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1 Bewusstseinsstörungen – Diagnose und Prognose S. Laureys, M.-E. Faymonville; M. Boly, C. Schnakers, A. Vanhaudenhuyse, M.-A. Bruno, P. Boveroux, O. Gosseries, S.Majerus Die zwei Dimensionen des Bewusstseins: Erweckbarkeit und Wahrnehmung – 3 Nosologie der Bewusstseinsstörungen – 5 Klinische Beurteilung, Diagnose und Prognose – 8 Restfunktion des Gehirns – 10 > Ein schwerer akuter Hirnschaden kann zu verschie- denen klinischen Daseinsformen führen, welche den Hirntod, das Koma, vegetative (VS), minimal bewusste (MCS) oder Locked-in (LIS)-Zustände umfassen. Einige dieser Zustände sind irreversi- bel, andere vorübergehend. Im Folgenden sollen die nosologischen Definitionen dieser klinischen Entitäten und ihre klinische Bewertung dargestellt werden. Daneben soll die Notwendigkeit zusätz- licher Untersuchungen wie Elektroenzephalogra- phie (EEG) und funktionelles »neuroimaging« zur Objektivierung der Diagnose und Beurteilung der Prognose aufgezeigt werden. Die zwei Dimensionen des Bewusstseins: Erweckbarkeit und Wahrnehmung Bewusstsein hat viele Facetten, und beinhaltet zwei Dimensionen: die Erweckbarkeit oder Wachheit (Niveau des Bewusstseins) und die Wahrnehmung (Inhalt des Bewusstseins). Man muss wach sein, um wahrzunehmen (REM-Schlaf und luzides Träu- men sind Ausnahmen). Abb. 1.1 zeigt, dass unter normalen physiologischen Umständen Wachheit und Inhalt des Bewusstseins positiv korrelieren (mit Ausnahme des Träumens während des REM- Schlafs). Patienten in pathologischem oder pharmakolo- gischem Koma (z. B. Vollnarkose) sind bewusstlos, da sie nicht erweckbar sind. Der vegetative Status (VS; auch Wachkoma oder apallisches Syndrom genannt) ist ein dissoziativer Bewusstseinszustand und betrifft Patienten, die scheinbar wach sind, denen aber jeglicher Nachweis eines »bewussten« oder »gewollten« Verhaltens fehlt. Wahrnehmung ist eine subjektive Erfahrung einer Einzelperson, und ihre klinische Beurtei- lung ist begrenzt auf die Bewertung der moto- rischen Patientenreaktion. Die Erforschung von Bewusstseinsstörungen hat eine bislang weitge- hend unterschätzte Bedeutung für die Erkenntnis des menschlichen Bewusstseins. Im Gegensatz zu anderen bewusstlosen Zuständen wie Vollnarkose und Tiefschlaf (wobei eine Beeinträchtigung der Erweckbarkeit nicht von einer Beeinträchtigung

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Bewusstseinsstörungen – Diagnose und Prognose

S. Laureys, M.-E. Faymonville; M. Boly, C. Schnakers, A. Vanhaudenhuyse, M.-A. Bruno, P. Boveroux, O. Gosseries, S.Majerus

Die zwei Dimensionen des Bewusstseins: Erweckbarkeit und Wahrnehmung – 3

Nosologie der Bewusstseinsstörungen – 5

Klinische Beurteilung, Diagnose und Prognose – 8

Restfunktion des Gehirns – 10

> Ein schwerer akuter Hirnschaden kann zu verschie-denen klinischen Daseinsformen führen, welche den Hirntod, das Koma, vegetative (VS), minimal bewusste (MCS) oder Locked-in (LIS)-Zustände umfassen. Einige dieser Zustände sind irreversi-bel, andere vorübergehend. Im Folgenden sollen die nosologischen Definitionen dieser klinischen Entitäten und ihre klinische Bewertung dargestellt werden. Daneben soll die Notwendigkeit zusätz-licher Untersuchungen wie Elektroenzephalogra-phie (EEG) und funktionelles »neuroimaging« zur Objektivierung der Diagnose und Beurteilung der Prognose aufgezeigt werden.

Die zwei Dimensionen des Bewusstseins: Erweckbarkeit und Wahrnehmung

Bewusstsein hat viele Facetten, und beinhaltet zwei Dimensionen: die Erweckbarkeit oder Wachheit (Niveau des Bewusstseins) und die Wahrnehmung (Inhalt des Bewusstseins). Man muss wach sein, um wahrzunehmen (REM-Schlaf und luzides Träu-

men sind Ausnahmen). ⊡ Abb. 1.1 zeigt, dass unter normalen physiologischen Umständen Wachheit und Inhalt des Bewusstseins positiv korrelieren (mit Ausnahme des Träumens während des REM-Schlafs).

Patienten in pathologischem oder pharmakolo-gischem Koma (z. B. Vollnarkose) sind bewusstlos, da sie nicht erweckbar sind. Der vegetative Status (VS; auch Wachkoma oder apallisches Syndrom genannt) ist ein dissoziativer Bewusstseinszustand und betrifft Patienten, die scheinbar wach sind, denen aber jeglicher Nachweis eines »bewussten« oder »gewollten« Verhaltens fehlt.

Wahrnehmung ist eine subjektive Erfahrung einer Einzelperson, und ihre klinische Beurtei-lung ist begrenzt auf die Bewertung der moto-rischen Patientenreaktion. Die Erforschung von Bewusstseinsstörungen hat eine bislang weitge-hend unterschätzte Bedeutung für die Erkenntnis des menschlichen Bewusstseins. Im Gegensatz zu anderen bewusstlosen Zuständen wie Vollnarkose und Tiefschlaf (wobei eine Beeinträchtigung der Erweckbarkeit nicht von einer Beeinträchtigung

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der Wahrnehmung unterschieden werden kann) ist der vegetative Status charakterisiert durch eine Trennung von Erweckbarkeit und Wahrnehmung (⊡ Abb. 1.2). Diese Störung bietet auch eine ein-zigartige Gelegenheit, die neuronale Korrelate der bewussten Wahrnehmung zu erforschen.

Wesentlich ist hier die Trennung von Pati-enten, die sich in der klinischen Grauzone zwi-

schen vegetativem und minimal bewusstem Status (MCS) befinden. Das Locked-in-Syndrom (LIS) ist eine seltene und schreckliche Situation, in der Patienten, die aus ihrem Koma erwacht sind, die volle Wahrnehmung besitzen, jedoch aufgrund ei-ner Lähmung stumm und immobil bleiben. Hier sprechen wir auch von einer »Pseudostörung des Bewusstseins«.

⊡ Abb. 1.1. Vereinfachte Darstellung der zwei Hauptdimensionen des Be-wusstseins: das Niveau des Bewusst-seins (Erweckbarkeit oder Wachheit) und der Inhalt des Bewusstseins (Wahrnehmung). Übernommen von Laureys, S. (2005). The neural correlate of (un)awareness: lessons from the vegetative state. Trends Cogn Sci 9, 556–559

⊡ Abb. 1.2. Graphische Darstellung der zwei Dimensionen des Bewusstseins: Erweckbarkeit (schwarzer Pfeil) und Wahr-nehmung (weißer Pfeil) und ihre Veränderungen in Koma, vegetativem Status, minimalem Bewusstseinszustand und im

Locked-in-Syndrom. Nach Laureys, S., A.M. Owen, and N.D. Schiff (2004). Brain function in coma, vegetative state, and related disorders. Lancet Neurol 3, 537–546

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Die Erweckbarkeit wird unterstützt durch neu-ronale Populationen im Bereich des Hirnstamms (z. B. das retikuläre Aktivierungssystem), die di-rekt oder über nicht-spezifische Thalamuskerne mit kortikalen Neuronen kommunizieren. Deshalb können sowohl ein fokaler Schaden des Hirn-stamms, als auch ein diffuser Schaden der Hirn-hemisphären zu Erweckbarkeitsstörungen führen. Die Beurteilung des Augenöffnens und der Hirn-stammreflexe sind ein Schlüssel zur klinischen Einschätzung der funktionellen Integrität der neuronalen Systeme der Erweckbarkeit. Wahrneh-mung hängt von der Unversehrtheit des zerebralen Cortex und seiner subkortikalen Verbindungen ab (Schädigungen in teilweise verschiedenen Hirnre-gionen sind verantwortlich für die verschiedenen Wahrnehmungsstörungen, die wir hier beschrie-ben haben), wobei ihr präzises neuronales Korrelat noch aufzuklären bleibt. Deshalb gibt es zurzeit auch kein validiertes objektives Messinstrument für das Bewusstsein.

Die Einschätzung der multiplen Dimensionen des Bewusstseins und ihrer Störungen erfordern die Interpretation von klinischen Zeichen, die hauptsächlich auf der Beurteilung der Reaktio-nen des Patienten (und ihrer Abwesenheit) auf den Untersucher oder die Umgebung beruhen. Hirntod, Koma, VS, MCS und LIS werden aus-schließlich über klinische Kriterien definiert. Aus diesem Grund wurden Punktesysteme für eine standardisierte Beurteilung des Bewusstseins bei hirngeschädigten Patienten entwickelt (s. u.).

Nosologie der Bewusstseinsstörungen

Hirntod

Hirntod bedeutet menschlicher Tod, festgelegt an-hand neurologischer Kriterien. Die aktuelle Defi-nition von Tod ist der dauerhafte und globale Still-stand der entscheidenden Funktionen des Orga-nismus (z. B. neuroendokrine und homöostatische Regulation, Kreislauf, Atmung und Bewusstsein). Um den Hirntod feststellen zu können, verlangen die meisten Länder den Tod des ganzen Gehirns, einschließlich des Hirnstamms, aber einige (z. B. Großbritannien und Indien) beziehen sich nur auf

den Tod des Hirnstamms, da der Hirnstamm die Durchgangsstation für fast alle hemisphärischen Ein- und Ausgänge darstellt, und das Zentrum für die Atemfunktionen und die Erzeugung von Erweckbarkeit (eine essentielle Bedingung für be-wusste Wahrnehmung) beinhaltet. Die klinische Beurteilung des Hirntods ist dennoch einheitlich und beruht auf dem Verlust aller Hirnstamm-reflexe und dem Beweis des dauerhaften Atem-stillstandes (nach standardisierten Apnoetests) bei einem anhaltend komatösen Patienten (⊡ Tab. 1.1). Die Ursache des Komas sollte geklärt sein und andere beeinflussende Faktoren wie Hypothermie, Drogen, Elektrolyt- und endokrine Störungen soll-ten ausgeschlossen worden sein.

Der Hirntod ist klassischerweise durch eine massive Gehirnläsion (z. B. Trauma, intrakranielle Blutung oder Anoxie) verursacht, welche den int-rakraniellen Druck auf Werte über den arteriellen Blutdruck anhebt, die intrakranielle Durchblutung damit zum Stillstand bringt und den Hirnstamm durch Einklemmung schädigt. Unter Verwendung der Hirnstammformulierung des Todes können demnach außergewöhnliche, aber existierende Fälle massiver Hirnstammläsionen (meist eine Blutung), die den Thalamus und zerebralen Kortex verschonen, als Hirntod trotz intakter intrakrani-eller Zirkulation deklariert werden. Folglich kann ein Patient mit einer primären Hirnstammläsion (welche keinen erhöhten intrakraniellen Druck entwickelt) theoretisch nach den in England und in Indien geltenden Kriterien als tot erklärt werden,

⊡ Tab. 1.1. Hirntod kriterien (Richtlinien der American Academy of Neurology)

▬ Vorliegen eines Komas▬ Nachweis der Ursache des Komas▬ Ausschluss anderer Ursachen wie Hypothermie,

Drogen, Störung der Elektrolyten, endokrine Stö-rungen u.a

▬ Fehlende Hirnstammreflexe▬ Fehlende motorische Antworten▬ Apnoe▬ Eine wiederholte Beurteilung in 6 Stunden wird

empfohlen, wobei diese Zeitspanne willkürlich zu sehen ist

▬ Bestätigende Labortests nur bei unklarer klinischer Beurteilung

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nicht jedoch nach den Kriterien, die in anderen Ländern angewendet werden.

Koma

Ein Koma ist gekennzeichnet durch Nichterweck-barkeit (Ausfall der Erweckbarkeitssysteme; dies wird klinisch beurteilt durch die fehlende Augen-öffnung nach Stimulation, und Ausschluss einer bilateralen Ptosis) und den Verlust des Wahrneh-mungsvermögen. Schlaf-Wach-Zyklen fehlen, bei VS-Patienten können diese jedoch wieder beob-achtet werden. Um ein Koma eindeutig von Syn-kope, Erschütterung oder anderen Zuständen der vorübergehenden Bewusstlosigkeit zu unterschei-den, muss das Koma für mindestens eine Stunde andauern. Im Allgemeinen beginnen komatöse Patienten, die überleben, innerhalb von 2 bis 4 Wochen wach zu werden und nach und nach zu Bewusstsein zu kommen. Es gibt zwei Hauptur-sachen für ein Koma: (1) Ein bihemispherischer und diffuser Schaden des Cortex oder der weißen Substanz (2) Hirnstammläsionen, die die bilateral retikulären Erweckbarkeitssysteme beeinträchtigen (z. B. Pontomesenzephalisches Tegmentum und/ oder paramediane Thalami).

Vegetativer Status

Der vegetative Status (auch Wachkoma oder apallisches Syndrom genannt) wurde 1972 durch Bryan Jennett und Fred Plum definiert und be-schreibt Patienten, die zwar aus ihrem Koma aufwachen (d. h. sie öffnen spontan oder un-ter Stimulation ihre Augen), aber sich oder die Umwelt nicht wahrnehmen und nur motorische Reflexantworten zeigen (⊡ Tab. 1.2). Gemäß dem Oxford English Dictionary beschreibt »vegetativ« einen »organischen Körper, der in der Lage ist zu wachsen und sich zu entwickeln, ohne Gefühle und Gedanken«.

Es ist wichtig, den persistierenden vom per-manenten vegetativen Status zu unterscheiden. Die Abkürzung PVS für beide Zustände ist ver-wirrend. »Persistierender VS« wird als vegetati-ver Status definiert, der einen Monat nach dem

akuten Hirnschaden immer noch vorhanden ist. Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Zustand irreversibel ist.

1994 legte die »US Multi-Society-Task Force on PVS« fest, dass der Zustand von VS-Patienten drei Monate nach einem nichttraumatischen Hirn-schaden und 12 Monate nach einem traumatischen Hirnschaden als »permanent« angesehen werden kann. Nur in Fällen von permanentem VS kann es aufgrund ethischer und juristischen Erwägungen gerechtfertigt sein, eine Therapiebegrenzung zu erwägen. Essentiell ist es, dass erfahrene Untersu-cher das Fehlen jeglicher Zeichen eines bewussten Empfindens wiederholt feststellen oder standardi-sierte Beurteilungs-skalen verwenden, ehe sie die Diagnose des VS stellen.

Minimaler Bewusstseinsstatus (MCS)

2002 veröffentlichte die Aspen Neurobehavioral Conference Workgroup die diagnostischen Kri-terien für MCS, um Patienten vom VS abzugren-zen. MCS-Patienten zeigen begrenzte, aber klar erkennbare Zeichen der Wahrnehmung von sich oder ihrer Umgebung auf einer mehr oder weni-ger reproduzierbaren Basis (⊡ Tab. 1.3). Das Auf-treten eines MCS ist charakterisiert durch das

⊡ Tab. 1.2. Kriterien des vegetativen Status (Richtlinien der US Multi-Society Task Force on Persistent Vegetative State )

▬ Kein Nachweis von bewusster Selbstwahrnehmung oder Wahrnehmung der Umgebung und die Unfä-higkeit mit anderen zu interagieren

▬ Kein Nachweis aufrechterhaltener, reproduzierba-rer, zielgerichteter oder gewollter Reaktionen auf visuelle, auditive, taktile oder schädliche Reize

▬ Kein Nachweis von Sprachverständnis oder Sprach-äußerung

▬ Intermittierende Wachheit nachgewiesen durch Schlaf-Wach-Zyklen

▬ Ausreichend erhaltene autonome Funktionen des Hypothalamus und des Hirnstamms, die das Überleben mittels medizinischer und pflegerischer Betreuung erlauben

▬ Darm- und Blaseninkontinenz▬ Variabel erhaltene Hirnnerven- und spinale Reflexe

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Wiedererlangen (rudimentärer) kommunikativer Fähigkeiten oder durch das gewollte Benutzen von Objekten. Eine weitere Verbesserung des Be-wusstseinszustands ist wahrscheinlicher als bei VS-Patienten. Dennoch können einige Patienten dauerhaft im MCS verbleiben, wobei derzeit noch keine Einigung über die Definition eines perma-nenten MCS besteht.

»Akinetischer Mutismus« (ein Zustand cha-rakterisiert durch starke Bewegungs-, Sprach-, und Gedankenarmut ohne Erweckbarkeitsstö-rung oder Schädigung des efferenten motorischen Trakts) ist ein überholter Begriff, der nicht mehr verwendet werden sollte. Es handelt sich um eine Subkategorie des minimalen Bewusstseinszu-stands (MCS).

Locked-in-Syndrom

Der Terminus Locked-in-Syndrom (Pseudokoma) wurde 1966 durch Fred Plum und Jerome Pos-ner eingeführt. Patienten in diesem Zustand sind sowohl an allen vier Gliedmassen als auch im Mund- und Gesichtsbereich gelähmt, verursacht durch die Unterbrechung der kortikospinalen und kortikobulbären Bahnen des Hirnstamms. Das Syndrom beschreibt Patienten, die erweckbar und wach sind, aber keine Efferenzen ausführen kön-nen (z. B. keine Möglichkeit der Sprachproduktion, Gliedmaßen- oder Gesichtsbewegungen). Locked-in Patienten besitzen jedoch normalerweise die Fä-higkeit, vertikale Augenbewegungen und Blinzeln zu benutzen, um ihre Wahrnehmung innerer und

⊡ Tab 1.3. Kriterien des minimalen Bewusstseinsstatus (Aspen Neurobehavioral Conference Workgroup)

Deutlich erkennbarer Nachweis von bewusster Selbstwahrnehmung und Wahrnehmung der Umgebung auf einer reproduzierbaren Basis anhand mindestens einer der folgenden Verhaltensweisen:

Zielgerichtetes Verhalten (einschließ-lich Bewegungen oder affektives Benehmen), welches in Relation zu re-levanten Reizen steht und nicht durch Reflexaktivität verursacht wird wie:

▬ Verfolgende Augenbewegungen oder Fixation als direkte Antwort auf mobile Reize oder plötzlich auftauchende Reize

▬ Lächeln oder Weinen als Antwort auf verbale oder visuelle emotional bedeutsame Stimuli, aber nicht für neutrale Reize

▬ Greifen nach Objekten und Zusammenhang zwischen der Lokalisation eines Objekts und der Greifrichtung

▬ Halten und Berühren von Gegenständen in einer Art und Weise, die sich der Größe und Schärfe des Objektes anpasst

▬ Vokalisation oder Gesten als direkte Reaktion auf den linguistischen Inhalt von Fragen

Befolgen einfacher Befehle

Gestikulierende oder verbale Ja/Nein-Antworten (ungeachtet der Richtigkeit)

Verständliche verbale Geste

Den minimalen Bewusstseinszustand zu verlassen, erfordert den zuverlässigen und konstanten Nachweis von mindes-tens einer der folgenden Verhaltensweisen:

Funktionelle interaktive Kommunika-tion: richtige Ja/Nein-Antworten auf sechs von sechs Fragen, die die Orien-tation und Basissituationen betreffen (zweimal hintereinander beurteilt)

Beispiele: Fragen wie▬ »Sitzt Du?«

oder▬ »Zeige ich an die Decke?«

Sachgemäßes Benutzen zweier ver-schiedener Objekte, zweimal hinterein-ander beurteilt

Beispiele:▬ das Führen eines Kamms zum Kopf

oder▬ Führen eines Bleistifts zu einem Stück Papier

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äußerer Reize mitzuteilen. Akute, vaskuläre, bilate-rale und ventrale Ponsläsionen sind die häufigste Ursache. Diese Patienten bleiben oft für einige Tage oder Wochen komatös, bedürfen einer künstlichen Beatmung und wachen dann allmählich auf. Sie bleiben jedoch gelähmt und stimmlos, und ähneln oberflächlich beobachtet einem Koma oder vege-tativen Status. ⊡ Tab. 1.4 beinhaltet die klinischen Kriterien des LIS. Das Syndrom kann auf der Basis der Ausdehnung der motorischen Schädigung un-terteilt werden als▬ klassisches LIS (charakterisiert durch die totale

Immobilität bis auf vertikale Augenbewegun-gen oder Blinzeln);

▬ inkomplettes LIS (einige freiwillige Restbewe-gungen sind möglich); und

▬ totales LIS (bestehend aus kompletter Immobi-lität einschließlich aller Augenbewegungen, ver-bunden mit intaktem Bewusstseinsvermögen).

Klinische Beurteilung, Diagnose und Prognose

Bewusstseinsskalen

1974 veröffentlichten Graham Teasdale und Bryan Jennett die »Glasgow Coma Scale « (GCS). Dieses standardisierte Instrument zur Diagnostik von Er-weckbarkeit und Wahrnehmung gilt als Standard in der Komaforschung. Die GCS hat drei Kompo-nenten:▬ Öffnen der Augen,▬ verbale Reaktionen und▬ motorische Reaktionen.

Einige Experten sind der Meinung, dass die Beur-teilung der spontanen und stimulationsausgelösten Augenöffnung die Integrität des Hirnstamms und der Erweckbarkeitssysteme nicht ausreichend un-tersucht und haben Komaskalen, welche die Unter-suchung von Hirnstammreflexen beinhalten, vor-geschlagen. Diese Skalen sind in der Regel jedoch komplexer und weniger verbreitet als die GCS. Zum Beispiel vervollständigt die »Glasgow-Liège Scale « (GLS) die GCS mit fünf Hirnstammreflexen (z. B. frontoorbikulare, okkulozephalische, Pupil-len- und okkulokardiale Reflexe). Die zunehmende Anwendung von Intubation und mechanischer Be-atmung erlauben keine Beurteilung der verbalen Komponente der GCS bei vielen Komapatienten. Vor kurzem wurde daher die Full Outline of Un-Responsiveness scale (FOUR; ein Akronym für die Anzahl der getesteten Komponenten: Augen-, motorische Funktion, Atemfunktion und Hirn-stammreflexe) vorgeschlagen; diese Skala beinhal-tet einen Handpositionstest (z. B. den Patienten auffordern eine Faust, »Daumen hoch«-Zeichen oder »Sieges«-Zeichen zu machen) als Alternative für die verbale Komponente der GCS.

GCS, GLS und FOUR-Skalen sind bei der Einschätzung chronischer Bewusstseinsstörun-gen nicht verlässlich. Für diese Patienten sind die Coma Recovery Scale-Revised (CRS-R), Sensory Modality Assessment and Rehabilitation Tech-nique (SMART) oder Wessex Head Injury Matrix (WHIM) empfindlichere Skalen. Die CRS-R ist eine kürzlich entwickelte Skala und erlaubt, spe-ziell zwischen VS und MCS zu differenzieren. Die Struktur der CRS-R ist der der GCS ähnlich, ihre Subskalen sind jedoch detaillierter, um subtilere Zeichen der Wiedererlangung der Wahrnehmung zu erfassen.

Hirntod

Da viele Regionen des supratentoriellen Gehirns, einschließlich Neocortex, Thalamus und Basal-ganglien nicht genau hinsichtlich ihrer klinischen Funktionen bei einem komatösen Patienten getes-tet werden können, messen die meisten Bedside-tests zur Diagnostik des Hirntods nur die Funktio-nen des Hirnstamms (wie kranielle Nervenreflexe

⊡ Tab 1.4. Kriterien des Locked-in-Syndroms (American Congress of Rehabilitation Medicine)

▬ Aufrechterhaltene Augenöffnung (bilaterale Ptosis sollte als komplizierender Faktor ausgeschlossen werden)

▬ Tetraplegie oder Tetraparese ▬ Aphonie oder Hypophonie▬ Kommunikation durch vertikale oder laterale Au-

genbewegungen oder Blinzeln des oberen Augen-lids um Ja/nein-Antworten zu signalisieren

▬ Erhaltene Wahrnehmung der Umgebung

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und Apnoetest). Seit der ersten Definition des Hirntodes vor nahezu 50 Jahren hat kein Patient, der mit Apnoe im Koma lag und basierend auf neurologischen Kriterien für tot erklärt wurde, jemals das Bewusstsein wiedererlangt.

Zusätzliche neurophysiologische Tests wie Elektroenzephalographie (EEG), ereignisbezogene Potentiale (ERP), Angiographie, Doppler Ultra-schall, oder Szintigraphie bestätigen verlässlich und objektiv die klinische Diagnose.

Koma

Das Management und die Prognose des Koma s hängen von vielen Faktoren, wie Ätiologie, dem allgemeinen klinischen Zustand des Patienten, Al-ter, klinischen Zeichen und zusätzlichen Untersu-chungen ab. Nach 3 Tagen Beobachtung sprechen das Fehlen von Pupillen- oder Kornealreflexen, eine stereotypische oder fehlende motorische Antwort auf Reize, ein isoelektrisches oder ab-geschwächtes EEG-Profil, das Fehlen bilateraler kortikaler Reaktionen auf sensomotorische evo-zierte Potentiale und (bei anoxischem Koma) bio-chemische Marker, wie erhöhte Werte der Enolase im zerebralen Serum, für eine schlechte Prog-nose. Visuelle und auditive evozierte Potentiale des Hirnstamms besitzen nur eingeschränkte pro-gnostische Aussagekraft.

Die Prognose von traumatischen Komaüberle-benden ist günstiger als die anoxischer Patienten. Eine Aussage zur Prognose von toxischen, meta-bolischen und infektiösen komatösen Zuständen ist nicht zuverlässig möglich. Von vielen Fällen unerwarteter Wiedererlangung des Bewusstseins wurde berichtet.

Vegetativer Status

Während Koma und Hirntod charakteristischer-weise akute Zustände darstellen, die nicht länger als Tage oder Wochen anhalten, können vegetative und minimale Bewusstseinszustände zu chroni-schen Daseinsformen werden. Anders als hirntote oder komatöse Patienten können sich vegetative Patienten bewegen. Studien haben gezeigt, dass

es bei diesen Patienten schwierig ist, zwischen automatischen und gewollten Bewegungen zu un-terscheiden. Dies kann zu einer Unterschätzung der Zeichen von Wahrnehmung und folglich zu einer Fehldiagnose führen. So ist bekannt, dass bei unzureichender Diagnostik einer von drei »vege-tativen« Patienten in Wirklichkeit bei Bewusstsein ist – zumindest bei minimalem Bewusstsein.

⚉ Ärzte tendieren häufig dazu, fälschlicher-weise die Diagnose des vegetativen Status bei älteren dementen Heimpatienten zu stellen.

Die klinische Prüfung der fehlenden Wahrneh-mung ist wesentlich problematischer und unsi-cherer als die Überprüfung der fehlenden Erweck-barkeit, der Hirnstammreflexe und der Apnoe im irreversiblen Koma. Wenn VS-Patienten eine ange-messene medizinische Behandlung erhalten, d. h. künstlich ernährt werden und ausreichend Flüssig-keit erhalten, können sie mehrere Jahre überleben.Während der letzten Jahre wurde intensiv nach einem objektiven Test, der zuverlässig die Prognose vegetativer Individuen voraussagen kann, gesucht. Im Gegensatz zum Koma und Hirntod haben wir bislang keine validierten diagnostischen und prog-nostischen Marker für Patienten in einem VS.

Die Chancen der Erholung hängen vom Pati-entenalter, der Ätiologie (ungünstig bei anoxischen Ursachen) und der Dauer im vegetativen Status ab. Jüngste Daten zeigen, dass eine Schädigung des Corpus callosum und des Hirnstamms eine schlechte Prognose bei traumatischem VS bedeu-ten.

Minimaler Bewusstseinsstatus

Da Kriterien für den MCS erst kürzlich einge-führt wurden, gibt es nur wenige klinische Studien zu Patienten in diesem Zustand. Es ist schwie-rig zwischen minimal bewussten und vegetativen Patienten zu unterscheiden, weil beide minimale Reaktionen vorzeigen, die aber nur bei minimal bewussten Patienten ein gewolltes und teilweise bewusstes Verhalten darstellen.

Der VS ist das eine Ende des Spektrums der Wahrnehmungsstörungen. Die Abgrenzung des

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MCS erfordert die wiederholte Beurteilung durch erfahrene Untersucher. Ähnlich wie für den VS hat eine traumatische Ätiologie eine bessere Prognose als ein nicht-traumatischer (anoxischer) MCS. Vorläufige Daten zeigen, dass die Prognose besser ist als bei VS.

Locked-in-Syndrom

Im akuten Locked-in-Syndrom kann die augen-gesteuerte Kommunikation aufgrund der schwan-kenden Erweckbarkeit und der limitierten Kont-rolle der freiwilligen Augenbewegungen schwierig sein. In mehr als die Hälfte der Fälle ist es die Familie und nicht der Arzt, die zuerst merkt, dass der Patient etwas wahrnimmt. Dementsprechend wird die Diagnose im Schnitt erst nach mehr als 2,5 Monaten gestellt. In manchen Fällen dauert es 4–6 Jahre, bis wache und wahrnehmende Patienten, eingeschlossen in einem bewegungslosen Körper als »bei Bewusstsein« erkannt wurden.

Einige Memoiren, von Locked-in-Patienten geschrieben, zeigen sehr gut die Schwierigkeit der Erkennung des Syndroms. Eindrucksvolle Beispiele sind »Look up for yes« von Julia Tava-laro und »Only the eyes say yes« von Phillippe Vigand.

Während die motorische Regeneration im LIS sehr begrenzt ist, kann die Lebenserwartung (bei adäquater medizinischer Versorgung) meh-rere Jahrzehnte betragen. Sensorisch evozierte Po-tentiale sind keine verlässlichen Prädiktoren der Prognose, motorisch evozierte Potentiale lassen die potentielle motorische Regeneration besser einschätzen. Mit Hilfe einer Augen-kontrollierten Computer-basierten Kommunikationstechnologie können die Patienten ihre Umgebung kontrol-lieren, einen Wortprozessor, gekoppelt an einen Sprachsynthesizer benutzen und Zugang zum In-ternet bekommen.

Außenstehende nehmen oft an, dass die Le-bensqualität bei LIS-Patienten so eingeschränkt ist, dass ihr Leben nicht lebenswert sei. Kürzlich durchgeführte Untersuchungen lehren uns jedoch, dass chronische LIS-Patienten über eine erhebliche Lebensqualität berichten, sodass eine aktive Ster-behilfe nur selten gefordert wird.

Restfunktion des Gehirns

Hirntod

Bei Hirntod zeigt das EEG eine fehlende elekt-rokortikale Aktivität (d. h. es findet sich ein iso-elektrisches EEG) mit einer Sensitivität und Spe-zifität von etwa 90%. Dadurch wird das EEG zum verlässlichsten und aufgrund seiner ubiquitären Verfügbarkeit, zum bevorzugten Diagnosetest des Hirntods. Somatosensorisch evozierte Potentiale zeigen typischerweise den Stillstand auf der cer-vikomedullären Ebene. Hirnstamm-evozierte Po-tentiale zeigen normalerweise nur eine verzögerte Welle I (mit Ursprung im kochlearen Nerv). Ze-rebrale Angiographie und transkranielle Doppler-sonographie dokumentieren mit einer sehr hohen Sensitivität und einer 100% Spezifität das Fehlen des zerebralen Blutflusses bei Hirntod. In ähnlicher Weise zeigen Gehirndarstellungen mit Radionu-kliden wie Single Photon Emission-CT und PET das »Schädelhohlraumzeichen«, welches das Feh-len neuronaler Funktionen im gesamten Gehirn bestätigt (⊡ Abb. 1.3).

Eine maximale Intensivtherapie bei hirntoten Patienten führt immer zum Bild des sogenann-ten »Respiratorgehirns«: Nach etwa einer Woche kommt es zur Autolyse und Verflüssigung des Gehirns.

Koma

Die elektrische Aktivität des Gehirns, gemessen mit dem EEG, tendiert dazu, mit zunehmender Komatiefe nichtreaktiv und langsamer zu werden, unabhängig von der zugrunde liegenden Ursache. Wie erwähnt, weist das bilaterale Fehlen kortika-ler Potentiale (z. B. N20 Wellen, die nach ca. 20 ms auftreten) auf eine schlechte Prognose hin. Sind kortikale Potentiale vorhanden, können so-genannte endogene Ereignis-abhängige Potentiale aufschlussreich sein. Eine »mismatch negativity«, d. h. eine negative Komponente, ausgelöst nach 100–200 ms in Folge einer plötzlichen Unregel-mässigkeit in einer monotonen Sequenz auditiver Stimuli (z. B. ein »oddball paradigm«) zeigt das Vorhandensein einer automatischen Informations-

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verarbeitung an, die mit der Wiedererlangung des Bewusstseins (zumindest des minimalen Bewusst-seins) einhergeht.

Der zerebrale Metabolismus beträgt bei Koma-überlebenden im Durchschnitt 50–70% der Nor-malwerte und korreliert wenig mit dem Niveau des Bewusstseins, gemessen anhand der GCS bei schwer kopfverletzten Patienten. Eine weitgehende Abnahme des zerebralen Metabolismus darf nicht unbedingt mit einem Koma gleichgestellt werden. Wenn bei einer Narkose Pharmaka bis zur Re-aktionslosigkeit verabreicht werden, entspricht die resultierende Reduktion des Gehirnmetabo-lismus der bei pathologischem Koma. Eine vo-rübergehende metabolische Senkung beobachtet man auch während des Tiefschlafs, charakterisiert durch langsame EEG-Wellen. In diesem täglich

eintretenden physiologischen Zustand kann der kortikale zerebrale Metabolismus auf etwa 40% der Norm fallen – während im REM-Schlaf der Meta-bolismus zu normalen Wachwerten zurückkehrt (⊡ Abb. 1.3).

Vegetativer Status

Im vegetativen Status zeigt das EEG meist eine dif-fuse Verlangsamung (das heißt einen generalisier-ten polymorphen delta- oder theta-Rhythmus), nur gelegentlich handelt es sich um ein sehr stark abgeschwächtes oder ein isoelektrisches Bild. Bei vegetativen Patienten können somatosensorisch evozierte Potentiale erhaltene primäre kortikale Potentiale aufzeigen und auditive Hirnstamm-

⊡ Abb. 1.3. Zerebraler Metabolismus bei bewusster Erweck-barkeit, bei Hirntod, tiefem Schlaf, REM-Schlaf, Allgemein-anästhesie, vegetativem Status und im Wachzustand ohne bewusste Wahrnehmung (bei VS) Anmerkung: Die Wiedererlangung des Bewusstseins aus dem vegetativen Status kann ohne wesentliche Zunahme des ge-samten kortikalen Metabolismus stattfinden, was bedeutet,

dass für das Entstehen von Wahrnehmung einige Gehirnre-gionen wichtiger sind als andere. Mit freundlicher Genehmi-gung von Mike Alkire et al. (1999) Functional brain imaging during anesthesia in humans: effects of halothane on global and regional cerebral glucose metabolism. Anesthesiology 90, 701–709 for the images on halothane induced loss of con-sciousness

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12 Kapitel 1 · Bewusstseinsstörungen – Diagnose und Prognose

evozierte Potentiale oft auf erhaltene Hirnstamm-potentiale deuten. Endogen evozierte Potentiale, die zum Beispiel die Antwort des Gehirns auf komplexe auditive Reize wie den Namen des Pa-tienten (verglichen mit anderen Namen) messen, erlauben die Aufzeichnung einer sogenannten P300-Komponente (eine positive Welle, welche nach ca. 300 ms ausgelöst wird, wenn der Pati-ent ein Zielstimulus unter mehreren regelmässig

erscheinenden Reize wiedererkennt). Die Anwen-dung emotional bedeutsamer Stimuli wie der ei-gene Name erhöht die Chance eine P300-Antwort bei hirngeschädigten Patienten zu erhalten. Aller-dings ist die P300-Komponente kein verlässlicher Marker für das Vorhandensein bewusster Wahr-nehmung (⊡ Abb. 1.4).

Im Gegensatz zum irreversiblen Koma oder Hirntod zeigen vegetative Patienten einen zwar

⊡ Abb. 1.4. Endogene ereignisbezogene Potentiale auf den eigenen Namen der Versuchsperson (dicke Markierung) und auf andere Vornamen (dünne Markierung) bei 5 gesunden Kontrollpersonen, 4 Locked-in-Syndrom-Patienten, 6 Patien-ten in minimalem Bewusstseinszustand und 5 Patienten in vegetativem Status. Anmerkung: Die unterschiedliche P300-

Komponente (graue Fläche) kann auch in einigen gut doku-mentierten VS-Patienten (welche sich nie wieder erholt haben) beobachtet werden und ist folglich kein verlässlicher Indikator für Wahrnehmung. Nach Perrin, F., et al. (2006). Brain response to one‘s own name in vegetative state, minimally conscious state, and locked-in syndrome. Arch Neurol 63, 562–569

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wesentlich reduzierteren (40–50% des Normwer-tes), aber keinen komplett fehlenden kortikalen Metabolismus. Bei einigen vegetativen Patienten, die anschließend das Bewusstsein wiedererlangt haben, zeigte der Glukose-Metabolismus keine we-sentlichen Veränderungen (⊡ Abb. 1.3). Folglich ist das Verhältnis zwischen den verschiedenen Ebe-nen des Bewusstseins und das Vorhandensein oder Fehlen der bewussten Wahrnehmung nicht abso-lut. Es scheint eher so, dass einige Gehirnregionen wichtiger als andere für die bewusste Wahrneh-mung sind.

Anatomisch-pathologische Merkmale in anoxi-schem VS umfassen multifokale laminare kortikale Nekrosen, eine diffuse Leukoenzephalopathie und Nekrosen der Thalami. Bei VS nach offener Schä-delverletzung beobachtet man einen diffusen Scha-den der weißen Substanz mit neuronalem Verlust in Thalamus und Hippocampus. Jedoch erlauben es diese Post-mortem-Studien nicht, eine detail-lierte regionale Topographie für den VS-typischen zerebralen Schaden zu erhalten. Analysen des Typs »voxel-based-morphometry« von metabolischen PET-Daten haben eine metabolische Dysfunktion in einem umfassenden frontoparietalen Netzwerk identifiziert: betroffen sind bilaterale laterale fron-tale Regionen, parieto-temporale und posterior-parietale Areale, mesofrontale Areale und der Praecuneus (⊡ Abb. 1.5), bekannt als die Regionen die im Ruhezustand beim gesunden Gehirn am aktivsten sind.

Bei einigen anderen Zuständen zeigen Pa-tienten nur eine reflexartige oder automatische motorische Aktivität, während sie wach zu sein scheinen. Bei vorübergehenden Trübungen der bewussten Wahrnehmung (charakterisiert durch kurze Episoden der Reaktionslosigkeit und des Starrens, häufig begleitet von ziellosem Augen-blinzeln und Schmatzen) haben funktionelle MRT-Studien eine Abnahme der Blutsauerstoff-konzentration in einem umfassenden frontopa-rietalen Netzwerk, ähnlich wie bei VS-Patienten gezeigt. Bei Epilepsien im Bereich der Tempo-rallappen, »komplex-partielle« Anfälle, die das Bewusstsein beeinträchtigen – während automati-sche Aktivitäten wie Herumnesteln, Herumtasten oder Augenrollen erhalten sind – haben Single Photon Emission CTs ähnliche ausgeprägte De-

aktivierungen im frontalen und parietalen assozi-ativen Cortex gezeigt. Im Gegensatz dazu ist eine Temporallapenepilepsie mit mehr oder weniger erhaltenem Bewusstsein (genannt »einfach parti-ell«) nicht von solchen frontoparietalen Dysfunk-tionen begleitet.

Ein anderes Beispiel einer vorübergehenden Reaktionslosigkeit mit erhaltenem automatischem Verhalten kann man bei Schlafwandlern beobach-ten. Wiederholt wurden Deaktivierungen in gro-ßen Arealen der frontalen und parietalen Assozi-ationsrinde mittels SPECT-Bildgebung während des Schlafwandelns beobachtet. Insgesamt weisen diese Untersuchungen auf die kritische Rolle des frontoparietalen assoziativen Cortex bei der Ge-nerierung der bewussten Wahrnehmung hin.

Jedoch scheint eine bewusste Wahrnehmung nicht nur an die Aktivität in diesem globalen kor-tikalen Netzwerk, sondern auch an die funkti-onellen Verbindungen innerhalb dieses Systems und mit dem Thalamus gekoppelt zu sein. Lang-

⊡ Abb. 1.5. Das Kennzeichen des vegetativen Status ist eine metabolische Dysfunktion eines weitgespannten kortikalen Netzwerkes, welches mediale und laterale präfrontale und parietale multimodale assoziative Areale umfasst. Dies beruht entweder auf einem direkten kortikalen Schaden oder auf einer thalamo-kortikalen Unterbrechung (dargestellt anhand der Pfeile). Ebenso charakteristisch für den vegetativen Sta-tus ist der herabgesetzte Metabolismus des Hirnstamms (die pedunculopontine retikulare Formation, den Hypothalamus und das basale Vorderhirn einschließend, T in der oberen Abbildung), die erhaltene Erweckbarkeit und die erhaltenen autonomen Funktionen des Patienten. Nach Laureys, S. (2005). The neural correlate of (un)awareness: lessons from the veg-etative state. Trends Cogn Sci 9, 556–559

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kettige frontoparietale und thalamokortikale (mit nichtspezifischen intra-laminaren Thalami) funk-tionelle Unterbrechungen wurden im VS identifi-ziert. Außerdem hängt die Wiedererlangung des Bewusstseins von der funktionellen Wiederher-stellung dieses frontoparietalen Netzwerks und der thalamo-kortikalen Verbindungen ab.

Am relevantesten ist die Frage nach der mög-lichen Empfindung und Kognition bei vegetativen Patienten. Bei gut dokumentierten VS-Patienten verursachte eine elektrische Stimulation, die als schmerzhaft von Kontrollprobanden erlebt wurde, eine Aktivierung des Hirnstamms, des Thalamus und des primär sensomotorischem Cortex. An-dere Regionen, die in der Hierarchie der Schmerz-empfindung höhergestellt sind, einschließlich des vorderen Cortex cingularis, wurden aber nicht aktiviert (⊡ Abb. 1.6). Wichtig ist hier, dass der aktivierte Cortex isoliert und funktionell von dem frontoparietalen Netzwerk abgeschnitten war, was einer bewussten Empfindung entgegensteht.

In ähnlicher Weise konnte herausgefunden werden, dass auditive Stimulation im VS primär den auditiven Cortex aktiviert, aber nicht höher-gestellte multimodale Areale. Die Aktivierung des primären Cortex bei wachen, aber nicht wahrneh-menden Patienten bestätigt die frühere Hypothese

von Crick und Koch (basierend auf Studien der visuellen Wahrnehmung bei Affen), dass neuro-nale Aktivität in der primären Rinde notwendig, aber nicht ausreichend für die bewusste Wahrneh-mung ist.

Minimaler Bewusstseinsstatus

PET-Studien, die den zerebralen Ruhemetabolis-mus messen, können nicht verlässlich zwischen vegetativen und minimal bewussten Individuen unterscheiden. Die funktionelle Bildgebung kann hier von großer Wichtigkeit sein, um zwischen den verschiedenen Aktivitätsmustern, die durch Reizvorgaben hervorgerufen werden, bei den ver-schiedenen klinischen Entitäten zu unterscheiden. Komplexe auditive Reize mit emotionaler Bedeu-tung, wie persönliche Erlebnisse oder der eigene Name, aktivieren kortikale Areale der Sprachver-arbeitung, was man während der Präsentation be-deutungsloser Reize im MCS nicht beobachtet hat. Eine solche Hierarchie der auditiven Informations-verarbeitung bei MCS-Patienten, zeigt dass es auf den Inhalt ankommt, wenn man MCS-Patienten anspricht, wobei die Untersuchungen oft nicht am Krankenbett durchführbar sind.

⊡ Abb. 1.6. Somatosensorische Stimuli hoher Intensität ver-sagen in der Induktion jeglicher subkortikalen oder kortikalen neuronalen Aktivität in irreversiblem Koma mit klinisch fehlen-den Hirnstammreflexen (z. B. Hirntod). Im vegetativen Status können subkortikale (oberer Hirnstamm und Thalamus), aber auch kortikale (primärer somatosensorischer Cortex, Kreis) Ak-tivität beobachtet werden. Jedoch ist diese erhaltene kortikale Aktivität begrenzt auf den primären Kortex und versagt in der Erreichung höher geordneter oder assoziativer Cortices, von

denen sie funktionell getrennt ist. Bei gesunden Kontrollpro-banden, die die Reize als schmerzhaft empfanden, resultierte die Stimulation in einer ausgedehnten neuronalen Netzwerk-Aktivität (die sogenannte »Schmerz Matrix«) einschließlich des vorderen Cortex cingularis (Ellipse). Daten nach Laureys, S. et al. (2002) Cortical processing of noxious somatosensory stim-uli in the persistent vegetative state. Neuroimage 17, 732–741 and shown on »glass brains«

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Andererseits müssen Ergebnisse der funkti-onellen zerebralen Bildgebung mit großer Vor-sicht als Beweis oder Gegenbeweis der bewussten Wahrnehmung bei ernsthaft hirngeschädigten Patienten bewertet werden, da ein umfassendes Verständnis der neuronalen Grundlagen des Be-wusstseins fehlt.

Kürzlich hat Adrian Owen aus Cambridge ver-sucht »Willen ohne Aktion« in nicht-kommuni-kativen hirngeschädigten Patienten zu identifi-zieren. Er hat Patienten während einer mentalen Bildgebungsaufgabe gescannt. Es ging darum, re-produzierbare und spezifische Aktivierungen bei Patienten zu beobachten, während sie Aufgaben durchführen. Wird diese spezifische Aktivierung beobachtet, dann bedeutet dies, dass der Pati-ent fähig ist, die mentale Aufgabe durchzuführen, was wiederum eindeutig eine bewusste Wahrneh-mungsfähigkeit zeigt. Negative Ergebnisse unter den gleichen Bedingungen können jedoch nicht als Beweis für eine fehlende bewusste Wahrneh-mung dienen.

In einem Ausnahmefall eines US-Patienten wurde eine aufgabenspezifische Aktivität beobach-tet, was unzweifelhaft für eine bewusste Wahr-nehmung spricht, trotz fehlenden verlässlichen verhaltensmotorischen Zeichen einer freiwilligen Interaktion mit der Umgebung. Interessanterweise erlangte der Patient etwas später sein Bewusst-seinsvermögen wieder.

Auch andere Studien konnten nachweisen, dass VS-Patienten mit untypischen Gehirnaktivi-tätsmustern in der funktionellen Bildgebung spä-ter klinische Zeichen der Wiedererlangung des Bewusstseins zeigten – wenn auch manchmal erst viele Monate später.

Mit Hilfe der MRI-Diffusions-Tensor-Bildge-bung kann die Integrität der weißen Substanz ge-messen werden. Die Untersuchungen erweitern unser Verständnis von den Gehirnmechanismen, die der Wiedererlangung des Bewusstseins bei VS unterliegen. Ein Team um Nicholas Schiff von der Cornell University benutzte kürzlich die Diffusi-ons-Tensor-Bildgebung um das erneute Wachsen von Axonen im Gehirn von Terry Wallis zu zeigen, einem Mann aus Arkansas, der in einem posttrau-matischen MCS war und der 2003 nach 19 Jahren Stille wieder zu sprechen begann.

Locked-in-Syndrom

Typischerweise ist bei LIS das EEG relativ normal (oder nur sehr wenig verlangsamt) und reagiert auf externe Reize, nur gelegentlich wurde auch ein nicht-reaktiver Alpha-Rhythmus (z. B. »Alpha-Koma«-Muster) beobachtet. Kognitive evozierte Potentiale und Gehirn-Computer-Schnittstellen können bewusste Wahrnehmung dokumentieren und erlauben Kommunikation in extremen Fällen von komplettem LIS. Die Frage nach dem Kog-nitionsvermögen im LIS war lange unklar. Kürz-lich wurden standardisierte neuropsychologische Batterien verwendet und für ein augengesteuertes Kommunikations-verfahren validiert. Für das klas-sische LIS, verursacht durch eine Hirnstammlä-sion, haben diese Studien ein normales Vermögen im Bereich der Aufmerksamkeit, des Gedächtnis, der exekutiven Funktionen, und des Sprachver-ständnis gezeigt.

Die PET Bildgebung hat eine signifikant hö-here metabolische Aktivität in den Gehirnen von LIS-Patienten im Vergleich zu VS-Patienten nach-gewiesen. Verfahren wie die »voxel-based morpho-metry« haben gezeigt, dass alle kortikalen Areale einen normalen Metabolismus beim klassischen LIS besitzen. Umgekehrt wurde eine Hyperakti-vität in den bilateralen Amygdala bei akutem LIS beobachtet, aber nicht bei chronischem LIS. Die Amygdala Kerne sind beteiligt am Empfinden von Emotionen, vor allem an negativen Emotionen wie Furcht und Angst. Das Fehlen einer reduzier-ten metabolischen Funktion in allen Arealen der grauen Substanz unterstreicht die Tatsache, dass LIS-Patienten unter einer reinen zentralmotori-schen Störung leiden und ihre komplette intellek-tuelle Kapazität wiedererlangt haben oder wieder-erlangen werden.

Die zunehmende Aktivität in den Amygdala kann mit der schrecklichen Situation einer intak-ten bewussten Wahrnehmung in einem stummen, aber fühlenden Menschen zusammenhängen. Bei der Betreuung dieser Patienten soll man sich die-ses Zustandes stark bewusst sein, sein Verhalten am Patientenbett anpassen und eine pharmako-logische angsthemmende Therapie in Erwägung ziehen.

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1 > FazitHirntod, komatöse, vegetative und minimale Bewusstseinszustände stellen verschiedene pa-thologische Veränderungen der beiden Dimen-sionen des Bewusstseins, der Erweckbarkeit und der Wahrnehmung, dar.Am Krankenbett ist die Beurteilung der bewus-sten Wahrnehmung und Empfindung unter diesen Bedingungen schwierig und manchmal auch falsch. Elektrophysiologische und funk-tionelle neurologische bildgebende Verfahren können die regionale Verteilung des zerebralen Metabolismus unter verschiedenen Formen der passiven Stimulation und während aktiver mentaler Aufgaben objektivieren. Diese Unter-suchungen verbessern unser Verständnis der neuronalen Grundlagen von Erweckbarkeit und bewusster Wahrnehmung und beeinflussen Diagnosestellung, Prognose und Behandlung von Bewusstseinsstörungen.Zurzeit werden weitere Daten gesammelt und methodologische Validierungen durchgeführt. Erst nach ihrer Auswertung können funktionelle neurologische bildgebende Untersuchungen für den klinischen Einsatz vorgeschlagen wer-den, um die Grauzone zwischen bewussten und bewusstlosen Überlebenden nach akutem Hirnschaden aufzuklären.

Websites

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