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BETH CHATTOSCHATTENGARTENDie Pflanzen, die Jahreszeiten, die Stimmungen
Fotografien von Steven Wooster
Herausgegeben von Erica Hunningher
Aus dem Englischen übertragen von
Stefan Leppert
DEUTSCHE VERLAGS-ANSTALT
Inhalt
EINFÜHRUNG 7
Plan der Beth-Chatto-Gärten 12
1 DIE ANLAGE EINES WALDGARTENS 15
Bäume und Sträucher als Schutz 19
Immergrüne Sträucher für das Unterholz 23
Laufabwerfendes Unterholz 25
2 ZEIT DES ERWACHENS 33
Die erste Narzisse 34
Erhebende Schneeglöckchen 36
Februarsonne 42
Der Boden des Waldes 42
Frühe Düfte 44
Lenzrosen 49
3 ZAUBER DES FRÜHLINGS 55
Ein mittelalterlicher Wandteppich 56
Zufällige Effekte 60
Blühende Sträucher 61
Robuste Bodendecker 66
Anmutige Narzisse 68
Der Long Shady Walk 72
Höhepunkte im April 75
Amerikanische Waldpflanzen 79
4 FRÜHSOMMERLICHE FÜLLE 87
Liebliche Akeleien 90
Der Little Grassy Wood 91
Unter alten Eichen 94
Blattteppiche 99
Elegante Farne 102
Stolze Sterndolden 107
Flüchtige Pfingstrosen 108
Blühende Sträucher 112
Gepflegte Balance 117
5 BILDTEPPICHE DES HOCHSOMMERS 121
Bodendeckende Teppiche 123
Blühende Säulen 129
Schöner Wiesenkerbel 133
Aufregendes Blattwerk 136
Sträucher des Spätsommers 141
6 BESONNTE FLECKEN IM HERBST 149
Wandernde Anemonen 153
Leuchtende Beeren 156
Höhepunkte im November 162
Lass Licht herein 166
7 IM TIEFEN WINTER 173
Schönheit der Blätter 174
Pflege im Winter 177
8 SCHATTENVERTRÄGLICHE PFLANZEN 185
Bäume, Sträucher und Kletterpflanzen 186
Härtezonen 187
Stauden und Zwiebelpflanzen 188
Farne 212
Gräser und grasähnliche Pflanzen 213
Geräte für die Baumpflege 214
Weiterführende Literatur 214
Statistik der Niederschläge 215
Register 216
Dank 224
1. AuflageCopyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2011Deutsche Verlags-Anstalt, München,in der Verlagsgruppe Random House GmbHAlle Rechte vorbehalten
Titel der englischen Originalausgabe: The Shade Garden© 2008 Cassel illustrated, an imprint of Octopus Publishing Group Ltd2–4 Heron Quays, Docklands, London E14 4JP
Copyright © Text Beth Chatto, 2008Copyright © Fotografien Steven Wooster, 2008mit Ausnahme der Fotografien von David Ward, Seite 16 und 17,sowie von Howard Rice, Seite 35Gartenplan von Chrissy McDonald, © Beth Chatto 2008Design und Layout © Cassel illustrated 2008
Herausgegeben von Erica HunningherGrafische Gestaltung: Nigel SoperGärtnerische Beratung: Tony LordRedaktion: Ruth BaldwinRegister: Hilary Bird
Satz und Umbruch der deutschen Ausgabe:Boer Verlagsservice, GrafrathDruck und Bindung: Toppan Printing Company Ltd, ChinaPrinted in ChinaISBN 978-3-421-03808-1
www.dva.de
Für meine Mitarbeiter
Oben: Hydrangea anomala subsp. petiolaris imWinter; mit bronzebraunen Trieben umfängtsie die graugrüne Rinde einer Eiche.
Seite 1: Primeln schmiegen sich an die Stämmezweier Eichen.Seite 2: Die hohlen Stämme von Dicentraspectabilis werden gebogen von horizontalgereihten Medaillons in Tiefrot und Weiß.Seite 3: Eine oft verwendete Blattschmuck-pflanze, Arum italicum ‘Marmoratum’, hatleuchtendgrüne, speerförmige Blätter mitelfenbeinfarbenen Adern.
Die meisten Menschen haben etwas Schatten in ihrem Garten; es mag
dort trocken und staubig oder dunkel und feucht sein – meist aber ist
es problematisch. Im Schatten von Mauern beziehungsweise Hecken
oder unter Bäumen und Sträuchern sieht es häufig öde aus. Pflanzen wachsen
dürftig oder enttäuschen, weil sie nicht blühen, meist weil die Gärtnerin oder
der Gärtner jede Stelle mit Farbe füllen möchte, natürlich mit Blüten, und
Pflanzen für sonnigere Bereiche verwendet. Aber Pflanzen sind wie Menschen;
sie lassen sich nicht an jeden Ort setzen, ebenso wenig wie wir Menschen uns
zu jeder Arbeit zwingen lassen.
Glücklicherweise gibt es Pflanzen, die von Natur aus an vielen Standorten
gedeihen können, und so lässt sich nahezu jede schwierige Stelle im Garten zu
einem wundervollen Ort machen. In jeder Jahreszeit können schattige Stellen
attraktiv sein. Eine Atmosphäre heiteren Friedens kann schattige Orte zu
Lieblingsplätzen im Garten machen. Uns stehen dabei viele Möglichkeiten
offen: Es gibt ebenso viele Pflanzenkombinationen wie Melodien in der
Musik oder Ideen in der Malerei. Besucher meines Gartens vermitteln mir
dies in Gesprächen immer wieder. Sie genießen die Ruhe hier und nehmen
die Gelegenheit wahr, noch mehr über Pflanzen zu erfahren – sie sehen diese
als Individuen und werden sich der Wirkungen von Kombinationen bewusst.
EINFÜHRUNG 7
Einführung
Links: Herbstlaub auffrischem, immergrünemMoos verweist auf denKreislauf von Werdenund Vergehen im Wald.
Dieses Buch kann keine umfassende Sammlung aller schattenverträgli-
chen Pflanzen sein. Ich schreibe über die, die ich kenne und die in meinem Gar-
ten gedeihen, und mir sind die Grenzen der hiesigen Situation durchaus be-
wusst. Je älter wir Gärtner werden, desto mehr wird uns bewusst, wie
begrenzt unser Wissen ist. Immer wieder probieren wir ausgeklügelte Kom-
binationen aus, unter Beachtung der einfachen Harmonieregeln der Natur. In
meinem langen Leben bin ich dennoch nur mit einem kleinen Teil der Pflan-
zenwelt in Berührung gekommen. Immer wenn ich Hilliers Buch über Bäume
und Sträucher aufschlage, staune ich über die Zahl verfügbarer Pflanzen, über
die ich so wenig weiß.
Abhängig von Lage, Boden und Klima sind die Bedingungen so unter-
schiedlich, dass wir immer wieder ausprobieren müssen, welche Pflanzen an
einem bestimmten Standort gut wachsen. Im trockenen und windigen Essex
liegt die durchschnittliche Niederschlagsmenge bei 51 Zentimetern, etwa zur
Hälfte auf Sommer und Winter verteilt. Damit gehört dieser Landstrich zu
den trockensten des Landes. Mitte der siebziger Jahre fielen in einem Jahr nur
35 Zentimeter, mehrmals in den achtziger Jahren weniger als 48 Zentimeter.
Zwischen Oktober 1999 und März 2000 waren es lediglich 23 Zentimeter, was
mit vielen anderen Gegenden Englands nicht zu vergleichen ist. Meist fällt der
Regen in leichten Schauern, nicht in heftigen Wolkenbrüchen, so dass er tie-
fere Schichten oft nicht erreicht. Häufig zwingen mich Trockenzeiten im Juli
und August dazu, den Waldgarten künstlich zu bewässern. Im Winter können
kleine Regenmengen leicht einen falschen Eindruck geben; Matsch und Pfüt-
zen gibt es dann viele, die oberste Erdschicht ist durchnässt, aber wenn man
etwas tiefer gräbt, gelangt man schnell an staubtrockene Erde.
Die Klimaveränderung bringt gewohnte Wetterverläufe durcheinander.
Mitte der neunziger Jahre hatten wir im Juli und August Temperaturen von bis
zu 33 Grad, und südliche Winde legten eine feine rote Schicht Saharasand auf
unsere Autos. Dabei blieb die Regenmenge gleich niedrig. Seit 1998 haben wir
normale Sommertemperaturen von durchschnittlich 18 bis 24 Grad, was zum
Leben und Gärtnern ideal ist. Die Winter sind milder und feuchter geworden.
Im größten Teil meines Garten im Norden von Essex ist es zu trocken und
zu windig für Moorbeetpflanzen, aber Rhododendron ‘Sappho’ gedeiht in
einer geschützten Ecke. Niemand von uns konnte sich an wassergesättigte
Böden erinnern, wie sie etwa der Herbst 2000 brachte, als allein im Oktober 16
Zentimeter Regen fiel. Die Zwiebelpflanzen wurden schon im Winter aktiv,
und viele blühten sehr früh – anders als in den Jahren zuvor, als wir die
Schneeschmelze herbeisehnten, damit Wasser ins trockene Erdreich sickern
und die Zwiebeln von Schneeglöckchen und Narzissen beleben möge. Im Jahr
darauf notierten wir eine bis dahin unerreichte Regenmenge von 95 Zentime-
tern, wovon Bäume, Sträucher und Zwiebelpflanzen profitierten, solange sie
in steinreichem Boden wuchsen. In niedrigen Lagen, wo das Wasser länger
stand, gingen viele Krautpflanzen an Wurzelfäule ein. Es war befremdlich, an
dem Buch in jenem Jahr zu schreiben, in dem der viele Regen meine Klagen
über die sonst übliche Trockenheit lächerlich erscheinen ließ (auf Seite 215
sind die hiesigen Regenmengen für einen beispielhaften Zeitraum statistisch
aufgeführt).
Ich versuche, der Natur zu folgen (nicht sie zu
kopieren, was im Garten unmöglich ist), und kom-
biniere Pflanzen mit ähnlichen Bedürfnissen in
Lebensbereichen, an die sie angepasst sind. Über
die Jahre erweiterte sich die Palette an brauchba-
ren Varietäten stetig. Im Waldgarten haben wir
viel unternommen, um die Pflanzen vor austrock-
nenden Winden zu schützen. Aber angesichts des
leichten Bodens und der geringen Regenmengen
wäre es falsch, Pflanzen mit einem Bedarf an kon-
stanter Bodenfeuchtigkeit zu verwenden und
dazu noch solche, die kühle und feuchte Luft be-
vorzugen. Ich denke dabei an blaublühenden
Mohn, etwa Meconopsis betonicifolia, M. grandis
und M. quintuplinervia, die von Nebel ummantelt
in Wäldern und Strauchlandschaften des Hima-
layas wachsen. Sie alle habe ich ausprobiert, ge-
liebt und verloren und möchte keine mehr ihrem
Verderben aussetzen.
Rhododendren fühlen sich in diesen austrock-
nenden Winden ebenfalls nicht wohl, auch wenn
sie klassische Waldpflanzen sind. Als wir vor über vierzig Jahren mit unseren
Gärten begannen, pflanzte ich welche an feuchtere Stellen, etwa über unterir-
dischen Quellen. Die meisten haben überlebt und sind große Sträucher gewor-
den. Rhododendron ‘Sappho’, eine alte Hybridsorte, die ich in Kew Gardens ent-
deckte, hat sich sogar so gut entwickelt, dass ich sie zurückschneiden musste,
um ihr faszinierendes Skelett aus verschlungenen Stämmen und Ästen offen-
zulegen. Innerhalb weniger Jahre erholte sie sich davon und bildete bis zum
Boden reichende Äste aus. Aus jedem Trieb entspringen große trichterförmige
Blüten,malvenfarben in der Knospe, sich reinweiß öffnend, die Kronblätter ge-
wellt mit einem satten weinroten Fleck, der fast schwarz sein kann.
8 EINFÜHRUNG EINFÜHRUNG 9
Im größten Teil meines Gar-ten im nördlichen Essex istes zu trocken und zu windigfür Moorbeetpflanzen, Rho-dodendron ‘Sappho’ gedeihtdennoch in einer geschütz-ten Ecke.
Als ich mit dem Schreiben begann, beschloss ich, mich auf den Waldgarten
zu beschränken; vielleicht weil das Waldgärtnern ein romantisches Thema ist.
Die Verwandlung dieses vernachlässigten Waldes auf kalkfreiem, kiesigem
Sandboden war keineswegs mein erster Versuch, herauszubekommen, welche
Pflanzen wie an verschiedenen Schattenstellen wachsen – beziehungsweise
zu lernen, welche ich nicht gebrauchen kann! So nahm ich auch Pflanzen auf,
die an schattigen Mauern sowie in Beeten mit lückigem Schatten wachsen.
Dann bezog ich den Long Shady Walk (Langer Schattenweg, A.d.Ü.), die nach
Norden gewandte Lehmböschung und den Little Grassy Wood (Kleines von
Gras bewachsenes Waldstück, A.d.Ü.) in das Konzept ein. Diese Bereiche zeigt
der Gartenplan auf den Seiten 12 und 13.
Vierzig Jahre lang haben wir am Long Shady Walk die Sammlung schat-
tenverträglicher Pflanzen erweitert. Hier an der westlichen Grenze des Gar-
tens findet sich vorwiegend feiner, schwarzer Boden, der in die nach Norden
ausgerichtete Lehmböschung übergeht. Der leicht mäandrierende, etwa 125
Meter lange und 2 Meter breite Weg ist zu einem kühlen Refugium für Besu-
cher und schattenliebende Pflanzen geworden. Er verläuft unter dem Schirm
einer Reihe alter Eichen, die auf einer Böschungskrone stehen und über Jahr-
hunderte eine natürliche Grenze zwischen zwei Farmen bildeten. Der Regen
findet in dem kiesigen Untergrund seinen Weg zu einem von einer Quelle ge-
speisten Graben und zum tiefsten Punkt des Gartens, wo wir drei Teiche aus-
gehoben haben. Hinter den Eichen liegt Ackerland, nahezu ohne Bäume und
Hecken, über das Ost- und Westwinde ungehindert hinwegfegen können.
Daher legten wir seinerzeit zuerst einen Windschutz an, der zugegebener-
maßen auch Schuljungen und Kaninchen abhalten sollte, sich an diesem
friedvollen Fleckchen aufzuhalten. Da sich der arme, trockene Boden der
Hänge und der wassergesättigte der Senke kaum für die Landwirtschaft eig-
neten, lag das Gebiet zwischen den Obstwiesen meines Mannes und des be-
nachbarten Hofs jahrelang ungenutzt. Nachdem wir das Gestrüpp aus Holun-
der, Schlehe, Haselnuss und Brombeere gerodet hatten, stellten wir einen
Kaninchen abwehrenden Zaun auf; wir gruben den engmaschigen Zaun ei-
nige Zentimeter tief ein und schlugen ihn unten nach außen, Richtung Feld um.
Ungeduldig begann ich die Innenseite des Zauns zu bepflanzen, aber schon bald
fand ich die jungen Sträucher vom Westwind niedergestreckt. Für einen so-
fortigen Windschutz kaufte ich Unmengen von Netlon, das normalerweise
zur Beschattung verwendet wird, und zog es über den Zaun. Es hielt einige
Jahre und half den jungen Sträuchern, sich als Windschutz zu etablieren. Als
Hintergrund im Sommer und Winter pflanzte ich Immergrüne. Dazu zählten
Goldeibe (Taxus baccata ‘Elegantissima’), Mittelmeer-Schneeball (Viburnum
tinus), verschiedene Cotoneaster, Kirschlorbeer (Prunus laurocerasus) und als
Kontrast dazu einige aufrecht wachsende Koniferen.
Wenige Jahre später verrohrte ich den Graben, um überschüssiges Quell-
wasser besser für die Bewässerung des neu angesäten Graswegs nutzen zu
können. Mit der Verfüllung des Grabens entstand Raum für eine Mischung
von Krautpflanzen und Sträuchern, die Schatten und Trockenheit beiderseits
des Long Shady Walk tolerieren. Die feine, dunkle Erde dort ist besser als der
Kies- und Sandboden, den ich überall sonst habe. Aber sie braucht viel Kom-
post, um die Pflanzen zu versorgen und Feuchtigkeit zu halten. Doch obwohl
wir mit Rindenschrot mulchen, müssen wir an trockenen Hochsommertagen
künstlich bewässern.
Viele Pflanzen des Waldgartens haben am Long Shady Walk ihr Leben be-
gonnen. Auf kleinem Raum konnten wir hier studieren, was sie brauchen, wie
sie im Schatten der Bäume gedeihen und welche Probleme sie uns bereiten.Wu-
chernde Pflanzen wie Symphytum ibericum, Pachyphragma macrophyllum
und Euphorbia amygdaloides var. robbiae breiteten sich rasant aus, viele von
ihnen halfen allerdings auch, als wir den Waldgarten bepflanzten, große Par-
tien offener Erde zu bedecken. Immer wieder müssen Gärtner skrupellos sein
und solch ungestüm wachsende Pflanzen entnehmen, auch wenn man damit
die Nachbarn erschreckt.
The Little GrassyWood ist ein teilweise beschatteter, 2400 Quadratmeter gro-
ßer Fleck am Rand des Waldgartens, auf dem robuste Gräser auf armem
Boden unter Bäumen wachsen. Hier experimentierte ich mit Zwiebelpflanzen
und Frühlingsgeophyten, die sich zwischen Gräsern wohlfühlen, wenn diese
nicht besonders üppig und kräftig sind.
Der Long Shady Walk und die nach Norden ausgerichtete Lehmböschung,
The Little Grassy Wood und andere kleinere Schattenpartien sind einzelne
Kapitel der Geschichte, die den Waldgarten im Jahreslauf zeigt. Zuerst aber
möchte ich beschreiben, wie wir die Umwandlung eines vernachlässigten
Waldstücks zum Lieblingsort in meinem Garten hinbekommen haben – dort
herrscht Frieden, der Ort ist voller Leben und hat zu jeder Jahreszeit Auf-
merksamkeit verdient.
10 EINFÜHRUNG EINFÜHRUNG 11
Die Beth-Chatto-Gärten
Der Plan zeigt die gesamte Anlage. Die Schatten-
bereiche, über die ich vor allem berichte, sind der
Waldgarten, der Little Grassy Wood und der Long
Shady Walk, der auf einer Seite an einer nach Nor-
den ausgerichteten Lehmböschung wendet, auf der
anderen Seite unter einer alten Eiche, in deren Schat-
ten verschiedene Stauden stehen.
12 EINFÜHRUNG EINFÜHRUNG 13
Oben: Little Grassy Wood (2), unten: Long Shady Walk (4)
Oben: Der Waldgarten (1)Oben: Der Bereich unter der Großen Eiche (5) Unten links: Die nach Norden exponierte Lehmböschung (3)
N
Legende1 Waldgarten2 Little Grassy Wood3 Long Shady Walk4 Nach Norden exponierte Lehmböschung5 Schattenbereich unter der Eiche
5
1
2
4
3
Im Winter sind Auge und Geist damit beschäftigt, die stetigen kleinen
Veränderungen dreier Lebewesen zu beobachten: die der Eiche, des Ilex
und des Efeus. Manchmal schmälert Vertrautheit das wache Interesse. Aber
da hier in East Anglia nur kleine Waldflecken vom Pflug verschont geblieben
sind, bilden diese Überlebenden der seit langem verschwundenenWälder kleine
Ökosysteme, mit ihren rostbraunen Haufen umgefallenen Adlerfarns,
stacheligen Brombeerkäfigen, aufrechten Schnüren wilden Geißblatts und
verschiedenen Gräsern – das sind wenige Arten, die aber harmonieren.
Abgesehen von den Gräsern wachsen sie alle in meinem nur etwa einen Hektar
großen Waldgarten.
Als mein Mann hier vor siebzig Jahren seine Obstfarm gründete, wuchsen
auf dem Gelände vorwiegend junge Eichen, unter denen sich ein Gestrüpp aus
Schlehen, Himbeeren und Holunder ausbreitete. Weil die Bäume nie ausge-
lichtet wurden, wuchsen sie zu schlanken Stangen heran, ohne Äste im unte-
ren Bereich. Nach und nach vertrieb der Schatten das Unterholz, vorwiegend
Moos bedeckte den Boden, Gräser gab es nicht. Wir nannten den Ort Badgers’
Wood,weil eine Dachsfamilie (badger = Dachs,A.d.Ü.) hier viele Jahre lebte, die
beim Einrichten ihrer Höhlen unter den Baumwurzeln beachtliche Erdhügel
aufgeworfen hatte. Bedauerlicherweise waren die Dachse dann plötzlich ver-
schwunden – wir waren ihnen wohl zu nahe gekommen. Eine Fuchsfamilie
übernahm den Bau und wir konnten voller Aufregung dem Spiel junger
Füchse im kupferfarbenen Eichenlaub zusehen.
Wir wollten dieses Gebiet als eine Art Naturschutzgebiet erhalten, in dem
sich Flora und Fauna frei entfalten sollten, aber dann kam der Orkan vom Ok-
tober 1987. In einer wilden Nacht fällte die Natur Entscheidungen, die ich mir
nicht vorzustellen gewagt hätte. Der Orkan holte wie ein Korkenzieher Bäume
aus dem Boden, riss wahllos Kronen und Äste herunter und hinterließ ein ent-
setzliches Bild der Zerstörung.
Aber irgendwann hatten wir den Verlust verwunden und ich beschloss,
hier einen Garten anzulegen. Zwischen graugrünen Baumstämmen sollten
DIE ANLAGE EINES WALDGARTENS 15
Links: Der Waldgartengrenzt im Süden an Äckerund Wiesen. Hier, im langenGras und zwischen WilderMöhre besorgt sich Boostersein Mittagessen. Man mussKatzen hoch anrechnen,dass sie Mäuse und Kanin-chen in Schach halten.
1 Die Anlage eines Waldgartens
schattenliebende Pflanzen Teppiche ausbreiten, Strauchgruppen Schutz und Ku-
lisse für Stauden abgeben und Zwiebelpflanzen die Attraktivität zu allen Jah-
reszeiten abrunden. Dabei wollte ich mich nicht auf heimische Arten be-
schränken, sondern Vertreter aus vielerlei Ländern der gemäßigten Zone
anpflanzen. Die Gruppierung nach Ländern schien mir allerdings nicht sinn-
voll, vielmehr wollte ich beispielsweise amerikanische Arten mit japanischen
kombinieren, sofern sie sich gut ergänzen oder die Saison verlängern würden.
Auf jeden Fall galt es alles zu vermeiden, was unvereinbar wirken würde und
viel Niederschlag braucht.
Weil die Gärtnerei und der schon vorhandene Garten viel Zeit in Anspruch
nahmen, dauerte es einige Jahre, bis unser Mitarbeiter Gerard Page, der auch
in der Baumchirurgie bewandert ist, sich des Durcheinanders annahm. Er ro-
dete den Unterwuchs sowie die dürren und kranken Bäume. Dann suchten
wir die erhaltenswerten Eichen aus und beschnitten ihre Kronen. Kleinere
Baumstümpfe wurden aus dem Boden geholt, für die größeren nahm Gerard
den Traktor, ebnete die Dachshügel ein und verfüllte den Bau (die Fuchsfami-
lie war längst geflohen).
Als die Fläche bis auf die Baumstämme geräumt war, sah es aus wie in
einer leeren Kirche. Aber es war mehr als genug Struktur für einen Garten
schattenliebender Pflanzen vorhanden. Vom mittlerweile verstorbenen Ober-
gärtner der Royal Windsor Gardens, John Bond, erhielt ich Quercus rubra ‘Au-
rea’ und hoffte, dass die zitronengelb austreibenden Blätter unter den schüt-
zenden höheren Eichen keine Brandschäden erleiden würden. Bond riet uns
auch, noch mehr Eichen zu entfernen, um Konkurrenz bei der Kronenbildung
zu reduzieren. In späteren Kapiteln werden Sie sehen, dass wir noch mehr
auslichten mussten, um die Balance von Licht und Schatten zu gewährleisten.
Bei der Wegeplanung ging ich vor Gerard her, der hinter mir den Weg mit
einer Traktorschaufel freischob, mit der er sonst Gärtnereiwege ebnet oder
schweres Material einsammelt. Auf diese einfache Art legten wir die ge-
schwungenen Wege an, welche die Pflanzflächen begrenzen; kleine Wege
spurte ich mit meinen Füßen. Da wir viele der vorgesehenen Pflanzen als
Mutterpflanzen für unsere Gärtnerei nutzen wollten, konnten wir nicht ris-
kieren, sie in längeren Trockenzeiten zu verlieren. Daher hoben wir entlang der
beiden Hauptwege Gräben für unterirdische Wasserleitungen aus. Der Aus-
hub sah so aus wie die Sandhaufen am Strand von Frinton-on-Sea – nur gel-
ber Sand und Kies.
Als die Wege gewalzt waren, lockerten wir die obere Erdschicht, entfernten
oberflächennahes Wurzelwerk und brachten so viel Kompost und gut verrot-
16 DIE ANLAGE EINES WALDGARTENS DIE ANLAGE EINES WALDGARTENS 17
An einem Winternachmittagim Jahr 1989 steigen Funkenund Flammen auf. Die Arbei-ten am Waldgarten haben be-gonnen.
Im Frühjahr 1990 ist dieFläche von Wildwuchs be-freit, ein Wegenetz begrenztdie Pflanzflächen. Es siehtaus wie in einer leeren Kir-che. Der Wind pfeift zwi-schen den Baumstämmenhindurch und nimmt Blättermit ins nächste Dorf. Wirlockern die Krume, entfer-nen oberflächennahe Wur-zeln, bringen reichlich Kom-post und gut verrottetenMist auf die sandige Erdeund bereiten sie so für dieBepflanzung vor.
teten Mist wie möglich auf. Eichen bilden eine Pfahlwurzel, mit der sie an tief-
stehendes Wasser gelangen, und starke, dichte Seitenwurzeln. Mehrere von
diesen mussten wir beim Ausheben der Pflanzlöcher durchtrennen.
Weil das Gebiet offen war für Winde aus allen Himmelsrichtungen und
das von den langsam wachsenden Waldpflanzen so geliebte Laub überallhin
geblasen wurde, pflanzte ich bald robuste Sträucher an den Rändern. Zusätz-
lich zu diesem Windschutz setzte ich immergrüne und laubabwerfende Sträu-
cher zwischen die Eichen, um eine zusätzlich schützende Strauchschicht zu
bekommen. Wuchernde Stauden vom Long Shady Walk bedeckten bald große
Flächen offenen Bodens. Zudem verwendete ich stark wachsende Bodende-
cker wie Elfenblumen (Epimedium), Efeu und Immergrün (Vinca) wegen ihres
Blattwerks und um ein passendes Kleinklima für eine breite Palette von Schat-
tenstauden und Zwiebelpflanzen zu schaffen.
Bäume und Sträucher als Schutz
Die Ostseite des Waldgartens grenzt an unsere Mutterpflanzenbeete mit tro-
ckenheitstoleranten Pflanzen, die der vollen Sonne ausgesetzt sind. Ein Graben
bildet die Grenze, und der Boden ist etwas feuchter. Hier pflanzte ich den im-
mergrünen Liguster Ligustrum ‘Vicaryi’, der wahrscheinlich eine Kreuzung
aus L. ovalifolium und L. vulgare ist, aber größere Blätter hat, die im Frühsom-
mer gelb sind und sich langsam blassgrün verfärben. Fliederähnliche Rispen
mit creme-weißen Blüten erscheinen im Frühjahr, während im November Bü-
schel schwarzer Beeren die Zweige zu Boden krümmen. Sie brauchen genügend
Licht, das wir ihnen an der exponierten Seite bei den Gärtnereibeeten gaben.
Neben ihrer Schutzwirkung bietet die immergrüne Belaubung der Liguster
einen guten Hintergrund für die leuchtend roten Triebe des Hartriegels Cornus
alba ‘Sibirica’. Hier pflanzte ich noch weitere Sorten von Cornus alba, zum Bei-
spiel den gelbblättrigen C. a. ‘Aurea’ und C. a. ‘Elegantissima’ mit weiß pana-
schiertem Laub und eine meiner Lieblingsweiden, Salix x stipularis. Sie ist in
Japan beheimatet und wurde 1895 eingeführt. Es mag absurd klingen, Weiden
in trockeneWälder pflanzen zu wollen, aber die Gattung bietet eine erstaunliche
Vielfalt, auch hinsichtlich der Standortansprüche. S. x stipularis wird zu einem
schönen, mittelgroßen Strauch mit graziösen olivgrünen Zweigen. Vor dem
Laub erscheinen paarweise graue Kätzchen, die bald rot werden, bevor die
Staubbeutel aufbrechen und leuchtend gelbe Pollen offenbaren. Dieser Rotton
greift die Färbung einiger Lenzrosen auf. Die jungen Blätter sind wie die Kätz-
chen sehr schmal, blassgrün und tragen in den ersten Tagen einen bronzenen
Schimmer; sie verleihen dem Strauch ein leuchtendes, zartes Aussehen.
An die Randbereiche zu den angrenzenden Äckern und Wiesen pflanzte ich
robuste Immergrüne wie Lonicera pileata und Cotoneaster zusammen mit
Ilex und Efeu, Kirschlorbeer (Prunus laurocerasus) und außerdem Birken,
Bambus und einige wenige Rhododendron ponticum. Im frischen Frühlings-
grün mag ich den Lavendelton dieses von mir aus Samen gezogenen Rhodo-
dendrons ganz besonders. Lonicera pileata gehört zu den widerstandsfähigs-
ten immergrünen Pflanzen. Ich habe diesen unterschätzten Strauch lieben
gelernt, denn er kommt mit den ärmsten, trockenen Böden zurecht, egal ob
sonnig oder schattig, und sieht stets gesund aus. Er wächst horizontal und
baut dichte Zweigetagen auf, wobei die erdnahen Zweige Wurzeln bilden und
verlässlich Unkraut unterdrücken. Die schmalen immergrünen Blätter ähneln
denen von L. nitida, sind aber größer, und obwohl er sich nicht als Hecken-
pflanze eignet, sieht er insgesamt besser aus. Im Frühjahr hebt sich der frische
Blattaustrieb reizvoll vom älteren Laub ab. In sonnigen Lagen setzt die
18 DIE ANLAGE EINES WALDGARTENS DIE ANLAGE EINES WALDGARTENS 19
Welche Verwandlung! Aberes war nicht schwer, in denersten Jahren die bodende-ckenden Pflanzen zu etablie-ren und darauf zu warten,bis sich die Sträucher entwi-ckeln und Hintergrund undSchutz bieten. Diese Auf-nahme aus dem Jahr 1999zeigt Funkien, Storchschna-bel, Farne und Gruppen vonVergissmeinnicht.
Pflanze gelegentlich kleine dunkelrote Beeren an, durchscheinend wie Glas-
perlen. Cotoneaster lacteus ist im Nordwesten Chinas beheimatet, wo sie im Un-
terholz wächst. Diese Mispel toleriert meinen trockenen Boden, entwickelt
ausladende Zweige, die im Winter zahlreiche rote Beeren tragen. Zum Blühen
und Fruchten braucht sie allerdings ausreichend Licht. Ungeschnitten erreicht
sie eine Breite von 5 Metern (natürlich nicht in meinem Boden!), verträgt aber
auch einen Rückschnitt. Am Beginn unserer Zufahrt bildet sie auf einem kur-
zen Abschnitt eine undurchdringliche Hecke, wird 2,5 Meter hoch und durch
einen einmaligen Sommerschnitt des neuen, zirka 30 Zentimeter langen
neuen Triebs bleibt sie äußerst dicht. Faszinierend finde ich den Habitus von
C. sonspicuus ‘Red Alert’. Sie hat sich zu einer ausladenden Strukturpflanze
entwickelt, an deren langen Zweigen dicht die dunkelgrünen, glänzenden
Blätter sitzen. Im Frühsommer ist die Pflanze übersät mit kleinen weißen Blü-
ten. Die Streifen roter Beeren erinnern an »schimmernde Lavaströme«, wie es
der Pflanzensammler Frank Kingdon-Ward ausdrückte, der die Pflanze erstmals
zwischen Felsen im Südosten Tibets wachsen sah. Da liegt für mich der
Haken, denn ich habe keine Felsen, über die meine Sträucher herabhängen
könnten, genug Licht für den Fruchtansatz gibt es ebenfalls nicht. (Dies ist ein
gutes Beispiel für meine gelegentliche Missachtung des natürlichen Umfeldes
von Pflanzen.) Wir müssen noch einen Platz finden, an dem wir die »schim-
mernden Lavaströme« sehen können, aber ich mag diese Mispel auch als
schlichtes immergrünes Gewächs.
Eine meiner ersten Stechpalmen, die ich vor annähernd fünfzig Jahren
pflanzte, war ein Steckling aus dem Garten eines Freundes, der Teil eines rie-
sigen Anwesens und schrecklich heruntergekommen war. Wir holten dort
Weihnachtsgrün, und diese Dekorationen überlebten dann als Stecklinge in
meinem Garten, einschließlich zweier Stechpalmen und einer Goldeibe. Der
erste Ilex heißt I. aquifolium ‘Myrtifolia’, was auf das kleine, myrtenähnliche
Laub zurückgeht, das glänzend dunkelgrün gefärbt und gleichmäßig mit klei-
nen Stacheln besetzt ist. Es hat die perfekte Größe, um den Weihnachtsku-
chen damit zu dekorieren. Obwohl die Pflanze nur langsam wächst, entwi-
ckelt sie sich bei vorsichtigem Schnitt zu einem stattlichen, eleganten Strauch
für kleinere Gärten. Mit der Absicht, einige Ilex zu verpflanzen, schnitten wir
sie ganz herunter. Aber ein paar entkamen der Schaufel; wir verschonten sie
und freuen uns seitdem an den hellen, frisch ausgetriebenen Blättern des bo-
dennahen Austriebs, den wir immer wieder zurückschneiden.
Ich habe bereits das empfindliche Thema der unnatürlich wirkenden
Pflanzensorten in meinem Waldgarten angesprochen. In diesem Punkt waren
Andrew und ich nicht immer einer Meinung. Ich stimmte seiner Auffassung
zu, sie wirkten anormal und hätten in der Natur keine Überlebenschance,
auch wenn etwa starke Farbigkeit sie natürlich erscheinen lässt. Das gilt auch
für Tiere, denen die Abweichung vom Natürlichen, und sei es nur in der Farbe,
das Überleben in der Natur unmöglich machen würde. Bei der Gartengestaltung
müssen wir unser begrenztes Verständnis für das, was in der Natur wächst,
mit unserem Wunsch nach Präsentation in Einklang bringen. Wir wollen
Pflanzen vorteilhaft zeigen und für die längste Zeit des Jahres schöne Bilder
schaffen. Immer wieder schreibe ich über Kontraste, in Farben und Formen.
Besonders in Schattengärten müssen wir damit arbeiten, denn hier zählt die
längste Zeit Laub, nicht Blüte. Häufig bedarf es einer oder zwei großer, üppi-
ger Pflanzen, um den Mischmasch kleinerer Pflanzen zu harmonisieren. Eine
solche Stelle finden wir unter der großen, beschnittenen Eiche am Eingang zu
unseren Wassergärten. Der stolze, über dreihundert Jahre alte Baum hat eine
imposante Schirmkrone. Unter ihr zieht Ilex x altaclerensis ‘Golden King’ die
ganze Aufmerksamkeit auf sich. Er ist breit ausladend, und der Kontrast sei-
ner panaschierten Blätter sorgt für ganzjährigen Reiz. Das große, ovale Blatt hat
keine Stacheln, jedes ist anders gemustert, mit einem unregelmäßigen creme-
weißen Rand um eine mal hell- und mal dunkelgrüne, aber immer wie sauber
gewaschen wirkende Mitte. Die Bodenschicht teilen sich Efeu und die beson-
ders großblättrige Bergenia ‘Ballawley’.
In den Waldgarten pflanzte ich Ilex aquifolium ‘Handsworth New Silver’, der
einen noch klareren Kontrast im Blatt aufweist, mit leuchtendem Dunkelgrün
und schmalem, leicht stacheligem hellen Rand. Er gibt eine leuchtende, ele-
gante Gestalt für schattige Orte ab. Ein weiterer Überlebender unserer einsti-
gen Weihnachtsdekoration ist I. a. ‘Bacciflava’, ein Ilex mit gelben Früchten. Alle,
für die Tomaten rot und Rote Bete purpurfarben – von beiden gibt es gelbe und
weiße Sorten – sein müssen, werden ihn nicht mögen. Aber ich liebe die unter
der Last leuchtend gelber Früchte überhängenden Zweige – bevor die Tauben
sie erleichtern.
Hedera helix f. poetarum ‘Poetica Arborea’ aus Griechenland und der Türkei
ist ein interessanter Strauch für den Winter. Das Gewirr ausladender Zweige ist
durch kräftigen Schnitt im Frühjahr in Form zu halten. Anders als unser hei-
mischer Efeu setzt er nicht schwarze, sondern grüne Beeren an, die sich später
gelb färben und dann von den Vögeln geholt werden. Unter einer unserer gro-
ßen Eichen wächst der fruchtende Efeu H. canariensis ‘Gloire de Magengo’. Als
mehrfarbige, immergrüne Kletterpflanze bekannt, wächst er mit seinen gro-
ßen, dunkelgrün-silbriggrau gefärbten und von einem weißen Rand umgebenen
Blättern bei uns als Strauch. Keiner dieser Efeus bildet lange, kletternde Triebe,
ein jeder wächst langsam zu einer eher kugeligen Form heran.
20 DIE ANLAGE EINES WALDGARTENS DIE ANLAGE EINES WALDGARTENS 21
Immergrüne Sträucher für das Unterholz
Konfrontiert mit kalkfreien, kiesig-sandigen Böden, geringen Niederschlägen
und austrocknenden Winden widerstand ich der Versuchung, reich blühende,
exotisch aussehende Sträucher zu pflanzen. Ich meine damit besonders Rho-
dodendron-Hybriden und andere Moorbeetpflanzen, die man ja häufig mit
Waldgärten in Verbindung bringt. Ich hatte keinen gezeichneten Plan, wusste
aber, dass ich für die Strauchschicht laubabwerfende mit immergrünen Sträu-
chern mischen wollte. Sommergrüne Sträucher sehen im Winter häufig wie leb-
loses Gestrüpp aus, während immergrüne voller Leben und Energie bleiben
und schöne Akzente setzen. Passende Kombinationen können im Laufe von Jah-
ren nicht nur ein nützliches Mikroklima für alle Lebewesen schaffen, sondern
den Raum auch größer und geheimnisvoller erscheinen lassen, weil sie die zu-
gigen Schneisen zwischen hohen Bäumen unterbrechen.
Von drei Mahonien versprach ich mir eine großartige Wirkung. Es han-
delte sich um die Auslese einer Kreuzung von Mahonia lomariifolia und M. ja-
ponica, die das eindrucksvolle Laub der ersteren, die nicht besonders frosthart
ist, und die Winterhärte von M. japonica verbindet. Und so ist M. x media
‘Winter Sun’ zum größten, üppigsten Strauch herangewachsen. An ihren bis
zu 60 Zentimeter langen Fiederblättern reihen sich die stacheligen, glänzenden,
immergrünen Blattpärchen. Die Blätter winden sich um kräftige Stämme.
Normalerweise im Dezember wachsen aus der Mitte 25 bis 30 Zentimeter
lange Rispen kleiner, gelber Blüten. Ihr kräftiger Duft und ihre Form erinnern
an das Maiglöckchen. Als einer der ersten Sträucher öffnet M. x media ‘Lionel
Fortescue’ seine Blüten, häufig wachsen schon im November steif aufrechte
Blütentrauben aus dem Strauß ledriger Fiederblätter, die zwischen 38 und 45
Zentimeter lang werden. M. x m. ‘Charity’ hat vornehm herabhängende Blät-
ter, die letzten Blüten ihrer lockeren Trauben grüßen die ersten Blüten des
Winterlings, die gelbe Flecken darunter bilden. Wenn die Magnolien in Blüte
stehen, hat M. x m. ‘Winter Sun’ längst lange Bänder jadegrüner Beeren ange-
setzt. Die Früchte von ‘Lionel Fortesque’ reihen sich kürzer auf, sind zudem in
Form und Farbe pflaumenartig und von einem grauen Flaum umhüllt.
Die gemeine Mahonie Mahonia aquifolium aus dem Nordwesten Amerikas
gehört sicherlich nicht zu den angesehensten Sträuchern. Wir haben zu viele
davon gepflanzt auf zahllosen Restflächen, auf denen sie staksige Stämme mit
Büscheln ledriger Blätter bilden, die nicht annähernd so schön sind wie die
hier beschriebenen Verwandten aus dem Fernen Osten. Aber warten Sie, ich
gehe einmal hinaus und prüfe alles nach an diesem hellen, kalten Wintertag.
Auch wenn sie schon viele Jahre bei mir wachsen – wie genau weiß ich das alles
DIE ANLAGE EINES WALDGARTENS 23
Links: Ilex aquifolium‘Handsworth New Silver’ist mit seinen panaschiertenBlättern ein Blickpunktwährend des ganzen Jahres.Besonders wichtig ist diePflanze im Winter, als leben-dige Vertikale über den im-mergrünen Teppichen vonEpimedium und Vinca.
eigentlich? Warum nehmen wir so oft die uns sehr vertrauten Dinge als selbst-
verständlich, beachten sie kaum auf der unsteten Suche nach Neuem? Zuge-
geben, der Wuchs ist tatsächlich recht locker, aber in Gruppen gedeihen die
Pflanzen gut neben den verstreuten Baumstämmen. Im Winter glänzen die
Fiederblätter besonders, und im Frost legen sich Rottöne über das Dunkel-
grün, am deutlichsten an den vorderen Blättchen. Dieses matte rötliche Leuch-
ten überall überrascht mich, wie auch die jadegrünen und purpurfarbenen
Beeren, die auf die strahlend gelbe Blüte im Frühjahr folgen. Wenn die sta-
cheligen Blattränder dann Frostkristalle ansetzen, verschlägt es mir beim An-
blick der Mahonie den Atem.
Scheinulmen überwältigten mich, als ich sie im Garten meiner Freundin
Pippa Rakusen in der Nähe von York entdeckte. Zu meiner Überraschung ge-
deihen zwei Exemplare auch in meinem Waldgarten und blühen jetzt regel-
mäßig. Eucryphia x nymansensis ‘Nymansay’ wächst säulenförmig und hat
glänzende, dunkelgrüne Blätter mit fein gesägten Rändern. Im August und
September ist sie übersät mit weißen Blüten aus je vier Kronblättern von
5 Zentimetern im Durchmesser. An den rötlichen Staubgefäßen nähren sich Un-
mengen von Bienen. E. cordifolia x lucida hat eine weiße, runde Schalenblüte,
aus der sich ein Strauß rotbrauner Staubgefäße herauswölbt. Sie mag einen vor
Frost und zuviel Sonne geschützten Platz, für eine verlässliche Blüte ist aber
auch ein freier Standort nötig. Nach und nach haben wir benachbarte Bäume
herausgenommen, um dies zu gewährleisten.
Skimmien erfreuen mich das ganze Jahr über. Sie brauchen wenig Pflege,
behalten lange ihre immergrüne Form und reagieren gut auf einen Rück-
schnitt. Verschiedene Sorten von Skimmia japonica wachsen in Sonne und
Schatten. Von den zahlreichen Sorten – einige haben weiße Beeren – haben wir
S. j. ‘Bowles Dwarf Male’ und S. j. ‘Bowles Dwarf Female’ im Waldgarten und
am Long Shady Walk. Diese kompakten Büsche brauchen nicht viel Platz. Am
Rand unseres Sitzplatzes pflanzte ich unter einer hohen Magnolia x sou-
langeana männliche und weibliche Pflanzen, deren Duft und Früchte wir ge-
nießen. Die männliche Pflanze hat große, glänzende immergrüne Blätter und
creme-weiße Blütenbüschel, die an Frühlingsabenden ihren Duft verströmen.
Die weiblichen Pflanzen haben kleinere Blätter und tragen während des gan-
zen Winters rote Beeren, erst kurz vor der nächsten Blüte fallen sie ab. Mein
besonderes Augenmerk gilt dem Reifen der Beeren. Sie bilden auffällige
Sträuße, zuerst grün, dann verblassend, später rosa und schließlich scharlach-
rot sich verfärbend. Anders als Ilexbeeren sind sie für Vögel nur bei Nah-
rungsmangel interessant. Auch wenn die Büsche klein bleiben, schneiden wir
sie im März, falls sie unförmig zu werden drohen. Alte Teile schneiden wir bis
zur Basis zurück, ansonsten schneiden wir sie nur zurückhaltend, um Licht in
die Pflanze zu lassen, was den Neuaustrieb fördert.
Skimmia japonica ‘Rubella’ hat kleinere, dunkle Blätter, und an jeder Trieb-
spitze erscheinen Büschel mahagonifarbener Knospen, die mit den ähnlich
gefärbten Zweigen und Blattstielen korrespondieren. Eine ausgewachsene
Pflanze, die mit Knospen übersät ist, kann einem an einem kühlen Februartag
das Herz erwärmen. An offeneren Stellen des Waldgartens haben sich die jun-
gen Pflanzen schon gut entwickelt und blühen verlässlich. Umgeben von
pflaumenfarbenen Helleborus x hybridus wirkt die Skimmia am besten, wenn
sie ihre cremeweißen Blüten öffnet.
Skimmia x confusa ‘Kew Green’ ist eine neue Sorte. Die dichten Sträucher
sind während des ganzen Jahres attraktiv. Ihren niedrigen Wuchs und die
leuchtenden, immergrünen Blätter mag ich ebenso wie ihre blassgrünen
Knospen, die sich zu creme-weißen Blüten öffnen. Wie S. japonica ‘Rubella’
eignen sie sich für Vasen im Winter.
Laubabwerfendes Unterholz
Laubabwerfende Bäume und Sträucher wählte ich nach ihrer Gartentauglich-
keit und der jährlichen Dauer ihrer Attraktivität: Magnolien, Hartriegel, blü-
hende Johannisbeeren, sommergrüne Schneebälle, Ebereschen (Abbildung
siehe Seite 157) und Hortensien mit Tellerblüten. Letztere kommen im Hoch-
sommerkapitel zur Sprache.
24 DIE ANLAGE EINES WALDGARTENS DIE ANLAGE EINES WALDGARTENS 25
Oben: Wochenlang kannman sich im Frühjahr anSkimmia x confusa ‘KewGreen’ freuen, deren dichtsitzende, gelbgrüne Knospensich zu cremefarbenen Blü-ten öffnen.
Links: Skimmia japonica‘Bowles’ Dwarf Female’ hatim Herbst viele rote Beeren.Skimmien wachsen zu kom-pakten Büschen heran,deren Blätter beim Zerrei-ben aromatisch duften.
Jeden April überwältigt esmich, wenn Magnolia x loeb-neri ‘Leonard Messel’ ihrewunderschönen Blüten vordem grauen Hintergrundlaubloser Bäume öffnet.
Magnolia stellata aus den Bergen der japanischen Insel Honshu wächst
langsam zu kleineren Sträuchern heran und blüht im laublosen Aprilwald.
Jede Blüte besteht aus einer doppelten Reihe schmaler, reinweißer Blütenblät-
ter, die weiße Staubblätter und einen grünen Stempel umgeben und von klei-
nen schwarzen Käfern besucht werden. M. x loebneri ‘Leonard Messel’ ist eine
Hybride mit M. stellata als einem Elternteil. Die Blüten sind gleich, aber die
Pflanze wächst schneller und wird zu einem aufrechten, offenen Kleinbaum. Aus
langen rosa Knospen wachsen die weißen Blüten, die bei Sonnenschein aus der
Ferne jedoch rosa aussehen, weil die rosa Rückseiten der Blütenblätter durch-
scheinen.
Cornus mas, die auf dem europäischen Konti-
nent beheimatete Kornelkirsche, ist nicht so häu-
fig in unseren Gärten zu sehen. Sie wird bis zu
6 Meter hoch. Wenn man, wie in Waldsituationen,
den Platz hat, ist man dankbar für das unregelmä-
ßige Gerüst der laublosen Zweige, durch das man
gut hindurchsehen kann. Zeitig im Jahr läutet sie
das Frühjahr ein mit zahllosen gelben Sternblüten
an jedem Zweig. Ich gebe zu, dass ich diesen Blüh-
effekt noch mehr liebe als den von Hamamelis
mollis, die früher blüht. Erst nach einigen Jahren
entschieden sich die drei gut entwickelten Exem-
plare von Cornus mas zu blühen. Sie wuchsen so-
fort gesund, bildeten aber keine Blütenknospen.
Als wir eine verpflanzten, reagierte sie mit einer
Fülle von Blüten auf diesen Schock. Es galt, Beeren
zu produzieren für den Fall des Absterbens. Die
Pflanze starb zwar nicht, zeigte aber auch keine
reifen Früchte. Bei intensiver Suche stieß ich auf
eine einsame, kleine, pflaumenförmige Frucht, die grün zu Boden fiel. Viel-
leicht verhindern unsere tückischen Frühlingsfröste eine Bestäubung. Die an-
deren Sträucher umstachen wir im Abstand von 60 Zentimetern vom Stamm,
um die Produktion von Blütenknospen zu fördern.
Cornus mas ‘Variegata’ wächst bedeutend langsamer, zweifellos wegen des
zweifarbigen Laubes. Es fehlt an Chlorophyll, das zu einem starken Wuchs an-
regt. Möglicherweise kommt sie aus demselben Grund früher in Blüte. Schon
als junger Strauch blüht sie üppig im zeitigen Frühjahr und bleibt während des
ganzen Sommers attraktiv. Meine ist nun 2 Meter hoch und bleibt mit ihrer loh-
farbenen, abblätternden Rinde auch im tiefen Winter sehr reizvoll. Vor sechs
28 DIE ANLAGE EINES WALDGARTENS
Oben: Hamamelis mollis,die Chinesische Zaubernuss,öffnet im frühen Januar duf-tende Troddel aus schmalen,wie Holzspäne verdrehtenBlütenblättern.
Rechts: Cornus mas, heimischin Mittel- und Osteuropa,folgt im März mit Wolkenkleiner gelber Blüten, die indunklen Schattenpartienhell leuchten.
Jahren pflanzte ich am Eingang zum Waldgarten eine Gruppe der faszinieren-
den Sorte des heimischen Hartriegels C. sanguinea ‘Midwinter Fire’, die auch
von Gartencentern angeboten wird. Bereits einer ist eine Erscheinung, aber
bei genügend Platz bieten drei ein spektakuläres Schauspiel (siehe Seite
180–181).
Ribes laurifolium ist kein grandioser Strauch, doch haben Blatt und Blüte gro-
ßen Wert im Winter. In einer gemischten Strauchpflanzung kann die ausladend
wachsende, aber niedrig bleibende Pflanze harte
Linien, etwa von Wegen und Stufen, überspielen.
In meinem Waldgarten brauchte sie einige Jahre,
bis ich anerkennend über sie schreiben konnte.
Nur langsam bildet sie einen ausladenden, niedri-
gen Strauch mit verschiedenen Zweigebenen, die
auf der gesamten Länge mit immergrünen Blät-
tern besetzt sind. Die blassgrünen Blüten ähneln
denen der weit verbreiteten Johannisbeere, heben
sich aber auffällig ab vom glänzenden, dunkel-
grünen Laub. Sie nehmen dabei die Farbe von
Helleborus foetidus auf, deren Blütenglocken die
gleiche Lebendigkeit in die Winterlandschaft
zaubern. Eine bedeutend reizendere Sorte der
Johannisbeere fand ich im Garten meines Freun-
des John Morley, des berühmten Sammlers von
Schneeglöckchen und anderen Zwiebelpflanzen.
Johns Pflanze wiederum stammt aus dem Garten
von Amy Doncaster und wird nicht kommerziell
vermehrt (bitte belasten Sie meine Freundschaft
zu John nicht mit einer Bitte um die Pflanze). Der
ausgewachsene Strauch, den er vor vielen Jahren
vor eine Mauer pflanzte, ist jetzt nur kniehoch.
Die hängenden, blassgrünen Blütentrauben sind
bedeutend größer, während die Zweige weniger
dicht belaubt sind. John hatte eine weitere Pflanze, die meiner glich, bei ihm
aber besser wirkte, weil sie durch einen anderen Strauch wuchs, der die lo-
ckeren Zweige des Ribes stützte. Ich werde weiter unten noch andere blü-
hende Johannisbeeren erwähnen, die im Februar ihren Duft verströmen
(siehe Seite 33 ff.).
Viburnum farreri (syn. V. fragrans) hatte Startschwierigkeiten, weil er feuch-
tere Standorte bevorzugt. Aber tiefgründige Sandböden ermöglichen das Vor-
stoßen in kühlere Substratschichten, und so gedeihen meine Duftschneebälle
nun zufriedenstellend. Die kastanienbraunen Stämme wachsen steif aufrecht
und an zahlreichen Stellen über den Habitus hinaus, um dort üppig zu blühen.
Hier und da wachsen aus der Basis neue Grundstämme steil aufwärts. Außer-
dem wächst bei mir die ebenso süß duftende Hybride V. x bodnantense ‘Dawn’
mit größeren, tiefrosa Blütenknospen und mattrosa Blüten sowie V. opulus
‘Fructu Luteo’, ein gelbfruchtender Gemeiner Schneeball.
Kein Garten ist statisch – das Bild ändert sich zu jeder Jahreszeit Tag für Tag
und sogar Stunde für Stunde. In mehr als zehn Jahren nach der Anlage des
Waldgartens habe ich viele andere Bäume und Sträucher (siehe Liste, Seite
186) gepflanzt; ich werde sie vorstellen, wenn ich Sie mitnehme in den erwa-
chenden Garten und seine Entfaltung im Lauf des Jahres mit Ihnen teile.
30 DIE ANLAGE EINES WALDGARTENS DIE ANLAGE EINES WALDGARTENS 31
Die rot umrandeten Glockenvon Helleborus foetidus ni-cken den geaderten Blätternvon Arum italicum ‘Marmo-ratum’ zu. Beide Winterpflan-zen sind monatelang schön,bis ins Frühjahr hinein.
Mit seinem eleganten Wuchsund dem panaschiertenLaub wird Cornus mas‘Variegata’ zu einem Blick-punkt des ganzen Sommers.Während die im Frühjahrfrischen Töne des Austriebsallmählich zu einem einheit-lichen Grün unter denBaumkronen verschmelzen,behält dieser Strauch seineLeuchtkraft.
Einen schönen Sonntagmorgen wie diesen zu Anfang Februar habe ich
herbeigesehnt – ich möchte mir den Waldgarten ansehen, wie ich ihn
mir während des Winters vorgestellt habe, mit all den Winterlingen,
Schneeglöckchen und kleinen Narzissen ‘Cedris Morris’, die zwischen den
blassgrünen Stämmen der Eichen auftauchen.
Auf meinem Spaziergang wärmt mir die Sonne den Rücken, aber es ist
noch zu kalt, um im Little Grassy Wood die endlos vielen Mustervariationen
der Alpenveilchenblätter zu studieren. Bis jetzt war es kein schlechter Winter
(überhaupt kein Winter, wie manche sagen) – nur wenige Schneeflocken, dann
und wann ein frostiger Morgen, alles nur von kurzer Dauer – und daher gab
es keinen wirklichen Bodenfrost. Unter diesen Bedingungen entwickeln sich
Wurzeln und Zwiebeln im Boden schon im Winter, und das Frühjahr beginnt
einige Wochen früher als in Jahren, in denen der Frost 30 Zentimeter in die Erde
dringt; erst Tauwetter lockert dann den steinharten Boden wieder auf. Aber
solche Verhältnisse liegen einige Jahre zurück.
Aufregend ist der Anblick, wie Winterlinge (Eranthis hyemalis) und Schnee-
glöckchen aus dem Herbstlaub hervorbrechen. Vor zehn Jahren war davon
noch nichts zu sehen. Damals überlegte ich, ob ich die beiden separieren sollte
oder nicht. Ich liebe große Flecken einer Pflanzenart – aber nachdem ich ein-
mal eine bunt gemischte Partie gesehen hatte, verließ mich der Mut, getrennte
Gruppen anzulegen. Eine partielle Vermischung ist wahrscheinlich der Königs-
weg, um ein zu sehr getupftes Bild zu vermeiden.
Winterlinge erinnern mich an meine Kindheit, daran, wie ich mit meinen
Brüdern durch den Zaun eines alten, vernachlässigten Gartens nach den ers-
ten gelben Blüten Ausschau hielt. Weil der Boden nicht richtig kalt wurde,
wachsen Tausende von Sämlingen in der Nähe der Mutterpflanzen – zwei
Blätter, die aus den Samen des vergangenen Jahres gekeimt sind. Auch Säm-
linge vom vorvergangenen Jahr sind zu sehen. Erst im nächsten Jahr werden
über dem gefransten Blattkragen gelbe Blüten stehen. Ich mag es, wenn sie in
den Weg wachsen. Mein Sandboden gefällt ihnen, sie gedeihen lange nicht
ZEIT DES ERWACHENS 33
Links: Ein Anblick, der dieSchwermut des Winters ver-treiben kann: Ein Teppichgelbblühender Winterlinge,Eranthis hyemalis, die mitals erste Blumen das neueGartenjahr begrüßen.
2 Zeit des Erwachens
überall. Es scheint stets, als unterdrückten diese robusten Pflanzen noch Schö-
neres, das erst nach dem Absterben der Blätter erscheint. Wo ich Platz habe,
pflanze ich Adonis amurensis ‘Fukujukai’ aus Japan, das etwas später halbge-
füllt wie ein Hahnenfuß blüht.
Der Waldgarten erwacht, aber ein eisiger Wind streicht um Gesicht und
Hände. Beim Pflücken der Schneeglöckchen wird mir erst ihre perfekte Form
und Textur bewusst. Später arrangiere ich sie in einem kleinen Zinnkänn-
chen, zusammen mit schmalen schwarzen Blättern von Ophiopogon planisca-
pus ‘Nigrescens’, mit einem rosa Hauch überzogenen Kätzchen von Salix x
stipularis und kleinen, jungen Blättern von Arum italicum ‘Marmoratum’
(‘Pictum’). In der abendlichen Wärme meines Arbeitszimmers öffnen sich die
äußeren Blütenblätter (Petalen) der Schneeglöckchen und leuchten im hellen
Licht. Draußen erscheint der riesige Vollmond über der Mauer der Gärtnerei.
Mit einer Taschenlampe gehe ich nach draußen und staune wieder, mit welch
kaltem Licht der Mond meinen kleinen Hintergarten beleuchtet. Dieses Licht
lässt das verschlungene Muster des laublosen Weines, Vitis coignetiae, her-
vortreten, der über die Mauer wächst.
Die erste Narzisse
Es ist stets spannend,wer von uns die ersten sich öffnenden Knospen einer klei-
nen Narzissensorte im Garten entdeckt. Wir nennen sie Narcissus ‘Cedris Mor-
ris’. Häufig können wir schon zu Weihnachten erste Knospen pflücken. Mein
Freund und Lehrer Sir Cedric Morris brachte sie vor über vierzig Jahren aus
Spanien mit. Cedrics Freund Basil Leng, ein Pflanzenkenner, der in der Provence
lebte und gärtnerte, fuhr auf einer Küstenstraße in Nordspanien. Beim Picknick
botanisierte er wie immer, diesmal auf den steinigen Grashängen, und dabei
entdeckte er eine wilde, ihm fremde Narzisse. Es schien die einzige in der Um-
gebung zu sein, und so grub er sie aus und setzte seine Reise nach Portugal fort,
wo er Cedric traf. (Cedric verbrachte die meisten Winter als Maler im Mittel-
meerraum, um dem kalten Winter in East Anglia zu entfliehen.) Nach einigen
Jahren hatte Cedric seinen Bestand so erweitert, dass er mir eine Zwiebel ab-
geben konnte, aus der unsere Sammlung hervorgegangen ist.
Aus der Zwiebel wachsen schmale grüne Blätter und bis Ende Februar
dann 25 Zentimeter lange Blütenstängel. Die Blüte ist die Miniaturausgabe
einer Trompeten-Narzisse, aber nicht von deformiert unterdrücktemWuchs. Die
zitronengelben, spitz zulaufenden Petalen sind leicht verdreht, sie stehen um
eine gefranste Trompete und sind an der Basis grün. Bei uns hat sie noch
keine Samen angesetzt, aber John Elsley, ein Freund aus North Carolina in den
USA, berichtet von reichem Aussäen in seinem Garten. Wahrscheinlich schä-
digen unsere Spätfröste die sich entwickelnden Fruchtknoten. Bei starkem
Frost liegen die Blüten flach auf dem Boden, erheben sich aber unverletzt wie-
der, sobald es taut.
Die Zwiebeln vermehren sich nur langsam, doch können die Horste nach
einigen Jahren geteilt werden. Entscheidend ist der richtige Standort. Die Nar-
zissen gedeihen in jeder durchschnittlichen Gartenerde und im Gras, wenn es
nicht zu dicht- und grobblättrig ist. Für regelmäßige Kompostgaben sind sie
dankbar. Wichtig ist ein Schutz vor der Narzissen-Schwebfliege, die im Mai
ihre Eier an der Blattbasis ablegt. Die Larven graben sich dann ein und fressen
die Zwiebeln zu einer hohlen Hülle aus. Um das zu verhindern, setzt man die
Zwiebeln nie an exponierte Stellen, sondern in den Schatten von laubabwer-
fenden Bäumen und Sträuchern oder neben Stauden, deren Laub im Mai den
34 ZEIT DES ERWACHENS ZEIT DES ERWACHENS 35
Narcissus ‘Cedric Morris’zeigt die charakteristischegrüne Färbung an der Basisder Blütenkrone. In derMitte der leicht verdrehtenPetalen sitzt die fransigeTrompete, die eine finger-hutgroße Blüte formt.
nötigen Schutz bietet. Diesen Rat gebe ich aus eigener schmerzlicher Erfah-
rung. Es hat mich viele Jahre gekostet, bis ich einen Bestand herangezogen
hatte und diese Narzisse zum Verkauf anbieten konnte. Die leidige Fliege
hatte fast unser gesamtes Mutterbeet vernichtet, ich erinnere mich noch gut an
die hinterlassenen Zwiebelhüllen. Aufgrund dieser Erfahrung pflanzte ich
diese Narzissen in halbschattige Lagen.
Basil Leng gab mir die Erlaubnis, sie nach Cedric Morris zu benennen.
Viele Jahre später schenkte ich ihm einen Topf mit diesen speziellen Narzissen
zu seinem neunzigsten Geburtstag – er hatte seinen ganzen Bestand verloren.
Erhebende Schneeglöckchen
Allein der Gedanke an die ersten Schneeglöckchen lässt mich die dunklen
Wintermonate durchstehen. Nach der Blüte teilen wir die größeren Büschel
und vereinzeln sie in Gruppen zu dritt und mehr, und sogleich denke ich an
ihr Blühen im nächsten Spätwinter. Teilt man sie nicht, bleiben die Pflanzen
häufig wie sie sind, manche, wie etwa Galanthus nivalis ‘Viridapicis’ (leicht zu
erkennen an der markanten grünen Zeichnung auf den äußeren Blütenblättern),
lassen in der Blüte nach und fallen sogar ganz aus. Teilung dagegen fördert die
Produktion neuer Zwiebeln. Wer das jedes Jahr macht, wird in recht kurzer Zeit
einen dichten Schneeglöckchenteppich bekommen. Dabei setze ich die wüch-
sigeren Sorten nicht als Bänder an die Wegränder, sondern in die Mitte großer
Beete unter laubabwerfende Sträucher, wo sie von den Wegen aus noch ent-
deckt werden können.
Nur wenige Schneeglöckchen haben sich bei mir je ausgesät, aber ich habe
mir sagen lassen, dass man durch Handbestäubung zum Ziel kommen kann.
Ich habe es nie probiert! Schneeglöckchen sind jedenfalls gefügigeWesen – nach
der Teilung blühen sie im kommenden Spätwinter so reichlich, als seien sie nie
gestört worden. Andere Zwiebelpflanzen dagegen brauchen häufig zwei
Jahre, um sich davon zu erholen oder sterben gar.
Schneeglöckchen haben ihre Heimat in Europa, sie wachsen wild von
Russland über die Türkei, Griechenland, den Balkan, Deutschland bis nach
Spanien. Unser gemeines Schneeglöckchen, Galanthus nivalis, ist in England
nicht heimisch, verwilderte aber, auch mit gefüllter Blüte. Die Knospen öffnen
sich zu spitzen Blütenblättern, die über schmalem, graugrünem Laub bau-
meln, alles in perfekten Proportionen. Wir alle kennen die speziellen Wald-
plätze, die während des ganzen Jahres vergessen daliegen, zu denen wir aber
im Januar und Februar pilgern, um diese Schneeglöckchen tausendfach über
dem von Efeu bedeckten Boden blühen zu sehen.
36 ZEIT DES ERWACHENS
Rechts: Schneeglöckchenund Cyclamen heben sichab vom braunen Herbstlaubund den dunklen Rosettendes Günsels. In der Februar-sonne öffnet Galanthus‘S.Arnott’ weit die äußerendrei Blütenblätter und zeigtdie bogenförmige grüneZeichnung der inneren.
Da über viele Jahre neue Sorten gesammelt und gekreuzt wurden, gibt es
nun eine Schneeglöckchenblüte von Oktober bis Ende März. Leser, die noch
nicht vom Schneeglöckchen-Virus befallen sind, mögen mit Erstaunen ver-
nehmen, was ich in The Times gelesen habe. Es ging um einen Schneeglöck-
chenfund im Garten von East Lambrook Manor in Somerset, dem Zuhause
der berühmten, 1969 verstorbenen Gärtnerin und Buchautorin Margery Fish.
Die bis dahin unbekannte Schneeglöckchensorte wurde damit zu einer weite-
ren von über fünfhundert bisher bekannten. »Was denn«, werden Leser aus-
rufen, »für mich gibt es zwei Formen, die einfach und die gefüllt blühende. Fünf-
hundert! Das ist doch verrückt.« So dachte ich auch, als ich im Januar 1975
zum ersten Mal eine Winterblüherausstellung der Royal Horticultural Society
Show in der Westminster Hall in London besuchte. Auf einem kleinen Tisch
waren Töpfe mit Schneeglöckchen aufgereiht. Unerfahren, wie ich war, sah
ich mich kaum in der Lage, eine von der anderen zu unterscheiden. Dann
tauchte ein Schneeglöckchenexperte auf, hob die Pflanzen sachte an und
zeigte mir die besonderen Merkmale. Die Unterschiede sind meist gering,
aber genau das macht viele Sammler geradezu süchtig, was all jenen unver-
ständlich ist, die nicht infiziert sind. »Einen neuen Blick auf die Geschichte
von über 450 Kultivaren« verspricht die neueste Monographie! David Ward, der
Leiter meiner Gärtnerei, und ich haben durchaus ein Faible für Schneeglöckchen,
aber wir müssen hier streng selektieren. Wir vermehren nur gute und klar von-
einander unterscheidbare Gartensorten. Neben denen, die ich hier beschreibe,
finden sich weitere, von Spezialgärtnereien vertriebene Sorten auf den Seiten
196 und 197.
Die Schneeglöckchensaison dauert mehrere Monate. Bei mir beginnt sie im
Oktober/November mitGalanthus reginae-olgae subsp. reginae-olgae, das wirG.
corcyrensis genannt haben. Es wächst wild auf Sizilien und in Griechenland
und kann daher in warmen Lagen auf durchlässigem Substrat gedeihen, wo
viele andere Arten versagen. Ein bis zwei Wochen vor Weihnachten halte ich
dann Ausschau nach G. elwesii var.monostictus aus der Hiemalis-Gruppe (»Hie-
malis« bedeuted winterblühend). Die Art G. elwesii erscheint nicht vor Februar.
Nach ihr suche ich und erkenne sie an ihren himmelwärts gerichteten Knospen,
die mich an die Schnäbel von Pinguinen erinnern, die in Gruppen den har-
schen Schneestürmen trotzen. G. ‘Atkinsii’ öffnet im Januar seine Blüten, vor G.
elwesii, und sie halten bis Ende Februar. Große, birnenförmige Knospen heben
sich während des Öffnens wie kleine Helikopter, und lange, schmale Petalen er-
scheinen, doppelt so lang wie die inneren Blättchen. Es breitet sich aus, und die
kräftigen Büschel blühen überreich. Für das späteste Schneeglöckchen, das
noch im März für einen Schneefalleffekt sorgt, konnten wir keinen Namen fin-
den. Jede Zwiebel produziert zwei Blüten, die auf zirka 20 Zentimeter hohen
Stängeln sitzen. Wir nannten es ‘Finale’, aber kürzlich haben die dafür Zustän-
digen sie G. plicatus ‘Washfield Warham’ getauft.
Alle Schneeglöckchen haben etwas Besonderes. Es lohnt sich daher, jedes
nicht so vertraute genau anzusehen, denn die grüne Markierung variiert häu-
fig. Viele haben das breite »V« an der Spitze der inneren Blütenblätter; doch
manchmal ist das Grün wie ein Strumpf bis an die Basis gezogen. Galanthus
nivalis ‘Blewbury Tart’ beispielsweise ist, verglichen mit dem klassischen
Schneeglöckchen, geradezu bizarr. Diese gefüllt blühende Sorte öffnet sich
weit und zeigt überlappende Reihen grüner innerer Blütenblätter, die zart
weiß gerändert sind. Die Grünfärbung macht dieses Schneeglöckchen drau-
ßen fast unsichtbar, aber in einer Vase ist es mit seinem aufrechten Gesicht einer
gefüllten Primel nicht unähnlich.
Ein besonderes Exemplar ist ‘Mrs Thompson’. Diese Kreuzung kann sich
nicht recht entscheiden, mal setzt sie eine, mal zwei Blüten pro Stängel an.
Zudem hat sie manchmal fünf große äußere Blütenblätter, die vier innere
schützen. Sie hängen an besonders langen Stängeln und schaukeln in der
leichtesten Brise.
Unter den gefüllt blühenden Schneeglöckchensorten habe ich eine Schwä-
che für ‘Lady Beatrix Stanley’. Sie wächst unter der Großen Eiche des Long
Shady Walk und fällt vom Haus aus als weit entfernter, scheinbarer Schnee-
fleck auf. Ihre Blüte beginnt früh, hält aber bis März an. Die langen Blüten-
blätter schützen die kleinen, dicht sitzenden inneren wie Hennenflügel. ‘Lady
Elphinstone’ wurde von Sir Graeme Elphinstone in Cheshire gefunden. Sie
bleibt mit 12,5 Zentimetern niedriger und zierlicher und überrascht mit einer
zarten Gelbfärbung der inneren Blütenblätter, mit einem Hauch Orange hier
und da. Jedes Jahr hebe ich die Blüten aufwärts und prüfe, ob sie sich nicht zum
Grün zurückentwickelt haben. Bei neu gepflanzten Zwiebeln machen wir das
stets. Sie haben sich gut vermehrt und bilden verlässlich gelbe Blütenmitten.
Die Bodenverhältnisse mögen ihr Wachstum beeinflussen; bei uns wachsen
sie unter einer alten Eiche auf saurem Sandboden, den wir mit Kompost an-
reichern, zusammen mit Cyclamen und Erythronium dens-canis.
Darüber hinaus gedeihen bei uns gefüllte Schneeglöckchen von H. A. Grea-
torex aus Norwich, die alle nach Shakespeare-Figuren benannt sind. Die
Namen finde ich angemessen, denn ich denke dabei an prächtige Abendklei-
der mit Unterröcken. Die Schneeglöckchen sehen alle recht gleich aus mit
ihren feinen Reihen innerer Blütenblätter und der breiten, grünen »V«-Mar-
kierung darauf. Aber der Gärtner erkennt jede Eigenheit wie eine Mutter ihre
Kinder. Als erstes nenne ich G. ‘Hippolyta’. Lange Blütenblätter sind in eine
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Galanthus ‘Wisley Magnet’zieht die Aufmerksamkeitauf sich mit großen äußerenBlütenblättern, die bis zu3,5 Zentimeter lang werden.Die Blüte hängt an einem be-sonders feinen Blütenstiel.
Galanthus plicatus ‘Wash-field Warham’ entwickeltkräftige Horste aus breiten,graugrünen Blättern, überdenen zahlreiche große Blü-ten hängen.
dicke Knospe gerollt, die nach dem Öffnen dicht stehende innere Blütenblät-
ter zeigt, alle mit einem gleichmäßigen grünen Rand. Gelegentlich hängt
mehr als eine Blüte von den 20 Zentimeter langen Stängeln. G. ‘Desdemona’ folgt
bald darauf; die Blüten hängen an 30 bis 35 Zentimeter hohen Stängeln und
damit deutlich über den graugrünen Blättern, die Petalen hängen weit geöff-
net um die grünen inneren Blätter. Beide Sorten breiten sich gut aus und blü-
hen verschwenderisch.
Einige Schneeglöckchen haben bemerkenswerte Blätter, die meisten recht
schmale, graugrüne, einige wenige breitere, glänzende, grüne Blätter. G. ika-
riae, beheimatet in der Ägäis, der Türkei und dem Kaukasus, hat kurzes, hell-
grünes Laub, das sich zurückrollt, als wolle es den Weg freimachen für die
rundlichen Blüten, deren äußere Blütenblätter die inneren mit dunkelgrüner
Zeichnung fast ganz umhüllen. Dieses Schneeglöckchen sät sich selbst aus. G.
‘Washfield Colesbourne’ sticht mit Blatt und Blüte aus der Masse heraus. Das
Blatt ist außergewöhnlich breit, auf dem 35 Zentimeter hohen Stängel blüht es
mit langen Petalen, die sich abheben von einem dunklen Fruchtknoten und den
grünen inneren Blütenblättern, die einen weißen Rand aufweisen – also um-
gekehrt im Vergleich zu den meisten Sorten. G. elwesii ‘Three Leaves’ ist
wegen der drei blaugrünen Blätter pro Zwiebel etwas Besonderes, denn nor-
malerweise kommen auf jede Zwiebel zwei Blätter. Das innere Zentrum der
rundlichen Blüte ist vollständig grün.
Die Namen der Schneeglöckchen können Fachleute und Laien gleicherma-
ßen verwirren. Kürzlich mussten wir lernen, dass man die lange Zeit als Ga-
lanthus caucasicus bekannte Art nun G. elwesii var. monostictus nennt, von
der es zahlreiche Variationen gibt. Unsere, vor über vierzig Jahren von Cedric
Morris entdeckt, hat große Petalen, deren Spitzen zartgrün gefärbt sind und das
mit einem dunkelgrünen »V« markierte Blüteninnere zu schützen scheinen. Für
John Morley stellt sie eine eigene Sorte dar, die wir in diesem Buch als Galan-
thus elwesii ‘Cedric’s Prolific’ bezeichnen.
Und wir haben ein spezielles, eigenes Schneeglöckchen. Es tauchte hier
vor vielen Jahren auf, hat eine perfekte runde Blüte, die in warmen Räumen
duftet. Ihre ersten Blüten öffnen sich schon in Bodennähe, was nicht sehr ein-
drucksvoll ist, aber dann schieben sich die Blütenstiele immer weiter nach
oben. Eine zweite Blüte kommt aus derselben Zwiebel, was die Saison bis in
den März verlängert. Zufrieden konnten wir feststellen, dass sich dieses
Schneeglöckchen sicher aussät. Vor einigen Jahren schickten wir es der Royal
Horticultural Society zur Prüfung. Niemand konnte es bestimmen. Mein
Freund Graham Stuart Thomas schlug vor, es nach mir zu benennen, und so
wurde es als Galanthus plicatus ‘Beth Chatto’ gelistet.
40 ZEIT DES ERWACHENS
Oben: Galanthus elweesii‘Cedric’s Prolific’ ist robustund breitet sich verlässlichaus.
Rechts: Müsste ich michfür ein gefüllt blühendesSchneeglöckchen entschei-den, wäre wohl Galanthus‘Hippolyta’ mit ihren schö-nen runden Glocken undden grünrandigen innerenBlütenblättern mein Favo-rit – und dann stoße ich auf‘Desdemona’ oder ‘Dionysus’.Die Wahl fiele mir ebensoschwer wie eine adäquateBeschreibung dieser Sorten.Ich kann keine Favoritenhaben!
Februarsonne
Wenn es Februar ist, können wir unseren Tee bei Tageslicht genießen. Es ist kalt,
meist bläst ein Wind aus Nordwesten, aber wir haben für diese Jahreszeit viel
Sonnenschein. Nicht selten fristen wir den Winter wochenlang unter einem
düsteren, grauen Himmel, und ich fühle mich dann wie unter einem Mülleimer-
deckel. Wenn aber dann die tiefstehende Sonne durchkommt und jeden Zweig,
Wassertropfen,Vogel und meinen Schreibtisch trifft, springen meine Geister auf
wie Schachtelmännchen, und jeder in der Gärtnerei ist gut gelaunt.
Es ist ein Samstagmorgen. Kein Mensch ist im Garten (erst ab Anfang
März ist der Garten an Samstagen wieder für Besucher geöffnet). Der Wind ist
abgeflaut, die Sonne warm, es liegt in der Luft, dass der Frühling hinter der
nächsten Ecke wartet. Im Waldgarten verteidigen die Vögel schon lebhaft ihre
Reviere. Schwarzdrosseln durchstöbern das Herbstlaub, aus der Ferne läutet
eine Meise monoton ihre Glocke, ein Rotkehlchen begleitet mich auf dem
Weg, in der Hoffnung, dass eine Grabegabel einen Wurm zutage fördert. Über
mir kann ich den blauen Himmel mit weißen Wolkenbergen durch das Ge-
flecht kahler Zweige und Äste sehen. Die trockenen Samenstände von Hy-
drangea macrophylla ‘Mariesii Perfecta’ (syn. H. m. ‘Bluewave’) leuchten wie
bleiches Stroh und scheinen im leeren Raum zu schweben. Gerade jetzt ist
diese Hortensie wertvoll, wenn jede Form und Nuance einen Wert hat. Schon
aus der Ferne zieht sie meinen Blick an, wie zur Blütezeit.
Ich sitze auf einer Bank nahe einer aufrecht wachsenden Eiche. Ihr bleich-
grüner Stamm wird umklammert von den Trieben einer Hydrangea anomala
subsp. petiolaris, die noch manchen tellerförmigen Blütenstand trägt, braun-
grau ausgeblichen, was einen herrlichen Kontrast vor dunklem Buchsbaum
(Buxus sempervirens) abgibt. Daneben hat Daphne laureola, unser heimischer,
auf Kalkböden vorkommender Lorbeer-Seidelbast, niedrige, immergrüne Bü-
sche von 1 Meter Höhe gebildet. An seinen Triebspitzen heben sich Unmen-
gen blassgrüner, röhrenförmiger Blüten vom dunklen Laub ab. Schwarze Bee-
ren werden später im Jahr erscheinen.
Der Boden des Waldes
Obwohl viele Pflanzen und Zwiebeln noch unter dem Herbstlaub schlafen,
zeigt der Waldboden zahllose interessante Muster, auch in der Kombination von
laufabwerfenden und immergrünen Pflanzen. Aufrecht steht Arum italicum
‘Marmoratum’ mit seinen üppigen, marmorierten Blättern im Eichenlaub.
Fragaria chiloensis ‘Chaval’, eine wilde Erdbeere, bildet hübsche immergrüne
42 ZEIT DES ERWACHENS
Oben: Die vertrocknetenSamenstände von Hydran-gea macrophylla ‘MariesiiPerfecta’ schimmern andunklen Wintertagenwie verblichene Sommer-geister.
Rechts: Hydrangea anomalasubsp. petiolaris brauchteinige Jahre zur Ausbildungvon Luftwurzeln, mit denendie kastanienbraunen Triebesich an diesen Eichenstammklammern. Kletterhortensienbegeistern mich zu jederJahreszeit (siehe Seite 4, 129und 164).
Teppiche. Gruppen von Schneeglöckchen und Winterlingen werden ergänzt
durch Pflanzen, die mit ansehnlichem Laub den Winter überstehen. Mit oder
ohne Blüten ist die Wirkung dieser Webteppiche überaus befriedigend. Ich
mag es sehr, lebendige Pflanzen aus dem toten Laub herauswachsen zu sehen.
Elfenblumen, die durch die Kälte wie angebrannt aussehen, streben vom Weg-
rand hinein in die Mitte einer großen Fläche, auf der die Sommerpflanzen
noch ruhen. Bald wird die Narzisse ‘February Gold’ in scheinbar leeren Räumen
tanzen. Das kleinblättrige Immergrün,Vinca minor ‘La Grave’, wird sich von den
Nesseln abheben, während der gelbgefleckte Efeu Hedera helix ‘Luzii’ einen
hellen Teppich um die kahlen Sträucher wirft oder sich über einen Weg aus-
breitet. Günsel nehmen im Winter die Farbe von Rote Bete an, wie auch Tel-
lima grandiflora ‘Rubra’. Diese anspruchslose Pflanze bildet verwildernde
Horste aus runden Blättern, die oben grün, unten purpurfarben sind und sich
bei der ersten Kälte bronzen verfärben. Über großen, runden Blättern stehen
die leuchtend gelben Schalenblüten von Ranunculus ficaria subsp. chrysoce-
phalus und auf von der tief stehenden Sonne beschienenen Flecken die dun-
kelbraunen, glatten Blätter von R. f. ‘Brazen Hussy’. Christopher Lloyd ent-
deckte sie in einem Wald; sie wird bald leuchtend gelb blühen, bevor sie im
Frühsommer verschwindet. (Weitere Hahnenfußpflanzen siehe Seite 207.)
All diese Pflanzen schmücken die Winterlandschaft mit frühen Zwiebelge-
wächsen, die allerdings nicht von zusammengebrochenen Farnwedeln erstickt
werden dürfen. Auch sollte im Februar das alte Laub der Elfenblume zurückge-
schnitten werden, um die vor dem Neuaustrieb erscheinende Blüte zu fördern.
Tut man das nicht, wird man nur wenige Blüten entdecken – wenn man das
Laub abgeschnitten hat, können die akeleiähnlichen Blüten in vielen Farb-
schattierungen von fahlem Gelb, Weiß, Pink bis blassem Purpur ihre flirrende
Wirkung entfalten. Diese wertvollen Blattpflanzen beschreibe ich auf Seite 194.
Dichter Nebel drückt sich zwischen den Eichenstämmen hindurch, mich
fröstelt und ich verlasse den Waldgarten, allerdings auf einem Umweg über
einen unberührten Waldteil, pflücke frische Nesseltriebe und gehe in meinen
Gemüsegarten, um sechs Lauchstangen zu ernten. Mit zwei Kartoffeln habe ich
alle Zutaten für meine geliebte Nesselsuppe; sie hat eine wunderbare Farbe,
schmeckt und tut gut.
Frühe Düfte
Zum erwachenden Garten gehört für mich auf jeden Fall der Duft der blühen-
den Johannisbeere Ribes sanguineum ‘Albescens’. Ich schneide gerne Zweige,
wenn die Knospen anzuschwellen beginnen. Dann zerquetsche ich die Schnitt-
enden und stecke sie zusammen mit Euphorbia amygdaloides var. robbiae in
einen Krug, der auf einem niedrigen Tisch an der Glastür zu meiner Außen-
terrasse steht. Binnen weniger Tage entfalten sich an den kahlen Zweigen
kleine, fächerförmige Blättchen, gefolgt von nickenden Troddeln weißer Blü-
ten. Im Waldgarten blühen sie rosa, aber im Haus entfalten sie sich von einem
blassen Grün zu Weiß und werden zu einem ungewöhnlichen Bouquet zum Va-
lentinstag. Jeden Morgen schaue ich nach, wie viele Blüten sich neu geöffnet
haben und wie lang die Trauben sind. Manche finden den Duft unangenehm;
hat er sich im Haus gesetzt, muss ich mich schon konzentrieren, um ihn noch
wahrzunehmen, aber Besucher mit feiner Nase meinen: »I! Katzen!«
Noch bevor die Zwiebeln der Kaiserkrone, Fritillaria imperialis, ihre starken
Triebe durch die Krume gestoßen haben, nehmen wir schon den fremden Ge-
ruch wahr. Aus größerer Entfernung parfümiert die Balsampappel, Populus
balsamifera, die Luft süß und würzig.
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Aus den von Raureif um-mantelten Knospen vonRibes sanguineum ‘Albes-cens’ werden sich unbe-schädigte rosa Blüten ent-falten (siehe Seite 64).Wenn man sie einige Wo-chen vor der Blüte schnei-det und ins Haus holt, blü-hen sie in reinstem Weiß.
Von den vielen unterschied-lichen Elfenblumen bringtEpimedium x perralchicum‘Frohnleiten’ an schwierigenStandorten (trockener Schat-ten) das schönste und wäh-rend des ganzen Jahres at-traktivste Laub hervor. ImFrühjahr blüht sie hellgelb,sofern man die alten Blätterim Februar entfernt hat.
UNVERKÄUFLICHE LESEPROBE
Beth Chatto
SchattengartenDie Pflanzen, die Jahreszeiten, die Stimmungen
Gebundenes Buch, Pappband mit Schutzumschlag, 256 Seiten,18,9 x 24,6 cmISBN: 978-3-421-03808-1
DVA Architektur
Erscheinungstermin: Februar 2011
Die Jahreszeiten im Schattengarten Die schattigen Bereiche eines Gartens bereiten nicht selten Kopfzerbrechen. Und so sollteder Gartenliebhaber auf Beth Chattos Erfahrungen mit dem Problemstandort ihres eigenenberühmten Gartens zurückgreifen. Die vielfach ausgezeichnete englische Gartengestalterinerzählt von der Entstehung ihres Schattengartens, davon, wie ein ehemals trister Ort zueinem blühenden Waldgarten wurde, der zu jeder Jahreszeit voller Leben und Energie ist.Ihre außergewöhnlichen Konzepte, ihr persönlicher Stil, die detailreichen Fotografien StevenWoosters und die vielen praktischen Anregungen machen Freude und lassen den eigenenGarten mit anderen Augen betrachten. • Alle Pflanzen, Jahreszeiten und Stimmungen in einem schön gestalteten Schattengarten• Mit praktischen Informationen und Tipps• Übersicht über mehr als 500 Schattenpflanzen• Von Beth Chatto, der anerkannten Garten-Koryphäe