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132 Schwcnk Werkstoffe und Korrosion 43, 432-436 (IYY2) Betrachtungen uber die dynamischen Eigenschaften von Korrosionselektroden Dynamic properties of corrosion electrodes W. Schwenk* Bci clcktrochcmischcn Polarisationsversuchen werden hiiufig Stroni- bzw. Potential-Zeit-Kurven beobachtct, dic dcncn von elektrischen Zweipolen.mit kapazitiven oder induk tiven Speicher- eigenschaften Bhneln. Uber die Deutung solcher Pseudokapazita- tcn odcr -induktivitiitcn giht die Elektrodenkinetik Hinweise. Dabci wcrden im allgcmcincn aber Wechsclwirkungcn zwischcn den Revktionsprodukten der elektrocheniischcn Teilreaktionen und der Kinetik derselben wenig beachtet. Werden aber solche Wechselwirkungen in den Vordergrund gestelll. ergeben sich weitreichende Folgerungen fur die Darstellung von J(U)-Kurven und deren Zusammensetzung aus den JA,K(U)-Kurven sowie fur die Deutung von dynamischen Eigenschaften von Korrosionselek- trodcn. Dic auf dicsc Wcchselwirkungen zuriickzufiihrenden Effekte werden systematisch zusammengcstellt und mit wcnigcn experimentellen Befunden verglichen. Aus den Darlegungen kt zu fcdgern. dal3 eine kinetische Deutung des dynamischen Verhaltens schr schwierig und meist recht spekulativ sein tlurl2e. The current or potential versus tirne curves recorded in polari- sation studies arc often similar to Ihe capacitive or inductive storage properties of an electric dipolc.The kinetics of anodcs and cathodes provides some indications for the interpretation of the results in terms of such pseudo capacities or induclivitieb. How- cvcr, thc significancc of intcractions between the products of electrochemical partial reactions and the kinetics of thcsc rcactions are often overlooked in such interpretations. If thcsc interactions are considered important, there will be a severe effect on the manner of presentation of J(U) curves and their division into JA(U) and JK(U) curves as well as on the interprctation of dynamic properties of corrosion electrodes.The effects resulting from these interactions are listed systematically and coinpared with the small amount of cxpcrimcntal data available. It appears that a kinetic interpretation of the dynamic behaviour is cxtrcmcly difficult. 1 Beschreibung einer Korrosionselektrode An einer Korrosionselektrode laufen im allgemeinen zwci clcktrochcmische Teilreaktionen ah. Das sind die anodische Metallauflosung und eine kathodische Redoxre- aktion. Solche Elektroden sind Mischelektroden 111. Die Stromdichtc-Potential-Kurve einer Korrosionselektrode ist die elektrische Kennlinie des Zweipols .,Korrosionselek- trode". Er unterscheidet sich von einem Ohmschen Wider- stand. der den einfachsten elektrischen Zweipol darstclll, in folgenden Punkten: Die stationare Kennlinie ist nicht geradlinig und verlauft nicht durch den Koordinaten-Nullpunkt. Bei der Strom- dichte J = 0 liegt das Ruhepotential UR vor. Die Kennlinie J(U) 1aBt sich in die Kennlinien der Teilreak- tioiien JA(U) und JK(U) aufteilen, deren Funktionen im allgemeincn mit Hilfe der Elektrodenkinetik beschrie- hen werden konnen 121. Das Ruhepotential ergibt sich fur den Fall Jn = IJKI. Eine Mischclcktrodc ist cin ,.aktiver" Zweipol. Die Ketinlinie einer Mischelektrode ist zeitabhangig, d. h. bei Strom- bzw. Potentialiinderungen wird zunachsl ein instationarer Eiiischaltwert (Potential bzw. Strom) gemessen. Der MeBwert stellt sich dann (meist zum Arger des Experimentators mehr oder weniger schnell) auf den stationaren Wert ein. Fine Mischelektt-odeist ein *: Prof. Dr. Wilhelin Sd~wpnk, Marinesmann Forschungsinstitut. Postfach 2S 11 67, 4100 Duisburg 25 ,,dynamischer" Zweipol und ahnelt clcktrischcn Zweipo- len mit Speichereigenschaften in Form von Kapazitaten oder Induktivitaten. Eine dynamische Eigenschaft liegt auch bci den Kcnn- linien der beiden Teilreaktionen vor [2, 3. 41. Potentiosta- tische und galvanostatische Urn- und Einschaltvorgange an Ersatzschaltungen fur dynamische Zweipole sind ausfiihr- lich in [S] beschrieben. Einige elektrodenkinetische Teil- schritte lassen sich nicht durch Ersatzschaltungen mil Kapazitalen oder Induktivitaten beschreiben, auf welche Zusammenhsnge bereits in [2] hingewiesen wird.Weiterhin sind die Schalteleniente in1 allgemeincn potential- I-izw. stromabhangig [5]. In der theoretischen Elektrochemie ist es ublich [6]. iiur eine Elektrodenreaktion (Jll oder Jk) zu bctrachten, die durch cine ,,Summcnslromdichte"-Potential-Kurve be- schrieben wird, welche sich aus zwei ,,Teilstromdichte"- Potential-Kui-ven fur die jeweilige Hin- und Riickrcaklion dcr Eleklrodenreaktion zusanimensetzt. Diese beiden ,,Teilreaktionen" sind in einer direkten Messung nicht bestimrnbar. Thre Kennlinien verlaufen asymptopisch zur Potential-Achse. Das ,,Ruhepotential" der .,Summen- stromdichte"-Potential-Kurve ist das Glcichgcwichtspohen- tial dcr Elektrodenreaklion. Die Behandlung der dynami- schen Eigenschaften von Elektrodenreaktionen ist in jun- gerer Zcit stark durch Frcquenaanalysen weiterentwickelt worden. Dies ist unter dem Begriff Impcdanzspcktroskopie bekannt [7]. In der Korrosionschemie ist es ublich [ 11. die Kcnnlinie der Korrosionselektrode als Sumnienstromdichte-Poten- 0 VCH Verlagsgesellqchaft mbH. D-6940 Weinheim, 1002

Betrachtungen über die dynamischen Eigenschaften von Korrosionselektroden

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132 Schwcnk Werkstoffe und Korrosion 43, 432-436 ( IYY2)

Betrachtungen uber die dynamischen Eigenschaften von Korrosionselektroden

Dynamic properties of corrosion electrodes

W. Schwenk*

Bci clcktrochcmischcn Polarisationsversuchen werden hiiufig Stroni- bzw. Potential-Zeit-Kurven beobachtct, dic dcncn von elektrischen Zweipolen.mit kapazitiven oder induk tiven Speicher- eigenschaften Bhneln. Uber die Deutung solcher Pseudokapazita- tcn odcr -induktivitiitcn giht die Elektrodenkinetik Hinweise. Dabci wcrden im allgcmcincn aber Wechsclwirkungcn zwischcn den Revktionsprodukten der elektrocheniischcn Teilreaktionen und der Kinetik derselben wenig beachtet. Werden aber solche Wechselwirkungen in den Vordergrund gestelll. ergeben sich weitreichende Folgerungen fur die Darstellung von J(U)-Kurven und deren Zusammensetzung aus den JA,K(U)-Kurven sowie fur die Deutung von dynamischen Eigenschaften von Korrosionselek- trodcn. Dic auf dicsc Wcchselwirkungen zuriickzufiihrenden Effekte werden systematisch zusammengcstellt und mit wcnigcn experimentellen Befunden verglichen. Aus den Darlegungen kt zu fcdgern. dal3 eine kinetische Deutung des dynamischen Verhaltens schr schwierig und meist recht spekulativ sein tlurl2e.

The current or potential versus tirne curves recorded i n polari- sation studies arc often similar to Ihe capacitive or inductive storage properties of an electric dipolc.The kinetics of anodcs and cathodes provides some indications for the interpretation of the results in terms of such pseudo capacities or induclivitieb. How- cvcr, thc significancc of intcractions between the products of electrochemical partial reactions and the kinetics of thcsc rcactions are often overlooked in such interpretations. If thcsc interactions are considered important, there will be a severe effect on the manner of presentation of J(U) curves and their division into JA(U) and JK(U) curves as well as on the interprctation of dynamic properties of corrosion electrodes. The effects resulting from these interactions are listed systematically and coinpared with the small amount of cxpcrimcntal data available. It appears that a kinetic interpretation of the dynamic behaviour is cxtrcmcly difficult.

1 Beschreibung einer Korrosionselektrode

An einer Korrosionselektrode laufen im allgemeinen zwci clcktrochcmische Teilreaktionen ah. Das sind die anodische Metallauflosung und eine kathodische Redoxre- aktion. Solche Elektroden sind Mischelektroden 111. Die Stromdichtc-Potential-Kurve einer Korrosionselektrode ist die elektrische Kennlinie des Zweipols .,Korrosionselek- trode". E r unterscheidet sich von einem Ohmschen Wider- stand. der den einfachsten elektrischen Zweipol darstclll, in folgenden Punkten:

Die stationare Kennlinie ist nicht geradlinig und verlauft nicht durch den Koordinaten-Nullpunkt. Bei der Strom- dichte J = 0 liegt das Ruhepotential U R vor. Die Kennlinie J (U) 1aBt sich in die Kennlinien der Teilreak- tioiien JA(U) und JK(U) aufteilen, deren Funktionen im allgemeincn mit Hilfe der Elektrodenkinetik beschrie- hen werden konnen 121. Das Ruhepotential ergibt sich fur den Fall Jn = IJKI. Eine Mischclcktrodc ist cin ,.aktiver" Zweipol. Die Ketinlinie einer Mischelektrode ist zeitabhangig, d. h. bei Strom- bzw. Potentialiinderungen wird zunachsl ein instationarer Eiiischaltwert (Potential bzw. Strom) gemessen. Der MeBwert stellt sich dann (meist zum Arger des Experimentators mehr oder weniger schnell) auf den stationaren Wert ein. Fine Mischelektt-ode ist ein

*: Prof. Dr. Wilhelin S d ~ w p n k , Marinesmann Forschungsinstitut. Postfach 2S 11 67, 4100 Duisburg 25

,,dynamischer" Zweipol und ahnelt clcktrischcn Zweipo- len mit Speichereigenschaften in Form von Kapazitaten oder Induktivitaten. Eine dynamische Eigenschaft liegt auch bci den Kcnn-

linien der beiden Teilreaktionen vor [2, 3. 41. Potentiosta- tische und galvanostatische Urn- und Einschaltvorgange an Ersatzschaltungen fur dynamische Zweipole sind ausfiihr- lich in [ S ] beschrieben. Einige elektrodenkinetische Teil- schritte lassen sich nicht durch Ersatzschaltungen mil Kapazitalen oder Induktivitaten beschreiben, auf welche Zusammenhsnge bereits in [2] hingewiesen wird.Weiterhin sind die Schalteleniente in1 allgemeincn potential- I-izw. stromabhangig [5].

I n der theoretischen Elektrochemie ist es ublich [6]. iiur eine Elektrodenreaktion (Jll oder Jk) zu bctrachten, die durch cine ,,Summcnslromdichte"-Potential-Kurve be- schrieben wird, welche sich aus zwei ,,Teilstromdichte"- Potential-Kui-ven fur die jeweilige Hin- und Riickrcaklion dcr Eleklrodenreaktion zusanimensetzt. Diese beiden ,,Teilreaktionen" sind in einer direkten Messung nicht bestimrnbar. Thre Kennlinien verlaufen asymptopisch zur Potential-Achse. Das ,,Ruhepotential" der .,Summen- stromdichte"-Potential-Kurve ist das Glcichgcwichtspohen- tial dcr Elektrodenreaklion. Die Behandlung der dynami- schen Eigenschaften von Elektrodenreaktionen ist in j u n - gerer Zcit stark durch Frcquenaanalysen weiterentwickelt worden. Dies ist unter dem Begriff Impcdanzspcktroskopie bekannt [7].

In der Korrosionschemie ist es ublich [ 11. die Kcnnlinie der Korrosionselektrode als Sumnienstromdichte-Poten-

0 VCH Verlagsgesellqchaft mbH. D-6940 Weinheim, 1002

Werkstoffe und Korrosion 43, 432-436 (1992) Dynamische Eigenschaften von Korrosionselektroden 433

tial-Kurve zu bezeichncn, welche sich aus den beiden Teilstromdichte-Potential-Kurven JA(U) und JK( U) zusam- mensetzt. Diese beiden zugehorigen Teilstromdichte- Potential-Kurven kiinnen iiber eine Messung der Stoffum- satz-Raten direkt bestimmt werden. In dieser Hinsicht unterscheiden sie sich grundsatzlich von den ,,Teilstrom- dichte"-Potential-Kurven der Hin- und Riickreaktionen einer Eleklrodenrcaktion. Trotz dieses Unterschiedes wer- den leider gleichartige Begnffe venvendet: die Teilstrom- dichte-Potential-Kurve einer Korrosionselektrode ist die ,,Summenstromdichte"-Potential-Kurve einer Elektroden- reaktion. Begriffliche Schwierigkeiten sind aber damit meist nicht verbunden, weil im allgemeinen die jeweiligen Riickreaktionen vernachlassigt werden durfen [7].

Die unterschiedliche Betrachtungsweise von Elektro- denprozessen einerseits und Korrosionselektroden ande- rerseits kann dazu fiihren, daB das Prinzip einer unabhan- gigen Uberlagerung von Teilstromdichte-Potential-Kurven bei einer Mischelcktrode [7] unterschiedlich bewertet wird. Dieses Prinzip mag fur die Saurekorrosion noch zutreffen, fur die meisten Korrosionselektroden trifft es aber sicher- lich nicht zu. Die sich daraus ergebenden Folgerungen werden weiter unten naher beschrieben.

Die dynamischen Eigenschaften einer Mischelektrode umfassen die dynamischen Eigenschaften der beteiligten Teilreaktionen. Die Behandlung solcher Mischelektroden ist bereits auaerordentlich schwierig, wenn man nicht eine Teilreaktion als vergleichsweise ,,starr" annehmen darf . Die Miiglichkeit einer dynamischen Analyse einer Mischelek- trode aus zwei dynamischen Teilreaktionen wird nach den Ausfuhrungen in [7] rnit nicht unerheblichen Zweifeln bedacht. Aber selbst fur den Fall, daB nur eine oder sogar beide Teilreaktionen als ,,stam" angesehen werden, ist eine dynamische Analyse nicht unkompliziert, weil noch eine dritte dynamische Eigenschaft in einer Mischelektrode vorliegen mu& wenn die beiden Teilreaktionen voneinan- der nicht unabhangig sind. Diescs ist der Fall, wenn die Reaktionsprodukte der einen Reaktion nicht nur die Kinetik dieser Reaktion selbst, sondern auch die der beteiligten Teilreaktion beeinflufit. Solche Probleme wer- den leicht iibersehen, wenn in einer Mischelektrode die einzelnen Teilreaktionen allzu ,,separat" betrachtet wcr- den.

Auf den Zusammenhang zwischen kinetischen Vorgan- gen und dynamischen Zweipoleigenschaften, die z. B. bei konsekotiven Reaktionsmechanismen ausfuhrlich berech- net sind 13, 41, sol1 hier nicht weiter eingegangen werden. Tenor dieses Berichtes sind die Eigenschaften von Misch- elektroden, die eine Wechselwirkung zwischen Reaktions- produkten und der Kinetik der Teilreaktionen beriicksich- tigt. Diese Moglichkeit ist insbesondere bei groBeren Polarisationsanderungen zu erwarten.

2 Wechselwirkungen zwischen den Teilreaktionen

Eine Darstellung von J(U)-Kurven als Summe der beteiligten JA(U)- und JK(U)-Kurve ist immer ubersicht- lich, wenn alle Meljpunkte stationar sind. Eine kinetische Interpretation der JA(U)- und JK(U)-Kurven ist im allge- meinen aber nur moglich, wenn durch die Reaktionspro- dukte die Kinetik der Teilreaktionen nicht beeinflufit wird. Das ist z.B. fur die meisten Metalle in neutralen Wassern nicht und naherungsweise nur in Sauren der Fall. So kann man zwar fur das Ruhepotential im System Fe/Salzlosung

ein c(FeZf) und sornit auch das Gleichgewichtspotential U i der anodischen Teilreaktion bestimmen. Wolle man aber zum kathodischen Schutz auf U i kathodisch polarisicren, wird das Medium im pH-Wert wesentlich verandert rnit der Folge, daB sich ein c'(Fe2+) Q c(Fe2+) einstellt. Entspre- chend gibt es fur diesen Polarisationszustand ein U z < U: mit der Folge, daB bei U i Nichtgleichgewicht besteht und daB schliel3lich fur den Polarisationszustand U T die JA(U)- Kurve nicht mehr identisch ist rnit der JA(U)-Kurve des Systems beim Ruhepotential. Tm Fdle des Systems Fe/Salz- losung folgt, daB die stationare JA(U)-Kurve die Potential- Achse nicht schneidet, d. h. kathodischer Schutz fuhrt nicht zur Korrosionsgeschwindigkeit Null [XI. I m Falle der amphoteren Metalle gibt es das Phanomen der ,,kathodi- schen" Korrosion [7-91. Dabei mu13 man sich vorstellen, daB fur jeden Polarisationszustand im kathodischen Bereich eine instationare (kinetisch beschreibbare) JA(U)- Funktion rnit positiver Neigung existiert. Stationare Gleichgewichtspotentiale U i sind in sauren Medien gege- ben, z. B. Fe/(Schwefelsaure und Eisensulfat), wenn in diesem System auch eine kathodische Metallabscheidung gelingt. Das ist in neutralen Salzlosungen nicht der Fall.

3 Beschreibung der Wechselwirkungen auf die dynamischen Eigenschaften von Mischelektroden

Bei Einschaltversuchen konnen J(t)- oder U(t)-Kurven gemessen werden, die in ihrer Form Ersatzschaltungen rnit positiven oder negativen Pseudokapazitaten oder Pseudo- induktivitgten [3.4] zugeordnet werden konnen. Nach den Angaben in [5] folgt aus den Ersatzschaltungen gemail( Abb. 1:

potentiostatischer Einschaltvcrsuch

a) kapazitiver Zweipol (Abb. la)

(1) C k

I = + AU - exp(-dk); k = C R',

b) induktiver Zweipol (Abb. lb)

(2) R + R'

exp(-t/k); k = L L

I = Istat - au ~

k R2 R R ' '

galvanostatischer Einschaltversuch

a) kapazitiver Zweipol (Abb. la)

exp(-tlk); k = C(R + R'), (3 ) C R2

k TJ = U,,,t - A1 -

C L a) kapazitiver Zweipol b) induktivw Zweipol

Abb. 1. Ersatzschaltung fur dynamische Zweipole a) kapazitiver Zweipol; b) induktiver Zweipol Fig. 1. Simulated circuit of dynamic dipoles a) capacitive dipole; b) inductive dipole

434 Schwenk Werkstoffe und Korrosion 43, 432-436 (1992)

b) induktiver Zweipol (Abb. lb)

(4) L L k R

U = Us,,, + A1 - exp(-t/k); k =

In beiden Ersatzschaltungen nach Abb. 1 bedeuten R Polarisationswiderstaiide. Die Schaltelemente R' und C bzw. L haben nur analoge Bedeutungen. die in Einzelfallen kinetisch formuliert werden und im allgemeinen sowohl positive als auch negative Vorzeichen haben konnen [ 5 ] ,

Wenn sich stationare Widerstande einstellen, muR die Zcitkonstante k stets positiv sein. Dann folgt aus dem Vergleich der G1. (1) mit (2) sowie (3) mit (4), daB positive bzw. negative C den gleichen Kurventyp ergeben wie negative bzw. positive L. Im folgenden werden aber nur die Bcgriffe ,,kapazitiv" und ,,induktiv" zur Bezeichnung der dynamischen Eigenschaft benutzt.

Nachfolgend werden einige Beispiele beschrieben. Abb. 2 enthalt die instationaren Kurven J(U), JA(U) und JK(U) fur den Zustand beim Ruhepotential Uo. Bei einem potentiostatischen Einschaltversuch vom Ruhepotential auf U1 wird entsprechend der instationaren J(U)-Kurve die Einschaltstromdichte J1 erreicht. Dabei verandert sich aufgrund der kathodischen Polarisation das System an der Grenze Elektrode/Medium. In diesem Beispiel wird ange- nommen, dal3 als Folge der Reaktionsprodukte die anodi- sche Teilreaktion inhibiert wird, wahrend die kathodische Teilreaktion unbeeinfluBt sein soll. Dann gelten fur diesen Polarisationszustand die instationaren Kurven JA(U), JK(U) und die neue Summenstromdichte-Potential-Kurve J'(U). Bei gegebenem U1 muO sich dann die Stromdichte auf den stationaren Wert J' einstellen. Die J(t)-Kurve ist in Abb. 2 unten links dargestellt. Entsprechend kann auch ein

galvanostatischer Einschaltversuch von 0 auf J1 betrachtet werden. Es stellt sich zunachst das Einschaltpotential U1 ein. Entsprechend der Vcranderung der J(U)-Kurve u r J'(U)-Kurve stellt sich der stationare Wert schliel3lich Ibei U' ein. Die U(t)-Kurve ist in Abb. 2 unten rechts darge- stellt. Aus beiden Kurvenverlaufen folgt, daB die MeBer- gebnisse durch die GI. (2) und (4) beschrieben werclen konnen. Demnach muB die dynamische Eigenschaft der Korrosionselektrode als induktiv bezeichnet werden. Die- sesverhalten folgt bei kathodischer Polarisation, wenn 3ie anodische Teilreaktion inhibiert wird und die kathodische Teilreaktion unverandert bleibt.

Ein anderes Beispiel zeigt Abb. 3. Hier wird angenom- men, daO durch dic kathodischen Reaktionsprodukte die kathodische Teilreaktion inhibiert wird und die anodische Teilreaktion unverandert bleibt. Bei kathodischer Polarisa- tion bestehen die instationaren Kurven JA(U), Jg(U) und schlieljlich J'(U), auf die sich die stationaren MeBwerte J' bzw. U' stellen miissen. Die J(t) bzw. U(t)-Kurven fur potentiostatischen bzw. galvanostatischen Einschaltver- such sind in Abb. 3 unten angegeben. Diese MeBwerte konnen durch die GI. (1) und (3) beschrieben werden, c1.h. die dynamische Eigenschaft der Korrosionselektrode ist kapazitiv. Umgekehrt zum vorhergehenden Beispiel folgt diese Eigenschaft, wenn bei kathodischer Polarisation die kathodische Teilreaktion inhibiert wird.

In gleicher Weise konnen beliebige Einschaltversuche behandelt werden. Die Tabelle 1 gibt hierzu eine Ubersicht der Zuordnung der dynamischen Eigenschaft zu Polarisa- tionsart und EinfluBnahme der Polarisation auf die Teil- reaktionen. Aus dieser Zusammenstellung geht hervor, (la13 aufgrund von Wechselwirkungen zwischen Reaktionspro- dukten und Kinetik der Teilreaktionen dynamische

I

J1'

0 t 0 t

&entiostat&her galvanostatischer Einschaltversuch

(L >O) (L >O)

Abb. 2. Beispiele fur einen induktiven Zweipol bei kathodischer Polarisation Fig. 2. Example of an inductive dipole in cathodic polarisation

potentiostatischer galvanostatischer Einschaltversuch

(C > 0 ) (C > 0 )

Abb. 3. Beispiel fur einen kapazitiven Zweipol bei kathodischer Polarisation Fig. 3. Example of a capacitive dipole in cathodic polarisation

Werkstoffe und Korrosion 43, 432-436 (1992) Dynamischc Eigenschaften von Korrosionselektroden 435

Tabelle 1. Zusammenhang zwischen dynamischer Eigenschaft, Polarisationsart und Wechselwirkung mit dcn Tcilreaktionen (entspre- chend den Ausfuhrungen zu Abb. 2 und 3) Table 1. Relationship between the type of dynamic behaviour. kind of polarisation and interactions between the partial reactions (according to the dcscription of Figs. 2 and 3)

Nr. dynamische Eigenschaft Polarisationsart anodische Teilreaktion kathodische Teilreaktion

1 induktiv 2 induktiv 3 kapazitiv 4 kapazitiv

anodisch kathodisch anodisch kathodisch

Stimulation Inhibition Inhibition Stimulation

Inhibition Stimulation Stimulation Inhibition

Mischelektrodcneigenschaften bewirkt werden, die zusiitz- lich zu den kinetisch bedingten dynamischen Eigenschaften einzelner Elektrodenprozesse der Art [3,4] zu betrachten sind, was eine dynamische Analyse iiul3erst erschweren durfte.

4 Experimentelle Befunde

Tabelle 2 gibt die Ergebnisse einiger experimenteller Befunde bei galvanostatischen Einschaltversuchen wieder. Angegeben sind der Befund iiber die dynamische Eigen- schaft der Korrosionselektrode und der Jersuch" einer

Deutung nach Tabelle 1. Fur das System Fe/HISO4 wurde ein recht starrer Zweipol gefunden, so dal3 eine Erorterung der geringen dynamischen Befunde zu spekulativ sein mul3.

Die Stimulation der anodischen Teilreaktionen bei anodischer Polarisation der Systeme Fe/NaCI und Al/NaCl wird verstandlich, wenn Anionen-Uberfuhrung an Loch- frafistellen und pH-Absenkung durch Hydrolyse der anodi- schen Produkte betrachtet wird.

Im Falle des Systems Al/NaCl wird sowohl anodisch als auch kathodisch ein Zwei-Speicher-Verhalten beobachtet, wobei zwei deutlich verschiedene Zeitkonstanten vorlie- gen. Bei anodischer Polarisation ist das Verhalten zunachst

Tabelle 2. Beispiele fur dynamische Korrosionselektroden bei galvanostatischen Einschaltversuchen Table 2. Examples of dynamic corrosion electrodes for galvanostatic polarisation

System Polarisationsart dynamische Eigenschaft Moglichkeiten der Deutung

Fe/lM NaCl anodisch

kathodisch

induktiv

kapazitiv

anodische Teilreaktion wird stimulicrt kathodische Teilreaktion wird durch 02-Verarmung inhibicrt

Fe/ 1 M NaOH anodisch

kathodisch

kapaziliv

kapazit iv

anodische Teilreaktion wird inhibiert (Passivierung) kathodische Tcilrcaktion wird inhibiert

anodisch odcr kathodisch (induktiv) ,,starrer" Zwcipol, induktive Effcktc sind fur einen Deu- tungsversuch zu schwach

AI/lM NaC1 anodisch

kathodisch

induktiv + kapazitiv

kapazitiv + induktiv

anodische Teilreaktion wird stimuliert , spater wird die kathodische Teilreaktion stimuliert

Tabelle 3. Beispiele fur dynamische Korrosionselektroden nach alteren Untersuchungen [ 10-121 Table 3. Examples of dynamic corrosion electrodes according to previous work [lo-121

System Polarisationsversuch dynamische mdgliche Deutung Eigenschaft

CrNi-Stahl potentiostatisch 1M H2SO4 UR U H = + O , ~ V kapazitiv Passivierung [lo1 UR + UH = + 1,2 v induktiv anodische Stimulation im Transpassivbereich [ 111

Fe/HzSOj + kathodisch. gering kapazitiv kathodische Teilreaktion wird inhibiert (AS203. HgC12) [I2]

kathodisch, stark induktiv kathodische Teilreaktion wird stimuliert

436 Schwenk Werkstoffe und Korrosion 43, 432-436 (1992)

induktiv und wird dann kapazitiv. Dicscr Effekt kann verstanden werden, wenn aufgrund der zunachst anodisch erzeugten LochfraBstellen die kathodische Teilreaktion stimuliert wird. Bei kathodischer Polarisation ist das Verhalten zunachst erwartungsgemafi kapazitiv, weil die kathodisch erzeugte Alkalitat den anodischen Teilschritt stimuliert, was ja die ,,kathodische Korrosion" erklart [7]. AnschlieBend ist aber das Verhalten induktiv, was auf eine Stimulation der kathodischen Teilreaktion hindeutet. Hier kann man annehmen, daB die Elektrodenoberflache durch Korrosion fur die kathodische Wasserzersetzung aktiviert wird.

Tabelle 3 referiert die Befunde alterer Untersuchungeri, bei denen beobachtet wurde, daB der Befund der dynami- schen Eigenschaft auch vom AusmaB der Polarisation abhangt. Bei diesen Beispielen kann natiirlich nicht mehr sicher uriterschieden werden, auf welche Effekte letztlich die Anderung von J(U) zu J'(U) zuruckgefuhrt werden muB.

5 SchluBfolgerungen

Mi t diesen Ausfiihrungen sollte gezeigt werden, welche komplizierten Ursachen den dynamischen Eigenschaften von Mischelektroden zugrunde liegen. Die dynamische Eigenschaft kann kapazitiv oder induktiv sein. Bei gleich- sinniger Polarisation kann sich sogar die Art der Eigcn- schaft andern. Die Angaben in dcr Tabclle 1 konnen zur Deutung beitragen. Insgesamt durften aber allen Deu- tungsversuchen eine gewisse Spekulation nicht abgespro- chen werden.

Schrifttum

[11 DIN 50900 Teil 2: Korrosion dcr Mctallc. clcktrochcmischc Bcgriffc, Bcuth Vcrlag. Berlin 1Y84.

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(1Y89) 19.

Verlag, Berlin 1990.

603.

FormelzeichedList of symbols

J Summenstronidichte U Potential JA bzw. J K anodische bzw. kathodische Teilstromdichte UR Ruhepotential U" Gleichgewichtspotential

Formelzeichen fur Ersat.cxhaltbilder (dynamische Zwei- pole) ergeben sich aus Abb. 1.

Formelzeichen fur stationare/instationare Zustiinde ergeben sich aus den Abb. 2 und 3.

(Eingegangen: 11. Dezeinber 1991) W 2841