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Betreuungsrechtliche Praxis 1. Jahrgang 1992 Heft 1 1. August 1992, Seite 1–44 Herausgegeben in Verbindung mit dem Vormundschaftsgerichtstag e.V. Verantwortlicher Redakteur: Martin Eckert, Hamburg Verantwortlich für den Rechtsprechungsteil: RA Günter Jochum, Berlin Zeitschrift für soziale Arbeit, gutachterliche Tätigkeit und Rechtsanwendung in der Betreuung Mitglieder des Herausgeberbeirats: Dr. med. Jens Bruder, Leiter der ärztlichen Abteilung Landesbetrieb „Pflegen & Wohnen“, Hamburg; Dr. med. Wolf Crefeld, Professor an der Evangelische Fachhochschule, Bochum; Gertraud von Gaessler, Leiterin der Betreuungsbehörde, München; Dr. Klaus Holzhauer, Professor für Deutsche Rechtsge- schichte und Bürgerliches Recht an der Universität Münster; Günter Jochum, Rechtsanwalt, Berlin; Dr. Andreas Jürgens, Richter am Amtsgericht Kassel; Hans-Erich Jürgens, Richter am Amtsgericht, Stellvertretender Vorsitzender des Vormundschaftsgerichtstags e.V., Hamburg; Prof. Dr. Thomas Klie, Professor an der Ev. Fachhochschule, Freiburg; Karl-Heinz Klingebiel, Diplom-Sozialarbeiter, Elterngruppe kleinwüchsiger Kinder e.V., Bremen; Klaus Lachwitz, Justitiar der Bundesvereinigung Lebenshilfe e.V., Marburg; Dr. Rolf Marschner, Rechtsanwalt, München; Dr. Helga Oberloskamp, Professorin an der Katholische Fachhochschule NW, Abteilung Köln; Dr. Klaus Oberndörfer, Vizepräsident des Landgerichts Nürnberg-Fürth; Dr. Wolfgang Raack, Direktor des Amtsgerichts Kerpen; Dr. Walter Rolland, Ministerialdirektor im Bundesministerium der Justiz, Bonn; Dr. Peter Schlaffer, Generalsekretär des Vereins für Sachwalterschaft und Patientenanwaltschaft, Wien; Dr. Bernd Schulte, Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Sozialrecht, München; Dr. Walter Seitz, Richter am Bayerischen Obersten Landesgericht. Inhaltsverzeichnis: Aufsätze S. Leutheusser-Schnarrenberger, Das Betreuungsgesetz – eine rechtsstaatliche Weichen- stellung 3 U. Hellmann, Betreuungsvereine – Perspektiven und Probleme 4 G. v. Gaessler, Aufbau einer Betreuungsbehörde 11 G. Lantzerath, Vieles bleibt noch zu tun 13 W. Raack, Der Kosten-Nutzen-Effekt bei der Berufsbetreuung 15 J. Wojnar, Der Betreute – ein unbekanntes Wesen? 16 K.-Th. Pohl, Verfahrenspflegschaft Teil 1 19 Kurzbeiträge Pommerien/Bettex, Zur Praxis an den Gerichten: Dezernat 16 zeigt Überlastung an 27 A. Wenker, Neue Bundesländer (I): Erste Erfahrungen mit dem Betreuungsrecht in Mecklenburg-Vorpommern 28 R. Schleicher, Neue Bundesländer (II): Vom Förderverein Rampe zum Betreuungsverein 28 Dokumentation Fixierungsrichtlinien des Landesbetriebs Pflegen & Wohnen, Hamburg 30 Rezensionen Der Bundesminister der Justiz, Das Betreuungsgesetz in der Praxis (R. Langholf) – E. Roderich/T. Fengler, Ein Verschwundener rechnet ab – Reportagen zum Fall Löser (A. Jürgens) 33 Literaturliste 34 Meldungen 35 Rechtsprechung BayOblGZ 17. 01. 1992 3Z BR5/92 Aufhebung der Vorentscheidung und Verweisung an zuständiges Vor- mundschaftsgericht 36 BayOblGZ 24. 02. 1992 3Z AR3/92 Abgabestreit wegen Zuständigkeitswechsel 36 BayOblGZ 19. 03. 1992 3Z AR11/92 Abgabe des Verfahrens bei Widerspruch des Betreuers 38 OLG Schleswig 20. 03. 1992 2W 20/92 Zuständigkeit des Vormundschaftsgericht bei Wohnsitzwechsel des Betreuten 38 OLG Karlsruhe 13. 04. 1992 11W 24/92 Entscheidung des oberen Gerichts bei Zuständigkeitsstreit der Vormund- schaftsgerichte 39 LG Berlin 17. 12. 1991 83T 390/91 Entlassung des Betreuers bei Streitigkeiten über die Höhe der Vergütung 40 LG Berlin 27. 03. 1991 83T 94/92 Eilentscheidung des Vormundschaftsgerichts vor Betreuerbestellung 43

BetreuungsrechtlichePraxis 1. Jahrgang 1992 Heft 1 RA ... · BetreuungsrechtlichePraxis 1. Jahrgang 1992 Heft 1 1. August 1992, Seite 1–44 Herausgegeben in Verbindung mit dem Vormundschaftsgerichtstag

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BetreuungsrechtlichePraxis 1. Jahrgang 1992 Heft 11. August 1992, Seite 1–44

Herausgegeben in Verbindung mit demVormundschaftsgerichtstag e.V.

Verantwortlicher Redakteur:Martin Eckert, Hamburg

Verantwortlichfür den Rechtsprechungsteil:RA Günter Jochum, Berlin

Zeitschrift für soziale Arbeit, gutachterliche Tätigkeitund Rechtsanwendung in der Betreuung

Mitglieder des Herausgeberbeirats:Dr. med. Jens Bruder, Leiter der ärztlichen Abteilung Landesbetrieb „Pflegen & Wohnen“, Hamburg; Dr. med. Wolf Crefeld, Professor an der EvangelischeFachhochschule, Bochum; Gertraud von Gaessler, Leiterin der Betreuungsbehörde, München; Dr. Klaus Holzhauer, Professor für Deutsche Rechtsge-schichte und Bürgerliches Recht an der Universität Münster; Günter Jochum, Rechtsanwalt, Berlin; Dr. Andreas Jürgens, Richter am Amtsgericht Kassel;Hans-Erich Jürgens, Richter am Amtsgericht, Stellvertretender Vorsitzender des Vormundschaftsgerichtstags e.V., Hamburg; Prof. Dr. Thomas Klie,Professor an der Ev. Fachhochschule, Freiburg; Karl-Heinz Klingebiel, Diplom-Sozialarbeiter, Elterngruppe kleinwüchsiger Kinder e.V., Bremen; KlausLachwitz, Justitiar der Bundesvereinigung Lebenshilfe e.V., Marburg; Dr. Rolf Marschner, Rechtsanwalt, München; Dr. Helga Oberloskamp, Professorin ander Katholische Fachhochschule NW, Abteilung Köln; Dr. Klaus Oberndörfer, Vizepräsident des Landgerichts Nürnberg-Fürth; Dr. Wolfgang Raack,Direktor des Amtsgerichts Kerpen; Dr. Walter Rolland, Ministerialdirektor im Bundesministerium der Justiz, Bonn; Dr. Peter Schlaffer, Generalsekretär desVereins für Sachwalterschaft und Patientenanwaltschaft, Wien; Dr. Bernd Schulte, Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Sozialrecht,München; Dr. Walter Seitz, Richter am Bayerischen Obersten Landesgericht.

Inhaltsverzeichnis:

Aufsätze S. Leutheusser-Schnarrenberger, Das Betreuungsgesetz – eine rechtsstaatliche Weichen-stellung 3

U. Hellmann, Betreuungsvereine – Perspektiven und Probleme 4

G. v. Gaessler, Aufbau einer Betreuungsbehörde 11

G. Lantzerath, Vieles bleibt noch zu tun 13

W. Raack, Der Kosten-Nutzen-Effekt bei der Berufsbetreuung 15

J. Wojnar, Der Betreute – ein unbekanntes Wesen? 16

K.-Th. Pohl, Verfahrenspflegschaft Teil 1 19

Kurzbeiträge Pommerien/Bettex, Zur Praxis an den Gerichten: Dezernat 16 zeigt Überlastung an 27

A. Wenker, Neue Bundesländer (I): Erste Erfahrungen mit dem Betreuungsrecht inMecklenburg-Vorpommern 28

R. Schleicher, Neue Bundesländer (II): Vom Förderverein Rampe zum Betreuungsverein 28

Dokumentation Fixierungsrichtlinien des Landesbetriebs Pflegen & Wohnen, Hamburg 30

Rezensionen Der Bundesminister der Justiz, Das Betreuungsgesetz in der Praxis (R. Langholf) – E. Roderich/T. Fengler, Ein Verschwundener rechnet ab – Reportagen zum Fall Löser (A. Jürgens) 33

Literaturliste 34

Meldungen 35

Rechtsprechung

BayOblGZ 17. 01. 1992 3Z BR5/92 Aufhebung der Vorentscheidung und Verweisung an zuständiges Vor-mundschaftsgericht 36

BayOblGZ 24. 02. 1992 3Z AR3/92 Abgabestreit wegen Zuständigkeitswechsel 36BayOblGZ 19. 03. 1992 3Z AR11/92 Abgabe des Verfahrens bei Widerspruch des Betreuers 38OLG Schleswig 20. 03. 1992 2W 20/92 Zuständigkeit des Vormundschaftsgericht bei Wohnsitzwechsel des

Betreuten 38OLG Karlsruhe 13. 04. 1992 11W 24/92 Entscheidung des oberen Gerichts bei Zuständigkeitsstreit der Vormund-

schaftsgerichte 39LG Berlin 17. 12. 1991 83T 390/91 Entlassung des Betreuers bei Streitigkeiten über die Höhe der Vergütung 40LG Berlin 27. 03. 1991 83T 94/92 Eilentscheidung des Vormundschaftsgerichts vor Betreuerbestellung 43

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Liebe Leserin, lieber Leser,unser Ziel ist schlicht zu beschreiben und doch ziemlich an-spruchsvoll: Die „Betreuungsrechtliche Praxis“ (BtPrax) solleine nützliche Zeitschrift sein. Sie soll hilfreich und interessantsein für einen Leserkreis, der für eine Fachzeitschrift unge-wöhnlich viele Professionen umfassen soll: Rechtswissen-schaftlerInnen, VormundschaftsrichterInnen, AnwältInnen,RechtspflegerInnen, MedizinerInnen, SozialarbeiterInnen undVerantwortungsträger in den Sozial- und Jugendämtern und inden Wohlfahrtsverbänden.

Alle diejenigen, die mit der Anwendung des neuen Betreuungs-gesetzes zu tun haben, soll mit dieser Zeitschrift ein Instrumentan die Hand gegeben werden, das den Erfahrungs- und Gedan-kenaustausch fördert. Praxis und Theorie des Betreuungsge-setzes sollen weitergetrieben und gefördert werden. BtPraxmöchte einen Beitrag leisten zur Entwicklung einer Rechtskul-tur im Umgang mit hilfsbedürftigen, schwachen und wehrlosenBürgerinnen und Bürgern.

Die Praxis des alten Vormundschaftsrechtes war oftmals bekla-genswert. Viele, die am Zustandekommen der nun vor Ihnenliegenden Zeitschrift mitgewirkt haben, gehörten zu denen, diedie vielerorts übliche Reduzierung hilfsbedürftiger Menschenauf anonyme Aktenfälle heftig kritisierten und an der Reform-diskussion aktiv teilnahmen. Dazu zählen die Richter und Rich-terinnen, die 1988 den Vormundschaftsgerichtstag e.V. grün-deten. Die Fachleute der verschiedenen Disziplinen fandenhier ihr Forum, um ihre Erfahrungen und Erwartungen in dieReformdiskussion einzubringen.

Aus eigener Anschauung kannten sie die fatalen Folgen derDiskrepanz zwischen dem Anspruch der Betroffenen auf Ach-tung ihrer Persönlichkeit und Menschenwürde und dem be-stenfalls unter verwaltungstechnischen Aspekten als korrekt zubezeichnenden Umgang mit den Lebensbedürfnissen dieserMenschen. Während die fachliche und öffentliche Diskussionimmer mehr Einrichtungen für Alte, Behinderte und psychia-trisch Belastete zu teilweise radikalen Kursänderungen zwangund es zunehmend ermöglichte, daß auch eingeschränkt Ent-scheidungsfähigen oder Entscheidungsunfähigen die Men-schenwürde nicht genommen wurde, ließ der Paradigmen-wechsel im rechtlichen Bereich lange auf sich warten.

Erst in der Phase, als im Bundesjustizministerium Reformab-sichten konkrete Formen annahmen und die Fachleute im Vor-mundschaftsgerichtstag e.V. durch ihren Zusammenschluß dieDiskussion begleiteten und mitbestimmten, wurde endlichwahrgenommen, was tatsächlich geschah: Die Rechtspraxisund -anwendung war ein unakzeptables Ärgernis, das unse-rem Rechtsstaat Schande bereitete und sich nur deshalb überdie Jahrzehnte behaupten konnte, weil die Betroffenen unddeshalb Leidenden aufgrund ihrer Beeinträchtigungen keinengesellschaftlich wirksamen Widerstand leisten konnten.

Das neue Gesetz, das wie wenige andere Vorhaben des letztenJahrzehnts tatsächlich eine sozialpolitische Reform verwirk-lichen soll, ist nun zwar in Kraft.

Es hat aber eine Bewährungsprobe begonnen, die von vielenUnsicherheiten und der Notwendigkeit vieler Weichenstellun-gen bestimmt ist. Vielerorts fehlt es an den Grundlagen derUmsetzung: Ländergesetze und Richtlinien liegen nichtflächendeckend vor, Betreuungsbehörden sind erst im Aufbauund nehmen ihre gesetzlichen Aufgaben noch nicht wahr. Be-treuungsvereine, die die Hauptlast der Betreuungsarbeit mitder Zusammenführung des Ehrenamtes und der notwendigenProfessionalität zu leisten haben, fehlen noch ganz oder stehennoch vor ungelösten Finanzierungsfragen. Es fehlt weithin anGutachtern der verschiedenen Disziplinen. Sozialarbeiter müs-sen sich auf ihre neue Berufsrolle als Einzelbetreuer, als Ver-fahrenspfleger und als Betreuer des Betreuers einstellen. Rich-ter und Rechtspfleger bedürfen dringend der Fortbildung.

In manchen Regionen fehlt es an der klaren sozialpolitischenEntschlossenheit, den durch die Gesetzesreform verursachtenerheblichen Personalmehrbedarf rückhaltlos und ohne Win-kelzüge anzuerkennen und zu gewährleisten.

Als sich die Chance bot, gemeinsam mit dem BundesanzeigerVerlag diese Fachzeitschrift zum neuen Betreuungsgesetz her-auszugeben, hat der Vormundschaftsgerichtstag sich dieserAufgabe gestellt. Ob wir wollen oder nicht: Wenn das neueGesetz eine neue soziale Wirklichkeit schaffen soll, braucht eseine Lobby, die zu entwickeln auch Aufgabe von BtPrax seinwird.

BtPrax ist von daher mehr als eine juristische Fachzeitschrift.Erstmals wird in einem Rechtsbereich der Weg gegangen,interdisziplinär Rechtsanwendung und Rechtsinhalte zu be-stimmen und fortzuentwickeln. Die Mitarbeiterinnen undMitarbeiter von BtPrax spiegeln die von uns gemeinte Vielfaltwider. Im Herausgeberbeirat finden sich Ärzte und Ärztinnen,RichterInnen, ProfessorInnen, SozialarbeiterInnen und Ver-antwortliche der Betreuungsbehörden, der Wohlfahrtsver-bände und des Bundesjustizministeriums. In diesem Kreis undweiteren Fachleuten des Vormundschaftgerichtstages e.V.findet der verantwortliche Redakteur, er ist Journalist undGeschäftsführer eines Behindertenverbandes, fachliche Be-ratung.

Redaktion und Beirat laden die Leserinnen und Leser aus-drücklich und herzlich zur Mitarbeit an BtPrax ein.

Hans-Erich Jürgens(Vormundschaftsgerichtstag)Martin Eckert(Verantwortlicher Redakteur)Bundesanzeiger Verlag

Impressum

Betreuungsrechtliche Praxis – BtPraxZeitschrift für soziale Arbeit, gutachtliche Tä-tigkeit und Rechtsanwendung in der Betreu-ung – herausgegeben in Verbindung mit demVormundschaftsgerichtstag e.V., Hamburg

Verantwortlicher Redakteur:Martin Eckert Güntherstraße 10 Telefon: 040 / 2 20 31 912000 Hamburg 76 Telefax: 040 / 2 20 24 08

Verantwortlich fürden Rechtsprechungsteil:RA Günter JochumKantstraße 75 Telefon: 030 / 3 23 40 861000 Berlin 12 Telefax: 030 / 3 24 08 29

Manuskripte:Manuskripte sind an den verantwortlichenRedakteur zu senden. Für unverlangt einge-sandte Manuskripte kann keine Haftung über-nommen werden. Eine eventuelle Annahmedurch den Verlag muß schriftlich erfolgen.

Urheber- und Verlagsrechte:Alle in dieser Zeitschrift veröffentlichten Auf-sätze sind urheberrechtlich geschützt, ebensodie veröffentlichten Entscheidungen, sowie siebearbeitet oder redigiert worden sind.

Anzeigenverwaltung:Bundesanzeiger-Verlagsgesellschaft m.b.H.Breite Straße 78-80, 5000 Köln 1Telefon: 02 21 / 20 29-116Telefax: 02 21 / 20 29-271Verantwortlich für den Anzeigenteil: Hans Brandl

Anzeigenpreise:Es gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 1/1992Vergünstigte Preise für Stellengesuche

Verlag:Bundesanzeiger-Verlagsgesellschaft m.b.H.Breite Straße 78-80, 5000 Köln 1

Geschäftsführer:Helmut Pfaff (Sprecher), Bernhard Wewel,Herbert Biener

Erscheinungsweise:alle zwei Monate, jeweils 1. Februar, 1. April,1. Juni, 1. August, 1. Oktober und 1. Dezember

Bezugsbedingungen:jährlich DM 132,– incl. MwSt. zzgl. Versand-kosten (für Mitglieder des Vormundschaftsge-richtstags DM 98,– incl. MwSt. zzgl. Versand-kosten) Bestellungen über jede Buchhandlungoder beim Verlag. Abbestellungen jeweils bis 6Wochen vor Ende eines Kalenderjahres.

Satz und Druck:Druckerei Locher GmbH, Köln

ISSN: 0942-2390

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Sabine Leutheusser-Schnarrenberger,Bundesministerin der Justiz

Das Betreuungsgesetz – eine rechtsstaat-liche Weichenstellung

1. Reform des alten Rechts

Zu Beginn dieses Jahres hat das Betreuungsgesetz die früherenVorschriften über die Entmündigung sowie über die Vormund-schaft und Pflegschaft für Erwachsene abgelöst. Damit ist eineReform ins Werk gesetzt worden, die – von vielen Hoffnungen,aber auch von skeptischen Äußerungen begleitet – zu denwichtigsten rechtspolitischen Vorhaben der letzten Jahre zählt.

Dem alten Recht lag, was die Behandlung unterstützungsbe-dürftiger Menschen angeht, die Gedankenwelt des vorigenJahrhunderts zugrunde. Wichtig war die rechtlich eindeutigeAbgrenzung und Zuordnung dieses Personenkreises, die Klar-heit für den Rechtsverkehr. Dementsprechend kümmerte sichdas Gesetz mehr um das Vermögen der Betroffenen als umdiese selbst, die rechtlichen Beschränkungen gingen über daserforderliche Maß oft weit hinaus. In vielen Fällen wurden dieMenschen, die am dringendsten auf persönliche Unterstützungangewiesen sind, nur anonym verwaltet.

Zum Glück ist in den vergangenen Jahren nicht zuletzt unterdem Einfluß unseres Grundgesetzes die Erkenntnis gewach-sen, daß der Wille eines Menschen nicht schon deshalb unbe-achtlich ist, weil er z. B. aufgrund einer psychischen Krankheitoder einer geistigen Behinderung in unüblicher Weise gebildetund geäußert wird. In Anbetracht der ständig steigenden stati-stischen Lebenserwartung und wegen der gerade bei Hochbe-tagten zunehmenden Gefahr geistiger Abbauerscheinungenhat auch das Bewußtsein dafür zugenommen, daß jeder einesTages bei der Regelung seiner Angelegenheiten auf fremdeHilfe angewiesen sein kann. Nach einem Leben in eigener Ver-antwortung soll aber niemand unnötig entrechtet und zum Ob-jekt von (wenn auch wohlmeinender) Fürsorge gemacht wer-den.

2. Auswirkungen des neuen Gesetzes

Das Betreuungsgesetz geht in mancher Hinsicht einen unbe-quemen Weg:

– Es verlangt schon bei der Bestellung des Betreuers und derFestlegung seines Aufgabenkreises eine genaue Auseinan-dersetzung mit der Lebenssituation des Betroffenen, damitihm auf diesem Wege die Hilfe gewährt wird, die er wirklichbenötigt – nicht weniger, aber auch nicht mehr; die beimBetroffenen noch vorhandene eigene Kompetenz sollschließlich nicht durch „Überbetreuung“ geschmälert wer-den.

– Das vormundschaftsgerichtliche Verfahren ist nunmehr mitGarantien ausgestattet, wie sie eine am Grundgesetz orien-tierte Rechtsprechung entwickelt hatte und wie sie in ande-ren gerichtlichen Verfahren schon lange selbstverständlichsind; Entscheidungen der Gerichte müssen nach einer be-stimmten Zeit überprüft werden.

– Die eigenen Wünsche und Vorstellungen der Betroffenendürfen nicht einfach außer acht gelassen werden, auch wenndiese mitunter unvernünftig erscheinen.

– Der Betreuer hat sich verstärkt um die persönlichen Angele-genheiten des ihm anvertrauten Menschen zu kümmern,etwa um die Möglichkeiten der Rehabilitation.

– Neue Genehmigungsvorbehalte verdeutlichen, daß für denBetroffenen in dessen persönlichen Angelegenheiten nichtausschließlich unter dem Diktat von (angeblichen) Sach-zwängen gehandelt werden darf.

AUFSÄTZE3. Ziele des Betreuungsgesetzes

Bei mancher Kritik, die die Reformarbeiten begleitet hat, klan-gen mitunter Zweifel an, ob sich dieser Aufwand denn über-haupt lohne. Seltsamerweise werden derlei Zweifel auf ande-ren Gebieten, wo für den Schutz keineswegs höherrangigerRechtsgüter ein nicht minder großer Aufwand betrieben wird,nicht laut. Das Betreuungsgesetz hat sein vielleicht wichtigstesZiel dann erreicht, wenn mit seiner Hilfe die Schutzwürdigkeitder Freiheitsrechte alter, kranker und behinderter Menschenim Bewußtsein aller, die mit diesen Menschen umgehen, ver-ankert sein wird.

Vieles von dem, was die Betroffenen unter dem alten Recht alsdiskriminierend empfunden haben, ist verschwunden, insbe-sondere die Entmündigung und die damit zusammenhängen-den Entrechtungen. Letztlich wird der Erfolg der Reform abervon der praktischen Umsetzung abhängen:

– Den Vormundschaftsgerichten muß es durch ausreichendePersonalausstattung ermöglicht werden, die Verfahren mitder vorgeschriebenen Sorgfalt durchzuführen.

– Die Betreuungsvereine können die wichtigen Aufgaben, dieihnen nach dem Willen des Gesetzgebers zukommen (Wer-bung, Unterrichtung und Begleitung der ehrenamtlichen Be-treuer sowie Übernahme schwieriger Einzelfälle) nur wahr-nehmen, wenn ihre Finanzierung gesichert ist.

– Die Betreuungsbehörden müssen in die Lage versetzt wer-den, die ihnen nunmehr zugedachte Rolle, insbesondere beider Klärung von Sachverhalten und bei der Anregung, För-derung und Koordinierung von Aktivitäten im lokalen Be-reich, auch wirklich ausüben zu können.

– Betreuer, Angehörige von Betroffenen, Pflegekräfte, Ärzteund Sachverständige müssen über das neue Recht informiertwerden und sich darauf einstellen, wozu auch die Erarbei-tung neuer beruflicher Standards für hauptamtliche Kräftegehört.

– Die Koordinierung zwischen den verschiedenen Bereichenmuß verbessert werden, damit möglichst keine Reibungsver-luste entstehen und die knappen Mittel zu bestmöglichemEinsatz gelangen. So sollte etwa bei der Bemessung vonStundensätzen für Vereinsbetreuer ein abgestimmtes Ge-samtkonzept für die Finanzierung solcher Vereine zugrundegelegt werden.

4. Perspektiven und weitere Schritte

Die Umsetzung, die in der Verantwortung der Länder liegt, istdort bislang sehr unterschiedlich weit vorangekommen, insge-samt aber leider nicht so rasch, wie man es bei der Verabschie-dung des Betreuungsgesetzes erwartet hatte. Zwei Jahre nachdiesem Zeitpunkt ist in einzelnen Bundesländern noch nichteinmal das erforderliche Ausführungsgesetz hierzu in Kraft ge-treten. Manche Verzögerungen hängen sicherlich damit zu-sammen, daß durch den Anpassungsprozeß in den neuen Län-dern viele Kapazitäten gebunden werden. Dort mußte auch aufdiesem Gebiet ein Neuanfang unternommen werden und eswird großer Anstrengungen bedürfen, um an die Entwicklungin den alten Bundesländern anzuschließen.

Trotz aller Schwierigkeiten sollte niemand entmutigt sein. DasBetreuungsgesetz konnte nicht alles von einem auf den ande-ren Tag neu erschaffen. Aber schon die Vorarbeiten zu diesemGesetz haben entscheidend dazu beigetragen, daß ein ganzesRechtsgebiet aus seinem Dornröschenschlaf erwacht ist unddie einmal eingeleitete Entwicklung wird sich nicht mehr um-kehren lassen.

Das Betreuungsgesetz setzt Maßstäbe für ein zeitgemäßes, anden individuellen Bedürfnissen der Menschen orientiertes Fa-

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milienrecht. Rechtspolitisch stellt es eine Herausforderung dar,auf diesem Wege weiter voranzuschreiten. Vor allem (zum Teileinigungsbedingte) Fragen des Kindschaftsrechts werden da-bei zunächst im Vordergrund stehen. Darüber dürfen aberweitere Überlegungen über die zivilrechtliche Behandlungkranker und behinderter Menschen, etwa was deren Ge-schäftsfähigkeit angeht, nicht vernachlässigt werden. Im Inter-esse der betroffenen Menschen ist zu hoffen, daß die Erfah-rungen mit dem Betreuungsgesetz den Gesetzgeber zu solchweiteren Schritten ermutigen werden.

Ulrich Hellmann

Betreuungsvereine – Perspektiven undProbleme

Für die erfolgreiche praktische Umsetzung des Betreuungs-rechts kommt der Tätigkeit von Betreuungsvereinen nachMaßgabe der in § 1908 f BGB gestellten Aufgaben mitent-scheidende Bedeutung zu. Der Gründung von Betreu-ungsvereinen müssen verschiedene organisatorische undkonzeptionelle Überlegungen vorausgehen. Bedingt durchden notwendigen Neuaufbau der gesamten Infrastrukturdes Betreuungswesens sind damit in den neuen Bundeslän-dern besondere Schwierigkeiten verbunden. Für die kon-krete Aufgabenerfüllung gilt es, funktionsfähige Konzeptefür den neben der beruflichen Betreuung durch Vereins-mitarbeiter bedeutsamen Bereich der Gewinnung, Ein-führung, Beratung und Fortbildung ehrenamtlicher Be-treuer zu entwickeln und beide Schwerpunkte sinnvoll mit-einander zu verknüpfen. Ohne gesicherte Finanzierungs-grundlage kann das gesetzgeberische Ziel der verstärkten,möglichst flächendeckenden Schaffung von Betreuungsver-einen nicht realisiert werden. Der gegenwärtige Stand derLandesgesetzgebung zur Ausführung des BtG und die be-kannten Richtlinien-Entwürfe zur Förderung anerkannterBetreuungsvereine lassen in der Gesamtschau bislangkeine optimistische Prognose zu.

1. Einleitung

Betreuungsvereinen ist vom Bundesgesetzgeber eine Schlüs-selrolle bei der Umsetzung des Betreuungsgesetzes (BtG) zuge-dacht worden. Diesen Vereinigungen kommt die Aufgabe zu,den Gerichten gut motivierte und informierte Betreuer in mög-lichst großer Zahl zur Verfügung zu stellen, damit persönlicheund möglichst fachgerechte Betreuungen gewährleistet wer-den können1.

In der Praxis geschieht dies durch Bestellung eines Vereinsmit-arbeiters als persönlichen Betreuer (§ 1897 Abs. 2 BGB) oderder – in der Regel vorübergehenden – Betreuerbestellung desVereins als juristischer Person (§ 1900 Abs. 1 BGB), vor allemjedoch durch die Erfüllung der sogenannten „Querschnittsauf-gaben“ im Zusammenhang mit der Unterstützung ehrenamtli-cher Betreuung. Dies ergibt sich aus § 1908f BGB, in dem dieVoraussetzungen für die Anerkennung als Betreuungsvereinnormiert sind:

(1) Ein rechtsfähiger Verein kann als Betreuungsverein aner-kannt werden, wenn er gewährleistet, daß er

1. eine ausreichende Zahl geeigneter Mitarbeiter hat unddiese beaufsichtigen, weiterbilden und gegen Schäden, diediese anderen im Rahmen ihrer Tätigkeit zufügen können,angemessen versichern wird,

AUFSÄTZE4 1/92

2. sich planmäßig um die Gewinnung ehrenamtlicherBetreuer bemüht, diese in ihre Aufgaben einführt, fortbil-det und berät,

3. einen Erfahrungsaustausch zwischen den Mitarbeitern er-möglicht.

Zwar ist zuzugeben, daß es in den westlichen Bundesländernund West-Berlin Vormundschaftsvereinen schon bisher mög-lich war, eine an den Bedürfnissen der alten, behinderten oderkranken Menschen orientierte und dem Rehabilitationsgedan-ken verpflichtete Vormundschaftsarbeit zu leisten2. Insbeson-dere die schon kurz nach der Jahrhundertwende vom Sozial-dienst Katholischer Frauen (SKF) entwickelte Konzeption der„organisierten Einzelvormundschaft“, derzufolge professio-nelle Vereinsmitarbeiterinnen ehrenamtliche Betreuer gewin-nen, sie in ihre Aufgaben einführen, fortbilden und beraten,wird in der Begründung des Regierungsentwurfs des Betreu-ungsgesetzes als modellhaft hervorgehoben und zur Grundlageder Überlegungen gemacht, künftig allen Vereinen, die die An-erkennung als Betreuungsverein für sich beantragen, die nun-mehr in § 1908f BGB normierte Aufgabenerfüllung verbindlichvorzuschreiben3. Dennoch muß gesehen werden, daß dieseBemühungen freier Verbände bisher in regional sehr unter-schiedlicher Intensität erfolgten4, und auch von Beteiligtenselbst wird eingeräumt, daß aus unterschiedlichen Gründendie Gewinnung von sowie die Zusammenarbeit mit ehrenamtli-chen Betreuern oft erfolglos bzw. außerordentlich schwierigist5. Vielfach beschränkten sich Vormundschaftsvereine daherauf die berufliche Vereinsbetreuung. Machbar war dies in derRegel nur aufgrund spezieller Finanzierungsabsprachen mitKommunen, die statt der Führung von AmtsvormundschaftenBerufsvormünder von Vereinen finanzierten (z. B. Braun-schweig, Lippstadt) oder durch Einsatz erheblicher Eigenmittelder konfessionellen Verbände.

Eine andere Ausgangssituation stellte sich für die ca. 40 Orts-und Kreisvereinigungen der Lebenshilfe für geistig Behindertedar, die nach altem Recht über die sogenannte Eignungser-klärung zur Führung von Vormundschaften und Pflegschaftenfür Volljährige verfügten. Bei ihnen wurden bis max. 15 Pfleg-schaften von verschiedenen Vereinsmitgliedern auf rein ehren-amtlicher Basis für geistig behinderte Erwachsene geführt,deren Eltern verstorben oder aus Altersgründen nicht mehr inder Lage waren, die Interessen ihrer geistig behinderten An-gehörigen zu vertreten. In diesem Bereich war eine professio-nelle Vormundschaftsarbeit sowie die Gewinnung und Be-ratung ehrenamtlicher Vormünder und Pfleger in einer denkonfessionellen Verbänden vergleichbaren Form unmöglich,weil weder Eigenmittel noch öffentliche Zuschüsse für solcheBetätigungen existierten.

Insgesamt kann festgestellt werden, daß der Ansatz des Bun-desgesetzgebers, das Modell der organisierten Einzelbetreu-ung in einem möglichst flächendeckenden Netz von Betreu-ungsvereinen umzusetzen, eine im Vergleich zum alten Rechtgrundsätzlich positive Richtungsweisung darstellt.

Von ausschlaggebender Bedeutung für die Umsetzungschan-cen derartiger Zielvorstellungen ist die Schaffung der finanziel-len Voraussetzungen für eine personelle Ausstattung der Be-treuungsvereine, die diesen eine bedarfsgerechte Aufgabener-füllung ermöglicht. Das Betreuungsgesetz weist insoweit eindeutliches Ungleichgewicht im Hinblick auf finanzielle Förde-rung der professionellen Vereinsbetreuung einerseits sowie

1 Bt-Dr. 11/4528, S. 1002 Darauf verweist zu Recht Kleinz, Probleme und Chancen der Um-

setzung des Betreuungsgesetzes in der verbandlichen Praxis, FuR1990, S. 287

3 Bt-Dr. 11/4528, S. 1584 Darauf verweisen auch Zenz u. a., Vormundschaft und Pflegschaft

für Volljährige, Bundesanzeiger-Verlag 1987, S. 685 Vgl. Kleinz (Fn. 5) aaO, ebenso Zenz u. a. (Fn. 4) aaO

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der Gewinnung, Einführung, Beratung und Fortbildung ehren-amtlicher Betreuer durch den Verein andererseits auf. Aner-kannte Betreuungsvereine haben nach §§ 1908e, 1836 Abs. 2BGB für professionelle Vereinsbetreuer Anspruch auf Vergü-tung in Höhe von DM 20,– bis DM 60,–/Stunde, in besonderenFällen bis zu DM 100,–/Stunde. Außerdem besteht Anspruchauf Aufwandsentschädigung (§ 1835 BGB), jedoch nicht aufErsatz von Versicherungskosten sowie der allgemeinen Ver-waltungskosten (§§ 1835 Abs. 5, 1908e Abs. 1 BGB). Ist derVerein aufgrund der Ausnahmeregelung des § 1900 Abs. 1BGB selbst Betreuer, besteht der Vergütungsanspruch nicht(§ 1836 Abs. 4 BGB). Unter finanziellen Gesichtspunkten ist esdaher insbesondere im Hinblick auf die vielen „Altfälle“ vonBedeutung, die von früheren Vormundschaftsvereinen (dienach den Übergangsbestimmungen des BtG automatisch alsanerkannte Betreuungsvereine weiter gelten) als juristischePersonen geführt wurden, alsbald gegenüber dem Vormund-schaftsgericht auf eine Übertragung auf die Vereinsmitarbeiterselbst (§ 1897 Abs. 2 BGB) hinzuwirken6, soweit dies sachge-recht ist. Bleibt der Verein selbst Betreuer, so hat er nur An-spruch auf Aufwendungsersatz gegen vermögende Betreute.Der Anspruch auf Vergütung und Aufwendungsersatz für per-sönlich bestellte Vereinsmitarbeiter richtet sich hingegen auchgegen die Staatskasse, wenn die Betreuten mittellos sind(§ 1836 Abs. 2 BGB). Der Unterschied zwischen der Vereinsbe-treuung durch persönlich bestellte Mitarbeiter bzw. durch denVerein als juristische Person hat also gravierende finanzielleAuswirkungen.

Demgegenüber bleiben vom Bundesgesetzgeber als wesentlichfür die praktische Umsetzung des Betreuungsgesetzes erach-tete Tätigkeitsfelder von Betreuungsvereinen, wie sie sich ausden in § 1908f BGB normierten Anerkennungsvoraussetzun-gen ergeben, von den im BtG enthaltenen Vorschriften mit fi-nanziellem Regelungsinhalt gänzlich ausgespart. Eine noch imRegierungsentwurf enthaltene Regelung7, derzufolge der Be-treuer je Kalenderjahr eine Zahlung bis zur Höhe des 15fachendes Höchstbetrages für Zeugenentschädigung (z. Zt. DM 20,– /Stunde, also insgesamt DM 300,–) für Aufwendungen erhaltensollte, die ihm für die Einführung in seine Aufgaben sowie inseine Beratung, Fortbildung und Unterstützung durch einenBetreuungsverein entstehen – mithin eine „mittelbare Vereins-förderung“ –, wurde auf Betreiben des Bundesrates ersatzlosgestrichen. Die Bundesländer haben seinerzeit reklamiert, daßdie Vereinsförderung in ihre Zuständigkeit fällt und gleichzeitigbekannt: „Die Vereine nehmen insoweit eine soziale Aufgabewahr, die staatliche Förderung rechtfertigt... Die Förderungund Gewinnung von Betreuungspersonen ist einen den Sozial-bereich betreffende Aufgabe“8. Von der finanziellen Unterstüt-zung seitens der Kommunen (vgl. § 6 BtBG) sowie der Länderhängt demnach die verstärkte Entfaltung von Betreuungsverei-nen entscheidend ab, weil auf der Grundlage des Betreuungs-gesetzes nur eine teilweise Refinanzierung der entstehendenKosten für den Vergütungsanspruch nach §§ 1908e, 1836Abs. 2 BGB für die von hauptberuflichen Vereinsmitarbeiternpersönlich geführten Betreuungen bestehen.

Es widerspräche jedoch dem erklärten gesetzgeberischen Ziel,die Vereinstätigkeit ganz überwiegend auf die beruflicheFührung von Betreuungen durch Vereinsmitglieder zu be-schränken. Dies ergibt sich schon aus der generellen Zielset-zung des Betreuungsgesetzes, in jedem Einzelfall die persön-liche Betreuung der Betroffenen mit einer gegenüber dem altenRecht verstärkten Gewichtung der Personensorge in den Mit-telpunkt der Bemühungen zu stellen. In der Regel wird diesdurch die Führung von Einzelbetreuungen am besten zu ge-währleisten sein. Diese Einschätzung wird durch die Tatsache,daß es eine große Zahl von Betreuungen gibt, in denen beson-ders schwierige Angelegenheiten zu regeln sind, für die Ehren-amtliche ungeeignet sind, nicht widerlegt. Vielmehr gilt es, diesich aus dieser Sachlage ergebenden Erfordernisse nach quali-fizierter beruflicher Betreuung und der Unterstützung der weit

überwiegenden Zahl der ehrenamtlichen Betreuer – auch wenndies in der Mehrzahl Angehörige der Betreuten sind – sinnvollzu kombinieren. Die gegenüber Behörden bessere Eignung vonBetreuungsvereinen für diesen Tätigkeitsbereich erklärt sichinsbesondere daraus, daß diese im Vergleich zu den Behördenin der Regel einen besseren Zugang zu den Menschen haben,die als Betreuer in Frage kommen und bereit sind, sich einersolchen Aufgabe zu stellen9. Die Bundesregierung mißt Betreu-ungsvereinen auch deshalb eine nicht zu unterschätzende Be-deutung zu, weil deren Tätigkeit zu einer wirksamen Entla-stung der öffentlichen Träger führt10.

2. Querschnittaufgaben – systematische undzeitintensive Arbeit

Die Erfüllung der sogenannten „Querschnittsaufgaben“ nach§ 1908 Abs. 1 Ziffern 2 und 3 BGB stellt demnach einen be-sonderen Aufgabenschwerpunkt der Betreuungsvereine dar.Der nachfolgende – keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhe-bende – Katalog konkret anstehender Tätigkeiten von qualifi-ziertem Personal der Beratungsstelle eines Betreuungsvereinssoll einen Eindruck über deren Vielfältigkeit verschaffen:

a) Planmäßige Gewinnung von ehrenamtlichen Betreuern

Dazu gehört insbesondere– intensive und zielgerichtete Öffentlichkeitsarbeit– aktive Information und Ansprache bestimmter Zielgruppen– Aufbau eines Netzes von Kontaktpersonen– Planung und Durchführung von Informationsabenden– Werbung durch Einzelgespräche– Erstellung und Verteilung von Werbe- und Informations-

schriften und Plakaten.

b) Einführung ehrenamtlicher Betreuer in ihre Aufgaben

Die Einführung von Personen, die für die ehrenamtliche Über-nahme einer Betreuung durch das Vormundschaftsgericht aus-gewählt worden sind, gehört zu den besonders wichtigen undhäufig auch schwierigen Aufgaben, bei denen ein Betreuungs-verein unterstützend tätig werden kann. Qualifizierte Ein-führungen von Vormündern und Pflegern in ihre Aufgabensind in der Vergangenheit weitgehend unterblieben, wodurchvon vornherein in vielen Fällen große Unsicherheit und Fru-stration vorprogrammiert waren.

Die Einführung eines ehrenamtlichen Betreuers in seine Auf-gaben umfaßt u. a.

– Besprechung der Lebenssituation und der besonderen Pro-bleme des betreuten Menschen

– Beratung über die Gestaltung der persönlichen Betreuung– Erläuterung der durch die Betreuerbestellung übertragenen

Aufgabenkreise– Erläuterung der betreuerischen Pflichten nach dem Betreu-

ungsgesetz, insbesondere in Bezug auf § 1901 BGB, § 1903BGB (Einwilligungsvorbehalt) sowie andere im BGB gere-gelte, gerichtliche Genehmigungsvorbehalte

– Erläuterung der mit der Betreuerbestellung häufig verbun-denen Verwaltungstätigkeiten wie die Führung eines Vermö-gensverzeichnisses und die Rechnungslegung

– Hinweis auf Beratungs- und Informationsabende sowie Fort-bildungsveranstaltungen des Betreuungsvereins

– Aufklärung über Haftungsfragen und Möglichkeit der Ver-sicherung durch den Betreuungsverein

AUFSÄTZE1/92 5

6 So auch Deinert, Aufwandsentschädigung und Vergütung für Be-treuungsvereine und Betreuungsbehörden im Nachrichtendienstdes Deutschen Vereins 92, S. 56ff, 57

7 Bt-Dr. 11/4528, S. 13, § 1835 Abs. 2 BGB-E8 Bt-Dr. 11/4528, S. 205, 7c9 So Bt-Dr. 11/4528, S. 100

10 Vgl. Bt-Dr. 11/4528, aaO

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c) Fortbildung für ehrenamtliche Betreuer

Die Fortbildung von ehrenamtlichen Betreuern ist unabding-bar, um die in vielen Fällen notwendigen Kenntnisse unter-schiedlicher Art (z. B. rechtlich, medizinisch, pädagogisch) fürdie befriedigende Aufgabenbewältigung zu vermitteln. DerenInhalte können sich u. a. beziehen auf

– Aufbau und Gestaltung der persönlichen Betreuung– Rechtsfragen– Einkommens- und Vermögensverwaltung– Kenntnisse über die Auswirkungen von Erkrankungen– Versicherungsfragen– Aktenführung– Erstellung von Berichten für das Vormundschaftsgericht

Fortbildungsmaßnahmen sind durch den Betreuungsvereindurch Heranziehung von geeigneten Fachleuten (z. B. Medizi-ner, Juristen, Pädagogen, Bank- und Versicherungsfachleute)zu organisieren.

d) Beratung ehrenamtlicher Betreuer

Die Beratung ehrenamtlicher Betreuer ist wichtig für die lau-fende Unterstützung bei der Bewältigung konkreter Schwierig-keiten (Krisenintervention) sowie für die Beantwortung vonggf. bei der laufenden Führung der Betreuung auftauchendenFragen.

In der Regel richtet der Betreuungsverein zu diesem Zweck inder Beratungsstelle feste Sprechzeiten ein. Die Beratung wirddurch den hauptberuflichen Vereinsmitarbeiter durchgeführt,der bei Bedarf auf den Rat von dem Verein zur Verfügung ste-henden Fachleuten zurückgreifen kann.

e) Erfahrungsaustausch ehrenamtlicher Betreuer

Dies ist ein wichtiges Instrument, um den Betreuern das zuvorbei Vormündern und Pflegern vorherrschende Gefühl zu neh-men, mit den gestellten Aufgaben und damit zusammenhän-genden Problemen völlig allein dazustehen. Zum Erfahrungs-austausch gehören insbesondere:

– Gegenseitige Vermittlung praktischer Kenntnisse und Erfah-rungen

– Besprechung gemeinsamer bzw. identischer Probleme beider Führung einer Betreuung

– Stärkung der Eigeninitative und Verantwortungsbereitschaft– Weiterentwicklung der eigenen Fähigkeiten zur Förderung

des Betreuten– kritische Überprüfung der eigenen Betreuungsführung– allgemeiner Rückhalt durch die Gruppe– Erhalt der Bereitschaft zur Betreuertätigkeit.

3. Beaufsichtigung ehrenamtlicher Betreuer

Diese in § 1908f Abs. 1 Nr. 1 BGB normierte Verpflichtung je-des Betreuungsvereins kann in der Regel dadurch erfüllt wer-den, daß ein hauptberuflicher Mitarbeiter die Beratung durch-führt und an dem Erfahrungsaustausch teilnimmt sowie regel-mäßige Sprechzeiten seiner Beratungsstelle vorhält. Danebenkann der Verein den ehrenamtlichen Betreuern auch Einzelbe-sprechungen anbieten. Ziel der Beaufsichtigung der ehrenamt-lichen Betreuer ist insbesondere

– Hilfe zur Vermeidung von Pflichtverstößen des Betreuers– Rechtzeitiges Erkennen einer Überforderung des ehrenamt-

lichen Betreuers.

Diese Darstellung soll verdeutlichen, daß eine sinnvolle Ab-wicklung der „Querschnittsaufgaben“ nach § 1908f BGB nicht„nebenbei“ erledigt werden kann. Eine Pressemeldung von Be-treuungsverein oder Betreuungsbehörde als Anwerbungsmaß-nahme für ehrenamtliche Betreuer reicht nicht aus11. Bedenktman die schon bisher geringe Attraktivität von Vormundschaf-

ten und Pflegschaften im Spektrum ehrenamtlicher Betätigun-gen, so wird klar, daß gezielte, professionelle Aktivitäten vonqualifiziertem Personal für die Gewinnung, Beratung und Fort-bildung ehrenamtlicher Betreuer notwendig sind. Der Landes-verband Berlin der Lebenshilfe für geistig Behinderte prakti-ziert seit einigen Jahren mit Unterstützung des Senats ein soge-nanntes „Mobilitätstraining für geistig Behinderte“, in dessenRahmen ehrenamtliche Mitarbeiter einmal in der Woche fürca. 3 bis 4 Stunden einen Menschen mit geistiger Behinderungbetreuen. Die Gewinnung dieser Personen läuft nach einemProgramm ab, welches in ein erstes Informationsgespräch so-wie ein Vorbereitungsseminar von 3 Treffen zu jeweils 2 Stun-den Dauer gegliedert ist, bevor es zu dem sogenannten Erst-kontakt mit der Einrichtung bzw. der Familie des geistig behin-derten Menschen kommt, an dem dieser selbst noch nicht teil-nimmt. Auf diese Weise konnten in den ersten 4 1/2 Jahren desProjektes von insgesamt 212 Teilnehmern an den Informati-onsgesprächen 99 für die Aufnahme einer Betreuung – wohl-bemerkt eine soziale Betreuung ohne gesetzliche Vertretungs-befugnis als Betreuer im Sinne des BGB – gewonnen werden.Die angestrebte Ausweitung dieser Tätigkeit mit dem Ziel, diean „Sozialbetreuung“ interessierten Personen zur Übernahmeeiner BGB-Betreuung hinzuführen, bedarf aufgrund des quali-tativen Sprungs zu der mit rechtlicher Verantwortung verbun-denen Betreuung vermehrter Anstrengungen.

Ein Blick auf die Situation in den alten Bundesländern vor derReform verdeutlicht die Dimension des Aufgabenbereichs vonBetreuungsvereinen. Nach den in einer Umfrage des Deut-schen Instituts für Urbanistik ermittelten Zahlen bestandenEnde 1986 rund 343 000 Vormundschaften und Pflegschaftenfür Volljährige12. Diese gliederten sich auf in ca. 50 000 Amts-vormundschaften bzw. -pflegschaften, eta 23 000 Vereinsvor-mundschaften bzw. -pflegschaften und ca. 270 000 Einzelvor-mundschaften und -pflegschaften. Bei letzteren wurdenochmals unterschieden zwischen etwa 220 000 Einzelvor-mundschaften und -pflegschaften, die in der Regel von einer(ehrenamtlichen) Person betreut wurden und – vage geschätzt– ca. 50 000 Einzelvormundschaften und -pflegschaften, dievon Rechtsanwälten und anderen Berufsgruppen geführtwurden.

Die Fragebogenauswertung dieser vom Bundesministeriumder Justiz geförderten Erhebung ergab ferner, daß neben dergenannten Zahl von ehrenamtlichen Einzelvormündern und -pflegern ca. 1600 Personen bei den mit der Amtsvormund-schaft und -pflegschaft betrauten Behörden, ca. 3000 Mitarbei-ter von Vereinen bzw. freien Trägern sowie ca. 6000 Rechtsan-wälte und Angehörige anderer Berufsgruppen zu einem unter-schiedlichen Anteil ihrer Arbeitszeit mit Vormundschaften undPflegschaften für Volljährige befaßt waren13.

Der künftige Bedarf wird einhellig als steigend angesehen;schon für den Zeitraum von 1976-1986 ist ein Ansteigen derGesamtfallzahl von über 25% registriert worden14. Hauptgrundist die demographische Entwicklung unserer Bevölkerung miteinem immer höheren Anteil alter Menschen. Insgesamt ergibtsich damit für die Betreuungsvereine ein riesiges Arbeitspoten-tial, vor allem wenn man einbezieht, daß die Mehrzahl der vor-handenen ca. 220 000 Einzelbetreuer – die bislang mit ihrenSorgen und Problemen weitgehend auf sich gestellt waren –ebenfalls zur Zielgruppe der Vereinsangebote gehören.

AUFSÄTZE6 1/92

11 Deutsches Institut für Urbanistik (DIU): „Kommunale Leistungenbei Vormundschaften und Pflegschaften für Volljährige, 1988,Kommentierung S. 23

12 DIU aaO, S. 15; Eine Grobschätzung der Bundesregierung (250 000) wurde damit wesentlich nach oben korrigiert.

13 DIU aaO, S. 1514 Vgl. DIU aaO (Fn. 12), S. 30

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4. Rückblick auf die Situation in den neuenBundesländern

Die Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches über Vor-mundschaften und Pflegschaften galten in der früheren DDRseit dem Beitritt zur Bundesrepublik. Das Betreuungsgesetz giltseit 01. 01. 1992 – mit Ausnahme der Verfahrensvorschriftenzur geschlossenen Unterbringung, die in den neuen Bundes-ländern bereits ab 03. 10. 1990 wirksam wurden – einheitlichin ganz Deutschland. Das frühere DDR-Recht kannte ebenfallsdie Vormundschaft als umfassende Maßnahme der gesetz-lichen Vertretung sowie eine Pflegschaft für einzelne oder be-stimmte Kreise von Angelegenheiten eines Menschen. Recht-liche Unterscheidungsmerkmale zum früheren BRD-Recht be-standen insbesondere im Hinblick auf die Pflegschaft nach§ 105 Familiengesetzbuch (FGB) der DDR, wonach ein Pflegerbestellt werden konnte, wenn ein persönliches oder ein gesell-schaftliches Bedürfnis (Fürsorgebedürfnis) vorlag. Abgesehendavon, daß unklar ist, wann ein gesellschaftliches Fürsorgebe-dürfnis vorliegt und anzuerkennen ist15, kannte das BGB nurdie Besorgung von Angelegenheiten des Pflegebefohlenen alspflegerische Aufgabe. Die nach den Übergangsbestimmungendes Betreuungsgesetzes als Betreuungen weitergeltendenPflegschaften in den neuen Bundeskländern sind deshalb derPrüfung zu unterziehen, inwieweit sie nach den Kriterien desBGB zulässig sind. Rechtlich unterschieden sich die Pflegschaf-ten nach ehemaligem DDR-Recht von den Maßnahmen in derfrüheren Bundesrepublik vor allem dadurch, daß im Rahmendes festgelegten Wirkungskreises des Pflegers der Pflegling ei-ner nicht geschäftsfähigen Person gleichstand (§ 105 Abs. 3FGB), während nach dem Recht des BGB die Anordnung einerGebrechlichkeitspflegschaft nichts an der Geschäftsfähigkeitdes Pflegebefohlenen änderte.

Nach den Erkenntnissen des Autors hatten Vormundschaftenund Pflegschaften in der ehemaligen DDR auch nichtannähernd die Bedeutung, wie sie sich aus den für die altenBundesländer ermittelten Zahlen ergibt. ÜbereinstimmendenAngaben von Lebenshilfe-Vereinigungen aus den neuen Bun-desländern zufolge wurde die Möglichkeit der Einrichtung ei-ner Vormundschaft oder einer – durch das staatliche Notariatder DDR angeordnete und überwachte – Pflegschaft von Fami-lien mit behinderten Angehörigen nach Möglichkeit vermiedenund kam in der Praxis selten vor. Vormundschaftsvereine gabes in der ehemaligen DDR nicht. Die gesamte soziale Infra-struktur des Betreuungswesens – Vormundschaftsgerichte, Be-treuungsbehörden und Betreuungsvereine – muß daher in denneuen Bundesländern erst gebildet werden, was einerseitsChancen zur Schaffung effektiver Arbeitsstrukturen bietet, wasandererseits jedoch hinsichtlich einer bedarfsgerechten Ausge-staltung Anlaß zur Skepsis gibt, wenn man den nicht eben hochangesiedelten Stellenwert des Betreuungsgesetzes und seinerUmsetzung in den Bereichen Politik und Justizwesen berück-sichtigt.

5. Position von Betreuungsvereinen in der sozialenInfrastruktur des Betreuungswesens

Das Leitbild der persönlichen Betreuung und weitestmöglichenSelbstbestimmung der Betroffenen wird durch das Betreuungs-gesetz nur in dem Maße verwirklicht werden, als die im Westenschon bestehende und die im Osten noch zu schaffende Infra-struktur des Betreuungssystems ausgebaut bzw. umgebautund neu geschaffen werden kann16. Örtliche Betreuungsbehör-den und Betreuungsvereine sind nach den Vorstellungen desBundesgesetzgebers die Hauptsäulen, auf denen eine gegen-über dem früheren Vormundschafts- und Pflegschaftswesensverbesserte Betreuungspraxis ruhen soll17. Ein Blick in dasBetreuungsbehördengesetz (BtBG) verdeutlicht, daß dabei derAufgabenbereich in erster Linie die umfangreichen Verpflich-tungen der örtlichen Betreuungsbehörde zur Unterstützungdes Vormundschaftsgerichts bei der Ermittlung des entschei-

dungserheblichen Sachverhaltes im Hinblick einer Vielzahl vonim Betreuungsgesetz vorgesehenen Anordnungen und Maß-nahmen18. Daneben obliegen der Betreuungsbehörde auchAufgaben als Vorführungs- und Vollstreckungshilfebehörde.Insgesamt trägt die Behörde die Verantwortung für die Funkti-onsfähigkeit der Betreuungsarbeit auf örtlicher Ebene (vgl.§§ 4, 5, 6, 8 BtBG). Nimmt man nun noch die Verpflichtung derörtlichen Betreuungsbehörde zur Übernahme all jener Betreu-ungen, für die kein freiberuflicher oder Vereinsbetreuer gefun-den werden kann, hinzu, so ist leicht vorstellbar, welch enorme– mit der Bereitstellung von entsprechend qualifiziertem Perso-nal verbundenen – Aufgaben im Zusammenhang mit der vor-gesehenen Umsetzung des Betreuungsgesetzes anstehen. Be-sonders aufschlußreich sind dazu vom Deutschen Städtetagermittelte Zahlen über die monatlich für den einzelnen Betreu-ten verfügbare Zeit eines hauptberuflichen Betreuers:

Ausgehend von einer Jahresarbeitszeit von 80 410 Minuten =1340 Stunden (Urlaub und durchschnittliche Krankheitszeitensind hierbei bereits berücksichtigt) bei 38,5 Stunden wöchent-lich unter Ansatz der sogenannten Rüstzeit von 15%, kann derBetreuer den Belangen des einzelnen Betreuten monatlich zu-wenden:

– bei 025 Betreuungen 268 Minuten = ca. 4,5 Stundenbei 040 Betreuungen 168 Minuten = ca. 2,8 Stundenbei 050 Betreuungen 134 Minuten = ca. 2,2 Stundenbei 070 Betreuungen 096 Minuten = ca. 1,6 Stundenbei 100 Betreuungen 076 Minuten = ca. 1,1 Stunden

In diesen Zeiten zwischen 1,1 und 4,5 Stunden sind dieSchreibtischarbeiten, Besprechungen beim Vormundschafts-gericht, Fahrtzeiten zum Betreuten und Besprechungszeit mitdiesem und seinem sozialen Umfeld usw. erfaßt. Für eine Fall-zahlbemessung sind jedoch besonders die nach dem BtG mitdem Betroffenen zu unterhaltenden persönlichen Kontakte undAbstimmungen bei den zu treffenden Entscheidungen zuberücksichtigen.

Eine Ausweitung der zeitlichen Inanspruchnahme je Fall ergibtsich daher bereits automatisch bei regelmäßig größeren Weg-strecken bzw. bei ungünstigeren Verkehrsverhältnissen. DasMaß der persönlichen Betreuungen und der persönlichen Kon-takte ist abhängig von der Tätigkeit und der Zusammenarbeitmit den sozialen Diensten19.

Zieht man den Aufgabenbereich von Betreuungsvereinen inBetracht und bedenkt, daß diese – im Gegensatz zur Behörde –über den Vergütungsanspruch für hauptberufliche Betreuun-gen durch Vereinsmitarbeiter ihre Arbeit teilweise (überwie-gend zu Lasten des Justizfiskus) refinanzieren können, sodrängt sich die Überlegung einer koordinierten Zusammenar-beit bzw. Aufgabenteilung auf örtlicher Ebene geradezu auf;die Entlastungswirkung zugunsten kommunaler Stellen ist inmehrfacher Hinsicht evident.

6. Ansätze zur Umsetzung des Betreuungsgesetzesam Beispiel der Lebenshilfe

a) Gesetzliche Vorgaben:

Die Zahl der Betreuerbestellungen für Menschen mit geistigerBehinderung wird in den kommenden Jahren voraussichtlich

AUFSÄTZE1/92 7

15 Vgl. Bienwald, Ergänzende Bemerkungen zum Vormundschafts-,Pflegschafts- und Unterbringungsrecht, in: Schwab (Hrsg.), Fami-lienrecht und deutsche Einigung, 1991, S. 147

16 Ähnlich schon Wienand, Die Finanzierung der Betreuungsver-eine, FuR 91, 281ff, 282

17 Vgl. Bt-Dr. 11/4528, S. 99, 10018 Ausführliche Beschreibung bei Frommann, Keine oder kleine Re-

form, in Nachrichtendienst des Deutschen Vereins 1992, S. 2ff,S. 8

19 Deutscher Städtetag, Empfehlungen zum neuen Betreuungsge-setz, Reihe D, Heft 25, 1991

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zunehmen: Mit dem Inkrafttreten des Betreuungsgesetzes istdie von vielen Betroffenen und deren Angehörigen empfun-dene diskrimierende Wirkung, die Entmündigung oderZwangspflegschaft nach altem Recht anhafteten, entfallen. Dieim Sinne des Gesetzgebers geführte Betreuung ist Hilfestellungund rechtliche Stellvertretung ohne unnötigen Entzug von per-sönlichen Rechten des betreuten Menschen. Für viele Men-schen mit geistiger Behinderung, für die normalerweise die El-tern – vielfach auch ohne Bestellung als Vormund oder Pflegerbzw. Betreuer durch das Vormundschaftsgericht – persönlicheund vermögensrechtliche Angelegenheiten erledigt haben,wird zukünftig immer häufiger die Bestellung von Betreuern inBetracht kommen, wenn Eltern aus Altersgründen zu prakti-scher Hilfestellung nicht mehr in der Lage sind. Aus dem glei-chen Grund werden auch immer mehr Eltern, die Vormundoder Pfleger bzw. Betreuer für ein geistig behindertes Famili-enmitglied waren, diese Aufgaben anderen Personen überge-ben müssen.

Aus diesen Überlegungen ergibt sich für die Lebenshilfe dieNotwendigkeit, sich an den Bemühungen zur erfolgreichenUmsetzung des neuen Betreuungsrechts im Rahmen der Schaf-fung von Betreuungsvereinen und der Entwicklung von Kon-zepten für deren effektive Aufgabenerfüllung zu beteiligen.

Dabei war und ist die Frage des „wie“ Gegenstand eines inten-siven Diskussionsprozesses auf den Ebenen des Bundesver-bandes, der 16 Landesverbände sowie der meisten der ca 530Orts- und Kreisvereinigungen der Lebenshilfe.

Zum einen gilt es, im Bereich der Betreuung Interessenkollisio-nen zu vermeiden. Das Verhältnis zwischen Betreuer und Be-treutem darf nicht durch Zweifel an der Unvoreingenommen-heit des Betreuers belastet werden. Um bestimmte Interessen-konflikte von vornherein auszuschließen, schreibt § 1897 Abs.3 BGB vor:

„Wer zu einer Anstalt, einem Heim oder einer sonstigen Ein-richtung, in welcher der Volljährige untergebracht ist oderwohnt, in einem Anhängigkeitsverhältnis oder in einer ande-ren engen Beziehung steht, darf nicht zum Betreuer bestelltwerden.“

Zur Begründung hat der Gesetzgeber darauf verwiesen, daßzwischen dem Betreuten und der Leitung oder dem Personaleiner Einrichtung, in welchem der Betreute untergebracht istoder wohnt, mannigfaltige Konflikte entstehen können. Diesgilt insbesondere, wenn ein Aufenthaltswechsel des Betreutenin Betracht kommt oder wenn der Betreuer dazu aufgerufenist, Rechte des Betreuten gegenüber der Einrichtung durchzu-setzen20. Ausnahmen läßt § 1897 Abs. 3 BGB nicht zu. Die mei-sten Ortsvereinigungen der Lebenshilfe sind Träger von Ein-richtungen für Menschen mit geistiger Behinderung, darunterviele Wohneinrichtungen und Werkstätten für Behinderte(WfB). Dem Wortlaut nach bezieht sich die Ausschlußklauseldes § 1897 Abs. 3 BGB nur auf die Unterbringung sowie aufWohneinrichtungen für Volljährige, so daß z. B. die WfB davonnicht direkt betroffen sind. Jedoch haben die Vormundschafts-gerichte schon im Rahmen der Eignungsprüfung nach § 1897Abs. 1 BGB sowie der Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Ge-fahr von Interessenkonflikten (§ 1897 Abs. 5 BGB) dafür zusorgen, daß generell eine unvoreingenommene Interessenver-tretung für den Betreuten ermöglicht wird. Es kommt dabei u.a. darauf an, welche Aufgabenkreise dem Betreuer jeweilsübertragen werden sollen. Geht es z. B. um die Interessenver-tretung gegenüber der Einrichtung, wäre ein Interessenkon-flikt auch bei Mitarbeitern von Werkstätten für Behinderte inder Regel zu bejahen.

b) Organisatorischer Rahmen

Auf der Grundlage dieser gesetzlichen Vorgaben ergeben sichfür Vereine, die eine Betätigung auf dem Gebiet der Vereinsbe-treuung in Betracht ziehen, zunächst die Fragen nach einempraktikablen organisatorischen Rahmen.

Eine Betätigung als Betreuungsverein ist für die Lebenshilfe-Vereinigungen unter dem Aspekt der Vermeidung von Interes-senkollisionen unproblematisch, soweit sie nicht über entspre-chende Einrichtungen für erwachsene Menschen mit geistigerBehinderung verfügen.

Eine differenziertere Betrachtung ist allerdings erforderlich,wenn der Verein bereits Träger von Wohneinrichtungen ist.Das Betreuungsgesetz (§ 1908f Abs. 3 BGB) ermöglicht denBundesländern, weitere Anerkennungsvoraussetzungen fürBetreuungsvereine festzulegen. Die Länder haben in den bis-her verabschiedeten bzw. im Entwurf vorgelegten Landesaus-führungsgesetzen zum BtG von dieser Möglichkeit in unter-schiedlicher Weise Gebrauch gemacht. Überwiegend wirddarin jedoch der Gedanke des § 1897 Abs. 3 BGB auch in Be-zug auf die Betreuungsvereine aufgegriffen. So enthält dasBayer. Ausführungsgesetz eine Bestimmung, derzufolge

die Leitung der Betreuungsarbeit einer oder mehreren nachAusbildung oder Berufserfahrung geeigneten Fachkräften zuübertragen ist, die nicht in einem Abhängigkeitsverhältnisoder einer anderen engen Beziehung zur Einrichtung stehen,in denen Personen, für die ein Mitarbeiter des Vereins als Be-treuer bestellt ist, untergebracht ist oder wohnen...21.

In der Begründung22 wird diese Vorschrift wie folgt erläutert:

„Was § 1897 Abs. 3 BGB bezogen auf den einzelnen Betreuerund das konkrete Betreuungsverhältnis als Hinderungsgrundfür die Bestellung zum Betreuer festlegt, gilt übertragen aufdie zur Leitung der Betreuungsarbeit des Vereins berufenenPersonen in entsprechender Weise. Interessenkonflikte tretenhier nicht im unmittelbaren Verhältnis Betreuer – Betreuterauf. Die als Leiter der Betreuungsarbeit vom Verein berufenePerson hat jedoch im Rahmen ihrer Aufsichts- und Weisungs-befugnis Einwirkungsmöglichkeiten auf die Arbeit des einzel-nen Betreuers, deren Ausübung im Falle eines Interessenkon-fliktes nicht nur vereinzelter Betreuungen, sondern für die ge-samte Betreuungsarbeit des Vereins nachteilig sein kann. So-weit keine konkreten Anhaltspunkte für eine diesbezüglicheInteressenkollision vorliegen, genügt eine entsprechendeschriftliche Erklärung der Vereinsleitung. Für den Fall, daßder Verein auch Träger eines Heimes oder einer sonstigen Ein-richtung ist, muß eine strikte personelle und organisatorischeTrennung dieser Bereiche gewährleistet sein.“

Vergleichbare zusätzliche Anerkennungsvoraussetzungen fin-den sich in den Landesausführungsgesetzen (Baden-Württem-berg, Berlin, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, Mecklen-burg-Vorpommern) bzw. Gesetzentwürfen (Brandenburg,Sachsen-Anhalt) verschiedener Bundesländer. Der Entwurfdes Landesausführungsgesetzes zum Betreuungsgesetz desLandes Bremen verlangt die Offenlegung von Beziehungen derMitglieder und Mitarbeiter des Betreuungsvereins zu Einrich-tungen gegenüber der Anerkennungsbehörde. Keine derarti-gen Bestimmungen enthalten die Ausführungsgesetze vonHessen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen sowie derEntwurf des Saarlandes. Aus Hamburg, Sachsen und Thürin-gen sind bisher keine Entwürfe von Ausführungsgesetzen be-kannt.

c) Verbände als Betreuungsverein

Verbände, die als Einrichtungsträger eine Betätigung als Be-treuungsverein in Erwägung ziehen, müssen daher entspre-chend der in dem jeweiligen Bundesland geltenden Anerken-nungsvoraussetzungen genau abwägen, ob dies in der Eigen-

AUFSÄTZE8 1/92

20 Bt-Dr. 11/4528, S. 12621 Gesetzentwurf Art. 3, Ziffer 1, Bayer. Senatsdr. 267/91, S. 322 aaO (Fn. 21), S. 10

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schaft als Trägerverein bei strikter personeller und organisato-rischer Trennung der Betreuungsarbeit vom Einrichtungsbe-reich zulässig ist23.

Bei vielen Lebenshilfe-Vereinen herrscht hingegen die Ansichtvor, daß eine Vermischung von Verantwortlichkeit in dem Ein-richtungsbereich einerseits sowie der Übernahme von recht-lichen Vertretungsbefugnissen für dort geförderte Menschenmit geistiger Behinderung andererseits grundsätzlich vermie-den werden sollte, um schon dem äußeren Anschein der Ent-stehung von Interessenkollisionen zu begegnen. Sie strebendaher die Gründung eines eigenständigen Betreuungsvereinsan. Inwieweit eine solche Lösung von einzelnen Ortsvereinenzu realisieren ist, hängt jedoch entscheidend von dem vor Ortgegebenen Bedarf an Betreuungen sowie der Bereitschaft voninteressierten Personen ab, sich diesen organisatorischen Auf-gaben zu stellen. Auch muß anhand der örtlichen Gegebenhei-ten darüber befunden werden, ob sich ein solcher Betreungs-verein schwerpunktmäßig der Unterstützung ehrenamtlichersowie der professionellen Betreuung von Menschen mit geisti-ger Behinderung oder auf alle vom Betreuungsgesetz erfaßtenPersonengruppen (geistig behinderte, psychisch kranke, see-lisch behinderte, altersgebrechliche, suchtmittelabhängige so-wie körperbehinderte Menschen) erstrecken soll. Die Verfol-gung eines einheitlichen Konzeptes ist hier schon deshalb nichtmöglich, weil viele Lebenshilfe-Vereinigungen in ihren Ein-richtungen aus praktischer Notwendigkeit heraus längst auchdie Förderung von Menschen mit anderen Beeinträchtigungen(u. a. psychisch kranke, autistische, körperbehinderte Men-schen) übernommen haben, eine Beschränkung der Betreu-ungsarbeit auf den „klassischen Personenkreis“ der Lebens-hilfe also ohnehin ausscheidet. Andererseits könnten dort, woprofessionelle Vormundschaftsarbeit anderer Verbände (ins-besondere Sozialdienst Katholischer Frauen, Sozialdienst Ka-tholischer Männer, Diakonisches Werk) bereits Tradition hatund häufig mit einer Schwerpunktsetzung auf die Betreuungaltersgebrechlicher Menschen verknüpft ist, spezialisierte Be-treuungsvereine der Lebenshilfe für geistig behinderte Men-schen eine sinnvolle Ergänzung bieten.

Insbesondere in Städten und Kreisen, wo keine Vormund-schafts- bzw. Betreuungsvereine existieren, wird verstärkt eineBeteiligung der Lebenshilfe an der Gründung von verbandsun-abhängigen Betreuungsvereinen erwogen, die ihr Unterstüt-zungsangebot an alle in der jeweiligen Region von dem Gesetzbetroffenen Personen richten sollen. Als vorteilhaft wird hier-bei gesehen, daß nicht einzelne Gruppen von Betroffenen (z. B.psychisch kranke, suchtmittelabhängige Personen) bzw. derenBetreuer ohne Unterstützungsangebot eines Betreuungsver-eins auskommen müssen und daß insgesamt eine Vereinsar-beit möglich ist, die weitgehend unabhängig von anderen In-teresseneinflüssen ist. Wichtig ist bei dieser Organisationsforminsbesondere, daß der von dem Verein einzurichtenden Bera-tungsstelle genügend Verbindungen zu Fachleuten zur Verfü-gung stehen, die den Betreuern für spezifische Problemlösun-gen zugunsten von Betreuten Hilfestellung leisten können. Gutfunkionierende Beispiele sind der Lüneburger Verein für Be-treuer e. V. sowie der Marburger Verein für Selbstbestimmungund Betreuung e. V., die beide im Rahmen eines Modellprojek-tes des Bundesministeriums für Familie und Senioren zur Un-terstützung ehrenamtlicher Betreuung gefördert werden.

7. Dreh- und Angelpunkt: Finanzierung derBetreuungsvereine

Die Realisierbarkeit jedweder organisatorischer bzw. konzep-tioneller Vorüberlegungen für die Betätigung von Betreuungs-vereinen hängt jedoch entscheidend davon ab, inwieweit vonKommunen und Bundesländern die Rahmenbedingungen ge-schaffen werden, damit eine Finanzierung der entstehendenPersonal- und Sachkosten bedarfsdeckend nicht nur über dieVergütungsansprüche für hauptberuflich geführte Betreuun-

gen nach §§ 1908e, 1836 Abs. 2 BGB, sondern in gleicherWeise für die – vom Betreuungsgesetz nicht abgedeckten –Kosten der Bewältigung der nicht minder wichtigen „Quer-schnittsaufgaben“ nach § 1908f BGB gewährleistet ist. Von we-nigen Ausnahmen abgesehen, fallen diesbezügliche Bemühun-gen bundesweit so dürftig aus, daß an dem politischen Willenzur erfolgreichen praktischen Umsetzung des Betreuungs-rechts ernsthaft gezweifelt werden muß. Als geradezu skan-dalös muß man die Tatsache bezeichnen, daß nach mehr als ei-nem halben Jahr seit Inkrafttreten des Betreuungsgesetzesnoch nicht einmal alle Bundesländer die erforderlichen Lan-desausführungsgesetze erlassen haben (siehe oben), so daßdort u. a. keine eindeutige Zuweisung der Behördenzuständig-keit für die vielfältigen Aufgaben zur Durchführung des Geset-zes besteht.

Ein Überblick der Bestrebungen einzelner Bundesländer, zu-mindest einen Einstieg in die notwendige flächendeckende Er-richtung von Betreuungsvereinen zu suchen, zeigt deutlich dieunmittelbare Wechselwirkung zwischen derartigen Bemühun-gen und der Bereitschaft von gemeinnützigen Organisationen(am Beispiel von Lebenshilfe-Vereinen aufgezeigt), sich als Be-treuungsverein zu engagieren.

a) Rheinland-Pfalz

In Rheinland-Pfalz haben bereits 11 Lebenshilfe-Vereine einenAntrag auf Anerkennung nach § 1908f BGB sowie auf Förde-rung von Personal- und Sachkosten durch das Land einge-reicht. Diese relativ hohe Zahl erklärt sich aus der Tatsache,daß Rheinland-Pfalz das bislang einzige Bundesland ist, wel-ches in seinem Landesausführungsgesetz zum BtG einenRechtsanspruch anerkannter Betreuungsvereine auf Zuwen-dungen in Höhe von 40% der angemessenen Personal- undSachkosten einer hauptamtlichen Fachkraft zuspricht (§ 4 Abs.1 Satz 1 Landesgesetz zur Ausführung des BtG, Rheinland-Pfalz). Alle anderen bekannten Ausführungsgesetze bzw. Ent-würfe sehen allenfalls eine Förderung anerkannter Betreu-ungsvereine „nach Maßgabe der verfügbaren Haushaltsmittel“vor. In Rheinland-Pfalz sollen die Einzelheiten der Förderungdurch Verwaltungsvorschriften geregelt werden, die im Ent-wurf vorliegen. Wesentliche Kriterien sind dabei die Leitungder Vereinsarbeit durch mindestens eine geeignete Fachkraft,die Abstimmung der Wirkungskreise der örtlichen Betreuungs-vereine untereinander sowie mit der örtlichen Betreuungs-behörde und schließlich der Nachweis von mindestens 25 eh-renamtlichen Mitarbeiterinnen oder Mitarbeitern, die Betreu-ungen übernommen haben oder bereit sind, Betreuungen zuübernehmen. § 4 Abs. 2 des rheinland-pfälzischen Gesetzesbesagt, daß die Landkreise und die kreisfreien Städte den aner-kannten Betreuungsvereinen grundsätzlich Zuwendungen inHöhe der Landesförderung gewähren sollen. Der Personalko-stenzuschuß des Landes darf jährlich DM 30 000,–, der Sach-kostenzuschuß darf jährlich DM 10 000,– nicht übersteigen.Dem Sozialministerium Rheinland-Pfalz gebührt auch das Lob,als einziges Bundesland frühzeitig mit interessierten Wohl-fahrtsverbänden im Rahmen einer Arbeitsgruppe seit Frühjahr1989 – also mehr als ein Jahr vor Verabschiedung des BtGdurch den Bundestag – die Eckpunkte für ein Landesaus-führungsgesetz sowie Förderumfang und -voraussetzungengemeinsam erarbeitet zu haben.

b) Baden-Württemberg

Das Land Baden-Württemberg hat das Modell der sogenannten„Drittel-Förderung“ ersonnen, demzufolge zunächst die Förde-rung von einer Stelle bei Betreuungsvereinen je Stadt bzw.

AUFSÄTZE1/92 9

23 z. B. läßt das Landesamt für Jugend und Soziales Rheinland-Pfalzdie schriftliche Erklärung von Vereinen genügen, daß die mit derBetreuungsarbeit befaßten Personen nicht in Abhängigkeit oderenge Beziehung zu der vom Verein geführten Einrichtung stehen

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Landkreis in Höhe von einem Drittel der Personal- (maximalDM 23 000,–/Jahr pro Vollzeitkraft) und Sachkosten (maximalDM 10 000,–/Jahr) gewährt werden soll. Auch hier wird davonausgegangen, daß sich die kommunale Betreuungsbehörde ingleicher Höhe an den Kosten des örtlichen Betreuungsvereinsbeteiligt. Das „restliche Drittel“ der Vereinskosten soll durchhauptberufliche Betreuung der Vereinsmitarbeiter mit ent-sprechenden Vergütungsansprüchen erwirtschaftet werden (inRheinland-Pfalz beläuft sich diese Quote auf lediglich 20%). DerLandesverband Baden-Württemberg der Lebenshilfe hat ge-meinsam mit dem Regionalverband der Angehörigen autistischBehinderter und dem Landesverband der Angehörigen psy-chisch Behinderter einen Betreuungsverein gegründet, der lan-desweit die Betreuungsarbeit (Einrichtung dezentraler Ge-schäftsstellen für konkrete Betreuungsarbeit, Organisation vonFortbildung, Beratung für Betreuer, Unterstützung örtlicherBetreuungsvereine) organisieren soll.

c) Nordrhein-Westfalen

Nordrhein-Westfalen, das im Herbst 1990 zunächst eine Initia-tive zur Verhinderung des Inkrafttretens des Betreuungsgeset-zes geplant hatte, hat nunmehr einen Richtlinien-Entwurf zurFörderung der Erfüllung der Querschnittsaufgaben durch an-erkannte Betreuungsvereine vorgelegt. Dieser sieht vor, bei Be-darf je 100 000 Einwohner eine Fachkraft des Vereins mit biszu DM 20 000,– pro Jahr für Personal- und bis zu DM 10 000,–für Sachkosten zu unterstützen. Dieser einwohnerbezogeneFörderschlüssel erscheint sehr sinnvoll und gegenüber demstadt- bzw. landkreisbezogenen Förderkonzept in Baden-Württemberg – ohne Berücksichtigung der jeweils korrespon-dierenden Zahlen von Einwohnern und Betreuten – eindeutigvorteilhaft. Die Lebenshilfe hat in diesem Bundesland trotz derUngewißheit über die organisatorischen und finanziellenBedingungen vielfältige Aktivitäten entfaltet. Neben einigenInitiativen von Ortsvereinen hat der Landesverband derLebenshilfe einen Betreuungsverein gegründet, der bereits injedem Regierungsbezirk Nordrhein-Westfalens eine haupt-beruflich geführte Geschäfts- und Beratungsstelle eingerichtethat, die vor Ort Betreuungsarbeit verrichten und neue Initiati-ven der Vereinsbetreuung in der jeweiligen Region anregenund unterstützen.

Dort, wo in Nordrhein-Westfalen Ortsvereine aufgrund der un-geklärten Finanzierungssituation nicht bereit oder in der Lagesind, sich als Betreuungsverein zu engagieren, bemüht sich derBetreuungsverein des Landesverbandes um Einrichtung weite-rer, hauptberuflich geführter Geschäftsstellen. Dies geschiehtu. a., indem mit Städten und Kreisen über die Übernahme vonbisher unter Amtsvormundschaft bzw. Amtspflegschaft ste-henden Menschen mit geistiger Behinderung in die Vereinsbe-treuung gegen Übernahme der entstehenden Personalkostendes Vereins durch die betreffende Kommune verhandelt wird.Dadurch entsteht auf den ersten Blick eine einseitige Schwer-punktsetzung der Vereinsarbeit, weil neben der so praktizier-ten hauptberuflichen Vereinsbetreuung zunächst keine perso-nellen Kapazitäten für die Erfüllung der Querschnittaufgabennach § 1908f BGB existieren. Man geht jedoch davon aus, aufdiese Weise zunächst eine qualitative Verbesserung der Be-treuungsarbeit für die betroffenen geistig behinderten Men-schen zu erreichen und erwartet, daß aufgrund künftiger För-dermittel von Land und Kommune auch für diesen Tätigkeits-bereich die gewünschten Kapazitäten geschaffen werden kön-nen. Bedenkt man, daß nach den Ermittlungen des deutschenInstituts für Urbanistik24 in den alten Bundesländern Amtsvor-münder bzw. -pfleger bei Vollzeitbeschäftigung im Durch-schnitt 107 Mündel bzw. Pfleglinge zu betreuen hatten, so kannes sicherlich als Fortschritt im Sinne des Betreuungsrechts ge-wertet werden, wenn Betreuungsvereine gegenüber den be-treffenden Städten und Kreisen einen Personalschlüssel von ei-nem Vereinsbetreuer für weniger als 40 Betreute aushandelnkönnen.

d) Schleswig-Holstein

Das Schleswig-Holsteinische Landesausführungsgesetz zumBtG gesteht anerkannten Betreuungsvereinen finanzielle För-derung nach Maßgabe der verfügbaren Haushaltsmittel zu. ImEntwurf vorliegende Ausführungsrichtlinien orientieren sichan dem Rheinland-Pfälzischen Modell mit einer Landesförde-rung in Höhe von 40% (maximal DM 43 000,– Personal- undSachkostenzuschuß bei einer Vollzeitkraft pro Jahr) bei erwar-teter Förderung durch die kommunalen Betreuungsbehördenin gleicher Höhe sowie 20% selbst erwirtschafteter Mittel. Posi-tiv hervorzuheben ist hier eine Regelung, derzufolge neuge-gründete Betreuungsvereine einen um DM 10 000,– im Jahrhöheren Zuschuß erhalten können. Hingegen ist zweifelhaft,ob ein in dem schleswig-holsteinischen Richtlinienentwurf vor-gesehener „Zusammenschluß mehrerer Betreuungsvereine zueiner Arbeitsgemeinschaft zwecks Erledigung einzelner Aufga-ben“ sinnvoll und praktikabel ist. Hier hat offensichtlich dieÜberlegung Pate gestanden, die auf die Förderung eines Be-treuungsvereins pro Stadt- bzw. Landkreis begrenzten Mittelzu konzentrieren und so das Problem der Konkurrenz mehre-rer Betreuungsvereine zu umgehen. Es spricht nichts gegen dieEinrichtung von örtlichen Arbeitsgemeinschaften unter Einzie-hung aller an der Umsetzung des Betreuungsrechts beteiligtenStellen, wie es ursprünglich im Betreuungsbehördengesetzauch vorgesehen war und nunmehr – nach Streichung dieserEntwurfsbestimmung auf Initiative des Bundesrates – in denLändern Baden-Württemberg, Bayern, Berlin sowie Rhein-land-Pfalz per landesrechtlicher Bestimmung vorgesehen ist.Allein der Umfang der zu erledigenden Aufgaben läßt es jedochnicht als praktikabel erscheinen, vor Ort auf diese Weise die Er-ledigung der Querschnittsaufgaben zu bündeln.

Nachvollziehbar ist das Verlangen der zuständigen Landes-stellen, von geförderten Betreuungsvereinen Verwendungs-nachweise zu erhalten. Unakzeptabel ist jedoch die in dem Ent-wurf der Schleswig-Holsteinischen Förderrichtlinien gefor-derte Offenlegung auch der Betreuungsvereinen zufließendenSpenden und Mitgliedsbeiträge. Hierbei handelt es sich um un-regelmäßige und unkalkulierbare Einkünfte, die als Eigenmit-tel des Vereins dessen freier Verfügungsgewalt unterliegenmüssen und nicht in die Gesamtberechnung der Einkünftebzw. Aufwendungen im Rahmen der Abwicklung der Verein-stätigkeit einbezogen werden dürfen. Betreuungsvereinensollte im Rahmen ihrer konzeptionellen und finanziellen Hand-lungsfreiheit zumindest soviel Spielraum und Autonomie über-lassen bleiben, daß Spenden und Mitgliedsbeiträge nicht in dieGesamtkalkulationen der Kosten der Betreuungsarbeit einzu-bringen sind mit der evtl. Folge der Kürzung der staatlichenFörderung.

e) Niedersachsen

Niedersachsen favorisiert ebenfalls das sogenannte „Drittel-Modell“ und sieht in seinen Richtlinien über die Gewährungvon Zuwendungen zur Förderung von BetreuungsvereinenPersonalkostenzuschüsse in Höhe von maximal DM 24000,– /Jahr zuzüglich einer Pauschale für Sachkosten und sonstigeVerwaltungskosten in Höhe von maximal DM 7000,–/Jahr vor.Auch hier geht das Land von einer entsprechend hohen kom-munalen Kostenbeteiligung aus. Das niedersächsische Landes-ausführungsgesetz enthält die Besonderheit, daß keineüberörtliche Betreuungsbehörde eingerichtet worden ist, auchdie Anerkennung der Betreuungsvereine somit den örtlichenBetreuungsbehörden obliegt. Dies läßt befürchten, daß sichkeine einheitlichen Standards entwickeln.

f) Berlin

Berlin plant die Bereitstellung von DM 1,2 Mio. für 1992. Damitsollen in jedem der 12 Vormundschaftsgerichtsbezirke der

AUFSÄTZE10 1/92

24 Vgl. DIU aaO (Fn. 11), S. 32

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Stadt die Personalkosten für je eine 3/4 Stelle nach BAT IVa so-wie Sachkosten gefördert werden. Insgesamt könnten dem-nach für 12 Projekte jeweils DM 100 000,– bereitgestellt wer-den.

g) Bremen

Die gleiche Quote würde sich für 4 Betreuungsvereine inBremen ergeben, die im Hinblick auf einen Richtlinienentwurfund einem Förderetat für Betreuungsvereine in Höhe von DM300 000,– für 1992 Antrag auf Anerkennung und Förderunggestellt haben. Bezogen auf die Situation in diesen Stadtstaatenkönnen diese Planungen – so sie realisiert werden – als zwarnicht bedarfsdeckend, aber als Einstieg in die Umsetzung desBetreuungsrechts gesehen werden, der für die Zukunft hoffenläßt. In beiden Städten ist die Lebenshilfe mit dem Aufbau vonBetreuungsvereinen befaßt.

h) Hessen

Die Landesregierung Hessen hat verkündet, ebenfalls das„Drittel-Modell“ zur Förderung von Betreuungsvereinen einzu-führen. Dennoch wurden gerade für das so wichtige „Einstiegs-jahr“ 1992 lediglich DM 350 000,– an Haushaltsmitteln bereit-gestellt. Rechnet man diesen Betrag auf die Zahl der Städte undLandkreise bzw. Einwohner und Betreute in Hessen um, sokann nicht von einem ernsthaften Bemühen zur Umsetzungdes Betreuungsrechts gesprochen werden.

i) Bayern

Das gleiche gilt für Bayern, in dessen Haushalt für 1992 ganzeDM 400 000,– bereitgestellt sind, von denen zudem aufgrundeiner prozentualen „Haushaltssperre“ nur DM 350 000,– zurAusschüttung kommen sollen. Kein Wunder, daß in diesemBundesland – obwohl es traditionell mit 12 Vormundschafts-vereinen das Bundesland war, in dem die Lebenshilfe aufdiesem Gebiet die größten Aktivitäten zu verzeichnen hatte –bislang nur ein weiterer Betreuungsverein (Kempten/Allgäu)gebildet hat.

j) Übrige Länder

Brandenburg hat in den Erläuterungen zu seinem Entwurfeines Ausführungsgesetzes zum BtG einen Betrag in Höhe vonDM 700 000,– angegeben, mit dem 1992 Personal- und Sach-kosten der überörtlichen Betreuungsbehörde sowie die Förde-rung der Betreuungsvereine gedeckt werden sollen. Es kanndaher nur vermutet werden, daß die auf einzelne Betreuungs-vereine entfallenden Fördermittel eher gering ausfallen wür-den.

Mecklenburg-Vorpommern sieht die Förderung von anerkann-ten Betreuungsvereinen vor, hat jedoch noch keine Förder-richtlinien und -höhen vorgelegt.

Der Gesetzentwurf des Saarlandes sieht grundsätzlich eineVereinsförderung vor. In der Gesetzesbegründung werden Be-träge von jeweils 250 000,– von Land und Kommunen für ins-gesamt sechs Betreuungsvereine genannt25.

Aus Sachsen und Thüringen liegen bislang keine Informatio-nen über Bestrebungen zur Schaffung von Landesausführungs-gesetzen zum BtG vor.

Insgesamt ergibt sich aus diesem Überblick im Hinblick auf dieChancen einer dem Gesetzeszweck entsprechenden Schaffungflächendeckender Strukturen des Betreuungswesens unterEinbeziehung von Betreuungsvereinen ein eher düsteres Bild,wenn man von hoffnungsvollen Ansätzen in einigen Bundes-ländern absieht. Überwiegend ist auch dort bei den Verbän-den, die zu einem Beitrag zur Umsetzung des BtG bereit sind(neben den bereits erwähnten sind dies vor allem Untergliede-rungen der Arbeiterwohlfahrt, des Deutschen Roten Kreuzessowie des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes), eine abwar-tende Haltung zu beobachten. Kein Wunder, wenn man be-

denkt, daß Verwaltungsvorschriften oder Richtlinien zur Fi-nanzierung von Betreuungsvereinen bislang nur in Baden-Württemberg und Niedersachsen in Kraft sind26. Unklar istauch, ob die avisierte Komplementärförderung durch Landund Kommunen überall funktionieren wird. Letztere haben mitmassiver Kritik an mangelndem finanziellem Engagement vonBundesländern nicht gespart27. Aus der Praxis häufen sich Be-richte über Städte und Landkreise, die eine finanzielle Unter-stützung von Betreuungsvereinen in ihrem Bereich ablehnen.Dies verwundert insoweit, als die im Raum stehenden Beträgein der Summe kaum nennenswerte Positionen in den Haushal-ten der Bundesländer und Kommunen einnehmen würden,gleichzeitig jedoch deren Einsatz unbestreitbar effektiv und un-mittelbar der Hilfestellung zugunsten der schwächsten Mitglie-der unserer Gesellschaft dient. Es sollte daher weiterhin nichtnachgelassen werden, durch verstärkte Öffentlichkeitsarbeitund direkte Ansprache der Verantwortlichen ein größeres In-teresse für die Inhalte des Betreuungsgesetzes zu erzeugen, umso die Chancen für eine effektive Umsetzung der gesetzgeberi-schen Ziele zu erhöhen. Viel Zeit ist bereits ungenutzt verstri-chen, zu spät ist es noch nicht.

25 Landtag des Saarlandes, Drs. 10/876, Begründung S. 326 Zum Zeitpunkt der Manuskripterstellung am 01. 06. 199227 Vgl. Hessischer Landkreistag, Rundschreiben 495/91 vom 09. 09.

1991 sowie Landtagsdrucksache Baden-Württemberg 10/5617,S. 19

Gertraud von Gaessler, Rechtsanwältin und Leiterinder Betreuungsstelle München

Die Betreuungsstelle München –Entstehung und erste Erfahrungen ausder Praxis

In München wird seit Februar 1992 die örtliche Betreuungs-behörde als eigenes Amt mit 20 1/2 Planstellen aufgebaut.Der Aufbau ist geprägt durch die völlig mangelhafte Be-treuungsstruktur in München und fehlende Vorbereitungs-maßnahmen.

Dennoch ist in München bezüglich der Umsetzung desneuen Rechts ein Anfang gemacht. Die Stadt München hatfür die Förderung der Betreuungsvereine DM 750.000,00für das Jahr 1992 bereitgestellt, so daß die Vereine ihreTätigkeit aufnehmen können.

Außerordentlich hinderlich ist noch immer die mini-male staatliche Förderung der Betreuungsvereine (DM400.000,00 für ca. 90 Betreuungsvereine bayernweit).

1. Situation vor Inkrafttreten desBetreuungsgesetzes

Am 31. Dezember 1991 waren im Amtsgerichtsbezirk Mün-chen insgesamt 14.316 Vormundschafts- und Pflegschaftsver-fahren für Erwachsene anhängig.

Auf das Stadtgebiet München entfielen hiervon ca. 12.000 Vor-mundschaften und Pflegschaften.

Für die damit verbundenen öffentlichen Aufgaben waren beimStadtjugendamt, Abteilung Amtsvormundschaft/Amtspfleg-schaft für Volljährige, 2 Verwaltungskräfte zuständig. Nebender Führung von ca. 300 Amtsvormundschaften/-pflegschaftensollten die weiteren Aufgaben im Rahmen der Vormund-schaftsgerichtshilfe ebenfalls vorwiegend von diesen Verwal-

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tungskräften erledigt werden. Aufgrund der hohen Arbeitsbe-lastung war lediglich eine anonyme Verwaltung der Betroffe-nen möglich. Eine persönliche Betreuung konnte nicht stattfin-den.

Die sonstigen Aufgaben nach dem Jugendwohlfahrtsgesetz,wie z.B. die bei ca. 7.400 ehrenamtlich tätigen Vormündernund Pflegern dringend notwendige planmäßige Beratung undUnterstützung, konnten nicht annähernd erfüllt werden.

Über Jahre hinweg hatte es sich in München eingebürgert, vorallem Rechtsanwälte mit der Übernahme von Vormundschaf-ten und Pflegschaften zu betrauen. Die sogenannten Berufsvor-münder/-pfleger führten insgesamt ca. 4.000 Vormundschaf-ten und Pflegschaften. Auch hier konnte wegen der hohen Fall-zahlen nur eine anonyme Verwaltung der Betroffenen stattfin-den.

Es gab zwar 5 anerkannte Vereine, die bereits vor dem 1. Ja-nuar 1992 eine wie nach neuem Recht vorgesehene persönli-che Betreuung der Betroffenen anboten, jedoch nur für ca. 300Betroffene.

Die Kritik an den mit der anonymen Verwaltung verbundenenMißständen kam von verschiedenen gesellschaftlichen Grup-pierungen, vor allem aber von Sozialpädagogen, dem Arbeits-kreis gegen Menschenrechtsverletzungen, den GrauenPanthern, wenig von der Justiz. Unterstützt von den Medienwurde die Verwaltung der „Zuckerl und Zitronen“ (so z.B. dieSüddeutsche Zeitung vom 27. Februar 1988) über Jahre hin-weg angeprangert.

Der Druck der Öffentlichkeit, die nicht mehr bereit war, dieseMißstände hinzunehmen, war in München besonders stark.

2. Vorbereitung des Betreuungsgesetzes

Am 4. Juli 1991 beschloß der Stadtrat, daß die örtliche Betreu-ungsbehörde als eigene Dienststelle mit 20 1/2 Planstellenbeim Sozialreferat zu bilden sei. Die Dienststelle sollte gemäßArt. 1 Abs. 2 des Ausführungsgesetzes, das bereits im Entwurfvorlag, die Bezeichnung „Betreuungsstelle“ tragen. Für die Lei-tung des Amtes war eine Juristen- und für die Stellvertretungeine Sozialpädagogenstelle vorgesehen. Die Aufgaben bei denBetreuungen und der Vormundschaftsgerichtshilfe sollten von11 Sozialpädagogen wahrgenommen werden. Weiter warenfür die Unterstützung der Betreuer bei der Durchführung derUnterbringung sowie Vorführungen, zwei Planstellen für Ver-waltungskräfte vorgesehen. Die weiteren Planstellen sollten fürSachbearbeiter und Schreibkräfte zur Verfügung stehen.

Im November 91 wurde auf Initiative des Vormundschaftsge-richtstags e.V., Arbeitskreis München, der örtliche Betreuungs-beirat ins Leben gerufen. Als Teilnehmer des Betreuungsbei-rats wurden Vertreter der Betreuungsvereine, der psychia-trisch sachverständigen Ärzte, des Vormundschaftsgerichts,des Vormundschaftsgerichtstags und der Betreuungsstelle vor-gesehen.

Im Dezember 1991 wurde das Ausführungsgesetz zum Betreu-ungsgesetz erlassen.

Weitere Vorbereitungsmaßnahmen bezüglich der Umsetzungdes neuen Rechts bei der Betreuungsstelle wurden weder vonder Stadt noch staatlicherseits getroffen.

3. Personelle Schwierigkeiten beim Aufbau derBetreuungsstelle

Die fehlenden Vorbereitungsmaßnahmen führten dazu, daßdie Betreuungsstelle nach Inkrafttreten des Betreuungsgeset-zes zunächst funktionsunfähig war.

Als Anfang Februar 1992 die Leitung der Betreuungsstelle be-setzt wurde, waren außer dieser Planstelle nur 2 1/2 weiterePlanstellen mit Verwaltungskräften besetzt und noch kein ein-ziger Sozialpädagoge eingestellt.

Es waren jedoch ca. 300 Betreuungen zu führen, die vomStadtjugendamt übernommen worden waren. Außerdem soll-ten sämtliche Aufgaben nach dem Betreuungsgesetz wahrge-nommen werden. So war z.B. unter anderem eine Unterstüt-zung des Gerichts bei der Sachverhaltsfeststellung gemäß § 8Betreuungsbehördengesetz nicht möglich, obwohl sich die ge-richtlichen Aufträge bereits beträchtlich anhäuften.

Insoweit mußten zuerst vor allen anderen dringend notwendi-gen Tätigkeiten die Planstellen besetzt werden.

Leider zeigte die Erfahrung, daß es fast nicht möglich ist, Sozi-alpädagogen mit einschlägiger Vorerfahrung im Vormund-schafts- und Pflegschaftsrecht zu finden. Es handelt sich, zu-mindest in München, offenbar um einen berufsfremden Be-reich für Sozialpädagogen, obwohl der Großteil dieser Arbeitsozialpädagogische Kenntnisse und Methoden verlangt.

So müssen nahezu alle Mitarbeiter völlig neu eingelernt undgeschult werden.

Ohne die Mithilfe der bereits jahrelang in diesem Bereich täti-gen Verwaltungsfachkräfte wäre die Einarbeitung der 11neuen sozialpädagogischen Mitarbeiter unmöglich. Jeder Sozi-alpädagoge muß bei der Einstellung 30 Betreuungen überneh-men. Die Einarbeitung erfolgt fallbezogen und unter ständigemZeitdruck, da außerdem die gesamte Organisation der Dienst-stelle aufzubauen ist und auch die Sozialpädagogen allein mitder Kontaktaufnahme zu den Betroffenen zeitlich sehr bean-sprucht sind.

Insoweit war die Betreuungsstelle auf Hilfe von außen ange-wiesen.

Auf unsere Bitte hin, beteiligte sich das Vormundschaftsgerichtbei der Einführung der Mitarbeiter. So wurde jeder Sozial-pädagoge von einem Richter anläßlich Anhörungsterminenrechtlich und praktisch informiert. Dies wird regelmäßig wie-derholt.

Nachdem auch die Betreuungsvereine mit ihren neuen Mitar-beitern in derselben Situation waren, wurde das Thema Ein-führung und Fortbildung der Mitarbeiter im Betreuungsbeiratbesprochen. Der Betreuungsbeirat hatte als Arbeitsgemein-schaft in einer Sollvorschrift Eingang in das Ausführungsgesetzgefunden (Art. 4 Abs. 3 AGBtG).

In der Arbeitsgemeinschaft, die in München weiterhin Betreu-ungsbeirat genannt wird, werden nun Fortbildungsangebotegesammelt und an die Mitarbeiter der Vereine, Betreuungs-stelle und Gericht weitergegeben.

Außerdem sind Blockseminare geplant, die gemeinsam im Be-treuungsbeirat inhaltlich besprochen und organisiert werden.Voraussichtlich in zeitlichen Abständen von ca. 4-6 Wochenwerden 3 halbtägige Blockseminare stattfinden, so daß die je-weils neuen Mitarbeiter durch Praktiker in ihre Arbeit einge-führt werden und auch die Möglichkeit haben, ihre Anfangs-schwierigkeiten zu besprechen.

Durch diese Aktivitäten werden die Voraussetzungen für dieBetreuungsstelle und die Vereine geschaffen, um später bei eh-renamtlichen Betreuern beratend, unterstützend und fortbil-dend tätig sein zu können.

4. Zusammenarbeit mit Betreuungsvereinen

Die vielfältigen Aufgaben nach dem Betreuungsgesetz und diein München fehlende Betreuungsstruktur führten zu der Über-legung, ob die Betreuungsstelle mit der vom Stadtrat beschlos-senen personellen Ausstattung in München überhaupt in derLage ist, die ihr gesetzlich zugewiesenen Aufgaben zu erfüllen.Anlaß dieser Überlegung war unter anderem eine Mitteilungdes Amtsgerichts München, daß die Betreuungsstelle mit Un-terstützungsaufgaben für das Gericht bei erfahrungsgemäßjährlich ca. 3.500 neuen Betreuungsverfahren und ca. 1.200 zuüberprüfenden alten Betreuungsverfahren rechnen müsse.

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Davon ausgehend, daß die Betreuungsstelle nur bei der Hälftedieser Verfahren bei der Unterstützung des Gerichts tätig wer-den müsse, genügten die bewilligten Planstellen bei weitemnicht.

Ergebnis unserer Überlegungen war, daß die Anregung undFörderung der Tätigkeit der Betreuungsvereine von Beginn anein Schwerpunkt der Arbeit der Betreuungsstelle sein müsse.Nur gemeinsam mit den Vereinen kann eine Betreuungsstruk-tur in München erarbeitet werden, die eine Umsetzung des Be-treuungsgesetzes ermöglicht.

Ohne eine entsprechende Vereinstätigkeit wäre die Betreu-ungsstelle mit dem derzeitigen Personalstand von der Aufga-benstellung des Betreuungsgesetzes völlig überfordert.

Auch diesbezüglich bewährte sich die Zusammenarbeit im Be-treuungsbeirat. Dieser bot den Beteiligten, wie Gericht,Behörde und Vereinen die Möglichkeit zum Kennenlernen, Er-fahrungs- und Informationsaustausch. Es wurden von Anfangan auch noch nicht anerkannte Vereine zur Teilnahme am Be-treuungsbeirat eingeladen, um so die Tätigkeit neuer Vereineanzuregen und die Erfahrungen der bisher tätigen Vereineweitergeben zu können. Als sehr wichtig erwies sich die prakti-sche Unterstützung der Vereinstätigkeit. Es werden z.B. denVereinen von der Betreuungsstelle Formulare für die Vergü-tungsanträge zur Verfügung gestellt und auch bezüglich derAuslagen- und Tätigkeitsnachweise der Mitarbeiter praktischeHinweise gegeben.

Als außerordentlich hinderlich erwies sich bei der Zusammen-arbeit mit den Betreuungsvereinen, daß deren Finanzierungvöllig ungesichert war.

Der Freistaat Bayern hatte für das Haushaltsjahr 1992 lediglichDM 400.000,00 Fördermittel bayernweit für ca. 90 Vereine zurVerfügung gestellt. Dies wirkte auf die Vereine nicht nur sehrdemotivierend, sondern bezüglich der Tätigkeit kleiner Betreu-ungsvereine verhindernd.

Die Finanzierung der Vereine war damit abhängig von der För-derung durch die Stadt bzw. die Rechtsansprüche gegen dieStaatskasse. Letztere Finanzquelle ist jedoch ebenfalls nochnicht kalkulierbar.

Die Landeshauptstadt München fördert die Betreuungsvereine,auch diejenigen, die sich erst im Anerkennungsverfahren be-finden, im Haushaltsjahr 1992 mit insgesamt DM 750.000,00.Mit einem Stadtratsbeschluß wurde die Förderung der Vereineam 21. Mai 1992 einstimmig beschlossen.

Nach diesem Beschluß sind die Betreuungsvereine verpflichtet,im Jahresdurchschnitt 30 Betreuungen pro angestelltem Sozi-alpädagogen zu führen und 1/4 der Arbeitszeit dieses Mitarbei-ters für die Wahrnehmung sogenannter Querschnittsaufgabenzur Verfügung zu stellen. Einzelheiten der Bewilligung der je-weiligen Förderbeträge bleiben einem Bescheid vorbehalten.Inhaltlich wurde dies jeweils mit den Betreuungvereinen be-sprochen.

Es gibt nun in München sieben weitere (also insgesamt 12) Be-treuungsvereine. Allerdings handelt es sich hierbei nicht umneu gegründete Vereine, sondern vor allem um Vereine mit be-reits vorhandener Verwaltungsstruktur.

5. Fazit der bisherigen Erfahrungen

Bei der bisherigen Aufbauarbeit hat sich bewährt, die Betreu-ungsstelle als einen mitwirkenden Teil des Betreuungsverfah-rens zu verstehen und die weiteren Beteiligten nicht nur zu in-formieren, sondern in Planungen und bei wichtigen Entschei-dungen einzubeziehen.

An dieser Erfahrung orientiert sich z.B. auch die Öffentlich-keitsarbeit der Betreuungsstelle. Die Vorstellung der Behördefindet am 22. Juli 1992 als Tag der offenen Tür statt, und zwarunter Beteiligung des Gerichts, der Vereine und der im gericht-

lichen Auftrag tätigen Sachverständigen. Auf diese Weise hatder Bürger die Möglichkeit, sämtliche an einem Betreuungsver-fahren beteiligten Berufsgruppen zu befragen.

Beim Aufbau der Betreuungsstelle München bereiten noch im-mer vor allem die fehlenden Vorbereitungsmaßnahmen auf dieneue Rechtslage Schwierigkeiten. Vieles kann von den am Be-treuungsverfahren beruflich Beteiligten nur improvisiert odernach alter Rechtslage erledigt werden, da der Übergang vomalten zum neuen Recht nicht von heute auf morgen stattfindenkann. Letzteres allerdings kann seit 1. Juni 1990, als der Bun-desrat dem Betreuungsgesetz zugestimmt hat, als bekannt vor-ausgesetzt werden. Insoweit ist davon auszugehen, daß mitdem Verzicht auf Vorbereitungsmaßnahmen eine längere„Übergangszeit“ eingeplant wurde.

Dennoch ist in München ein Anfang gemacht. Die notwendigefinanzielle Förderung staatlicherseits fehlt noch, aber die Zu-sammenarbeit im Betreuungsbeirat, die Unterstützung seitensder Kritiker der bisherigen Mißstände, nicht zuletzt die Hilfsbe-reitschaft und der Reformwille im Sozialreferat lassen hoffen,daß sich in München eine Betreuungsstruktur entwickelt, dieeine Umsetzung des neuen Rechts ermöglicht.

Gisela Lantzerath

Vieles bleibt noch zu tun

Über die Auswirkungen des neuen Gesetzes aus derSicht einer Rechtspflegerin

Wenn ich über erste Erfahrungen mit dem neuen Betreuungs-gesetz berichten will, kann ich nicht mit dem 01. 01. 1992, demInkrafttreten des Betreuungsgesetzes beginnen. Die Reformdes Vormundschafts- und Pflegschaftsrechts in der Praxis be-gann wesentlich früher, da das geltende Recht schon seit Jahr-zehnten kritisiert wurde.

Im Dezember 1987 legte der BMJ den 1. Diskussionsteilent-wurf eines Gesetzes über die Betreuung Volljähriger vor, imApril 1988 den Entwurf Teil 2.

Spätestens ab diesem Zeitpunkt war mindestens den unmittel-bar am Verfahren Beteiligten klar, daß sich auf dem Gebieteder Vormund-/Pflegschaft etwas bewegte. Das Bewußtsein –auch in der Bevölkerung – hatte sich langsam aber sicherverändert. Der Umgang mit „Mündeln“ und „Pfleglingen“wurde sensibler. Ich habe als junge Rechtspflegerin noch denTypen des autoritären Vormundes kennengelernt, „einen ge-standenen Mann mitten aus dem Leben“, der wußte, was fürsein Mündel gut war, ohne jemals mit diesem über seine Maß-nahmen zu sprechen. Die – auch in meiner Gegenwart – aus-gesprochene Drohung: „Wenn Du nicht spurst, dann kommstdu eben mal wieder nach Eickelborn“ (gemeint war die ge-schlossene Unterbringung im zuständigen Landeskranken-haus) habe ich mehr als einmal gehört. – Es ist fast überflüssiganzumerken, daß das Mündel natürlich „geduzt“, der Vormundaber mit „Sie“ angesprochen wurde –.

Ich erinnere mich auch noch gut an die sparsamen Vormünde-rinnen, die noch vom bescheidenen Taschengeld beachtlicheSummen sparten, nach dem Motto: was braucht der/die schon,und Rauchen ist sowieso ungesund! Auch dem Rechtspfleger,der die Höhe der Kosten für eine Dauerwelle monierte (... daskann man doch auch billiger haben!) habe ich kennengelernt.

Nun, diese Zeiten sind glücklicherweise schon lange vorbei.

Auch nach dem alten Recht war es ja nicht verboten, zumWohle des Mündels zu handeln und dies geschah ja auch Vie-lerorts.

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Schon in der Psychiatrie-Enquete heißt es u. a.: „Von einergrundsätzlich verfehlten Konzeption des gesamten Vormund-schafts- und Pflegschaftsrechts kann ebensowenig die Redesein, wie von einem generellen Versagen in der Praxis“. Sinn-voll und engagiert angewendet, konnte dieses Recht durchausdem Wohle der Betroffenen dienen.

1. Arbeitskreis leistete Vorarbeit

Nachdem die Diskussionsteilentwürfe des Betreuungsgesetzesim Dezember bzw. April 1988 vorlagen, wurde in Bochum aufVorschlag des Jugendamtes der Arbeitskreis Vormundschaftengegründet.

In Bochum leisteten die Wohlfahrtsverbände AWO, Caritas,DPWV und Innere Mission seit Jahren mit ihren Vereinen dieeigentliche Vormundschaftsarbeit. Das Jugendamt agierte le-diglich als „Verteiler“ und führte nur sehr wenige Vormund-schaften/Pflegschaften über Erwachsene.

Auch die Beratung und Begleitung der ehrenamtlichen Einzel-vormünder geschah durch die Vereine, wobei regelmäßig dieRechtspflegerinnen des Amtsgerichts an den Informations-und Schulungsveranstaltungen teilnahmen.

Der Vorschlag des Jugendamtes, einen Arbeitskreis zu grün-den, um gemeinsam eine Verbesserung des Beratungsange-bots und die Gewinnung von Ehrenamtlichen zu erreichen,fand Zustimmung bei allen Vereinen und dem Vormund-schaftsgericht.

Die organisatorische Arbeit übernahm das Jugendamt.

Mittlerweile nimmt der Arbeitskreis die Aufgaben wahr, diedas Gesetz zur Ausführung des Betreuungsgesetzes für dasLand NRW in § 4 vorgesehen hat.

Für die etwa 300 neuen ehrenamtlichen Vormünder und Pfle-ger bot der Arbeitskreis ab September 1990 halbjährlich Infor-mationsabende an. Im Jahre 1991 wurden flächendeckend imgesamten Stadtgebiet Veranstaltungen durchgeführt, in denenVormündern und Pflegern das neue Recht mit seinen Änderun-gen und Intentionen vorgestellt wurde. Zu diesen Veranstaltun-gen ergingen schriftliche Einladungen. Insgesamt wurde dasAngebot erfreulich gut angenommen, so daß viele Vormünderund Pfleger am 01. 01. 1992 schon „aufgeklärte“ Betreuer wa-ren. Eine Beobachtung, die ich sowohl auf den Abendveran-staltungen als auch bei zahlreichen Gesprächen im Gericht ge-macht habe, möchte ich auch als Erfahrung mit dem neuenRecht berichten: Die Akzeptanz des Betreuungsgesetzes bzw.einzelner seiner Vorschriften hängt entscheidend von der Si-tuation der Betroffenen ab. Ich habe z. B. bei Veranstaltungender Lebenshilfe die Ängste der Eltern erlebt, daß das neueRecht ihre Kinder schutzlos dem Rechtsverkehr aussetze undder Betreuer dann pausenlos Rechtsgeschäfte anfechtenmüsse. Ich habe ihre Sorgen gehört, Einfluß zu verlieren durchWegfall des § 1779 Abs. II BGB a. F. Der § 1897 Abs. 4 BGBwar ihnen suspekt. Sie fürchteten, durch Beeinflussung Dritteu. U. nicht zum Betreuer bestellt zu werden, weil ihre behin-derten Kinder, die sie aufopferungsvoll großgezogen haben, ei-nen „Fremden“ vielleicht vorziehen. Geradezu ein Reizthemaist in diesem Kreis die Tatsache, daß Betreute ohne Einwilli-gung des Betreuers heiraten können.

Bei Ärzten der Psychiatrie, Mitarbeitern von Sozialpsych. Dien-sten und Krankenhaussozialarbeitern bestehen erheblicheVorbehalte gegen die Praktikabilität der Vorschriften §§ 1904,1906 BGB. Die Rechtsunsicherheit ist auf diesem Gebiet allge-mein und bei allen Beteiligten noch sehr groß. Der Aufsatz vonSchreiber (Familienrecht-Zeitschrift 1991 Seite 1014ff.) führtgelegentlich zu ungläubigem Staunen.

§ 1906 Abs. 4 BGB bereitet den Mitarbeitern der Alten- undPflegeheime „schlaflose Nächte“.

Hier ist eine vertrauensvolle und offene Zusammenarbeit allerBeteiligten gefordert und es bleibt zu hoffen, daß die Entwick-lung in der Praxis und die Rechtsprechung zum Wohle der Be-treuten für mehr Klarheit und Sicherheit für alle Betroffenenführen werden.

Die wichtigste Vorschrift des Betreuungsgesetzes für die Praxisist der § 1901 BGB. Hier ist in einer Art „Gebrauchsanweisungfür Betreuer“ zusammengefaßt, wie Betreuung erfolgen soll.Eigentlich sind es Dinge, die selbstverständlich sein sollten,aber die Tatsache, daß sie als Vorschrift in das BGB aufgenom-men worden sind, verleiht ihnen eine so besondere Bedeutung,daß nun kein Betreuer mehr daran vorbeikommt. Er hat dieWünsche des Betreuten zu berücksichtigen und dessen Mög-lichkeiten zur Rehabilitation auszuschöpfen. Entscheidungensind nur nach gemeinsamer Erörterung zu fällen. Dies in denEinführungsgesprächen den Betreuern so zu vermitteln, daßsie es auch akzeptieren und in die Praxis umsetzen, halte ich imMoment für eine der wichtigsten Rechtspflegeraufgaben. Hierkann entscheidend etwas getan werden für ein neues Ver-ständnis von Betreuung. Dies erfordert natürlich auch, daß derRechtspfleger die Situation der Betreuten und ihre Wünscheund Vorstellungen kennt und sich ein unmittelbares Bild vonihrer Situation macht. Das ist vielfach nur durch Anhörung inder gewohnten Umgebung möglich und sehr zeitintensiv. Aberich kann jetzt schon sagen, daß ich bei den bisherigen An-hörungen neben viel dankbar geäußerter Zufriedenheit auchmanche bitteren Klagen gehört habe, die in zwei Fällen auchdas unmittelbare Eingreifen des Vormundschaftsgerichts er-forderten.

2. Konflikte der Rechtspfleger mit Angehörigen

Daß der Gesetzgeber die Wohnung des Betreuten als dessenLebensmittelpunkt durch die Vorschrift des § 1907 BGB unterbesonderen Schutz gestellt hat, ist für die Betroffenen von un-schätzbarer Bedeutung. Es war immer wieder erschreckend,wie leichtfertig und ohne Beteiligung der Betroffenen gelegent-lich Wohnungen aufgelöst wurden und die gesamte Habe eineslangen Lebens auf dem Sperrmüll gelandet ist. Allerdings hatdiese Vorschrift auch in der Praxis schon zu langwierigen undbösen Auseinandersetzungen gerade mit Angehörigen, die zuBetreuern bestellt waren, geführt. Eine Übersiedlung ins Alten-heim ist halt vielfach bequemer als eine Rundumversorgungdes Betreuten unter Beteiligung ambulanter Dienste in desseneigener Wohnung. Hier ist der Rechtspfleger ganz entschei-dend gefordert, unter Beachtung der Verfahrensgarantien des§ 69d FGG das Wohl und die Wünsche des Betreuten zuermitteln und zu respektieren. Eine persönliche Anhörung istin jedem Fall durchzuführen, erforderlichenfalls ist ein Ver-fahrenspfleger zu bestellen und ein Sachverständigengutach-ten einzuholen. Auch die Beteiligung der Betreuungsbehördekann sinnvoll sein, um evtl. Hilfsmaßnahmen für die Betreuungin der eigenen Wohnung zu organisieren. Weder das Drängender Angehörigen noch der Druck des Sozialamtes sollten hierEinfluß auf die Entscheidung haben. Die elementare Bedeu-tung gerade dieser Entscheidung für den Betroffenen recht-fertigt den erheblichen Arbeits- und Zeitaufwand, den dieseVerfahren erfordern.

3. Keine Entlastung für Rechtspfleger

Schon die beiden genannten Beispiele zeigen auf, daß derRechtspfleger durch das neue Betreuungsgesetz keinesfalls –wie im Regierungsentwurf S. 103/104 noch ausgeführt wor-den ist – entlastet worden ist.

Hinzu kommen die übertragenen Genehmigungsverfahrennach § 1822 Abs. 1–3 und 12 BGB sowie die zahlreichen Fest-setzungen nach §§ 1908i, 1835, 1836, 1836b BGB, so daß derArbeitsaufwand insgesamt erheblich gestiegen ist.

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Die Bewertungszahlen für Betreuungssachen müssen dringendneu festgelegt werden, und zwar orientiert an dem durch dasBetreuungsgesetz vorgegebenen erhöhten Arbeitsaufwand derVormundschaftsrichter und Rechtspfleger. Es sollte sich nie-mand der Illusion hingeben, daß ein neues Gesetz allein aus-reicht, Dinge zum Guten zu verändern oder zu verbessern. Ent-scheidend wird sein, wie die beteiligten Richter, Rechtspfleger,Betreuungsvereine usw. in der Praxis mit dem neuen Rechtarbeiten und ob die Voraussetzungen – neue Planstellen,finanzielle Ausstattung der Betreuungsvereine – für eineoptimale und personenbezogene Betreuung geschaffen wer-den.

Dr. Wolfgang Raack

Der Kosten – Nutzen – Effekt bei derBerufsbetreuung

Anmerkungen zu einer arbeitsintensiven Justiz-Posse

Obwohl durch die Entscheidung des Bundesverfassungsge-richts vom 01. 07. 1980 (NJW 80, 2179) grundgesetzlich abge-sichert und durch §§ 1836 Abs. 2 Satz 4 i.V. § 1835 Abs. 4 desneuen Betreuungsgesetzes auch bei Mittellosigkeit des Betreu-ten gesetzlich verbrieft, stoßen die Vergütungsabrechnungender Berufsbetreuer bei den Vertretern der Staatskasse auf Un-verständnis und so massive Ablehnung, daß zu den bekanntenKriterien der Berufsmäßigkeit der Betreuung – Überschreitungdes vom Gesetz in § 1786 Abs. 1 Nr. 8 BGB zugemuteten Um-fangs ehrenamtlicher Vormundschaftstätigkeit und Entfaltungdieser Tätigkeit als Teil der Berufsausübung – ein weiteresIndiz für die Professionalität hinzukommt: Schließlich zeigendie wiederholten und akribischen Auflagen in der Vielzahl derderzeit laufenden Abrechnungen, daß diesem Amte nur einhartgesottener Anwalt gewachsen ist, jeder Laie hätte bereitsresigniert und auf die weitere Zusammenarbeit mit einer der-artigen Justiz verzichtet (vgl. Beschluß vom 15. 05. 1991 – GOVII 6436 AG Kerpen). Die Verbitterung, mit der der Kampf umdie Vergütung von beiden Seiten geführt wird, ist Anlaß für dievorliegende Untersuchung des Kosten-Nutzen-Effekts von 10Abrechnungsfällen, die seit Beginn des Jahres 1991 fürZeiträume ab 1989 geführt werden und teilweise noch in derBeschwerdeinstanz anhängig sind. Hierbei handelt es sich ummittellose oder vermeintlich mittellose Betreute sowie in einemFall um eine durch den Einsatz des Betreuers vermiedeneMittellosigkeit des Betreuten.

Der Anteil, den die Abrechnungsstreitigkeiten in den Gerichts-akten einnehmen, bewegt sich durchschnittlich bei 25 bis 30%des Gesamtinhalts nach Blattzahlen.

Regelmäßig wurden die Akten vor der Festsetzung der aus derStaatskasse zu leistenden Vergütung mehrfach dem Bezirksre-visor zwecks Austausches der Argumente vorgelegt, es erfolgtdann die Festsetzung durch die Rechtspfleger und die regel-mäßig schon vorher angedrohte Erinnerung des Bezirksrevi-sors gem. § 20 FGG, die sich sowohl gegen die Eingruppierungdes Betreuers als Berufsbetreuer als auch gegen die Höhe derVergütung richtete (wobei bereits vor dem 01. 01. 1992 mitden neuen Betreuungsgesetz-Vorschriften argumentiert wur-de).

Die Höhe der festgesetzten Vergütung, die in den Nichtabhilfe-beschlüssen durch den Richter jeweils bestätigt wurde, liegtzwischen 500,00 DM und 2500,00 DM für jeweils ein Jahr

Tätigkeit mit einer Ausnahme von rund 25 000,00 DM wegender Sichtung und Regelung von rund 1,7 Millionen DM Schul-den der Betreuten.

Dem steht nicht nur der Nutzen für die Betreuten gegenüber,der in der Verhinderung einer Heimunterbringung durch in-tensive Bemühungen um ambulante Versorgung von seiten desBetreuers in 3 Fällen besteht, sowie in der Ermittlung vonrückforderungsfähigem Vermögen (in 2 Fällen) und dem Auf-spüren und der Realisierung von Ansprüchen auf Witwenrente(16 500,00 DM jährlich) oder auf Beihilfe.

1. Nutzen für Sozialhilfeträger

Der Nutzen besteht vielmehr auch in dem erheblichen Spar-effekt für den Sozialhilfeträger und damit die öffentliche Handentweder durch den Einsatz des aufgespürten Vermögens fürdie Unterbringung oder aber besonders in den ersparten Heim-kosten, die die der ambulanten Versorgung wesentlich über-steigen würden.

Die ermittelten Vermögenswerte belaufen sich auf:

1. 225 000,00 DM und2. 135 000,00 DM.

Die ersparten Heimkosten abzüglich der Kosten einer ambu-lanten Versorgung ergeben jährlich:

1. 29 000,00 DM2. 31 000,00 DM und3. 40 000,00 DM

Auf diesem Hintergrund wirkt die regelmäßige Argumentationder Bezirksrevisoren unseriös:

Die Führung einer Pflegschaft etc. ist grundsätzlich ein unent-geltliches Ehrenamt...

Soweit überhaupt eine Entschädigung des Zeitaufwands nach§ 1835 BGB in Betracht kommt, kann als Stundensatz ein Be-trag von 20,00 DM gewährt werden...

(vgl. Stellungnahme vom 07. 11. 1991 in 65 XVII 119/92 AGKerpen)

Damit liegt das Angebot für die Leistung des Berufsbetreuersunter den am hiesigen Gericht für die Reinigungskräfte kalku-lierten Stundensätzen.

Auch dieser nur „hilfsweise“ von den Vertretern der Staats-kasse zugebilligte Obulus soll nach deren Willen erst ausge-zahlt werden, wenn eine Entscheidung „in dritter Instanz“ vor-liegt:

1) Festsetzung durch den Rechtspfleger,2) Nichtabhilfeentscheidung des Vormundschaftsrichters des

Amtsgerichts und3) Entscheidung der Beschwerdekammer des Landgerichts.

Eine solche steht bis jetzt noch aus für Leistungen, die 1989 er-bracht wurden (65 XVII 75/92 AG Kerpen).

2. So rechnet der Revisor

Hier nun argumentiert der Bezirksrevisor folgendermaßen:

Ungeachtet dessen, daß die gegen die Landeskasse angemel-deten Erstattungsansprüche gegebenenfalls begründet sindund eine baldige die förmliche Auszahlungsanordnungbegründende Entscheidung im Interesse der Betroffenen wün-schenswert wäre, bestehen meiner Meinung nach gegen eineAuszahlung auch haushaltsrechtliche Bedenken. In diesemZusammenhang möchte ich darauf hinweisen, daß derBedienstete, der die mit der Ausgabe verbundene Maßnahmeeinleitet oder anordnet, ohne daß die dafür notwendige haus-haltsrechtlichen Voraussetzungen vorliegen, unter Umstän-den schadensersatzpflichtig ist.

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Diese Regreßdrohung dürfte der Rechtsgrundlage entbehren,da materiell-rechtlich der Vergütungsanspruch jedenfalls mitder Mitteilung der Entscheidung des Rechtspflegers an den Be-treuer entstanden ist (vgl. BayObLG FamRz 89, 1119, 1120).Haushaltsrechtlich ist in diesem Zusammenhang auf die vor-läufigen Verwaltungsvorschriften zur Landeshaushaltsord-nung § 70 Nr. 12. 15 zu verweisen, die die Zahlungsfreigabevon der Leistung entsprechend der zugrundeliegenden Verein-barung abhängig macht, sowie die AV d. JM NW vom 20. 03.1987 (5601-I.B. 3), die folgendes anordent:

1. Müssen Akten wegen der Einlegung von Rechtsmitteln oderaus sonstigen Gründen für längere Zeit versandt werden, sosind folgende Geschäfte noch möglichst vor der Versendungder Akten vorzunehmen:

1.3 Die Festsetzung der Entschädigungen nach dem Gesetzüber die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen . . .

Auch eine vorherige Einholung der Ausgabenermächtigung istseit dem 01. 01. 1992 nicht erforderlich, da Mittel in Höhe dertatsächlichen Ausgaben zur Verfügung stehen (wie die Haus-haltsabteilung des zuständigen OLG mitteilte).

Zwar ist auf Anweisung des Behördenleiters mittlerweile dasGeld ausgezahlt worden, doch dürfte der Verdruß bei Berufs-betreuern inzwischen so groß sein, daß „durch die Haltung derStaatskasse nun noch dem Berufsbetreuer der Boden für seineArbeit entzogen ist, so daß das Gericht sich vorbehält, das Eh-renamt Betreuung an die Justizangehörigen – sprich Bezirks-revisoren – zu vergeben“ (Beschluß vom 09. 03. 1992 a.a.O.).

Abschließend bleibt zu bemerken, daß das beharrliche Ringenum die Vergütung auch einen nicht-anwaltlichen Berufsbe-treuer mittlerweile in die Lage versetzt hat, für die von ihm Be-treuten Leistungsanprüchen beharrlich durchzusetzten undRückgriffansprüche erfolgreich abzuwehren.

Damit ist zu der in § 1837 Abs. 1 BGB normierten Beratungs-verpflichtung des Vormundschaftsgerichts gleichzeitig ein un-schätzbares Trainingsprogramm hinzugefügt worden.

Dr. med. Jan Wojnar, Hamburg

Der Betreute – ein unbekanntes Wesen?

Über die Bedeutung demographischer und epide-miologischer Daten für die Fragen der Betreuung

Für die Planung der zukünftigen Versorgung, Berechnungder notwendigen Stellen bei der Justiz und Betreuungsver-einen sowie Gestaltung der Fortbildung für die Betreuer,Vormundschaftsrichter und Gutachter sind genaue Kennt-nisse der aktuellen Daten über die Zahl der Betreuten,deren häufigsten Behinderungen und Erkrankungen und zuerwartende Veränderungen dieser Faktoren in der Zukunftnotwendig. Demographische Veränderungen der Gesell-schaft und Fortschritte der Medizin beeinflussen die Zahlder kranken, auf fremde Hilfe angewiesenen Menschen ge-nauso stark wie die Entwicklung neuer Strukturen und Be-ziehungsmuster innerhalb der Familie oder Einführungneuer Versorgungssysteme. Die folgende Arbeit soll einenkurzen Überblick über einige dieser Veränderungen liefern,und auf diesem Hintergrund die psychischen Störungen, diezukünftig bei den meisten Betreuten zu erwarten sein wer-den, kurz schildern.

1. Angaben über Vormundschaften undPflegschaften

Die Angaben über die Zahl der vor dem 1. 1. 1992 entmündig-ten oder unter die Gebrechlichkeitspflegschaft gestellten Men-schen beruhen auf Umfragen und Schätzungen, und sind ent-sprechend ungenau. Die Angaben schwanken zwischen250 000 (davon 60 000 Vormundschaften und fast 190 000Gebrechlichkeitspflegschaften)1 und 343 000 (260 000 Pfleg-schaften und 83 000 Vormundschaften)2. Entsprechendlückenhaft sind auch die Informationen über die Entmündi-gungsgründe und die Altersverteilung der Betroffenen. NachJürgens/Kröger/Winterstein wurden 1989 nur noch 1432Menschen entmündigt, davon 39,5% wegen Geisteskrankheit,46,8% wegen Geistesschwäche, 12,3% wegen Trunksucht,0,9% wegen Verschwendung und 0,5% wegen Rauschgiftsucht.Mit Ausnahme der letzten drei Gruppen (insges. 13,7% derBetroffenen) ist ein genaues diagnostisches Aufschlüsseln derzugrunde liegenden Störungen nicht möglich. Wie bekannt,beschreiben die Termini „Geisteskrankheit“ und „Geistes-schwäche“ lediglich das Ausmaß der krankheits- oder behin-derungsbedingten Beeinträchtigung der sozialen Kompetenzen(Geisteskranke – dem unter 7jährigen Kind, Geistesschwache –dem unter 14jährigen Jugendlichen rechtlich gleichgestellt),besagen aber nichts über die Art der Erkrankung oder der Be-hinderung. Auch über Altersverteilung der Betroffenen gibt eskeine zuverlässigen Daten. Nach einigen Zeitungsangaben be-trafen ca. 90% aller Zwangspflegschaften die über 60jährigenMenschen. Bei einer (nicht repräsentativen) Übersicht von ca.50% aller Vormundschaften und Zwangspflegschaften in Ham-burg waren 8% jünger als 35 J, 53% zwischen 35 und 65 J und39% älter als 65 J (unveröffentlicht). Auch hier konnten keinegenauen Angaben über die Art der Erkrankung gemachtwerden.

Schon alleine die gesetzlich vorgeschriebene Überprüfung allerbisherigen Vormundschaften und Pflegschaften3 wird deutlicheVeränderungen des Spektrums der Betreuten nach sich ziehen.Bei einer konsequenten Anwendung des Erforderlichkeits- undNachrangigkeitsprinzips, bei Berücksichtigung der neuenRechtsprechung (z. B. im Falle der Alkoholkrankheit) und dermodernen therapeutischen Möglichkeiten (insbes. im Falle dergeistigen Behinderung), wird in vielen Fällen eine Betreuungnicht mehr notwendig sein.

2. Körperliche Behinderung

Körperliche Behinderung wird auch zukünftig sehr selten dieNotwendigkeit einer Betreuung nach sich ziehen. In den mei-sten Fällen reicht die Unterstützung der Angehörigen, der ent-sprechenden Selbsthilfegruppen oder Vereine (z. B. bei Spa-stik, M. Parkinson, Multipler Sklerose usw.).

3. Geistige Behinderung

Es gibt keine zuverlässigen Angaben über die Zahl der geistigbehinderten Menschen unter den bisherigen Vormundschaftenund Pflegschaften. In Hamburg beträgt deren Anteil (sehr grobgeschätzt) wohl über 20% aller Fälle, was durchaus dem frühe-ren Umgang mit dieser Behinderung entsprechen würde. DieBetroffenen wurden früher beim Auftreten von Lernschwierig-keiten und/oder Verhaltensauffälligkeiten ohne ausreichendeDiagnostik in „beschützende“ Einrichtungen verlegt und dortüberwiegend nur aufbewahrt, was bei vielen zu Hospitalisie-rungs- und Deprivationsschäden führte. Dieser Prozeß wurdedurch den niedrigen sozialen Status der Mehrzahl der Betroffe-

AUFSÄTZE16 1/92

01 Bt – Drucks. 11/4528, S. 10302 Jürgens, A., Kröger, D., Marschner, R., Winterstein, P. „Das neue

Betreuungsrecht“. C.H. Beck, München, 199103 Bundesgesetzblatt, Nr. 48, Jahrgang 90, Teil I,: „Übergangsvor-

schriften“

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nen begünstigt. In Mannheim z. B. war ein größerer Anteil derHeimkinder von unverheirateten Müttern geboren (39,4% imVergleich mit 9,9%) oder kam aus unvollständigen Familien(52,3% im Vergleich mit 22,5%)4. Die Heimpflegebedürftigkeitkorrelierte mit dem familiären Hintergrund und war wenigervon den Beeinträchtigungen des Kindes abhängig. Im Vorder-grund stand überwiegend die Umsorgung des Betroffenen undnicht die Förderung seiner Selbständigkeit. In der gutachtli-chen Praxis sind wir immer wieder mit Menschen konfrontiert,die anhand einer oberflächlichen Untersuchung (ohne psycho-metrischen Tests) für schwer geistig behindert gehalten wür-den, weil sie sich nicht adäquat ausdrücken konnten oderdurch neurologische Ausfälle zusätzlich behindert waren (z. B.Epilepsie oder choreo-atethotische Bewegungsstörungen). Beieiner genauen Nachuntersuchung werden nicht selten IQ-Werte zw. 70 und 90 festgestellt, die einer Lernbehinderung,nicht aber einer ernsthaften geistigen Behinderung entspre-chen.

Die Zahl der geistig behinderten Menschen, die eine Betreuungbenötigen, wird in der Zukunft stark abnehmen. Diese Ent-wicklung ist zum einen durch die Abnahme der schweren gei-stigen Behinderungen in der westlichen Welt5 bedingt. In meh-reren Ländern kam es nach einem Anstieg in den 40er und50er Jahren (mit einem Maximum Anfang der 60er Jahre) zueiner ständigen Abnahme der Prävalenz. Ein Vergleich ausMannheim4 zeigt, daß zw. 1974 und 1978 die Prävalenz fürschwere geistige Behinderung von 4,2 auf 3,7 pro 1000, alsoum 11,9% gesunken war. Darüber hinaus werden in der Ver-sorgung geistig Behinderter ähnlich wie in den USA und Ka-nada neue Wege beschritten. Im Mittelpunkt der Bemühungensteht der Versuch einer weitgehenden Normalisierung des so-zialen Lebens mit Hilfe sog. „Advocacy“ (Interessenvertretung),die von ehrenamtlichen oder hauptberuflichen Helfern aus-geübt wird und im Idealfall als sog. „Self-Advocacy“ durch dieBetroffenen selbst (mit Unterstützung der Selbsthilfegruppen)übernommen wird6. Die Bundesvereinigung Lebenshilfe fürGeistig Behinderte fördert solche Entwicklung in Deutsch-land7).

Die Betreuung wird wahrscheinlich nur in wenigen Fällen ei-ner schweren geistigen Behinderung mit IQ-Werten unter 50und neurologischen Störungen notwendig sein. Diese Behin-derten machten in der Mannheimer-Untersuchung insges. 21%aller Fälle aus, was einer Prävalenz von ca. 1,5 auf 1000 ent-sprechen würde. Typisch für diese Gruppe sind grobe Schädendes ZNS, die stark die Mobilität beeinträchtigen, meistens mitInkontinenz verbunden sind und häufig nur eine rudimentäre,nonverbale Kommunikation zulassen. Die meisten von den Be-troffenen sind auf die ständige Beaufsichtigung angewiesen4.

4. Psychische Krankheiten

Von den psychischen Erkrankungen führen fast ausschließlichdie endogenen Psychosen (Schizophrenien, affektive Psycho-sen und sog. schizo-affektive Psychosen) und die exogenen(organischen) Psychosen (Demenzen) zu so ausgeprägten Ver-änderungen der intellektuellen Leistungen oder des Verhal-tens, das unter Umständen eine Betreuung notwendig seinkönnte.

5. Die Sucht

Die Sucht (Alkohol- oder Medikamenten/Drogenabhängigkeit)wird eher sekundär, durch Folgeerkrankungen die Abnahmeder Selbständigkeit und starke, bleibende psychische Verände-rungen (mit der Notwendigkeit einer Betreuung) verursachen.Alkohol ist bei etwa 3% der chronisch Abhängigen für das Auf-treten einer Demenz verantwortlich8). Etwas seltener sind nachchronischem Alkoholisabusus sog. Alkoholhalluzinosen, diebei fehlender Abstinenz in chronische schizophrene, paranoid-halluzinatorische (Defekt-)Psychosen übergehen9. Bei den Dro-genabhängigen werden sog. drogeninduzierte Psychosen be-

obachtet. Es gibt keine gesicherte Angaben über die Häufigkeitdieser Störungen unter den Abhängigen. Eine Untersuchungvon 60 jungen Patienten mit wiederholt auftretenden psychoti-schen Symptomen nach Drogenkonsum zeigt aber, daß 13%von ihnen unter chronischen Psychosen leiden, die von einerSchizophrenie nicht zu unterscheiden sind und zum Abbau gei-stiger Funktionen führen10. Ca. 35–50% der Aids-Patienten lei-den an einer chronischen Enzephalitis, die zu einem Aids-De-menz-Komplex (ADC) führt11. Die Schätzungen bezüglich derDemenzhäufigkeit bei den Aids-Patienten sind sehr ungenau.Sie schwanken zw. 6% und 66%11.

Fraglich bleibt, wieviele Personen mit diesen Störungen eineBetreuung benötigen werden. Eine längere geschlossene Un-terbringung zur Verhinderung des weiteren (lebensgefährli-chen) Abusus bei körperlich sehr stark beeinträchtigten Ab-hängigen ohne ausgeprägte psychische Störungen wird aberangesichts der neuen Rechtsprechung12 nur in besonderenAusnahmefällen möglich sein.

6. Endogene Psychosen

Endogene Psychosen (Schizophrenien und affektive Psychosen)werden – ähnlich wie die geistige Behinderung – in Zukunft nurbei einem kleinen Teil der Betroffenen die Errichtung einer Be-treuung notwendig machen. Durch die Einführung der Psycho-pharmaka und den Ausbau der ambulanten sozialpsychiatri-schen Einrichtungen hat sich die Behandlung dieser Krankengrundlegend verändert, die Prognose ist günstiger geworden.

Im Rahmen der „Bonn-Studie“13 wurden 758 Kranke, die zwi-schen 1945 und 1959 in die Bonner Universitäts-Nervenklinikmit einer sicheren Diagnose der Schizophrenie aufgenommenwurden, nach einer durchschnittlichen Verlaufsdauer von 22,4Jahren nachuntersucht. Dabei zeigte sich, daß 22,1% der Pati-enten psychisch unauffällig waren, bei 40,2% reine Residuenbeobachtet wurden und nur bei 18,2% typische schizophreneDefektpsychosen, chronische Psychosen oder Strukurverfor-mungen mit Psychose weiterhin bestanden. Bei den restlichen19,5% handelte es sich um gemischte Residuen oder Struktur-verformungen ohne Psychose. 56,2% der Patienten waren so-zial geheilt, d. h. auf dem früheren beruflichen Niveau oder un-terhalb dieses Niveaus voll berufstätig. Diese Ergebnisse wi-dersprechen der früheren Auffassung von einem sehr ungün-stigem Verlauf der schizophrenen Erkrankungen (daher auchder vom Kraepelin geprägte Begriff „Dementia praecox“), dieauch die Therapie maßgeblich beeinflußt hat. Die Krankenwurden meistens institutionalisiert, entmündigt und verlierenmit der Zeit ihre sozialen Kompetenzen. Den Einfluß veränder-ter therapeutischer Methoden auf den Verlauf der Schizophre-nie schildert eine finnische Studie13. Sie vergleicht nach einer5jährigen Behandlungszeit die Krankheitsverläufe der Patien-

AUFSÄTZE1/92 17

04 Cooper, B.: „Geistige Behinderung bei Mannheimer Kindern imSchulalter“. Nervenarzt 61: 550–560, 1990

05 Fryers, T.: „The epidemiology of severs intellectual impairtment:the dynamics of prevalence“ Academic Press, London, 1984

06 Herr, S.: „Legal Advocacy for the mentally handicapped“. Int. J. ofLaw and Psychiatry, S. 31–78, 1980

07 Hellmann, U.: „Betreuungsgesetz und Betreuungsvereine aus derSicht der Bundesvereinigung Lebenshilfe für geistig Behinderte“.Evang. Akademie Hofgeismar, 1992

08 Marsden, C.D., Harrison, M.J.G.: „Outcome of investigation of pa-tients with presenile dementia“. Br. Med. J. 2: 249–252, 1972

09 Huber, G.: „Psychiatrie“. Schattauer, Stuttgart–New York, 198710 Bron, B., Fröscher, W., Gehlen, W.: „Analyse chronischer psycho-

tischer Zustandsbilder bei jugendlichen Drogenkonsumenten“.Fortschr. Neurol . Psychiat. 45: 53–75, 1977

11 Möller, A.A.: „Psychiatrische Aspekte der HIV-Infektion“. Nerven-arzt 61: 519–526, 1990

12 Urteil des Frankfurter OLG zur Zwangsbehandlung Alkohol-kranker

13 Retterstol, N.: „Schizophrenie – Verlauf und Prognose“ S. 71–115.In: Kisker, K.P., Lauter, H., Meyer, J.-E., Müller, C., Stromgren,E.: „Schizophrenien“. Springer, Berlin, 1987

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ten, die 1950, 1960, 1965 und 1970 mit der Diagnose „Schizo-phrenie“ erstmals stationär aufgenommen wurden. 1950 be-stand die Behandlung überwiegend aus Elektroschock und In-sulin-Koma, wurde 1960 durch Therapie mit Neuroleptika er-setzt und ab 1965 mit einem breiten Angebot an ambulantenHeilmethoden ergänzt. Es konnte nachgewiesen werden, daßdie durchschnittliche Verweildauer in den Krankenhäusern er-heblich kürzer wurde (entsprechend: 121, 148, 72 und 44Tage) und der Anteil der noch in Krankenhäusern verbliebe-nen Patienten nach der 5jährigen Beobachtungszeit von 22%auf 14%, 10% und 6% zurückfiel. In der Gruppe der 1975aufgenommenen schizophrenen Patienten mußten währendder Beobachtungszeit nur 13% stationär behandelt werden.56% konnten ambulant betreut werden, während 25% keineTherapie mehr benötigten.

Im Gegensatz zur geistigen Behinderung mit einer abnehmen-den Prävalenz zeichnet sich die Schizophrenie durch eine er-staunliche Ähnlichkeit der Symptome in allen Kulturen undeine geringe Varianz der Jahresinzidenzen für beide Ge-schlechter aus14. Sie schwanken um 0,10/1000 mit einem Mini-mum von 0,07/1000 in Aarhus/Dänemark und einem Maixu-mum von 0,14/1000 in Nottingham/UK. Das kumulative Le-benszeitrisiko für Schizophrenie, bei einer weiten Diagnosede-finition lag für Mannheimer Patienten bei knapp unter40/100 000. Es ist also eine relativ seltene Erkrankung, die an-gesichts des bereits geschilderten günstigen Verlaufs wahr-scheinlich nur bei ca. 10% der Betroffenen zu einem so ausge-prägten Abbau der sozialen Fähigkeiten führt, daß eine Betreu-ung notwendig sein könnte.

7. Affektive Psychosen

Affektive Psychosen zeichnen sich aus durch pathologischeVeränderungen des inneren Erlebens mit dem „Syndrom derLosigkeit“ (Lust-, Interessen-, Ziel-, Mut-, Wert-, Freud-,Schlaf- und Appetitlosigkeit) und dem „Gefühl der Gefühllosig-keit“ bei der endogenen Depression und dem „Hochgefühl“ beider Manie sowie ausgeprägten vegetativen Störungen währendder Krankheitsphase15. Typisch für die affektiven Psychosen istder phasenhafte Verlauf mit Krankheitsepisoden von 1 Wochebis zu 18 Jahren Dauer, innerhalb einer vollkommen unauffäl-ligen psychischen Verfassung vor und nach der Krankheits-phase9. Innerhalb einer ca. 20jährigen Beobachtungszeit tretendurchschnittlich 9 Phasen bei den bipolaren (manisch-depres-siven) Formen und nur 4 Phasen bei den monopolaren (reineDepression) Formen auf. Die durchschnittliche Dauer einerPhase beträgt 4,5 Monate bei den bipolaren und 6 Monate beiden monopolaren Formen. Mit einer Morbidität von ca. 0,8%der Bevölkerung (mit einem Verhältnis Frauen:Männer von7:3) gehören die affektiven Psychosen zu den häufigsten psy-chischen Erkrankungen.

Bedingt durch den günstigen Verlauf der endogenen Depres-sionen (relativ kurze Phasen sowie keine psychischen Störun-gen zwischen den Phasen) und gutes Ansprechen auf die The-rapie (Antidepressiva und Psychotherapie) bei jüngeren Pati-enten, führen diese Erkrankungen vor dem 65. Lebensjahr nurin Ausnahmefällen zu einem Abbau sozialer Kompetenzen. ImAlter dagegen (65 Jahre und älter) verschlechtert sich die Pro-gnose der Depression. Bei ca. 20% der Betroffenen kommt eszum ausgeprägten Abbau intellektueller Leistungen. EineÜbersicht der bisher veröffentlichten Studien zu diesemThema16 zeigt, daß ältere Patienten häufiger chronisch verlau-fende Phasen erleben und im Falle einer Besserung die Zahlder Rückfälle im weiteren Verlauf deutlich zunimmt. Diese Pa-tienten sprechen auch schlechter auf die medikamentöse The-rapie an17. Nicht selten entwickelt sich in diesen Fällen das Bildeiner sog. depressiven Pseudodemenz mit einer erheblichenBeeinträchtigung der Aktivitäten des täglichen Lebens undeventuell der Notwendigkeit einer Betreuung. Ungünstig aufden Verlauf der Depression im Alter wirkt sich die Entwicklungvon Wahnsymptomen aus. Die Betroffenen erweisen sich als

besonders therapieresistent17, lehnen fremde Hilfe ab unddrohen zu verwahrlosen.

Stabilisierende Wirkung auf die alten depressiven Menschenzeigt das Erleben praktischer Unterstützung. Die Zahl derHelfenden ist dabei nicht so wichtig wie die Qualität der Hilfe.Die emotionale Unterstützung scheint dagegen eine unter-geordnete Rolle zu spielen18.

Das Alter und mit ihm verbundenen physiologischen (und pa-thologischen) Veränderungen der Funktionen fast aller Or-gane, insbesondere des Kreislaufs (mit Abnahme der Hirn-durchblutung), der Nieren (mit deutlich verzögertem Abbauder meisten Medikamente), des Bewegungsapparates (mit häu-figen Stürzen und Einschränkungen des Bwegungsradiuses)sowie der Seh- und Hörfähigkeit mit Neigung zu illusionärenVerkennungen und zunehmendem Mißtrauen der Umgebunggegenüber, die nichtg richtig gesehen und akustisch verstan-den wird, macht die Betroffenen besonders anfällig für psychi-sche Störungen.

8. Organische Psychosen

Ca. 25% aller über 65jährigen leiden an psychischen Krankhei-ten, wobei sog. organische Psychosen, die durch Hirnerkran-kungen oder Störungen der Hirnfunktion aufgrund somati-scher Erkrankungen (z. B. Unterfunktion der Schilddrüse, Vi-taminmangel, Medikamentenüberdosierung u. ä.), überwie-gend quantitativ an erster Stelle stehen, gefolgt von Neurosenund reaktiven Störungen (meistens in Form einer Depres-sion)19. Diese Zunahme psychischer Krankheiten im Alter istangesichts der demographischen Entwicklung besonders be-deutsam.

9. Demographische Veränderungen

Demographische Veränderungen der Gesellschaft werden an-hand der bisherigen Verläufe in die Zukunft projiziert. Die letz-ten Modellrechnungen des Statistischen Bundesamtes stam-men aus dem Jahre 1986 und geben nur die Entwicklung inden alten Bundesländern wieder. Der drastische Rückgang derGeburtenzahl in den neuen Bundesländern (von 182 000 imJahre 1989 auf ca. 100 000 im Jahre 1990) weist auf eine ähn-liche Entwicklung hin.

Typisch für die Bevölkerungsentwicklung in Deutschland undanderen westlichen Staaten ist die ständige Zunahme desAnteils alter Menschen, was vor allem durch die sinkendeFruchtbarkeit (1987 betrug die sog. Nettoreproduktionsrate –d. h. die Zahl der Geburten auf eine Frau im reproduktionsfähi-gen Alter – 0,639) und weniger auf die Zunahme der Lebenser-wartung zurückzuführen ist20. Bis zum Jahre 2030 wird der ge-schätzte Bevölkerungsstand (in den alten Bundesländern) von56 644 000 (am 1. 1. 1985) auf 42 597 000 zurückgehen, derprozentuale Anteil der über 60jährigen aber von 21,5% auf38% ansteigen. Die Zahl der über 60jährigen, die auf 100 20-bis unter 60jährige kommen, wird sich entsprechend von 38,5auf 81,2 erhöhen20.

AUFSÄTZE18 1/92

14 Häfner, H.: „Ist Schizophrenie eine Krankheit?“. Nervenarzt 60:191–199, 1989

15 Kuhs, H., Tölle, R.: „Symptomatik der affektiven Psychosen (Me-lancholien und Manien)“. S. 71–113. In: Kisker, K.P., Lauter, H.,Meyer, J.-E., Müller, C., Strömgren, E.: „Affektive Psychosen“.Springer, Berlin, 1987

16 Ames, D.: „The prognosis of depression in old age: good, bad or in-different?“. Int. J. Geriat. Psychiat. 6: 477–481, 1991

17 Meyers, B.S.: „Effects of somatic treatment in longitudinal studiesof geriatric depression“. Int. J. Geriat. Psychiat. 6: 687–690, 1991

18 Lam, D.H., Power, M.J.: „Social support in a general practiceelderly sample“. Int. J. Geriat. Psychiat. 6: 89–93, 1991

19 Häfner, H.: „Psychische Gesundheit im Alter“. Fischer, Stutt-gart–New York, 1986

20 Kohli, M.: „Das Altern der Gesellschaft: Demographische Grund-lagen“. Zeitschr. f. Gerontopsychol. und -psychiat. 2: 36–41, 1989

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Parallel zu dieser Entwicklung vollziehen sich erhebliche Ver-änderungen der Familienstrukturen. Die Zahl der alten Famili-enmitglieder nimmt zu (die Ehepaare haben zum ersten Mal inder Geschichte der Menschheit mehr lebende Elternteile alsKinder), die Familie wird sich vertikal ausdehnen (bis zu 5 Ge-nerationen in einer Familie) bei gleichzeitiger horizontaler Be-schneidung (immer weniger Personen in einer Generation)21.Die Zahl der verwitweten alten Menschen wird ungefähr kon-stant bleiben, die der geschiedenen dagegen zunehmen (auf ca.5% im Jahre 2000). Deutlich abnehmen wird die Zahl der un-verheirateten Frauen, was nicht ohne Bedeutung für die Ver-sorgung alter Menschen bleiben wird (1985 waren 29% derüber 35jährigen Frauen, die mit ihren hilfsbedürftigen Elternzusammen lebten, ledig, obwohl diese Gruppe nur 7% der ent-sprechenden Alterspopulation ausmacht). 1962 lebten in Eng-land und Wales 25% der alten verwitweten Menschen mit ver-heirateten Kindern. 1980/81 waren es nur noch 10%. Eine10jährige Longitudinalstudie zeigt, daß über 25% der Männerund 30% der Frauen, die 1971 75 Jahre alt und älter warenund alleine lebten, 1981 entweder in den Institutionen oder beiVerwandten (überwiegend verheirateten Kindern) aufzufindenwaren22. Gleichzeitig aber wünschen sich 88% alter Menschen,die auf fremde Hilfe angewiesen sind, diese Unterstützung vonprofessionellen Diensten. Nur 6% erwartet mehr Hilfe seitensder Angehörigen22.

Diese Zahlen verdeutlichen, daß in der nahen Zukunft einemprozentual unproportional stark wachsendem Anteil alterMenschen immer weniger hilfsbereite Angehörige zur Seitestehen werden, und diese Art der Unterstützung, bedingt durchveränderte Beziehungen in der Familie seitens der Betroffenenimmer seltener gewünscht wird. Dabei ist das Sinken derSterblichkeit und die Verlängerung der Lebenserwartung miteiner zunehmenden Abhängigkeit und Hilfsbedürftigkeit ver-bunden. 1984/85 lag die Zahl der ernsthaft hilfsbedürftigenüber 80jährigen bei 133/1000 im Vergleich mit 16/1000 bei60jährigen und 3/1000 bei Erwachsenen unter 50 Jahren22.Von den somatischen Faktoren sind die Mobilität und erhal-tene Funktionen der Hände zur Vermeidung einer Abhängig-keit im Alter entscheidend. Die Sehkraft und das Gehöhr sinddagegen von untergeordneter Bedeutung. Unter den psychi-schen Beeinträchtigungen spielt die Demenz eine entschei-dende Rolle, gefolgt von Schlaganfall und M.Parkinson (falls diekörperliche Beeinträchtigung durch kognitive Einbußen kom-pliziert wird23.

Das Altern der Gesellschaft und die mit dem Alter zunehmendeAbhängigkeit der psychisch oder somatisch erkrankten altenMenschen werden in die zukünftige Entwicklung prägen.Besondere Bedeutung wird in diesem Zusammenhang dieDemenz haben.

10. Die Demenz

Die Demenz ist als „die“ Erkrankung des Alters anzusehen. AlleFeldstudien zeigen im Bezug auf die Prävalenz der schwerenund mittelgradigen Demenzen eine hohe Übereinstimmung. Inden westlichen Industrieländern leiden 5–8% der über 65jähri-gen an einer Demenz. Mit zunehmendem Alter steigt die Häu-figkeit der Demenzen deutlich an. Von den 65- bis 74jährigensind 4,2% betroffen, dagegen 10,7% der 75- bis 84jährigen und17,3% der über 85jährigen (in einigen Studien wird die Präva-lenz der Demenz bei über 90jährigen auf ca. 30% geschätzt)24.

Die fortschreitende Zerstörung der Nervenzellen des Groß-hirns, die der Demenz zugrundeliegt, führt zum allmählichenAbbau der höheren Funktionen, die für das Leben wesentlichsind. Dazu gehören:

– eine objektiv nachweisbare Beeinträchtigung des Gedächt-nisses, wodurch die Bewältigung alltäglicher Aufgaben er-heblich erschwert wird. Der Betroffene ist nämlich nicht imStande, neue Inhalte zu lernen und die Informationen ausdem Langzeitgedächtnis abzurufen,

– zunehmender Verlust früherer intellektueller Fähigkeiten,vor allem des abstrakten Denkens, des Urteilens und derVerarbeitung der Informationen,

– Veränderungen der Persönlichkeit mit ausgeprägten An-triebsstörungen, starken und unmotivierten Stimmungs-schwankungen, Verlangsamung des psychischen Temposund zunehmendem Verfall der sozialen Fähigkeiten25.

Der demente Mensch wird somit zu einem hilflosen Geschöpf,unfähig seine Situation zu überblicken, kritisch zu bewertenund einfachste Entscheidungen zu treffen. Er kann im späterenStadium der Erkrankung nicht mal primitivste Handlungenzielgerichtet ausführen oder elementare Bedürfnisse, wie Hun-ger, Durst, Harn- oder Stuhldrang und Schmerz als solche er-kennen und entsprechend handeln. Ohne fremde Hilfe ist ernicht existenzfähig, würde schon nach wenigen Tagen sterben.

Noch werden ca. 94% der hilfsbedürftigen über 65jährigenMenschen in den privaten Haushalten versorgt19. Angesichtsder geschilderten demographischen Veränderungen wird aberdie Zahl der „institutionalisierten“ behinderten alten Men-schen deutlich zunehmen. Die meisten von ihnen werdenwegen der dementiellen Einschränkungen auf eine Unterstüt-zung bei der Regelung finanzieller Angelegenheiten, der Ent-scheidung über die Art der Versorgung, bei der Durchführungder Heilmaßnahmen usw. angewiesen, und die größte Gruppeder Betreuten bilden.

21 Hagestad, G.O.: „Familien in einer alternden Gesellschaft: Verän-derte Strukturen und Beziehungen“. Zeitschr. f. Gerontopsychol.und -psychiat. 2: 42–46, 1989

22 Grundy, E.M.D.: „Sociodemographic change and the elderly popu-lation of England and Wales“. Int. J. Geriat. Psychiat. 7: 75–82,1992

23 Kay, D.W.K., Holding, T.A., Jones, B., Littler, S.: „Dependency inold age: a comparison of mental and physical factors“. Int. J. Ge-riat. Psychiat. 6: 833–844, 1991

24 Lauter, H., Kurz, A.: „Demenzerkrankungen im mittleren undhöheren Lebensalter“. In: Kisker, K.P., Lauter, H., Meyer, J.-E.,Müller, C., Strömgren, E.: „Alterspsychiatrie“. Springer, Berlin,1989

25 Lauter, H.: „Die organischen Psychosyndrome“. In: Kisker, K.P.,Lauter, H., Meyer, J.-E., Müller, C., Strömgren, E.: „OrganischePsychosen“. Springer, Berlin, 1988

Kay-Thomas Pohl, Rechtsanwalt und Notar, Berlin

Verfahrenspflegschaft

1. Teil: Bestellung und Tätigkeit des Verfahrenspflegers

Nachdem das Betreuungsgesetz die Verfahrenspflegschafterheblich aufgewertet hat, schlägt der Verfasser vor, diebisherigen Auffassungen über die Bestellung und dieTätigkeit neu zu überdenken. Die Darstellung der durch dasBetreuungsgesetz geänderten Rechtslage ist deshalbverbunden mit dem Hinweis auf Probleme und Unklarhei-ten, die in der Praxis auftreten. Diese ergeben sich vor al-lem aus dem Spannungsverhältnis zwischen einereffektiven Wahrnehmung der Aufgaben des Verfahrens-pflegers, insbesondere bei dessen Ermittlungstätigkeit, undder Wahrung der eigenen Rechte des Betroffenen aufSchutz seiner Privatheit und Achtung seiner Wünsche undVorstellungen.

AUFSÄTZE1/92 19

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In Heft 2 der Zeitschrift

folgen Ausführungen über die Beziehungen zwischenVerfahrenspfleger und Gericht, eine ausführliche Dar-stellung des Rechts der Vergütung und Aufwandsent-schädigung mit Lösungsvorschlägen für die Praxis und einekurze Darstellung der Beendigung der Verfahrenspfleg-schaft.

Einführung

Das Inkrafttreten des Betreuungsgesetzes zum 1. Januar 1992gibt Veranlassung, dem Rechtsinstitut der Verfahrenspfleg-schaft mehr Aufmerksamkeit zu widmen, als dies bisher derFall war.1 Die Verfahrenspflegschaft ist durch das Betreuungs-gesetz nicht neu eingeführt worden – schon nach § 64 b a. F.FGG konnte ein Verfahrenspfleger für Mündel oder Pflege-befohlene bestellt werden, wenn das zur Wahrnehmung ihrerInteressen erforderlich war. Doch von der Vorschrift wurdeselten Gebrauch gemacht. Durch das Betreuungsgesetz ist § 64b FGG aufgehoben worden. Die Bestellung von Verfahrens-pflegern ist jetzt geregelt in § 67 FG für Betreuungssachen undin § 70 b FGG für Unterbringungssachen. Der Pfleger für dasVerfahren wird in einigen weiteren Vorschriften, §§ 69 f und69 k FGG, erwähnt.

Durch die Neuregelung der Voraussetzungen für die Bestellungvon Verfahrenspflegern in §§ 67, 70 b FGG hat das Institut derVerfahrenspflegschaft jetzt große praktische Bedeutung er-langt. Die Zahl der Bestellung von Verfahrenspflegern ist deut-lich gestiegen. Das entspricht der geänderten Rechtslage, dieBestellung des Verfahrenspflegers ist jetzt für eine Vielzahl vonFällen zwingend vorgeschrieben.

Unverändert ist die Rechtslage aber insofern, als das Rechts-institut des Verfahrenspflegers im übrigen ungeregelt ge -blieben ist. Weder in §§ 1909 ff. BGB, noch im Gesetz über dieAngelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit hat der Ge-setzgeber die Rechtsstellung des Verfahrenspflegers geregelt.§§ 67, 70 b FGG setzen wie schon § 64 b a. F. FGG das Recht-sinstitut der Verfahrenspflegschaft als bestehend voraus. In Er-mangelung einer ausdrücklichen Regelung des Rechts der Ver-fahrenspflegschaft läge es nahe, § 1915 BGB anzuwenden. Auf-grund der Verweisung des § 1915 BGB auf das Recht der Vor-mundschaft stünde für die Verfahrenspflegschaft derNormenkomplex zur Verfügung, dessen entsprechende An-wendung für die Pflegschaften der §§ 1909 ff. BGB und dieNachlaßpflegschaft, §§ 1960, 1961 BGB hinreichend Rechts-sicherheit und Praktikabilität für alle Beteiligten ermöglicht.Erstaunlicherweise ist dies für die Verfahrenspflegschaft, ins-besondere in den Kommentierungen zu § 64 b FGG bislangnicht so gesehen worden. Es kann wohl als herrschend zu § 64b a. F. FGG die Ansicht bezeichnet werden, wonach lediglichdie Vorschriften über Vergütungs- und Aufwendungsersatz, §§1835, 1836 BGB über § 1915 BGB Anwendung finden, im übri-gen jedoch eine Anwendung des § 1915 für alle anderen, dasPflegschaftsrecht prägenden Vorschriften, als nicht passendabgelehnt wurde.2 An dieser Auffassung ist richtig, daß vieleder über § 1915 in Bezug genommenen Vorschriften für dieVerfahrenspflegschaft nicht passen. Meines Erachtens ist je-doch die Auffassung, § 1915 BGB verweise für die Ver-fahrenspflegschaft lediglich auf §§ 1835, 1836 BGB, zu eng.Diese Auffassung ist nicht nur rechtssystematisch unbefriedi-gend, weil inkonsequent. Sie wird auch dem praktischen Be-dürfnis, hinsichtlich der rechtlichen Ausgestaltung derVerfahrenspflegschaft im geltenden Recht einigermaßen siche-ren Boden zu finden, nicht gerecht. Der bisher herrschendenMeinung ist sicherlich zuzugestehen, daß eine Vielzahl vonVorschriften des Rechtes der Pflegschaft und Vormundschaftauf die Verfahrenspflegschaft nicht paßt. Es muß dies jedochüber §§ 1935, 1936 BGB hinaus für jede der Vorschriften, aufdie § 1915 BGB verweist, eigens geprüft werden.

Ähnlich wie § 1915 BGB für den Bereich der Pflegschaften,verweist § 1908 i BGB für die Betreuung auf das Recht derVormundschaft – indessen abweichend von § 1915 nichtpauschal, sondern nur auf die in § 1908 i ausdrücklich in Bezuggenommenen Paragraphen. Damrau/Zimmermann3 scheinendavon auszugehen, daß es sich bei der Verfahrenspflegschaftum einen Unterfall der Betreuung handelt und daß deshalb dasVergütungsrecht der §§ 1835, 1836, 1836 a BGB über die Ver-weisung des § 1908 i BGB für die Verfahrenspflegschaft gelte.Das halte ich für unzutreffend. Die Verfahrenspflegschaft istPflegschaft, nicht Betreuung.

Umgekehrt stellt sich allerdings die Frage, ob nicht der Ver-fahrenspfleger, wenn er in Betreuungssachen oder in Unter-bringungssachen für Betreute tätig wird, die Vorschriften desBetreuungsrechts über die Beteiligung des Betroffenen an derFührung der Betreuung entsprechend für eine Beteiligung desBetroffenen bei der Führung der Verfahrenspflegschaft zuberücksichtigen hat, also insbesondere § 1901 BGB ent-sprechend anwenden muß. Rechtssystematisch ist eine solcheentsprechende Anwendung des Betreuungsrechtes schwer zubegründen. § 1915 BGB verweist aber über das Recht derVormundschaft und § 1793 S. 2 BGB auf § 1626 II BGB. Beidessen Auslegung und entsprechender Anwendung im Rah-men der Verfahrenspflegschaft kann der neue § 1901 BGB alsAuslegungshilfe heranzuziehen sein. Was dem Wohl des Be-troffenen dient, kann also auch der Verfahrenspfleger nichtohne Rücksicht auf dessen eigene Wünsche und Vorstellungendefinieren.

I. Bestellung eines Verfahrenspflegers

In § 67 FGG formuliert das Gesetz die Voraussetzungen, unterdenen in Betreuungssachen ein Verfahrenspfleger zu bestellenist. In § 70 b FGG formuliert es die Voraussetzungen, unter de-nen in Unterbringungssachen ein Verfahrenspfleger zu bestel-len ist und bedient sich dabei einer Verweisung auf § 67 FGG.

Ob daneben auch außerhalb des Gebietes der Betreuungs- undUnterbringungssachen die Bestellung von Verfahrenspflegernzulässig ist, ergibt sich aus dem Gesetz nicht. Rechtsmetho-disch besteht sowohl die Möglichkeit, die vorhandenen Rege-lungen, also §§ 67, 70 b FGG für eine enumerative Regelung zuerachten, als auch umgekehrt davon auszugehen, daß der Ge-setzgeber hier die zwei wichtigsten Fälle der Bestellung vonVerfahrenspflegern ausdrücklich geregelt hat und daß dane-ben die Bestellung eines Verfahrenspflegers aufgrund eines indiesen Vorschriften zum Ausdruck gekommenen allgemeinenRechtsgedankens immer dann zulässig sei, wenn dies zurWahrnehmung der Rechte eines Betroffenen in einem gerichtli-chen Verfahren erforderlich ist. In der Vergangenheit ist zu§ 64 b a. F. FGG aus der systematischen Stellung der Vorschriftim Gesetz zum Teil der Schluß gezogen worden, daß die Bestel-lung eines Verfahrenspflegers nach dieser Vorschrift aussch-ließlich für das Verfahren der Zwangsunterbringung nach§ 1800 BGB vorgesehen sei. Das hat die Praxis aber nichtdaran gehindert, auch in anderen Zusammenhängen, z. B. beider Einleitung einer Gebrechlichkeitspflegschaft ohne Zu-stimmung des Betroffenen, einer sogenannten Zwangspfleg-schaft, einen Verfahrenspfleger zu bestellen. Man hat also § 64b FGG nicht für eine abschließende Regelung, sondern für denAusdruck eines allgemeinen Rechtsgedankens gehalten. Mei-nes Erachtens ist dies auch weiterhin zutreffend, da der Ge-

AUFSÄTZE20 1/92

1 vgl. die Kommentierungen zu § 64 b a. F. FGG, jetzt zu § 67 FGG;Jochum/Pohl, Pflegschaft-, Vormundschaft und Nachlaß, stellen inder 1. Auflage ihres Handbuches die Verfahrenspflegschaft nichtdar

2 Keidel/Kuntze/Winkler, Freiwillige Gerichtsbarkeit, 12. Auflage,Rz 3 zu § 64 b

3 Damrau/Zimmermann; Betreuungsgesetz, Rz 19 zu § 67 FGG

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setzgeber in §§ 67, 70 b FGG das Institut der Verfahrenspfleg-schaft als bestehend voraussetzt. Allerdings ist derRegelungsbereich der §§ 67 und 70 b FGG, der alle Be-treuungssachen und alle Unterbringungssachen erfaßt, nun-mehr wesentlich breiter, als dies bei § 64 b FGG der Fall war.

Die Praxis wird zeigen, ob ein Bedürfnis für die Bestellung vonVerfahrenspflegern für (minderjährige) Mündel oder fürPflegebefohlene im Rahmen der noch bestehenden Pflegschaf-ten außerhalb des Bereichs von Unterbringungssachen be-steht. Die Zulässigkeit der Bestellung eines Verfahrenspflegers,soweit dies zur Wahrnehmung der Interessen des Betroffenenerforderlich ist, sollte jedoch auch jenseits der Betreuungs- undUnterbringungssachen nicht voreilig verneint werden.

In der weiteren Darstellung ist zu unterscheiden zwischen densachlichen Voraussetzungen, unter denen ein Verfahrenspfle-ger bestellt werden kann (1) – und hier wiederum zwischenBetreuungs- und Unterbringungssachen (1a, 1c) – und demVerfahren (2), das das Gericht bei der Bestellung eines Verfah-renspflegers einzuhalten hat.

1. Sachliche Voraussetzungen

§§ 67, 70 b FGG definieren die sachlichen Voraussetzungen fürdie Bestellung eines Verfahrenspflegers übereinstimmend wiefolgt: „Soweit dies zur Wahrnehmung der Interessen des Be-troffenen erforderlich ist, bestellt das Gericht dem Betroffeneneinen Pfleger für das Verfahren.“

Das Gericht hat also in den Fällen, in denen die Bestellung ei-nes Verfahrenspflegers erforderlich ist, kein Ermessen, es mußeinen Verfahrenspfleger bestellen. Freilich ist damit das Er-messen – untechnisch gesprochen – nur verschoben auf dieBeurteilung der Erforderlichkeit, soweit das Gesetz nicht in Re-gelbeispielen die Erforderlichkeit ausdrücklich für einzelneFallgruppen festschreibt.

a) Vorrang des Verfahrensbevollmächtigten

Sowohl in Betreuungssachen als auch in Unterbringungs-sachen besteht Anlaß zur Prüfung, ob die Bestellung einesVerfahrenspflegers erforderlich sei, dann nicht, wenn der Be-troffene von einem Rechtsanwalt oder einem anderen ge-eigneten Verfahrensbevollmächtigten vertreten wird, §§ 67 IS. 3, 70 b I S. 2 FGG. Die Bestellung eines Verfahrenspflegersstellt wie jede Betreuer- oder Pflegerbestellung nicht nur eineHilfe, sondern zugleich auch einen Eingriff in die Rechte desBetroffenen dar. Der Betroffene selbst ist gemäß § 66 FGG un-eingeschränkt verfahrensfähig in allen Verfahren, die die Be-treuung betreffen. In Unterbringungssachen gilt entsprechen-des, wenn der Betroffene das 14. Lebensjahr vollendet hat, §70 a FGG. Die Bestellung eines Verfahrenspflegers, der nebendem Betroffenen und unabhängig von diesem im Verfahrentätig ist, um dessen Interessen wahrzunehmen, schränkt des-sen Verfahrensfähigkeit zwar rechtlich nicht ein, stellt aberdoch faktisch eine Beeinträchtigung der Selbständigkeit desBetroffenen dar. Dem trägt das Gesetz dadurch Rechnung, daßeine vom Betroffenen selbst gewählte Form der Interessen-wahrnehmung, insbesondere die Bevollmächtigung einesRechtsanwaltes oder eines anderen Verfahrensbevollmächtig-ten vorrangig gegenüber der Verfahrenspflegschaft ist.

§ 67 I S. 3 FGG ist als Sollvorschrift gefaßt, die Bestellung einesVerfahrenspflegers „soll“ unterbleiben oder aufgehoben wer-den, wenn der Betroffene von einem Rechtsanwalt oder einemanderen geeigneten Verfahrensbevollmächtigten vertretenwird. Die Verwendung des Wortes „soll“ bedeutet in der Geset-zessprache, daß im Regelfall die Bestellung eines Verfahrens-pflegers in diesen Fällen unterbleiben muß. Nur in besonderszu begründenden Ausnahmefällen darf trotz Vorhandenseinseines Verfahrensbevollmächtigten ein Verfahrenspfleger be-stellt werden. Der Umstand z. B., daß der bevollmächtigteRechtsanwalt oder Verfahrensbevollmächtigte beabsichtigten

Handlungen des Gerichts entgegentritt, Rechtsmittel einlegt,Beweisanträge stellt, um, sei es eine Betreuung, sei es eineZwangsunterbringung zu verhindern, kann die Bestellung ei-nes Verfahrenspflegers neben ihm nicht begründen, sie wäremißbräuchlich. Allenfalls dann, wenn der Bevollmächtigte dieInteressen des Betroffenen in keiner Weise wahrnimmt, alsountätig bleibt, dürfte die Bestellung eines Verfahrenspflegersneben der Bevollmächtigung zulässig sein.

Größer ist der Beurteilungsspielraum des Gerichts, wenn derVerfahrensbevollmächtigte kein Rechtsanwalt ist, das Gerichtalso zu prüfen hat, ob es sich um einen „geeigneten“ Ver-fahrensbevollmächtigten handelt. In diesen Fällen ist die Be-stellung eines Verfahrenspflegers neben dem Bevollmächtigtenzulässig, wenn dieser zur Wahrnehmung der Interessen desBetroffenen „nicht geeignet“ erscheint. Ist ein Anwalt beauf-tragt, ist dem Gericht eine Prüfung der Eignung versagt.

Hat der Betroffene keinen Rechtsanwalt und keinen anderengeeigneten Verfahrensbevollmächtigten bestellt, ist in die Prü-fung gemäß §§ 67, 70 b FGG einzutreten, wobei die Voraus-setzungen der Bestellung eines Verfahrenspflegers für Be-treuungssachen und Unterbringungssachen unterschiedlichgeregelt sind.

b) Betreuungssachen

In Betreuungssachen hebt das Gesetz drei Fallgruppen hervor,in denen die allgemeine Regelung des § 67 I S. 1 FGG „soweitdies zur Wahrnehmung der Interessen des Betroffenen erfor-derlich ist, bestellt das Gericht dem Betroffenen einen Pflegerfür das Verfahren“ beispielhaft konkretisiert wird. Die Bestel-lung ist danach insbesondere erforderlich, ohne daß das Ge-richt insoweit einen Beurteilungsspielraum hätte, wenn

„1. von der persönlichen Anhörung des Betroffenen nach § 68II FGG abgesehen werden soll“

Diese Fallgruppe bezieht sich auf das Verfahren bei derBestellung eines Betreuers oder der Anordnung eines Ein-willigungsvorbehaltes. Hier schreibt § 68 FGG die Anhörungdes Betroffenen zwingend vor, regelt jedoch zwei Ausnahme-fälle.

Die persönliche Anhörung kann unterbleiben, wenn nachärztlichem Gutachten hiervon erhebliche Nachteile für die Ge-sundheit des Betroffenen zu besorgen sind. Dieser Fall wirdnach den bisher mit der Gebrechlichkeitspflegschaft und derEntmündigung gemachten Erfahrungen nur selten eintreten.Die persönliche Anhörung kann aber auch dann unterbleiben,wenn der Betroffene nach dem unmittelbaren Eindruck desGerichtes offensichtlich nicht in der Lage ist, seinen Willenkundzutun. Schon in den ersten Monaten der Geltung desBetreuungsgesetzes zeigt die Praxis, daß von dieser Aus-nahmevorschrift oft Gebrauch gemacht wird. Hält das Gerichtaus einem der beiden vorerwähnten Gründe die persönlicheAnhörung des Betroffenen nicht für möglich, muß es einenVerfahrenspfleger bestellen, der alsdann persönlich oderschriftlich gehört wird. Das Unterbleiben einer Anhörung inden Fällen des § 69 d FGG fällt nicht unter diese Fallgruppe.

Die zweite Fallgruppe umschreibt das Gesetz wie folgt:

„2. wenn Gegenstand des Verfahrens die Bestellung eines Be-treuers zur Besorgung aller Angelegenheiten des Betroffenenoder die Erweiterung des Aufgabenkreises hierauf ist,“

„Alle Angelegenheiten“ in diesem Sinne sind die gesamteVermögens- und Personensorge mit Ausnahme der Einwil-ligung in eine Sterilisation (für die immer ein besonderer Pfle-ger bestellt werden muß, § 1905 BGB) und mit Ausnahme derEntscheidung über den Fernmeldeverkehr und das Anhaltender Post, § 1896 BGB. Diese Fallgruppe läßt aber nicht den Um-kehrschluß zu, daß es eines Verfahrenspflegers immer dann

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nicht bedarf, wenn nur einzelne Aufgabenkreise für den Be-treuer ins Auge gefaßt sind. Insbesondere in dem in der Ver-gangenheit häufigen Fall, daß die wichtigsten Aufgabenkreise,nämlich die Vermögensangelegenheiten, Wohnungsangele-genheiten, Zustimmung zur Heilbehandlung und Aufenthalts-bestimmung dem Betreuer übertragen werden sollen, sindzwar formal nicht „alle Angelegenheiten“, wohl aber alle we-sentlichen Angelegenheiten des Betroffenen Gegenstand desVerfahrens, so daß auch in diesem Fall die Bestellung einesVerfahrenspflegers zwingend erforderlich ist.

Alsdann hat der Gesetzgeber die Bestellung eines Verfahrens-pflegers für unverzichtbar erachtet

„3. wenn der Gegenstand des Verfahrens eine Einwilligung desBetreuers in die Sterilisation ist.“

Dieses Fallbeispiel setzt voraus, daß ein Betreuer mit demAufgabenkreis „Einwilligung in die Sterilisation“ bereits be-stellt ist, in die Sterilisation einwilligt und die gerichtliche Ge-nehmigung dieser seiner Einwilligung beantragt.

Jenseits dieser Regelbeispiele des § 67 FGG kommt die Be-stellung eines Verfahrenspflegers auch sonst vor der Bestellungeines Betreuers oder der Erweiterung seines Aufgabenkreisesund auch im Rahmen anhängiger Betreuungen vor wichtigengerichtlichen Entscheidungen in Betracht. Hier muß derGrundsatz gelten, daß die Bestellung des Verfahrenspflegersum so dringender erforderlich ist, je weniger der Betroffene inder Lage ist, seine Interessen selbst wahrzunehmen, je eindeu-tiger erkennbar ist, daß die beabsichtigten gerichtlichen Hand-lungen gegen seinen natürlichen Willen erfolgen und je schwe-rer und nachhaltiger der beabsichtigte Eingriff in die Rechtedes Betroffenen ist.

Umgekehrt kann es gegen die Bestellung eines Verfahrens-pflegers sprechen, wenn der Betroffene selbst die Bestellung ei-nes Betreuers beantragt hat oder bei der Anhörung durch dasGericht zu erkennen gibt, daß er mit der beabsichtigten ge-richtlichen Maßnahme einverstanden ist. Bei wenigerwichtigen Entscheidungen, kann die Bestellung eines Ver-fahrenspflegers unterbleiben. Insbesondere im Bereich derVermögenssorge bedarf es gerichtlicher Genehmigungen, z. B.betreffend Geldanlagen, Vermögensumschichtung, Erwerbvon Wertpapieren etc., hinsichtlich derer es zur Wahrnehmungder Interessen des Betroffenen meistens nicht erforderlicherscheint, daß das Gericht ihm einen Pfleger für das Ge-nehmigungsverfahren bestellt. Die Bestellung eines Verfah -renspflegers dürfte auch z. B. für das Verfahren zur Bewil-ligung einer Vergütung für den Betreuer unverhältnismäßigsein. Ist allerdings die Genehmigung von Entscheidungen desBetreuers beabsichtigt, die erheblich in die Lebensführung desBetroffenen eingreifen, ist die Bestellung eines Verfahrens-pflegers ernsthaft in Erwägung zu ziehen – etwa, wenn dieEntscheidung ansteht, die bisherige Wohnung des Betroffenengegen dessen natürlichen Willen aufzugeben. In den Fällen des§ 69 d FGG ist vor allem, wenn eine Anhörung des Betroffenenunterbleibt, nach diesen Kriterien von Fall zu Fall zu prüfen, obein Verfahrenspfleger erforderlich sei.

c) Unterbringungssachen

§ 70 b FGG regelt die sachlichen Voraussetzungen der Be-stellung eines Verfahrenspflegers in Unterbringungssachen.Soweit die Unterbringung oder freiheitsentziehende Maß-nahme, § 1906 BGB, im Rahmen einer Betreuung erfolgt,enthält § 70 b FGG kaum Besonderheiten gegenüber derallgemeinen Regelung in § 67 FGG. Die Vorschrift gilt aber –außerhalb des Betreuungsrechts – auch für UnterbringungenMinderjähriger, sei es durch Eltern, Vormünder oder Er-gänzungspfleger und die Anordnung einer freiheitsentziehen-den Unterbringung nach den Landesgesetzen über die Unter-bringung psychisch Kranker. Für diese Unterbringungssachenwiederholt § 70 b I FGG zunächst den allgemeinen Grundsatz,

wonach ein Pfleger für das Verfahren zu bestellen ist, „soweitdies zur Wahrnehmung der Interessen des Betroffenen erfor-derlich ist.“

§ 70 b I S. 2 FGG verweist ferner auf das Regelbeispiel des§ 67 I S. 2 Nr. 1 FGG. Die Bestellung eines Verfahrenspflegersist damit für alle Unterbringungssachen zwingend vorgeschrie-ben, in denen das Gericht auf eine persönliche Anhörung desBetroffenen verzichtet, sei es weil es gesundheitliche Schädenvon der Durchführung der Anhörung befürchtet, sei es weil dasGericht nach dem persönlichen Eindruck, den es sich ver-schafft hat, davon ausgeht, daß der Betroffene nicht in der Lagesei, seinen Willen kundzutun.

Darüber hinaus ergibt sich aber aus § 70 b II FGG, daß nachdem Willen des Gesetzgebers auch in Unterbringungssachen,in denen der Betroffene persönlich angehört wird, die Be-stellung eines Verfahrenspflegers nicht die Ausnahme,sondern die Regel ist. Bestellt das Gericht dem Betroffenen kei-nen Pfleger für das Verfahren, so ist dies in der Entscheidungzu begründen, wenn eine Unterbringungsmaßnahme getroffenwird. Von der Bestellung eines Verfahrenspflegers kann in derRegel also dann abgesehen werden, wenn das Gericht eine Un-terbringungsmaßnahme gar nicht beabsichtigt. Wird eine Un-terbringungsmaßnahme ernsthaft erwogen, erst recht, wenneine Unterbringungsmaßnahme auch tatsächlich getroffenwird, hat das Gericht im Regelfall einen Verfahrenspfleger zubestellen. Ausnahmefälle, die alsdann vom Gericht besonderszu begründen sind, dürften dann vorliegen, wenn die betrof-fene Person eines Verfahrenspflegers nicht bedarf, weil sie ihreInteressen im Verfahren selbst wahrnehmen kann. Dies wirdaber selten der Fall sein, weil unter den Voraussetzungen, un-ter denen eine Zwangsunterbringung oder eine freiheitsentzie-hende Maßnahme zulässig ist, in der Regel zugleich die Fähig-keit des Betroffenen, seine Interessen im Verfahren wahrzu-nehmen, beeinträchtigt ist. Nach Auffassung von Damrau/Zim-mermann4 soll die Bestellung bei „einfach gelagerter Verfah-renssituation nicht erforderlich“ sein. Der Gesetzgeber habe §70 b II FGG in der Erwartung formuliert, daß die Richter ausBequemlichkeit im Regelfall einen Verfahrenspfleger bestell-ten, um die Mühe der Begründung zu vermeiden.“ Meines Er-achtens ist diese Argumentation zu kurz gegriffen.

Eine einfach gelagerte Verfahrenssituation als Begründung fürdie Überflüssigkeit einer Bestellung eines Verfahrenspflegerserscheint als bedenkliches Argument. Nach dem Grundsatz des§ 70 b I S. 1 FGG kommt es darauf an, ob die Bestellung „zurWahrnehmung der Interessen des Betroffenen erforderlich“ist. Dies kann nur so verstanden werden, daß der Ver-fahrenspfleger immer erforderlich ist, wenn der Betroffeneseine Interessen nicht selbst wahrnehmen kann. Die im Rah-men des § 67 FGG zulässige Argumentation, daß inBagatellfällen, also bei unwesentlichen Eingriffen in Rechte desBetroffenen die Wahrnehmung seiner Interessen eine Be-stellung eines Verfahrenspflegers nicht erfordere, kann bei Un-terbringungssachen nicht gelten. Unterbringungen oder frei-heitsentziehende Maßnahmen sind niemals Bagatellsachen.Deshalb hat der Gesetzgeber durch § 70 b Abs. 2 FGG zum Aus-druck gebracht, daß die Einschränkung der Rechte des Betrof-fenen im Unterbringungsverfahren immer so erheblich ist, daßunter diesem Aspekt die Bestellung eines Pflegers erforderlichist. Entscheidungskriterium kann also nicht die Erheblichkeitdes Eingriffs, sondern nur sein, ob der Betroffene seine Rechteselbst wahrnehmen kann. Daß die Notwendigkeit der Unter-bringung dem Gericht aufgrund „einfach gelagerter Verfah-renssituation“ bereits festzustehen scheint, ist in diesem Zu-

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4 Betreuungsgesetz, Rz 11 zu § 70 b FGG

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sammenhang keine hilfreiche Erwägung. Der Eindruck einersolchen einfach gelagerten Verfahrenssituation kann geradedadurch entstehen, daß weder der Betroffene noch der – nichtbestellte – Verfahrenspfleger diejenigen Gesichtspunkte hataufzeigen können, die die Annahme einer solchen einfach gela-gerten Verfahrenssituation beeinträchtigt hätten.

2. Verfahren der Bestellung

Da das FGG in den §§ 67, 70 b lediglich die sachlichen Vor-aussetzungen regelt, unter denen ein Verfahrenspfleger zu be-stellen ist, fehlt es an einer ausdrücklichen Regelung des Ver-fahrens, das bei der Bestellung einzuhalten ist und auch an ei-ner Normierung der Grundsätze für die Auswahl des Ver-fahrenspflegers.

a) Auswahl des Verfahrenspflegers

Da der Verfahrenspfleger Rechte des Betroffenen in einem ge-richtlichen Verfahren wahrzunehmen hat, wird es in vielenFällen sachgerecht sein, eine Rechtsanwältin oder einenRechtsanwalt zu bestellen, die gemäß § 3 der Bundesrechts-anwaltsordnung die „berufene(n) Berater und Vertreter in al-len Rechtsangelegenheiten sind“.

Aus dem Umstand, daß der Gesetzgeber in §§ 67, 70 b FGGnicht die Beiordnung eines Rechtsanwaltes, sondern die Be-stellung eines Verfahrenspflegers vorsieht, muß aber geschlos-sen werden, daß auch andere Personen als Verfahrenspflegerin Betracht kommen, insbesondere solche, die die Lebensver-hältnisse der Betroffenen kennen.

Nach allgemeiner Auffassung steht die Auswahl des Ver-fahrenspflegers im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichtes.Auch wenn man entgegen der herrschenden Auffassunggemäß § 1915 BGB das Recht der Vormundschaft ent-sprechend auf die Verfahrenspflegschaft anwendet, wird mandoch zu dem Ergebnis kommen müssen, daß die Vorschriftenüber die Berufung des Vormundes nicht entsprechend an-wendbar sind. Im Hinblick auf den speziellen Wirkungskreisfür die nur vorübergehende Tätigkeit des Verfahrenspflegerskommt es auf verwandtschaftliche Bindungen weniger als aufdie generelle Eignung an. Zu beachten ist aber meinesErachtens die Verweisung des § 1915 BGB auf die Vorschriftdes § 1779 BGB, die die allgemeinen Kriterien für die Auswahleines geeigneten Vormundes regelt. Danach ist ähnlich wienach § 1897 BGB, der die Auswahl des Betreuers regelt, einePerson zu bestellen, die geeignet ist, in dem hier in Redestehenden Wirkungskreis der Wahrnehmung der Rechte imVerfahren die Angelegenheiten des Betreuten zu besorgen. Da-bei hat das Gericht auf die Gefahr von Interessenkonflikten undandererseits auf die persönlichen Bindungen der betroffenenPersonen Rücksicht zu nehmen. Eine Person, die das Ver-trauen des Betroffenen genießt und geeignet scheint, im Ver-fahren all das vorzutragen, was aus der Sicht des Betroffenenerheblich scheint, ist auch dann geeignet, wenn sie über kein-erlei juristische Kenntnisse verfügt. Die Kenntnis der Lebens-verhältnisse des Betroffenen ist für die Wahrnehmung der In-teressen des Betroffenen von sehr großer Bedeutung.

Andererseits dürfen nicht solche Personen zum Verfahrens-pfleger bestellt werden, die an der beabsichtigten gerichtlichenMaßnahme, z. B. der Einleitung einer Betreuung oder einerzwangsweisen Unterbringung ein eigenes Interesse habenoder sogar bereits bekundet haben. Vorsicht ist bisweilen an-gebracht, wenn Personen aus Berufen zum Verfahrenspflegerbestellt werden sollen, bei denen der Wille und die Aufgabe zuhelfen so sehr im Vordergrund stehen, daß sie – in durchausguter Absicht – dazu neigen können, den Eingriff in Rechteder betroffenen Personen, der mit dieser Hilfe verbunden ist,gering zu schätzen oder nicht wahrzunehmen.

Sind im sozialen Umfeld der betroffenen Personen geeignetePersonen nicht vorhanden, und dies wird in Großstädten oftder Fall sein, wird das Gericht in aller Regel zur Bestellung ei-

nes Anwaltes oder einer Anwältin schreiten müssen, weil diesekraft ihrer Ausbildung und ihrer beruflichen Stellung in beson-derer Weise geeignet und berufen sind, Rechte in gerichtlichenVerfahren wahrzunehmen.

b) Bestellungsakt

Das FGG sieht einen besonderen Bestellungsakt für die Be-stellung des Verfahrenspflegers nicht vor. Ähnlich wie bei derAuswahl des Verfahrenspfleger läge es auch hier nahe, gemäߧ 1915 BGB der Verweisung auf §§ 1789, 1791 BGB zu folgenund davon auszugehen, daß der Verfahrenspfleger vom Ge-richt durch Verpflichtung zu treuer und gewissenhafterFührung der Pflegschaft bestellt wird und eine Bestallung er-hält.5 Entsprechend ist die Praxis bislang nicht verfahren undhat es vielmehr genügen lassen, daß das Gericht durch eineentsprechende Verfügung, in der Regel durch einen Beschluß,die Bestellung des Verfahrenspflegers vornimmt. Anordnungder Pflegschaft, Auswahl des Pflegers und dessen Bestellungfielen hier also schon in der Vergangenheit in einem Akt zu-sammen. Der Beschluß muß, um wirksam zu werden, dem Be-troffenen und dem Verfahrenspfleger bekannt gemacht wer-den, § 16 FGG.

Benötigt der Verfahrenspfleger tatsächlich keine Bestallungs-urkunde? Richtig ist an der bisherigen Praxis, daß der Ver-fahrenspfleger sich gegenüber dem Gericht, das ihn bestellt hatund in dem gerichtlichen Verfahren, in dem er die Rechte desBetroffenen wahrnimmt, nicht zu legitimieren braucht, alsoauch eine Bestallungsurkunde nicht benötigt. Der Verfahrens-pfleger hat aber, will er die Interessen des Betroffenen wirksamwahrnehmen, Ermittlungen anzustellen, sowohl hinsichtlichder geistigen, seelischen und psychischen Befindlichkeit desBetroffenen, als auch, wenn es um die Einleitung einer Betreu-ung geht, hinsichtlich der Erforderlichkeit bestimmter Aufga-benkreise oder, wenn es um eine Zwangsunterbringung geht,hinsichtlich etwaiger Vorfälle, in denen sich eine Selbst- oderFremdgefährdung, die vom Betroffenen ausgeht, manifestierthaben kann. Der Verfahrenspfleger hat sich bei dieser Ermitt-lungstätigkeit unter Umständen gegenüber dem Hausarzt, ei-nem Heim oder einer Klinik, aber auch gegenüber Behördenund Privatpersonen zu legitimieren, wenn er Informationenüber den Betroffenen, seinen Pflegebefohlenen, zu beschaffenbeabsichtigt. Wenn es in der Vergangenheit durch das Fehleneiner Bestallungsurkunde nicht zu Unzuträglichkeiten gekom-men ist, so wohl deshalb, weil in der Regel eine Ablichtung desgerichtlichen Beschlusses über die Bestellung des Verfahrens-pflegers als Ersatz einer solchen Bestallungsurkunde ausge-reicht hat. Will die Praxis an dieser Verfahrensweise festhal-ten, darf der Bestellungsbeschluß aber keinerlei Informationenüber den Betroffenen enthalten, deren Offenbarung gegenüberDritten unzulässig wäre.

Fraglich erscheint mir auch, ob eine entsprechende An-wendung des § 1789 BGB unterbleiben darf, und zwar geradedann, wenn Personen, die nicht den Anwaltsberuf ausüben,zum Verfahrenspfleger bestellt werden. Wodurch, wenn nichtdurch eine persönliche Verpflichtung, die mit einer Belehrungund Beratung einhergeht, sollen sie über ihre Rechte undPflichten als Verfahrenspfleger belehrt werden? Die Ver-pflichtungsverhandlung, die schon in der Vergangenheit ge-genüber Berufspflegern, insbesondere Rechtsanwälten als For-malie empfunden wurde, ist bei der Verpflichtung von ehren-amtlich tätigen Personen, insbesondere von Angehörigen oderBekannten, die nur einmal in ihrem Leben ein solches Amt aus-üben, keine leere Förmlichkeit, sondern vielmehr erforderlichund hilfreich. Die bislang herrschende Meinung, daß es einesVerpflichtungsaktes gegenüber dem Verfahrenspfleger nicht

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5 anders die h. M., z. B. Keidel/Kuntze/Winkler, a. a. O. Rz 3 zu § 64b, Bassenge/Herbst, FGG, 6. Auflage, Anm. 6 zu § 67 FGG

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bedarf, sollte noch einmal überprüft und überdacht werden,zumal der Gesetzgeber in § 69 b FGG die Bedeutung dieser per-sönlichen Verpflichtung für den Betreuer besonders hervorge-hoben hat.

c) Zeitpunkt der Bestellung

Wann das Gericht den Verfahrenspfleger zu bestellen hat, re-geln §§ 67, 70 b FGG nicht. Die Bestellung hat aber möglichstfrühzeitig zu erfolgen. Dies ergibt sich aus § 69 f I FGG, wonachdie Bestellung des Verfahrenspflegers in der Regel auch schonvor dem Erlaß einstweiliger Anordnungen zu erfolgen hat undnur bei Gefahr im Verzuge die einstweilige Anordnung vor derBestellung des Verfahrenspflegers zulässig ist.

Andererseits ist das Gericht nicht verpflichtet, sogleich beiEinleitung des Verfahrens den Verfahrenspfleger zu bestellen.Dies zu unterlassen, ist insbesondere sinnvoll, wenn das Ge-richt zunächst nur Anfangsermittlungen anstellt, um zu prüfen,ob überhaupt eine in die Rechte des Betroffenen eingreifendeEntscheidung ernsthaft in Betracht kommt. Sobald das Gerichtaber eine solche Entscheidung in Betracht zieht, muß es auchüber die Bestellung des Verfahrenspflegers entscheiden. Diesist auch im Hinblick auf die mit dem gerichtlichen Verfahrenfür den Betroffenen verbundenen Kosten wichtig. Der Verfah-renspfleger hat im Rahmen seines Wirkungskreises zu prüfen,ob die Bewilligung von Prozeßkostenhilfe zu beantragen ist. DaProzeßkostenhilfe nicht rückwirkend bewilligt wird, bedarf eseines solchen Antrages frühzeitig, insbesondere, bevor das Ge-richt Sachverständigengutachten einholt und dadurch erhebli-che Kosten verursacht.

d) Rechtsmittel

Gegen die Bestellung eines Verfahrenspflegers ist das Rechts-mittel der Beschwerde sowohl dem Betroffenen als auch demVerfahrenspfleger selbst – wenn er nicht zuvor in seineBestellung eingewilligt hat – gegeben, §§ 19, 20 I, 69 g FGG.

II. Wirkungskreis

Der Wirkungskreis des Verfahrenspflegers wird anders alsbei anderen Pflegschaften und anders als beim Aufgabenkreisdes Betreuers im Akt der Anordnung der Pflegschaft und derBestellung des Pflegers nicht ausdrücklich definiert. Er ergibtsich unmittelbar aus dem Gesetz. Der Pfleger ist zum Pfleger„für das Verfahren“ bestellt worden, weil dies „zur Wahr-nehmung der Interessen des Betroffenen“ erforderlich war.Damit lautet sein Wirkungskreis stillschweigend „Wahr-nehmung der Interessen des Betroffenen im anhängigenVerfahren“.

Seine Tätigkeit steht in unmittelbarem Bezug zu dem Gegen-stand des Verfahrens. Geht es um die Einleitung einer Betreu-ung oder die Erweiterung des Aufgabenkreises des Betreuers,ist es die Aufgabe des Verfahrenspflegers, zu versuchen, eineunrechtmäßige Einleitung einer Betreuung, eine unrecht-mäßige Erweiterung des Aufgabenkreises oder eine unrecht-mäßige Anordnung eines Einwilligungsvorbehaltes zu verhin-dern. Entsprechendes gilt für Unterbringungssachen. Auchhier hat der Verfahrenspfleger darauf zu achten, daß Unter-bringungsmaßnahmen oder freiheitsentziehende Maßnahmennicht zu Unrecht ergehen, insbesondere dann, wenn durch we-niger eingreifende Maßnahmen eine etwa drohende Gefahr ab-gewendet werden kann.

1. Wahrnehmung von Verfahrensrechten

Der Verfahrenspfleger ist befugt, im gerichtlichen Verfahrenalle Anträge zu stellen und Anregungen zu geben, die er fürsachdienlich hält. Dies gilt insbesondere für Beweisanträge, er-forderlichenfalls auch für eine Richterablehnung, aber auch imHinblick auf die Kostenfolgen des Verfahrens. In derHauptsache muß der Verfahrenspfleger entscheiden, ob er

z. B. beantragt, eine vom Betreuer begehrte gerichtliche Ge-nehmigung zu versagen. Er kann, wenn er das für sachgerechthält, auch erklären, er stelle „keinen Antrag“. Das Gericht hatdem Verfahrenspfleger rechtliches Gehör zu gewähren undihm alle Auskünfte, Gutachten, „Anträge“ etc. zur Stellun-gnahme zuzuleiten und ihm auf Antrag Akteneinsicht zu ge-währen.

Hat der Verfahrenspfleger durch persönliche Rücksprache mitseinem Pflegebefohlenen den Eindruck gewonnen, daß dieserentgegen dem unmittelbaren Eindruck des Gerichts doch in derLage ist, in beschränktem Umfang seinen Willen kundzutunoder wichtige Informationen zu erteilen, hat er auf einepersönliche Anhörung durch das Gericht hinzuwirken. Einemittelbare Anhörung des Betroffenen über seinen Ver-fahrenspfleger und die mittelbare Einbringung von Infor-mationen, die der Verfahrenspfleger vom Betroffenen selbst er-halten hat, in das gerichtliche Verfahren ist nicht der Sinn derVerfahrenspflegschaft. Der Gesetzgeber wollte, daß das Ge-richt – wenn irgend möglich und sinnvoll – persönlich anhört.Sollte der Verfahrenspfleger den Eindruck gewinnen, daß dieAnordnung der Verfahrenspflegschaft dazu benutzt wird, einemittelbare Anhörung über den Verfahrenspfleger an Stelleder Anhörung des Betroffenen selbst durchzuführen, muß erdiesem Vorgehen widersprechen.

In Betreuungssachen wird der Verfahrenspfleger jeweils nurfür eine Instanz bestellt. Das Gesetz hebt jedoch in § 67 II FGGausdrücklich hervor, daß seine Bestellung die Einlegung undBegründung eines Rechtsmittels umfaßt. Der vom Vormund-schaftsgericht bestellte Verfahrenspfleger ist damit in der Lage,auch wenn er für die Beschwerdeinstanz (noch) nicht bestelltist, eine Entscheidung des Gerichtes durch die Beschwerde an-zufechten und dieses Rechtsmittel zu begründen. Jede andereRegelung hätte allerdings auch die Verfahrenspflegschaft zurFarce gemacht. Entsprechend kann der vom Beschwerdege-richt bestellte Verfahrenspfleger ggf. weitere Beschwerde ein-legen und diese begründen, noch bevor er gegebenenfalls vomOberlandesgericht für die dritte Instanz wiederum zum Verfah-renspfleger bestellt worden ist.

Ist der Verfahrenspfleger für das Verfahren zur Einleitung ei-ner Betreuung bestellt und wird die Betreuung eingeleitet,nimmt er auch am sogenannten Schlußgespräch teil, § 68 IVFGG.

2. Prozeßkostenhilfe

Der Wirkungskreis „Wahrnehmung der Rechte des Betroffenenim anhängigen Verfahren“ umfaßt auch die Stellung vonAnträgen auf Gewährung von Prozeßkostenhilfe und dieAbgabe der Erklärung über die persönlichen und wirtschaft-lichen Verhältnisse des Pflegebefohlenen. Neben den Ge-richtskosten können in erheblichem Umfang Kosten durchSachverständigengutachten entstehen. Erfüllt der Betroffenedie persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für dieGewährung von Prozeßkostenhilfe, hat der Verfahrenspflegereinen entsprechenden Antrag auf Gewährung von Prozeß-kostenhilfe frühzeitig zu stellen. Prozeßkostenhilfe ist imBetreuungsverfahren und auch in Unterbringungssachen unterden Voraussetzungen der §§ 14 FGG, 144 ff. ZPO zu gewähren.In diesem Zusammenhang kann der Verfahrenspfleger auchdie Beiordnung eines Rechtsanwaltes beantragen. Ist derVerfahrenspfleger selbst Rechtsanwalt, kann er für den Fallder Gewährung von Prozeßkostenhilfe seine eigene Bei-ordnung betreiben, ist er selbst nicht Rechtsanwalt, hält eraber die Vertretung der Interessen des Pflegebefohlenen durcheinen Anwalt für geboten, ist ihm sowohl die Erteilung einerAnwaltsvollmacht als auch die Stellung eines Beiordnungs-antrages, gegebenenfalls über den bevollmächtigten Rechts-anwalt möglich.

Praktische Schwierigkeiten sind dabei für den Verfahrenspfle-ger zu gewärtigen, da der Pflegebefohlene oft nicht in der Lage

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und bisweilen auch nicht bereit ist, bei der Abgabe der Er-klärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhält-nisse mitzuwirken und die hierfür erforderlichen Informatio-nen und Belege zur Verfügung zu stellen. Auch wenn man da-von ausgeht, daß die Bestellung zum Verfahrenspfleger auchdie Berechtigung umfaßt, Prozeßkostenhilfe zu beantragen unddie Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Ver-hältnisse abzugeben, nutzt dies dem Verfahrenspfleger wenig,wenn er die erforderlichen Angaben über Einkommens- undVermögenssituation nicht zu machen vermag. Ist dieVerfahrenspflegschaft im Rahmen einer bereits bestehendenBetreuung angeordnet, ist das Problem der Abgabe der Er-klärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhält-nisse dann leicht lösbar, wenn der Betreuer den Aufgabenkreis„Vermögensangelegenheiten“ innehat. Er ist dann verpflichtet,dem Verfahrenspfleger die nötigen Auskünfte zu geben und fürden Fall der Mittellosigkeit des Betreuten bei der Abgabe derErklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Ver-hältnisse mitzuwirken und die erforderlichen Belege zurVerfügung zu stellen. Das Gericht wird dem Verfahrenspflegernachlassen müssen, daß er die Erklärung über die persön-lichen und wirtschaftlichen Verhältnisse seines Pflegebe-fohlenen erst nach geraumer, zur Ermittlung der Verhältnisseerforderlicher Zeit nachreicht.

3. Gegenstand des Verfahrens

In der formalen Wahrnehmung der erörterten Befugnisse er-schöpft sich die Aufgabe des Verfahrenspflegers nicht. Im Rah-men des Gegenstandes der gerichtlichen Verfahrens hat er in-haltlich zur Berechtigung und Erforderlichkeit der beab-sichtigten gerichtlichen Maßnahme vorzutragen. Geht es umdie Einleitung einer Betreuung, die Erweiterung des Auf-gabenkreises des Betreuers oder die Anordnung eines Ein-willigungsvorbehaltes, hat der Verfahrenspfleger zu densubjektiven Voraussetzungen in der Person des Betroffenen,zur Erforderlichkeit der beabsichtigten Maßnahme, aber auchzur Person des auszuwählenden Betreuers Stellung zu neh-men. Er hat insbesondere zu prüfen, ob die beabsichtigte ge-richtliche Maßnahme tatsächlich erforderlich ist oder nichtdurch andere, weniger in die Rechte des Betroffenen ein-greifende, unter Umständen rein tatsächliche Hilfestellungenabgewendet werden kann.

Entsprechendes gilt, wenn Gegenstand des Verfahrens die Er-teilung einer gerichtlichen Genehmigung zu beabsichtigtenMaßnahmen des Betreuers im Rahmen einer bestehenden Be-treuung ist. Dabei kann es sich entsprechend dem Regel-beispiel in § 67 I S. 2 Nr. 3 FGG um eine Einwilligung in eineSterilisation handeln. Hier hat der Verfahrenspfleger u. a. zuprüfen, ob tatsächlich die Sterilisation dem Willen der betreu-ten Person nicht widerspricht und ob eine Sterilisation geradeder betreuten Person und nicht etwa des Partners oder derPartnerin vorrangig in Betracht zu ziehen ist.

Ist Gegenstand des Verfahrens eine Heilbehandlungsmaß-nahme oder ein sonstiger ärztlicher Eingriff, wird es Aufgabedes Verfahrenspflegers sein, zu ermitteln, ob dieser Eingrifftatsächlich erforderlich ist, mit welchen Gefahren er verbun-den ist und ob alternative Behandlungsmethoden bestehen.Geht es um die Kündigung und Auflösung der Wohnung, oderdie Veräußerung der vom Betreuten bewohnten Wohnung,wird es Aufgabe des Verfahrenspflegers in erster Linie sein, zuprüfen, ob diese Maßnahme nicht verhindert und die selbst-ändige Haushaltsführung etwa durch Hauspflegemaßnahmenoder sonstige Hilfen beibehalten werden kann.

In Unterbringungssachen wird der Verfahrenspfleger in ersterLinie zu prüfen haben, ob die beabsichtigte Unterbringungoder freiheitsentziehende Maßnahme tatsächlich erforderlichist und ob nicht andere, weniger eingreifende Maßnahmen undHilfen zur Verfügung stehen oder beschafft werden können.

Diese Aufzählung zeigt, daß eine Wahrnehmung der Interessendes Betroffenen im Rahmen des Gegenstandes des gericht-lichen Verfahrens um so wirkungsvoller möglich ist, je besserder Verfahrenspfleger die persönlichen Verhältnisse der be-troffenen Person kennt. Ist der Verfahrenspfleger mit diesenVerhältnissen nicht ohnehin vertraut, weil er aus dem sozialenUmfeld des Betroffenen stammt, kann er sich diese Informatio-nen nur durch eigene Ermittlungstätigkeit verschaffen,hinsichtlich derer weitgehend ungeklärt ist, in welchem Um-fang eine Verpflichtung und eine Befugnis des Verfahrenspfle-gers zu derartigen Ermittlungen besteht.

Die beispielhaft geschilderten Erwägungen und Ermittlungenhat zwar das Gericht von Amts wegen anzustellen. Der Verfah-renspfleger hat dem Gericht diese Aufgabe weder abzuneh-men, noch parallel zum Gericht dessen Arbeit noch einmal zuleisten. Aber um im Interesse des Betroffenen aus dessen Sichtwichtige Umstände vortragen, Hinweise und Anregungen ge-ben und gegebenenfalls Beweisanträge stellen zu können, mußsich der Verfahrenspfleger zunächst selbst sachkundig ge-macht haben.

4. Ermittlungen des Verfahrenspflegers

Bei der Verfahrenspflegschaft zeigt sich besonders kraß einProblem, das bei allen Pflegschaften und auch bei Betreuungenmit eingeschränkten Wirkungs- bzw. Aufgabenkreisen regel-mäßig auftritt: Zur Wahrnehmung der Rechte innerhalb einesbestimmten Wirkungs- oder Aufgabenkreises ist es häufig er-forderlich, Informationen aus dem persönlichen undwirtschaftlichen Umfeld der betroffenen Person zu ermittelnund zu verwerten. Die Definition des nach dem Willen des Ge-setzgebers möglichst eingeschränkten Wirkungs- bzw.Aufgabenkreises des Pflegers oder Betreuers kann die Mög-lichkeiten zur Erfassung solcher Informationen einschränken.Wie z. B. verschafft sich der Ergänzungspfleger, der zurWahrnehmung der Rechte im Ehelichkeitsanfechtungs-verfahren bestellt ist, die nötigen Informationen, um einenProzeßkostenhilfeantrag zu stellen? Wie verschafft sich derPfleger oder Betreuer, der zur Vertretung im Zwangsvoll-streckungsverfahren bestellt ist, die erforderlichen Informatio-nen, die ihn in die Lage versetzen, die eidesstattlicheVersicherung zur Offenbarung des Vermögens seinesPflegebefohlenen abzugeben? Welche Befugnisse hat der Be-treuer mit dem Wirkungskreis „Vermögensangelegenheiten“,sich in der Wohnung des Betreuten in den Besitz von Un-terlagen, Urkunden und Wertgegenständen zu setzen, die erzur Wahrnehmung seiner Aufgaben benötigt und in welchemUmfang darf er zu einer Durchsuchung der Wohnung schrei-ten? Vor ähnlichen Fragen steht der Verfahrenspfleger. Will ereinen Antrag auf Prozeßkostenhilfe stellen, hat er eine Er-klärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Ver-hältnisse abzugeben. Beinhaltet sein Wirkungskreis zugleich,daß er die dafür erforderlichen Ermittlungen bei Renten-versicherungsträgern, Kreditinstituten etc. anstellen darf?Vertritt der Verfahrenspfleger in einem Verfahren, in dem esum die Bestellung eines Betreuers oder die Anordnung einesEinwilligungsvorbehalts geht, kommt es unter anderem auf dasVorliegen einer psychischen Krankheit oder einer körper-lichen, geistigen oder seelischen Behinderung des Betroffenenan. Ist der Verfahrenspfleger deshalb berechtigt, vom Haus-arzt, sonstigen behandelnden Ärzten, Krankenhäusern etc.Auskünfte über den Gesundheitszustand einzuholen? Dürfenumgekehrt die behandelnden Ärzte davon ausgehen, daß siegegenüber dem Verfahrenspfleger von ihrer Schweigepflichtbefreit sind? Soll eine Betreuung eingeleitet werden, weil derBetroffene mehrfach mit fälligen Zahlungen, z. B. von Mietzinsund Energiekosten in Rückstand gekommen ist oder weil erseine Konten erheblich überzogen hat: Werden die Kredit-institute dem Verfahrenspfleger Auskunft über Kontostände,bestehende Daueraufträge und in der Vergangenheit vomBetroffenen selbst oder von Bevollmächtigten getroffene

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Verfügungen erteilen? Wären sie dazu berechtigt? WärenVertragspartner des Betroffenen, insbesondere Vermieter,Energieversorgungsbetriebe etc. berechtigt oder gar ver-pflichtet, dem Verfahrenspfleger Auskunft über bestehendeEinzugsermächtigungen und die aufgrund derselben vor-genommenen Einzüge zu erteilen? Ist Anlaß für eine Unter-bringung ein selbst- oder fremdgefährdender Vorfall, denPolizeibehörden aufgenommen oder in dem die Feuerwehr er-ste Hilfe geleistet hat – darf der Verfahrenspfleger die Akteneinsehen oder sonst Auskünfte verlangen und darf umgekehrtdie tätig gewordene Behörde ihm diese Unterlagen zurVerfügung stellen?

Alle diese Fragen sind ungeklärt. Die §§ 67, 70 b FGG enthalteneine Regelung insoweit nicht und sie ergibt sich auch nicht ausden Beschlüssen der jeweils zuständigen Gerichte, mit denensie Verfahrenspfleger bestellen. Ebenso wie die Einleitungeiner Verfahrenspflegschaft nicht nur eine Hilfe für denBetroffenen darstellt, sondern zugleich in seine Rechte ein-greift, setzt sich dieses Spannungsverhältnis bei der Frage derErmittlungstätigkeit des Verfahrenspflegers fort. Er kann dieInteressen des Betroffenen nur dann effektiv wahrnehmen,wenn er über dessen Verhältnisse gut informiert ist. Aber jedeOffenbarung an sich geheimhaltungsbedürftiger oder ver-traulicher Daten, sei es aus dem gesundheitlichen Bereich, seies aus dem Bereich des Vermögens schränkt den Betroffenenin seinem Recht auf informationelle Selbstbestimmung ein.Eine juristische Lösung dieses Problems ist nicht in Sicht6 undkann auch im Rahmen dieses Beitrages nicht geboten werden.In der Praxis wird sich das Problem einstweilen so darstellenund zugleich lösen, daß der Verfahrenspfleger sich um die Er-mittlung der erforderlichen Informationen unter Vorlage einerFotokopie des Beschlusses über seine Bestellung bemüht unddiejenigen Informationen, die er erhält, in seiner Einlassung imgerichtlichen Verfahren verwertet, während er auf diejenigenInformationen, die ihm nicht erteilt werden, verzichtet. Schonaus Zeitgründen wird eine gerichtliche Klärung der aufgewor-fenen Fragen im Einzelfall kaum möglich sein. Das gerichtlicheVerfahren, in dem der Verfahrenspfleger tätig ist, wird in allerRegel abgeschlossen sein, bevor er, wenn er dies versucht, eineanderweitige gerichtliche Entscheidung darüber hat her-beiführen können, ob z. B. der Hausarzt seines Pflegebefohle-nen ihm gegenüber auskunftspflichtig und auskunftsberechtigtsei. Ist nach alledem ungeklärt, ob und in welchem Umfang derVerfahrenspfleger berechtigt und verpflichtet ist, selbst dietatsächlichen Umstände, die für die gerichtliche Entscheidungerheblich sind, zu ermitteln, hängt von einer Klärung dieserFragen doch in erheblichem Umfang ab, ob und in welchemUmfang der Verfahrenspfleger tatsächlich effektiv die Interes-sen seines Pflegebefohlenen wahrzunehmen in der Lage ist.Dabei gehe ich davon aus, daß es eigener Ermittlungen desVerfahrenspflegers häufiger bedarf, weil die Erhebung der er-forderlichen Informationen bei seinem Pflegebefohlenen aufSchwierigkeiten stößt. Insbesondere dann, wenn die gericht-liche persönliche Anhörung zu Recht unterbleibt, wird derBetroffene dem Verfahrenspfleger nur in sehr beschränktemUmfange Informationen erteilen können. Bisweilen sindAngehörige vorhanden, die die erforderlichen Informationenerteilen können und dies auch bereitwillig tun. Das ist aber beiweitem nicht die Regel. Gerade bei alleinstehenden Personenobliegt es dann häufig dem Verfahrenspfleger, zu ermitteln,damit er seinerseits die Ermittlungen des Gerichts durchAnträge und Hinweise im Sinne des Betroffenen zu beein-flussen und erforderlichenfalls zu ergänzen vermag.

5. Beteiligung des Pflegebefohlenen

Nach dem Willen des Gesetzgebers soll der Verfahrenspfleger,ebenso wie der Betreuer, Helfer und nicht Vormund des Be -troffenen sein. Gleichwohl ist er an dessen Weisungen nicht ge-bunden. Der Verfahrenspfleger hat aber zu beachten, daßseine Bestellung die Verfahrensfähigkeit des Betroffenen un-

berührt läßt. In Betreuungssachen, und zwar sowohl imVerfahren über die Einleitung einer Betreuung, als auch inallen späteren Verfahren im Rahmen der Betreuung ist derBetroffene ohne Rücksicht auf seine Geschäftsfähigkeit ver-fahrensfähig, § 66 FGG. Auch in Unterbringungssachen sindalle Personen, die das 14. Lebensjahr vollendet haben, ver-fahrensfähig, § 70 a FGG. Diese Verfahrensfähigkeit desBetroffenen, der neben und unabhängig vom Verfahrens-pfleger im Verfahren agieren kann, hat der Verfahrenspflegerzu beachten. Gemäß §§ 1915, 1793, 1626 II BGB hat derVerfahrenspfleger auch bei geschäftsunfähigen Personen imRahmen des vorhandenen Bedürfnisses und der vorhandenenFähigkeit zu selbständigem verantwortungsbewußtemHandeln deren Wünsche und Vorstellungen zu berücksichti-gen. Die Rechtslage ist also ähnlich, wie sie sich für denBetreuer aus § 1901 BGB ergibt. Da es der ausdrücklicheWille des Gesetzgebers des Betreuungsgesetzes war, die -Eigenständigkeit der von Betreuungen und Pflegschaften Be-troffenen und die Berücksichtigung ihrer Wünsche und ihrereigenen Vorstellungen von ihrem Wohl zu stärken, wird esentgegen der bisher herrschenden Auffassung keinen Weggeben, der daran vorbeiführt, die Verweisung des § 1915 BGBauf §§ 1793 und 1626 II BGB für die Verfahrenspflegschaft zubeachten.

Danach hat der Verfahrenspfleger insbesondere mit demBetroffenen persönlichen Kontakt aufzunehmen und zunächsteinmal dessen Willen und die im Zusammenhang mit demGegenstand des Verfahrens bedeutsamen tatsächlichen Ver-hältnisse zu erforschen. Er hat alsdann im Verfahren alle die-jenigen Tatsachen und Umstände vorzutragen, die für die vomBetroffenen selbst gewünschte Entscheidung des Gerichtessprechen. Der Verfahrenspfleger ist allerdings nicht darangehindert, auch solche Umstände und Tatsachen vorzutragen,die dem Betroffenen aus dessen Sicht ungünstig oder nach-teilig erscheinen, wenn der Pfleger davon überzeugt ist, damitim wohlverstandenen Interesse seines Pflegebefohlenen zuhandeln.

Dies gilt auch für die Einlegung von Rechtsmitteln gegen die imgerichtlichen Verfahren getroffenen Entscheidungen. Auchhier ist der Verfahrenspfleger nicht an Weisungen des Betroffe-nen gebunden. Er braucht gegen seine eigene Überzeugung aufdessen Wunsch hin ein Rechtsmittel nicht einzulegen und kannvon ihm an der Einlegung eines Rechtsmittels auch nicht ge-hindert werden. Meines Erachtens sollte aber der Verfahrens-pfleger, wenn er ein vom Pflegebefohlenen gewünschtesRechtsmittel nicht für völlig unangemessen oder völlig unbe-gründet hält, den vom Pflegebefohlenen geäußerten Wünschenanalog §§ 1626 II, 1901 BGB Rechnung tragen, soweit der Be-troffene der Unterstützung des Pflegers zur Einlegung und Be-gründung des Rechtsmittels bedarf. Ansonsten kann der Be-troffene darauf verwiesen werden, das Rechtsmittel selbst ein-zulegen und zu begründen.

6 Jürgens/Kröger/Marschner/Winterstein, Das neue Betreuungs-recht, Rz 96, sprechen von „Unsicherheiten und Schwierigkeiten“.

AUFSÄTZE26 1/92

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Zur Praxis an den Gerichten:Dezernat 16 zeigt Überlastung an

An das Präsidium des Amtsgerichtes Celle

Hiermit zeigen wir, Richterin am Amtsgericht Pommerien alsordentlich zuständige Richterin, Richter am Amtsgericht Bet-tex als stellvertretend zuständiger Richter, die Überlastung desDezernats Nr. 16 infolge des seit dem 01. 01. 1992 geltendenBetreuungsgesetzes an. Der vom neuen Betreuungsrecht ver-besserte Rechtsstandard für die von dem Gesetz Betroffenenerfordert eine ganz erhebliche Mehrarbeit, die allein mit derbisherigen richterlichen Arbeitskraft nicht geleistet werdenkann. Zur Zeit ist nicht mehr sichergestellt, daß dringend erfor-derliche Entscheidungen rechtzeitig gefällt werden. Die Art derim Betreuungsrecht zu treffenden richterlichen Entscheidun-gen läßt es im Regelfall nicht zu, dieses erst nach geraumerFrist zu fällen. Schon jetzt droht die Übersicht über ablaufendeUnterbringungsfristen und die Sicherstellung von eiligen vor-läufigen Entscheidungen verlorenzugehen.

Zur Erläuterung sei auf folgendes hingewiesen:

Die richterlichen Geschäfte im Vormundschaftsdezernatwurden bisher nach folgendem Pensenschlüssel bewertet:

Vormundschafts- und Pflegschaftssachen:

10 000 laufende Verfahren, in Celle ca. 3000 bis 4000 = 33%des Dezernats.

Unterbringungssachen:

500; in Celle (PsychKG und FGG Unterbringungen): rund 250 =50% des Dezernats.

X-er Sachen

(Pensenschlüssel 4000) in Celle 400 Sachen = 10% des Dezer-nats.

Dazu kamen früher Adoptionssachen, Abschiebehaftsachenund Zwangsgeldverfahren.

Dieser Pensenschlüssel ist nicht mehr geeignet, den vornehm-lich anfallenden Betreuungssachen zugrundegelegt zu werden.Vielmehr dürfte folgendes zu berücksichtigen sein:

Die Betreuung ist an die Stelle von Pflegschaften und Vormund-schaften getreten, zu welch letzteren es bisher erst nach einemEntmündigungsverfahren gekommen war. Die Entmündi-gungssachen zählten bisher wie C-Sachen. Ein richterlichesPensum sind mithin 600 Sachen.

Im vergangenen Jahr sind schätzungsweise 250 neue Gebrech-lichkeitspflegschaften angefallen. Dazu waren ca. 40 Entmün-digungen gekommen, so daß bereits die neuen Betreuungs-sachen nach dem vorgenannten Schlüssel 50% des Dezernatsausmachen würden.

Nach neuem Recht sind alle Betreuungssachen spätestensnach 5 Jahren mit demselben Verfahrensaufwand wie bei Ein-leitung der Betreuung zu überprüfen. Das bedeutet bei 3000Sachen pro Jahr 600 Überprüfungen laufender Verfahren.

Damit ergeben sich bereits zusammen an laufenden und neuenBetreuungssachen 850 Sachen, mithin mehr als ein überlaste-tes Zivildezernat.

Zu den bisherigen 50% des Dezernats ausmachenden Unter-bringungsgenehmigungen kommen nach neuem Recht die Ge-nehmigungen für Fixierungen, Bettgitter oder medikamentöseRuhigstellung sowie Genehmigungen bei langfristiger Vergabevon Medikamenten, die zu Schäden führen können. Da diese

Verfahren erst anlaufen, können genaue Zahlen nicht genanntwerden. Es muß aber davon ausgegangen werden, daß sichletztlich die Zahl der Unterbringungsgenehmigungen im weite-ren Sinne insgesamt verdoppelt, mithin folglich allein ein vollesRichterdezernat ausmacht.

Hierzu kommen noch die vom Rechtspfleger jetzt auf den Rich-ter übergegangenen Ablösungen bisheriger Pfleger/Vormün-der bzw. Betreuer und die Einsetzung neuer Betreuer. Auchdieser Arbeitsanfall läßt sich noch nicht abschätzen. Das Ge-setz schreibt für den Regelfall die persönliche Anhörung desBetreuten vor. Mit 100 Fällen und damit einer Dezernatsbela-stung von 20% muß aber auch hier gerechnet werden.

Bei allem ist zu berücksichtigen, daß noch offen ist, ob eineEinrichtung einer Betreuung bzw. deren Überprüfung nachspätestens 5 Jahren im Schnitt tatsächlich nur den Arbeitsauf-wand einer durchschnittlichen Zivilprozeßsache ausmacht.Der Gesetzgeber hat vorgeschrieben, daß der Betreute in je-dem Falle anzuhören ist und nach Möglichkeit vor Ort. Selbstwenn man diese Vorschrift weit auslegt, zwingen die Umständevielfach dazu, vor Ort zu fahren. Alte und gebrechliche Men-schen können nicht ohne weiteres im Gerichtszimmer vorge-führt werden. Für Unterbringungen und Fixierungsgenehmi-gungen gilt dasselbe in erhöhtem Maße; diese Genehmigungenlassen sich ohne Überprüfung vor Ort nicht durchführen.

Die Verfahren sind im Gegensatz zu früher erheblich schwer-fälliger dadurch geworden, daß das Gesetz zwingend die Ein-holung von Gutachten vorschreibt und sich nicht mehr mitbloßen ärztlichen Zeugnissen zufriedengibt. Die Einholung derGutachten macht einen vermehrten Arbeitsaufwand amSchreibtisch erforderlich. Im Raum Celle stehen nicht genü-gend qualifizierte Gutachter zur Verfügung. Es gibt nur fünfniedergelassene Psychiater. Für die Überprüfung und Geneh-migung von Fixierungen und Bettgittern, vornehlich in Alters-heimen, sind zusätzliche Gutachten erforderlich, die im Regel-fall von den zuständigen Hausärzten kaum mit ausreichendemSachverstand oder schon aus Zeitgründen nicht qualifiziert ge-nug abgegeben werden.

Abgesehen davon, daß die Richter nicht die Zeit finden, sich indie komplizierte Gesetzestechnik einzulesen und dazu erschei-nende Literatur pünktlich zu verfolgen, haben die jetzt mitwir-kungspflichtigen Behörden, Ärzte, Betreuer, Pflegeheime undBehinderteneinrichtungen einen hohen Informationsbedarf,den sie mangels anderer Quellen ebenfalls bei den Richtern zustillen versuchen.

Es ist schlechterdings nicht möglich, diesen Anforderungen mitdem bisherigen Personalaufwand gerecht zu werden. Auch inder Vertretungszeit muß im Vormundschaftsdezernat prak-tisch fast voll durchgearbeitet werden, da die wenigsten Ent-scheidungen aus der Natur der Sache heraus einen Aufschubvon 2 bis 3 oder gar 4 Wochen dulden. Wegen der neuen ge-setzlichen Regelungen ist es auch nicht verantwortbar, wie inden Vorjahren während der Urlaubszeit den laufenden Akten-umlauf mehr oder weniger der Kontrolle des Geschäftsstellen-beamten anzuvertrauen. Die für das Geschäftsverteilungsjahr1992 bereits erfolgte Reduzierung des richterlichen Dezernatshat im wesentlichen lediglich den Arbeitsüberhang vermin-dert, der bereits nach altem Recht zu bewältigen war. Das neueRecht ist auch mit dem reduzierten Zuschnitt des Dezernatsvon einem Richter nicht zu verwirklichen. Es bedarf minde-stens einer halben Richterkraft mehr, nach obigen Ausführun-gen tatsächlich aber einer vollen Richterkraft mehr.

Wir bitten das Präsidium dringend, Abhilfe zu schaffen, erfor-derlichenfalls höheren Orts wegen des akuten Mangelfallsvorstellig zu werden.

Celle, den 23. März 1992

Pommerien Bettex(Richterin am Amtsgericht) (Richter am Amtsgericht)

KURZBEITRÄGE1/92 27

KURZBEITRÄGE

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Alfons Wenker, Rechtspfleger

Neue Bundesländer (I): Erste Erfahrungen mit dem Betreuungs-recht in Mecklenburg-VorpommernPraktiker wissen, daß ein völlig neu konzipiertes Recht bei sei-ner Anwendung Startschwierigkeiten hat. Das gilt auch für dasBetreuungsgesetz, zumal es von den damit befaßten Berufs-gruppen ein neues und interdiszizplinäres Denken verlangt.Wenn dann noch die Probleme hinzukommen, die sich durchdie Übernahme eines völlig neuen Rechtssystems ergeben, sinddie Kollegen in den neuen Bundesländern nicht zu beneiden.Von November 1990 bis Februar 1991 hat der Verfasser dieKreisgerichte im Bezirk Neubrandenburg beim Aufbau derVormundschaftsgerichte unterstützt und im März 1992 dieKollegen bei den Kreisgerichten mit dem neuen Recht vertraut-gemacht.

Das größte Problem bei den Gerichten ist der fast völlige Man-gel an Rechtspflegern. Die Gerichtssekretäre, die nach einemdreimonatigen Lehrgang mit den Rechtspflegeraufgaben be-auftragt worden sind, haben meist noch eine große Zahl weite-rer Rechtsgebiete zu bearbeiten und erledigen sehr oft zusätz-lich die gesamte Geschäftsstellenarbeit. Wenn man berücksich-tigt, daß die alltäglichen Arbeitsmaterialien, wie z. B. Register,Geschäftskalender und notwendige Formulare fehlen, wundertman sich, daß überhaupt ein akzeptabler Arbeitsablauf ge-währleistet wird. Die Richter, die Rechtspflegeraufgaben mit-übernommen haben, sind mit diesem breiten Spektrum anArbeitsgebieten oft völlig überlastet; in manchen Fällen bleibtdann auch der Mut zur Entscheidung auf der Strecke.

Die Vormundschaften für Volljährige und die Gebrechlichkeits-pflegschaften wurden nach DDR-Recht bei den staatlichenNotariaten geführt; es handelte sich hier somit nicht um einegerichtsspezifische Aufgabe. Nur die staatlichen Notare, diejetzt bei den Geichten als Rechtspfleger arbeiten, können aufErfahrungen aus dem Vormundschafts- und Pflegschaftsrechtaufbauen. Aber auch sie müssen sich auf die völlige Neukon-zeption des Rechts einstellen. Nach DDR-Recht hatte die An-ordnung der Gebrechtlichkeitspflegschaft zur Folge, daß derBetroffene im Rahmen des festgesetzten Wirkungskreises einernicht geschäftsfähigen Person gleichstand. Der Pfleger war seingesetzlicher Vertreter. Bei den staatlichen Notariaten wurdenrelativ wenige Gebrechlichkeitspflegschaften geführt; häufigerwaren Abwesenheitspflegschaften für Bürger, die sich in denWesten abgesetzt hatten und deren Grundbesitz verwaltet oderverwertet wurde. Vormundschaften für Minderjährige wurdenbei den Jugendämtern geführt; hiermit waren weder die staat-lichen Notariate noch die Kreisgerichte befaßt.

Mecklenburg-Vorpommern hat zum 1. 1. 1992 ein Landesaus-führungsgesetz um BtG erlassen. Danach sind die Landrätebzw. die Bürgermeister der kreisfreien Städte Betreuungs-behörde. Eine überörtliche Betreuungsbehörde wurde nochnicht geschaffen. Die meisten Landräte hatten drei Monatenach dem Inkrafttreten des BtG aber noch nicht entschieden,welchem Dezernat die Betreuungsbehörde zugeordnet werdensoll. Einige Landräte bevorzugten die „Jugendamtslösung“, an-dere liebäugelten mit der „Sozialamtslösung“. Den Landrätenwar oft nicht bewußt, daß bei der Zuordnung zum Sozialdezer-nat die Mitarbeiter der Betreuungsbehörde vielfach in Interes-senkonflikte geraten können, wenn sie für ihren Betreuten z. B.Sozialhilfeleistungen gegen die Rechtsauffassung ihres Amts-leiters diesem gegenüber durchsetzen müssen. Einziges Ar-beitsmaterial der Kollegen bei der „vorläufigen“ Betreuungs-behörde war bis März 1992 vielfach nur der Gesetzestext desBtG in der Form der Veröffentlichung des Bundesgesetzblattes.Daß bei diesen Schwierigkeiten eine effektive Arbeit unmöglichist, liegt auf der Hand, zumal durch die Diskussion von eventu-ell geplanten Änderungen der kommunalen Gliederung – Auf-lösung bzw. Zusammenlegung von Kreisen – manche Plan-

stellen nicht besetzt werden konnten. Jedoch ist eine effektivarbeitende Betreuungsbehörde unverzichtbar, alleine wennman an die Mithilfe bei der Zuführung zur Unterbringunggemäß § 70 Abs. 5 FGG denkt. Der Landkreistag Mecklenburg-Vorpommern hat im Februar 1992 Schulungsmaßnahmen fürdie Mitarbeiter der Betreuungsbehörden angemahnt. Letzteresind auch dringend erforderlich, da die Kollegen in den neuenBundesländern nicht auf Berufserfahrungen aus der Vormund-schafts- und Pflegschaftsarbeit aufbauen können.

Die Diskussion des Betreuungsgesetzes in der Öffentlichkeit hatin manchen Bereichen zu Verunsicherung geführt. Leiter vonAltenheimen reichten massenweise Anregungen auf Bestellungvon Betreuern für ihre Heimbewohner ein. Alleinige Aufgaben-kreise sollten vielfach die Beantragung von Sozialhilfeleistun-gen und die Verwaltung des Taschengeldes sein. Zum einenstellt sich hier die Frage, ob eine Betreuung tatsächlich erfor-derlich ist und zum anderen fehlen geeignete Betreuer. Die Mit-arbeiter der Betreuungsbehörde sind bei den geschildertenSchwierigkeiten wohl kaum in der Lage, die persönliche Be-treuung im Sinne des § 1897 Abs. 1 BGB zu gewährleisten;allenfalls kann die Behörde gemäß § 1900 Abs. 4 zum Betreuerbestellt werden. Im Bezirk Neubrandenburg arbeitete bis März1992 kein Betreuungsverein und mir ist auch kein Versuch derGründung eines Vereins bekanntgeworden, so daß die Haupt-arbeit bei der Führung der Betreuungen und bei der Gewin-nung neuer Betreuer von der Betreuungsbehörde zu leisten ist.

Die Kollegen in den Landratsämtern und in den Gerichten sindfür eine Unterstützung durch ihre Partnerkreise bzw. Partner-gerichte aus dem Westen sicherlich dankbar. Der Vormund-schaftsgerichtstag e.V., der sich als Interessenvertretung alleram Betreuungsrecht beteiligten Berufsgruppen versteht, bittetdie Kollegen in den neuen Bundesländern, über die dortigenSchwierigkeiten bei der Umsetzung des Gesetzes zu berichten;Anfragen und Schreiben können direkt an den Verfasser ge-richtet werden. Man wird versuchen, im Einzelfall zu helfenund beim Vormundschaftsgerichtstag im Oktober 1992 ge-meinsam Lösungsmöglichkeiten erarbeiten. Eins hat den Ver-fasser trotz aller Schwierigkeiten optimistisch gestimmt: DerEinsatz, mit dem die Kollegen bei den Gerichten und bei denBetreuungsbehörden versuchen, trotz aller Widrigkeiten dertäglichen Praxis, dem Betreuungsgesetz Geltung zu verschaf-fen, ist beachtlich. In den alten Bundesländern hätten schonviele Kollegen unter diesen Umständen resigniert. Diese Erfah-rung sollte allen Praktikern Mut machen, trotz aller Schwierig-keiten mitzuhelfen, daß der Geist des BetreuungsgesetzesWirklichkeit werden kann.

Dr. Rolf Schleicher

Neue Bundesländer (II): Vom Fördererverein Rampe zumBetreuungsverein

Ein Erfahrungsbericht

1. Das Erbe der Stasi

Rampe – ein kleines Dorf in der Nähe von Schwerin –, dieserName hatte zu DDR-Zeiten bei den Bewohnern der heutigenLandeshauptstadt keinen guten Klang. Unweit von Rampe be-fand sich ein großes Stasi-Objekt. Fuhr man die nahegelegeneUferstraße am Schweriner See entlang (anhalten war streng-stens verboten), versuchte man wohl, zwischen den Bäumenhindurch, etwas von dem zu erspähen, was da drin vor sichging. Aber man sah nur Wachtürme und graue Häuserblocks,nirgends Menschen!

Heute hat jeder freien Zutritt zu dem weiträumigen Gelände.Und man trifft ständig Menschen, meist junge Leute, die hier

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arbeiten oder wohnen. Es sind Behinderte, die im heutigenDiakoniewerk Rampe „Neues Ufer“ gGmbH betreut und um-sorgt werden.

Bürger aus Rampe und Umgebung hatten sich nach der Wendeim Oktober 1989 zusammengefunden, um zu erreichen, daßaus dem Stasi-Objekt eine Gesundheits- und Sozialeinrichtungfür alte und behinderte Menschen wird. Dies war ein zäherKampf gegen alte Machtstrukturen und überholte Denkweisen!Mitunter waren dabei spektakuläre Aktionen erforderlich, beidenen manches Mal die persönliche Sicherheit der Teilnehmerauf dem Spiele stand. Schließlich – Frühjahr 1990 – fiel die Ent-scheidung: Rampe wird eine Sozialeinrichtung.

Um der engagierten Öffentlichkeit ein Mitspracherecht bei derGestaltung der Einrichtung zu sichern, bildete sich im Juni1990 ein Verein – der Fördererverein Rampe „Neues Ufer“ e.V.Seine Mitglieder sind Einwohner aus der Umgebung, An-gehörige von Behinderten, Fachleute und Interessierte. In derSatzung des Vereins heißt es: „Der Satzungszweck wird ver-wirklicht insbesondere durch die Förderung aller Maßnahmenzur Errichtung und Betreibung einer Gesundheits- und Sozial-einrichtung Rampe „Neues Ufer“, die wohltätige und wirksameHilfs-, Förder- und Pflegemaßnahmen für hilfsbedürftige Men-schen und deren Angehörige betreibt“.

2. Die Suche nach neuen Zielen

Heute ist das Diakoniewerk Rampe eine anerkannte Einrich-tung mit einer Werkstatt für Behinderte, einem Wohnheim undeinem integrativen Kindergarten. Der Satzungszweck ist damitim wesentlichen erfüllt. Der Vorstand des Vereins stellte sichdeshalb neuen Aufgaben und Zielen.

Mehrere Vereinsmitglieder hatten inzwischen Pflegschaftenüber Behinderte aus Rampe übernommen. Aus dieser Situationheraus entstand das Bedürfnis, sich näher mit dem neuen Be-treuungsgesetz zu befassen. Durch Zufall erhielten wir Kennt-nis von der Existenz der Beratungsstelle des Lüneburger Ver-eins für Vormünder und Pfleger e.V. (heute: Verein für Be-treuer). Von dort holten wir uns erste Informationen über dieAufgaben einer solchen Dienststelle. Gleichzeitig erfuhren wirvon einem Forschungsvorhaben der Akademie für öffentlichesGesundheitswesen in Düsseldorf. In einem Modellprojekt soll-ten bundesweit 10 Projekte in eine wissenschaftliche Untersu-chung einbezogen werden, die die Förderung ehrenamtlicherTätigkeit im Betreuungswesen zum Ziel hat. Da dieses For-schungsprojekt vom Bundesministerium für Familie und Seni-oren finanziell unterstützt wird, beschloß der Vorstand desFördervereins, sich um eine Beteiligung an diesem Modellpro-gramm zu berwerben und ebenfalls eine solche Beratungsstellezu schaffen. Unserem Antrag wurde stattgegeben. Als nächsteAufgabe ging es darum, Räume für die Dienststelle in der StadtSchwerin zu suchen. Da wir uns vorgenommen hatten, im ge-samten Stadt- un Landkreis tätig zu werden, konnte eine derar-tige Beratungsstelle nur zentral in Schwerin geschaffen wer-den. Durch glückliche Umstände fanden wir auch geeigneteRäume – aber neben der Miete mußte eine größere Summe alsAnteil an den Renovierungskosten übernommen werden. Daswiederum riß ein erhebliches Loch in unsere Vereinskasse, dieja nur von Mitgliedsbeiträgen und Spenden „lebt“.

Mitte November 1991 nahm ich meine Tätigkeit als Leiter der„Beratungsstelle für das Betreuungswesen“ des FördervereinsRampe Neues Ufer e.V. auf. Obwohl ich als früherer Mitarbeiterdes Kreisrehabilitationszentrums Schwerin Erfahrungen inder Arbeit mit Behinderten mitbrachte, waren meine Kennt-nisse auf dem Gebiet des Pflegschafts-/Vormundschaftswesensgering. Also ging es erstmal um das Studium des neuen BtG.

Im Rahmen des Modellprojektes übernahm die Lüneburger Be-ratungstelle die Patenschaft für uns. Folglich hospitierte ichdort für einige Wochen, um erste Einblicke in die praktischeBeratungstätigkeit zu bekommen, aber auch Hinweise zumAufbau einer solchen Stelle.

Weiteres entscheidendes „Rüstzeug“ für meine Arbeit erhieltich dann auf dem I. Koordinations- und Fortbildungstreffender Akademie in Düsseldorf. Am 1. 1. 1992 schließlich wurdedann unsere Beratungsstelle offiziell eröffnet. Am gleichenTage nahm auch eine Mitarbeiterin ihre Halbtagstätigkeit alsSchreibkraft auf.

3. Die Schwerpunkte der Arbeit

Die Tätigkeit einer Beratungsstelle in den neuen Bundeslän-dern muß von der spezifischen Situation ausgehen, die in derDDR auf dem Gebiet des Vormundschafts- und Pflegschaftswe-sens bestand:

1. Es gab praktisch keine ehrenamtlichen Pfleger oder Vor-münder. Die wenigen bestehenden Vormundschaften wurdenvon den staatlichen Notariaten geführt. Pfleger wurden für ihreTätigkeit bezahlt.

2. Im Zusammenhang mit der generellen staatlichen Unter-drückungs- und Bevormundungsstrategie bestand kaum eineprivate Einflußnahme, geschweige denn Mitwirkung in derpraktischen Sozialarbeit. Infolgedessen sind Erfahrungen undKenntnisse auf diesem Gebiet in der Bevölkerung gering.

3. Ein System öffentlicher oder freier Fürsorge fehlte vollkom-men. Infolgedessen gab es auch nur ungenügende Angebote in-frastruktureller Hilfsdienste und Versorgungsleistungen.

Es war deshalb eine umfangreiche Vorarbeit zu leisten, bevordie eigentlichen Aufgaben der Beratungsstelle in Angriff ge-nommen werden konnten.

Als erstes kam es darauf an, die Existenz der Beratungsstellebekanntzumachen und dabei ihr Anlagen und ihre Ziele zu er-läutern. Wir erarbeiteten ein Informations-Faltblatt, das diewichtigsten Angaben über die Beratungsstelle enthielt. Dannstellte ich mich bei allen einschlägigen Behörden und Institu-tionen vor, angefangen vom Kreisgericht über die kommunalenDienststellen bis hin zu Vereien und Pflegeheimen. Dabeisprach ich jeweils die Bitte aus, unser Faltblatt auszulegen oderes an alle interessierten Bürger auszugeben.

Durch eine Presseinformation wurden die Medien über dieArbeitsaufnahme unserer Beratungsstelle unterrichtet. Anläß-lich der feierlichen Eröffnung der Dienststelle fand eine Presse-konferenz statt, deren Ergebnisse sich in mehreren Zeitungs-beiträgen wiederfanden. Auch das regionale Fernsehen sen-dete einen Bericht über die Beratungsstelle, die damals dieerste in Mecklenburg-Vorpommern war. Zahlreiche Vertretervon Behörden und Verbänden, die wir zum großen Teil per-sönlich eingeladen hatten, waren zur Eröffnung erschienen.

An zweiter Stelle ging es darum, eine breite Informationstätig-keit über das Betreuungsgesetz sowie über allgemeine Fragender Sozialgesetzgebung zu entfalten.

Dazu sind folgende Maßnahmen vorgesehen bzw. werden be-reits angeboten:

– tägliche Sprechstunden für die individuelle Beratung– Einführungsveranstaltungen zum BtG– Schulungsveranstaltungen für bestellte Betreuer über ausge-

wählte Fachthemen, z. B. juristischer, medizinischer, psy-chologischer Art.

Um die Fortbildungswünsche von Betreuern und Interessiertenbesser kennenzulernen und damit die Schulungen so effektivwie möglich gestalten zu können, verteilen wir bei allenEinführungsveranstaltungen Handzettel mit Fragen undVorschlägen zur inhaltlichen und formalen Gestaltung vonBildungsmaßnahmen.

Im Rahmen des Modellprojektes ist es nicht vorgesehen, daßdie Fachkraft der Förderstelle selbst Betreuungen übernimmt,da sie nur die sogenannten Querschnittsaufgaben zu erfüllenhat. Beim Fehlen eigener praktischer Erfahrungen im Vor-mundschafts- und Pflegschaftswesen besteht aber die Ver-

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pflichtung, zwei eigene Betreuungen zu übernehmen. DieseForderung ist besonders für die Beratungsstellen in den neuenBundesländern äußerst wichtig, um schnell die nötige Sach-kompetenz zu erlangen.

Weitere Schwerpunkte unserer Arbeit sind:

– Förderung des weiteren Ausbaues des Angebots an infra-strukturellen Hilfen

– Aufbau eines Gesprächskreises für Betreuer– Dokumentation und statistische Bearbeitung der Arbeits-

ergebnisse im Rahmen der Begleitforschung.

4. Wie wirbt man neue Betreuer?

Ein besonderes Anliegen unserer Beratungsstelle ist die Ge-winnung neuer ehrenamtlicher Betreuer. Außer durch allge-meine Öffentlichkeitsarbeit soll dies durch Informations- bzw.Werbeveranstaltungen für ausgewählte Zielgruppen erreichtwerden. Dies sind z. B.: Mitglieder der Lebenshilfe, Angehörigepsychisch Kranker, Selbsthilfegruppen der Vorruheständler,der Arbeitslosen, der Rentner, Studenten bzw. Schüler (-innen)sozialer, medizinischer und evtl. juristischer Berufe. Bei all die-sen Gruppen kann man entweder soziales Engagement voraus-setzen bzw. die Bereitschaft, dies zu entwickeln.

Die Gewinnung ehrenamtlicher Betreuer ist eine komplexeAufgabe. Sie kann weder im Selbstlauf noch durch kurzfristige„Werbeaktionen“ erreicht werden. Wichtigster Ausgangspunktist eine solide, konzeptionell begründete Arbeit der Beratungs-stelle. Wenn es sich herumspricht, daß man hier gut beratenund im Bedarfsfalle auch tatkräftig unterstützt wird, werdendie Erfolge nicht ausbleiben.

5. Die ersten Erfahrungen

Die Beanspruchung unserer Dienststelle mit Einzelberatungenist noch gering. Seit Anfang des Jahres kamen im Durchschnittpro Woche zwei Bürger in unsere Sprechstunde. Die meistenAuskünfte betrafen hilfsbedürftige Angehörige, ohne daß im-mer die konkrete Absicht bzw. Notwendigkeit einer Betreuer-bestellung vorlag. Am zweithäufigsten sprachen Behinderteselbst vor. Die meisten davon kennen mich aus meiner frühe-ren Tätigkeit. Außerdem hatte eine große Schweriner Tages-zeitung fälschlicherweise die Titelzeile gebracht: „Neue Bera-tungsstelle für Behinderte eröffnet“.

Beim Schweriner Vormundschaftsgericht wurden bisher diemeisten Betreuerbestellungen für alte Menschen sowie fürgeistig Behinderte eingerichtet. Im ersten Fall handelt es sichvorwiegend um Gesundheitsfürsorge und Vermögensange-legenheiten, im zweiten um die generelle rechtliche Vertretungder Betroffenen. Die Betreuer sind fast ausschließlich An-gehörige.

Eltern von geistig behinderten jungen Erwachsenen haben oftnoch starke Vorbehalte, sich zum Betreuer für ihre Tochteroder ihren Sohn bestellen zu lassen. Sie empfinden es erneutals eine Bevormundung, daß ihnen das Gericht die Berechti-gung erteilen muß, sich um die Angelegenheiten ihrer An-gehörigen zu kümmern, obwohl sie dies zum Teil schon jahr-zehntelang tun. Auf der anderen Seite erkennen manche Elternnoch nicht, daß ihre Tochter oder ihr Sohn ein volljähriger Bür-ger ist, der vielleicht nur für einzelne Bereiche seiner Lebens-führung eine Betreuung braucht. Sie sehen noch zu sehr das„unmündige Kind“. Hier ist noch viel Aufklärung und Infor-mation nötig.

6. Die staatlichen Behörden hinken hinterher

Kritische Bemerkungen sind zu machen über die Arbeit derkommunalen und überörtlichen Behörden in bezug auf das Be-treuungswesen. In der Stadt Schwerin wie im Landkreis wurdebis heute – im April 92 – noch keine Betreuungsbehörde einge-richtet. Das Sozialministerium des Landes hat noch keineFörderrichtlinien für Betreuungsvereine erarbeitet.

Diese Defizite behindern nicht nur die praktische Arbeit imBetreuungswesen. Es drohen auch die Innovationsansätze desBetreuungsgesetzes ins Leere zu laufen, wenn nicht bald ent-sprechende Festlegungen erfolgen. Andererseits denke ich,daß gerade in den neuen Bundesländern mangels traditionellerStrukturen und routinehafter Verfahrensweisen im Vormund-schafts- und Pflegschaftswesen die Chance bestünde, eine Or-ganisationsstruktur zu schaffen, die den Erfordernissen desneuen Betreuungsgesetzes voll Rechnung trägt. Dazu gehört,daß die örtliche Betreuungsbehörde nicht beim Jungendamtinstalliert wird. Leider fehlen jedoch den Stadt- und Kreisver-waltungen in Ostdeutschland meist die finanziellen und perso-nellen Voraussetzungen, um ein vollkommen neues Amt zuschaffen.

Um unsere Einflußnahme auf sozialpolitische Entscheidungenzu sichern, streben wir die Mitarbeit von Vorstandsmitgliederndes Vereins oder Mitarbeitern der Beratungsstelle in den ver-schiedensten Gremien an. Für sehr vorteilhaft halte ich dieSchaffung von Arbeitsgemeinschaften auf kommunaler wie aufLandesebene, in denen Vertreter aller mit dem Betreuungswe-sen befaßten Institutionen mitarbeiten. Dieses Organ könntezur Koordinierung aller erforderlichen Maßnahmen wie zurErarbeitung neuer konzeptioneller und praktischer Lösungs-vorschläge beitragen. Gleichzeitig wäre es ein wertvolles Fo-rum gegenseitigen Erfahrungsaustausches.

7. Perspektive und Ausblick

Der Förderverein Rampe ist inzwischen Mitglied des Diakoni-schen Werkes der Evangelischen-Lutherischen LandeskircheMecklenburgs e.V. geworden. Er besteht heute aus 53 Mitglie-dern. Einige Mitstreiter aus der Anfangszeit haben uns verlas-sen, andere sind dazugekommen.

Da es noch keine kommunale Betreuungsbehörde gibt, konn-ten wir noch keinen Antrag auf Anerkennung als Beteuungs-verein stellen. Zum anderen gab es auf der letzten Mitglieder-versammlung noch kontroverse Standpunkte zu dieser Frage.Manche Mitglieder fühlen sich nach wie vor allein der Förde-rung und Unterstützung der Behinderteneinrichtung in Rampeverpflichtet. Der Vorstand allerdings empfiehlt die Umwand-lung in einen Betreuungsverein.

Wir haben uns vorgenommen, die Beratungsstelle für das Be-treuungswesen auch nach Wegfall der Fördermittel aus Bonnweiterzuführen, und hoffen, daß uns dies mit Unterstützungdurch Land und Kommune gelingt.

Fixierungsrichtlinien des LandesbetriebsPflegen & Wohnen, Hamburg

Dienstanweisung

Betr.: Durchführung von freiheitsentziehendenMaßnahmen und zur ärztlichen Behandlung gegen oderohne den Willen des Heimbewohners

1. Einführung

Diese Dienstanweisung berührt nicht die Fragen der geschlos-senen Unterbringung

1.1 Zu den freiheitsentziehenden Maßnahmen im Sinne dieserBestimmung gehören:

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DOKUMENTATION

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– Fixierung

– Anbringung von Bettgittern

– Verabfolgung bestimmter Medikamente (genaue Erklärungsiehe Punkt 1.1.3.),

wenn sie die Bewegungsfreiheit des Heimbewohners gegenseinen Willen einschränken.

1.1.1. Fixierung ist jede Bewegungseinschränkung einesMenschen mit mechanischen Vorrichtungen (z. B. Bauchgurtemit verschiedenen Schloßarten, Hand- und Fußgelenkman-schetten usw.) aber auch durch die Vorenthaltung oder Weg-nahme eines Rollstuhles oder ähnlicher Bewegungshilfen.

1.1.2. Bettgitter sind Vorrichtungen, die den Betroffenen amVerlassen seines Bettes hindern (was in bestimmten Fällen, z.B. halbseitiger Lähmung, schwerem M. Parkinson u. ä. auchmit einseitig angebrachten Gittern erfolgen kann).

1.1.3. Medikamente gehören zu den freiheitsentziehendenMaßnahmen, wenn sie eine Sedierung (Müdigkeit) oder Mus-kelrelaxation (Muskelschwäche) zum Zwecke der Beweglich-keitseinschränkung und nicht als eine unvermeidliche Neben-wirkung einer notwendigen Therapie erzeugen.

1.2. Freiheitsentziehende Maßnahmen bedeuten eine Frei-heitsberaubung im Sinne des § 239 (1) StGB und können beimAbweichen von den Richtlinien dieser Anweisung strafrecht-lich verfolgt werden.

1.3. Freiheitsentziehende Maßnahmen sind nur in wenigenAusnahmefällen, d. h. beim Versagen von weniger eingreifen-der Maßnahmen, die keine Freiheitsentziehung bedeuten,zulässig.

1.3.1. Vor der Anordnung dieser Maßnahmen müssen im Pfle-geteam einschließlich Arzt alle dem Heim zur Verfügung ste-henden pflegerischen und therapeutischen Möglichkeiten er-wogen und ausprobiert werden.

1.3.2. Anordnungen »bei Bedarf« sind verboten. In Ausnahme-fällen – etwa um die Dosierung der Medikamente möglichstniedrig zu halten oder einen lebensbedrohlichen Zustandrechtzeitig behandeln zu können – ist es zulässig, eine Bedarfs-medikation zu verschreiben. Dabei muß der Arzt in derDokumentation die Umstände, die eine Verabreichung derMedikamente rechtfertigen, genau definieren. Jede Anwen-dung der Bedarfsmedikation muß von der verantwortlichenPflegekraft ausführlich in der Dokumentation begründetwerden.

1.3.3. In allen Fällen einer wiederholten Anwendung der frei-heitsentziehenden Maßnahmen ist eine regelmäßige Überprü-fung ihrer weiteren Notwendigkeit unerläßlich.

1.3.4. Alle für die Fixierung notwendigen Hilfsmittel (Bauch-gurte, Handmanschetten usw.) sind im Bereich des ÄrztlichenDienstes aufzubewahren.

Bei der Herausgabe müssen folgende Angaben schriftlich fest-gehalten werden:

– Name des betroffenen Heimbewohners

– Name der Pflegekraft, die Fixierungsmittel in Empfanggenommen hat

– Datum und voraussichtliche Dauer der Maßnahme.

Die Rückgabe ist terminlich zu überwachen.

1.4. Freiheitsentziehende Maßnahmen dürfen nur vom Arztaufgrund eigener und unmittelbarer Urteilsbildung am Betrof-fenen angeordnet werden (d. h. er muß den Betroffenen unmit-telbar vor der Anordnung aufgesucht haben). Der Arzt über-nimmt damit die Verantwortung für die Art und Dauer der an-geordneten Maßnahmen. Er muß dabei berücksichtigen, daß:

a) alle freiheitsentziehenden Maßnahmen, die über einen län-geren Zeitraum (d. h. länger als bis zum Ablauf des folgen-

den Tages, was in Ausnahmefällen max. 48 Stunden bedeu-ten kann) oder regelmäßig (d. h. bei bestimmten Anlässengeplant oder ungeplant wiederholt) erfolgen sollen, von demzuständigen Vormundschaftsgericht genehmigt werdenmüssen.

b) die richterliche Genehmigung zur geschlossenen Unterbrin-gung nach Betreuungsgesetz (BtG) oder HambPsychKGnicht zur Anwendung von freiheitsentziehenden Maßnah-men berechtigt.

c) der Wunsch bzw. die Zustimmung der Angehörigen be-deutungslos sind.

Die Zustimmung des Betreuers ist vor jeder Anordnung einerfreihzeitsentziehenden Maßnahme einzuholen. In Notfällensind diese Maßnahmen schon vor der Zustimmung des Betreu-ers zulässig; die Zustimmung ist nachträglich unverzüglich ein-zuholen.

1.5. Ärztliche Eingriffe und medikamentöse Behandlung set-zen grundsätzlich das Einverständnis des Behandelten voraus.

1.5.1. Lehnt ein bewußtseinsklarer, in seinem Urteilsvermögennicht eingeschränkter Heimbewohner nach einer ausführli-chen Aufklärung durch den Arzt die Maßnahmen ab, so müs-sen sie unterbleiben.

Der Vorgang ist schriftlich zu dokumentieren. Die Ablehnungder Maßnahmen soll der Betroffene schriftlich bestätigen.

1.5.2. Bei Verweigerung eines ärztlichen Eingriffes oder einerBehandlung durch einen bewußtseinsgestörten oder in seinemUrteilsvermögen durch andere Störungen eingeschränktenHeimbewohner ist zunächst nur die Durchführung von lebens-rettenden Maßnahmen zulässig.

1.5.2.1. Verdeckte Verabreichung der Medikamente, insbeson-dere von Psychopharmaka, ist untersagt. Alle Medikamentemüssen als solche erkennbar angeboten werden.

1.5.2.2. Ist eine Behandlung aus der Sicht des Arztes not-wendig, so muß das Vormundschaftsgericht eingeschaltetwerden. Der Vormundschaftsrichter entscheidet dann, obein Betreuer mit Aufgabenkreis »Heilmaßnahmen« bestelltwird.

2. Durchführung

2.1. Freiheitsentziehende Maßnahmen dürfen nur vom Arztaufgrund eigener Urteilsbildung am Betroffenen angeordnetwerden, wenn:

a) ein Bewohner akut oder immer wieder durch krankheitsbe-dingte psychomotorische Enthemmung oder aggressiveAusbrüche sich selbst, Mitbewohner oder Pflegekräfte er-heblich gefährdet,

b) ein Bewohner unter ausgeprägten Bewegungs- oder Hal-tungsstörungen leidet, die mit einer erheblichen Sturzge-fahr verbunden sind, und seine Mobilisierung ohne Fixie-rung unmöglich wäre,

c) ein Bewohner eine notwendige Infusionstherapie oder eineandere unerläßliche Behandlung (z. B. Sondenernährungoder Kathederisierung) durch eine ausgeprägte motorischeUnruhe verhindert,

d) der Gesundheitszustand des Bewohners (z. B. Zustand nacheiner Fraktur, schwere fieberhafte Erkrankung oder ausge-prägte Herzinsuffizienz) eine übermäßige physische Bela-stung durch motorische Unruhe nicht zuläßt.

2.2. Die ärztliche Anordnung einer freiheitsentziehendenMaßnahme muß schriftlich auf dem »Fixierungsnachweis-blatt« (HA 397/PW-H.271) erfolgen.

Sie muß enthalten:

a) genaue Begründung der Maßnahme,

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b) eine Beschreibung des Verhaltens und des psychischenErscheinungsbildes des Bewohners,

c) Angaben über bisherige, weniger eingreifende Maßnah-men,

d) Angaben über Art und Dauer der angeordneten Maßnah-men.

2.3. Für alle freiheitsentziehenden Maßnahmen, die längereZeit oder regelmäßig (s. 1.4.) erfolgen sollen, muß unverzüglichdie Genehmigung des zuständigen Vormundschaftsgerichtesbeantragt werden (s. Anlage).

2.4. Die Maßnahme darf nur für die Dauer der im Absatz 2.1.genannten Störung angeordnet werden.

2.5. Für die Dauer der freiheitsentziehenden Maßnahme mußder Bewohner durch den Arzt und Pflegepersonal in besonde-rem Maße (d. h. deutlich über die Norm hinausgehend) betreutund beobachtet werden.

2.6. In Ausnahmefällen, in denen zur Abwehr einer unmittel-bar drohenden und erheblichen Gefahr eine sofortige Fixie-rung unbedingt notwendig ist, sind die Stationsleiterinnen undihre ständigen Vertreterinnen sowie während der Nacht dieKontrollwachen dazu berechtigt. Sie sind dann verpflichtet:

a) den zuständigen Arzt sofort (Tag und Nacht) zu benachrich-tigen, damit er die Fixierung entsprechend dem Abs. 2.1.nachträglich anordnet,

b) die Umstände, die zu diese Entscheidung geführt haben aufdem »Fixierungsnachweis« (HA 397/PW-H.271) genau fest-zuhalten.

2.7. Die Medikamente dürfen nur vom Arzt verordnet werden(siehe dazu Abs. 1.3.2.).

2.8. Alle Beteiligten sollten in gemeinsamen Gesprächen dieUmstände analysieren, die zur Anordnung einer freiheitsent-ziehenden Maßnahme geführt haben, um sie zukünftig vermei-den zu können, soweit es möglich erscheint.

3. Diese Dienstanweisung tritt am 1. 4. 1992 in Kraft. Sie istzusammen mit der Anlage allen Mitarbeitern des ÄrztlichenDienstes, des Pflegedienstes, der Therapeutischen Dienstesowie dem Lehrpersonal der Altenpflegeschule zur Kenntnis zugeben.

Das förmliche Rundschreiben R-H 2/84 vom 2. 4. 1984 in derFassung vom 12. 2. 1990 wird aufgehoben.

Das Betreuungsgesetz in der Praxis:

Ein Leitfaden / im Auftrag der Bundesländer, herausgegebenvom Bundesminister der Justiz, Bundesanzeiger 1992, 125 Seiten, 19,80 DM

Rechtzeitig zum Inkrafttreten des neuen Betreuungsrechtes hateine Bund-Länder-Arbeitsgruppe diesen Leitfaden vorgelegt.Fünf Richter, zwei Rechtspfleger, drei Ministerialbeamte undein Sozialarbeiter haben den Versuch unternommen, die um-fangreichen neuen Vorschriften auch Nicht-Juristen näher zubringen. Der Hauptteil des Buches orientiert sich am gerichtli-chen Verfahren. Das Verfahren zur Bestellung des Betreuers,Aufgaben des Rechtspflegers im Verfahren sowie richterlicheGenehmigungsverfahren sind systematisch und übersichtlich

dargestellt. In den Erläuterungen wird erfolgreich versucht,eine Sprache zu finden, die auch dem nicht-juristischen Prak-tiker Sinn, Zweck und Bedeutung der neuen Vorschriften er-läutern können. An vielen Stellen wird die Intention des neuenGesetzes der Praxis des „alten Rechtes“ gegenübergestellt. Sozum Beispiel zu den Aufgaben des Rechtspflegers: „Er hatdafür Sorge zu tragen, daß die persönliche Betreuung durchden Betreuer gewährleistet ist. Im früheren Recht lag die Be-tonung mehr auf der vermögensrechtlichen Seite.“

Mit den neuen Vorschriften bekannt zu machen ohne denAnspruch zu verfolgen, einen juristischen Kommentar zuschreiben, gelingt den Verfassern. In Anmerkungen und Erläu-terungen wird die Blickrichtung des Lesers deutlich daraufgerichtet, daß es „nicht mehr um Entrechnung oder um Fest-stellung der Geschäftsfähigkeit, sondern um Fürsorge undHilfe“ geht.

Dem selbstgestellten Motto hingegen, mit dem Leitfaden dazubeizutragen, „daß künftig die verschiedenen Arbeitsbereichebesser aufeinander abgestimmt sind“, werden die Verfassernicht gerecht. Abgesehen von schematisierenden Vorschlägenfür Sozialberichte und einem überflüssigen Blanko-Register fürAdressen und Telefonnummern im Anhang leistet der Leitfa-den keinen Beitrag zu diesem Thema. Vielleicht ist es dem So-zialarbeiter in der Arbeitsgruppe zu verdanken, daß dieses füralle Beteiligen so wichtige Thema überhaupt Erwähnung fin-det.

Dennoch: Wegen der übersichtlichen Darstellung und Erläute-rung der verfahrens- und materiell-rechtlichen Änderungendurch das neue Betreuungsrecht ist der Leitfaden ein hilfrei-ches Arbeitsmittel für alle Praktiker vom Rechtspfleger bis zumBetreuer.

Reinhard Langholf, Landesamt für Rehabilitation, Hamburg

Ein Verschwundener rechnet ab– Reportagen zum Fall Löser

Roderich Elfert/Tobias FenglerVerlag Edition Ergon, Pfungstadt bei Darmstadt 1991, 160 S.,kartoniert, 16,80 DM

Der „Fall Löser“, die Geschichte eines Menschen und seinesLeidens in und an der Psychiatrie, wird dem Leser beschriebennicht aus der Sicht objektiv distanzierter Berichterstatter. Diebeiden Autoren schildern ihre eigene jahrelange Beziehung zudem Menschen Klaus-Peter Löser und ihren Versuch, gemein-sam mit ihm die schrecklichen Erfahrungen der Vergangenheitaufzuarbeiten und soweit überhaupt möglich in praktische Ge-genwehr umzusetzen.

Im ersten Teil des durchgängig spannend geschriebenen Bu-ches schildert Roderich Elfert seine erste Begegnung mit Löserim Herbst des Jahres 1979. Ein fahriger, am ganzen Körper zit-ternder Mensch taucht da plötzlich in der Wohngemeinschaftdes damaligen Psychologie-Studenten auf, vollgestopft mit Psy-chopharmaka, geradezu gierig auf Kaffee, während eines Aus-gangs aus dem Psychiatrischen Krankenhaus Marburg-Cappel,in dem er seit 1972 untergebracht ist. Weitere Kontakte zu El-fert und seinen Freunden vom Psychiatrie-Beschwerde-Zen-trum entwickeln sich, er besucht Löser in der Anstalt und esentsteht eine schwierige, intensive und lange Freundschaft.Seit 1967, als der damals 14jährige Klaus-Peter in das Diako-niezentrum Hephata in Schwalmtal-Treysa kam, war er unun-terbrochen Insasse verschiedener Anstalten. Wie kann einepersönliche Beziehung zu einem Menschen entstehen, dernoch nie in seinem Leben das Gefühl hatte, für andere liebens-wert und interessant zu sein? Wie kann ein nach Freiheit undGerechtigkeit, nach Zuwendung und menschlicher Wärme

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REZENSIONEN

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Dürstender mit anderen zusammen sein, ohne daß diese vonseinen Ansprüchen und seinem Hunger nach persönlicherAuseinandersetzung aufgezehrt werden? Eindringlich schil-dert Elfert die schwierige Entwicklung bis zum Juni 1981, alsLöser endlich das Psychiatrische Krankenhaus verlassen kannund die Zeit danach, in der der unendlich schwere Prozeß derGewöhnung an eine nie gekannte Freiheit beginnt. Der Hinder-nislauf durch die Ämter, die Suche nach Wohnraum und Ar-beitsmöglichkeiten, der Kampf gegen das chronische Unterge-wicht gestalten das Leben Lösers alles andere als einfach. Erst1983 wird der Unterbringungsbeschluß des Amtgerichts Mar-burg aufgehoben. Für die angebliche Fremd- und Selbstgefähr-dung, die Anlaß für die Unterbringung Lösers war, findet sichin seinem Leben in Freiheit keinerlei Anhaltspunkt. Die Psy-chopharmaka, die seine Gesundheit zerstört haben, setzt er abund von da an bessert sich jedenfalls seine körperliche Verfas-sung. Zugleich beginnt der Kampf des David Klaus-Peter Löserum seine Rehabilitierung, die Auseinandersetzung um eineWiedergutmachung des in der Psychiatrie erlittenen Unrechts.

Erste Zeitungsberichte über den „Fall Löser“ erscheinen imHerbst 1987 und wecken das Interesse des zweiten Autors To-bias Fengler, eines als freier Journalist tätigen Soziologen. Erbesucht Löser zunächst auf der Suche nach einer „story“, findetaber einen Menschen, dessen persönliche Geschichte, dessenHunger nach Zuwendung und dessen Streben nach Gerechtig-keit ihn nicht mehr loslassen. Nach und nach beginnt er, an-hand der vom Hausarzt Lösers mittlerweile beschafften Kran-kenunterlagen, der offiziellen Gutachten und der gerichtlichenBeschlüsse sowie eigener Recherchen die Entwicklung der letz-ten Jahre zu ergründen. Mit bedrückenden Erkenntnissen: ImJahr 1972 kam z. B. eine Psychologin in einem Gutachten zudem Ergebnis, „daß es sich bei dem Pat. nicht um einenSchwachsinnigen handelt“, während der ärztliche Gutachterohne weitere Krankenunterlagen, die dies hätten belegenkönnen, in einem Gutachten nur einen Monat später ausführt:„... Als Kleinkind machte er eine Gehirnhautentzündung durch.Seit dieser Zeit besteht eindeutig ein erworbener Schwach-sinn...“. Als Grundlage eines Unterbringungsbeschlusses wirdzur Begründung der Fremdgefährdung lediglich ein Vorfall ge-schildert, bei dem ein Pfleger Löser seine Zigarettenschachtelwegnehmen und verwahren wollte und er diesen daraufhinschlägt. Ohne jeglichen Anhaltspunkt in dem zugrundeliegen-den Gutachten wird die Unterbringung Lösers nicht nur wegenFremd-, sondern auch wegen Eigengefährdung angeordnet. Dawerden aggressive Verhaltensweisen geschildert, die ohneweiteres auch als Reaktion auf die Lebenssituation in der An-stalt erklärt werden könnten. Und da werden vor allem Psycho-pharmaka in einer Dosierung verabreicht, die teilweise biszum 20- bis 30fachen über der üblichen Dosierung liegen, wieein unabhängiger Gutachter inzwischen festgestellt hat. DerSachverständige kam auch zu dem Schluß, daß eine die Unter-bringung nach dem Hessischen Freiheitsentziehungsgesetzrechtfertigende Krankheit zu Beginn der Unterbringung bei Lö-ser nicht vorgelegen habe.

Bereits im Juni 1989 hat der Rechtsanwalt von Klaus-Peter Lö-ser Klage gegen den Landeswohlfahrtsverband als Träger derEinrichtungen, in denen Löser untergebracht war, erhoben. In-zwischen hat das Oberlandesgericht Frankfurt/Main Prozeßko-stenhilfe bewilligt, geht somit von einer hinreichenden Erfolgs-aussicht der Klage auf Schmerzensgeld für zu Unrecht erlitteneFreiheitsentziehung aus. Löser hofft nun, daß ihm nachträglichein Teil der Gerechtigkeit zu Teil wird, die ihm so lange vorent-halten blieb. Auch das Erscheinen des Buches ist auf den auchfür die persönliche weitere Entwicklung Lösers so wichtigenRechtsstreit abgestellt. Der Verlag beschreibt es in der Wer-bung als „Das Buch zum Prozeß“ und es ist gewidmet „denRichtern des Landeswohlfahrtsverbandes Hessen“.

Es ist darüber hinaus ein notwendiges Buch, das anhand einesEinzelschicksals dem Leser zugleich die Mechanismen deutlichvor Augen führt, nach denen im Zusammenwirken zwischen

Psychiatern, Psychologen und Justiz hierzulande jährlich hun-derte oder tausende Menschen untergebracht werden. Es solltedazu beitragen, daß künftig bei Unterbringungen die Frage derNotwendigkeit einer Freiheitsentziehung noch stärker hinter-fragt wird, daß Gutachter vorsichtiger ihre Beurteilungen ab-geben unter Darlegung auch noch bestehender Unsicherheitenund daß Richter sich aufgerufen fühlen, im neuen Unterbrin-gungsverfahren seit dem 1. 1. 1992 noch stärker den Freiheits-anspruch des Einzelnen zu wahren. Die Autoren hattenzunächst Zweifel, ob die Geschichte eines Lebens und Leidensin der Psychiatrie überhaupt auf Interesse stoßen würde. Löserselbst brachte es damals auf den Punkt: „Gerade weil das Buchniemand lesen will, muß es geschrieben werden!“ Er hat Rechtbehalten.

Dr. Andreas Jürgens,Richter am Amtsgericht Kassel

Literatur zum Betreuungsrecht

1. Kommentare

Bienwald, Walter, Betreuungsrecht. Kommentar zumBtG/BtBG, Bielefeld 1992 (Gieseking-Verlag, DM 254,00).

Damrau, Jürgen, Zimmermann, Walter, Betreuungsgesetz.Kommentar zum BtG, Stuttgart 1991 (Kohlhammerverlag, DM128,00).

Knittel, Bernhard, Betreuungsgesetz. Kommentar zum BtG,Stanberg-Percha 1992 (Verlag R.S. Schulz, DM 120,00), Lose-blatt mit Fortsetzungsbezug

2. Systematische Einführungen

Franzke, Hans, Vormund und Betreuer - Mündel und Betreuer.Ein Ratgeber für Laien, Essen 1991 (Verlag Urban Franzke,DM 18,80).

Jürgens, Andreas, Kröger, Detlef, Marschner, Rolf, Winter-stein, Peter, Das neue Betreuungsrecht, München 1991 (VerlagC.H. Beck, DM 38,00).

Schmidt, Gerd, Böcker, Felix, Betreuungsrecht. Eine systema-tische Einführung aus juristischer und psychiatrischer Sicht,München 1991 (Verlag Jhele Riem, DM 78,00).

Strorr, Peter, Das neue Betreuungsrecht, Regensburg 1991(Wallhalla und Praetroria Verlag, DM 19,80).

Wienand, Manfred, Betreuungsrecht, Neuwied 1991 (Luchter-hand-Verlag, DM 19,80).

Zimmermann, Walter, Betreuungsrecht, München 1992(Beck-Rechtsberater im dtv, Nr. 5604, DM 9,80)

3. Sonstige Veröffentlichungen zur Reform sowiezu Einzelaspekten

Brill, Karl Ernst (Hrsg.), Zum Wohle der Betreuten, Bonn 1990(Psychiatrie-Verlag, DM 19,80).

Bundesminister der Justiz (Hrsg.), Das Betreuungsgesetz inder Praxis. Ein Leitfaden, Köln 1992 (Bundesanzeiger-VerlagDM 19,80).

Deutscher Städtetag, Hinweise und Empfehlungen zumneuen BtG. DST-Beiträge zur Sozialpolitik, Reihe D, Heft 25,Köln 1991.

Diakonisches Werk Westfalen (Hrsg.), Betreuungsrecht. EinLeitfaden für Betreuer und Betreuungsvereine, Münster 1992(Diakonisches Werk, Postfach 2404, 4400 Münster, DM 8,00).

Ditschler, Kurt: Arbeitsmappe zum Betreuungsgesetz, Ep-pertshausen 1991 (Verlag C. Ditschler, DM 22,50).

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Page 35: BetreuungsrechtlichePraxis 1. Jahrgang 1992 Heft 1 RA ... · BetreuungsrechtlichePraxis 1. Jahrgang 1992 Heft 1 1. August 1992, Seite 1–44 Herausgegeben in Verbindung mit dem Vormundschaftsgerichtstag

Hellmann, Ulrich (Hrsg.), Beiträge zur Reform des Vormund-schafts- und Pflegschaftsrechts für Menschen mit geistiger Be-hinderung, Marburg/Lahn 1986, (DM 16,00).

Labuhn, Günter, Vormundschaftsgerichtliche Genehmigung,München 1991 (Verlag Jehle-Riem, DM 68,00).

Oberloskamp, Helga, Schmidt-Koddenberg, Angelika, Zieris,Ernst, Hauptamtliche Betreuer und Sachverständige, Köln1992 (Bundesanzeiger-Verlag, DM 29,00).

Schumacher, U., Jürgens, H.E., Mahnkopf, U., 1. Vormund-schaftsgerichtstag. Materialien und Ergebnisse, München 1989(Verlag C.H. Beck, DM 38,00).

Eicken von, Barbara, Ernst, Ellen, Zenz, Gisela, FürsorglicherZwang, Köln 1990 (Bundesanzeiger-Verlag, DM 38,00).

Zenz, Gisela, Eicken von, Barbara, Ernst, Ellen, Hofmann,Cornelia, Vormundschaft und Pflegschaft für Volljährige, Köln1987 (Bundesanzeiger-Verlag DM 25,00).

Vormundschaftsgerichtstag e.V. (Hrsg.), Materialien und Er-gebnisse des 2. Vormundschaftsgerichtstages, München 1991(Verlag C.H. Beck, DM 30,00).

Wohlfahrtsverbände fordern Finanzmittel fürneues Betreuungsgesetz

Berlin (dpa/bb) – Die Berliner Wohlfahrtsverbände haben vonden Senatsverwaltungen für Soziales und Justiz die Finanzie-rung des neuen „Betreuungsgesetzes“ gefordert. Diese „Jahr-hundertreform“ bleibe nur „Makulatur“, wenn das Gesetz nichtin die Praxis umgesetzt werden könne, erklärte die Liga derSpitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege am Freitag vorJournalisten in Berlin.

Nach dem Gesetz sollen Wohlfahrtsverbände „Betreuungsver-eine“ bilden, die Fachkräfte zur Verfügung stellen, ehrenamtli-che Betreuer ausbilden und unterstützen. Dafür wären nachAngaben der Liga rund 5,7 Millionen Mark in Berlin nötig. ImWestteil der Stadt seien 21.000 Menschen von der Regelungbetroffen. 1992 sollen noch rund 3.000 hinzukommen. Für denOstteil gebe es noch keine Zahlenangaben. Dort müßten solcheOrganisationen völlig neu eingerichtet werden, hieß es.

Die Verbände wünschen, daß Sach- und Personalkosten für dieBetreuungsvereine von den zuständigen Senatsverwaltungennach dem nordrhein-westfälischen Modell vorfinanziert wer-den. Wie die Kosten in Berlin zu decken wären, habe nach_monatelangen Verhandlungen mit den beteiligten Senatsver-waltungen bisher nicht geklärt werden können.

Für die Betroffenen bleibe ohne Betreuer daher noch allesbeim Alten, kritisierten die Vertreter der Wohlfahrtsverbände.Dabei würden vorwiegend Rechtsanwälte die juristische Ver-tretung einer großen Zahl wahrnehmen, in einzelnen Fällenzwischen 300 und 400 Personen. Die Anwälte kennten ihre Kli-enten nicht und Betroffene würden auf diese Weise zu einem„verwalteten Fall“.

Arbeitsgemeinschaft will Umsetzung desBetreuungsgesetzes verbessern

Karlsruhe (1sw) – Eine in diesen Tagen in Karlsruhe gegrün-dete Landesarbeitsgemeinschaft für Betreuungsangelegenhei-ten will sich mit Nachdruck um eine Verbesserung bei der Um-

setzung des zum Jahresbeginn in Kraft getretenen Betreuungs-gesetzes bemühen. Wie der Landeswohlfahrtsverband (LWV)Baden in Karlsruhe mitteilte, sind nach Inkrafttreten des Geset-zes, das die Rechtsstellung alter, behinderter und psychischkranker Menschen erheblich verbessern soll, Anlaufschwierig-keiten festgestellt worden. Alle mit Betreuungsangelegenheitenbefaßten Institutionen und Organisationen im Lande hattensich in Karlsruhe zur Arbeitsgemeinschaft zusammengeschlos-sen.

Als vordringlichste Aufgabe sieht die Landesarbeitsgemein-schaft – ihre Geschäftsführung wird in den kommenden vierJahren vom LWV Baden wahrgenommen – die Erarbeitung vonEmpfehlungen zur Gewinnung ehrenamtlicher Betreuer unddie Gründung entsprechender Vereine. An die baden-württem-bergische Landesregierung wurde in diesem Zusammenhangappelliert, Unklarheiten über die Erstattungen von Aufwen-dungen und Vorschußzahlungen aus der Justizkasse zu beseiti-gen. Erst hierdurch erhielten die von der freien Wohlfahrts-pflege getragenen Betreuungsvereine die finanziellen Grundla-gen für ihre Arbeit. Gleichzeitig erwarteten die Vereine finanzi-elle Unterstützung auch durch die örtlichen Betreuungsbehör-den, die Stadt- und Landkreise, hieß es.

Test für Alzheimersche Krankheit

Quelle: BFS-Trend-Information 4/92 – Nur durch histologischeUntersuchungen des Gehirns nach dem Tod des Patienten warbisher eine sichere Diagnose der gefürchteten AlzheimerschenKrankheit möglich. Eine frühzeitige und vorbeugende Thera-pie wurde dadurch erschwert. Nun haben Biomediziner der ja-panischen Tokai-Universität mitgeteilt, daß es ihnen gelungensei, einen zuverlässigen und relativ schnellen Test der Alzhei-mer Erkrankung zu entwickeln.

Wie „Blick durch die Wirtschaft“ berichtet, messen sie dazu dieMenge der Aminosäure Alpha-1-Antichymotripsin, die in derRückenmarksflüssigkeit vorhanden ist. Antichymotripsin istein im Zellinnern vorhandenes Enzym, das die Bildung vonPeptiden bremst oder unterbindet. Damit wird unter anderemdie Bildung verschiedener Aminosäuren gestört. Vorher hattenUntersuchungen ergeben, daß dieses Enzym in den Ablagerun-gen zu finden ist, die im Gehirn von Alzheimer-Kranken auftre-ten.

Mit Hilfe von Antikörpern, die die Wissenschaftler entwickelthaben, können die in der Rückenmarksflüssigkeit befindlichenMengen an Antichymotripsin qualitativ und quantitativ be-stimmt werden. Bei Untersuchungen ergaben sich 8,5 Mikro-gramm je Milliliter bei sicher an Alzheimer erkrankten Men-schen. Bei Gesunden findet sich das Enzym lediglichen in Men-gen um oder unter 1,4 Mikrogramm. Um das Verfahren an ei-ner größeren Zahl von gesunden und kranken Personen aus-probieren zu können, werden jetzt in Zusammenarbeit mit bio-technischen Labors größere Mengen der Antikörperhergestellt. Unter anderem soll dabei herausgefunden werden,in welchem Lebensalter die ersten Anzeichen von Alzheimerauftreten, um möglicherweise künftig rechtzeitig eine vorbeu-gende oder hemmende Therapie einleiten zu können.

Institut des Rauhen Hauses mit neuenFortbildungskursen

Hamburg (1no) – Das Institut des Rauhen Hauses für SozialePraxis in Hamburg-Horn bietet in diesem Jahre 18 ein- odermehrtägige Fortbildungskurse in den Bereichen der Alten-, Fa-milien- und Jugendhilfe an. Dabei gehe es ebenso um die Ein-führung in das neue Betreuungsgesetz, das seit Anfang desJahres Pflegschaften und Entmündigungen ersetzen soll, wieum Altenpflege, Gewalt in der Familie und Jugendliche undDrogen. Das Programm ist beim Institut des Rauhen Hauses,Beim Rauhen Haus 21, 2000 Hamburg 74, erhältlich.

MELDUNGEN1/92 35

MELDUNGEN

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1. Aufhebung der Vorentscheidung und Verwei-sung an zuständiges Vormundschaftsgericht

BtG Art. 9 § 5 Abs. 2FGG § 70 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3, Satz 3

Die Anordnung einer vorläufigen Unterbringung nachArt. 17 UnterbrG a. F. ist ein Verfahren, das auf andereMaßnahmen des Vormundschaftsgerichts i. S. des Art. 9§ 5 Abs. 2 Satz 2 BtG gerichtet ist. Gelangt eine solchenoch im Jahr 1991 erlassene Anordnung im Jahr 1992 indie Rechtsmittelinstanz, so sind die Vorentscheidungenaufzuheben und die Sache ist an das nach § 70 Abs. 5 FGGzuständige Vormundschaftsgericht zurückzugeben. Je-doch ist anzuordnen, daß die Aufhebung der amtsgericht-lichen Unterbringungsanordnung erst nach Ablauf einerFrist wirksam wird, innerhalb deren das jetzt zuständigeVormundschaftsgericht erneut über die Unterbringungs-maßnahmen entscheiden kann.

BayObLG, 3. ZivilsenatBeschluß vom 17.1.19923Z BR 5/92 = BayObLGZ 1992 Nr. 3

Gründe: I. Der Betroffene wurde am 5.12.1991 auf Grundeiner auf Art. 18 Abs. 1 UnterbrG gestützten Anordnung desLandratsamts in das Bezirkskrankenhaus eingeliefert, weil eran einer psychischen Erkrankung leide und verschiedene Per-sonen bedroht habe, so daß von ihm eine Gefahr für die öffent-liche Sicherheit und Ordnung ausgehe. Das Amtsgericht R ord-nete am 6.12.1991 die vorläufige Unterbringung des Betroffe-nen bis längstens 4.3.1992 an. Die hiergegen am 17.12.1991eingelegte sofortige Beschwerde des Betroffenen wies dasLandgericht am 30.12.1991 zurück. Gegen diese dem Verfah-rensbevollmächtigten am 4.1.1992 zugestellte Entscheidungwendet sich die zur Niederschrift des Landgerichts R einge-legte sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen.

II. Die zulässige sofortige weitere Beschwerde führt zurAufhebung der Vorentscheidungen und zur Zurückgabe derSache an das Amtsgericht – Vormundschaftsgericht – S ohnedaß das Rechtsbeschwerdegericht befugt ist, die Entscheidungdes Landgerichts auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen.

Mit dem Inkrafttreten des Betreuungsgesetzes (BtG) vom12.9.1990 am 1.1.1992 (Art. 11 BtG) ist das vorliegende Ver-fahren nach dem Unterbringungsgesetz zu einem Verfahrenüber Unterbringungsmaßnahmen im Sinn des § 70 Abs. 1 Satz2 Nr. 3 FGG geworden. Für die Überleitung in das bundes-rechtlich geregelte Verfahren in Unterbringungssachen geltendie Übergangsvorschriften des Betreuungsgesetzes, hier Art. 9§ 5 Abs. 2 BtG. Nach Satz 2 dieser Bestimmung ist das Verfah-ren als Betreuungssache fortzuführen; da die Sache bei einemRechtsmittelgericht anhängig ist, ist sie nach Satz 4 der Bestim-mung an das Vormundschaftsgericht zurückzugeben, das seitdem 1.1.1992 auch für die Anordnung einer Unterbringungnach dem Unterbringungsgesetz zuständig ist (§ 70 Abs. 1 Satz2 Nr. 3, Satz 3 FGG).

Das Vormundschaftsgericht muß Gelegenheit haben, über dieSache neu nach den für Unterbringungssachen geltenden Vor-schriften des FGG (§ 70 ff. FGG) zu entscheiden. Um ihm dieseMöglichkeit zu eröffnen, müssen die vorangegangenen Ent-scheidungen aufgehoben werden (Damrau/Zimmermann Be-treuungsgesetz Art. 9 § 5 Rn. 12).

Ohne Einschränkung ist deshalb die Entscheidung des Landge-richts aufzuheben; die Entscheidung des Amtsgerichts kann al-lerdings nicht mit sofortiger Wirkung aufgehoben werden, weilsonst der Betroffene sofort entlassen werden müßte, ohne daßdas Rechtsbeschwerdegericht prüfen kann, ob die Vorausset-zungen der Unterbringung nach Art. 1, 3 UnterbrG vorliegen.

Nach den Übergangsvorschriften zum Betreuungsgesetz ist daszunächst vielmehr allein Aufgabe des jetzt zuständigen Vor-mundschaftsgerichts. Eine sofortige Entlassung könnte zu ei-ner Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnungführen, die durch das Unterbringungsgesetz gerade abgewen-det werden soll. Die materiellen Vorschriften des Unterbrin-gungsgesetzes hat das Betreuungsgesetz nicht geändert undkonnte der Bundesgesetzgeber auch nicht ändern, weil es sichhierbei um einen Gegenstand handelt, der allein der Regelungdurch die Gesetzgebung der Länder unterliegt. Es kanndeshalb auch nicht angenommen werden, daß der Bundes-gesetzgeber in diese landesrechtliche Regelung durch Über-gangsvorschriften zu einem neuen Verfahrensrecht eingreifenwollte. Hieraus leitet sich die Befugnis des Rechtsmittelgerichtsab, die Wirkung der Aufhebung der amtsgerichtlichen An-ordnung solange hinauszuschieben, bis das jetzt zuständigeVormundschaftsgericht erneut über eine Unterbringungs-anordnung entscheiden kann. Im Interesse des Betroffenenwar jedoch eine kurze Frist zu setzen, nach deren Ablauf dieUnterbringungsanordnung des Amtsgerichts vom 6.12.1991auf jeden Fall außer Kraft tritt. Der Senat kann davon ausge-hen, daß die Akten bei dem jetzt zuständigen Vormund-schaftsgericht am 20.1.1992 eingehen und daß es deshalbmöglich ist, bis spätestens 22.1.1992 eine neue Entscheidungzu treffen.

Zuständig ist nach § 70 Abs. 5 Satz 1 FGG das Gericht, indessen Bezirk das Bedürfnis für die Unterbringung hervortritt.Das ist im vorliegenden Fall das Amtsgericht S, weil in seinemBezirk der Wohnort des Betroffenen liegt, an dem er anderePersonen bedroht haben soll. Wegen der Eilbedürftigkeit derUnterbringungssache war das Verfahren nicht etwa an dasAmtsgericht R zurückzugeben, um diesem dann die Weiter-leitung an das Amtsgericht S zu übertragen, weil dies zu einemunvertretbaren Zeitverlust und möglicherweise zu einerungerechtfertigten Verlängerung der Unterbringungsdauerführen könnte. Das Rechtsbeschwerdegericht ist nichtgehindert, im Einzelfall eine Sache nach Art. 9 § 5 Abs. 2Satz 4 BtG unmittelbar an das zuständige Amtsgericht zu-rückzugeben (a. A. Damrau/Zimmermann a. a. O. Rn. 13).

Übrigens ist seit 1.1.1992 zuständige Kreisverwaltungs-behörde nicht mehr die Stadt R, sondern das Landratsamt S(Art. 8 Abs. 1 Satz 1 UnterbrG in der Fassung von Art. 6 Abs. 15Nr. 3 des Gesetzes zur Ausführung des Gesetzes zur Reformdes Rechts der Vormundschaft und Pflegschaft für Volljährigevom 27.12.1991, GVBl. S. 496).

Bei dieser Sachlage kommt für dieses Rechtsbeschwerde-verfahren die Bewilligung von Prozeßkostenhilfe nicht in Be-tracht.

2. Abgabestreit wegen Zuständigkeitswechsels

BtG Art. 9 § 5 Abs. 2 Satz 3FGG §§ 46, 65

1. Einigen sich bei einem Abgabestreit wegen Zuständig-keitswechsels infolge Inkrafttretens des Betreuungsge-setzes die beteiligten Gerichte nicht, so entscheidet dasgemeinschaftliche obere Gericht.

2. Eine am 1.1.1992 bereits anhängige Betreuungssache istan das Gericht abzugeben, in dessen Bezirk der Betroffenean diesem Tage seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Aufdieses Gericht geht die Zuständigkeit über, sobald es dieSache übernommen hat.

3. Die Übergangsbestimmungen des Betreuungsgesetzesschreiben die Abgabe ohne Rücksicht auf Zweckmäßig-

RECHTSPRECHUNG(verantwortlich für den Rechtsprechungsteil: Rechtsanwalt Günter Jochum, Berlin)

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keitserwägungen zwingend vor; diese Abgabe setzt wedereine Zustimmung des Betreuers noch eine Anhörung desBetroffenen voraus.

BayObLG, 3. ZivilsenatBeschluß vom 24.2.19923Z AR 3/92 = BayObLGZ 1992 Nr. 11

Gründe: I. Das Amtsgericht Memmingen führt für die Be-troffene eine Betreuungssache, die es im Jahre 1959 alsPflegschaft mit den Wirkungskreisen Wahrnehmung dergesundheitlichen Interessen einschließlich Bestimmung desAufenthaltsorts sowie Verwaltung einer Rente und vonSparvermögen eingeleitet hatte. Seit Ende August 1976 wohntdie Betroffene in einem Bezirk des Amtsgerichts Kaufbeurengelegenen Pflegeheim.

Das Amtsgericht Memmingen will das Verfahren an dasAmtsgericht Kaufbeuren abgeben. Dieses lehnt eine Über-nahme der Sache ab.

Das Amtsgericht Memmingen hat die Akten deshalb demBayerischen Obersten Landesgericht zur Entscheidung desAbgabestreits vorgelegt.

II. 1. Das Bayerische Oberste Landesgericht ist zur Entschei-dung zuständig, weil die am Abgabestreit beteiligten Amts-gerichte in verschiedenen bayerischen Landgerichtsbezirkenliegen.

Mit dem Inkrafttreten des Betreuungsgesetzes (BtG) am1.1.1992 wurden die bisherigen Gebrechlichkeitspflegschaften(§ 1910 BGB a. F.) zu Betreuungen (Art. 9 § 1 Abs. 1 Satz 1BtG). Für diese wurde eine neue Zuständigkeitsregelung (65FGG) geschaffen; ist danach die Zuständigkeit eines anderenGerichts als nach altem Recht (§ 36 FGG, § 38 FGG a. F.) be-gründet, so ist das Verfahren an dieses Gericht abzugeben (Art.9 § 5 Abs. 2 Satz 3 BtG).

Für den Fall, daß das um Übernahme des Verfahrens angegan-gene Gericht die Übernahme ablehnt, enthält das Betreuungs-gesetz keine Bestimmung. Insbesondere ist – entgegen der Auf-fassung des Amtsgerichts Kaufbeuren – die für die Abgabe ei-nes Verfahrens getroffene Regelung (§ 65 a FGG) nicht an-wendbar. Diese greift nämlich nur ein, wenn das Verfahrenaus wichtigen Gründen an ein anderes Gericht abgegeben wer-den soll (§ 65 a Abs. 1 Satz 1, § 46 Abs. 1 Satz 1 FGG); hierbeisind allein Zweckmäßigkeitserwägungen maßgebend, wobeiein Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts des Betroffenen fürsich allein nicht ausreicht, sondern weitere Umstände hinzu-treten müssen, die eine Abgabe des Verfahrens als zweck-mäßig erscheinen lassen, etwa eine Erleichterung der Aufga-ben des Betreuers deshalb, weil sie im wesentlichen am neuenAufenthaltsort zu erfüllen sind (§ 65 a Abs. 1 Satz 2 FGG, vgl.BayObLGZ 1988, 236 f. m. w. Nachw.). Über diese Abgabe desVerfahrens aus wichtigen Gründen hinaus („über § 65 a Abs. 1FGG-E hinaus“; BT-Drucks. 11/4538 Zu Art. 9 § 5 – S. 201 reSpunten) sieht das Betreuungsgesetz hingegen zwingend (BT-Drucks. a.a.O.; Bienwald Betreuungsrecht Art. 9 § 5 BtG Rn. 7),also unabhängig von Zweckmäßigkeitserwägungen, eineAbgabe des Verfahrens vor, wenn mit dem Inkrafttreten desGesetzes eine neue Zuständigkeit begründet worden ist. Aufdiese ganz anders ausgestaltete Abgabe des Verfahrens sindnach dem Wortlaut des Gesetzes (Art. 9 § 5 Abs. 2 Satz 3 BtG)die Vorschriften über die Abgabe des Verfahrens (§ 65 a FGG)mithin nicht anwendbar.

Damit ergibt sich die Frage, ob nach dem Willen des Gesetzge-bers eine Abgabe des Verfahrens wegen Zuständigkeitswech-sels (Art. 9 § 5 Abs. 2 Satz 3 BtG) nur im Einvernehmen beiderGerichte möglich, ob eine Ablehnung des angegangenenGerichts nur im Rechtsmittelwege überprüfbar sein soll oderob eine Gesetzeslücke vorliegt. Die Regelungen der ähnlichgelagerten Fälle des Zuständigkeitsstreits (§ 5 FGG) und desAbgabestreits bei Abgabe aus wichtigen Gründen (§ 46, 65 a

RECHTSPRECHUNG1/92 37

FGG) zeigen, daß der Gesetzgeber die Entscheidung durch einübergeordnetes Gericht ohne Rechtsmittelverfahren vorzieht,mithin für den Fall eines Abgabestreits wegen Zuständigkeits-wechsels eine Gesetzeslücke besteht.

Eine solche ist nach Möglichkeit mit Hilfe einer rechtsähnli-chen Regelung zu schließen. Diese erblickt der Senat nicht inder Regelung des Zuständigkeitsstreits (§ 5 FGG), sondern inder des Abgabestreits wegen Abgabe aus wichtigen Gründen(§ 46 FGG). Denn diese bewirkt einen etwaigen Wechsel derZuständigkeit erst mit der Übernahme des Verfahrens durchdas angegangene Gericht. Dasselbe muß aber auch im Fall ei-ner Abgabe wegen Zuständigkeitswechsels (Art. 9 § 5 Abs. 2Satz 3 BtG) angenommen werden. Ein Wechsel der Zuständig-keit kraft Gesetzes am 1.1.1992, dem Tag des Inkrafttretensdes Betreuungsgesetzes, würde zu dem untragbaren Ergebnisführen, daß in allen Fällen, in denen eine erforderliche Abgabeunterbleibt, möglicherweise lange Zeit ein unzuständigesGericht tätig und deshalb bei Einlegung eines Rechts-mittels der Bestand seiner Entscheidungen gefährdet ist(Keidel/Kuntze/Winkler FGG 12. Aufl. § 7 Rn. 34–36). Einigensich bei einem Abgabestreit wegen Zuständigkeitswechsels dieGerichte nicht, so entscheidet somit das gemeinschaftlicheobere Gericht (§ 46 Abs. 2 Satz 1 FGG in entsprechenderAnwendung). Das ist hier das Bayerische Oberste Landes-gericht (§ 199 Abs. 2 Satz 2 FGG, Art. 11 Abs. 3 Nr. 1 AGGVG),ohne daß es darauf ankommt, daß die beiden Landgerichts-bezirke, zu denen die beteiligten Amtsgerichte gehören, imselben Oberlandesgerichtsbezirk liegen (BayObLGZ 1989, 1).

2. Das Amtsgericht Kaufbeuren ist verpflichtet, das Verfahrenzu übernehmen, weil die Betroffene am 1.1.1992 ihren ge-wöhnlichen Aufenthalt im Bezirk dieses Amtsgerichts hatte.

a) Für Verrichtungen, die die Betreuung betreffen, ist das Ge-richt zuständig, in dessen Bezirk der Betroffene zu der Zeit, zuder das Gericht mit der Angelegenheit befaßt wird, seinen ge-wöhnlichen Aufenthalt hat (§ 65 Abs. 1 FGG). Erfordert derWirkungskreis des Betreuers eine dauernde Tätigkeit und istdiese deshalb laufend vom Vormundschaftsgericht zu beauf-sichtigen (§ 1908 i Abs. 1 Satz 1, § 1837 Abs. 2 Satz 1 BGB), soist für die Zuständigkeit in einer bei Inkrafttreten des Betreu-ungsgesetzes bereits anhängigen Betreuungssache der Zeit-punkt dieses Inkrafttretens, mithin der 1.1.1992, maßgebend.Denn nach dem Willen des Gesetzgebers soll es, wenn aufGrund des neuen Rechts die örtliche Zuständigkeit des Vor-mundschaftsgerichts anders geregelt ist als bisher, nur daraufankommen, welches Vormundschaftsgericht örtlich zuständigwäre, wenn die Sache nun erstmals anhängig würde (Dam-rau/Zimmermann BtG Art. 9 § 5 Rn. 11). Mit dem vorstehend(1) bereits erwähnten Abgabezwang wollte der Gesetzgeber er-sichtlich alle alten Zuständigkeiten beseitigen, um zu errei-chen, daß wegen der umfangreichen Anhörungspflichten desVormundschaftsgerichts die Betreuungssache möglichst naheam Aufenthaltsort des Betroffenen geführt werden kann (vgl.BT-Drucks. a. a. O. Zu § 65 – S. 169).

Sieht das neue Recht (§ 65 FGG) eine andere Zuständigkeit vorals das alte Recht (§ 36 FGG, § 38 FGG a. F.), so ist die Abgabean das nunmehr zuständige Gericht – wie bereits vorstehend(1) erwähnt – zwingend vorgeschrieben. Für Zweckmäßigkeit-serwägungen gibt es mithin keinen Ermessensspielraum; dieVoraussetzungen für eine Abgabe aus wichtigen Gründen (§ 65a FGG) brauchen nicht vorzuliegen (Damrau/Zimmermanna. a. O.).

Deshalb erfordert die Abgabe wegen Zuständigkeitswechselsweder die Zustimmung des Betreuers noch eine Anhörung desBetroffenen; insoweit kommt eine entsprechende Anwendungvon § 65 a Abs. 2 FGG oder § 46 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 FGGnicht in Betracht. Unberührt bleibt die Verpflichtung des Ge-richts, einen der Beteiligten anzuhören, wenn dies erforderlichist, um von Amts wegen zu ermitteln, wo der Betroffene am1.1.1992 seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte (§ 12 FGG).

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b) Da die Betroffene am 1.1.1992 ihren gewöhnlichen Aufent-halt in einem Pflegeheim hatte, welches sich im Bezirk desAmtsgerichts Kaufbeuren befindet, ist das Verfahren an diesesGericht abzugeben.

3. Abgabe des Verfahrens bei Widerspruch desBetreuers

BtG Art. 9 § 5 Abs. 2 Satz 3FGG § 65 a

1. Will das Vormundschaftsgericht ein Betreuungsverfah-ren aus wichtigen Gründen an ein anderes Gericht abgebenund widerspricht der Betreuer, so ist das Bayerische Ober-ste Landesgericht für die Entscheidung des Abgabestreitszuständig, wenn die beteiligten Amtsgerichte in verschiede-nen bayerischen Landgerichtsbezirken liegen. Eine Ent-scheidung kann aber erst ergehen, wenn das Gericht, dasdie Sache übernehmen soll, gehört worden ist.

2. Die Abgabe der Sache wegen Zuständigkeitswechselsinfolge Inkrafttretens des Betreuungsgesetzes (Art. 9 § 5Abs. 2 Satz 3 BtG) geht der Abgabe einer Betreuungssacheaus wichtigen Gründen (§ 65 a FGG) vor.

3. Eine Entscheidung über die Abgabe einer Betreuungs-sache wegen Zuständigkeitswechsels infolge Inkrafttretensdes Betreuungsgesetzes (Art. 9 § 5 Abs. 2 Satz 3 BtG) kannnur ergehen, wenn das abgebende Gericht um Übernahmeersucht und das angegangene Gericht dieses Ersuchenabgelehnt hat. Ein Widerspruch des Betreuers rechtfertigtkeine Entscheidung über die Abgabe.

BayObLG, 3. ZivilsenatBeschluß vom 19.3.19923Z AR 11/92

Gründe: I. Das Amtsgericht Amberg führt für den Betroffe-nen eine Betreuungssache, die es im Jahre 1977 als vorläufigeVormundschaft eingeleitet und seit dem Jahre 1978 als Vor-mundschaft fortgeführt hatte. Der seinerzeitige Vormund undjetzige Betreuer hat den Betroffenen am 18.11.1988 im Bezirkdes Amtsgerichts Weiden i. d. OPf. in einer Fachklinik für Psy-chiatrie untergebracht, wo er sich seitdem mit wiederholt, zu-letzt am 18.7.1991 für zwei Jahre erteilter Genehmigung desVormundschaftsgerichts in einer geschlossenen Abteilung be-findet.

Das Amtsgericht Amberg will das Verfahren aus Zweckmäßig-keitsgründen an das Amtsgericht Weiden i. d. OPf. abgebenund hat, da der Betreuer seine Zustimmung verweigert, die Ak-ten dem Bayerischen Obersten Landesgericht zur Entschei-dung vorgelegt.

II. 1. Das Bayerischer Oberste Landesgericht ist zur Entschei-dung zuständig, weil die beteiligten Amtsgerichte in verschie-denen bayerischen Landgerichtsbezirken liegen (§ 46 Abs. 2Satz 1, § 65 a Abs. 1 Satz 1, § 199 Abs. 2 Satz 2 FGG, Art. 11Abs. 3 Nr. 1 AGGVG; vgl. BayObLGZ 1989, 1).

2. Über eine Abgabe kann im vorliegenden Fall nicht entschie-den werden, weil das Amtsgericht Weiden i. d. OPf. bisher we-der um eine Übernahme der Sache ersucht worden ist noch einsolches Ersuchen abgelehnt hat.

Das Amtsgericht Amberg will die Betreuungssache an dasAmtsgericht Weiden i. d. OPf. abgeben, weil es zweckmäßigsei, daß dieses Gericht die Sache weiterführt (§ 65 a Abs. 1 Satz1, § 46 Abs. 1 Satz 1 FGG). In einem solchen Fall entscheidetzwar regelmäßig das gemeinschaftliche obere Gericht über dieAbgabe, wenn der Betreuer widerspricht (§ 65 a Abs. 1 Satz 1,§ 46 Abs. 2 Satz 1 FGG) und das Gericht, an das abgegebenwerden soll, gehört worden ist (Keidel/Kuntze/Winkler FGG12. Aufl. §§ 46 Rn. 16 m. w. Nachw.). Da dies noch nicht ge-schehen ist, kann eine Entscheidung über eine Abgabe schondeshalb nicht ergehen.

Im übrigen kommt hier eine Abgabe aus wichtigen Gründen(§ 65 a FGG) deshalb nicht in Betracht, weil der Betroffene am1.1.1992, dem Tage des Inkrafttretens des Betreuungsge-setzes, seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bezirk des Amts-gerichts Weiden i. d. OPf. hatte und darum die Sondervor-schrift des Art. 9 § 5 Abs. 2 Satz 3 BtG eingreift, wonach dasVerfahren ohne Rücksicht auf eine Zustimmung des Betreuersan dieses Amtsgericht abzugeben ist. Auch eine Entscheidunghierüber kann vom gemeinschaftlichen oberen Gericht nurgetroffen werden, wenn das abgebende Gericht um Über-nahme ersucht und das angegangene Gericht dieses Ersuchenabgelehnt hat (BayObLGZ 1992 Nr. 11). Keine dieser Vor-aussetzungen liegt hier vor. Der Widerspruch des Betreuers,auf den es nach dem Gesagten ohnehin nicht ankommt,rechtfertigt eine Entscheidung über eine Abgabe wegenZuständigkeitswechsels infolge Inkrafttretens des Betreuungs-gesetzes nicht.

4. Zuständigkeit des Vormundschaftsgericht beiWohnsitzwechsel des Betreuten

BtG Art. 9 § 1, FGG §§ 46, 65, 65 a, 69 c§ 1908 b Abs. 5, 1908 c BGB

Für die Entlassung bisher bestellter Behörden als Betreuerund die Neubestellung natürlicher Personen zu Betreuernist das bisher zuständige Vormundschaftsgericht auchdann zuständig, wenn der Betreute seinen gewöhnlichenAufenthalt (seit längerem) im Bezirk eines anderen Ge-richts hat und eine dort wohnende Person zum Betreuerbestellt werden soll.

OLG Schleswig, 2. ZivilsenatBeschluß vom 20.3.19922W 20/92

Gründe: Der seinerzeit im Krankenhaus Alsterdorf in Ham-burg befindliche Betroffene ist nach einem schweren Schädel-hirntrauma am 1. Februar 1973 entmündigt worden. Am 15.Februar 1973 ist für ihn eine Vormundschaft eingerichtet unddie damalige Arbeits- und Sozialbehörde in Hamburg zum Vor-mund bestellt worden.

Nachdem der Betreute fast 17 Jahre im allgemeinen Kranken-haus Ochsenzoll in Hamburg gelebt hatte, mußte er im Februar1990 in ein privates Pflegeheim verlegt werden, wo er zur Zeitnoch lebt.

Im Zusammenwirken zwischen der Behörde für Arbeit, Ge-sundheit und Soziales in Hamburg und dem Jugendamt desKreises Stormarn in Bad Oldesloe machte die Behörde in Ham-burg am 2. Januar 1992 den Vorschlag, nunmehr eine Frauaus Bad Oldesloe zur Betreuerin mit dem WirkungskreisVermögensangelegenheiten zu bestellen. Darauf hat das Vor-mundschaftsgericht Hamburg die Abgabe der Sache an dasAmtsgericht Bad Oldesloe vorbereitet und versucht. Das Amts-gericht Bad Oldesloe hat die Übernahme abgelehnt.

Der Senat ist der Auffassung, daß in diesem Stadium des Ver-fahrens noch kein wichtiger Grund für die Abgabe nach§§ 65 a, 46 FGG vorliegt.

Der in der neuen Vorschrift des § 65 a FGG hervorgehobeneFall des Aufenthaltswechsels ist ersichtlich nicht gegeben undauch in Verbindung mit den Neuregelungen des Betreuungs-gesetzes und dem früheren Wechsel im Jahre 1990 nichtgemeint.

In Betracht kommt im vorliegenden Fall als wichtiger Grundfür eine Abgabe erst die erfolgte Bestellung einer neuenBetreuerin am jetzigen Aufenthaltsort des Betreuten, wenn dieübrigen Abgabevoraussetzungen erfüllt sind.

Für die nach §§ 1908 b Abs. 5, 1908 c BGB, 69 c Abs. 1, 69 iAbs. 7 und 8 FGG vorgesehene Neuorganisation der Betreuungist nach Auffassung des Senats noch das bisherige Vormund-schaftsgericht zuständig, wie sich aus § 1 der Übergangsvor-

RECHTSPRECHUNG38 1/92

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Abs. 2 BtG beurteilen – der Weg über § 46 Abs. 2 FGGoffensteht (im Ergebnis ebenso BayObLG 3 Z AR 3/92, Be-schluß vom 24.2.1992 – bisher unveröffentlicht –; in dieserEntscheidung wird von einer Gesetzeslücke ausgegangen, dieüber eine analoge Anwendung von § 46 Abs. 2 Satz 1 FGG zuschließen sei).

Der Umstand, daß das Amtsgericht die Abgabe nach § 65 aFGG vornehmen will, steht nach der Vorlage an das Ober-landesgericht einer Prüfung und Entscheidung der Übernah-meverpflichtung nach der Übergangsregelung in Art. 9 § 5 Abs.2 Satz 3 BtG nicht entgegen. Ob die Zustimmung des Betreuers(vgl. § 65 a Abs. 1 in Verbindung mit § 46 Abs. 1 FGG) auch ineinem solchen Falle einzuholen und dem Betreuten vor derAbgabe entsprechend § 65 a Abs. 2 FGG Gelegenheit zurÄußerung zu geben ist, kann offen bleiben (verneinend Bay-ObLG a. a. O.). Im vorliegenden Falle ist nämlich beides ge-schehen (vom Standpunkt des Amtsgerichts aus, das dieAbgabe nach § 65 a FGG durchführen will, auch folgerichtig;zur Äußerungsmöglichkeit für den Betroffenen vgl. allgemeinauch Damrau/Zimmermann a. a. O. Fgg § 65 a Rdnr. 10;Bienwald, Betreuungsrecht 1992 FGG § 65 a Rdnr. 14).

2. b) Das Betreuungsverfahren ist nunmehr vom Amtsgerichtzu führen:

Der Betreute hat in dessen Bezirk seit Oktober 1984 seinenjetzt nach § 65 Abs. 1 FGG maßgeblichen „gewöhnlichen Auf-enthalt“, da er sich seit diesem Zeitpunkt – ohne Unterbre-chung – im Kreispflegeheim befindet (zu den Gründen für dasAnknüpfungsmerkmal „gewöhnlicher Aufenthalt“ statt – wiebisher – „Wohnsitz“ vgl. BT-Drucks. 11/4528 S. 169, 213, 230).

Damit liegt die Voraussetzung vor, unter der nach Art. 9 § 5Abs. 2 Satz 3 BtG eine Abgabe an das nach § 65 Abs. 1 FGG zu-ständige Vormundschaftsgericht stattzufinden hat:

Der Wortlaut der Vorschrift und ihre Einbettung im Gesamt-kontext der Übergangsregelungen könnten zwar die Schluß-folgerung nahelegen, daß eine – zwingende – Abgabe nurstattzufinden hat, wenn zum Zeitpunkt des Inkrafttretens desBetreuungsgesetzes am 1.1.1992 für bestimmte Verfahrens-situationen konkreter Entscheidungsbedarf besteht. FürPflegschaften hätte dies zur Konsequenz, daß in allen anderenFällen, in denen zum 1.1.1992 ein Verfahren anhängig ist, dieAnordnung oder Aufhebung der Pflegschaft, die Bestellungoder Entlassung des Pflegers aber nicht entscheidungsbe-dürftig ist und auch keine „andere Maßnahme des Vor-mundschaftsgerichts“ konkret noch offensteht, eine Abgabeallein unter den Voraussetzungen des § 65 a FGG in Betrachtkäme. Dies würde jedoch zu Ungereimtheiten führen: Imvorliegenden Falle z. B. hatte die Betreuerin anläßlich derRechnungslegung am 14.2.1992 darum gebeten, sie „vom Amtder Betreuerin zu entbinden“; hierin liegt ein Antrag nach§ 1908 b Abs. 2 BGB. Hätte sie einen solchen Antrag vor dem31.12.1991 gestellt und wäre dieser – aus welchen Gründenauch immer – vor Inkrafttreten des Betreuungsgesetzes nichtmehr nach §§ 1915, 1889 BGB verbeschieden worden, so wärebei der oben erwähnten – restriktiven – Auslegung von Art. 9§ 5 Abs. 2 Satz 3 BtG zweifelsfrei eine Abgabe an das jetztzuständige Aufenthaltsgericht erforderlich gewesen. Hätte dasAmtsgericht jedoch noch vor dem 1.1.1992 über diesenAufhebungsantrag entschieden und hätte zu diesem Stichtagauch keine andere Maßnahme des Vormundschaftsgerichtsnoch offen gestanden (fraglich erscheint, ob die Prüfung derperiodischen Rechnungslegung durch das Vormundschafts-gericht hierunter subsummiert werden kann), so wäre eineAbgabe nach dieser Bestimmung nicht möglich gewesen. Eineso verstandene Auslegung von Art. 9 § 5 Abs. 2 Satz 3 BtGwürde es damit von Zufälligkeiten abhängig machen, ob dasWohnsitzgericht für die nunmehr als Betreuung zu führendePflegschaft zuständig bleibt und nur unter den weiterenVoraussetzungen des § 65 a FGG an das Aufenthaltsgerichtabgeben kann. Solche sachlich nicht begründbare unterschied-

RECHTSPRECHUNG1/92 39

schriften (Art. 9 Betreuungsgesetz) i. V. m. § 65 Abs. 4 FGG er-gibt. Auch wenn sich aus der Akte bisher keine Anhaltspunktefür ein Scheitern der geplanten Neubestellung einer natür-lichen Person zur Betreuung ergeben, ist der Ausgang diesesVerfahrens keineswegs gewiß und entsprechend bis zurEntscheidung darüber an der bewährten bisherigen Führungder Betreuung festzuhalten.

5. Entscheidung des Oberen Gerichts bei Zuständig-keitsstreit der Vormundschaftsgerichte

BtG Art. 9 § 5 Abs. 2 Satz 3FGG § 46 Abs. 2

1. BtG Art. 9 § 5 Abs. 2 S. 3 ist so zu verstehen, daß ohneRücksicht auf den Stand des Verfahrens und einen etwai-gen Entscheidungsbedarf die zum 1.1.1992 zu Betreuungengewordenen Pflegschaften von dem Gericht, bei dem sie bis31.12.1991 anhängig waren oder geführt wurden, an dasnunmehr zuständige Aufenthaltsgericht abzugeben sind.

2. FGG § 46 Abs. 2. Bei Differenzen zwischen den beteiligtenGerichten entscheidet auch in diesem Falle das gemein-schaftliche obere Gericht nach § 46 Abs. 2 FGG.

OLG Karlsruhe, 11. ZivilsenatBeschluß vom 13.4.199211W 24/92

Gründe: 1. Das Amtsgericht – Vormundschaftsgericht –hatte am 23.4.1960 für den am ... geborenen Herrn ... Ge-brechlichkeitspflegschaft (mit dem Wirkungskreis: Vertretungin allen Vermögensangelegenheiten einschließlich der Vermö-gensverwaltung; Bestimmung des Aufenthalts) angeordnet.

Seit Oktober 1984 befindet sich Herr ... ohne Unterbrechung inder Kreispflegeanstalt ... in ...

Anläßlich der Rechnungslegung für die Zeit vom 1.11.1989 bis31.10.1991 bat die am 26. Oktober 1977 als Gebrechlichkeits-pflegerin verpflichtete, nunmehr als Betreuerin tätige Frau ...am 14.2.1992 darum, sie aus gesundheitlichen Gründen vomAmt der Betreuerin zu entbinden; sie erklärte bei diesem Ter-min weiter, daß sie mit einer Abgabe des Betreuungsverfah-rens an das Amtsgericht einverstanden sei.

Das Amtsgericht übersandte daraufhin die Akte dem Amtsge-richt „mit der Bitte um Abgabe einer Erklärung gemäß § 46Abs. 1 in Verbindung mit § 65 a FGG“. Das angegangene Ge-richt schickte die Akte am 17.2.1992 mit dem Bemerkenzurück, daß eine Übernahme des Verfahrens abgelehnt werde;das neue Betreuungsrecht beinhalte keine Änderung der Zu-ständigkeit für Altverfahren.

Das Amtsgericht legte daraufhin die Akte dem Oberlandesge-richt zur Entscheidung gemäß § 46 Abs. 2 FGG vor. Herr ..., dervom Amtsgericht angeschrieben wurde, hat sich zu dessen Ab-sicht, das Betreuungsverfahren „aus Gründen der Zweck-mäßigkeit an das AG abzugeben“ nicht geäußert.

2. a) Die Voraussetzungen für eine Entscheidung des Oberlan-desgerichts Karlsruhe gemäß § 46 Abs. 2 FGG sind gegeben:

Im vorliegenden Falle kommt eine Abgabe nach Art. 9 § 5Abs. 2 des Betreuungsgesetzes (BtG) vom 12. September 1990– BGBl I S. 2002 – in Betracht. Satz 3 dieser Bestimmungerweitert die seit dem 1.1.1992 geltende Regelung in § 65 aFGG, deren Voraussetzungen im übrigen nicht vorzuliegenbrauchen (Damrau/Zimmermann, Betreuungsgesetz, 1991,Art. 9 § 5 BtG Rdnr. 11). § 65 a FGG verweist bei Zuständig-keitskonflikten für die Entscheidung durch das gemeinschaft-liche obere Gericht - hier das Oberlandesgericht Karlsruhe –auf § 46 Abs. 2 FGG. Nachdem es sich bei der Regelung in Art.9 § 5 Abs. 2 Satz 3 BtG um eine Übergangssonderregelung imAnwendungsbereich des § 65 a FGG handelt, ist davon auszu-gehen, daß auch für Konflikte bei Abgaben, die sich – wiesogleich auszuführen sein wird – ausschließlich nach Art. 9 § 5

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liche Behandlungen von Pflegschaften können vom Gesetz-geber nicht gewollt sein. Seine Absicht, wonach Pflegschaftenunabhängig vom aktuellen Entscheidungsbedarf zum Zeit-punkt des Inkrafttretens des Betreuungsgesetzes an dasAufenthaltsgericht abzugeben sind, ergibt sich nach Ansichtdes Senats auch aus den Gesetzgebungsmaterialien. In derschon erwähnten BT-Drucks. 11/4528 ist zu den Übergangs-regelungen – soweit hier von Bedeutung – folgendes festge-halten (a. a. O. S. 201):

„§ 5 enthält die Überleitung von Verfahren, die bei Inkraft-treten des Gesetzes anhängig sind bzw. sich in einem auf einegerichtliche Maßnahme zielenden Stadium befinden. Grund-sätzlich werden diese in Betreuungssachen überführt (sieheaber Abs. 5)....

Abs. 2 betrifft die Verfahren, die im Zeitpunkt des Inkraft-tretens des Gesetzes vom Vormundschaftsgericht als Vor-mundschafts- und Pflegschaftssachen betrieben werden.Schon aus dem in § 1 festgelegten Grundsatz der Überleitungergibt sich, daß die Vorgänge nach wirksamer Anordnungeiner Vormundschaft oder Pflegschaft in diesem Zeitpunktnicht enden, sondern daß sie als Betreuungssachen fortzu-führen sind. Satz 1 und 2 bestätigen diesen Grundsatz ausdem Blickwinkel des Verfahrens und dehnen ihn auf dasAnordnungs- und Bestellungsverfahren aus. „Andere Maß-nahme“ im Sinne des Satzes 2 kann z. B. die Genehmigung ei-ner Handlung des Betreuers sein. Hat sich aufgrund des neuenRechts die örtliche Zuständigkeit geändert, so ist in Satz 3 dieAbgabe an das nunmehr zuständige Gericht (über § 65 a Abs.1 FGG-E hinaus) zwingend vorgeschrieben . . .“

Eines der Reformanliegen des Betreuungsgesetzes war, per-sönlichen Kontakt zwischen Betroffenem, Betreuer und demGericht zu gewährleisten. Mit der Anknüpfung an den gewöhn-lichen Aufenthalt wollte man sicherstellen, daß das Gerichtzum Betroffenen ortsnah liegt und räumliche Entfernungen fürerforderliche Kontakte keine entscheidende Rolle spielen (BT-Drucks. 11/4528 S. 169). Es ist kein Grund dafür ersichtlich,warum diese vom Gesetzgeber beabsichtigte Erleichterung imKontakt zwischen Betroffenem und Gericht den Betroffenen insog. „Altfällen“ nicht generell zugute kommen soll.

Nach alledem ist die Regelung in Art. 9 § 5 Abs. 2 Satz 3 BtG fürper 1.1.1992 zu Betreuungen gewordenen Pflegschaften so zuverstehen, daß ohne Rücksicht auf den Stand des Verfahrensund einen etwaigen Entscheidungsbedarf beim bis zum1.1.1992 zuständigen Gericht die Abgabe an ein nunmehrzuständiges Aufenthaltsgericht zu erfolgen hat. Diese Abgabemuß unverzüglich erfolgen. Nur so erscheint sichergestellt, daßgerade auch die Aufenthaltsgerichte, in deren Bezirk sichHeime verschiedener Art und damit auch eine Vielzahl vonbetreuungsbedürftigen Betroffenen befinden, sachangemesseninnerhalb der in Art. 9 § 2 BtG vorgesehenen Überprüfungs-höchstfristen disponieren können (vgl. hierzu auch Bienwald a.a. O. Art. 9 § 2 Rdnr. 3 ff.). Ansonsten wären Fälle denkbar, indenen zu Betreuungen gewordene Pflegschaften – aus welchenGründen auch immer – erst kurz vor Ablauf der jeweils gelten-den Maximalfrist in Bearbeitung genommen, dann erst – wiezwingend vorgeschrieben – an das Aufenthaltsgericht abge-geben werden und dort für eine sachgerechte Prüfung auchunter Ausschöpfung der Höchstfrist keine ausreichende Zeitmehr bleibt.

Die erwähnte Bestimmung ist damit so zu lesen und anzuwen-den, als wäre sie als eigenständiger Absatz im Regelwerk derÜbergangsbestimmungen enthalten.

An dieser Wertung vermag auch der Umstand nichts zu än-dern, daß es nunmehr in einer nicht unerheblichen Zahl vonEinzelfällen zu praktischen Problemen im Kontakt zwischendem zum Betreuer gewordenen Pfleger und dem aufgrund dergeänderten Zuständigkeit unter Umständen räumlich weiter

entfernten Vormundschaftsgericht kommen kann. Es ist in derPraxis nicht eben selten zu beobachten, daß Pfleger – jetztBetreuer – sich nicht nur Rat beim zuständigen Vormund-schaftsgericht geholt haben, sondern dort auch in erheblichemUmfange etwa bei der periodischen Rechnungslegung Hilfebekamen. Ein wie auch immer gestalteter Kontakt zwischenBetreuer und Vormundschaftsgericht wird durch einen zwin-genden Wechsel der Zuständigkeit hin zum Aufenthaltsgerichtnicht selten erschwert. Die Hilfestellung, die § 4 des Betreu-ungsbehördengesetzes für Betreuer vorsieht, vermag in die-sem Bereich und unter diesem Gesichtspunkt keinen Ersatz zubieten, weil die örtliche Zuständigkeit der Betreuungsbehördenach § 3 Abs. 1 des Betreuungsbehördengesetzes wiederum anden gewöhnlichen Aufenthalt des Betroffenen anknüpft. DieseErschwerung muß jedoch hingenommen werden; der Gesetz-geber hat im übrigen bei der Interessengewichtung den Be-langen des Betroffenen Vorrang eingeräumt:

Wie schon erwähnt, wurde die neue Regelung der örtlichenZuständigkeit in § 65 FGG – auch – von dem Reformanliegengetragen, persönlichen Kontakt zwischen Betroffenem, Be-treuer und dem Gericht zu gewährleisten und durch dieOrtsnähe Erschwernisse hierbei zu vermeiden. Der Bundesrathatte in seiner Stellungnahme zu § 65 Abs. 1 FGG vorgeschla-gen, nicht am „gewöhnlichen Aufenthalt“ als zuständigkeits-begründendem Merkmal anzuknüpfen, sondern an den Wohn-sitz und nur beim Fehlen eines inländischen Wohnsitzes anden gewöhnlichen Aufenthalt. Zur Begründung wurde imwesentlichen darauf abgehoben, daß es zu einer Konzentrationvon Verfahren bei Gerichten käme, „in deren Bezirk sich eineoder mehrere Einrichtungen für psychisch Kranke, Behinderteoder Altersverwirrte befinden. Dies hätte zur Folge, daß ver-hältnismäßig häufig auf die Behörde als Betreuer zurückge-griffen werden müßte, weil so viele geeignete Betreuer ineinem entsprechenden Gerichtsbezirk in aller Regel nichtvorhanden sein werden.“ (BT-Drucks. 11/4528 S. 213). DieBundesregierung hat in ihrer Gegenäußerung zur Stel-lungnahme des Bundesrates (a. a. O. S. 230) erneut dieerleichterte Kontaktmöglichkeit zwischen Gericht und Be-troffenem bei der Anknüpfung an dessen gewöhnlichen Auf-enthalt betont und zur Auswahl des Betreuers angemerkt, daßdas Aufenthaltsgericht – etwa unter Vermittlung eines Betreu-ungsvereins – auf Betreuer am Wohnsitz des Betroffenenzurückgreifen könne, weswegen es zur Gewährleistung einerausreichenden Zahl von Einzelbetreuern nicht einer Verände-rung der örtlichen Zuständigkeit des Gerichts bedürfe.

Aus der Tatsache, daß der Entwurf der Bundesregierunginsoweit unverändert Gesetz wurde, ist zu entnehmen, daß derGesetzgeber bei Zielkonflikten innerhalb der angestrebten er-leichterten Kommunikation zwischen Betroffenem, Betreuerund Gericht Erleichterungen im Verhältnis Gericht/Betroffe-nem den Vorrang einräumt und hierbei – gezwungenermaßen– Erschwernisse im Verhältnis Betroffener/Betreuer und Be-treuer/Gericht in Kauf nimmt.

Dem Umstand, daß auf die Aufenthaltsgerichte nicht nur indieser Übergangsphase nach dem 1.1.1992 ein verstärkter Ar-beitsanfall zukommt, wird die Justizverwaltung in angemesse-ner Weise Rechnung zu tragen haben.

3. Nach alledem war auf die zulässige Vorlage des Amtsge-richts auszusprechen, daß das Amtsgericht zur Übernahmedes Verfahrens verpflichtet ist. Eine Kostenentschädigung istnicht veranlaßt.

6. Entlassung des Betreuers bei Streitigkeiten überdie Höhe der Vergütung

BGB §§ 1836 Abs. 2, 1889 Abs. 1, 1908 b Abs. 2, 1915

1. Eine Entlassung des Pflegers auf dessen Wunsch erfolgtnur bei einem wichtigen Grund, §§ 1915, 1889 Abs. 1, 1908b Abs. 2 BGB, unter dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit.

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2. Die Vergütungsregelung des § 1836 Abs. 2 BGB be-einträchtigt den Berufspfleger nicht unbillig, wenn dieentstehenden Kosten in etwa gedeckt werden und einangemessenes Entgelt verbleibt, wobei nur eine Vergütungim oberen Bereich des Rahmens in Betracht kommt.

3. Wählt das Vormundschaftsgericht einen Rechtsanwaltals Betreuer aus, so ist schon abstrakt von dem Erfordernisbesonderer Fachkenntnisse auszugehen, die der Rechts-anwalt als Berufspfleger in seine Betreuungstätigkeiteinzubringen hat.

LG Berlin, 83. ZivilkammerBeschluß vom 17.12.199183 T 390/91

Gründe: Für den Betroffenen besteht seit dem 11. Januar1988 eine Gebrechlichkeitspflegschaft mit dem Wirkungskreis„Vermögenssorge, Vertretung gegenüber Behörden“. Anlaßfür die Einleitung der Pflegschaft war die Mitteilung desBezirksamts Tempelhof von Berlin, Abteilung Gesundheits-wesen – Sozialpsychiatrischer Dienst –, vom 7. Januar 1988,die den Betroffenen als infolge Drogenabhängigkeit unfähigzur Erledigung seiner Vermögens- und Wohnungsangelegen-heiten angesehen hatte. Der Betroffene hatte dem BezirksamtTempelhof mitgeteilt, er habe ca. 25.000,00 DM Schulden beider Berliner Bank. Fast sein ganzes Geld habe er für dieBeschaffung von Drogen verwendet. Er sei arbeitslos und habeim November 1986 seine Wohnung verloren. Aus demWenckebach-Krankenhaus sei er aus disziplinarischen Grün-den entlassen worden, weil ihm weiterer Drogenmißbrauchvorgeworfen worden sei. Der Betroffene sei mit der Ein-richtung der Pflegschaft einverstanden.

Der Beteiligte ist am 5. Februar 1988 als Gebrechlichkeits-pfleger verpflichtet worden. In dem Vermögensverzeichnisvom 7. Juli 1988 hat er die Verbindlichkeiten des Betroffenenmit ca. 17.300,00 DM angegeben, denen keine Einkünftegegenüberstünden.

Unter dem 16. Mai 1989 hat der Beteiligte berichtet, derBetroffene habe eine eigene Wohnung erhalten und ab April1988 eine Beschäftigung gefunden. Er sei jedoch wieder ent-lassen worden und habe sich danach mit Verspätung arbeitslosgemeldet. Die Gewährung von Arbeitslosenhilfe habe sichverzögert, da der Betroffene mit der Beschaffung von Ein-kommensunterlagen Schwierigkeiten gehabt habe. Ebensohabe die Miete vom Sozialamt nicht übernommen werdenkönnen, da der Vermieter keinen Mietvertrag ausgestellt habe.Ein Teil der Schulden sei bezahlt worden.

Mit Schreiben vom 27. März 1991 hat der Beteiligte dasAktivvermögen des Betroffenen mit ca. 2.500,00 DM und seineVerbindlichkeiten mit ca. 6.300,00 DM beziffert. Er hat be-richtet, der Betroffene habe an einer Fortbildungsmaßnahmedes Arbeitsamts teilgenommen und danach etwas verspätet dieGewährung von Arbeitslosengeld beantragt. Mit dem Eigen-tümer der Wohnung des Betroffenen habe es Streitigkeitengegeben, weil dieser den Betroffenen zum Auszug aus derWohnung bewegen wolle, um die Wohnung günstig weiter-veräußern zu können. Mit Beschluß vom 18. April 1991 ist demBeteiligten ein aus der Landeskasse zu erstattender Auf-wendungsersatz von 2.938,00 DM bei einem Stundensatz von55,00 DM bewilligt worden.

Mit Schreiben vom 22. Juli 1991 hat der Beteiligte beantragt,ihn bis spätestens 31. Dezember 1991 zu entpflichten. ZurBegründung hat er erklärt, nach dem ab 1. Januar 1992geltenden neuen Betreuungsgesetz werde anstelle des ihmbisher gewährten Aufwendungsersatzes von 55,00 DM proStunde im Regelfall nur noch 20,00 DM bewilligt. Er sei nichtbereit, die Pflegschaft unter diesen Umständen weiterzu-führen. Er führe insgesamt 30 vermögenslose Pflegschaften.Zwar habe auch der bisherige Stundensatz seine persönlicheInanspruchnahme als Rechtsanwalt nicht abgedeckt, denn

diese sei ohnehin mit ca. 300,00 DM pro Stunde zu bewerten,jedoch werde üblicherweise der überwiegende Teil derPflegschaftsführung durch Angestellte des Rechtsanwalts ge-leistet. Die Kosten pro Mitarbeiterstunde in einem Rechts-anwalts- und Notariatsbüro lägen bei etwa 35,00 DM zuzüglichca. 10,00 DM pro Stunde für die übrigen eingesetzten Betriebs-mittel. Künftig werde er nicht einmal die von ihm verauslagtenKosten erstattet bekommen.

Durch den angefochtenen Beschluß vom 30. September 1991ist der Antrag des Beteiligten mit der Begründung zurückge-wiesen worden, es lägen weder die in § 1786 BGB aufgeführtenAblehnungsgründe noch weitere Gründe für eine Entlassungdes Pflegers vor.

Hiergegen hat der Beteiligte mit Schreiben vom 15. Oktober1991 Erinnerung eingelegt und darauf hingewiesen, daß eineKürzung seiner Honorierung um ca. 63 % einen wichtigenGrund zur Entlassung darstelle.

Rechtspfleger und Richterin des Vormundschaftsgerichts ha-ben der Erinnerung nicht abgeholfen, die Richterin des Amts-gerichts hat die Akten dem Landgericht Berlin zur Entschei-dung vorgelegt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wirdauf den Inhalt der Akten Bezug genommen.

Die gemäß § 11 Abs. 2 S. 4, 5 RpflG als Beschwerde geltendeErinnerung ist gemäß §§ 19, 20, 21 FGG zulässig, jedoch nichtbegründet. Zu Recht hat es die Rechtspflegerin des Vormund-schaftsgerichts abgelehnt, den Beteiligten aus dem Amt desPflegers zu entlassen, denn es liegt ein wichtiger Grund hierfürnicht vor.

Gemäß §§ 1915, 1889 Abs. 1 BGB hat das Vormundschafts-gericht den Pfleger auf seinen Antrag zu entlassen, wenn einwichtiger Grund vorliegt. Die Entlassung des Pflegers aufseinen Antrag hin steht unter der Voraussetzung der Billigkeit,d. h. jedenfalls im Falle des Einzelpflegers ist vornehmlichdessen Interesse an seiner Entlassung zu berücksichtigen,andererseits darf das Interesse des Betroffenen an derFortführung der Pflegschaft durch den bisherigen Pfleger nichtüberwiegen (vgl. BayObLG in FamRZ 1959 S. 373/374;Soergel/Damrau BGB Bd. 8 12. Aufl. 1987 § 1889 Rdnr. 2;D. Schwab in Münchener Kommentar zum BGB Bd. 5 2. Halb-band 2. Aufl. 1987 § 1889 Rdnr. 2; Erman/Holzhauer BGB 2.Band 8. Aufl. 1989 § 1889 Rdnr. 1). Eine Entlassung desPflegers kommt regelmäßig nicht in Betracht, wenn ihm dieFortführung der Pflegschaft unter Würdigung seiner sowie derBelange des Betroffenen zumutbar ist (BayObLG a. a. O.;Soergel/Damrau a. a. O.; Erman/Holzhauer a. a. O.).

Auch nach neuem Recht gilt für die Entlassung des Betreuersauf seinen Antrag der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit (§ 1908b Abs. 2 BGB n.F.).

Unter Abwägung der Interessen des Betroffenen und denen desum seine Entlassung nachsuchenden Pflegers erscheint es demBeschwerdeführer zumutbar, das Amt fortzusetzen. SeineAuffassung, in Zukunft werde nach Inkrafttreten des Be-treuungsgesetzes seine Inanspruchnahme als Betreuer keineangemessene Vergütung finden, ist in der von ihm vorge-tragenen Gewißheit nicht zutreffend. Gemäß § 1836 Abs. 2S. 2, 3 BGB n. F. i. V. m. § 2 Abs. 2 S. 1 ZSEG beträgt die Ver-gütung mindestens 20,00 DM und kann bis zu 60,00 DM erhöhtwerden, soweit die Führung der Pflegschaft besondereFachkenntnisse erfordert oder mit besonderen Schwierig-keiten verbunden ist. Die Vergütung kann bis zu 100,00 DMerhöht werden, wenn im Einzelfall Umstände hinzutreten, diedie Besorgung bestimmter Angelegenheiten außergewöhnlicherschweren (§ 1836 Abs. 2 S. 2 am Ende BGB n. F.).

Es ist nicht ersichtlich, daß der durch das Betreuungsgesetzgezogene Rahmen den Beschwerdeführer bei einer Fort-führung der Tätigkeit als Betreuer in seinen Erwerbschancen

RECHTSPRECHUNG1/92 41

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keit zu berücksichtigen, selbst wenn dies nicht ausdrücklich in§ 1836 Abs. 2 S. 2, 3 BGB n. F. erwähnt ist, denn diebüromäßig organisierte Betreuungstätigkeit schafft sowohl einhöheres Maß an Flexibilität als auch die Möglichkeit, einegrößere Anzahl von Betroffenen zu betreuen, wie dies in einerGroßstadt wie Berlin wohl unvermeidlich bleiben wird.

Bei dieser Betrachtung bleibt die Möglichkeit, die Vergütungbeim Vorliegen außergewöhnlicher Umstände auf bis zu100,00 DM zu erhöhen, unberücksichtigt, weil der erweiterteSpielraum bei der Bemessung der Vergütung erst bei Aus-übung der Betreuungstätigkeit erkennbar und im vorhineinnicht als reale Aussicht auf ein höheres Entgelt in Ansatz zubringen sein wird. Für den Vergleich zwischen der Situationdes Pflegers und der künftigen Stellung als Betreuer unter demGesichtspunkt eines gewichtigen Grundes für eine Entlassungaus wirtschaftlichen Gründen spielt diese Erhöhungsmöglich-keit keine Rolle.

Ebensowenig kann ein fiktiver Stundensatz von 300,00 DMzum Vergleich mit der künftig möglichen Vergütung einesPflegers herangezogen werden. Zum einen bezieht sich einderart hoher Stundensatz auf eine ausschließlich hoch quali-fizierte Tätigkeit, zum anderen sind derartige Entgelte auch inder Vergangenheit von den Berufspflegern bei Übernahme desAmts nicht ernsthaft in Erwägung gezogen worden. Bei einerVielzahl der pflegerischen Aufgaben handelt es sich um ein-fache kaufmännische oder rein tatsächlich einfache Tätig-keiten, wie z. B. die Buchführung in Vermögensangelegen-heiten, die Ermittlung der persönlichen und wirtschaftlichenVerhältnisse des Pflegebefohlenen oder die Organisation derVersorgung des Pfleglings mit Nahrung und Unterkunft. Indiesen Bereichen wird, wie der Beschwerdeführer andeutet,ohnehin der von ihm beschäftigte Mitarbeiterstab tätig. Mit derZubilligung einer Vergütung, die die dadurch entstehendenbetrieblichen Kosten übersteigt, wird auch ein, wenn auch invielen Fällen im Interesse der öffentlichen Haushalte nichtgroßzügig bemessenes, Entgelt für den Betreuer geleistet.

Künftig werden die Vormundschaftsgerichte bei der Auswahldes Betreuers mehr als bisher zu prüfen haben, welche An-forderungen eine effektive Betreuung an die Personen desBetreuers stellt, und in den Fällen, in denen eine hohe Quali-fikation des Betreuers und die Organisation der Tätigkeit durchein nach privatwirtschaftlichen Grundsätzen arbeitendes Büronicht erforderlich erscheinen, von der Auswahl eines Rechts-anwalts als Berufspfleger absehen. Wenn die durch dieHeranziehung eines Rechtsanwalts als Betreuer entstehendenKosten absehbar außer Verhältnis zu dem durch die Betreuungbewirkten Nutzen stehen, ist es weder im wirtschaftlichenInteresse des Betreuten, noch im Falle der Einstandspflicht desStaates bei mittellosen Betreuungsverhältnissen im öffent-lichen Interesse, ungeachtet der Art und des Umfangs der zuerledigenden Geschäfte einen im Einzelfall überqualifiziertenund mit zu großem betrieblichen Aufwand arbeitenden Be-treuer zu beschäftigen.

In den Fällen, in denen das Pflegschaftsverhältnis in ein Be-treuungsverhältnis übergeleitet wird, bleibt es allerdings auchkünftig für die Bemessung der Vergütung bei dem Grundsatz,daß der Rechtsanwalt als Berufspfleger – wobei die Notwendig-keit seiner Auswahl zu unterstellen ist – Anspruch auf eineseine Kosten berücksichtigende Vergütung hat. Zumindest füreine Übergangszeit muß der Tatsache Rechnung getragen wer-den, daß die bisher als erforderlich angesehenen Fachkennt-nisse und etwaige erwartete Schwierigkeiten, die in der Ver-gangenheit Anlaß zur Bestellung eines Rechtsanwalts als Pfle-ger gegeben haben, in tatsächlicher Hinsicht nicht deshalb ent-fallen können, weil der Gesetzgeber von einem bestimmtenStichtag an vermeintlich abweichende Kriterien für die Bewer-tung erbrachter Leistungen aufstellt. Soweit der bestellteRechtsanwalt weiterhin die nach seiner Qualifikation und sei-ner betrieblichen Ausstattung erwarteten Leistungen erbringt,

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unbillig beeinträchtigen wird, da bei der Bemessung seinerVergütung von vornherein die Umstände zu berücksichtigensind, die zu seiner Auswahl als in dem Berufsfeld des Pflegerstätigen Rechtsanwalts geführt haben. Nach bisher geltendemRecht war als Pfleger gemäß §§ 1915, 1779 Abs. 2 S. 1 BGBeine Person auszuwählen, die nach ihren persönlichen Ver-hältnissen und ihrer Vermögenslage sowie nach den sonstigenUmständen zur Führung der Pflegschaft geeignet war.

Sogenannte Berufspfleger sind – davon geht die Kammer aus –hauptsächlich wegen ihrer im Einzelfall zur Bearbeitung derAngelegenheiten des Pflegebefohlenen erforderlichen Quali-fikationen und Möglichkeiten zu einer effektiven Wahr-nehmung der Belange des Pflegebefohlenen ausgewähltworden. Im Falle der Auswahl von als Berufspflegern tätigenRechtsanwälten war zumeist maßgeblich, daß sie nicht nur dieeventuell erforderlichen Rechtskenntnisse hatten, sonderndurch die Wahl ihrer konkreten beruflichen Tätigkeit auch z. B.auf den Gebieten der mit Problemen des Sozialrechts, desArbeits- und Gewerberechts, des Verbraucherrechts ver-bundenen wirtschaftlichen und organisatorischen Fragen undder Vermögensverwaltung kundig geworden sind und sich mitden besonderen örtlichen Verhältnissen bei der Beschaffungz. B. von Wohnraum, häuslicher Krankenpflege und Ver-mittlung geeigneter Arbeitsplätze auskannten.

Ferner war von Bedeutung, daß solchermaßen tätige Rechts-anwälte für die Betreuung der Pfleglinge ihr Büro zumindestteilweise zur Verfügung stellten, so daß sie ständig zur nor-malen Geschäftszeit über ihre Angestellten erreichbar waren,der Schriftverkehr mit der nötigen Beschleunigung undSorgfalt durchgeführt wurde sowie für Vertretung im Fallunvorhergesehener Abwesenheit des Pflegers gesorgt war.

Eine derart intensive und im Einzelfall zeitaufwendigeInanspruchnahme ist von vornherein nur dann möglich undunter wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu rechtfertigen, wenndie dem Pfleger allein durch die Befassung mit der Ange-legenheit entstehenden Kosten in etwa gedeckt werden undihm ein angemessenes Entgelt verbleibt.

Diese Grundsätze gelten auch für die ab. 1. Januar 1992maßgeblichen Vergütungsbemessungsvorschriften. Ungeach-tet etwaiger gesetzgeberischer Intentionen hinsichtlich einerDämpfung der Kosten der Betreuung ist unter dem Gesichts-punkt des Schutzes berechtigter Belange des Rechtsanwalts alsBerufspfleger (Art. 12 Abs. 1 GG) dessen Einsatz und der seinesBüros so zu vergüten, daß er unter Beachtung der Interessendes Betroffenen wirtschaftlich nicht übermäßig in Anspruchgenommen wird (vgl. BVerfG in Rechtspfleger 1980 S.461/462). Für einen als Betreuer herangezogenen Rechts-anwalt kann deshalb die Vergütung nicht im unteren Bereichdes Rahmens von 20,00 DM bis 60,00 DM festgesetzt werden,sondern hat sich an den Kriterien auszurichten, die bis zum 31.Dezember 1991 für den Aufwendungsersatz bei gleicherInanspruchnahme gelten.

Zwar scheint § 1836 Abs. 2 S. 2, 3 BGB in der ab 1. Januar1992 geltenden Fassung das Vorliegen besonderer – z. B.durchschnittlich bei einem Rechtsanwalt zu erwartender –Fachkenntnisse oder besonderer – d. h. über den Durch-schnittsfall hinausgehender – Schwierigkeiten vorauszusetzen,jedoch ist diese Vorschrift insofern verfassungskonform aus-zulegen (vgl. dazu BVerfG a. a. O.), daß bereits nach der Persondes ausgewählten Betreuers dahin gehend zu differenzierenist, mit welcher Qualifikation und mit welchen betrieblichenKosten dieser seiner Tätigkeit grundsätzlich nachgeht, so daßbei einem hochqualifizierten Betreuer, der sein Büro zumeistteilweise für die Betreuungstätigkeit einsetzt, nur eine Ver-gütung im oberen Bereich des Rahmens in Betracht kommt.Hier ist schon abstrakt von dem Erfordernis besondererFachkenntnisse auszugehen, die der Rechtsanwalt als Be-rufspfleger in seine Betreuungstätigkeit einzubringen hat.Ebenso ist auch die Unterhaltung eines Büros für diese Tätig-

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ist aus verfassungsrechtlichen Gründen auch sein fortbeste-hendes Interesse an einer den wirtschaftlichen Umständenentsprechenden Vergütung zu berücksichtigen.

Im vorliegenden Fall ist deshalb entgegen der Befürchtung desBeschwerdeführers nicht zu erwarten, daß die künftig festzu-setzende Vergütung unter Außerachtlassung der Gründe sei-ner Heranziehung und des Einsatzes seines Büros geringerausfallen wird, wenn die von ihm zu entfaltende Tätigkeit mitdemselben Aufwand erbracht wird.

Ohne daß es auf das Gewicht der Gründe, die Pflegschaft durchden Beschwerdeführer fortführen zu lassen, wegen des Feh-lens eines wichtigen Entlassungsgrundes noch ankäme, seidarauf hingewiesen, daß grundsätzlich in Fällen eines Pfleger-wechsels das Interesse des Pflegebefohlenen oder künftig desBetreuten an der Kontinuität des Betreuungsverhältnissesnicht gering einzuschätzen ist. Für viele psychisch beeinträch-tigte Betroffene bedeutet es eine schwer zu bewältigende Bela-stung, sich auf einen anderen Pfleger/Betreuer einzustellen,mit diesem Kontakt aufzunehmen und ein Vertrauensverhält-nis aufzubauen, zumal nach neuem Recht (§ 1897 Abs. 1, 1901BGB a. F.) der persönliche Umgang mit dem Betroffenen in denVordergrund rücken, die bloße Verwaltungstätigkeit dagegenin den Hintergrund treten wird. Unter diesen Umständen liegtes nicht im Interesse des Betroffenen, mit seinen Angelegen-heiten an die Sozialbehörden verwiesen zu werden, die bereitsjetzt gerichtsbekannt überlastet sind und kaum in der Lagesein werden, in großem Umfang zusätzliche Betreuungsver-hältnisse zu übernehmen. Andere Organisationen, wie z. B. Be-treuungsvereine (§ 1908 f. BGB n. F.), sind erst im Entstehenund können noch nicht an die Stelle der jetzigen Berufspflegertreten. Die Qualität der Betreuung durch überlastete Betreuermuß notwendig zum Teil zu schwerwiegenden Nachteilen fürdie Betroffenen führen, die ihrerseits aus Gründen, die zu derBetreuung geführt haben, keine Möglichkeit haben, sich an an-dere vertrauenswürdige Stellen zu wenden. Ein schlagartigerWechsel in der Pflegschaftsführung in einer Vielzahl von Pfleg-schafts-/Betreuungsverhältnissen ist aus Gründen desSchutzes der Belange der Betreuten nicht hinzunehmen.

In Zukunft wird allerdings daran zu denken sein, in geeignetenFällen auf Anregung des Betreuten (§ 1908 b BGB n. F.), dersich hierbei z. B. auch durch einen als künftigen Betreuer inBetracht Kommenden vertreten lassen kann, einen Wechsel imBetreuungsverhältnis vorzunehmen, wenn ein Rechtsanwaltals Betreuer nicht oder nicht mehr erforderlich erscheint. Biszu diesem nur im Einzelfall denkbaren Zeitpunkt erscheint esnicht angängig, in großer Zahl Pfleger- oder Betreuerwechselallein wegen einer vom Pfleger/Betreuer angenommenen Unsi-cherheit zukünftiger Vergütung vorzunehmen.

Im vorliegenden Fall ist ein Pflegerwechsel zur Zeit untunlich,weil der offenbar unzuverlässige Pflegebefohlene dauernderÜberwachung durch einen mit seinen Angelegenheiten ver-trauten Pfleger bedarf. Der Beschwerdeführer kennt aus seinerTätigkeit in der Vergangenheit das Verhalten des Pflegebefoh-lenen, weiß, wann der Betroffene in stärkerem Maße zu über-wachen ist und in welchen Fällen ihm eigenständiges Handelnzugetraut werden kann. Er kennt auch die Gefahr, die dem Be-troffenen hinsichtlich seiner Wohnverhältnisse durch Versu-che des Vermieters droht, den Mietvertrag zu kündigen, um dieWohnung verkaufen zu können. Auch hier ist das Handeln ei-nes mit den Verhältnissen vertrauten Rechtsanwalts als Pflegervon größerem Nutzen für den Betroffenen, als die Hilfestellungdurch einen neu eingesetzten, mit der Sachlage nicht vertrau-ten Pfleger. Die Schuldentilgung ist zwar weitgehend bereinigt,jedoch noch nicht abgeschlossen, es bestehen noch Verbind-lichkeiten in Höhe von ca. 6.000,00 DM. Verhandlungen mitdem Gläubiger über die weitere Tilgung sollten ebenfalls nichtvon einem mit der Sachlage nicht vertrauten Pfleger übernom-men werden. Berücksichtigt man ferner die Neigung des Be-troffenen zum Drogenmißbrauch, kann eine Entlassung des

Beschwerdeführers erst dann in Betracht gezogen werden,wenn ein Betreuer gefunden worden ist, der auf die Schwierig-keiten des Betroffenen mit der gleichen Kenntnis seiner Personeingehen kann, wie sie der Beschwerdeführer in der Ausübungder Pflegschaft erreicht hat.

Der Wert des Beschwerdegegenstands ist gemäß §§ 131 Abs.2, 30, 31 KostO festgesetzt worden.

7. Eilentscheidung des Vormundschaftsgerichts vorBetreuerbestellung

BGB §§ 1846, 1908 Abs. 1 Satz 1

1. Gemäß § 1908 i Abs. 1 S. 1 i. V. m. § 1846 BGB hat dasVormundschaftsgericht im Interesse des Betroffenen dieerforderlichen Maßregeln selbst zu treffen, wenn ein Be-treuer noch nicht bestellt ist.

2. In eiligen Fällen hat das Vormundschaftsgericht aucheine mit Freiheitsentziehung verbundene Unterbringunganzuordnen, wenn dringende Gründe für die Annahme be-stehen, daß ein Betreuer bestellt werden wird.

LG Berlin, 83. ZivilkammerBeschluß vom 27.03.199283 T 94/92

Gründe: Am 27. Februar 1992 regte das Gesundheitsamt fürden Betroffenen die Einleitung einer Betreuung mit demWirkungskreis Heilbehandlung und Aufenthaltsbestimmungan und trug vor, daß der Betroffene an der Exacerbation einerparanoid-halluzinatorischen Schizophrenie leide; im Oktober1991 sei er vom Amtsarzt untersucht worden, habe äußerstablehnend und erheblich aggressiv gespannt gewirkt und beidurchaus geordneter Fassade ein erhebliches Gefühl vonUnberechenbarkeit sowie von zumindest optischen Halluzi-nationen, Wahnvorstellungen und eventuell auch akustischenHalluzinationen vermittelt. Über Weihnachten sei es zuAggressionen des Betroffenen gegenüber seiner Vermieteringekommen, bei der er in Untermiete lebt; eine erneute Unter-suchung habe der Betroffene jedoch abgelehnt. AnfangFebruar sei dem Gesundheitsamt gemeldet worden, daß derBetroffene beim Verrichten gemeinnütziger Arbeiten imSchwimmbad Gropiusstadt ausfallend geworden sei, einenTrommelrevolver gezogen und Mitarbeiter bedroht habe. DieExacerbation einer paranoid-halluzinatorischen Schizophre-nie lasse sich aus den eigenen Beobachtungen und den fremd-anamnestischen Angaben deutlich schließen; weitere fremd-gefährdende Fehlhandlungen seien nicht auszuschließen. Esliege eine dringende Behandlungsbedürftigkeit, jedoch keiner-lei Krankheitseinsicht vor. Das Gesundheitsamt hat um Ein-leitung einer Betreuung und um sofortige Unterbringung desBetroffenen in einer geschlossenen Abteilung einer Nerven-klinik gebeten und hat eine Unterbringung gemäß § 1846 BGBangeregt. Im einzelnen wird auf das Attest des Gesundheits-amtes vom 27. Februar 1992 (Bl. 4 f. d. A.) verwiesen.

Durch Beschluß vom 3. März 1992 hat das Amtsgericht gemäߧ§ 70 h Abs. 3 FGG, 1846 BGB die vorläufige Unterbringungdes Betroffenen in einer geschlossenen Einrichtung bis läng-stens 3. April 1992 angeordnet. Wegen der Begründung wirdauf Bl. 7 ff. d. A. verwiesen. Gegen diesen Beschluß wendet sichder Betroffene mit der sofortigen Beschwerde vom 11. März1992.

Das Amtsgericht hat den Betroffenen, der sich nach Zustellungdes Beschlusses an ihn persönlich freiwillig in die Klinikbegeben hatte, am 17. März 1992 dort angehört. Wegen desVerlaufs der Anhörung wird auf das Protokoll vom 17. März1992 Bl. 4 d. A. verwiesen. Danach ist die Sache der Kammerzur Entscheidung vorgelegt worden.

Die Kammer hat dem Betroffenen den Rechtsanwalt alsVerfahrenspfleger beigeordnet durch Beschluß vom 24. März1992, auf den Bezug genommen wird. Dieser hat vom Inhalt

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der Akten Kenntnis genommen und hat mit Schriftsatz vom26. März 1992 über sein Gespräch mit dem Betroffenenberichtet. Im einzelnen wird auf seinen Schriftsatz vom26. März (Bl. 30 d. A. f.) Bezug genommen.

Die sofortige Beschwerde ist gemäß §§ 19, 20, 21, 70 a, 70 mAbs. 1, 70 g Abs. 3 S. 1, 70 h Abs. III u. Abs. I S. 2, 22 FGGzulässig, insbesondere rechtzeitig eingelegt worden. Sie istnicht begründet.

Gemäß § 1908 i Abs. 1 S. 1 i. V. m. § 1846 BGB hat dasVormundschaftsgericht im Interesse des Betroffenen dieerforderlichen Maßregeln selbst zu treffen, wenn ein Betreuernoch nicht bestellt ist. Der Zweck und die Bedeutung des§ 1846 BGB, der durch § 1908 i Abs. 1 S. 1 BGB seit dem1.1.1992 ausdrücklich für anwendbar erklärt wird, bestehendarin, daß dem Gericht die Möglichkeit gegeben und zugleichdie Pflicht auferlegt wird, durch einstweilige Maßregeln denInteressen des Mündels in eiligen Fällen zu Hilfe zu kommen.Danach kann das Vormundschaftsgericht auch eine mitFreiheitsentziehung verbundene Unterbringung anordnen(vgl. zum alten Recht BayObLGZ 87, 7, 9). An dieser zu dembisherigen Recht von der Rechtsprechung vertretenen Auf-fassung hat sich durch das Betreuungsgesetz nichts geändert,durch das hinsichtlich des Verfahrens für Maßnahmen nach§ 1846 BGB nunmehr ausdrücklich auf das Verfahren der inUnterbringungssachen auch sonst zu treffenden einstweiligenAnordnungen verwiesen wird (§§ 70 h Abs. 3 i.V.m. Abs. 1, 69f. Abs. 1 FGG; vgl. Jürgens/Kröger/Marschner/Winterstein,Das neue Betreuungsrecht, 1. Aufl. Rn. 563; Damrau/Zimmer-mann, Betreuungsgesetz, § 70 h Rn. 33; vgl. a. Bürgle, NJW 88,1881, 1886; unrichtig und nicht überzeugend: Palandt/Diede-richsen, BGB 51. Aufl. § 1906 Rn. 9 unter Hinweis auf diedurch Bundestagsdrucksache 11/4528 S. 211 und 229 sowie11/6949 S. 38 u. 85 überholte Bundestagsdrucksache 11/4528S. 160). Die Unterbringung eines Betroffenen durch dasGericht gemäß §§ 1846, 1908 i BGB ist hiernach möglich,wenn noch kein Betreuer bestellt worden, aber dringendeGründe für die Annahme bestehen, daß ein Betreuer bestelltwerden wird, der die Genehmigung einer endgültigen Unter-bringungsmaßnahme erfolgreich beantragen wird, wennferner – bei Entscheidung ohne vorherige persönlicheAnhörung des Betroffenen – Gefahr im Verzug besteht (§§ 70 hAbs. 3, Abs. 1 S. 2, 69 f. Abs. 1 S. 4 FGG) und ein ärztlichesZeugnis über den Zustand des Betroffenen vorliegt (§ 70 hAbs. 3, Abs. 2 S. 2, 69 f Abs. 1 S. 1 Ziff. 2 FGG; ZimmermannFamRZ 90, 1308, 1315). Die Maßnahme darf vom Gerichtjedoch nur in Ausnahmefällen getroffen werden, wenn nämlichdie Bestellung eines vorläufigen Betreuers und sein Antrag aufeine vorläufige Unterbringungsmaßnahme voraussichtlich soviel Zeit in Anspruch nehmen würde, daß dies mit Gefahren fürdie Gesundheit des Betroffenen verbunden wäre (Jürgens etc.a. a. O. Rn. 565). Allein in Anbetracht der unzulänglichenorganisatorischen und gesetzgeberischen Vorbereitung derBehörden im Land Berlin und der gerichtsbekannten Über-lastung der Berufspfleger konnte das Vormundschaftsgerichtnicht mit Sicherheit davon ausgehen, daß sich ein vorläufigerBetreuer so schnell finden werde, wie es der vorliegende Fallerforderte, so daß die Maßnahme nach § 1846 BGB insoferngerechtfertigt war.

Durch das Zeugnis des Gesundheitsamtes vom 27. Februar1992 sind solche dringenden Gründe für die vorläufige Unter-bringung des Betroffenen dargetan. Hiernach hat das Gesund-heitsamt bei dem Hausbesuch im Oktober 1991 feststellen kön-nen, daß der Betroffene unter Wahnvorstellungen leidet, daßer Insekten in der Wohnung sieht, die er täglich mit mindestenseiner Dose Paral bekämpft, daß er täglich in Desinfektionsmit-teln badet, wie er übrigens auch in seiner gerichtlichen An-hörung zugegeben hat, daß er Gesichte von einer Geliebtenhat, die er täglich auf den Straßen sucht, die manchmal auch inder Wohnung erscheint, dann aber wieder verschwindet;hinzu kommt der Vorfall im Schwimmbad, in dem er bei einer

Auseinandersetzung einen Revolver – nach Angaben desBetroffenen eine Gaspistole – gezogen hat. In Verbindung mitden vom Gesundheitsamt berichteten Angaben der Vermiete-rin, die weitere Einzelheiten darüber enthalten, daß derBetroffene sich in gefährlicher Weise bedroht fühlt und zurNotwehr berechtigt glaubt, ist durch dieses Attest substantiiertund nachvollziehbar dargetan, daß bei dem Betroffenen eineExacerbation einer chronischen paranoid-halluzinatorischenSchizophrenie vorliegt und er insoweit geschäftsunfähig ist, alser seine Angelegenheiten im Bereich der Heilbehandlung undAufenthaltsbestimmung nicht bestimmen kann, weil ihm jedeKrankheitseinsicht und Behandlungsbereitschaft fehlt.

Nach dem Bericht des Verfahrenspflegers stimmen sowohl diebehandelnden Ärzte im Krankenhaus, wie auch er selbst mitdiesem Attest überein; soweit dem Betroffenen der tatsächlicheHintergrund in der Anhörung mitgeteilt worden ist, nämlichhinsichtlich seines überzogenen Desinfizierungsbedürfnisses,hat er auch selbst ihn eingeräumt. Damit bestehen dringendeGründe für die Annahme, daß für den Betroffenen gemäߧ 1906 ein Betreuer bestellt werden wird und daß mit demAufschub seiner Unterbringung und Heilbehandlung bis zurBestellung des Betreuers und zur Genehmigung von dessenAnträgen Gefahr verbunden ist.

Für das weitere Verfahren wird bemerkt:

Maßnahmen nach §§ 1908 i Abs. 1, 1846 BGB werden nachdem neuen Betreuungsrecht wie nach dem früheren Pfleg-schaftsrecht im Zeitpunkt der Handlungsmöglichkeit einesBetreuers unzulässig (Jürgens a. a. O. Rn. 564 a. E.; vgl. a.Bürgle a. a. O. 1886), sie sind gegenüber den übrigen Mög-lichkeiten eiliger Unterbringung eines Betroffenen als subsi-diär anzusehen (Damrau/Zimmermann § 70 h Rn. 38). Daß imvorliegenden Fall trotz der glaubhaft gemachten krankheitsbe-dingten Fremdgefährdung die zivilrechtliche Unterbringunganstelle der öffentlich-rechtlichen Unterbringung dem Wohldes Betroffenen eher entspricht, folgt aus der hohen und vomGesundheitsamt glaubhaft vorgetragenen Behandlungsbe-dürftigkeit des Betroffenen, auf die der angefochtene Beschlußaber nicht Rücksicht nimmt, der eine Heilbehandlung imBeschlußtenor gerade nicht anordnet.

Dem Betroffenen ist gemäß § 70 Abs. 1 S. 2 FGG die Entschei-dung ohne Gründe bekannt zu geben, weil das Gesundheitsamtdie erhebliche Gefährdung des Betroffenen selbst sowie Dritterdurch die Bekanntgabe der Entscheidungsgründe glaubhaftdargetan hat.

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