familie

dies mitträgt.

Timo Holten: Was braucht man außer der Familie noch für Voraussetzungen und

oder Eigenschaften für Ihren Beruf?

URSULA KECK: Ich glaube, dass man Durchhaltevermögen braucht, ich glaube,

dass man Optimismus braucht, dazu Gelassenheit, aber am meisten braucht man

den Spaß und die Neugier an Menschen, die man trifft und ein Verständnis für die

Belange der Leute hat. Daher ist es ganz wichtig, neugierig zu sein, auf was die

Leute erzählen.

Timo Holten: Bei der Vielzahl Ihrer Kontakte – hat Ihnen jemand bei Ihrer Karriere

geholfen oder waren Sie immer auf sich allein gestellt?

URSULA KECK: Dazu muss man natürlich sagen, dass der Beruf bei mir nicht

vorgezeichnet war; ich komme aus keiner elitären Akademiker Familie - ich komme

aus einer Arbeiterfamilie. Mein Vater ist verstorben als ich 15 Jahre alt war, wir sind 4

Geschwister, d.h. vieles war nicht darauf abgestellt, dass einer von uns Karriere

macht oder in ein politisches Amt geht – meine Eltern waren eher unpolitisch.

Alles was ich mir im Laufe der Zeit angeeignet habe, ist tatsächlich entstanden durch

meine eigene Arbeit, aber wenn man dann einmal wie ich 10, 15 Jahre in der Region

Stuttgart unterwegs ist, baut man sich schon einen Bekanntenkreis auf, der einen

dann auch mitunterstützt und mitträgt – sie können in so einem Amt nicht sein, ohne

Menschen die sie begleiten und beraten. Dies sind aber keine Bekannten, die aus

der Familie kommen, sondern aus dem beruflichen Alltag.

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Herr Waldenmaier ist hier z. B. jemand, den ich durch das Amt kennengelernt habe

und der für mich eine wichtige Bezugsperson darstellt, da ich ihn auch einfach einmal

um Rat fragen kann, bei dem ich ein ehrliches Feedback bekomme und der sich

auch in andere hineinversetzten kann. Man braucht nämlich keine Gesprächspartner,

die die ganze Zeit Recht geben, sondern anregen nachzudenken – sehr wertvolle

Wegbegleiter, die man einfach braucht.

Timo Holten: Hatten Sie konkrete Vorbilder als Sie Ihren Beruf gewählt haben?

URSULA KECK: Als ich 1986 mit der Ausbildung fertig war, gab es noch keine Frau,

die Bürgermeisterin war – kann man sich heute nicht vorstellen; dadurch war das Amt

der Bürgermeisterin nie ein Ziel für mich, da dies in meinem Lebensbild überhaupt

nicht vorkam. Von daher konnte ich mich an niemandem orientieren, weshalb ich

heute Vorbild sein möchte, auch für junge Frauen, die sich dadurch dann motiviert

fühlen, in höhere Positionen zu gehen.

Verantwortung ist jedoch nicht für jedermann etwas: ich plädiere dafür, dass jeder

erst einmal in sich hineinhören soll, was zu einem passt; jeder muss für sich selbst

herausfinden, was seine Talente sind.

Ich werbe dafür, dass junge Leute sich Übungsfelder suchen, also z.B. als

Schülersprecher, Schriftführer in einem Verein, Jugendwart, oder wenn man sich in

der Kirche engagiert, hat man die Möglichkeit sich auszuprobieren. Erst dann kann

man feststellen, ob jenes Spaß macht und interessiert oder ob man vom der

jeweiligen Tätigkeit gelangweilt ist, ob man eher mitläuft oder ob man eher die

Verantwortung übernimmt. Nur so kann jeder für sich sagen, wo sein Platz im Leben,

im Beruf und in der Gesellschaft ist.

Timo Holten: Für Sie gibt es also keine allgemeine Formel, die man auf jeden

anwenden werden kann?

URSULA KECK: Es gibt keine Formel, die den richtigen Beruf für jeden herausfindet,

das muss man selbst tun. Ich weiß noch, als ich Abitur gemacht habe, habe ich

meine Talente nicht gekannt – heute glaube ich, dass durch die musikalische und

sportliche Förderung viel mehr Experimentierfelder vorhanden sind als früher.

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In der Schule selbst findet man schon seine Grundneigungen heraus, bei mir waren

es die Zahlen, mit denen ich nicht so konnte – daher hätte ich auch nie Kämmerin im

Rathaus werden können.

Timo Holten: Ihr Ratschlag Nummer eins an Schüler ist also, sich erst einmal

klarwerden, was man tun möchte und was man überhaupt für Fähigkeiten hat?

URSULA KECK: Genau, dazu kommt noch, sich selbst aktiv um solche Übungsfelder

zu bemühen – es ist zu wenig, wenn ich darauf warte, dass einem so etwas zufliegt.

Daher werbe ich auch dafür, dass Schüler auch einmal in den Ferien ein Praktikum

absolvieren, um das Arbeitsumfeld kennenzulernen.

Timo Holten: Denken Sie, dass das heute ein Problem ist, dass die Schüler nicht

mehr wissen, was sie machen wollen und leichtfertig denken „Irgendwas werde ich

schon finden, wo genug Geld bei rausspringt“?

URSULA KECK: Das ist jetzt ein Vorurteil, da muss ich aufpassen was ich sage –

allerdings sehe ich das wirklich so, dass Jugendliche zu wenig die Möglichkeit

nutzen, Ferienarbeit zu machen, Praktikum zu machen, sich in verschiedenen

Feldern zu bewegen - gerade im sozialen Bereich bei der Arbeit mit Senioren ist es

sehr schwierig Schüler zu finden.

Timo Holten: Noch einmal zurück zu Ihrem Berufsalltag: Was sind Ihre größten

Sternstunden aber auch Tiefpunkte Ihrer Karriere gewesen?

URSULA KECK: Das lässt sich nicht so pauschal sagen: die Wahl zur

Oberbürgermeisterin war ein ganz großer emotionaler Moment, negative Momente

finden sich eher in meinem privaten Umfeld, das eben auch seine Höhen und Tiefen

hat.

Timo Holten: Sie hatten es bereits angesprochen: wie verbinden sie Privatleben und

Arbeit, wenn sie z. B. erst abends um 22 Uhr nach Hause kommen?

URSULA KECK: Das ist tatsächlich ein schwacher Punkt, den man in diesem Beruf

sicherlich hat und wo man vielleicht Dinge vernachlässigt, die man nicht

vernachlässigen sollte und daher auch manchmal ein schlechtes Gewissen hat.

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Timo Holten: Würden Sie Ihren Beruf heute trotzdem wiederwählen?

URSULA KECK: Ich würde ihn wiederwählen, denn ich mache ihn gern und

überzeugt, aber ich würde, wenn ich einmal in meiner Laufbahn zurückgehe, das

eine oder andere Mal meine Zeit etwas anders einteilen.

Timo Holten: Das heißt einen kürzeren Weg auf den Posten der Oberbürgermeisterin

nehmen?

URSULA KECK: Nein, ich denke dabei eher an meine Mutter, die in den letzten 1,5

Jahren immer mehr dement geworden ist, wo man sich doch denkt, ob man die

Samstage nicht besser in Besuchen hätte verbringen sollen, anstatt sich für

Veranstaltungen oder andere Aktivitäten, die der Beruf mit sich bringt, zu

entscheiden – das macht einen dann schon manchmal nachdenklich.

Timo Holten: Welche drei Regeln würden Sie für ihren Beruf festlegen?

URSULA KECK: Offenheit, Ehrlichkeit und Partnerschaft in Form von Kollegialität

und Begegnungen auf Augenhöhe.

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Timo Holten im Gespräch mit…

Alfred Waldenmaier Ehemaliger Schulleiter des Ernst-Sigle-Gymnasiums Kornwestheim (Bild: Quelle privat)

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Timo Holten: Wir werden Sie jetzt einfach interviewen, ich denke, das ist für Sie

nichts Neues: ganz chronologisch: erzählen Sie uns einfach einmal, wie Sie in Ihren

Beruf gekommen sind.

ALFRED WALDENMAIER: Ok, kann ich machen; auch chronologisch: schon als

Kind, als Schüler war mir klar, dass ich Lehrer werden will. Ich habe also nie den

Umweg über Feuerwehrmann oder Astronaut oder James Bond genommen, sondern

direkt auf den Beruf des Lehrers – ich habe meine eigenen Hausaufgaben und Hefte

korrigiert; das war brutal mit viel rot und furchtbar schlechten Noten; da habe ich erst

gedacht „bist du ein Sadist, wirst du vielleicht ein schlechter Lehrer, der nur um des

Korrigierens willen Lehrer wird?“ - Nein, einfach so der Umgang mit Leuten und das

ganze Umfeld Schule war mir von Anfang an sehr positiv.

Dann nach dem Abitur sofort an die Uni in Stuttgart, Physik studiert, und schon nach

dem Vordiplom konnte ich den Lehrermangel damals in den 70er Jahren ausnützen

und hab dann hier an der Schule zwei Jahre lang als Student Mathe unterrichtet.

Einmal eine neunte Klasse und eine zehnte Klasse – die waren kaum jünger als ich

(damals 21), größtenteils 17-18-Jährige. Das war nicht so ganz einfach, aber beiden

Seiten hat es nicht geschadet und hat es furchtbar viel genützt, weil ich gemerkt

habe, dass das etwas für mich ist. Nach dem Studium kam das Referendariat in

Zuffenhausen und in Ludwigsburg, bevor ich dann 1976 wieder ans Ernst-Sigle

Gymnasium als Mathe- und Physiklehrer gekommen bin. Hab mich dann hier gleich

in allen Ecken rumgetrieben, war Verbindungslehrer, Stundenplanmacher,

Rektoratsassistent nennt sich das und nach alledem wurde mir rasch klar, dass ich

ein bisschen mehr möchte, als nur unterrichten. Ich bin dann 1986 nach

Markgröningen als stellvertretender Schulleiter und nach weiteren 4 Jahren dann

nach Ludwigsburg ans Mörike Gymnasium gegangen.

1990 bin ich dann 13 Jahre Schulleiter gewesen ehe ich zufällig den Herrn

Drehmann, (Dr. Drehmann war mein Vorgänger hier am ESG) im Urlaub auf Amrum

getroffen habe. Der sagte mir, dass er nächstes Jahr in Rente gehen wolle. Meine

Idee, vielleicht auch noch ins Ministerium oder sowas zu wechseln, hatte ich längst

aufgegeben, weil für mich der Lebensraum Schule immer das Wichtigste war.

Wohlbefinden hier wäre durch nichts zu ersetzen mit vielleicht 200-300 € mehr im

Ministerium oder im Präsidium. Daher dann auch der Wechsel an meine alte Schule;

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ich gebe es zu, am ESG hängt ein bisschen mehr dran, nicht nur der Job, wie gesagt

auch die Schüler, Lehrer, als Schulleiter und zwischendurch auch Vater (meine

Kinder haben hier auch Abi gemacht), ist viel Emotionales dabei. Daher verlängere

ich auch um ein Jahr, da ich eigentlich am Ende des Schuljahres pensioniert worden

wäre; kann aber ein Jahr länger machen, einfach, weil ich ein altes Zirkuspferd bin,

das aus Überzeugung Lehrer und Schulleiter geworden ist. Wenn ich gefragt werde,

ob ich all das noch einmal machen würde: kein Haar anders, genauso!

Timo Holten: Würden Sie uns sagen, was in Ihrer Zeit Ihre drei größten

Erfolgserlebnisse waren, was hat Ihnen am besten gefallen?

ALFRED WALDENMAIER: Wenn ich ganz ehrlich bin, am allerbesten gefallen haben

mir die ersten 10 Jahre. Weil ich, ob ihr es glaubt oder nicht, damals eine 8. Klasse

als Klassenlehrer in Mathe und Physik übernommen hatte. Mit denen bin ich sofort

nach der 1. Woche für 2 Wochen ins Schullandheim gefahren und danach war ich

wieder Klassenlehrer in 8, 9, 10 und 11. Die meisten der Schüler haben damals

Leistungskurs Physik gewählt, woraufhin ich auch noch Tutor bis zum Abitur war.

Dieses Erlebnis mit einer Gruppe von vielleicht 25 jungen Menschen 6 Jahre

zusammen zu verbringen, das war eines meiner schönsten Erlebnisse aber auch

erfolgreichsten, weil alle was geworden sind. Nach dem Abitur haben wir uns sofort

geduzt und wenn wir uns heute sehen, ist das für mich - und ich glaube auch für die

ehemaligen Schüler - immer eine Freude.

Schön war natürlich auch in jungen Jahren Schulleiter in Ludwigsburg zu werden, wo

außer dem Mörike Gymnasium auch noch drei weitere Gymnasien vorhanden waren.

Dort gab es ein paar „Krusten“, die sich über die Jahre hinweg gebildet hatten. Diese

als junger Schulleiter aufzubrechen und dort ein bisschen nach vorne zu preschen

und neue Ideen zu entwickeln war schon ein großer Erfolg für mich. Im 2. Jahr hat

die Schule dann mehr Anmeldungen gehabt als alle anderen 3 Gymnasien

zusammen, was vielleicht nicht ganz im Sinne des Ministeriums war.

Der dritte Erfolg war letztendlich meine „Heimkehr“ an das ESG, was für mich ein

unglaublich emotionaler Moment war, weil ich an eine Stätte, an der ich mal Schüler

war und Abi gemacht habe, genau dort wieder als Schulleiter aufgetaucht bin.

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Timo Holten: Mussten Sie für den Schritt vom Lehrerberuf zur Schulleitung noch ein

weiteres Studium abschließen?

ALFRED WALDENMAIER: Die Frage ist mehr als berechtigt, denn man wechselt,

wenn man vom Lehrer zum Schulleiter „mutiert“ tatsächlich den Beruf. Man bleibt

zwar immer Lehrer und das ist gut so. Es gibt allerdings Länder, wo der Schulleiter

nur noch Administratives macht und nicht mehr unterrichtet, dies halte ich persönlich

für völlig falsch. Man muss eigentlich als Schulleiter tatsächlich mindestens eine

Klasse unterrichten, ideal wären zwei, aber aus Zeitgründen ist es ja so, dass man

letztendlich doch nur eine Klasse unterrichtet.

Zu der Frage, ob ich dafür noch einmal studiert habe – nein. Damals musste man -

das gibt es heute gar nicht mehr - dreimal eine Woche lang auf ein Kadettenseminar.

Kandidaten für Schulleiter mussten dreimal eine Woche zu einem Seminar in die

Einsamkeit des Schwarzwaldes, wo man dann ein bisschen informiert wurde, einige

Tricks und Tipps bekam, aber auch - und das war das Hauptsächliche - überprüft

wurde, ob man geeignet ist.

Das war eine ziemlich anstrengende Zeit – die dreimal eine Woche – dafür bekam

man hinterher auch eine Würdigung, wo man entweder eine Niete gezogen hat, wo

drinstand „nicht geeignet“ oder „weniger geeignet“ oder nur „geeignet“ oder wenn

man Glück hatte – das hatte ich – stand drin „sehr gut geeignet“. Mit diesem Prädikat

konnte man sich dann relativ rasch eine Schule aussuchen.

Timo Holten: Wie hat sich dann das Berufsbild inzwischen geändert, denn Sie haben

ja gesagt, dass diese Seminare nur früher stattfanden?

ALFRED WALDENMAIER: Aus finanziellen Gründen gibt es das jetzt so nicht mehr.

Die heutigen Schulleiter werden sogar auf Probe bestellt, also für 2 Jahre Probe-

schulleiter und danach werden sie noch einmal überprüft, ob auch alles klappt. Es

kam schon vor im Ländle, dass es nicht geklappt hat. Einmal aus der Sicht des

Ministeriums bzw. Regierungspräsidiums aber auch und das ist der häufigere Fall,

dass der Kollege oder die Kollegin nein sagt. Der Job ist für mich nichts. Denn man

muss schon eine stabile Psyche haben, um vor allem den Druck auszuhalten, den

man als Schulleiter bekommt, von allen Seiten übrigens, dass man diesen aushält.

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Also der Job ist zwar hochinteressant und macht mir persönlich viel Spaß, aber er

stellt Anforderungen, die nicht jeder hat; und zwar per se nicht hat – die kann man

auch nicht lernen; eine stabile Psyche kann man zwar ein Stück weit antrainieren,

aber eine gewisse Basis muss da sein.

Timo Holten: Was war Ihre Motivation, Rektor zu werden?

ALFRED WALDENMAIER: Die Vielfalt – ich bin einer, der es gern abwechslungs-

reich hat, deshalb überhaupt schon Lehrer. Lehrer finde ich, ist ein Beruf, der jeden

Tag anders ist, obwohl man sagt, es ist immer das gleiche: „Satz des Pythagoras“ –

den unterrichten Sie jetzt schon 40 Jahre, das ist doch eigentlich Routine.

Jaja klar, aber die Leute die vor einem sitzen, sind immer anders, reagieren anders,

der Zeitgeist entwickelt sich - die Schüler von vor 30 Jahren und die jetzigen sind

überhaupt nicht miteinander vergleichbar; Extremfall in den 60er Jahren als ich

Schüler war, da war die außerparlamentarische Opposition, die waren wir hier in der

Schule, wir waren die ersten, die im Abiball in Jeans aufgetreten sind. Wir haben

Flugblätter von oben in die Aula fliegen lassen und haben die Internationale

gesungen. Das war eine unglaublich politische Zeit; die Schüler jetzt sind eine, wie

soll ich das sagen, mehr mediengeprägte Generation, die vor mir sitzt und man sich

manchmal vorkommt wie Thomas Gottschalk – man wird „weggezappt“, das merkt

man richtig, wenn man zu langweilig wird, dann drücken die Schüler wie auf den

virtuellen Knopf und flutsch weg bist du. Da muss man wieder eine Werbesendung

einfließen lassen, damit du die Herde wieder einsammeln kannst.

Also diese Anforderungen haben sich eigentlich permanent verändert und ich denke,

dass ist das, was unseren Beruf auch für mich so schön macht, dass die Anforderung

stets bleibt und man nicht in irgendeine Routine verfällt, die einen letztendlich auch

selbst nicht mehr fordert. Dadurch wird man bequem und wenn man bequem wird,

wird man nicht mehr gut.

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Timo Holten: Würden Sie Ihren Beruf dann heute wiederwählen?

ALFRED WALDENMAIER: Klar, wie schon mehrfach erwähnt, ist er einer der

schönsten Berufe, die ich kenne - wenn man das alles aushält, wenn man nicht

daran zerbricht - Wenn also ein Elternteil kommt und beklagt, dass schon wieder

Stunden ausfallen und behauptet alle Eltern sagen das, da ist man dann, wenn man

dies das erste Mal hört schon ziemlich verzweifelt bis man merkt, dass das gar nicht

alle Eltern sind, sondern nur derjenige, der dir das sagt, und der glaubt, dass alle

anderen genau so denken.

Dieses Heer der „Linksfahrer“, die immer denken, dass sie auf der richtigen Spur

sind, obwohl sie genau auf der Falschen sind. Wenn man das erst einmal erkennt

und erst einmal filtert, was wirklich ernst zu nehmen ist, was man aussetzten muss,

wo man Kritik annehmen muss. Das ist übrigens auch ein wichtiger Punkt, dass man

in der Lage ist, Kritik zu ertragen und diese auch richtig umzusetzen; also, wenn man

all diese Dinge, diese Eigenschaften erfüllt, glaube ich, dann ist mein Job ein richtig

guter.

Timo Holten: Wer oder was hat Ihnen auf Ihrem Weg am meisten geholfen?

ALFRED WALDENMAIER: Zum einen die Unterstützung der Familie, für mich ein

ganz wesentlicher Punkt, dass man dann, wenn man vom Job heimkommt, eine

Möglichkeit hat, den Kopf zu leeren aber dann auch ein harmonisches Familienleben

zu führen, wo man auch unterkommt, wie man so schön sagt; wo sich das Adrenalin

abbaut und wo man vielleicht auch Dinge tun kann, die das kompensieren, was man

den Tag so hatte.

Die zweite Voraussetzung - und das sage ich ganz ehrlich - ist für mich der Sport.

Die körperliche Ertüchtigung für mich persönlich. Manche wissen es: ich gehe in der

Mittagspause oft ins Fitnessstudio, mache da eine Dreiviertelstunde Ausdauer und

danach frisch geduscht und mit einem Joghurt bewaffnet, gehe ich wieder in die

Schule – das hilft mir sehr.

Diese beiden Dinge sind die, wo ich mir Entspannung und vielleicht auch Gesundheit

hole bzw. bewahre.

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Timo Holten: Hatten Sie ein bestimmtes Vorbild bei Ihrer Karriere, wo Sie meinten:

so will ich auch werden?

ALFRED WALDENMAIER: Ja, unbedingt: sogar zwei, beides Mathe- und Physik-

lehrer, der eine war hier Lehrer und ging in Ruhestand, bevor ich hier Schulleiter

wurde; ich durfte aber noch zu seinem 40-jährigem Jubiläum die Laudatio halten.

Ganz früher mein Ur-Mathelehrer, leider längst verstorben, der war eigentlich für

mich der Typ Lehrer, den ich gerne erreichen wollte ohne es zu haben, denn eins

darf man nicht probieren, und das wisst ihr auch: die Kopie ist nie so gut wie das

Original. Man muss alles ein bisschen zurechtschnitzen auf sein eigenes Profil, auf

seinen eigenen Charakter.

Timo Holten: Was war das, das Sie an diesen Lehrern so fasziniert hat?

ALFRED WALDENMAIER: Ihre Art mit Schülern umzugehen: dieses konsequent und

streng sein und trotzdem beliebt zu sein; ihr wisst, was ich meine. Es gibt ja Lehrer,

die haben so eine herrliche natürliche Autorität, denen nimmt der Schüler auch nichts

übel. Wenn ein Lehrer dieser Art aus Versehen Rindvieh zu einem Schüler sagt, das

nimmt er ihm nicht übel; aber, wenn ein anderer, der weniger beliebt ist, das sagt,

dann geht man zum Staatsanwalt. Ich will jetzt auch nicht sagen, dass Lehrer

„Rindvieh“ zu Schülern sagen sollen, aber dass diese unterschiedlichen Lehrertypen

unterschiedlich sein dürfen.

Timo Holten: Das heißt, Sie können einfach jedem raten, sich Vorbilder zu suchen?

ALFRED WALDENMAIER: Eine Vorbildfunktion ist, glaube ich, in jedem Beruf nicht

schlecht und daher ist auch wichtig, sich bewusst zu sein, dass man ein Vorbild sein

kann – gerade als Lehrer; dass man weiß, es könnte gerade ein Schüler zusehen.

Das ist eine Verantwortung, die man da trägt, ein Vorbild sein zu können bzw. zu

wollen. Auch Leistungssportler oder Popstars sind ja in der Regel alle irgendwie

Vorbilder und wenn die vorleben, wie es nicht sein soll, dann haben sie irgendetwas

falsch gemacht – ihr wisst, was ich meine: Drogen und weiß der Geier was alles

noch…

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Timo Holten: Sie haben ja jetzt schon einige Eigenschaften genannt, die man

vielleicht haben sollte - was würden Sie dazu weiter noch empfehlen?

ALFRED WALDENMAIER: Zunächst einmal finde ich, dass es wichtig ist, sein Fach

gut zu beherrschen – eine ganz grundsätzliche Voraussetzung.

Diese war früher eher evident, aber in letzter Zeit, ich weiß nicht woher es kommt,

gibt es immer wieder Fälle, dass der Lehrer in seinem eigene Fach ein bisschen

„schwimmt“ und das ist eine schlechte Voraussetzung. Das andere ist die natürliche

Autorität, so dass man einfach als Person von den Schülern anerkannt wird.

Ersteres von diesen zwei Dingen kann man vielleicht noch erlernen, das andere

muss man rauskriegen. Ich finde es nicht schlecht, dass man neuerdings während

dem Studium schon Praktika machen muss, dass der Student an die Schule muss,

um sich einmal ein Bild zu machen, wie das ist, wenn man vor einer Klasse steht.

Denn es ist ein Unterschied, ob man als Schüler im Plenum sitzt oder als Lehrer

vorne als einzelner steht – ein Riesenunterschied – da zerbrechen manche daran. Ich

habe ja vorhin schon erwähnt, dass ich das Glück hatte schon als Student

unterrichten zu dürfen, ein großer Vorteil, da meine erste Referendarstunde nicht

meine erste Stunde überhaupt war, die ich dagehalten habe – nach 2 Jahren ja fast

schon beliebig.

Darüber hinaus muss man Schüler nicht als Monster verstehen. Nietzsche hat,

glaube ich, einmal gesagt „Wer mit Monstern zu tun hat, wird selbst eins“ – es gibt

viele Lehrer, die kommen in eine Klasse hinein und empfinden, dass die Schüler faul

sind, nichts tun, nur herumschreien, undiszipliniert sind und so weiter – das ist eine

falsche Einstellung. Natürlich sind Schüler manchmal Monster, ihr wisst, wie ich das

meine, vor allem dann wenn ihr eine Klassenarbeit geschrieben habt: als Mathelehrer

hat man eine Superstunde vorbereitet, alles bereit und dann kommen die rein,

gerade eine Französischarbeit zurück: „ich hab n‘ Fünfer, was hast du?“,

„Gemeinheit, viel zu schwer“; die fängt man nie ein in dieser Stunde, eine

wunderschöne Stunde geht vor die Hunde – da empfindet man die Schüler schon ein

wenig als Monster; zurück zum Thema: um die Schüler zu ertragen, muss man sie

schon lieben, wobei das das falsche Wort ist, eher mögen in ihrer Gesamtheit.

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Timo Holten: Das hört sich jetzt insgesamt so an, als wäre eigentlich alles immer gut

rund gelaufen – gab es auch einen Punkt, wo Sie gesagt haben, jetzt würde ich

gerne auch einfach mal hinschmeißen, etwas ganz Neues anfangen?

ALFRED WALDENMAIER: Es gab Punkte der Frustration in einigen Formen und

Arten, die meistens politisch begründet waren: Ich war Präsident der

Direktorenvereinigung, also der Sprecher der Schulleiter aller Gymnasien Baden-

Württembergs, wo man auch ein bisschen die Möglichkeit hatte, an den Stühlen zu

rücken – im Zentimeterbereich; zum Beispiel habe ich erreicht, dass die zweite

Fremdsprache nicht schon in Klasse 5 stattfindet – eine ganze Zeitlang ernsthaft

im Gespräch; gemäß dem Motto: „die Schüler bringen von der Grundschule Englisch

mit, da können wir doch gleich den Gymnasiasten zutrauen, dass die auch noch

Französisch oder Latein dazubekommen“. Da haben wir erfolgreich gekämpft – hier

allerdings kein Beispiel für Frustration an anderer Stelle jedoch schon, als wir bemüht

waren, das G8 in „gesunder“ Form „auf die Welt“ zu bringen.

Das hat mich wahnsinnig geärgert, dass das wie der Blitz aus heiterem Himmel

flächendeckend in ganz BW unterrichtet wird; mit dem gleichen Abiturniveau, also

viel mehr Unterricht, den ganzen Tag Schule – das G8 ist jedoch nur mit einer

Ganztagesschule möglich. Den ganzen Tag Schule und Ganztagesschule sind ein

Unterschied! Ganztagesschule meint Konzepte, Rhythmisierung, Personalbesetzung,

so dass der Schüler, wenn er um halb sechs abends aus der Schule geht, wirklich

fertig ist und nur noch vielleicht Vokabeln zu lernen braucht. Ohne Erprobung und

dementsprechend gefrustet war ich damals auch darüber.

Ähnlich geht es heute mit der Gemeinschaftsschule weiter, die mich jedoch nicht so

trifft: an sich eine gute Idee, aber schlecht gemacht. Genau diese Dinge, dass man

manchmal das Gefühl hat, man bekommt einfach von den Ministerien, von denen,

die letztendlich die Entscheidung tragen müssen, sehr unprofessionelle Dinge

vorgesetzt – und das ärgert mich.

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Oder auch, und das kommt auch häufig vor, wenn Kritik, vorhin haben wir es schon

einmal davon gehabt, unberechtigt und in massiver Form vor allem öffentlich (in der

Zeitung) geübt wird, ohne dass ich vorher um eine Stellungnahme gebeten wurde.

Da wacht man morgens auf bzw. sitzt am Frühstückstisch und liest Zeitung, da fällt

dir das Brötchen aus dem Mund – schon mehrfach vorgekommen, in letzter Zeit

weniger, aber in meiner Anfangsphase in Ludwigsburg noch schlimmer; zwischen

den Gymnasien gab es durchaus Kabale und Liebe, Intrigen ohne dass die

Schulleiter dies wollten, auf Elternebene mithilfe der Presse – und das sind Dinge,

die tun weh.

Timo Holten: Was wäre da Ihr Erfolgsrezept mit solchen „unschönen“ Sachen

umzugehen? Aussitzen oder …?

ALFRED WALDENMAIER: Das ist unterschiedlich: Aussitzen ist oft die einzige

Möglichkeit, die man hat, abends ein Bier trinken… Aussitzen ja, vor allen Dingen

nicht sofort zu schnell in die Offensive gehen. Den berühmten Leserbrief nachts um

elf schreiben ja, und zwar mit Wut und Rage, jedoch dann in den Papierkorb werfen.

Dieses zu schnell und zu heftig reagieren machen übrigens manche Eltern, ich

spreche da immer von den 13:05 Telefonaten; kurz nachdem die Schule aus ist

kommen die Kinder nach Hause und erzählen von dem Fünfer in Mathe und dem

bösen Lehrer… Die Mutter gleich sofort zum Telefon…Meistens ist das Quatsch und

das wisst ihr genau: zumeist erzählen die Schüler daheim die „gebeugte“ Wahrheit,

insofern muss man alles erst einmal bisschen setzten lassen und sich nähere

Informationen holen. Erst dann, wenn man mehr weiß als nur den Zeitungsartikel

oder die Aussage von irgendeiner rabiaten Mutter oder Vater, kann man das auf eine

sachliche Ebene bringen.

Dazu sucht man sich, wie in meinem Fall, gerne einen Verbündeten, z.B. den

Schulleiter eines Nachbargymnasiums, um zu fragen, wie er eigentlich damit umgeht.

Dann fängt dieser entweder gleich an zu heulen – dann lege ich allerdings gleich

wieder auf, denn das bringt mir ja nichts – oder aber er hat eine Idee und redet

darüber.

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Timo Holten: Einmal ohne den Fokus auf das Thema Schule: Was würden Sie

Berufseinsteigern und Schulabgängern mit auf den Weg geben?

ALFRED WALDENMAIER: Ganz wichtig und ich glaube - das versäumen manche -

ist es, erst selbst rauszubekommen, was man denn selbst gern machen will – mit

Betonung auf gern. Manchmal hat man das Gefühl, man braucht einfach einen Beruf,

wo man möglichst nichts können muss aber trotzdem möglichst viel Geld verdient.

Ich habe dazu einmal ein paar Aufsätze von Schülern der Mittelstufe gelesen, wie sie

sich ihr Leben später einmal vorstellen: um 9 Uhr beginnen, mit einem schönen

Kaffee mit den Mitarbeitern, dann zuerst Kind in die Kita bringen, dann wird es

irgendwie Mittag, wo man gemeinsam Essen geht – als gemeinsames Erlebnis trotz

schlechtem Essen – und um 16 Uhr Feierabend mit anschließendem Abholen des

Kindes aus der Kita und überlegen, wohin man in den Urlaub fährt. Das ist natürlich

wünschenswert, hat mit der Realität möglicherweise jedoch nichts zu tun. Wenn man

Erfolg haben will, muss man wenigstens ein bisschen was tun, egal was man tut –

aber, wenn man das gern tut, dann macht es einem wesentlich weniger aus, als

wenn man etwas macht, was man überhaupt nicht will – das jeden Tag von morgens

bis abends immer mit dem Blick auf die Uhr ob der Zeiger schneller rumgeht - das ist

Lebenszeitvernichtung. Gerne machen heißt natürlich auch, dass man ein Talent

dafür hat, ich glaube nicht, dass jemand gern Ski fährt, der nach 5 Metern umfällt.

Skifahren macht auch erst Spaß, wenn man es kann, ebenso verhält es sich im

Beruf. Lehrjahre sind gewiss keine Herrenjahre, da muss man einfach durch. Ebenso

gibt es Phasen, wo es recht mühsam ist. Wenn man aber ein Ziel hat, von dem man

weiß, dass man es gerne erreichen würde, sind Berufsbilderbörsen, wo Leute einem

erzählen, was sie den ganzen Tag so tun, sinnvoller und besser als jede

Berufsberatung. Berufsberatung ist eben: wie werde ich studieren, tausend

Prüfungen – aber mit jemandem zu reden, der den Job hat und jeden Tag macht – so

wie ihr mich hier auch gerade löchert, so ein bisschen hören, wie steht der auch zu

seinem Beruf, oder sagt er mein Gott, noch 270 Tage bis zum Ruhestand…

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Ich war bereits sehr früh in der Jugendarbeit tätig, im Sportverein als Übungsleiter,

auch im kirchlichen Bereich als Pfadfinder und habe das immer toll empfunden,

bisschen mehr als Alphatierchen, der Leader der Gruppe zu sein und mit denen

irgendwas zu machen. Schon als 17-Jähriger hat man mir die Aufsicht bei einem

Ausflug auf eine Skihütte im Kleinwalzertal mit Jugendlichen übertragen. Diese Dinge

haben mir schon immer unglaublich viel Spaß gemacht und Freude bereitet, nicht nur

die eigenen Hausaufgaben korrigieren; auch der Umgang mit Schule: meine

schönste Zeit war vielleicht die im Schullandheim, das gemeinsame Erlebnis – ich bin

Einzelkind, vielleicht kommt das noch dazu- dass ich quasi als Ersatz für

Geschwister bei meinen Schulkameraden mein persönliches Umfeld gesucht habe,

das ich übrigens bis heute bewahrt habe – Auch nicht ganz typisch, dass jemand wie

ich so bodenständig ist, also immer in Kornwestheim gewohnt, gelebt und gewirkt

hat, sondern auch dass man seinen Bekanntenkreis auf hier konzentriert hat. Das ist

sicher nicht eine Sache, die man verallgemeinern kann, die aber auf mich zutrifft;

weiter habe ich mich auch nie durch andere irritieren lassen, die sagten „sag mal, du

musst doch auch einmal in die große weite Welt“ – über Markgröningen habe ich es

nicht hinausgebracht, aber das hat mir überhaupt nichts ausgemacht, da mir hier

immer am wohlsten war. Auch noch heute: nach 3 Wochen Urlaub will ich wieder

nach Hause.

Timo Holten: Sie haben das Beispiel mit Thomas Gottschalk und den

gesellschaftlichen Veränderungen im Lehrerberuf gebracht – lässt sich dies auch auf

andere Berufe übertragen?

ALFRED WALDMEISTER: Ja, aber nicht nur bei der heutigen Generation, sondern

auch bei der darüber, bei der Elterngeneration, wo sich ein enormer Wechsel

vollzogen hat. Man merkt es oft an Kleinigkeiten: ich erinnere mich noch an

Ludwigsburg, wo täglich diese „daily soap operas“ im Fernsehen liefen; in der Schule

haben die Schüler dann plötzlich diese Szenen nachgespielt. Im Physikunterricht

merkte ich, dass irgendetwas von Hand zu Hand geht: was ist denn das? Es war ein

Tanga, ein Slip woraufhin ein Mädchen sagte, dass das ihrer sei. Das war tatsächlich

so im Drehbuch geschrieben, „wir klauen der irgendwann einmal so einen von

daheim und machen das im Unterricht“. Bei der Überlegung bei wem sie es machen

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können, sind sie dann auf den „Waldi“ gestoßen, da er ja ein lockerer Typ ist, der das

aushält.

Ich wusste nicht, ob das in diesem Fall ein Lob für mich gewesen war, eher nicht,

aber da war für mich klar, dass die Sache mit der „daily soap opera“ in einer

Dimension liegt, die die Schüler irgendwo beeinflusst; jetzt ist das, glaube ich, nicht

mehr so, die Sachen sind verflacht, ausgereizt. Mittlerweile sind es eher so die

Computerspiele oder das Handy, da mit dem Handy auch gefilmt werden kann.

Vielleicht habt ihr das auch schon mitbekommen, wird ziemlich viel Blödsinn gemacht

– wir haben nächstes Jahr sogar dafür einen Pädagogischen Halbtag nur zu diesem

Thema. Ich habe schon mit Kollegen von anderen Schulen gesprochen, es ist also

wirklich so, dass sich Schüler auch bei unerträglichen Situationen filmen und dies

dann ins Netz stellen – Dinge die es früher so nicht gab. Mir sagte einmal einer, dass

wir früher diese Möglichkeiten eben nicht gehabt hätten, der Wille zu so etwas ist

aber etwas Anderes. Überhaupt in der Entwicklung der Schüler im Bereich der

Sexualität oder des Drogengebrauchs/Missbrauchs sind merkwürdige Ver-

änderungen zum Teil zum Positiven passiert – Rauchen ist, glaube ich, nicht mehr so

in – früher war Rauchen fast Gang und Gäbe. Wenn man früher das Rauchverbot

durchgesetzt hätte, wären die auf die Barrikaden gegangen. Rauchen hat sich in der

Gesellschaft also doch etwas verändert, Alkohol und Cannabis- im Kornwestheimer

Gemeinderat gibt es schon den Antrag zum Anbau von Cannabis- sind andere

Themen.

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Nele Schauer: Wie würden Sie Ihre bisherige Karriere zusammenfassen? Was waren

Ihre 3 größten Sternstunden?

Catrin Boldebuck: Sternstunden: Aufnahme bei der Henri-Nannen-Schule (von 3000

Bewerbern wurden 36 genommen), Entwicklung und Leitung des Magazins Campus

& Karriere für den Stern, interne Mitarbeit an der redaktionellen Weiterentwicklung

des Stern (2012/2013)

Nele Schauer im Gespräch mit…

CATRIN BOLDEBUCK Ehemalige Leiterin der Pressestelle der Deutschen Schulakademie. Aktuell: Redaktionsleitung Dr. v. Hirschhausens Stern Gesund Leben (© Bild)

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Nele Schauer: Zu welchem Zeitpunkt/woher wussten Sie, welchen Beruf Sie später

einmal machen wollen?

Catrin Boldebuck: Nach einem Praktikum – unter den Print-Journalisten habe ich

mich mit Abstand am wohlsten gefühlt (mehr als beim Fernsehen oder beim

Rundfunk).

Nele Schauer: Wie kam es dazu, dass Sie in Ihre heutige Führungsposition

gekommen sind?

Catrin Boldebuck: Jahrelange Erfahrung in dem Bereich (habe u.a. über Bildungs-

politik und den Deutschen Schulpreis geschrieben), Kontakte zu meinen jetzigen

Arbeitgebern.

Nele Schauer: Welche Eigenschaften sind am wichtigsten für Ihre Tätigkeit? Welche

Kompetenzen sind wichtig in Ihrer Branche?

Catrin Boldebuck: Interesse an Sprache/Sprachgefühl, technisches Verständnis (für

die Produktion z. B. des Newsletters), Verständnis („Auge“) für Grafik und Bilder,

inhaltliches Interesse an Bildung und Fachwissen, Neugier (sehr wichtig),

Hartnäckigkeit, Fähigkeit auf Menschen zuzugehen.

Nele Schauer: Wie bringen Sie Privates und Berufliches unter einen Hut?

Catrin Boldebuck: Man lernt damit durch Routine und Erfahrung umzugehen. Die

neuen Medien (z. B. Mails jederzeit auf dem Smartphone lesen zu können) sind be-

und entlastend zugleich.

Nele Schauer: Welche Einschränkungen entstehen aufgrund Ihres Berufs?

Catrin Boldebuck: Der Beruf ist eher entgrenzend, d.h. Berufliches und Privates

verschwimmen oft. Man muss lernen, sich abzugrenzen und sich zu organisieren.

Die Arbeit in den Medien ist kein „9 to 5“-Job.

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Nele Schauer: Hatten Sie Rückschläge in Ihrer Karriere? Wenn ja, welche Lektionen

haben Sie daraus gelernt?

Catrin Boldebuck: Misserfolge gehören zum Leben und zum Berufsalltag, z.B.

Geschichten fallen durch, werden kritisiert. Mich hat das angespornt besser und

präziser zu werden. Richtig große Misserfolge hatte ich zum Glück bisher nicht.

Nele Schauer: Was macht Ihnen am meisten Spaß an Ihrer Tätigkeit?

Catrin Boldebuck: Immer neue Leute kennenzulernen, sich immer wieder in neue

Themen einzuarbeiten, immer dazuzulernen.

Nele Schauer: Inwiefern hat Sie ihre Schulbildung auf Ihren heutigen Beruf

vorbereitet?

Catrin Boldebuck: In meinem Job braucht man eine breite Allgemeinbildung, muss

neugierig auf die Welt sein. Alle sprachlichen Fächer (Englisch, Deutsch, Politik,

Erdkunde, Geschichte) waren gut für meine Allgemeinbildung. Auch Mathe für

Statistik, ich habe gelernt Zahlen zu lesen.

Nele Schauer: Von wem/ inwiefern haben Sie sich bei der Wahl Ihres Berufes

beeinflussen lassen?

Catrin Boldebuck: Ich habe viele Praktika gemacht, mich ausprobiert und dabei

gesehen welche Tätigkeiten mir liegen. Wo sehe ich Chancen für mich? Was für

Menschen arbeiten in dem Beruf?

Nele Schauer: Inwieweit haben Sie ihre Interessen zum Beruf gemacht?

Catrin Boldebuck: Mich interessieren Menschen, ihr Zusammenleben als Gruppe in

einer Gesellschaft. Daraus entstand mein Interesse an Geschichte. Ich schreibe nicht

über Geschichte und nicht (mehr) über Politik. Aber Schule ist für mich Gesellschaft

im Kleinen, ein Abbild von Gesellschaft – insofern eine logische Entwicklung.

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Nele Schauer: Welche Herausforderungen kommen in Ihrer Branche auf uns zu?

Wie sollen wir damit umgehen?

Catrin Boldebuck: Digitalisierung ist ein großes Thema in den Medien: Menschen

können sich heute ganz anders Zugang zu Informationen beschaffen. Aber wissen

sie auch, was sie da lesen? Wer hat es mit welcher Absicht ins Netz gestellt? Fake-

News sind eine große Herausforderung für die Gesellschaft. Dem müssen sich

Journalisten und alle, die in der Kommunikation arbeiten, stellen. Angst vor

Veränderung zu haben nützt dabei nichts.

Nele Schauer: Was ist Ihre tägliche Motivation, mit der Sie ihre Tätigkeit ausführen?

Catrin Boldebuck: Nette Kollegen, spannende, neue Begegnungen, der Reiz, dass

kein Tag wie der andere ist.

Nele Schauer: Welche 3 Ratschläge wollen Sie uns Schülern für den Karriereschritt

mitgeben?

Catrin Boldebuck: Lass euch nicht einschüchtern, traut euch etwas zu. Ihr müsst

heute noch nicht wissen, was ihr mit 35 Jahren macht, aber fangt an! Findet heraus,

was ihr wollt/könnt – nur darin werdet ihr richtig gut werden. Seid neugierig und offen,

für alle Dinge und Menschen, die Euch begegnen werden.

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Carrie Lee: Wussten Sie bereits zu Beginn ihrer Jugend/Kindheit, ob Sie genau in

diesen Bereich gehen werden?

MANFRED BECHTEL: Diesen Bereich wusste ich nicht, aber ich habe schon immer

gewusst, dass ich selbständig werde. Das war einfach mein Ziel und ich wurde

höchstwahrscheinlich auch vom Elternhaus geprägt.

Carrie Lee im Gespräch mit…

MANFRED BECHTEL Geschäftsführer Bechtel Baumanagements (© Bild)

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Carrie Lee: Was genau beinhaltet Ihre Aufgabe als Geschäftsführer?

MANFRED BECHTEL: Ich stehe jeden Tag direkt mit meinen Kunden in Kontakt,

welche alle Hausbesitzer sind. Meistens sind es Mehrfachhaus- und Grundbesitzer

mit größeren Häusern. Dabei beschäftige ich mich mit der Erhaltung der Gebäude.

Dazu gehört natürlich auch die Bewirtschaftung oder Verkauf einer Immobilie. Für

junge Menschen , welche ein bestehendes Haus kaufen möchten oder wissen wollen

wie man es umbauen kann und mit welchen Kosten dies verbunden ist, biete ich

auch Kaufberatung an. So ist mein Alltag, jeden Tag beim Kunden Vorort.

Carrie Lee: Wann wurde Ihre Firma gegründet?

MANFRED BECHTEL: Im Grunde habe ich mich eingeheiratet und mache es jetzt

selber schon 30 Jahre.

Carrie Lee: Als Geschäftsführer trägt man enorme Verantwortung. Wie gehen Sie

damit um?

MANFRED BECHTEL: In dem Augenblick, wenn man sich zur Selbstständigkeit

verpflichtet, weiß man, dass man die Verantwortung hat und dann lebt man die

Verantwortung.

Carrie Lee: Heutzutage sagt man, dass es für Schüler besonders schwer ist, den

richtigen Berufsweg zu finden. Was ist Ihre Einschätzung über diese Aussage?

MANFRED BECHTEL: Ich finde nicht, dass es schwer ist. Wenn jemand etwas

leisten will, bin ich fest davon überzeugt, dass er immer seinen Weg findet. Es ist

schwierig in der Wahl durch die Vielzahl an Berufen. Wenn ich richtige liege, haben

wir heutzutage beinahe 6000 verschiedene Berufe. Genau diese Vielzahl macht es

vielleicht den jungen Menschen schwierig sich zu orientieren. In den Schulen jedoch

gibt es frühzeitig Möglichkeiten in die Betriebe reinzuschnuppern. Worauf ich hinaus

will ist, es liegt vielleicht auch schon an den jungen Menschen selber. Man sollte

nicht darauf warten, dass etwas passiert, sondern sein Leben selber in die Hand

nehmen.

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Carrie Lee: Wie sind Sie mit Schwierigkeiten in Zeiten des Studiums und der

Ausbildung umgegangen?

MANFRED BECHTEL: Es ist immer die Frage des inneren Willens, ob man kämpfen

will. Sicherlich es gibt Ausnahmen, aber ich bin überzeugt, dass wir in Zukunft auch

noch Arbeitsplätze in Hülle und Fülle haben werden. Ich persönlich komme aus

der Baubranche und dort gibt es Arbeitsplätze ohne Ende.

Carrie Lee: Was motiviert Sie, jeden Tag ihre Tätigkeit auszuüben?

MANFRED BECHTEL: Ich habe einen schönen Beruf und sehe jeden Tag meine

Werte, die ich schaffe. Wenn ich aus einem alten Haus wieder ein Neues schaffe

oder den Grundriss verändere, Fassaden gestalte, dann sehe ich mein Werk.

Zum Abschluss: Welche Ratschläge würden Sie den Jugendlichen geben in ihrer

Berufswahl?

MANFRED BECHTEL: So früh als möglich sich für den Beruf interessieren und so

früh als möglich selber immer wo es geht Hand anlegen und mitmachen. Einfach

zugreifen. Die Jugend hat eine Riesenchance und sollte sie nutzen.

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Sven Bode im Gespräch mit…

Martina Wörner Leiterin der Volkshochschule Ludwigsburg (© Bild)

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Sven Bode: Wie würden Sie Ihre bisherige Karriere zusammenfassen?

MARTINA WÖRNER: Obwohl meine Studienfächer (Politikwissenschaft,

Germanistik, Romanistik) für den Lehrerinnenberuf geeignet sind, wollte ich nie

Lehrerin werden. Mein eigentliches Berufsziel war der Journalismus, weswegen ich

auch mehrere Praktika in diesem Bereich absolvierte. Doch dann ergab sich ein Job

in der Erwachsenenbildung, in dem ich Kurse für Erwachsene leitete und damit Geld

fürs Studium verdienen konnte. Das hat viel Freude gemacht und dazu geführt, dass

ich die Erwachsenenbildung für mich entdeckte. Anfangs hatte ich mir Erwachsenen-

bildung wie Schule vorgestellt, aber das erwies sich bald als Irrtum.

Nach meinem Magisterabschluss wurde ich an einer Volkshochschule Abteilungs-

leiterin für Sprachen und bekam bald die stellvertretende Leitung übertragen. Da

konnte ich das Thema Führen schon ganz gut ausprobieren. Nach 14 Jahren

entschloss ich mich, mich auf eine Leitungsstelle einer anderen Volkshochschule zu

bewerben, wo ich weitere 10 Jahre arbeitete. Für mich war immer klar, ich wollte

nicht nur an einer Volkshochschule bleiben, aber auch nicht von Ort zu Ort springen,

ich wollte lange genug bleiben um etwas zu bewegen und deswegen wären 3

Volkhochschulen perfekt. Ich habe mich also wieder für eine Leiterstelle beworben.

Diese dritte Volkshochschule ist die hier in Ludwigsburg.

Sven Bode: Welche Voraussetzungen bzw. Kompetenzen sind wichtig in Ihrem

Beruf?

MARTINA WÖRNER: Spezifische Voraussetzungen sind nicht festgeschrieben wie in

vielen anderen Berufen. In manchen Zeiten ist eher das eine, dann wieder das

andere Studium gefragt. Ich glaube aber, dass es eine Summe von Kenntnissen und

Fertigkeiten ist, dass man viel Verschiedenes braucht. Vor allem braucht man gute

Sozialkompetenzen und Kommunikationskompetenz, sowohl mit den Kursleitern, als

auch mit den Teilnehmenden und für die Öffentlichkeitsarbeit, für die benötigt man

ebenfalls eine gewisse Sicherheit beim Verfassen von Texten. Man braucht betriebs-

wirtschaftliche Kenntnisse und Wissen um die Gestaltung von Lernprozessen.

Außerdem ist ein sehr gutes Analysevermögen gesellschaftlicher Entwicklungen

unabdingbar. Man muss Vorhersagen der Nachfrage treffen. Aber das ist auch

Erfahrungssache. Ebenfalls werden Führungskompetenzen benötigt. Um diese zu

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erlangen, kann und sollte man auch kontinuierlich Weiterbildungen besuchen.

Persönlich denke ich aber, dass da auch noch etwas anderes ist, eine gewisse

Affinität zu Führung. Einigen liegt so etwas eher und anderen eben weniger. Für mich

ist bei den Führungsthemen immer die Fähigkeit sich in andere hineinzuversetzen

wichtig, so versteht man, was die andere Person antreibt und motiviert.

Sven Bode: Was für Nachteile gibt es in Ihrem Beruf?

MARTINA WÖRNER: Für mich persönlich keine, denn das ist mein absoluter

Traumjob. Aber ich weiß, dass andere sagen, dass dieser Beruf sehr belastend und

energieaufwendig sei; für mich ist aber eben diese Energie das Salz in der Suppe

und bringt gerade auch die Freude an dieser Arbeit.

Sven Bode: Was wäre denn das, was Ihnen am meisten Spaß macht an Ihrem

Beruf?

MARTINA WÖRNER: Das ist tatsächlich die Antizipation von gesellschaftlichen

Entwicklungen. Zu überlegen: Was wird die Menschen in naher Zukunft bewegen,

was brennt ihnen unter den Fingernägeln, wie geben sie ihrem Leben Sinn? Das

Zeitgeschehen verfolgt man als Leiterin einer Volkshochschule immer auch unter

diesem Bildungsblickwinkel: Wie kann man was aufgreifen, was in Seminarform

gießen, wie kann man einen Vortrag dazu veranstalten, oder auch einen total

spannenden, interessanten Referenten hierher nach Ludwigsburg locken? Das ist ja

manchmal gar nicht so einfach. Aber es macht so viel Freude, wenn es klappt und

die Teilnehmenden einen intensiven Gedankenaustausch und neue Anregungen

erleben.

Sven Bode: Wo gerade von Spaß die Rede ist, wie sieht es mit Urlaub in Ihrem Beruf

aus?

MARTINA WÖRNER: Also Schulferien in diesem Sinne gibt es bei uns nicht, wir

heißen zwar Volkshochschule, sind aber eine außerschulische Einrichtung. Wir

haben zwar Schließzeiten, die sich an den Schulferien orientieren, aber auch nur

deshalb, weil die Teilnehmer da oft nicht kommen können. Geschlossen ist die

Volkshochschule über Weihnachten und für zwei Wochen im Sommer. Ich bin im

öffentlichen Dienst angestellt und wie es da eben üblich ist, habe ich 30 Urlaubstage

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im Jahr. Und die nutze ich ausgiebig, um Neues in anderen Ländern Europas zu

entdecken und zu erleben.

Sven Bode: Inwiefern hat Sie Ihr Studium auf ihren heutigen Beruf vorbereitet?

MARTINA WÖRNER: Ich würde sagen ziemlich gut. Mein Studium in

Politikwissenschaft hat mir im Bereich der Gesellschaftsanalyse geholfen, dass ich

den Schwerpunkt Wirtschaft gewählt habe, hat mir eine gewisse Sicherheit bei

Finanzfragen verliehen. Die Germanistik stattete mich mit einer Basis für

Pressearbeit und Kommunikation aus. Die Romanistik spielt im Moment keine so

große Rolle, aber das zeigt eben meine Vorliebe für Frankreich, Italien und Spanien.

Sven Bode: Gab es Momente, wo Sie sich nicht sicher waren, ob Sie die richtige

Entscheidung getroffen haben?

MARTINA WÖRNER: Die Erwachsenenbildung hat mich von Anfang an fasziniert

und ich habe nie wirklich gedacht, ich hätte mich für etwas anderes entscheiden

sollen, aber es ist nicht einfach, in diesem Bereich Fuß zu fassen, da die Stellen sehr

rar sind.

Sven Bode: Wie weit planen Sie denn Ihre Zukunft, Ihren nächsten Karriereschritt

voraus und wie verhielt sich das in der Vergangenheit?

MARTINA WÖRNER: Für mich stand schon immer fest, an 3 Volkshochschulen zu

gehen. Im Moment plane ich gar nicht weiter, da ich weiß, dass man um wirklich

etwas zu bewegen so einen Zeitraum von 10 Jahren braucht und danach kommen

für mich dann bald die letzten Berufsjahre.

Sven Bode: Schildern Sie Szenen, die typisch sind für Ihren Beruf:

MARTINA WÖRNER: Jeder Tag sieht anders aus, kein Tag ist gleich. Gerade das

macht bei mir die Begeisterung aus. Es gibt unglaublich viel Abwechslung. Natürlich

gibt es bestimmte Arbeitsprozesse, die eine Art Muster bilden, den Planungsprozess,

in dem das Programm erstellt wird, die Kursleiter gefunden werden müssen, dann

der Marketingprozess und der Durchführungsprozess bis hin zum Finanzprozess und

den Abrechnungen. Zweimal im Jahr gibt es ein neues Programm, also gibt es in

diesem Sinne schon ‚Wiederholung’, aber es ist ja nicht immer derselbe Inhalt.

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Natürlich gibt es auch regelmäßig wiederkehrende Sitzungen und Besprechungs-

runden oder es sind Anträge für Projektausschreibungen und neue Vorhaben zu

stellen.

Sven Bode: Wie motivieren Sie Ihre Mitarbeiter?

MARTINA WÖRNER: Ich habe die Erfahrung gemacht, wenn man seine Arbeit gerne

macht, kommt etwas Besseres dabei raus. Und: ich mag meine Arbeit lieber, wenn

ich sie selber gestalten kann. Ich gehe davon aus, dass es jedem Mitarbeiter genau

so geht. Also versuche ich immer nur an die Rahmenbedingungen zu erinnern, damit

dieser Freiraum eben gegeben ist. Wenn mal etwas von außen vorgegeben ist, was

nicht so viel Spaß macht, aber trotzdem gemacht werden muss, kann es positiv

ansteckend sein, wenn ich (oder auch ein Kollege) von dieser Sache begeistert bin.

Also ist es immer wichtig selbst motiviert und begeistert zu sein, denn sobald man

das ist, kann man ansteckend auf die gesamte Mitarbeiterschaft wirken.

Sven Bode: Welche 3 Ratschläge wollen Sie uns Schülern für den nächsten

Karriereschritt mitgeben?

MARTINA WÖRNER:

1. Man sollte rausfinden was die eigenen Stärken sind. Zum Beispiel mit

Praktika. Die Praktikumsplätze sollte man aber ganz bewusst auswählen. Man

kann sie als Chance sehen, sich selbst auszuprobieren.

2. Ich lege jungen Leuten gern ans Herz, sich selbst zu reflektieren. Man kann

sich ausprobieren, sollte dann aber nicht gleich zum nächsten Thema

springen, sondern sich Zeit nehmen, das Geschehene zu reflektieren und sich

selbst klar zu werden, was ich da gerade gemacht habe und warum das gut

oder eher schlecht lief. Was mir dabei leicht fiel, was mir dabei Freude

machte. Wenn man das regelmäßig macht und sich das antrainiert, ist das

genial.

3. Was ich noch sehr wichtig finde, ist viele Menschen kennenzulernen und mit

denen zu sprechen. Dadurch hört man andere Meinungen und hört nicht

immer nur das gleiche aus dem eigenen Bekanntenkreis. Diese Menschen

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kann man bitten, dass sie einem ihre Eindrücke spiegeln. Das kann einem

zum Beispiel dabei helfen, sich selbst mit anderen Augen zu sehen oder

andere eher unbekannte Berufsfelder für sich zu entdecken.

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Nele Schauer: Was waren Ihre 3 größten Sternstunden?

PROF. DR. BELGRAD: Die erste Sternstunde war mein erstes Buch, meine

Examensarbeit, die als Didaktik der Politischen Bildung publiziert wurde. Die zweite

war meine Promotion, der erfolgreiche Abschluss meiner Doktorarbeit. Die dritte

Nele Schauer im Gespräch mit…

Prof. Dr. phil. Jürgen Belgrad Emeritierter Professor für Literaturwissenschaft und Literaturdidaktik an der Pädagogischen Hochschule in Weingarten (© Bild)

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dann die Ernennung zum Professor. Letztes Jahr gab es noch eine vierte

Sternstunde, nämlich die Ehrung durch den deutschen Lesepreis der STIFTUNG

LESEN.

Insofern sind das Markierungspunkte in meiner Karriere, die vom Erststudium und

Zweitstudium bis hin zu meiner über 40-jährigen Tätigkeit dann schließlich in eine

bundesrepublikanische Anerkennung, in den renommierten Preis der STIFTUNG

LESEN mündete.

Nele Schauer: Wie kam es dazu, dass Sie in Ihre heutige Führungsposition

gekommen sind? Was sind wichtige Meilensteine dafür?

PROF. DR. BELGRAD: Dass man ein Ziel hat und dies auch langfristig verfolgen

kann – aber variabel, nicht verbohrt. Zum einen hat es sehr lange gedauert bis ich

Professor geworden bin, da ich die Kurve über die Schule genommen habe.

Voraussetzung für die Professur war eine 5jährige Schulpraxis. Ich blieb 13 Jahre im

Schuldienst, weil mir die Schule sehr viel Spaß gemacht hatte. Trotzdem wusste ich

immer, dass ich Professor werden möchte und ich dies nicht aus den Augen verlieren

darf. Dieses Ziel habe ich also mehr als 15 Jahre verfolgt.

Im Beruf hatte ich mein Projekt LESEFÖRDERUNG DURCH VORLESEN. Da hatte

ich am Anfang in Ludwigsburg viel Unterstützung. Nachdem ich hierher nach

Weingarten kam, musste ich mich nach neuen Kooperationspartnern umsehen. Über

10 Jahre hat es gedauert, bis ich geeignete Partner gefunden habe, die mein Projekt

mit unterstützt und mit verfolgt haben.

Damit dies alles klappen kann, braucht man sehr viel Geduld, Durchsetzungskraft

und muss die Zusammenarbeit mit anderen Leuten suchen. Man muss sich also ein

Netzwerk aufbauen und gut kooperieren können. Zusammenfassend: Man braucht

eine gewisse Sturheit, um an seinem Ziel festhalten zu können.

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Nele Schauer: Welche Kompetenzen sind wichtig in Ihrer Branche?

PROF. DR. BELGRAD: Man muss ein Ziel verfolgen und formulieren können.

Erstens: Das Ziel muss kommunikativ verflüssigt werden, es muss eingängig

formuliert und unkompliziert umgesetzt werden, sodass man möglichst viele Leute

gewinnt, die nicht nur aus dem eigenen Berufsfeld kommen. Zweitens braucht man in

der Redegewandtheit eine gute Improvisationsfähigkeit, damit man in

unterschiedlichen Situationen flexibel kommunizieren kann. Außerdem sollte man

Informationen produktiv verarbeiten können, das heißt aus der Fülle von

Informationen wichtige heraussortieren, um diese anschließend zur Aufbereitung des

eigenen Arbeitsfeldes so zu verarbeiten, dass sie produktiv nutzbar gemacht werden.

Dazu benötigt man eine gewisse Naivität, um ungezwungen damit umzugehen.

Nele Schauer: Wie bringen Sie Privates und Berufliches unter einen Hut?

PROF. DR. BELGRAD: Eigentlich gar nicht! Es ist ein permanentes Konfliktfeld und

wer versucht, Privates stark zu integrieren, der schafft es, glaube ich beruflich nicht.

Also es ist für mich eine Lüge zu glauben, dass beide Bereiche ohne weiteres unter

einen Hut zu bringen sind. Man muss wahrscheinlich dem Beruf manchmal den

Vorrang geben. Wenn man darüber in der Familie redet, kann es sein, dass es

klappt. Aber viele Karrieren scheitern auch genau daran. Denn in der Öffentlichkeit

wird immer so getan, als ob es etwas Leichtes sei, Beruf und Privatleben miteinander

zu vereinigen. Doch genau darin liegt das Gefährliche, weil diese Integrations-

möglichkeit unterschätzt wird und sie nicht leicht zu schaffen ist. Das machen sich

die Wenigsten bewusst und haben deshalb ein riesiges Problem.

Nele Schauer: Hatten Sie Rückschläge in ihrer Karriere? Wenn ja, welche Lektionen

haben Sie daraus gelernt?

PROF. DR. BELGRAD: Rückschläge in der Karriere nicht, aber es hat nicht alles auf

Anhieb geklappt. Also zum Beispiel habe ich in der neuen Arbeitsstätte keine

Unterstützung für das Leseförderprojekt gefunden. Da muss man lernen, am Ziel

festzuhalten und immer wieder versuchen, es von unterschiedlichen Richtungen zu

verfolgen und durchzusetzen. Man muss Beharrlichkeit haben.

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Die Lektion heißt nach wie vor: „Wenn du überzeugt bist, dass das gut ist was du

machst, dann musst du daran festhalten.“

Nele Schauer: Was macht Ihnen am meisten Spaß an Ihrer Tätigkeit?

PROF. DR. BELGRAD: Mit anderen Leuten zu reden und zu zeigen, wie man

bestimmte Erkenntnisse auch leicht umsetzen kann. Der Vorteil ist, dass ich

praktisch mein Hobby zum Beruf gemacht habe. Das ist eigentlich das Wichtige.

Vielleicht auch, dass ich keine festen Arbeitszeiten habe, dass ich meine Zeiten

selber einteilen und mir jetzt am Nachmittag Zeit nehmen kann, deine Fragen zu

beantworten.

Nele Schauer: Inwiefern hat Sie Ihre Schulbildung auf Ihren heutigen Beruf

vorbereitet?

PROF. DR. BELGRAD: Eigentlich gar nicht! Die Schulbildung hat mich nicht auf den

Beruf vorbereitet. Jedenfalls nicht so, dass ich zum Lernen motiviert wurde. Die

Schule ist nicht sehr geeignet, genauer die Lernfächer sind nicht geeignet, um sich

auf einen Beruf vorzubereiten. Aber die anderen Aktivitäten in der Schule, die

Schülermitverantwortung, der politische Arbeitskreis Oberschule, die Philosophie-AG,

die Koch-AG, die Chemie-AG und die Leitung der Schülerzeitung, also die

Tätigkeiten, die die Schule zusätzlich anbietet, haben mir sehr viel gebracht und dort

habe ich am meisten gelernt – auch für den Beruf. In der Philosophie-AG habe ich

gelernt nachzudenken, die Koch-AG war wichtig für unsere Lehrer-WG und um

Gäste zu bewirten und für die Schülerzeitung musste man Projekte verfolgen und

vervollständigen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt fertig sein sollten. Bei diesen

Tätigkeiten lernte ich am meisten. Ansonsten weiß ich aus der Schule nicht mehr

viel, höchstens noch welche Klamotten die Lehrer anhatten!

Nele Schauer: In wieweit würden Sie sagen, Sie haben Ihre Interessen zum Beruf

gemacht?

PROF. DR. BELGRAD: Fast zu 100%. Ich wollte ursprünglich Psychologie studieren.

Doch Mathe bis zum Vordiplom hätte mir das Studium zersägt, weil ich elend

schlecht in Mathe war und für das Psychologie-Studium bis zum Vordiplom viel

Mathematik und Statistik büffeln hätte müssen. Ich bin dann auf eine Parallelschiene,

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aufs Lehramt ausgewichen und habe dort versucht, sowohl den Umgang mit

Schülern und jetzt mit Studenten als auch die psychologische Dimension immer

stärker zu berücksichtigen. Insofern habe ich dann mein Interesse, das nicht zu

100% als Beruf zu realisieren war, so eingefädelt, dass ich dann letztendlich doch

mein Interesse zum Beruf gemacht habe.

Nele Schauer: Welche Herausforderungen kommen in Ihrer Branche auf uns zu?

Wie sollen wir damit umgehen?

PROF. DR. BELGRAD: Eine wichtige Herausforderung ist, dass man sich nicht zu

sehr auf die sozialen Medien verlässt. Nicht zu sehr über WHATSAPP oder

FACEBOOK kommunizieren, sondern versuchen, direkten Kontakt mit Freunden,

Partnern und Geschäftsleuten zu finden, weil das viel schneller geht und das

Gespräch ein viel komplexeres Medium ist. Die Verführung durch die sozialen

Medien ist eine einseitige, eingeschränkte und sehr schwache Kommunikation, die

sehr viel weniger an Lebendigkeit hat als die direkte.

Der amerikanische Präsident hatte in seiner Rede gesagt: „Auch, wenn ihr in

denselben Gruppen zu Hause seid, geht raus, geht zu den anderen und unterhaltet

euch, warum ihr anderer Meinung seid und warum ihr das Gleiche denkt.“

Das finde ich das Wichtigste. Mit den anderen Leuten zu reden, neugierig auf neue

Entwicklungen zu sein. Ganz wichtig ist es, die Ohren überall offen zu haben und

sich zu fragen: Hat das was mit meinem Beruf, mit meinem möglichen Beruf zu tun,

könnte das mit meinen derzeitigen Überlegungen zusammenhängen? Ist das

vielleicht auch für meine Problemstellung interessant, was ich hier höre oder lese?

Kann mich das weiterbringen? Deshalb sollte man auch sehr offen mit den

Anforderungen an seinen Beruf umgehen und gleichzeitig auch versuchen, die

eigene Nische, den eigenen Platz zu finden.

Nele Schauer: Welche 3 Ratschläge wollen Sie uns Schülern für den Karriereschritt

mitgeben?

PROF. DR. BELGRAD: Erstens sollte man sich über den Bereich, für den man sich

interessiert, genau und vielfältig nicht nur schriftlich informieren. Zweitens empfehle

ich auf jeden Fall eine sorgfältige Berufsberatung. Und drittens sollte man das

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Berufsfeld, in das man eintauchen möchte, erkunden und ein längeres Praktikum

machen.

Wäre ich so vorgegangen, hätte ich vielleicht doch mein Lieblingsfach

PSYCHOLOGIE studiert. Das ist der einzige Fehler bei meiner Berufswahl, den ich

bei mir sehe. Ich habe mich nur schriftlich und mündlich informiert, aber ich bin nicht

in das Feld hineingegangen und habe mir mein zukünftiges Berufsfeld nicht sorgfältig

genug persönlich und praktisch angeschaut.

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Jothini Sritharan im Gespräch mit…

Marcel Nguyen Deutscher Kunstturner (© Bild - Foto: Heiko Potthoff)

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Jothini Sritharan: Wie sind Sie zu Ihrem jetzigen Beruf gekommen? Was

waren hierbei wichtige Stationen auf dem Weg zum Profi-Kunstturner?

MARCEL NGUYEN: Alles hat damit angefangen, dass ich mit meiner Mutter beim

sogenannten Mutter-Kind Turnen war. Mit sechs Jahren bin ich dann in den

Turnverein eingetreten und man erkannte relativ schnell mein Talent. Über eine

Eliteschule des Sports bin ich dann nach dem Abitur nach Stuttgart ans Kunst-

turnforum gekommen. Aufgrund meiner Leistungen war dann klar, dass ich das

Turnen professionell betreiben möchte.

Jothini Sritharan: Welche Voraussetzungen / Qualifikationen braucht man für

Ihren Beruf?

MARCEL NGUYEN: Zunächst sicherlich mal ein entsprechendes Talent und die

körperlichen Voraussetzungen. Wenn ich jetzt zwei Meter groß wäre, könnte ich

beispielsweise kein guter Turner sein. Trainingsfleiß und eine gute Auffassungsgabe

ist ebenfalls wichtig.

Jothini Sritharan: Waren Sie in der Berufsfindung alleine oder haben Sie

Unterstützung bekommen?

MARCEL NGUYEN: Bei einem Sportler sind es ja vor allem auch die Trainer, die

einem beratend zur Seite stehen und aufzeigen, was die nächsten Schritte und

Wege sind.

Jothini Sritharan: Haben / Hatten Sie Vorbilder, an denen Sie sich orientieren?

MARCEL NGUYEN: Als Kind und Jugendlicher hatte ich immer eine große

Bewunderung für den russischen Turner Alexey Nemov. Er war viermal

Olympiasieger und für mich schon sowas wie ein Idol. Je älter man wird, desto mehr

geht man dann seinen eigenen Weg.

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Jothini Sritharan: Inwiefern haben Ihre früheren Interessen Einfluss auf Ihren jetzigen

Beruf genommen?

MARCEL NGUYEN: Na ja, diese Frage passt nicht ganz zur Karriere des

Leistungssportlers. Das eine bedingt bei mir ja das andere. ;-)

Jothini Sritharan: Was waren die Sternstunden, aber auch Rückschläge und

Wendepunkte in Ihrem beruflichen Leben und wie sind Sie damit umgegangen?

MARCEL NGUYEN: Sternstunden erlebte ich sicherlich bei den Olympischen Spielen

2012 in London. Die Silbermedaillen im Mehrkampf und am Barren sind meine

größten sportlichen Erfolge. Dies hat auch weltweit Beachtung gefunden. Damit hatte

ich in dieser Form nicht gerechnet. Leider musste ich in meiner Karriere auch zwei

schwere Verletzungen hinnehmen. 2010 habe ich mir in einem Wettkampf den Fuß

gebrochen, 2014 im Training das Kreuzband gerissen. Da fällt man sicherlich

zunächst in ein Loch und ist super frustriert, doch ich habe mich wieder aufgerappelt

und bin auch aktuell auf einem guten Weg an mein altes Leistungsvermögen an-

zuknüpfen.

Jothini Sritharan: Welche Einschränkungen nehmen Sie aufgrund Ihrer Karriere in

Kauf und wie gehen Sie mit diesen um?

MARCEL NGUYEN: Sicherlich ist es als Leistungssportler nicht förderlich, wenn man

das ganze Wochenende mit seinen Freunden feiern geht. Da muss man schon

fokussiert bleiben und seine Ziele im Blick behalten. Das ist sicherlich eine

Einschränkung, die man akzeptieren muss. Außerdem kann ich auch nicht einfach

sagen, ich fliege jetzt mal zwei Wochen in den Urlaub. Das muss immer in die

Saisonplanung passen.

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Jothini Sritharan: Inwiefern unterscheidet sich das Berufsbild von der Realität?

MARCEL NGUYEN: Na ja, Turnen ist eben eine Sportart. Ich konnte mein Hobby

zum Beruf machen. Aber ich weiß auch, dass der Zeitpunkt kommen wird, wo ich

eine neue berufliche Perspektive brauche. Darüber mache ich mir derzeit auch schon

einige Gedanken. Deshalb habe ich im letzten Herbst mit einem BWL-Studium

begonnen.

Jothini Sritharan: Was war und ist Ihre Motivation in Ihrem Beruf weiterzumachen?

MARCEL NGUYEN: Gerne will ich bei den Olympischen Spielen in Rio im

kommenden Jahr an den Start gehen und um die Medaillen vor allem an meinem

Paradegerät dem Barren mitkämpfen.

Jothini Sritharan: Welchen Tipp können Sie uns Berufseinsteigern mit auf den

Weg geben?

MARCEL NGUYEN: Mein „Berufseinstieg“ war ja kein klassischer Start in einen

Beruf. Es war ja eher eine logische Entwicklung meines Trainings und den Erfolgen

von frühester Kindheit an. Generell gilt aber, sich immer mit seiner Aufgabe zu

identifizieren. Wenn mir mein Job Spaß macht, dann bin ich auch bereit 100%

Leistung und Motivation zu investieren. Deshalb sollte man sich sehr genau darüber

informieren, was man machen möchte und wie das Berufsbild genau aussieht.

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Jothini Sritharan im Gespräch mit…

Dr. Alexander Urban Geschäftsführer der Heidehof-Stiftung und Vorsitzender von MiNe-MINT e.V. (© Bild - Foto im Auftrag der Robert-Bosch-Stiftung)

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Jothini Sritharan: Nicht nur Vorsitzender von MiNe-MINT e.V. sondern auch

Geschäftsführer der Heidehof-Stiftung zugleich. Wie sind Sie zu diesen Positionen

gekommen und was waren hierbei wichtige Stationen?

DR. ALEXANDER URBAN: Ich habe in den 70er Jahren Chemie und Mathematik auf

Lehramt studiert und habe es 1978 mit dem ersten Staatsexamen abgeschlossen.

Anschließend habe ich dreieinhalb Jahre in der physikalischen Chemie über ein

spektroskopisches Thema promoviert und habe dann 1982/83 das Referendariat in

Tübingen und Herrenberg gemacht und war mit der Lehrer-Ausbildung dann 1983

komplett fertig. Da gab’s aber praktisch keine Stellen für Lehrer und deshalb musste

ich mich anders orientieren. Ich hatte 1983 das Glück als die Heidehof-Stiftung, die

damals noch Stiftung für Bildung und Behindertenförderung hieß, ein Förderprojekt

für naturwissenschaftlich begabte Schüler begann, als Assistent für den damaligen

Leiter einen Einstieg in die Heidehof-Stiftung bekam.

Zwei Jahre später wurde ich Leiter des Kepler-Seminars und 1992 haben mich dann

der Herr Bosch Junior, also der Sohn des Firmengründers, und seine Schwester, die

unsere Stiftung gründeten, in die Geschäftsführung berufen. Ich bin also seit 1992

Geschäftsführer der Heidehof-Stiftung und zu Beginn für den Bildungsbereich

zuständig, war aber noch weiterhin noch Leiter des Kepler-Seminars und dann

kamen im Laufe der Zeit weitere Aufgaben innerhalb der Stiftung hinzu.

Jothini Sritharan: Können Sie allgemeine Voraussetzungen / Qualifikationen für

Ihren Beruf als Geschäftsführer benennen?

DR. ALEXANDER URBAN: Man benötigt sehr unterschiedliche Qualifikationen, also

gerade im Stiftungswesen ist es so, dass viele unterschiedliche Berufe vertreten sind.

Von meinem Ursprung her als Lehrer für Chemie und Mathematik ist die MINT-

Bildung also die naturwissenschaftliche Qualifikation ein wichtiges Thema. Darüber

hinaus war ich z. B. zuständig für unsere Tochter Rudolf-Sophien-Stift, eine

psychiatrische Reha, da hab ich mich dann zum einen in die Psychiatrie und dann

natürlich als Geschäftsführer der Heidehof-Stiftung in die Betriebswirtschaft ein-

gearbeitet, also Bilanzen lesen, Umgang mit Wirtschaftsprüfern und innerhalb der

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Stiftung die Vermögensverwaltung. Dann bin ich irgendwann mal zuständig

geworden bei uns für den Förderbereich Umwelt und da geht es natürlich um

Kenntnisse zu Natur- und Kulturlandschaft, generell Umweltthemen, sowohl was

Verschmutzung von Umwelt betrifft, als auch biologische Themen wie Biodiversität.

Das ist also sehr vielseitig und das meiste muss man sich selber aneignen.

Jothini Sritharan: Wie wir jetzt vor der Frage stehen, was wir später einmal

beruflich machen wollen, befanden auch Sie sich einmal in der Berufsfindung. Waren

Sie in dieser Phase auf sich allein gestellt oder haben Sie Unterstützung von

außen bekommen?

DR. ALEXANDER URBAN: Bei mir war es so, dass ich schon einen dezidierten

Berufswunsch hatte und das war Tierarzt. Weil ich in meiner Jugend und jetzt auch

wieder reite und da hat man eben einen Bezug vor allem zu größeren Tieren, also

das wäre so mein Traumberuf gewesen. Die ZVS hat damals zentral die Studien-

plätze vergeben und da war eben wie heute ein NC auf Tiermedizin und da musste

ich erstmal was anderes studieren, habe dann mit Chemie angefangen. Die Chemie

hat mir dann sehr Spaß gemacht und ich bin dann von Studienziel Diplom auf

Studienziel Lehramt umgestiegen, weil damals die Diplom-Chemiker schlechte

Berufsaussichten hatten und viele haben dann als Pharma-Vertreter Ärzte und

Kliniken besucht und das wollte ich nicht. Deshalb bin ich auf Lehramt umgestiegen

und habe Mathe dazu genommen. Beratung in der Berufsfindung hatte ich nicht, weil

ich schon das Ziel hatte, Tierarzt zu werden, aber so hat es sich dann ergeben.

Jothini Sritharan: Haben oder hatten Sie irgendwelche Vorbilder, an denen Sie sich

orientieren?

DR. ALEXANDER URBAN: Ja, meine Eltern waren Vorbild, was ja bei den meisten

so ist. Bei den Lehrern habe ich auch das ein oder andere gute Vorbild gehabt. Aber

die, die mich am meisten geprägt haben, das waren zum einen mein Geigenlehrer,

der mich gut betreut hat und auch ein Vorbild war an Geduld und das andere Vorbild

war mein Reitlehrer, der die klassische Reitkunst betrieben hat und mit meinem

ursprünglichen Berufswunsch zu tun hat.

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Jothini Sritharan: Hat Ihr Reitlehrer Ihnen irgendwelche Werte vermittelt, die Sie auch

im heutigen Leben wiederfinden?

DR. ALEXANDER URBAN: Ja, wenn man klassische Reitkunst betreibt, hat man

oftmals mit Hengsten zu tun; das sind Pferde, die nicht so leicht im Umgang sind.

Wenn man vor allem Hengste reitet, muss man sich zum einen durchsetzen, es muss

also klar sein, wer das Sagen hat; zum anderen geht aber nichts mit Gewalt. Es ist

also eine Durchsetzungsfähigkeit ohne Gewalt, gerade auch beim Reiten.

Jothini Sritharan: Bei so vielen Bereichen, mit denen Sie beruflich zu tun

haben, kann man da überhaupt von einem „beruflichen Alltag“ sprechen?

DR. ALEXANDER URBAN: Also ich habe bestimmt keinen Alltag, wo von

vorneherein feststeht, was abläuft. Man hat natürlich seine Pläne, aber es kommen

immer wieder Überraschungen und es ist vor allem sehr abwechslungsreich. Wir

haben auch zwei Altenpflegeheime, zwei Behindertenwerkstätten in München und

Berlin, eine jugendpsychiatrische Klinik, eine Integrationsfirma in Freiburg und da gibt

es immer was. Es kommt immer wieder zu interessanten Treffen z. B. mit Antrag-

stellern. Wir sind ja nicht eine Stiftung, die nur eigene Einrichtungen betreibt, sondern

wir fördern ja auch Projekte Dritter. Da kommt jemand her und möchte eine

Förderung, berichtet darüber, da lernt man auch viel dazu und das ist unheimlich

abwechslungsreich.

Jothini Sritharan: Wie würde Ihr heutiger Tag aussehen, damit man sich noch

eine genauere Vorstellung machen kann?

DR. ALEXANDER URBAN: Mein heutiger Tag ist schon ziemlich geplant: kurz vorm

Urlaub bin ich hier allein, habe Stallwache und bin auch für die Anrufe zuständig. Ich

habe vor, Anträge, die neu reingekommen sind, bei uns intern für die Diskussion vor-

zubereiten, das heißt auch auf eine passwortgeschützte Seite zu stellen. Im Bereich

MiNe-MINT, wo ich ehrenamtlicher Vorsitzender bin mit starker Unterstützung der

Heidehof-Stiftung, muss ich die Kurse, Aktivitäten und so weiter auf der Website

aktualisieren. Es gibt Tage, die sind sehr vorgeplant und andere eher sehr offen; ich

bin auch viel unterwegs.

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Jothini Sritharan: Die Heidehof-Stiftung ist ja dafür bekannt, dass sie sich für

Bildung, Behindertenförderung aber auch für die Umwelt einsetzt. Haben Sie als

einzelne Person das Gefühl, dass Sie etwas in der Gesellschaft bewegen und wenn

ja, wie macht sich das bemerkbar?

DR. ALEXANDER URBAN: Also ich glaube schon, dass ich mehr wie so ein

Katalysator wirken kann; selber bewegen, das wäre zu viel gesagt. Aber man hat

natürlich schon die Möglichkeit bei der Vielzahl der Anträge, die reinkommen,

Schwerpunkte zu setzen. Man bewegt an der einen oder anderen Stelle mehr und

an einer anderen wieder weniger – es liegt eben daran, dass bei uns geschätzt drei

Mal mehr Anträge reinkommen, als wir nachher dann fördern können, denn unsere

Mittel sind ja auch begrenzt – so hat man sicher einen Einfluss.

Vor allen Dingen dann, wenn wir Projektträger die wir fördern, über längere Zeit

begleiten, dann sieht man natürlich schon wie es sich entwickelt und dass man als

Stiftung was bewegen kann.

Jothini Sritharan: Gibt es irgendwelche Einschränkungen, die Sie aufgrund Ihrer

Karriere in Kauf nehmen und wie gehen Sie damit um?

DR. ALEXANDER URBAN: Sagen wir mal so, ich hab schon mehr als eine 40-

Stunden-Woche, aber das ist kein Problem. Zum einen habe ich es nicht weit zur

Arbeit, das nur am Rande. Es ist natürlich klar, dass man als Führungskraft oder

Gesellschafter natürlich keine 40-Stunden-Woche hat, das wird auch nicht irgendwie

aufgeschrieben. Vor allen Dingen, wenn man unterwegs ist, öfter mal auch mehrere

Tage. Ich habe aber nicht das Gefühl, dass es an der Lebensqualität nagt, weil man

ständig dazu lernt, Leute kennen lernt, interessante Themen bearbeitet.

Jothini Sritharan: Können Sie drei Regeln festlegen, die man als Führungskraft

benötigt?

DR. ALEXANDER URBAN: Zum einen muss man einen Kompass haben. Man muss

natürlich strategische Ziele haben. Gerade wenn man fördert, nicht alles fördern, was

reinkommt bis das Budget verbraucht ist, sondern Ziele fördern, die ich mit meinen

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Kollegen und vor allem mit den Gesellschaftern der Heidehof-Stiftung abgestimmt

habe. Die Heidehof-Stiftung ist ja eine GmbH, hat sozusagen Firmeninhaber, das ist

die Familie Bosch und da stimmt man sich natürlich schon ab, wo die Ziele liegen.

Zum anderen gehört natürlich dazu, dass man weiß, wie man mit Mitarbeitern

umgeht. Führungsstärke, die natürlich nicht autokratisch ist, sondern die sich darin

äußert, dass man den Mitarbeitern vertraut, ihnen etwas zutraut, Aufgaben

weitergibt, delegieren kann, Achtsamkeit gegenüber den Kollegen zeigt.

Für mich persönlich ist es sehr wichtig identisch und integer zu sein. Wir werden

oftmals angefragt: „Fördern Sie dies und jenes…“, dass man dann auch sagt, wo die

Chancen in der Zusammenarbeit mit uns sind und wo weniger.

Jothini Sritharan: Was macht Ihrer Meinung nach Ihren Beruf so einzigartig und

was macht Ihnen besonders Spaß?

DR. ALEXANDER URBAN: Dass man Dinge gestalten kann. Ich habe das Kepler-

Seminar lange Jahre geleitet und kann auch jetzt im MiNe-MINT mit Kollegen

Schwerpunkte setzen; das ist das, was es schön macht. Natürlich auch die

Anerkennung. Das ist eigentlich auch schön, wenn man das Geld nur ausgeben und

nicht erwirtschaften muss. Das ist sicher ein Unterschied zu einem Geschäftsführer

von einem Unternehmen, das eben Produkte fertigt und der dann gucken muss, wo

stehen wir am Markt und so weiter. Das Überleben am Markt ist bei uns eigentlich

kein Thema und das macht es natürlich auch viel leichter.

Jothini Sritharan: Und die letzte Frage: Was würden Sie uns Berufseinsteigern

mit auf den Weg geben?

DR. ALEXANDER URBAN: Viele sagen sicher, man sollte gucken, wo liegen meine

Talente und was möchte ich gerne machen. Das ist das erste. Dann denke ich, dass

es ganz gut ist, wenn man sich von Anfang an nicht zu sehr thematisch einschränkt.

Ich würde nicht zu früh in eine ganz spezielle Richtung gehen, sondern ein Fach

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wählen, das nicht zu sehr eingeschränkt ist. Zum Beispiel Physiker sind dafür

bekannt, dass sie allgemein einsetzbar sind.

Man findet sie in der Unternehmensberatung genauso wie in Bereichen, die

normalerweise von Ingenieuren besetzt sind. Das wäre so das Meta-Kriterium; das

Hauptkriterium liegt darin, einzuschätzen, wo die eigenen Talente liegen und dem

Wunsch nachzugehen, in so einem Gebiet zu arbeiten. Das enthebt einen natürlich

nicht von der Eigenverantwortung, sich breit zu informieren.

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Nina Haug im Gespräch mit…

Alexander M. Rümelin Schauspieler, Filmproduzent & Drehbuchautor (© Bild – Credit Martin Walz)

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Nina Haug: Herr Rümelin, zu welchem Zeitpunkt wussten Sie, welchen Beruf Sie

später einmal machen wollen?

ALEXANDER RÜMELIN: Ich würde mal sagen mit 15. Ursprünglich wollte ich

Regisseur werden, aber ich bin dann knapp 10 Jahre später, auf der Filmhochschule,

auf Drehbuch umgestiegen. Aber dass ich in dieser Branche arbeiten will, war mir

schon als Teenager klar.

Nina Haug: Wie kam es dazu, dass Sie in Ihre heutige Position gekommen sind?

ALEXANDER RÜMELIN: Man muss willens sein, immer wieder von vorne

anzufangen und weiterzumachen. Jedes Projekt ist wie eine Abiturprüfung. Man

kann sie bestehen, oder durchfallen. Das Vorankommen in diesem Beruf ist weniger

eine Frage des Talents (obwohl es sicherlich eine Rolle spielt, aber bei weitem nicht

in dem Maße, in dem man sich das vielleicht vorstellt) als vielmehr der Beharrlichkeit.

Nina Haug: Welche Eigenschaften sind am wichtigsten für Ihre Tätigkeit?

ALEXANDER RÜMELIN: Beharrlichkeit, Kommunikationsfähigkeit und ein dickes Fell

Nina Haug: Welche Einschränkungen entstehen aufgrund Ihres Berufs?

ALEXANDER RÜMELIN: Wenn es darauf ankommt und etwas um- oder

fertiggeschrieben werden muss, oder wenn gedreht wird, gibt es weder Feierabend

noch Wochenenden oder Feiertage. Das Privatleben tritt immer hinter dem Beruf

zurück.

Nina Haug: Hatten Sie Rückschläge in Ihrer Karriere? Welche Lektionen haben Sie

daraus gelernt?

ALEXANDER RÜMELIN: Über diese Frage musste ich lachen. Dieser Beruf besteht

zum größten Teil aus Rückschlägen. Das meiste an dem man arbeitet wird nie

produziert, und ca. 80 % von dem was produziert wird, floppt. Was ich daraus gelernt

habe? Wenn man diese Tätigkeit ausübt um Bestätigung von außen zu bekommen,

wird man daran zugrunde gehen. Man muss es machen, weil man es gerne macht.

Für sich.

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Nina Haug: Was macht Ihnen am meisten Spaß an Ihrer Tätigkeit?

ALEXANDER RÜMELIN: Wenn eine Idee, die man sich am Schreibtisch ausgedacht

hat, beim Publikum funktioniert. Wenn das Publikum an der richtigen Stelle lacht,

weint oder mitgeht.

Nina Haug: Inwieweit hat Sie Ihre Schulbildung auf Ihren heutigen Beruf vorbereitet?

ALEXANDER RÜMELIN: Das soll jetzt kein negatives Urteil über meine Schulbildung

am Ernst-Sigle-Gymnasium sein, aber in meinem speziellen Falle hat mich fast gar

nichts darauf vorbereitet. Das einzige, was ich dazu sagen kann ist, dass ich einen

hervorragenden Englischlehrer hatte, Herrn Haisch, und der ist hauptsächlich ver-

antwortlich dafür, dass ich heute auch Drehbücher auf Englisch schreiben kann.

Nina Haug: Von wem haben Sie sich bei der Wahl Ihres Berufes beeinflussen

lassen?

ALEXANDER RÜMELIN: Eigentlich von niemandem. Wenn ich mich hätte beein-

flussen lassen, dann hätte ich diesen Beruf niemals ergriffen.

Nina Haug: Inwieweit würden Sie sagen, Sie haben Ihre Interessen zu Beruf

gemacht?

ALEXANDER RÜMELIN: Ich habe schon als Kind immer gerne gelesen, Fernseh-

serien geguckt und bin ständig ins Kino gerannt.

Nina Haug: Welche Herausforderungen kommen in Ihrer Branche auf uns zu? Wie

sollen wir damit umgehen?

ALEXANDER RÜMELIN: Die größte Herausforderung wird immer sein, sich stets von

Neuem zu motivieren, auch wenn die meisten Dinge die man fabriziert negativ

bewertet werden, sei es von Seiten des Publikums oder der Auftraggeber. Wie vorhin

schon gesagt, man sollte diesen Beruf nur ausüben, wenn man sich dazu berufen

fühlt. Er gibt sehr wenig wirtschaftliche Sicherheit und kaum Planbarkeit.

Als ich vor 23 Jahren anfing professionell zu schreiben (sprich: gegen Bezahlung),

gab es in Deutschland vielleicht eine Handvoll Drehbuchautoren, allesamt alte

Männer, die sich die Projekte untereinander aufgeteilt haben. Heute ist die

Konkurrenz wesentlich stärker und sie wird immer härter. Darauf sollte man sich

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einstellen und sich die Sache genau überlegen. Dies soll jetzt niemanden

demotivieren, im Gegenteil. Ich würde bloß davon abraten blind in diese Geschichte

hineinzulaufen. Wer mit diesen Gegebenheiten glaubt zurechtzukommen, soll sich

mit Leib und Seele hineinstürzen.

Nina Haug: Was ist Ihre tägliche Motivation, mit der Sie Ihre Tätigkeit ausführen?

ALEXANDER RÜMELIN: Den Lebensunterhalt zu sichern (das sollte meiner Meinung

nach immer die oberste Priorität sein – es ist schließlich ein Beruf und kein Hobby),

die Herausforderung zu meistern, die jedes neues Projekt mit sich bringt, und es

diesmal besser zu machen als beim letzten Mal.

Nina Haug: Welche 3 Ratschläge wollen Sie uns Schülern für den Karriereschritt

mitgeben?

ALEXANDER RÜMELIN:

1.) Jeder sollte sich die Erlaubnis geben auch hier und da zu scheitern, denn

Scheitern ist unausweichlich und passiert oft.

2.) Man sollte sich darüber im Klaren sein, dass die Hauptherausforderung beim

professionellen Schreiben darin besteht, den inneren Schweinehund zu

überwinden. Sprich: Seiten zu fabrizieren, auch wenn die Inspiration gerade

nicht da ist. Das ist Alltag.

3.) Vergesst nie, dass es sich dabei um einen Beruf handelt. Eure Auftraggeber

haben knallharte wirtschaftliche Interessen. Je verlässlicher ihr arbeitet, umso

schneller kommt ihr voran.

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Carrie Lee im Gespräch mit…

Sigmar Gabriel Ehemaliger Bundesminister des Auswärtigen. Aktuell: Bundestagsabgeordneter

(© BILD - Foto: Maurice Weiss)

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Carrie Lee: Wie bringen Sie Privates und Berufliches unter einen Hut? Welche

Einschränkungen entstehen durch Ihren Beruf?

SIGMAR GABRIEL: Da meine Frau als Zahnärztin selbst berufstätig ist und nicht

darauf wartet, dass ich abends nach Hause komme, ist das Wichtigste die

Abstimmung unserer Terminkalender. Das ist zwar recht aufwändig – aber es geht

uns damit sicherlich nicht viel anders als anderen Familien. Klar ist aber auch: Ohne

unser tolles Umfeld aus Kita, Großeltern, Babysitterin, Freundinnen würde einiges

nicht so gut funktionieren.

Carrie Lee: Gab es Zeiten wo Sie sich nicht sicher waren, ob Sie die richtige

Entscheidung getroffen haben? Wenn ja, wie sind Sie durch diese Zeiten gekommen.

Welche Fehler würden Sie heute nicht mehr machen?

SIGMAR GABRIEL: Mein Weg in der SPD verlief sicherlich nicht immer wie geplant

und war manchmal auch geprägt von dem einen oder anderen Rückschlag. Aber

auch das gehört zu einem politischen Leben. Wer Rückschläge nicht aushält, sollte

vielleicht nicht in die Politik gehen.

Carrie Lee: Welche 3 Ratschläge würden Sie uns Schülern ans Herz legen?

SIGMAR GABRIEL: Ratschläge holen Sie sich am besten bei Ihren Eltern,

Großeltern und Freunden. Ich möchte nur einen Wunsch äußern: Engagieren Sie

sich. Um unser Gemeinwesen solidarischer, fairer und zukunftsgerechter zu machen,

kommt es auch auf Sie an. Machen Sie mit in Vereinen, Verbänden und Parteien.

Lassen Sie nicht die Anderen für Sie bestimmen, wohin die Reise gehen soll. Es

macht großen Spaß und gibt einem das gute Gefühl, etwas Sinnvolles mit dem

eigenen Leben anzufangen.

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Wege zu Erfolg und Karriere

Dieses Thema ist aktueller denn je, deshalb gibt es unzählige Erfolgsratgeber auf

dem Markt. Meist sind deren Ratschläge jedoch wenig hilfreich, weil sie die

emotionale Kompetenz nicht genügend berücksichtigen. Vielleicht weiß der Kopf,

was zu tun ist, aber die Umsetzung klappt nicht ganz.

Für den beruflichen (Miss-)Erfolg spielen immer mehrere Faktoren eine Rolle, wie

z. B. die eigenen Fähigkeiten, Motivation, Sozialkompetenz, Erziehung und Einflüsse

der Herkunftsfamilie.

Seine charakteristischen Eigenschaften – Stärken und Schwächen – zu kennen ist

ein wesentlicher Aspekt. Leider ist es oft so, dass wir unseren Schwächen zu viel

Gewicht geben. Vielmehr sollte das Augenmerk auf unsere Fähigkeiten und positiven

Besonderheiten gelegt werden. Es gilt dies zu trainieren und sich immer mal wieder

konkrete Gedanken darüber zu machen: wo liegen meine Fähigkeiten und Stärken?

Dies erfahren wir auch, in dem wir Austausch mit den unterschiedlichsten Menschen

pflegen. Es ist eine sehr wertvolle Art, viel über uns in Erfahrung zu bringen, in dem

wir deren Feedback erhalten. Dadurch gewinnen wir Erkenntnisse über uns. Wir

Béatrice Ensinger Coach

(© Bild)

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erfahren, wie wir in Wirklichkeit wahrgenommen werden. Jede Begegnung ist ein

Geschenk, weil sie uns den Spiegel vorhält. So finden wir immer mehr heraus, wer

wir sind. Wir entwickeln ein Gefühl für uns. Also: Mut haben zu fragen, offen zu sein

für Informationen und Hinweise, die uns betreffen, um sie dann sinnvoll zu nutzen.

Dieses Vorgehen gilt übrigens immer, denn wir entwickeln uns stets weiter. Ängste

bzw. Eitelkeit sind hier fehl am Platz und würden die zwischenmenschliche Isolation

verstärken, was grundsätzlich ein Problem unserer Zeit und Gesellschaft darstellt.

Eigenbrötler sein und Rückzug wählen ist die schlechteste Entscheidung. Wir haben

nichts zu verlieren, sondern können nur gewinnen. Empfehlenswert ist, nach jeder

Begegnung kurz Revue passieren zu lassen und herausfinden, welche neuen

Erkenntnisse über uns von Bedeutung sind, damit wir sie umsetzen können. Diese

Arbeit ist unbezahlbar! Sie sagt uns auch etwas aus über die Qualität unserer

Kontakte. Auch das haben wir in der Hand.

Indem wir uns mehr spüren, bekommen wir Zugang zu unserer wahren Identität und

ein Gefühl des Selbstvertrauens. Diese zwei Elemente sind für unsere Motivation

entscheidend! Auf einmal sind wir nicht mehr Opfer unserer vermeintlichen

Schwächen bzw. der jetzigen Wirtschaftslage, sondern der Kapitän unseres Lebens.

Selbstvertrauen führt dazu, dass wir unsere Motivation immer klarer empfinden und

authentisch artikulieren können. Wir können die Treibkraft in uns genau erkennen

und Hindernisse überwinden. Wir sind überzeugt und können überzeugen. Dadurch

sind wir in der Lage, unsere Ziele zu verwirklichen. Spüren wir dieses wunderbare

Gefühl nicht, dann müssen wir noch an unserer Motivation feilen. Sie stimmt noch

nicht ganz. Auch da spielen Begegnungen wieder eine Rolle. Es ist gut, Rat und

Impulse zu holen, mit dem Wissen aber, dass wir die Verantwortung dafür alleine

tragen, das eine oder andere zu realisieren. Die Wahl der Personen ist sehr wichtig.

Wir verdienen Respekt und sollen bestrebt sein, unsere emotionale Freiheit zu

behalten. Niemand kann besser wissen, was uns gut tut als wir selbst! Mit unserer

Motivation nehmen wir auch unsere persönlichen Einstellungen wahr, die wichtige

Indikatoren und Erfolgswerkzeuge sind: Einstellung zur Arbeit, zur Verantwortung,

zum Geld, zur Freizeit, zum Glück, usw.

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Es sind gerade unsere Einstellungen und Fähigkeiten, die sehr nützlich sein können,

sei es für das private Miteinander oder für den beruflichen Bereich. Unsere Sozial-

kompetenz hängt von ihnen ab. Sind wir teamfähig? Können wir uns in eine Gruppe

einbringen, ohne Verlust unserer Identität und mit Rücksicht auf die Anderen? Auch

da sehen wir wie wertvoll Gruppenerfahrungen sind. Durch die Reaktion anderer

Menschen erfahren wir mehr über unseren Kommunikationsstil, unser Verhalten und

unseren Stand innerhalb einer Gruppe. Wir können uns stets neu positionieren und

unsere positiven Persönlichkeitsmerkmale erweitern. Es liegt an uns, nur an uns.

Sehr lohnenswert ist zu überlegen, welche frühen Erfahrungen wir in der Kindheit

gemacht haben. Jeder weiß, dass sie unser Leben sehr prägen. Botschaften an

Kinder, wie z. B. „Lass das sein, das schaffst du eh nicht“ oder „ was soll bloß aus dir

mal werden“ sind mögliche Ursachen für mangelndes Selbstbewusstsein oder für

innere Blockaden. Sich Gedanken zu machen über die Herkunftsfamilie der beiden

Eltern ist auch durchaus hilfreich. So entdecken wir welche Einstellungen und

Verhaltensmuster in der Familie vorhanden sind und lernen uns selbst besser

kennen. Wir können weiterhin aktiv an uns arbeiten und entscheiden, welche Eigen-

schaften und Überzeugungen wir bewusst übernehmen und welche nicht.

Wenn wir richtig verinnerlichen, dass wir alles in der Hand haben, um unseren Erfolg

zu lenken, dann steht nichts mehr im Wege. Das Rezept ist eine Mischung aus

Selbstannahme, Selbstvertrauen, Wahl eines geeigneten Umfeldes, Kommunikation,

Selbstreflektion, Mut, Ausdauer, Offenheit, Geduld, Durchsetzungsvermögen,

Willenskraft und Dankbarkeit für alles, was uns weiterbringt.

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Literatur- und Quellverzeichnis

Scherer, Hermann: Jenseits vom Mittelmaß, Gabal Verlag 2009, S. 101.

Wirtschaftswoche Nr. 40 / 23.09.2004.

Ziegler, Werner; Hilse, Jürgen; Wurster, Michael; Scharte, Valentina: germany’s next

top manager – Studierende im Gespräch mit Wirtschaftsbossen, Aventinus Edition

2013.