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Besprechung der Klausur des Moduls 55106 (Bürgerliches Recht II/2) aus dem Wintersemester 2015/2016 RA Alexander Brockmann, LL.M.

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Besprechung der Klausur des Moduls 55106(Bürgerliches Recht II/2)

aus dem Wintersemester 2015/2016

RA Alexander Brockmann, LL.M.

Sachverhalt:

Der frisch pensionierte Rolf Ruhelos (R) hat sich entschlossen, der Stadt Hagen, in der er jahrzehntelang gearbeitet und gewohnthat, den Rücken zu kehren und sein Rentnerleben auf dem Land zu genießen. Er erhofft sich dort vor allem die nötige Ruhe, da erein Herzleiden hat und sich deshalb nicht aufregen darf. Eine passende Wohnung im Dörfchen D hat er bereits gefunden, so dasser mit großer Zuversicht und Freude dem Umzug in „sein neues Leben“ entgegensieht.Zu diesem Zweck mietet er sich beim Mietwagenunternehmen M-GmbH einen Umzugs-Mietwagen der Marke „VW“, Modell„Crafter“, für den Zeitraum vom 07.03.2016 bis zum 09.03.2016. M ist Eigentümer des Fahrzeuges.Mit dem vollgepackten Mietwagen befährt R am Umzugstag, dem 08.03.2016, gegen 14.00 Uhr die „Hauptstraße“ in der StadtHagen.Als er an die Kreuzung der Straßen „Hauptstraße“ und „Grafweg“ gelangt, setzt R rechtzeitig den rechten Blinker, umanzuzeigen, dass er nach rechts in den „Grafweg“ abbiegen möchte. Zudem stoppt er das Fahrzeug, um sich zu versichern, dasser beim Abbiegen niemanden behindern kann.Tatsächlich kommt von links ein weiteres Fahrzeug. Es handelt sich um einen „Mercedes“, Modell „S-Klasse Limousine“, das imEigentum des Bodo Bonze (B) steht und von diesem auch gesteuert wird. B stoppt seinen Wagen ebenfalls am Kreuzungsbereich.R leitet daraufhin den Abbiegevorgang ein. Im gleichen Moment wird B ohnmächtig, kippt nach vorne, fällt mit dem Kopf auf dasLenkrad und drückt mit dem rechten Fuß das Gaspedal durch. Im Nachhinein stellt sich heraus, dass B unter einer seltenen, bisdato unerkannten Krankheit leidet, bei der es zu spontanen Ohnmachtsanfällen kommen kann.So kommt es, dass der „Mercedes“ des B in den vorderen linken Kotflügel des von R gesteuerten „VW Crafter“ kracht. Esentsteht ein Sachschaden am VW in Höhe von 5000 Euro. Zudem bricht R sich durch den Aufprall die rechte Hand, wasBehandlungskosten in Höhe von 2000 Euro verursacht.Wütend steigt R aus und ruft die Polizei. Als diese eintrifft, schildert R den Beamten das Geschehen und wirft dem B vor, ihm dieVorfahrt genommen zu haben. B, der mittlerweile aus seiner Ohnmacht wieder erwacht ist, zeigt sich indes völlig uneinsichtig. Ersei ohnmächtig geworden, daher sei der Unfall für ihn unabwendbar gewesen. Mit dieser Ohnmacht habe man auch nichtrechnen können. Damit trage R die alleinige Schuld.R, der durch den Umzugsstress nervlich ohnehin schon angeschlagen war, gerät über diesen – für ihn ungeheuerlichen - Vorwurfderart in Rage, dass er einen Herzinfarkt erleidet und notärztlich ins Krankenhaus gebracht werden muss. Mit Glück überlebt er,muss allerdings drei Wochen stationär in der Klinik verbringen und Behandlungskosten in Höhe von 10.000 Euro tragen.So hatte R sich den Start in seine Rentnerzeit nun wirklich nicht vorgestellt! Er will sich die Dreistigkeiten von B, der ihn noch nichteinmal im Krankenhaus besucht hat, natürlich nicht bieten lassen. Während er die Schadensregulierung für das gemieteteFahrzeug der M-GmbH überlässt, will er selber die Behandlungskosten für die Handverletzung und den Herzinfarkt von Beinfordern, denn dieser sei doch jedenfalls ganz überwiegend für den Unfall verantwortlich. Die Ohnmacht des B ändere nämlichnichts an seinem Vorfahrtsverstoß. B sieht das nach wie vor anders. Weder trage er für den Unfall dieAlleinschuld, noch stünde der Herzinfarkt des R in irgendeinem Zusammenhang damit.

Frage:Hat R gegen B einen Anspruch auf Ersatz der Behandlungskosten für dieHandverletzung und den Herzinfarkt? Wenn ja, in welcher Höhe?(100 Punkte)

Bearbeitervermerk:Zu allen aufgeworfenen Fragen und Rechtsproblemen ist gutachterlich, notfallshilfsgutachterlich Stellung zu nehmen. Bearbeitungszeitpunkt ist der 10.03.2016.Im Kreuzungsbereich von „Hauptstraße“ und „Grafweg“ war eine besondereVorfahrtsregelung (§ 8 Abs. 1 S.2 Nr. 1 StVO) nicht getroffen.Die Ohnmacht des B erfüllt den Tatbestand des § 827 S. 1 BGB, so dass Ansprüchedes R aus den §§ 823, 826 BGB ausscheiden. § 829 BGB ist nicht zu prüfen.

Anlagen:§§ 1, 7 -18 StVG§§ 8, 9 StVO

Wichtig:Die folgende Besprechung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und Richtigkeit!Sie soll nur verdeutlichen, welche Punkte im Rahmen der Prüfung anzusprechen waren!

Vorüberlegungen

1. Was ist die konkrete Aufgabenstellung? Was muss ich tun?

Gutachterliche Prüfung, ob R gegen B einen Anspruch auf Ersatz der Behandlungskosten für dieHandverletzung und den Herzinfarkt hat. Die Schadensregulierung für den Mietwagen will Rnicht selber in die Hand nehmen.Sollte der Anspruch bejaht werden, muss auch die Höhe der Ersatzplicht geprüft werden.Sollte der Anspruch an welcher Stelle auch immer verneint werden, muss hilfsgutachterlichweitergeprüft werden!

2. Gibt es Vorschriften, die ich nicht prüfen muss?

Bearbeitervermerk beachten!!!Ansprüche aus §§ 823, 826 BGB scheiden hinsichtlich des Unfallgeschehens aus, da dieOhnmacht des B den Tatbestand des § 827 S.1 BGB erfüllt!Zudem ist § 829 BGB nicht zu prüfen!

3. Wo könnten Schwerpunkte und/oder Probleme des Falles liegen?

- Richtige Anspruchsgrundlage(n) finden- Kausalität der Verletzungen, insbesondere des Herzinfarkts (siehe Hinweise im SV)- Haftungsausschluss bei B wegen der Ohnmacht? (siehe Hinweise im SV)- Mitverschulden des R? => Höhe der Ersatzpflicht? (siehe Hinweise im SV)

Anspruchsgrundlagen

- Vertragliche Anspruchsgrundlagen sind nicht ersichtlich; R und B haben keinen Vertraggeschlossen!

- Gleiches gilt für quasivertragliche Ansprüche, wie solchen aus c.i.c.- Ansprüche aus GoA sind fernliegend, da hier weder B noch R ein fremdes Geschäft besorgt- Dingliche Ansprüche kommen schon deshalb nicht in Betracht, weil sie nicht Gegenstand

der Vorlesung sind- Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung scheitern daran, dass B nichts „erlangt“ hat

Daraus folgt:In Betracht kommen hier allenfalls Ansprüche aus den §§ 823 ff. BGB oder aus Vorschriftenaußerhalb des BGB!

Aber Bearbeitervermerk beachten:§ 827 S.1 BGB ist aufgrund der Ohnmacht des B erfüllt, daher können alle Handlungen des Bwährend der Ohnmacht keine Ansprüche des R aus §§ 823, 826 BGB begründen!Dies noch ausführlich zu prüfen, ist deshalb überflüssig!Gleiches gilt für § 829 BGB, der ausdrücklich von der Prüfung ausgeschlossen ist!Möglich ist es aber, § 823 Abs. 1 BGB zu prüfen und nicht auf Handlungen während derOhnmacht des B abzustellen, wie zum Beispiel auf den später geäußerten Schuldvorwurf.

⇒ Es bleiben ansonsten nur Vorschriften außerhalb des BGB übrig! In Betracht kommen hierNormen aus dem StVG, die passenderweise im Anhang an den Klausurtext zu finden waren.Diese haben als lex specialis Prüfungsvorrang vor Anspruchsgrundlagen aus dem BGB!

Haftungs- und anspruchsbegründende Vorschriften im StVG sind:1. § 7 Abs. 1 StVG (vorrangig zu prüfen, da leichter zu bejahen Gefährdungshaftung)2. § 18 Abs. 1 S. 1 StVG

Gutachten

I. Anspruch des R gegen B auf Ersatz der Behandlungskosten für die Handverletzung und den Herzinfarkt aus § 7 Abs. 1 StVG

Handverletzung und Herzinfarkt werden hier zusammen geprüft, da die zu prüfenden Tatbestands-voraussetzungen gleich sind und auf diese Weise (auch in der Klausur) Zeit gespart werden kann.

Einschub: Prüfungsschema von § 7 Abs. 1 BGB- Kraftfahrzeug (§ 1 Abs. 2 StVG)- Betrieb des Kraftfahrzeuges- Verletzungserfolg (und Aktivlegitimation)- Verletzungserfolg beim Betrieb des Fahrzeuges (Kausalität)- Haltereigenschaft des Anspruchsgegners (Passivlegitimation)- Schaden- Kein Haftungsausschluss (z.B. § 7 Abs. 2 StVG)- Höhe/Umfang der ErsatzpflichtACHTUNG: Nicht zu prüfen ist Verschulden (§ 7 Abs.1 StVG statuiert Gefährdungshaftung!)

§ 7 Haftung des Halters, Schwarzfahrt (war abgedruckt!)(1) Wird bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs oder eines Anhängers, der dazu bestimmt ist, von einemKraftfahrzeug mitgeführt zu werden, ein Mensch getötet, der Körper oder die Gesundheit eines Menschenverletzt oder eine Sache beschädigt, so ist der Halter verpflichtet, dem Verletzten den daraus entstehendenSchaden zu ersetzen.(2) Die Ersatzpflicht ist ausgeschlossen, wenn der Unfall durch höhere Gewalt verursacht wird.

1. Kraftfahrzeug (auf Seiten des B = Anspruchsgegner, s.u.)

§ 1 StVG Zulassung (war abgedruckt)(1) […](2) Als Kraftfahrzeuge im Sinne dieses Gesetzes gelten Landfahrzeuge, die durch Maschinenkraft bewegtwerden, ohne an Bahngleise gebunden zu sein.(3) […]

Übertragung auf den Fall:Mercedes des B ist ein Landfahrzeug, das durch Maschinenkraft bewegt wird und nicht an Bahngleise gebunden ist und folglich ein KFZ im Sinne von § 1 Abs. 2 StVG

2. Betrieb des Kraftfahrzeuges

ACHTUNG!Hier geht es nicht um die Kausalität (= „beim Betrieb“), sondern nur um die Frage, ob das KFZ überhaupt in Betrieb ist im Sinne der Vorschrift!

Heute h.M.: sog. „verkehrstechnische“ Auffassung KFZ ist in Betrieb, solange es sich im öffentlichen Verkehrsbereich bewegt oder in verkehrs-Beeinflussender Weise ruht.

a.A.: sog. „maschinentechnische“ Auffassung, die aber hier zum gleichen Ergebnis kommt

Übertragung auf den Fall: Mercedes bewegte sich im öffentlichen Verkehrsbereich und war mithin in Betrieb!

3. Haltereigenschaft des B (Passivlegitimation)

Definition:Halter ist, wer das Fahrzeug für eigene Rechnung gebraucht und die Verfügungsgewalt darüber besitzt.

Merke:- Tatsächliches Herrschaftsverhältnis relevant, nicht das rechtliche!- Daher auch Eigentumsverhältnisse nicht zwingend relevant, aber Indiz!

Übertragung auf den Fall:B ist Eigentümer, hat die Verfügungsgewalt über das Fahrzeug und gebraucht es offenbar auch für eigene Rechnung => B ist Halter(Sachverhalt gibt an dieser Stelle nicht viel her, daher kann Haltereigenschaft mit diesen Argu-menten vertretbar bejaht werden)

4. Verletzungserfolg (und Aktivlegitimation)

Erforderlich ist gemäß § 7 Abs. 1 StVG die Tötung eines Menschen oder die Verletzung desKörpers oder der Gesundheit; Anspruchsinhaber ist der Verletzte (=Aktivlegitimation)!

Übertragung auf den Fall:R hat einen Handbruch und einen Herzinfarkt erlitten; beides sind pathologische Zustände undfolglich Gesundheitsverletzungen!(und auch Körperverletzungen; Unterscheidung hier nicht relevant)

=> Verletzungserfolg ist bei R eingetreten; R ist aktivlegitimiert!

5. Verletzungserfolg beim Betrieb des Kraftfahrzeuges (= Kausalität)

Erster Schwerpunkt der Klausur!

Einschub: Wie ist die Kausalität bei § 7 Abs. 1 StVG zu prüfen?

- Zunächst ist von der schon von § 823 BGB bekannten Äquivalenztheorie auszugehen:Kausalität gegeben, wenn der Betrieb des Fahrzeuges nicht hinweggedacht werden kann,ohne dass der Verletzungs-erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele.

- Dann aber Besonderheit des § 7 StVG (wichtig!): Es muss sich die betriebsspezifische Gefahr,die vom KFZ ausgeht, in dem Verletzungserfolg verwirklicht haben!

- Idee dahinter: § 7 Abs. 1 StVG ist ein Tatbestand der Gefährungshaftung = Haftung ohneVerschulden, sondern allein deswegen, weil Betrieb des KFZ im Straßenverkehr eineGefahrenquelle darstellt, für die der Halter grundsätzlich verantwortlich ist (= Schutzzweckder Norm; kennen Sie von der Kausalität bei § 823 BGB)

- Ist nun ein Verletzungserfolg den Gefahren, die typischerweise vom Betrieb eines KFZausgehen (und vor denen § 7 Abs.1 StVG schützen will), nicht mehr zuzurechnen, so fehlt esan der Realisierung des betriebsspezifischen Gefahr! Der Betrieb des KFZ muss also denVerletzungserfolg zumindest mitgeprägt haben! Andersherum fehlt es an der Realisierungder Betriebsgefahr, wenn sich ein gänzlich eigenständiger Gefahrenkreis verwirklicht hat!

- Wichtiges Indiz dafür: Räumlicher und/oder zeitlicher Zusammenhang mit Betrieb des KFZ

Hinweis im Sachverhalt:B sagt, der Herzinfarkt steht in keinem Zusammenhang mit dem Unfall!

Übertragung auf den Fall:

ACHTUNG:Hier muss nun das erste Mal zwischen der Handverletzung und dem Herzinfarktdifferenziert werden!

a) Handverletzung

- Äquivalenztheorie: Betrieb des Fahrzeuges kann nicht hinweggedacht werden, ohne dassHandverletzung entfiele => (+)

- Realisierung der Betriebsgefahr: Betrieb des Fahrzeuges steht in engem zeitlichen undräumlichem Zusammenhang zum Verletzungserfolg; Handverletzung resultiere unmittelbar ausdem Aufprall der beiden Fahrzeuge => Betrieb des hat Verletzungserfolg mitgeprägt;Realisierung der Betriebsgefahr (+)

Ergebnis: Handverletzung erfolgte beim Betrieb des KFZ von B!

b) Herzinfarkt

- Äquivalenztheorie: Betrieb des Fahrzeuges kann nicht hinweggedacht werden, ohne dassHerzinfarkt entfiele => (+)

- Realisierung der Betriebsgefahr?Herzinfarkt zeitlich erst nach dem Unfall => unmittelbarer Zusammenhang nicht mehr gegeben; Infarkt wurde hauptsächlich durch verbale Auseinandersetzung zwischen B und R hervorgerufen => es verwirklicht sich ein eigenständiger, neuer Gefahrenkreis; davor will StVG nicht schützen!

Ergebnis: Herzinfarkt erfolgte nicht beim Betrieb des KFZ => § 7 Abs. 1 StVG insoweit (-)

Zwischenergebnis:

Der Herzinfarkt erfolgte nicht beim Betrieb des KFZ von B! Ein Anspruch aus § 7 Abs. 1 StVG scheidet insofern mangels Kausalität aus!

Hinsichtlich der Handverletzung müssen die Tatbestandsvoraussetzungen aber weitergeprüft werden!

6. Schaden (hinsichtlich der Handverletzung)

Definition:Schaden ist jede unfreiwillige Vermögenseinbuße!

Übertragung auf den Fall:Hier musste R unfreiwillig, da unfall- und verletzungsbedingt, notwendige Behandlungskosten inHöhe von 2.000,00 € für die Handverletzung tragen

Merke:Nicht die Handverletzung ist der Schaden, denn diese ist für sich genommen noch keineVermögenseinbuße!

=> R hat einen Schaden in Höhe von 2.000,00 € erlitten!

7. Kein Haftungsausschluss Nächster Schwerpunkt der Klausur!

B ist vor dem Unfall am Steuer ohnmächtig geworden.Dies könnte einen Haftungsausschluss wegen höherer Gewalt nach § 7 Abs. 2 StVGbegründen!

Definition von höherer Gewalt (durch die Rechtsprechung):Höhere Gewalt ist ein betriebsfremdes, von außen herbeigeführtes Ereignis, das nachmenschlicher Einsicht und Erfahrung unvorhersehbar ist, mit wirtschaftlich erträglichen Mittelnauch durch äußerste Sorgfalt nicht verhütet oder unschädlich gemacht werden kann und auchnicht wegen seiner Häufigkeit in Kauf zu nehmen ist (z.B. BGHZ 62, 351, 354)

=> Merke die wesentlichen Merkmale von höherer Gewalt:- Betriebsfremdes Ereignis- Von außen herbeigeführtes Ereignis

Hinweis im Sachverhalt:B sagt, dass man mit der Ohnmacht nicht habe rechnen können!

Übertragung auf den Fall:

- Für höhere Gewalt könnte sprechen, dass die Ohnmacht auf einer bis dato unerkannten Krankheit beruhte und demnach nicht vorhersehbar war; Tatbestand des § 827 BGB ist erfüllt

- ABER: Ohnmacht ist kein betriebsfremdes Ereignis von außen, weil Sicherheit des KFZ-Betriebs hängt vom Zusammenwirken von Mensch und Maschine ab => Risiko von Ohnmacht wohnt dem Betrieb des KFZ genauso inne wie technische Ausfälle etc. (BGH NJW 1957, 674).

- Dass § 827 BGB erfüllt ist, ist für Gefährdungshaftung irrelevant! => § 7 Abs. 2 StVG (-)

7. Höhe/Umfang der Ersatzpflicht Weiterer Schwerpunkt der Klausur!

Gemäß § 11 S.1 StVG muss B grundsätzlich die Behandlungskosten in voller Höhe tragen.Dies gilt jedoch nicht, wenn den R ein Mitverschulden trifft!

Einschub: Mitverschulden bei Ansprüchen aus dem StVG- Auch bei Ansprüchen aus §§ 7 Abs.1, 18 Abs. 1 StVG wirkt ein Mitverschulden des

geschädigten Anspruchsstellers anspruchsmindernd; insofern vergleichbare Rechtslage wieim BGB (siehe § 254 BGB, der hier aber nicht unmittelbar anwendbar ist)

- Hintergrund: Gefährdungshaftung soll keine ungerechten Ergebnisse hervorrufen,insbesondere keine ausufernde Haftung (betrifft aber nur Höhe der Ersatzpflicht)

- Vorschriften im StVG zum Mitverschulden sind § 9 StVG und § 17 Abs.1 und 2 StVG!- Abgrenzung: § 17 (gilt nur für Schadensverursachung durch mehrere Fahrzeuge) ist

spezieller als § 9 und hat daher innerhalb seines Anwendungsbereiches Vorrang!- Über § 9 findet wiederum § 254 BGB Anwendung!

Übertragung auf den Fall:

Hier war neben dem KFZ des B noch ein weiteres KFZ im Sinne von § 1 Abs. 2 StVG am Unfallbeteiligt, nämlich der von R gesteuerte Umzugswagen!(KFZ-Eigenschaft ist wie schon beim Mercedes des B völlig unproblematisch zu bejahen!)

=> Es ist § 17 StVG im Hinblick auf ein mögliches Mitverschulden des R zu prüfen!

Wer hier § 9 StVG iVm § 254 BGB prüft, kommt im Wesentlichen auf die gleichen Punkte zusprechen, zeigt aber auch, dass er das Gesetz nicht korrekt, bzw. differenziert anwenden kann!

Hinweis im Sachverhalt: B sagt, nicht er, sondern R trage am Unfall die alleinige Schuld!

Einschub: Prüfungsschema für Mitverschulden nach § 17 StVG im vorliegenden Fall- Schadensverursachung durch mehrere Kraftfahrzeuge (§ 17 Abs. 1 StVG)- Schaden bei einem der beteiligten Fahrzeughalter (§ 17 Abs. 2 StVG)- Kein Haftungsausschluss aufgrund eines unabwendbaren Ereignisses (§ 17 Abs. 3 StVG)- Verursachungsbeiträge/Haftungsquote

a) Schadensverursachung durch mehrere Kraftfahrzeuge (+) (s.o.)

b) Schaden bei einem der beteiligten Fahrzeughalter (§ 17 Abs. 2 StVG)

R hat einen Schaden in Höhe von 2.000,00 € erlitten (s.o.).Fraglich ist aber, ob R auch Fahrzeughalter war!

Erinnerung:Halter ist, wer das Fahrzeug für eigene Rechnung gebraucht und die Verfügungsgewalt darüber besitzt (s.o.).

Übertragung auf den Fall:

- Gegen eine Haltereigenschaft von R könnte ggf. sprechen, dass er den Umzugswagen lediglich gemietet hat

- ABER: Rechtliche Verhältnisse sind für Haltereigenschaft nicht zwingend relevant; es geht um tatsächliche Herrschaftsverhältnisse (s.o.)!=> Mieter kann zum Halter werden, wenn ihm die Verfügungsgewalt eingeräumt wurde; Indiz dafür: Dauer des Mietverhältnisses!

- Hier: R hat KFZ für mehrere Tage gemietet und in dieser Zeit die tatsächliche Verfügungsgewalt; er nutzt das KFZ auch für eigene Rechnung => R ist Halter! (a.A. mit guter Argumentation vertretbar; dann muss aber hilfsgutachterlich weitergeprüft werden)

c) Kein Haftungsausschluss nach § 17 Abs. 3 StVG

Hinweis im Sachverhalt:B sagt, der Unfall sei für ihn unabwendbar gewesen!

§ 17 Abs. 3 StVG setzt ein unabwendbares Ereignis voraus und gibt zugleich Anhaltspunkte dafür an dieHand:

§ 17 Schadensverursachung durch mehrere Kraftfahrzeuge (war abgedruckt)(1) […](2) […](3) Die Verpflichtung zum Ersatz nach den Absätzen 1 und 2 ist ausgeschlossen, wenn der Unfall durch einunabwendbares Ereignis verursacht wird, das weder auf einem Fehler in der Beschaffenheit des Fahrzeugsnoch auf einem Versagen seiner Vorrichtungen beruht. Als unabwendbar gilt ein Ereignis nur dann, wennsowohl der Halter als auch der Führer des Fahrzeugs jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfaltbeobachtet hat. Der Ausschluss gilt auch für die Ersatzpflicht gegenüber dem Eigentümer einesKraftfahrzeugs, der nicht Halter ist.(4) […]

Übertragung auf den Fall:

Siehe hier im Wesentlichen schon die Pro- und Contra-Argumente bei § 7 Abs. 2 StVG:- Für Unabwendbarkeit könnte sprechen, dass Krankheit des B bis dato unerkannt und daher

unvorhersehbar war- Aber auch hier gilt: Zusammenwirken von Mensch und Maschine begründet eine für das

StVG typische Gefährdungslage; Insofern kann man ein menschliches Versagen mit einem Versagen von technischen Vorrichtungen gleichsetzen, auch wenn es im Prinzip unvorher-sehbar war (so auch BGH NJW 1957, 674); a.A. mit guter Argumentation vertretbar!

=> Die Ohnmacht des B stellt kein unabwendbares Ereignis dar => § 17 Abs. 3 StVG (-)!

d) Verursachungsbeiträge/Haftungsquote

Merke:Zu dieser Haftungsabwägung kommt es nur dann, wenn – wie hier - keinunabwendbares Ereignis angenommen wird. Sonst entfällt nämlich die Ersatzpflicht,so dass es auf Verursachungsbeiträge gar nicht mehr ankommt!

Einschub: Vorgehensweise bei diesem Prüfungspunkt; Ziel: Erhalt einer Haftungsquote- Zunächst Bestimmung der Verursachungsbeiträge bei dem schadensstiftenden Ereignis- Danach Ermittlung der Haftungsquote anhand der Verursachungsbeiträge, wobei die

einzelnen Quoten zusammengerechnet immer 100 Prozent ergeben müssen

aa) Bestimmung der Verursachungsbeiträge

- Mangels anderweitiger Vorfahrtsregelungen war hier R gemäß § 8 Abs. 1 S.1 StVO vorfahrts-berechtigt

Anhaltspunkte hierfür: Verstöße der Beteiligten gegen Straßenverkehrsvorschiften!

- Indem B (wohl) zeitgleich mit R losfuhr, hat er dessen Vorfahrt missachtet und dadurch den Unfall hervorgerufen

- R hat sich im Übrigen verkehrsgerecht verhalten; insbesondere hat er rechtzeitig durch sein Blinken angekündigt, dass er abbiegen will (§ 9 Abs. 1 S.1 StVO)

=> B hat durch sein Fehlverhalten den Unfall verursacht; R kommt kein nennenswerterVerursachungsbeitrag zu!

bb) Ermittlung der Haftungsquote

Aufgrund der vorherigen Ausführungen beruht der Unfall und damit einhergehend dieVerletzung und der Schaden des R alleinig auf dem Fehlverhalten des B. Ein Mitverschuldentrifft R nicht!

Aber merke:R muss sich hinsichtlich der Haftungsquote dennoch etwas anrechnen lassen undzwar die allgemeine Betriebsgefahr, die von seinem KFZ ausgeht!Hintergrund: § 7 Abs. 1 StVG ist Gefährdungshaftung; R hat seinerseits am Straßenverkehrteilgenommen und damit eine Gefahrenquelle eröffnet. Zudem war sein Fahrzeug am Unfallbeteiligt!

Üblicherweise wird gegenüber der durch Verschulden erhöhten Betriebsgefahr auf der einen Seite (hier bei B) die einfache Betriebsgefahr auf der anderen Seite (hier bei R) mit 20 Prozent berücksichtigt. Bei einem schwerwiegenden Verkehrsverstoß ist es aber oft gerechtfertigt, die einfache Betriebsgefahr ganz zurücktreten zu lassen (BGH NZV 07, 451; NZV 96, 272 u.a.)

Anmerkung: Das mussten Sie nicht zwingend wissen! Entscheidend war hier, die einzelnenVerursachungsbeiträge zu erkennen und davon ausgehend zu einer vertretbarenHaftungsquote zu kommen!

Übertragung auf den Fall:

Hier ließe sich eine Haftungsquote von 80/20, 90/10 oder 100/0 problemlos vertreten.

Ergebnis zu 7.: B hat den Schaden ganz/ zu 90/ zu 80 Prozent zu ersetzen!

Ergebnis zu I.:

R hat gegen B einen Anspruch auf Ersatz der Behandlungskosten für die Hand-verletzung in Höhe von 2.000,00 € / 1.800,00 € / 1.600,00 € (je nach Ergebnis) aus § 7Abs. 1 StVG!

R hat gegen B keinen Anspruch auf Ersatz der Behandlungskosten für den Herzinfarktaus § 7 Abs. 1 StVG!

II. Anspruch des R gegen B auf Ersatz der Behandlungskosten für die Handverletzung und den Herzinfarkt aus § 18 Abs. 1 S.1 StVG

§ 18 Ersatzpflicht des Fahrzeugführers (war abgedruckt)(1) In den Fällen des § 7 Abs. 1 ist auch der Führer des Kraftfahrzeugs oder des Anhängers zum Ersatz desSchadens nach den Vorschriften der §§ 8 bis 15 verpflichtet. Die Ersatzpflicht ist ausgeschlossen, wenn derSchaden nicht durch ein Verschulden des Führers verursacht ist.(2) […](3) […]

Merke:§ 18 Abs. 1 StVG normiert im Gegensatz zu § 7 Abs. 1 StVG eine Haftung fürvermutetes Verschulden und ist kein Tatbestand der Gefährdungshaftung, da sich derFahrzeugführer nach § 18 Abs. 1 S.2 StVG entlasten kann!

Einschub: Prüfungsschema für § 18 Abs. 1 StVG- Fall des § 7 Abs.1 StVG- Anspruchsgegner ist Kraftfahrzeugführer- Ausschluss der Ersatzpflicht nach § 18 Abs. 1 S.2 StVG- Haftungsumfang

1. Fall des § 7 Abs.1 StVG (+), aber nur im Hinblick auf die Handverletzung, s.o.

2. B = KraftfahrzeugführerDefinition:Kraftfahrzeugführer ist derjenige, der das KFZ eigenverantwortlich lenkt und die tatsächliche Gewalt über das Steuer hat.

Hier: B saß am Steuer und hat eigenverantwortlich gelenkt => Kraftfahrzeugführer (+)

3. Haftungsausschluss nach § 18 Abs. 1 S.2 StVG ?

Siehe oben:§ 18 Abs. 1 StVG begründet eine Haftung für vermutetes Verschulden=> Grundsätzlich wird das Verschulden des B vermutet, es sei denn, er kann sich entlasten!Hierfür können auch Vorschriften aus dem BGB mittelbar zur Bewertung herangezogen werden.

- B trägt vor, ihn treffe aufgrund seiner Ohnmacht keine Schuld!

- In der Tat war B ohnmächtig und die Ohnmacht an sich unverschuldet, da die Krankheitbislang unentdeckt war; zudem erfüllte die Ohnmacht sogar den Tatbestand des § 827 S.1BGB, der hier zur Bewertung der Schuldfrage mittelbar herangezogen werden kann.

=> B kann sich entlasten!=> Die Haftung nach § 18 Abs. 1 S.1 StVG ist gemäß § 18 Abs. 1 S.2 StVG ausgeschlossen!

Ergebnis zu II.:

R hat gegen B keinen Anspruch auf Ersatz der Behandlungskosten für die Hand-verletzung und den Herzinfarkt aus § 18 Abs. 1 S.1 StVG!

Gesamtergebnis:

R hat gegen B einen Anspruch auf Ersatz der Heilbehandlungskosten inHöhe von 2.000,00 € / 1.800,00 € / 1.600,00 € für die Handverletzung aus § 7Abs. 1 StVG!

R hat gegen B keinen Anspruch auf Ersatz der Heilbehandlungskosten fürden Herzinfarkt!

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!