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(188) dem Schmuckbedurfnis dienen muB. Spinnerei und eine ganz primitive Weberei sind wohl erst vor kurzer Zeit iibernommen. Musikinstrumente waren in zahlreichen Formen vorhanden: die groBe Kiirbis- trompete, jetzt vielfach durch Rinderhorn ersetzt, ein kleines, seitlich geblasenes, spitz zulaufendes Holzhorn, verschiedene Flõten und Okarina-áhnliche Friichte und kleine Kalebassen mit 2 und 4 Schallõchern. Sprachlich lassen sich die Cran-Stámme in zwei Gruppen teilen. Ais Hauptkenn- zeichen gebe ich an, daB die Maranhenser Horden — Piocobye, Kreapimkataye, Rem- kokamekrã, Aponyekrã und die Krâo von Nordgoyaz — in vielen Worten ein ,,k" spre- chen, das bei den Apinaye, den Kayapo und den Krâo von Bahia (Sampaio) zu einem „g" wird. Die erste Gruppe unterscheidet sich auch in einigen Kulturelementen deutlich von der zweiten. Es war daher falsch von Sampaio, die Krâo von Bahia mit den Maka- mekrâ des Rio Manoel Alves Pequeno in Nordgoyaz zu identifizieren. Im November 1929 verbrachte ich 15 Tage unter den Tukuna am Igarapé Preto, Lago Cajary und Igarapé do Caldeirão (linke Zufliisse des Rio Solimões zwischen Taba- tinga und São Paulo de Olivença). Der Stamm zàhlt auf peruanischem und brasiliani- schem Gebiet zusammen mindestens noch 3000 Kõpfe; er ist schon stark von der Zivi- lisation beeinfluBt, bewahrt aber doch noch viele Elemente seiner alten Kultur. Den áuBeren Verháltnissen nach zerfállt der Stamm in ebensoviele Banden, ais er Zufliisse des Solimões bewohnt. Diese Banden haben untereinander wenig Verkehr und stehen sich manchmal mit einem gewissen MiBtrauen gegenúber. Sie besitzen keiner- lei politische Organisation mehr: ihre sogenannten „capitães", inPerú ,,curácas", sind Dolmetscher, welche ihren Stammesgenossen, welche im allgemeinen nur ihre eigene Sprache verstehen, die Befehle ihrer zivilisierten Herren, der Grundbesitzer am Soli- mões, úbermitteln, die allen Verkehr mit den Indianern monopolisieren, diese unter strenger Vormundschaft h alten und sich auf diese Weise deren Gummiproduktion sich em. Die innere soziale Gliederung des Stammes weist zwei streng exogamische Gruppen auf, deren Namen mir zu ermitteln nicht gelang und deren jede aus einer Anzahl von Clans (keá) 1 ) besteht, welche nicht lokalisiert sind. Die Zugehórigkeit der Kinder wird durch die váterliche Abstammung entschieden. Ich stellte die folgenden ,,Keá" fest: Besuch bei den Tukuna-Indianern. Von CURT NIMUENDAJÚ. A: B: seln dienen: Auahy) Nã'i (Baum im allgemeinen) Tema (Mirity — Mauritia flexuosa) Céè" (Acapú — Vouacapoua sp.) É (Genipapo — Genipa sp.) Nayl' (Saúba — Atta cephalotes) 0'i (Jaguar — Felis onça) Aru (Baum, dessen Frúchte ais Ras- Táu (Tucano — Rhamphastos sp.) Tuyuyu (Tuyujú — Tantalus loculator) Aiwéru (Urumutum — Crax sp.) Kóuré (Japihy — Oriolus sp.) Noi (Arara — Ara macao) Ngu/nã (Mutum — Crax sp.) Bari (Japu — Cassicus sp.) Kówa (Maguary — Ardea cocoi) Ngaúa (Socó — Ardea sp.) E/õa (Urubu rei — Gypagus papa) Dyawirú (Jaburu — Mycteria americana) Máyu (Piury — Crax sp.) x) Anm. d. Schriftltg. Um phonetische Zeichen zu sparen, gilt folgendes fur die vom Verf. gebrauchten Tukana-Wõrter. Unbetontes e, i und auslautendes ã NIMUENDAJÚ, Curt. Besuch bei den Tukuna-Indianern. Ethnologischer Anzeiger, Stuttgart, v. 2, n. 4, p. 188-194, 1930. Digitalizado por Peter Schröder para a Biblioteca Digital Curt Nimuendajú: http://www.etnolinguistica.org/biblio:nimuendaju_1930_besuch

Besuch bei den Tukuna-Indianern - biblio.wdfiles.combiblio.wdfiles.com/local--files/nimuendaju-1930-besuch/nimuendaju_1930... · (189) Jeder. Keá hat seine eigenen Personennamen

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(188) dem Schmuckbedurfnis dienen muB. Spinnerei und eine ganz primitive Weberei sind wohl erst vor kurzer Zeit iibernommen.

Musikinstrumente waren in zahlreichen Formen vorhanden: die groBe Kiirbis-trompete, jetzt vielfach durch Rinderhorn ersetzt, ein kleines, seitlich geblasenes, spitz zulaufendes Holzhorn, verschiedene Flõten und Okarina-áhnliche Friichte und kleine Kalebassen mit 2 und 4 Schallõchern.

Sprachlich lassen sich die Cran-Stámme in zwei Gruppen teilen. Ais Hauptkenn-zeichen gebe ich an, daB die Maranhenser Horden — Piocobye, Kreapimkataye, Rem-kokamekrã, Aponyekrã und die Krâo von Nordgoyaz — in vielen Worten ein ,,k" spre-chen, das bei den Apinaye, den Kayapo und den Krâo von Bahia (Sampaio) zu einem „g" wird. Die erste Gruppe unterscheidet sich auch in einigen Kulturelementen deutlich von der zweiten. Es war daher falsch von Sampaio, die Krâo von Bahia mit den Maka-mekrâ des Rio Manoel Alves Pequeno in Nordgoyaz zu identifizieren.

Im November 1929 verbrachte ich 15 Tage unter den Tukuna am Igarapé Preto, Lago Cajary und Igarapé do Caldeirão (linke Zufliisse des Rio Solimões zwischen Taba-tinga und São Paulo de Olivença). Der Stamm zàhlt auf peruanischem und brasiliani-schem Gebiet zusammen mindestens noch 3000 Kõpfe; er ist schon stark von der Zivi-lisation beeinfluBt, bewahrt aber doch noch viele Elemente seiner alten Kultur.

Den áuBeren Verháltnissen nach zerfállt der Stamm in ebensoviele Banden, ais er Zufliisse des Solimões bewohnt. Diese Banden haben untereinander wenig Verkehr und stehen sich manchmal mit einem gewissen MiBtrauen gegenúber. Sie besitzen keiner-lei politische Organisation mehr: ihre sogenannten „capitães", inPerú ,,curácas", sind Dolmetscher, welche ihren Stammesgenossen, welche im allgemeinen nur ihre eigene Sprache verstehen, die Befehle ihrer zivilisierten Herren, der Grundbesitzer am Soli­mões, úbermitteln, die allen Verkehr mit den Indianern monopolisieren, diese unter strenger Vormundschaft h alten und sich auf diese Weise deren Gummiproduktion sich em.

Die innere soziale Gliederung des Stammes weist zwei streng exogamische Gruppen auf, deren Namen mir zu ermitteln nicht gelang und deren jede aus einer Anzahl von Clans (keá)1) besteht, welche nicht lokalisiert sind. Die Zugehórigkeit der Kinder wird durch die váterliche Abstammung entschieden. Ich stellte die folgenden ,,Keá" fest:

Besuch bei den Tukuna-Indianern. Von CURT NIMUENDAJÚ.

A : B :

seln dienen: Auahy) Nã'i (Baum im allgemeinen) Tema (Mirity — Mauritia flexuosa) Céè" (Acapú — Vouacapoua sp.) É (Genipapo — Genipa sp.)

Nayl' (Saúba — Atta cephalotes) 0 ' i (Jaguar — Felis onça) Aru (Baum, dessen Frúchte ais Ras-

Táu (Tucano — Rhamphastos sp.) Tuyuyu (Tuyujú — Tantalus loculator) Aiwéru (Urumutum — Crax sp.) Kóuré (Japihy — Oriolus sp.) Noi (Arara — Ara macao) Ngu/nã (Mutum — Crax sp.) Bari (Japu — Cassicus sp.) Kówa (Maguary — Ardea cocoi) Ngaúa (Socó — Ardea sp.) E/õa (Urubu rei — Gypagus papa) Dyawirú (Jaburu — Mycteria americana) Máyu (Piury — Crax sp.)

x) A n m . d. S c h r i f t l t g . Um phonetische Zeichen zu sparen, gilt folgendes fur die vom Verf. gebrauchten Tukana-Wõrter. Unbetontes e, i und auslautendes ã

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(189) Jeder. Keá hat seine eigenen Personennamen und ist bei festlichen Gelegenheiten

durch seine Genipapobemalung (Urucú. wird nie verwendet) kenntlich. Die Tukuna sind von den Kapuzinermissionaren in São Paulo de Olivença getauft;

darauf beschrãnkt sich aber auch ihr ganzes Christentum. Dámonen von Pflanzen, Tieren und Naturerscheinungen spielen bei ihnen eine groBe Rolle. Von ihren Astralmythen gelang es mir nur zwei aufzuzeichnen:

Dyoí u n d I p i . • Ngutapa erzúrnt sich mit seinem Weib; er bindet sie mit gespreizten Beinen fest,

so daB ihre Geschlechtsteile den Bissen der Wespen ausgesetzt sind. Der Cancan (Ibycter americanus) befreit das Weib und befiehlt den Wespen, Ngutapa anzugreifen.

i sind mit daruntergesetztem Haken zu lesen; s tat t i mit Haken ist i gesetzt; o wird stets sehr offen (weit), betontes e eng gesprochen; u nach ng und m, im Anlaut und im Worte Tuyuyu ist offen. Ng = einfacher Velarnasal, C (õ) = tsch.

(190) Die Wespenstiche verursachen eine ungeheure Anschwellung von Ngutapas rechtem Knie, aus dem schlieBlich zwei Knaben: Dyoí und Ipi, und zwei Mádchen: A'ike und Muwace hervorgehen. Ngutapa in Hirschform wird im Wald vom Jaguar gefressen, aber Dyoí und Ipi beschlieBen, ihn zu ràchen. Sie machen Piranhas (Serrasalmo sp.) und setzen sie in den Bach, den der Jaguar auf einem Steg zu uberschreiten pflegt. Dann reiben sie den letzteren mit dem schleimigen Saft der Ambaúva (Cecropia sp.) ein, so daB der Jaguar ausgleitet, ins Wasser stiirzt und von den Raubfischen getòtet wird. Sie ziehen den Toten ans Ufer und entnehmen seinem Leib die Reste Ngutapas, die Dyoí zusammensetzt und durch einen FuBtrittwieder belebt. Ngutapa steht auf und fragt, wie lange er denn geschlafen habe.

Dyoí und Ipi treffen im Wald den weiblichen Damon Maõí, der Cocapulver bereitete und dazu die Namen der beiden Brúder sang. Diese machen Giftschlangen, Skorpione und TausendfiiBe unter einem Ambaúvabaum und verbieten den Bláttern des Baumes, zu Maõí zu fliegen, wenn diese sie ruft, um sie zu Asche zu brennen. Ais die Ambaúva-blátter auf Maõís Ruf dann nicht kommen, geht diese selbst zu dem Baum, wird von den giftigen Tieren gebissen und stirbt. Aus ihren Beinknochen machen sich die Brúder Flõten und uberlassen das tibrige Skelett den verschiedenen Tieren zu dem gleichen Zweck.

Dann trafen die Brúder im Wald die Ukai-Dámonen, die gerade heimgekommen waren, um zu essen. Die beiden warten, bis sie wieder in den Wald gegangen sind und vergiften dann das Trinkwasser in dem Topf der Ukai mit der Asche einer Krõte. Gegen Abend kommen die Ukai durstig zurúck, trinken von dem vergifteten Wasser und fallen einer nach dem andern tot nieder. Nur der letzte wird miB-trauisch und entflieht.

Es war im Wald eine Frau mit ihrem Tõchterchen, die war auf der Flucht vor den Ukai, die schon ihre sãmtlichen Verwandten aufgefressen hatten. Ais ein Dickicht von Schneidgras den Weg versperrte, fing das Mádchen an zu weinen und wollte nicht mehr vorwârts. Da hieB es die Mutter zu Dyoí gehen. Dieser befahl dem Mádchen, auf einen Umarybaum zu steigen, wo es sich in eine Frucht verwandelte: deshalb ist ihr Name Técariui (= Geoffroya spinosa L.). Am Abend begann sie zu singen, und des Nachts bekam sie ihre Menschengestalt, ging zu Dyoí und spielte mit ihm. Ipi hõrte sie in der Dunkelheit kichern und fragte, wer da sei, worauf ihm Dyoí antwortete, das Wiegebrett habe gelacht, weil er es gekitzelt habe. Da stand Ipi auf, holte sich ein Wiege-brett und kitzelte es, aber es wollte nicht lachen, ebensowenig wie der Trog und der Besen, mit denen es Ipi auf seines Bruders Antworten hin noch versuchte.

Am Morgen verwandelte sich Tèõariui wieder in eine Umaryfrucht und sang auf ihrem Zweig die Namen der Brúder. Ipi suchte vergebens die Sángerin, wáhrend Dyoí in den Wald ging. Um Mittag wurde die Frucht reif und fiel herab, und sofort lief Ipi hinzu, um sie aufzunehmen, aber sie versteckte sich. Da kehrte Ipi den ganzen Platz rund um den Baum, fand aber nichts. Des Nachts kam Tèõariui wieder zu Dyoí: Sie war nun schon eine Jungfrau; sie lachte nicht mehr und schlief bei ihm. Am Morgen versteckte sie Dyoí, ehe er in den Wald ging, in seiner Knochenflõte.

Ipi ging zum Bach, um Tamoatáfische zu fangen. Er brachte einen Korb voll nach Hause, machte Feuer unter der Rõstpfanne und schúttete die Fische darauf. Die Tamoa-tás sprangen und tanzten auf der heifien Pfanne, und Ipi tanzte um sie herum. Ais Tèõariui in ihrem Versteck das sah, lachte sie. Sofort suchte Ipi nach ihr, fand aber nichts. Noch zweimal wiederholte er die Szene mit den Fischen, bis er schlieBlich Tèõariui in der Flóte entdeckte und sie durch Hineinblasen zwang, hervorzukommen. Er ergriff sie und begattete sie, bis ihr der Samen aus Mund und Nase quoll. Dann wollte er sie wieder in der Flõte verbergen, aber sie ging nicht mehr hinein, denn sie war schon schwanger. Da bekam Ipi Angst vor seinem Bruder: Er rieb sich die weiBe Masse

(191) der TucumnuB auf die Eichel, um sich den Anschein zu geben, ais habe er lange nicht kohabitiert und ging so Dyoí entgegen; der aber merkte gleich, was ge-schehen war.

Er faBte Tèõariui und schiittelte sie, worauf sie den Knaben Cieki gebar. Da befahl Dyoí seinem Bruder, Genipapofriichte zu bringen, um das Kind zu bemalen, und zwang ihn, mit dem Kopf nach unten den Baum zu erklettern und die Frúchte mit den FuBen abzunehmen. Von der Hõhe herab rief Ipi, daB er in der Ferne Leute sehe: es waren die Omagua, die in ihren Booten den Solimões herunter trieben. Um seinen Bruder noch weiter zu strafen, lieB dann Dyoí einen máchtigen Baumschwamm rund um den Stamm wachsen, aber Ipi, in eine Tocandira-Ameise verwandelt, uberwand das Hindernis. Da zauberte Dyoí einen Busch stacheliger Nanahy [Bromelia sp.) an den FuB des Baumes. Ipi aber, in eine Baumwollflocke verwandelt, lieB sich herunterfallen und gelangte unversehrt auf den Boden. Darauf befahl ihm Dyoí, die Genipapofriichte zu zerreiben. Er lieB ihn nicht innehalten, ais sie zerrieben waren, sondem hieB ihn weiter-reiben, so daB Ipi seine Hànde, seine Arme und schlieBlich sich selbst ganz zerrieb und sich mit der Genipapomasse vermischte. Dyoí bemalte nun damit den Knaben, warf die úbrige Masse in den FluB und erbaute dariiber einen Fischzaun. Viele kleine Fische fingen sich und wuchsen darin auf, indem sie sich von der Masse ernáhiten.

Ais die Fische schon groB waren, nahm Dyoí seine Angel mit einem Stein ais Kõder und ging nach dem Fischzaun. Alie Fische, die er herausangelte, verwandelten sich auf dem Land in Wildschweine: deshalb haben diese starke Záhne. Dann angelte er mit grúnem Mais ais Kõder, und die Fische, die er nun fing, verwandelten sich in Tukuna-Indianer: deshalb sind deren Záhne wenig widerstandsfáhig. Darauf versuchte er lange vergebens, seinen Bruder Ipi herauszufischen; schlieBlich gab er die Angel Tèõariui: ,,Sieh du zu, daB du deinen Liebhaber herausbekommst!" Da biB Ipi sofort an, lieB sich aufs Land ziehen und bekam seine alte Gestalt wieder. Dyoí gab ihm nun die Angel, damit auch er seine Leute herausfische, Ipi aber schlug alie Fische, die er fing, sofort tot, ehe sie sich in Menschen verwandeln konnten. Dyoí muBte es ihm zeigen. wie er es zu machen habe, und nun angelte Ipi mit Kõder aus siiBer Mandioca die Ko-káma und die iibrigen Stámme des peruanischen Amazonas. SchlieBlich machte Dyoí aus dem Rest des Abfalls die Neger.

Darauf begannen die Bruder wegen der Verteilung der Welt zu streiten, wer von ihnen den Westen und wer den Osten bekommen sollte. Ipi wollte durchaus fluBabwárts ziehen und brach auch mit seinen Leuten nach Osten auf, aber wáhrend er schlief, drehte Dyoí die Welt um, so daB Ipi mit seinen Leuten auf die Westseite kam und Dyoí mit den Seinen nach Osten, wie es der letztere gewollt hatte.

Dyoí wohnt noch heute fern im Osten jenseits des Meeres an einem Ort, der Múruapi heiBt; auch Ngutapa und Tèõariui sind dort, aber kein Mensch kann zu ihnen hingelangen. In alten Zeiten haben manche Múruapi von weitem gesehen, aber wenn sie nàher kamen, verwandelte sich alies in bltihende Busche. Dyoí ist der Vater der Tukuna; er ist ,,Tupána" (Lingua geral = Gott). Tèõariui ist Unsre liebe Frau.

W i k i õ a, d e r O r i o n . Zwei Brúder fanden tief im Wald am FuB eines Baumes einen Korb mit gekochten

Bataten. Der altere ging vorúber, der júngere aber konnte der Versuchung nicht wider-stehen und aB eine von den Knollen.

Ais sie dann des Nachts in einer Hútte schliefen, kam der Damon Nguri, dem der Korb gehõrte, durch den Wald und rief: ,,Wo ist meine Batate?!" und aus dem Magen des Jungeren ertõnte die Antwort: ,,Hier bin ich!" Der Altere fuhr empor und ver­suchte, seinen Bruder zu wecken, der aber lag, ais wàre er tot und riihrte sich auch nicht, ais ihn der andere mit einem Feuerbrand anstieB. Da versteckte sich dieser in dem

(192) Giebelraum der Hútte, wàhrend Nguri herankam, dem Schlafenden das eine Bein abriB und es zum FraB mitnahm.

Ais er gegangen war, erwachte der Verstúmmelte, sah den blutigen Stumpf und sprach: ,,Bruder, die Fledermãuse haben meinBeingefressen!" ,,Nicht die Fledermãuse waren es, sondern der Damon Nguri, weil du von seinen Bataten gegessen hast," ant-wortete jener. Da lieB sich der Jiingere einen Keulenstock machen und verlieB, von seinem Bruder auf dem Rúcken getragen, die Hutte. Wàhrend sie durch den Wald zogen, sprang vor ihnen eine Cutia auf, und sofort bat der Jiingere, man mõge ihn ab-setzen. Er sprang mit seinem einen Bein dem Wild nach, viel schneller, ais er es mit zweien hàtte tun kõnnen, und tõtete es mit der Keule. Er schnitt ein Stuckchen Fleisch von der Beute ab, band es in Blatter ein und gab es seinem Bruder. Nach einer Weile scheuchten sie beim Weitergehen einen Hirsch auf, den der Verstúmmelte auf die gleiche Weise erlegte; wieder schnitt er nur ein Stuckchen von der Beute ab, wickelte es ein und gab es seinem Bruder. Ais sie nach Hause kamen, war seine Frau verdrossen iiber die kleinen Fleischstuckchen; ihr Mann aber hieB sie einen groBen Bratrost mit viel Glut darunter machen. Dann packte er das Fleisch aus und warf es seiner Frau zu; und da wurden die Stucke so groB, daB sie ganz davon bedeckt wurde.

Darauf lieB er sich wieder in den Wald tragen, wo er diesesmal einen Tapir tõtete. Er wartete bei der Beute, bis die Aasgeier kamen, und ais alie versammelt waren, sprach er zu dem Kõnigsgeier: „Dieses Wild habe ich fúr euch getõtet; nehmt mich nun dafiir mit euch hinauf in den Himmel!" Da hoben ihn die Geier empor in das Himmelsland, wo er noch heute zu sehen ist: Wíkíca, der Orion. —

Die Seelen der Verstorbenen verbleiben nach dem Tode in der Náhe ihres alten Wohnplatzes; sie werden fur die Lebenden bisweilen, aber nur des Nachts sichtbar.

Zauberer ,,gibt es nicht mehr" unter den Tukuna — auf allerhõchsten Befehl ihrer zivilisierten Herren, die niemanden dulden, der auBer ihnen selbst irgendwelchen EinfluB auf die Indianer ausiibt. DaB das aber nicht allzu wõrtlich zu nehmen ist, beweist unter anderem der Fali, daB vor wenigen Jahren zwei Tukuna nach verzweifeltem Wider-stand einen dritten erschlugen, auf dem der Verdacht lastete, er habe durch Zauber mehrere Kinder umgebracht. Den zerstúckelten Leichnam warfen sie in den FluB.

Mit auBerordentlicher Zãhigkeit scheinen die Tukuna an ihren weiblichen Puber-tãtsfeiern und den dazu gehõrigen Maskentãnzen zu hângen; allerdings verflachen die letzteren immer mehr durch den EinfluB der zivilisierten Herren der Indianer, welche Masken nur ais Karnevalsartikel verstehen kõnnen. Infolgedessen sind sie auch lãngst nicht mehr mit derselben Sorgfalt wie frúher hergestellt. Ich habe leider keiner derr artigen Zeremonie beiwohnen kõnnen, sah aber viele Masken in mehr oder weniger schlechtem Zustand in den Hàusern hángen. Eine davon stellte den Sturmdámon Orna vor und war mit einem halbmeterlangen, schwach zylindrischen Phallus versehen, mit dem der Damon, wenn er dahersturmt, die Bàume niederrennt. Das HaarausreiBen wird, wie ich an mehreren kiirzlich geweihten Jungfrauen sah, dabei noch allgemein geiibt. Polygamie kommt vor und wird durch die groBe Uberzahl des weiblichen Ge-schlechtes gefõrdert.

Mehrere wichtige Elemente ihrer alten Kultur haben die Tukuna schon vollstãndig vergessen, so die Beschneidung, die sekundáre Urnenbestattung, die Pfeilschleuder, das Reibbrett mit eingesetzten Steinsplittern, die Tâtowierung, die alte Haartracht, den Gebrauch des Paricá und den Schamschurz der Frauen. Fast alie Tukuna gehen heute vollstãndig nach Art der Zivilisierten gekleidet. Federschmuck und Baumwollbinden an Armen und Beinen tragen nur noch die Mádchen bei der Pubertátsfeier. Die ovale Hausform (mit senkrechten Wánden) ist heute fast ganz durch die rechteckige ver-drãngt. Andre alte Kulturelemente bestehen noch weiter, so das Stangenbett (neben der aus Tucumfáden geschlungenen Hángematte zum Ausruhen tagsiiber), das vier-

(193) beinige, kaum 7 cm hohe Bànkchen aus einem Stiick, die Kletterschlinge, der Haken zum Einsammeln von Fruchten, der Muschelschaber, die 3 tõnernen HerdfuBe, die bis-weilen zur Hâlfte in den Boden gegraben sind, der Bratrost auf 4 Gabelhõlzern neben dem pyramidenfõrmigen, wàhrend der BratspieB nur fur Fische angewendet wird, der Feuerfàcher aus einem Mutumflugel, das schwere, halbmondfõrmige Wiegebrett mit dem dazugehõrigen Trog, das den hier unbekannten Mõrser ersetzt, die Genipapobemalung, das Zuspitzen der oberen Schneidezâhne, das Kindertragband, dessen Schlinge zur Hálfte doppelt ist, so daB das Kind auf dem einen Streifen sitzt, wàhrend ihm der andere iiber den Rucken láuft, die Panflõte, eine bis zu 4 Meter lange, lângsgeblasene Trompete aus einem spiralig gerollten Rindenstreifen, der hõlzerne Haken zum Aufhângen von Gegenstánden, das Tragnetz, die gehákelte Umhángetasche usw. Es fehlen ihnen Fischnetz, Kurbisflasche, Vogelpfeil, Stangengerust zum Aufbewahren von Gegenstán­den und die gestielte Tanzrassel, s tat t der nur Rasselbãnder unter dem Knie oder an Tanzstáben verwendet werden, ferner der Tonkugelbogen und der Zupfbogen fur Baumwolle.

Die Tukuna sind gute Ackerbauer. Sie pflanzen vor aliem bittere wie suBe Mandioca und Mais, aber keine Bohnen. Sie fischen mit dem Bogen, der sehr lang, auf der AuBen-seite flach und auf der Schnurseite rund ist und der, zusammen mit den ein- bis funf-spitzigen, auch fiir den Fischfang mit Stegfiederung versehenen Pfeilen, immer mehr auBer Gebrauch kommt, ferner mit Harpunen, Angeln, Fischzáunen und durch Ver-giften des Wassers, kennen aber, wie gesagt, keine Fisch-, sondem nur Tragnetze. Viele Tukuna sind gute Jáger, wie die langen Gehánge aus den aufgereihten Schádeln der erlegten Sáuger und den Brustbeinen der Vogel, die in ihren Hiitten hángen, beweisen. Heute verdrángt die Flinte die alten Jagdwaffen: Der Bogen wird auf Wild gar nicht mehr verwendet, vergiftete Wurflanzen mit dunner Spitze und unvergiftete aus einer langen, breit zugespitzten Marajá(Bactris-)stange sind selten. Das Blasrohr trifft man noch zuweilen, aber nur wenige Indianer verstehen heute noch die Kunst der Curare-bereitung, in der die Tukuna einst so beruhmt waren. Der Hauptbestandteil dieses Giftes ist der AufguB von der geschabten Rinde eines ^Gurê"1) genannten Cipós. Dazu kommen noch zwei andere Rinden und eine Wurzelknolle, die sie in ihren Pflanzungen ziehen, alie in der.gleichen Weise behandelt, nur daB die letztere mit einer Pirarucú-zunge zerrieben wird. Irgendwelche animalische Zusâtze enthált das Curare nicht. Die Aufgusse werden in Blattrichtem filtriert und zusammen in einem Topf bei ganz schwachem Feuer eingedickt. Dabei schlágt sich ein schwarzer Bodensatz nieder, der immer von Zeit zu Zeit entfernt wird. Das Umriihren erfolgt mit einem Lõffel aus einer gescháfteten FluBmuschel, der nur zu diesem Zweck dient. Das Eindicken dauert sehr lange und erfordert die ununterbrochene Aufmerksamkeit des Herstellers.

Die Tukunafrauen sind noch heute gute Tõpferinnen. Sie verfertigen Rõstpfannen mit erhõhtem Rand, Teller, Kochtõpfe, WassergefáBe und máchtige Tõpfe fiir die ge-gorenen Getránke. Diese sind auf weiBem Grund rot bemalt und stets zu mehreren in jedem Haus zu finden, denn die Tukuna sind groBe Trinker und zwar sind sie im Rausch recht streitsúchtig.

AuBer Kleidung, Waffen und Eisenwerkzeugen haben die Tukuna noch angenom-men: Die Holzschale, den Holzlõffel, den hebelfõrmigen Zuckerrohrquetscher, den MandiokapreBschlauch — sie haben weder fúr diesen noch fur gegorenes Mandiocamehl einen eigenen Ausdruck und scheinen demnach friiher Mandioca nur in der Form von Beijús verwendet zu haben —, schlieBlich von Musikinstrumenten die Violine und die Felltrommel, beide genau nach europáischen Vorbildern kopiert. Zu SPIXS Zeiten wur-den noch getrocknete Senildkrõtenschalen ais Trommeln benutzt. Heute tragen die

J) Offenes u.

(194) Maskentánzer ihre Trommeln, die mit e i n e m Schlegel geschlagen werden, an húbsch in Form von stilisierten Fischen, Krokodilen und Schlangen geschnitzten Stáben hângend.

Von eigentlichen Haustieren besitzen die Tukuna nur Hunde und Húhner, doch ziehen sie die Jungen von allen mõglichen Sáugetieren und Võgeln des Waldes in grofier Zahl auf. Sie behandeln diese Tiere gut, verkaufen sie aber leicht.

Pará, 1 9 . Dezember 1 9 2 9 . Dánische Untersuchungen im Arktis.

Eine systematische, archáologische Erforschung Grõnlands von seiten der dánischen Regierung wurde 1 9 2 1 mit Dr. POUL NÕRLUNDS Untersuchungen von dem alten Nor-mannenfriedhof am Herjolfsnes (Ikigait) eingeleitet, die u. a. zu der Entdeckung einer groBen Menge im Eisboden wohlbewahrter mittelalterlicher Anziige fiihrten. Im Sommer 1 9 2 6 setzte Dr. NÕRLUND seine Ausgrabungen, diesmal am alten Bischofssitz Gardar (Igaliko), fort, und im Sommer 1 9 3 0 wird er sich an die nõrdlichere Normannen-siedlung im heutigen Godthaab-Distrikt wenden.

Die Eskimo-Archáologie ist aber auch von der Regierung beriicksichtigt. Dr. THERKEL MATHIASSEN, dessen Untersuchungen auf der Fiinften Thule-Expedition unter Leitung von Dr. KNUD RASMUSSEN zur Entdeckung der sogenannten ,,Thule-kultur" fúhrten, hat 1 9 2 9 auf der kleinen Insel Inugsuk im Upernivik-Distrikt eine jiingere Phase derselben Kultur gefunden, und, was von ganz besonderem Wert ist, auch Ankniipfungspunkte mit der normannischen Besiedlung festgestellt, wodurch zum erstenmal der Weg zu einer absoluten Chronologie der Eskimokultur erwiesen ist. Dr. MATHIASSEN wird im Sommer 1 9 3 0 seine Untersuchungen auf der mittleren Westkuste (Sukkertoppen-Distrikt) fortsetzen, um sich das folgende Jahr an die siidlichsten Gegenden der Kuste zu wenden. Wahrscheinlich wird dann nachher eine Untersuchung Ostgrõnlands in Angriff genommen."

Dr. KAJ BIRKET-SMITH, der auf der Fiinften Thule-Expedition sich besonders dem Verháltnis zwischen indianischer und eskimoischer Kultur widmete, wird ebenfalls im Sommer 1 9 3 0 im Arktis tàtig sein und zwar im siidlichen Alaska, wo das Zusammen-treffen von Eskimos, Athapasken und Tlingit in Gegend õstlich von der Kodiak-Insel besonders verwickelte Probleme darbietet. —Wie wir nach RedaktionsschluB erfahren, muBte Dr. Birket-Smith leider infolge plõtzlicher Erkrankung von der geplanten Reise absehen. Er hofft, dieselbe im Sommer 1 9 3 2 durchfuhren zu kõnnen.

A m e r i k a. JOHN D. ROCKEFELLER jr. spendete 2 0 0 000 S zur Errichtung eines ,,Anthro-

pological field laboratory" in Santa Fé, um Ethnologen aus allen Làndern dort For-schungen zu erleichtern. 1 9 2 9 hielten Professor A. L. KROEBER, Professor E. SAPIR und Dr. A. V. KIDDER dort Kurse. Am. Anthr.

Bernice Pãuahi Bishop Museum, Honolulu. Mr. BUCK (Te Rangi Hiroa) wird die Cook-Inseln aufsuchen, um seine 1 9 2 6 dort angefangenen Studien fortzusetzen. Mr. EMORY und Mr. STIMSON beabsichtigen, den Tuamotu-Archipel zu bereisen. — Ais Research Associate in Linguistics wurde J. FRANK STIMSON berufen, der 1 5 Jahre auf Tahiti zubrachte und sich durch grundlegende Arbeiten iiber polynesische Sprachen einen Namen gemacht hat (vgl. A new grammar of the Tahitian Dialect of the Poly-nesian language, Papeete 1 9 1 9 ; A vocabulary of English-French-Tahitian, with ex-planatory remarks on Tahitian Dialect, Papeete 1 9 2 4 ) .

A f r i k a. Dr. HERMANN BAUMANN, wissenschaftlicher Hilfsarbeiter am Museum fiir Võlker-

kunde in Berlin, wird im Auftrage des Generaldirektors der Berliner Staatlichen Museen