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1 1 Einleitung 1.1 Aufbau und Konzeption des Lehrbriefes Der Fernlehrbrief Betriebspsychologie im Fernstudiengang ist Teil des Moduls Unternehmen als soziale Systeme und schließt inhaltlich an fol- gende Themengebiete an: Organisationsentwicklung I Organisationsentwicklung II Betriebspsychologie Organisationsentwicklung I Organisationsentwicklung II Betriebspsychologie Organisationsentwicklung I Organisationsentwicklung II Betriebspsychologie Unternehmen als soziale Systeme Thematisch werden in diesem Modul einerseits die organisationalen Struk- turen und deren Entwicklung von unternehmerischen Einheiten bearbeitet, im vorliegenden Lehrbrief die psychologischen Aspekte menschlicher Zu- sammenarbeit. 2 Entstehung und Entwicklung der Betriebspsychologie Seitdem Menschen arbeiten, beschäftigen sie sich auch mit Fragen der Arbeitsorganisation bzw. der Arbeitsgestaltung. Frühe Ansätze haben vor allem versucht, Leitfäden für die Managementpraxis zu entwickeln. Die dazu verwendeten Methoden waren noch denkbar einfach: Man suche gu- te und bewährte Praxisbeispiele und versuche, deren Funktionsweise als Regeln zu formulieren. Diese Regeln fasse man im Anschluss zu Leitfä- den zusammen. (vgl. Kieser 2006, S. 93) Eine bekannte Systematik solcher Management-Prinzipien formulierte der Franzose Henri Fayol (1916; hier dargestellt nach Kieser 2006, S. 98):

Betriebs- & Führungspsychologie - Kapitel 1 Entstehung und Entwicklung

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Entstehung und Entwicklung der Betriebspsychologie

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    1 Einleitung

    1.1 Aufbau und Konzeption des Lehrbriefes

    Der Fernlehrbrief Betriebspsychologie im Fernstudiengang ist Teil des Moduls Unternehmen als soziale Systeme und schliet inhaltlich an fol-gende Themengebiete an:

    Organisationsentwicklung I

    Organisationsentwicklung II

    Betriebspsychologie

    Unternehmen als soziale Systeme

    Organisationsentwicklung I

    Organisationsentwicklung II

    Betriebspsychologie

    Unternehmen als soziale Systeme

    Organisationsentwicklung I

    Organisationsentwicklung II

    Betriebspsychologie

    Unternehmen als soziale Systeme

    Thematisch werden in diesem Modul einerseits die organisationalen Struk-turen und deren Entwicklung von unternehmerischen Einheiten bearbeitet, im vorliegenden Lehrbrief die psychologischen Aspekte menschlicher Zu-sammenarbeit.

    2 Entstehung und Entwicklung der Betriebspsychologie

    Seitdem Menschen arbeiten, beschftigen sie sich auch mit Fragen der Arbeitsorganisation bzw. der Arbeitsgestaltung. Frhe Anstze haben vor allem versucht, Leitfden fr die Managementpraxis zu entwickeln. Die dazu verwendeten Methoden waren noch denkbar einfach: Man suche gu-te und bewhrte Praxisbeispiele und versuche, deren Funktionsweise als Regeln zu formulieren. Diese Regeln fasse man im Anschluss zu Leitf-den zusammen. (vgl. Kieser 2006, S. 93)

    Eine bekannte Systematik solcher Management-Prinzipien formulierte der Franzose Henri Fayol (1916; hier dargestellt nach Kieser 2006, S. 98):

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    (1) Arbeitsteilung, (2) Autoritt, (3) Disziplin, (4) Einheit der Auftragserteilung, (5) Einheit der Leitung, (6) Unterordnung des Einzelinteresses unter das Gesamtinteresse, (7) ge-rechte Entlohnung, (8) Zentralisation, (9) hierarchische Organisation, (10) Ordnung, (11) ausgleichende Gerechtigkeit, (12) Firmentreue der Mitarbeiter, (13) Initiative, (14) Ge-meinschaftsgeist.

    Solche leitfadenartigen Managementlehren erscheinen attraktiv, weil sie die Komplexitt des Zusammenwirkens der Elemente von Organisationen zu einfachen Organisationsprinzipien reduzieren. In dieser Reduktion lie-gen jedoch auch die Grenzen der Management-Leitfden: Organisations-prinzipien sind nicht allgemeingltig. Es lassen sich immer Ausnahmen und Bedingungen finden, unter denen sie nicht gltig sind. Organisations-prinzipien sind darber hinaus nicht wertneutral, sondern es stecken be-stimmte Ziele bzw. Ideologien dahinter, die sich oft lediglich selbst bestti-gen wenn eine Organisation annimmt, dass hochgradige Arbeitsteilung, Standardisierung und schriftliche Fixierung von Ablufen von Vorteil seien, werden sich diese Prinzipien auch als Vorteile erweisen. (vgl. Kieser 2006, S. 100 f.)

    2.1 Taylorismus

    Taylor (1856-1915) verhalf, wie Kieser (2006, S. 104) schreibt, der Mana-gementlehre zu einer dramatischen Steigerung ihrer Lsungsmchtig-keit, indem er die mit einem universellen Anspruch ausgestatteten Organisationsprinzipien der oben bereits erwhnten einfachen Manage-mentlehren durch die Methode des wissenschaftlichen Experiments er-setzte. Sein Ansatz, einen Arbeitsprozess zu beobachten und mit experi-mentellen Vorgehensweisen zu optimieren, wird als Scientific Manage-ment (vgl. Kieser 2006, S. 104 ff.) oder Wissenschaftliche Betriebsfhrung (vgl. Nerdinger et al. 2008, S. 52 ff.) bezeichnet. Im Sprachgebrauch der Gegenwart hat sich fr den in vielen Wirtschaftsbereichen auch heute noch nachwirkenden Ansatz der wissenschaftlichen Betriebsfhrung dar-ber hinaus der Begriff Taylorismus etabliert.

    Taylor hatte also verstanden, dass es sehr schwierig ist, allgemeingltige und gleichzeitig przise Organisationsprinzipien fr die Praxis zu formulie-ren. Angesichts hchst unterschiedlicher Ausgangsbedingungen kann kein Organisationsprinzip so allgemeingltig formuliert werden, dass es jeder Situation angemessen wre. Taylor ersetzte daraufhin die fertige Lsung des Organisationsprinzips, das unter bestimmten Bedingungen Gefahr lie-fe, doch nicht gltig zu sein, durch eine Lsungsmethode, die einen Plan liefert, wie man ausgehend von gegebenen Voraussetzungen zu einem bestimmten Ziel gelangt. Die von Taylor vorgeschlagene Lsungsmethode besteht im Einsatz experimenteller Methoden. (vgl. Kieser 2006, S. 105)

    Taylors Anwendung experimenteller Methoden auf Fragen der Arbeitsor-ganisation lsst sich gut am folgenden Beispiel (Taylor 1913, S. 68; zitiert nach Kieser 2006, S. 105) erkennen:

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    Fr einen erstklassigen Schaufler gibt es eine bestimmte Gewichtslast, die er jedesmal mit der Schaufel heben muss, um die grte Tagesleistung zu vollbringen. Welches ist nun diese Schaufellast? Wird ein Arbeiter pro Tag mehr leisten knnen, wenn er jedes-mal zwei, drei, fnf, zehn, fnfzehn oder zwanzig kg auf seine Schaufel nimmt? Das ist eine Frage, die sich nur durch sorgfltig angestellte Versuche beantworten lsst. Deshalb suchten wir erst 2 oder 3 erstklassige Schaufler aus, denen wir einen Extralohn zahlten, damit sie zuverlssig und ehrlich arbeiteten. Nach und nach wurden die Schaufellasten verndert und alle Nebenumstnde, die mit der Arbeit irgendwie zusammenhingen, sorg-fltig mehrere Wochen lang von Leuten, die ans Experimentieren gewhnt waren, beo-bachtet. So fanden wir, dass ein erstklassiger Arbeiter seine grte Tagesleistung mit einer Schaufellast von ungefhr 9 kg vollbrachte, d. h. er leistete mit einer Schaufellast von 9 kg mehr als mit einer solchen von 11 kg oder 8 kg.

    Dieses Prinzip des Experimentierens wurde im Taylorismus auf vielfltige Aspekte der Arbeitsgestaltung (bspw. Bewegungsablufe, Entlohnung, Auswahl geeigneter Arbeiter) angewendet: Zu Anfang wurde jeweils der Lohn angehoben, um die Zuverlssigkeit des Arbeitsvollzugs zu gewhr-leisten. Anschlieend wurden analog zum oben dargestellten Beispiel Werkzeuge und Bewegungsablufe optimiert. Schlielich folgten Experi-mente zur Lohngestaltung. Whrend der Optimierung eines Parameters mussten die jeweils anderen Faktoren konstant gehalten werden (eine wesentliche Anforderung fr experimentelle Methoden). (vgl. Kieser 2006, S. 105 f.)

    Das Prinzip der experimentellen Vorgehensweise war Bestandteil eines Programms strategischer Gestaltungsziele, die den Charakter allgemei-ner Organisationsprinzipien (Kieser 2006, S. 106) tragen, weshalb Tay-lors Ansatz der wissenschaftlichen Betriebsfhrung als eigenstndige Or-ganisationstheorie angesehen werden kann (vgl. Nerdinger et al. 2008, S. 51 ff.).

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    Abb. 1: Die tayloristischen Organisationsprinzipien (dargestellt nach: Nerdin-

    ger et al. 2008, S. 54)

    2.2 Psychotechnik

    Whrend Taylor seinen Ansatz noch vollkommen unpsychologisch ge-dacht hatte, kann die Psychotechnik gewissermaen als eine Fortsetzung des Taylorismus mit den Mitteln der Psychologie (Kieser 2006, S. 139) angesehen werden. An die Stelle des Taylorschen Strebens nach Opti-mierung des Arbeitsprozesses trat die Erforschung des Menschen als Be-triebsfaktor. Im Mittelpunkt des psychotechnischen Ansatzes stand die Er-forschung der Eigenschaften des einzelnen Arbeiters (Belastbarkeit, Lern-fhigkeit, Geschicklichkeit, Motive etc.), um diese in die Gestaltung der Arbeit einflieen zu lassen und bei der Personalauswahl zu bercksichti-gen. Whrend fr Taylor noch der Lohn als wesentlicher Arbeitsanreiz im Mittelpunkt stand, kamen nun Faktoren wie die Lohngerechtigkeit hinzu. Einer der Hauptvertreter des psychotechnischen Ansatzes war der deut-sche Harvard-Professor Hugo Mnsterberg, der eine Reihe von Testver-fahren zur eignungsdiagnostischen Personalauswahl die Vorlufer heu-tiger Assessment Center entwickelte. Zunchst vor allem in den USA erfolgreich, kamen psychotechnische Verfahren bald auch in Deutschland zur Anwendung. So gab es nach dem Ersten Weltkrieg erste wissen-schaftlich fundierte Verfahren zur Auswahl geeigneter Soldaten fr den Einsatz in Spezialeinheiten, und Kriegsversehrten wurde eine psycho-technisch fundierte Berufsberatung angeboten. Innerhalb krzester Zeit trat die Psychotechnik einen Siegeszug an, der sich in der Grndung zahl-reicher Forschungssttten und der Anstellung vieler Betriebspsychologen

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    und Rationalisierungsingenieure niederschlug. (vgl. Kieser 2006, S. 139 ff.)

    Die Psychotechniker waren auerordentlich erfindungsreich, um die menschliche Ar-beitskraft mittels geeigneter Apparate zu vermessen. Untersucht wurden Sinnestchtig-keit, Gedchtnis- und Intelligenzleistungen, Willensstrke, Aufmerksamkeit, Emotionalitt und Arbeitseinstellung. Hufig waren die Prfapparate Nachbildungen einzelner oder mehrerer Komponenten des Arbeitsfeldes, fr das getestet wurde. Wer sich bspw. um den Posten eines Chauffeurs bewarb, musste mit einem Metallstift mglichst schnell ei-nen mit Ngeln abgesteckten Parcour auf einem Brett 'abfahren'. Bei jeder Berhrung des Stifts mit einem Nageln wurde mittels eines elektrischen Kontakts ein Piepton ausge-lst, der aufgezeichnet wurde. Man musste die Strecke auf dem Brett mglichst schnell und mit mglichst wenigen Karambolagen bewltigen. Bewerber fr die Feuerwehr in Dresden wurden durch einen so genannten 'Handzitterschreiber' ('Tremograph') oder mit Hilfe der so genannten 'Wassergefprobe' getestet, bei der der Bewerber ein Wasser-gef halten musste; die Menge des nach einem unerwarteten Schrecksignal verschtte-ten Wassers wurde als objektives Ma fr die Schreckhaftigkeit genommen (...). Viel-leicht finden wir in einigen Jahren Assessment-Center genauso komisch! (Kieser 2006, S. 141)

    Insgesamt hatte man sich in der Praxis von den Auswahlverfahren der Psychotechnik mehr erhofft. Dieser Umstand und die wachsenden Zweifel an der Validitt der Verfahren durch die psychologische Forschung leite-ten gegen Ende der zwanziger Jahre die Krise der Psychotechnik ein. (vgl. Kieser 2006, S. 141)

    2.3 Human-Relations-Bewegung

    In vielen Lehrbchern wird die Entdeckung der Bedeutung der zwischen-menschlichen Beziehungen als Produktionsfaktor den einflussreichen Hawthorne-Studien zugeschrieben. Kieser (2006, S. 133) weist jedoch nach, dass Unternehmern bereits im 19. Jahrhundert die Bedeutung der Qualitt der menschlichen Beziehungen sehr wohl bewusst war. Den Hawthorne-Studien komme vielmehr das Verdienst zu, die Bercksichti-gung der zwischenmenschlichen Beziehungen im Rahmen der Unterneh-mensfhrung wissenschaftlich zu legitimieren. In jedem Fall knnen die Hawthorne-Studien als Auslser der Human-Relations-Bewegung ange-sehen werden.

    Nach dem ersten Weltkrieg sei, so Nerdinger et al. (2008, S. 55), eine zunehmend um sich greifende Arbeitsunlust in den Unternehmen zu be-obachten gewesen. Die Ursachen dafr seien (a) in gesellschaftlichen Be-dingungen (Geldentwertung, enttuschte Hoffnungen auf grundlegende politische und konomische Vernderungen) und (b) in einer durch die wissenschaftliche Betriebsfhrung zunehmend sinnentleerten Gestaltung der Arbeit zu suchen. Als diese Umstnde deutlich wurden, besann man sich der Bedeutung zwischenmenschlicher Beziehungen als Produktions-faktor: Unternehmer wurden zunehmend aufgefordert, ihre Arbeiter 'menschlich' zu behandeln und eine andere, auf die Organisation mensch-licher Beziehungen orientierte Fhrung zu praktizieren (ebd.).

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    Im Rahmen eines (ursprnglich streng tayloristisch ausgerichteten) For-schungsprogramms fanden einige Untersuchungen zum Zusammenhang zwischen der Beleuchtung am Arbeitsplatz und der Arbeitsleistung in Wer-ken der Western Electric Company in Hawthorne statt. Entgegen ur-sprnglicher Vermutungen konnte kein Zusammenhang zwischen der Strke der Arbeitsplatzbeleuchtung und der Arbeitsleistung gefunden wer-den. Im Zuge weiterfhrender Untersuchungen (bspw. Reduktion der Lichtstrke bis etwa Mondscheinstrke) festigte sich dagegen der Ver-dacht, dass bisher unbercksichtigte menschliche Faktoren wirksam sein knnten. (vgl. Kieser 2006, S. 141)

    Ihr Verdacht wurde erhrtet, als sie in einer Arbeitsgruppe das Licht bis auf Mondschein-strke reduzierten und die Arbeiterinnen immer noch eifriger als vor dem Experiment ar-beiteten, sogar noch Wohlbefinden uerten. Schummrige Beleuchtung wrde sie weni-ger ermden als helle, fanden sie (...). In einer anderen Versuchsgruppe kndigten die Versuchsleiter an, die Lichtstrke wrde allmhlich gesteigert, tatschlich schraubten die Techniker jedoch unter den Augen der Arbeiterinnen in gewissen Zeitabstnden nur Glhbirnen gleicher Lichtstrke ein. Die Arbeiterinnen waren jedoch berzeugt, dass es immer heller wurde, gaben zu Protokoll, immer besser arbeiten zu knnen, und leisteten auch mehr. Daraufhin gaben die Versuchsleiter kund, nun wrden sie die Beleuchtungs-strke wieder schrittweise reduzieren, lieen die Techniker aber wiederum nur identische Glhbirnen einsetzen. Die Arbeiterinnen sahen es dunkler werden, fanden ihre Arbeit beschwerlicher und leisteten weniger. (Kieser 2006, S. 141 f.)

    Anfangs war es in den Experimenten noch um die Frage nach den Aus-wirkungen der Helligkeit am Arbeitsplatz gegangen. Anstelle des ur-sprnglich vermuteten systematischen Zusammenhangs zwischen Be-leuchtungsstrke und Arbeitsleistung zeigte sich ein anderer, unerwarteter Effekt: Die Leistung stieg in allen Abteilungen, in denen die Forscher ttig waren, und zwar unabhngig von der jeweiligen konkreten Vorgehenswei-se der Forscher (bspw. in einer Abteilung die Lichtstrke steigern, wh-rend in einer anderen Abteilung die Lichtstrke verringert wird). Diese un-erwarteten Ergebnisse fhrten zu der oben bereits erwhnten Vermutung, dass psychische Faktoren die Leistungssteigerung verursachten. Dieser Vermutung folgend wurde nun die Wirkung verschiedener weiterer Fakto-ren auf die Arbeitsleistung untersucht (bspw. Entlohnungssystem, Wo-chen- und Tagesarbeitszeit, Ermdung und Ruhepausen). Auch im Zuge dieser Untersuchungen stieg die Arbeitsleistung stets an, und das wieder-um scheinbar unabhngig von den entsprechend den Vorgaben der expe-rimentellen Vorgehensweise manipulierten Arbeitsbedingungen. Diese berraschenden Ergebnisse wurden von den Forschern wie folgt erklrt: Im Rahmen der Untersuchungen war den beteiligten Arbeitern zum ersten Mal Respekt und Interesse entgegengebracht worden. Dies stand im krassen Gegensatz zur sonst blichen Art und Weise der Behandlung. Al-lein die Teilnahme an einer Untersuchung bzw. das dadurch dem Arbeiter entgegengebrachte Interesse hat also einen Einfluss auf das Verhalten an der Untersuchung Beteiligten. Die Beeinflussung des Verhaltens allein durch die Teilnahme an einer Untersuchung wird seither als Hawthorne-Effekt bezeichnet. (vgl. Nerdinger et al. 2008, S. 56)

    Die Deutung der Leistungssteigerungen als Folge des Entgegenbringens von Respekt und Interesse (Hawthorne-Effekt) hatte eine Konzentration

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    auf die zwischenmenschlichen Beziehungen als wichtiger Variable der Ar-beitsgestaltung zur Folge: Durch eine Verbesserung der zwischenmensch-lichen Beziehungen knne, so die Schlussfolgerung, die Arbeitsmotivation bzw. -zufriedenheit gesteigert werden, was wiederum eine Erhhung der Arbeitsleistung zur Folge habe. Demnach sei die Fhrung eines Betriebes gefordert, gute und vertrauensvolle Beziehungen zur Belegschaft aufzu-bauen. Solche Empfehlungen und entsprechende Schulungsprogramme fr das Management bildeten den Hauptgegenstand der so genannten Human-Relations-Bewegung. Entsprechend geschulte Manager setzten nicht mehr nur auf Lohnanreize, sondern auch auf die Erhhung der Ar-beitszufriedenheit. Und obwohl in der Folgezeit Trainings zu Human-Relations-Techniken in vielen Unternehmen Standard wurden, traten sie nicht an die Stelle der wissenschaftlichen Betriebsfhrung; vielmehr wurde dadurch lediglich der Umgang mit den Arbeitern verndert. (vgl. Nerdinger et al. 2008, S. 56)

    Abb. 2: Fnf zentrale Aussagen des Human-Relation-Ansatzes (alle Zitate: Win-

    terhoff-Spurk 2002, S. 95)

    Genauer betrachtet stellt die Human-Relations-Bewegung keine eigene Organisationstheorie dar, da die Aussagen des Ansatzes nicht direkt Or-ganisationsstrukturen erklren, sondern eher menschliches Verhalten in-nerhalb des Rahmens der Organisationsstrukturen. Fr die Organisations- bzw. Betriebspsychologie ist der Human-Relations-Ansatz dennoch von fundamentaler Bedeutung, da seither die Verbesserung der Arbeitszufrie-denheit und der sozialen Beziehungen in Organisationen als eigenstndi-ge Zielkriterien angesehen werden (Nerdinger et al. 2008, S. 57). Die groe Bedeutung und nachhaltige Wirkung des Ansatzes erscheint umso erstaunlicher, als dass es sich beim Hawthorne-Effekt mit groer Wahr-scheinlichkeit um ein methodisches Artefakt handelt:

    So arbeiteten die Testpersonen unter privilegierten Bedingungen, erhielten bessere Lhne, in einem Fall wurden zwei widerspenstige Frauen durch 'kooperationswillige' Ver-suchspersonen ersetzt, die Arbeiter erhielten regelmiges Leistungsfeedback und wur-den teilweise sogar gezielt aufgefordert, so schnell wie mglich zu arbeiten. Der Hawthorne-Effekt ist also eher ein Mythos, der aufgrund der zeitbedingten ideologischen Bedingungen gerne geglaubt wurde.

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    Obwohl die Untersuchungen den modernen methodischen Standards nicht standhalten, hat sich aber im Laufe der Forschung herausgestellt, dass die daraus entwickelten An-nahmen nicht vllig falsch sind. So zeigen z. B. neuere Metaanalysen, dass ein mitarbei-terorientiertes Fhrungsverhalten wie von der Human-Relations-Bewegung postuliert sehr wohl positive Auswirkungen auf die Zufriedenheit und die Leistung der Mitarbeiter hat (...). (Nerdinger et al. 2008, S. 56)

    2.4 Der sozio-technische Ansatz

    Der sozio-technische Ansatz versucht, Organisationen umfassend zu be-trachten zu den Betrachtungsebenen gehren die Organisation als Gan-zes ebenso wie die Gruppen- und die Individualebene. Besonderes Au-genmerk legt der Ansatz auf das Verhltnis und die Wechselwirkungen zwischen technischen und sozialen Komponenten der Organisation. (vgl. Nerdinger et al. 2008, S. 413)

    Der sozio-technische Ansatz nimmt eine systemische Sichtweise ein und versteht Organisationen bzw. Unternehmen dementsprechend als kom-plexe offene soziale und technische Systeme (Nerdinger et al. 2008, S. 413). Zum sozialen Teilsystem gehren die Mitarbeiter mit ihren Fhig-keiten, Qualifikationen und Bedrfnissen. Dem technischen Teilsystem werden Maschinen, Anlagen, Gebude und sonstige Betriebsmittel zuge-rechnet. Die Verbindungen zwischen diesen beiden Teilsystemen werden durch die Arbeitsrollen der Mitarbeiter geschaffen. (vgl. Nerdinger et al. 2008, S. 413)

    Unternehmen sind zuweilen ebenso unterschiedlichen wie starken inneren und ueren Schwankungen bzw. Einflssen unterworfen. Um diesen Ein-flssen wirksam zu begegnen und die daraus resultierenden Wandlungs-erfordernisse erfolgreich zu bewltigen, sind Organisationseinheiten zu schaffen, die sich weitgehend selbst regulieren knnen (Nerdinger et al. 2008, S. 413). Selbstregulierende Organisationseinheiten (bspw. teilauto-nome Arbeitsgruppen; vgl. Abschnitt 5.2.3) knnen auf Schwankungen des Systems (bspw. Vernderungen der Nachfrage und dadurch bedingte Vernderungen des Produktes) wesentlich schneller und angepasster re-agieren als solche Teilsysteme der Organisation, die zentral gesteuert werden. Selbstregulierende Organisationseinheiten brauchen daher (a) eine gewisse technische und organisatorische Unabhngigkeit, (b) eine mglichst ganzheitliche Aufgabe (ganzheitliche Aufgabe = vollstndige Aufgaben = Planung, Entscheidung, Umsetzung und Ergebniskontrolle so weit wie mglich in einer Aufgabe zusammengefasst) und (c) eine mg-lichst umfassende Verantwortung einschlielich erforderlicher Entschei-dungsspielrume. (vgl. Nerdinger et al. 2008, S. 413)

    Um eine Organisation zu optimieren, mssen die technischen und sozia-len Komponenten gemeinsam optimiert werden. (vgl. Nerdinger et al. 2008, S. 413)

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    2.5 Humanisierung der Arbeit

    Die Bezeichnung Humanisierung der Arbeit (HdA) steht fr eine Reihe von Initiativen, die in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts von Gewerkschaften ausgelst wurden und die humanere Gestaltung von Ar-beitspltzen zum Ziel hatten:

    1973 hatte der Vorsitzende des DGB Leitlinien zur Gestaltung von Arbeitspltzen formu-liert, deren Beachtung zur 'Selbstverwirklichung des Menschen bei der Arbeit' beitragen knne (...): Schaffung von Entscheidungs- und Gestaltungsmglichkeiten fr den Arbeit-nehmer, Verantwortung und Abwechslung bei der Arbeit, Mglichkeiten zur Aufnahme sozialer Kontakte durch und bei der Arbeit, Abbau der Trennung von Entscheidung, Aus-fhrung und Kontrolle, Aufhebung bertriebener Arbeitsteilung (durch job rotation, job enlargement und job enrichment), Abbau unntig aufgebauschter Hierarchien, Arbeit als Mglichkeit fr Lern- und Weiterbildungsprozesse, Neubestimmung von Leistungsnor-men. (Kieser 2006, S. 164)

    Nachdem alle groen politischen Parteien diese Forderungen schnell bernommen hatten, sollten sie auch in Politik umgesetzt werden so beispielsweise mit dem Betriebsverfassungsgesetz von 1972, in dem die Betriebspartner verpflichtet wurden, bei der Vernderung etwa des Ar-beitsablaufs oder der Arbeitsumgebung arbeitswissenschaftliche Erkennt-nisse zu bercksichtigen. Indem der Gesetzgeber auf wissenschaftlich ge-sicherte Erkenntnisse abstellte, berschtzte er die Leistungsfhigkeit der Sozial- bzw. Arbeitswissenschaften vllig. (vgl. Kieser 2006, S. 164)

    Es sind verschiedene Dinge, einerseits sozial erwnschte und deshalb kaum Widerspruch findende Forderungen nach Beachtung humaner Leit-linien bei der Arbeitsgestaltung aufzustellen und andererseits eine wissen-schaftliche Beweisfhrung bezglich eben dieser Forderungen zu verlan-gen. Daran nderte auch ein umfangreiches, 1974 aufgelegtes For-schungsprogramm nichts. Ziel waren zum einen die noch fehlenden ar-beitswissenschaftlichen Erkenntnisse, zum anderen aber auch die weitere politische Legitimierung der HdA-Forderungen. Das Programm lief insge-samt 15 Jahre mit einem Gesamtumfang ffentlicher Zuwendungen von etwa 1,7 Mrd. DM fr ca. 2000 Projekte. Insgesamt muss festgestellt wer-den, dass die eigentlichen Ziele des Programms nicht erreicht wurden. Es liegen zwar eine Reihe von Erkenntnissen vor, nicht jedoch die geforder-ten wissenschaftlichen Resultate. (vgl. Kieser 2006, S. 164 f.)

    Eine geschlossene Theorie der HdA liegt bisher allerdings noch nicht vor und damit auch keine 'gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnisse'. Zielvorgaben begrnden noch keine Theorie. Sie lassen lediglich bestimmte Probleme in den Vordergrund treten, zu deren Lsung Theorien herangezogen werden mssen. Unter Umstnden mssen bestehende Theorien erweitert und neue Anstze formuliert werden. Die Kriterien, die Wissenschaftler an eine humane Arbeitsgestaltung anlegen, sind immer noch weitgehend dieselben, die am Beginn der HdA-Initiativen standen. (...)

    HdA-Projekte waren von vornherein auf die praktische Gestaltung bezogen; die Anwen-dung von Theorien hatte vor allem eine Legitimierungsfunktion. Unter dieser Konstellation ist es nicht verwunderlich, dass das HdA-Programm weniger Fortschritte in der Organisa-tionstheorie zeitigte als Weiterentwicklungen von Techniken, die mit unterschiedlichsten

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    Theorie-Versatzstcken abgesichert wurden: Techniken zur Erfassung von physischen und psychischen Belastungen, zur Ermittlung der Arbeitszufriedenheit, zur Evaluierung der Auswirkungen von HdA-Manahmen, zur Ermittlung von Qualifizierungsbedrfnissen und -bereitschaft usw. (Kieser 2006, S. 165)

    ber die Feststellung, dass die eigentlichen Ziele des Programms nicht erreicht wurden, hinaus gab es jedoch einige wesentliche Erkenntnisse, die hier in Anlehnung an die Darstellungen von Kieser (2006, S. 164 ff.) kurz wiedergegeben werden sollen:

    Die Arbeitsgestaltung ist als eine der wesentlichen Einflussgren der Ar-beitsunzufriedenheit anzusehen. Bestehende Arbeitsbedingungen mssen nicht als gegeben hingenommen werden.

    Solange nicht die Gestaltung der Arbeit zum direkten Gegenstand von Human-Relations-Projekten gemacht wird, haben solche Vorhaben immer auch die Funktion, gegebene Arbeitsbedingungen als nicht vernderbar darzustellen und Arbeitnehmer mit diesen ggf. problematischen Bedin-gungen zu vershnen (was ein wesentliches Ziel bzw. Prinzip tayloristi-scher Arbeitsgestaltung war).

    Ist von den HdA-Forderungen ganz allgemein die Rede, so kann kaum wi-dersprochen werden. Im Falle der konkreten Umsetzung stellen sich je-doch Fragen nach der Prioritt und der Machbarkeit. Wenn solche Ent-scheidungen mit den Beteiligten vorbereitet und getroffen werden, so han-delt es sich um Vorhaben, die in ihrer Umsetzung Organisationsentwick-lungsprojekten (das heit hier vor allem: Beteiligung der Betroffenen; vgl. Abschnitt 2.6) entsprechen, weshalb HdA-Projekte alle Schwchen von OE-Projekten aufweisen. Ein wesentliches Ergebnis der HdA-Forschun-gen war daher eine kritischere Betrachtung der Organisationsentwicklung.

    Das HdA-Programm hat keine nennenswerte Anzahl von Arbeitspltzen hinterlassen, die den Forderungen nach humaner Arbeitsgestaltung ent-sprechen. Viele und oft sehr teure Projekte wurden sogar ergebnislos ein-gestellt. Zufriedenstellende Ergebnisse wurden am Ehesten im Rahmen von Projekten erzielt, die sich auf ergonomische Fragestellungen konzent-rierten.

    Die Zielstellungen des HdA-Programms sind spter auf andere Weise doch noch zur Geltung gekommen: Der steigende Marktbedarf nach Pro-duktvariabilitt hat insbesondere in der Automobilindustrie in spteren Jahrzehnten fr eine Reihe von Innovationen gesorgt, die integrativere Organisationsstrukturen (und damit einhergehend eine Reduktion von Ar-beitsteilung) zum Ziel hatten.

    Insgesamt, so das Fazit Kiesers (2006, S. 167), habe das HdA-Programm dazu beigetragen, die Prinzipien der tayloristisch geprgten Arbeitsgestal-tung in Frage zu stellen.

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    2.6 Organisationsentwicklung

    2.6.1 Definition und Unterscheidung zum Change Management

    Unter Organisationsentwicklung wird eine psychologisch fundierte, syste-matische Form organisationalen Wandels verstanden (vgl. Nerdinger et al. 2008, S. 160). Ziel ist die Sicherung der Effektivitt der Ablufe in einer Organisation bzw. die Verbesserung der Anpassungs-, Lern- und Innova-tionsfhigkeit der Organisation unter sich verndernden Umweltbedingun-gen (vgl. Kals 2006, S. 48; Nerdinger et al. 2008, S. 160). Bei der Organi-sationsentwicklung handelt es sich um die bekannteste und nach wie vor wichtigste (Nerdinger et al. 2008, S. 160) Form geplanter Organisations-vernderungen.

    Nerdinger et al. (ebd.) unterscheiden Organisationsentwicklung von Change Management. In einer Organisationsentwicklung werden die Ver-nderungen unter Beteiligung der betroffenen Mitarbeiter geplant und um-gesetzt. Hingegen wird Change Management eher als Teil des strategi-schen Managements angesehen. Entsprechende Konzeptionen werden im Regelfall von externen Beratern als Ganzes an ein Unternehmen ver-kauft bzw. dort umgesetzt. Bekannte Beispiele solcher Change-Manage-ment-Konzeptionen sind Total Quality Management, Lean Management oder Business Reengineering.

    Abb. 3: Unterscheidung zwischen Change Management und Organisations-

    entwicklung im Hinblick auf die Richtung der Umsetzung

    2.6.2 Ursprnge und theoretischer Hintergrund

    Fr die Entwicklung der Organisationsentwicklung lassen sich historisch drei Ursprnge ausmachen (1) die Laboratoriumsmethode, (2) die Date-nerhebungs- und Rckkopplungsmethode und (3) die soziotechnische Systemtheorie (vgl. Nerdinger et al. 2008, S. 160 f.).

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    2.6.2.1 Die Laboratoriumsmethode

    Kurt Lewin hat diese Methode 1947 mit dem Ziel entwickelt, Menschen die Mglichkeit zu geben, effektiver mit den komplexen menschlichen Be-ziehungen und Problemen umzugehen (Nerdinger et al. 2008, S. 161). Menschen, die sich vorher nicht kennen, werden fr eine bestimmte Zeit (zumeist mehrere Tage) Teil einer Gruppe. Dabei gibt es keine vorgege-benen Themen, sondern die Gruppe und die darin stattfindenden Prozes-se sind das Thema bzw. das Lernmaterial. Ziel ist es, dass die Teilneh-mer zwischenmenschliche bzw. gruppendynamische Prozesse (a) besser verstehen und (b) besser steuern lernen.

    Die Laboratoriumsmethode wird in der Literatur auch als T-Gruppe (Trai-nings-Gruppe), GDL (Gruppendynamisches Laboratorium) oder als Sensitivity Training bezeichnet. Um eine optimale T-Gruppen-Situation herzustellen, mssen eine Reihe von Bedingungen und Wirkungsweisen beachtet werden. Nerdinger et al. (2008, S. 161) nennen hier (1) die Un-strukturiertheit der Situation, (2) das Hier-und-Jetzt-Prinzip und (3) das Feedback als Bedingungen sowie (4) den Dreischritt Auftauen Vern-dern Einfrieren als grundlegendes Verlaufsmuster der Vernderung ein-gefahrener Einstellungen und Verhaltensweisen. Rechtien (1999) hinge-gen nennt drei grundlegende Prinzipien der Gruppendynamik (Unstruktu-riertheit, Hier & Jetzt, Dreischritt), whrend er das Feedback den grundle-genden Interventionsmethoden der Gruppendynamik zuordnet.

    Zum besseren Verstndnis sollen die folgenden tabellarischen Erluterun-gen der Systematik von Rechtien (1999) folgen.

    Grundlegende Bedingun-gen fr optimale Lernsitua-tionen in T-Gruppen/Grund-prinzipien der Gruppendy-namik

    Beschreibung

    Auftauen Verndern Einfrieren

    Die Vernderungen von Einstellungen und Verhaltensweisen verluft nach Lewin in drei charakteristischen Phasen (auch: Lewinscher Dreischritt): (1) Auftauen, (2) Verndern, (3) Einfrieren/Stabilisieren.

    Das Auftauen verfestigter Verhaltensweisen und Einstellungen erfolgt ber das Feedback, das bei den Empfngern gewhnlich zu Ab-wehrreaktionen fhrt und anschlieend der Reflexion zugnglich wird. Daran schliet sich das Ausprobieren neuer Verhaltensweisen an, die sich im Laufe der Zeit in der Gruppe stabi-lisieren. (Nerdinger et al. 2008, S. 161)

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    Unstrukturiertheit der Situa-tion (auch: relative Unstruk-turiertheit)

    Die Gruppen werden aus Personen zusam-mengesetzt, die keine gemeinsame Vergan-genheit und keine gemeinsame Zukunft haben (sog. Stranger-Groups). Die Trainer nehmen keine Fhrungsrolle ein, es gibt keine Tages-ordnung und es werden keine Themen vorge-geben. Damit fehlen die blichen Mglichkei-ten der sozialen Orientierung, die Teilnehmer knnen sich nicht mehr an vorgegebenen Rol-len orientieren und zeigen stattdessen spon-tanes Verhalten. (Nerdinger et al. 2008, S. 161)

    Hier-und-Jetzt-Prinzip

    Es darf nur ber die aktuellen Vorgnge in der Gruppe gesprochen werden. Damit wer-den allein die Prozesse zwischen den Perso-nen zum Thema, die in jedem Moment beob-achtbar sind. Zur Bearbeitung dieses Themas kann aber jeder Teilnehmer unmittelbar bei-tragen. (Nerdinger et al. 2008, S. 161)

    Tab. 1: Grundprinzipien der angewandten Gruppendynamik (Systematik nach

    Rechtien, 1999; Erluterungen aus Nerdinger et al. 2008)

    Team- bzw. Gruppenleiter und Trainer verfgen ber drei grundlegende Interventionstechniken: partnerzentrierte Kommunikation, Feedback und Metakommunikation. Diese Techniken knnen sie sowohl selbst einset-zen, als auch die Teammitglieder zum Gebrauch dieser Techniken anhal-ten.

    Grundlegende Interven-tionsmethoden der ange-wandten Gruppendynamik

    Beschreibung

    Feedback (bei Nerdinger et al. [2008] den Bedingungen zuge-ordnet)

    Damit sich die Teilnehmer bewusst werden, welche Wirkung sie auf andere haben, geben sie Rckmeldung darber, wie sie die anderen erleben, und umgekehrt erhalten Sie Rck-meldung darber, wie sie von den anderen erlebt werden. (Nerdinger et al. 2008, S. 161)In der praktischen Umsetzung sollte Feedback bestimmten Regeln folgen, wie zum Beispiel: Sprich im Ich und nicht im Du! (Beispiel: Auf mich hat das sehr dominant gewirkt. an-statt Du bist sehr dominant!)

  • 14

    Nenne Positives zuerst und formuliere Kritik als Wunsch! Feedback sollte nur Beobachtungen und Empfindungen, jedoch keine Wertungen ent-halten.

    Metakommunikation

    Mit Metakommunikation wird der Austausch ber den Kommunikationsprozess selbst be-zeichnet. Metakommunikation enthlt Aussa-gen ber Inhalte, Verlauf, (wiederkehrende) Muster und beobachtete Wirkungen eines Kommunikationsprozesses bzw. dessen Ab-folge von Interaktionen. Dabei wird sowohl auf situationale Einzelaspekte, als auch auf ber-greifende Muster geachtet. Ziel von Meta-kommunikation ist die Bewusstmachung kom-munikativen Verhaltens, das Benennen und Beheben von Strungen sowie die Verstr-kung positiven Verhaltens. Metakommunikation luft idealerweise in zwei Phasen ab: (1) Verlaufsanalyse Wie verlief die Kommunikation? Was war gut; was hat gestrt? (2) Vereinbarungen fr die Zukunft Was mchten wir beim nchsten Mal als Sprecher oder Zuhrer anders machen? Welche Regeln brauchen wir?

    Partnerzentrierte Kommunikation

    Techniken: Passiv aufmerksames Zuhren Aktives Zuhren (Wiedergabe des Inhaltes einer Nachricht, auch: paraphrasieren) Empathisches Kommunizieren (Aktives Zuh-ren plus Wiedergabe von Gefhlen, Interpre-tationen, auch: verbalisieren)

    Tab. 2: Die wichtigsten Interventionsmethoden der angewandten Gruppendy-

    namik

  • 15

    T-Gruppen erlebten zunchst einen wahren Boom in den verschiedensten Anwen-dungsbereichen: Sie wurden als das mchtige Instrument zur nderung von Menschen, Gruppen und schlielich ganzer Organisationen angesehen (...). Obwohl Metaanalysen zeigen, dass die Laboratoriumsmethode durchaus in der Lage ist, Einstellungen zu ver-ndern (...), ist in der Praxis der Organisationen diese Euphorie mittlerweile weitgehend verflogen: Die Laboratoriumsmethode wird heute kaum noch im Rahmen der OE einge-setzt, vor allem, weil sich die unter Fremden neu erlernten Verhaltensweisen kaum auf die Situation in der Arbeit bertragen lassen. In bestehenden Arbeitsgruppen entwickelt sich nicht die Offenheit und Spontaneitt wie unter Fremden.

    Heute wird stattdessen im Rahmen der OE bevorzugt die Methode der Teamentwicklung eingesetzt (...). Trotzdem steht die Laboratoriumsmethode beispielhaft fr die Verfahren der OE, die auf die Vernderung individuellen Verhaltens sowie auf verbesserte Teamf-higkeit zielen. Dabei handelt es sich durchgngig um Methoden des Erfahrungslernens, d. h., es wird kein Wissen von Experten vermittelt, sondern anhand eigener Erfahrungen in Gruppen gelernt. Und der Dreischritt 'Auftauen Verndern Einfrieren' wurde als all-gemeines Vernderungsmodell der OE bernommen, das auch heute noch bei den meis-ten Interventionen in Organisationen handlungsleitend ist. (Nerdinger et al. 2008, S. 161)

    2.6.2.2 Die Datenerhebungs- und Rckkopplungsmethode

    Die so genannte Datenerhebungs- und Rckkopplungsmethode (oder: Survey-Feedback-Methode) wird in zwei Phasen durchgefhrt: Zunchst werden mit Blick auf bestimmte Fragestellungen Daten erhoben. Hierzu steht das gesamte Spektrum sozialwissenschaftlicher Methoden zur Ver-fgung. Die Ergebnisse der Erhebungen werden anschlieend aufbereitet und an die Befragten/Beteiligten rckgemeldet. Den Befragten kommt da-bei die Rolle von Experten zu: Sie analysieren dann die Ergebnisse vor dem Hintergrund ihres spezifischen Wissens um die Situation und entwi-ckeln fr die festgestellten Probleme eigene Lsungsvorschlge (Nerdin-ger et al. 2008, S. 161 f.).

    Diese Vorgehensweise hat ihre Wurzeln in der Aktionsforschung, deren zentraler Ansatz es ist, dass Forscher und Betroffene gemeinsam an der Analyse und Lsung der thematisierten Probleme arbeiten. Aus der Sub-jekt-Objekt-Beziehung des klassischen Verstndnisses von Forschung (Forscher bzw. Berater = Subjekt; Angehrige der beratenen Organisation = Objekt) wird eine Subjekt-Subjekt-Beziehung, fr die Zusammenarbeit auf gleicher Augenhhe kennzeichnend ist.

    Die folgende Tabelle stellt die typischen Phasen eines OE-Projektes dar, das als Aktionsforschungsprojekt bzw. nach der Survey-Feedback-Methode durchgefhrt wird.

  • 16

    Phase Beschreibung

    Kontaktphase Kontaktaufnahme zwischen Auftraggeber und Berater

    Vorgesprche Erste Gesprche, vorlufige Festlegung des Projektrah-mens und -umfangs, Vorab- Festlegung von Zielen

    Vereinbarung des Vorgehens

    Wichtige Vorbedingung: Einigkeit ber das OE-Projekt Przisierung der Form der Zusammenarbeit und der Vor-gehensweise (Wichtig: Klient/Auftraggeber/in und Bera-ter/in planen gemeinsam!) Einbeziehung betroffener Mitarbeiter in alle Phasen des Projektes, insbesondere in Datenerhebung, Rckkopp-lung, Diagnose und Manahmedurchfhrung (Wnsche, Vorschlge, Perspektiven) Erster Schritt: Diagnose und Ursachenklrung der Prob-leme, die das OE-Projekt notwendig gemacht haben Zweiter Schritt: Klrung, welche Mitarbeiter des Unter-nehmens (des Klientensystems) als Multiplikatoren und Trger des Projektes fungieren Klrung der Honorarfrage

    Datenerhebung

    Grundstzlich kann das gesamte Methodenrepertoire der Sozialforschung genutzt werden. Mglich sind beispiels-weise standardisierte Instrumente zur Erhebung des Be-triebsklimas oder auch unstrukturierte Interviews. Wichtig: Einbeziehung der Sichtweise aller Beteiligten des Sys-tems.

    Aufbereitung der Daten

    Die erhobenen Daten werden aufbereitet, zusammenge-fasst und visualisiert. Auch bei der Aufbereitung ist eine Einbeziehung von Angehrigen des Systems sinnvoll.

    Datenrckkopp-lung

    Wichtig ist die Rckmeldung der Ergebnisse an alle Betei-ligten. Dies kann schriftlich, mndlich, individuell oder in greren Meetings erfolgen. Denkbar ist auch die Kom-munikation der Ergebnisse an ausgewhlte Multiplikato-ren, die die Ergebnisse ihrerseits weiterreichen.

    Diagnose

    Die rckgemeldeten Daten werden bewertet und inter-pretiert. Das Ziel dieser Phase ist eine systematische Problemdefinition. Diese Definition ist in der Regel sehr schwierig, da die anstehenden Probleme von den ver-schiedenen Gruppen hufig sehr unterschiedlich gesehen und bewertet werden. Die Planung von Problemlsungs-strategien kann jedoch nur erfolgreich sein, wenn sich die Betroffenen auf eine einheitliche Definition verstndigen knnen und sich mit dieser Definition identifizieren. (von Rosenstiel et al. 1995, S. 318)

  • 17

    Manahmepla-nung und -durchfhrung

    Der umfangreichste und aufwendigste Teil eines OE-Projektes: Es werden einzelne Schritte und Projekte zur Lsung der Probleme geplant. Die Initiative, Verantwor-tung und Organisation dieser Projekte und Schritte wer-den von Einzelpersonen oder Gruppen des Zielsystems bernommen. Berater haben lediglich eine Moderatoren-bzw. Trainerfunktion.

    Erfolgskontrolle

    Anhand gemeinsam entwickelter Erfolgskriterien und ent-sprechend ausgewhlten Auswertungsverfahren wird die Erfolgskontrolle von Beratern und Beteiligten gemeinsam vorgenommen.

    Tab. 3: Phasen der Organisationsentwicklung (nach von Rosenstiel et al. 1995;

    siehe auch Nerdinger et al. 2008)

    Das in Tab. 3 dargestellte Ablaufmodell kann als eines der idealtypischen Modelle fr Organisationsentwicklungsprojekte angesehen werden. Trotz einer Reihe solcher Verlaufsmodelle fr die Organisationsentwicklung stellt Kals (2006, S. 52) fest, dass die praktische Umsetzung von OE-Projekten oft sehr stark von diesen Modellen abweicht. Es berwiege das Experimentieren mit neuen Mglichkeiten.

    2.6.2.3 Die soziotechnische Systemtheorie

    Die soziotechnische Systemtheorie geht von der grundlegenden Annahme aus, dass die technischen (Maschinen, Gebude etc.) und die sozialen (Mitarbeiter mit ihren Qualifikationen und Bedrfnissen) Komponenten ei-ner Organisation nicht getrennt voneinander betrachtet werden knnen und gemeinsam optimiert werden mssen. (vgl. Nerdinger et al. 2008, S. 163)

    Der wesentliche Beitrag der soziotechnischen Systemtheorie zur Organi-sationsentwicklung liegt insbesondere in der fr europische OE-Anstze typischen ganzheitlichen Perspektive: Die Betrachtungen konzentrieren sich auf die technischen Bedingungen bzw. deren Auswirkungen auf das soziale System sowie auf die Wechselwirkungen zwischen technischen und sozialen Systemkomponenten. (vgl. Nerdinger et al. 2008, S. 163)

    Der Ursprung der Entwicklung der soziotechnischen Systemtheorie liegt in den Forschungen des Londoner Tavistock Institute of Human Relations im englischen Kohlebergbau. Ausgangspunkt der Untersuchungen war die Frage nach den Ursachen fr vergleichsweise hufige Unflle, eine hohes Ma an Fluktuation und Fehlzeiten sowie eine niedrige Arbeitsmotivation. Im Vorfeld dieser Probleme war eine neue, teilmechanisierte Abbaume-thode eingefhrt worden, die eine Vernderung der Arbeitsteilung bzw. des Arbeitsablaufes zur Folge hatte. Die bisherigen kleinen und weitge-hend selbstregulierten Arbeitsgruppen wichen einem System, in dem die Arbeitsteilung weitgehend zwischen aufeinanderfolgenden Schichten statt-

  • 18

    fand. Koordiniert wurde nicht mehr selbst, sondern durch aufsichtfhrende Vorgesetzte. Die Untersuchungen zeigten eindrcklich, dass die proble-matische Arbeitsmoral nicht direkt auf die neuen Produktionsmethoden, sondern vor allem auf die dadurch entstandenen Vernderungen im sozia-len Gefge zurckzufhren war. (vgl. Nerdinger et al. 2008, S. 162 f.)

    Fr weitere Ausfhrungen zum soziotechnischen Ansatz siehe Abschnitt 2.4.

    2.6.3 Wo setzt Organisationsentwicklung an?

    Es knnen drei Ansatzpunkte fr Organisationsentwicklung unterschieden werden. Die folgende Tabelle stellt diese drei Ansatzmglichkeiten in An-lehnung an Nerdinger et al. (2008, S. 163) dar und nennt entsprechende Umsetzungskonzepte:

    Ansatz Beschreibung Beispiele fr Methoden

    Strukturaler Ansatz

    Ansatzpunkt ist die Struk-tur der Organisation mit dem Ziel, dass sich da-durch die gesamte Orga-nisation verndert.

    qualitative Anreicherung der Arbeit (job enrichment) teilautonome Arbeitsgruppen Qualittszirkel

    Prozessualer Ansatz

    Ansatzpunkte sind die in der Organisation ablau-fenden Prozesse.

    Survey-Feedback-Methode Prozessberatung Teamentwicklung

    Personaler Ansatz

    Ansatzpunkt ist die sozia-le Kompetenz des ein-zelnen Mitarbeiters. Durch Training sollen Mitarbeiter fr Gruppen-prozesse sensibilisiert werden, wodurch sich (a) eine nderung der Per-son und (b) indirekt eine nderung der Organisa-tion im gewnschten Sin-ne ergeben soll.

    T-Gruppe und gruppendyna-misches Laboratorium (heute kaum mehr verwendet) spezielle thematische Trai-nings (heute v. a. fr Fh-rungskrfte) Coaching

    Tab. 4: Ansatzpunkte fr Organisationsentwicklungsmanahmen nach Ner-

    dinger et al. (2008, S. 163)

  • 19

    2.6.4 Praxisbeispiel

    Bungard et al. (1996; hier dargestellt nach Kals 2006, S. 39 ff.) beschrei-ben ein Organisationsentwicklungsprojekt in einem Automobilzulieferbe-trieb:

    Ein hoher Wettbewerbsdruck fhrt bei einem Automobilzulieferbetrieb mit etwa 1.000 Mitarbeitern zu akuten Problemen. Um dem Wettbewerb standzuhalten mssen die Kosten gesenkt werden. Gleichzeitig soll dir Qualitt gesteigert werden. In Vorbereitung der Planung geeigneter Ver-nderungsmanahmen wird eine Organisationsdiagnose durchgefhrt, die alle Bereiche und Themen umfasst Arbeitsablufe, Organisationsstruktu-ren, Arbeitszufriedenheit, Motivation, Organisationskultur, Fhrungsstile etc. (vgl. Kals 2006, S. 39)

    Abb. 4: Praxisbeispiel zum Ablauf einer Organisationsdiagnose

    Die Analyse der vorliegenden Daten sowie die Auswertungen der Erhe-bungen ergaben, dass Organisationsentwicklung ein sinnvolles Instrument fr die Gestaltung der Vernderungen ist. Eine der OE-Manahmen be-stand in der Einfhrung von Gruppenarbeit, wofr eine Projektgruppe, be-stehend aus wichtigen Vertretern der Fhrungsebene, gegrndet wurde. Zur Steuerung des Projektes wurde der Projektleiter fr ein Jahr von sei-nen sonstigen Aufgaben entbunden. Man verfiel nicht in Aktionismus, sondern nahm sich vor den ersten Umsetzungsschritten Zeit, ein an die betrieblichen Bedingungen angepasstes Gruppenarbeitsmodell zu entwi-ckeln. Zunchst wurden Ziele festgelegt. Die Vorgehensweise entsprach insgesamt der Schrittfolge Analyse Umsetzung Evaluation. (vgl. Kals 2006, S. 52 f.)

  • 20

    Abb. 5: Vorgehensweise bei der Einfhrung von Gruppenarbeit

    2.6.5 Neuere Anstze und Themen der Organisationsentwicklung

    Das ursprngliche, klassische Konzept der Organisationsentwicklung hat-te zum Ziel, durch Vernderungen im Verhalten der Mitarbeiter positive Vernderungen der gesamten Organisation zu erreichen. In den letzten Jahrzehnten haben sich (1) Konzepte mit prziseren Zielsetzungen her-ausgebildet und ist (2) insbesondere die Fhigkeit zur stndigen Vern-derung als Wesensmerkmal einer berlebensfhigen Organisation (Ner-dinger et al. 2008, S. 165) zum Thema von OE-Prozessen geworden. Nerdinger et al. (ebd.) nennen die Innovationsfrderung als Beispiel fr den ersten und das Konzept der lernenden Organisation als Beispiel fr den zweiten Trend.

    2.6.5.1 Innovationsfrderung

    Die Innovationsfrderung zielt nicht mehr wie die klassischen OE-Konzepte auf die Entwicklung des Individuums mit dem Ziel, die gesamte Organisation zu verbessern, sondern auf die Leistung der Organisation. Je strker ein Markt umkmpft ist, desto bedeutsamer werden Innovationen zu einem berlebensfaktor. Innovationen geschehen jedoch nicht von selbst, sondern mssen zumeist angeregt werden. Kosten- oder Umsatz-entwicklungen, Vernderungen auf dem Markt oder auch Ideen selbst knnen Auslser fr Innovationsprozesse sein, die in der Regel einem be-stimmten Muster (Impuls, Ideenfindung, Konkretisierung, Umsetzung, Durchsetzung, Routine) folgen. Kreativittstechniken knnen die Ideenfin-dung erleichtern und viele Unternehmen bieten ihren Mitarbeitern im Rahmen von Ideenmanagementsystemen Anreize, Ideen zu entwickeln und einzureichen, die dann von dafr verantwortlichen Personen oder Gremien ausgewhlt und zur Umsetzung vorgeschlagen werden. Eine in-teressante organisationspsychologische Fragestellung im Zusammenhang mit der Innovationsfrderung ist die nach gnstigen organisationalen Be-dingungen fr Innovationen. Die wesentlichen Bedingungen bilden dabei die jeweilige Gruppe und der Fhrungsstil.

  • 21

    Als gnstig erweisen sich gewhnlich die Heterogenitt der Gruppe sind sich die Mitglieder zu hnlich, dann knnen sie sich nicht gegenseitig an-regen sowie breit gestreute Fhigkeiten und vielfltiges Wissen der Teil-nehmer. Eher hemmend wirkt es sich aus, wenn die Mitglieder schon ln-gere Zeit zusammenarbeiten und die Gruppe sehr klein ist. Innovations-frderliche Fhrung von Gruppen stellt hohe Anforderungen an die soziale Kompetenz der Fhrungskrfte. Letztlich geht es darum, den Mitarbeitern berzeugend zu vermitteln, dass eine Situation vernderungsbedrftig und vernderbar ist (...). Zu diesem Zweck mssen die Mitarbeiter hhere An-forderungen an bestehende Situationen stellen und gleichzeitig muss ih-nen die Mglichkeit gegeben werden, nderungen auch real zu erproben. (Nerdinger et al. 2008, S. 167)

    2.6.5.2 Lernende Organisationen und Wissensmanagement

    Seit einigen Jahrzehnten sehen sich Organisationen einer zunehmenden Dynamik des Marktes bzw. ihrer Umwelt ausgesetzt, was so die zentrale Annahme des Ansatzes dazu fhrt, dass es nicht mehr ausreicht, auf Wandlungserfordernisse zu reagieren. Vielmehr mssen sich Organisatio-nen stetig mit den Rahmenbedingungen verndern, um am Markt wettbe-werbsfhig zu bleiben. Organisationen brauchen daher die Fhigkeit, sich aus sich selbst heraus zu verndern. Organisationen, die diese Fhigkeit besitzen, werden als lernende Organisationen bezeichnet. Nun kann die Organisation selbst nicht lernen, sondern nur die Angehrigen einer Orga-nisation, weshalb der Begriff der lernenden Organisation etwas irrefhrend ist. Organisationen nehmen (bspw. durch Weiterbildung oder neue Mitar-beiter) Wissen auf und vermitteln dieses aktiv in die Organisation hinein. (vgl. Nerdinger et al. 2008, S. 167; siehe dort auch eine Zusammenfas-sung der wesentlichen Arten organisationalen Lernens)

    Die in den vergangenen Jahren viel diskutierten Konzepte des Wissens-managements beschftigen sich mit der Generierung und dem Austausch von Wissen in Organisationen. Im Grunde geht beim Wissensmanage-ment um Konzepte organisationalen Lernens und damit im weitesten Sin-ne um Organisationsentwicklung. Pawlowsky (1998, S. 15 f.) legt seinen Darstellungen die berlegung zugrunde, dass sich Wertschpfungspro-zesse zunehmend entmaterialisieren, was bedeutet, dass Maschinen und materielle Produkte zunehmend durch Wissen bzw. Gedanken ersetzt werden. Aus dieser Perspektive seien Organisationen als vernetzte Sys-teme von Wissen (Pawlowsky 1998, S. 15) zu verstehen und zu betrach-ten. Organisationen, so Pawlowsky weiter, htten Kernkompetenzen. Die-se Kernkompetenzen bildeten eine Grundlage; von der immer auszugehen sei.

    Beim Wissensmanagement knnen im Wesentlichen zwei Richtungen von Anstzen unterschieden werden: Eine erste Gruppe von Anstzen fokus-siert sehr stark Strategien, Prozesse und die human factors, whrend eine andere Gruppe von Anstzen vor allem auf Informations-(management)-systeme abstellt (vgl. Riempp 2004, S. 94). Riempp (ebd.) postuliert, dass sowohl die letztere, eher technisch orientierte Denkweise als auch der erstgenannte, eher soziotechnisch orientierte Ansatz fr sich genommen

  • 22

    nicht ausreichend seien und schlgt deshalb eine Integration beider Sicht-weisen vor.

    2.6.6 Bedingungen fr den Erfolg von OE und Wirkungen von OE-Manahmen

    Kals (2006, S. 56) nennt unter Verweis auf Gebert (1981) bzw. von Ro-senstiel (2003) folgende prozessfrderliche Voraussetzungen fr den Er-folg von Organisationsentwicklungsmanahmen:

    1) Die Organisation sollte sich nicht in einer Existenzkrise befinden.

    2) Es sollten keine tiefgreifenden Zerwrfnisse zwischen Betriebsrat und Management bestehen.

    3) Es ist gnstig, wenn bestehende Organisationseinheiten weitgehend autonom agieren knnen und gleichzeitig miteinander kooperieren.

    4) Die Probleme der Organisation sollten allen Beteiligten bewusst sein.

    5) Es ist frderlich, wenn Management und Belegschaft bereits ber gruppendynamische Erfahrungen verfgen.

    6) Die Organisationsmitglieder sollten bereit sein, mit verschiedenen Ver-nderungen zu experimentieren und sich auf teilweise langfristige Ver-nderungsprozesse einzulassen.

    7) Die mit den Vernderungsmanahmen verbundenen Personen (Ma-nahme-Entwickler, interne und externe Berater) sollten von den Betei-ligten akzeptiert werden. Darber hinaus ist personelle Kontinuitt bei den Beratern gnstig.

    Bei Nerdinger et al. (2008, S. 164 f.; siehe dazu auch Kals 2006, S. 56 f.) werden die folgenden wesentlichen, empirisch belegbaren Wirkungen von Organisationsentwicklung beschrieben:

    Ansatz Wirkungen

    Strukturaler An-satz

    Job enrichment und die Einfhrung teilautonomer Ar-beitsgruppen bewirken positive Effekte auf weiche Fak-toren wie Mitarbeiterzufriedenheit oder positive Einstel-lungen gegenber Kollegen, Fhrungskrften und dem Unternehmen insgesamt. Diese Effekte bleiben jedoch gering. Einige Interventionen auf struktureller Ebene (v. a. Leis-tungsbeurteilungen, Zielvereinbarungen, finanzielle An-reizsysteme) haben einen deutlichen positiven Einfluss auf harte Kriterien wie bspw. die Arbeitsproduktivitt.

  • 23

    Prozessualer Ansatz

    Die klassischen prozessualen Anstze (Survey-Feed-back, Prozessberatung, insbesondere Teamentwicklung) zeigen hohe Wirkungen auf weiche Faktoren (Arbeitszu-friedenheit, Bindung an das Unternehmen, Organisati-onsklima, Kooperation, Kommunikation). Darber hinaus lassen sich auch positive Einflsse auf harte Kriterien finden, allerdings sind diese weniger stark.

    Personaler Ansatz

    Klassische gruppendynamische Trainings haben keine empirisch messbaren positiven Einflsse auf harte oder weiche Faktoren. Geringe positive Einflsse lassen sich nur dann feststellen, wenn das Training ganz besonders gut auf die jeweiligen Arbeitsbereiche der Teilnehmer abgestimmt ist.

    Tab. 5: Wirkungen von OE-Manahmen (vgl. Nerdinger et al. 2008, S. 264 f.)

    Eine Untersuchung von Macy & Izumi (1993; hier dargestellt nach Nerdin-ger et al. 2008, S. 165) macht deutlich, welche OE-Manahmen auf wel-cher Organisationsebene die strksten Effekte hat:

    Versuche, die ganze Organisation zu verndern, fhren zu den strks-ten Verbesserungen im finanziellen Bereich.

    Interventionen auf der Ebene von Gruppen, z. B. von Abteilungen, fh-ren zu den strksten Verbesserungen im Verhalten der Mitarbeiter.

    Die Einwirkung auf den einzelnen Mitarbeiter dagegen hat in allen Ka-tegorien Finanzen, Verhalten und Einstellung den geringsten Ef-fekt. (Nerdinger et al. 2008, S. 165)

    2.7 Die betriebspsychologischen Anstze im Kontext der jeweiligen Menschenbilder

    2.7.1 Der homo oeconomicus und die Reaktionen darauf

    Die Entwicklung der arbeitspsychologischen Perspektiven wurde zu jeder Zeit sehr stark von den jeweils vorherrschenden Menschenbildern beein-flusst. So erscheint es nicht verwunderlich, dass das Menschenbild des homo oeconomicus Taylors Ansatz der Wissenschaftlichen Betriebsfh-rung nachhaltig geprgt hat.

  • 24

    Abb. 6: Das Menschenbild des homo oeconomicus

    Weiter oben wurde bereits dargestellt, dass die Human-Relations-Bewe-gung inbesondere als Gegenentwurf zu Taylors Scientific-Management-Ansatz verstndlich wird. Der Human-Relations-Bewegung lag dement-sprechend auch ein anderes Menschenbild zugrunde dasjenige des so-cial man. Man verstand den social man am Ehesten als Wesen mit insbe-sondere sozialen Bedrfnissen. Dementsprechend richtete sich der Fokus der Betrachtungen vor allem auf Gruppenprozesse.

    Abb. 7: Das Menschenbild des social man

  • 25

    2.7.2 Selbstverwirklichung am Arbeitsplatz

    In den 1960er Jahren kam im Zuge neuer Theorien ber die menschlichen Bedrfnisse ein weiterer Gegenentwurf zum homo oeconomicus hinzu. Hatte Freud noch angenommen, dass der Mensch insbesondere durch einen Trieb die Libido motiviert werde, so differenzierte sich das Bild nun deutlich, insbesondere durch die Bedrfnistheorie von Maslow. Dieser nahm an, dass der Mensch viele verschiedene Bedrfnisse habe, die sich allerdings in eine gewisse hierarchische Ordnung fgten. Wenn alle grund-legenden Bedrfnisse erfllt seien (bspw. Hunger, Durst), so kmen ber-geordnete Bedrfnisse zur Geltung (bspw. Gruppenzugehrigkeit). Die Spitze dieser Hierarchie bildete das Bedrfnis nach Selbstverwirklichung. So nahm man an, dass jeder Mensch grundstzlich auch wenn er relativ einfache, monotone Arbeitsttigkeiten ausfhrt nach Selbstverwirkli-chung strebe. Das korrespondierende Menschenbild ist das des self-actualizing man. Dem Menschen wurden eine Vielfalt von Bedrfnissen zugeschrieben, welche in der Arbeit befriedigt werden sollten (Kirchler et al. 2008, S. 95). Whrend die Wissenschaftliche Betriebsfhrung nur die reine Arbeitsttigkeit betrachtete, dem Sinn der Arbeit keine Bedeutung beima und vor allem die Entlohnung als Anreiz ansah, ging man nun da-von aus, dass den Arbeitern Ttigkeiten angeboten werden mussten, die es ihnen ermglichten, ihre Fhigkeiten einzubringen und weiterzuentwi-ckeln. Die Selbstverwirklichung des arbeitenden Individuums wurde zu-nehmend als bedeutende Quelle der Motivation angesehen. (vgl. Kirchler et al. 2008, S. 95 f.)

    Abb. 8: Das Menschenbild des self-actualizing man

  • 26

    2.7.3 Das Menschenbild des spten 20. Jahrhunderts

    Den bisher dargestellten Menschenbildern ist eines gemein: sie reduzie-ren die Annahmen ber den arbeitenden Menschen auf jeweils eine Di-mension, ein grundlegendes Bedrfnis. (vgl. Kirchler et al. 2008, S. 126)

    Menschenbild Zentrale Annahme

    homo oeconomicus Der Mensch will seinen Nutzen maximieren.

    social man Der Mensch hat ein Grundbedrfnis nach sozialem Kon-takt.

    self-actualizing man

    Der Mensch strebt nach Selbstverwirklichung und sucht nach intrinsisch motivierenden Ttigkeiten.

    Tab. 6: Zentrale Annahmen der bisher dargestellten Menschenbilder ber die

    Natur des Menschen (vgl. Kirchler et al. 2008, S. 126)

    Im Menschenbild des ausgehenden 20. Jahrhunderts begegnete man den dargestellten Generalisierungen, indem man versuchte, die individuellen Unterschiede von Arbeitnehmern in die Betrachtungen einzubeziehen. Das daraus resultierende Menschenbild wird als complex man beizeich-net. Hintergrund der Entwicklung dieses neuen Menschenbildes war die Erfahrung, dass Unternehmensstrategien, die auf nur einem Menschenbild beruhten, der Verschiedenartigkeit des Menschen und der Komplexitt un-ternehmerischer Praxis nicht gerecht wurden. Das Menschenbild des complex man ist nicht als Gegenentwurf, sondern als Versuch der Integra-tion aller bisherigen Menschenbilder zu verstehen. (vgl. Kirchler et al. 2008, S. 126 f.)

  • 27

    Abb. 9: Das Menschenbild des complex man

    2.7.4 Wohin die Reise geht

    Die gegenwrtigen tiefgreifenden Vernderungen in Wirtschaft und Gesell-schaft, die sich insbesondere auf den drei Gebieten (1) Informationstech-nologie, (2) demographische Zusammensetzung von Gesellschaften und (3) Arbeitsstrukturen vollziehen, bleiben nicht ohne Einfluss auf das Men-schenbild. So wird der heute arbeitende Mensch beispielsweise als Wis-sensarbeiter (Drucker 1999) oder als postmodern man (Hatch 1997) be-zeichnet. Fr den postmodern man sind Werte wie Freiheit, Kreativitt und Selbstverantwortung besonders wichtig. Sie lsen die modernen Werte wie Reichtum oder Autoritt ab. Hatte Arbeit im modernen Verstndnis die Funktion, zu Reichtum, Macht oder Status zu gelangen, sind jetzt die per-snliche Freiheit, Selbstverwirklichung oder sthetische Bedrfnisse fr die Arbeit magebend. Der Wissensarbeiter ist Teil einer zunehmend entmaterialisierten Arbeitswelt, in der Wissen immer mehr zum Rohstoff wird. Arbeit dient dem Wissensarbeiter dazu, an den Arbeitsherausforde-rungen zu wachsen und die eigenen Strken weiterzuentwickeln. Dabei hat Arbeit drei Funktionen: (1) Kreativitt und Spa an der Arbeit, (2) Kommunikation mit anderen in komplexen Arbeitsablufen (sinnentleerte Arbeitsteilung ist pass), (3) Persnlichkeit, Wille und Kritikfhigkeit sind die Basis der Produktivitt. (vgl. Kirchler et al. 2008, S. 166 ff.)

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    Reflexionsaufgaben

    Reflexionsaufgabe 1

    Ordnen Sie die Anstze der Betriebspsychologie den jeweils korrespondierenden Menschenbildern zu und stellen Sie dar, wie die Menschenbilder das betriebs- bzw. organisationspsychologische Denken beeinflusst haben.

    Reflexionsaufgabe 2

    Stellen Sie die Entwicklung vom Taylorismus bis zur Humanisierung der Arbeit dar. Welche Defizite sehen Sie in den jeweiligen Anstzen?

    Reflexionsaufgabe 3

    Wenn Sie einmal 20 Jahre weiterdenken: wie knnte ein dann aktueller betriebs-psychologischer Ansatz aussehen?

    Reflexionsaufgabe 4

    Denken Sie an ein Ihnen bekanntes Unternehmen und analysieren Sie dessen Strukturen und Prozesse anhand der Ihnen bekannten betriebspsychologischen Anstze. Zu welchen Ergebnissen gelangen Sie? Welche Anstze und Denkweisen lassen sich zu welchen Teilen wiederfinden?

    Reflexionsaufgabe 5

    Denken Sie an ein Ihnen bekanntes Unternehmen und stellen Sie sich vor, Sie be-kmen den Auftrag, dort eine Organisationsentwicklung durchzufhren. Wie wr-den Sie dabei vorgehen? Auf welche potentiellen Fehlerquellen und Stolpersteine wrden Sie achten?

    3 Motivation zur Arbeit

    3.1 Grundfragen der Motivation

    Menschliches Verhalten ist zielgerichtet. Doch wie kommen Menschen zu den Zielen ihres Verhaltens, und warum verfolgen Menschen ihre jeweili-gen Ziele mit unterschiedlicher Intensitt? Dies sind grundlegende Fragen der Motivation, nmlich Fragen danach, warum Menschen etwas tun, also ein Ziel mit einem bestimmten Ausma an Anstrengung und Ausdauer verfolgen.

    Obwohl der Begriff der Motivation die Grnde fr menschliches Verhalten erklrt, bedeutet dies nicht, dass damit menschliches Verhalten an sich erklrt werden kann. Menschliches Verhalten ist ein elementarer Bestand-teil des Lebens es gibt kein Leben ohne Verhalten. Motivation erklrt vielmehr die Richtung (warum sich ein Mensch fr ein bestimmtes Verhal-ten entscheidet), die Intensitt (individuelle Unterschiede in der Intensitt