30
Bielefelder Arbeitsgruppe 8 (Hrsg.) Soziale Arbeit in Gesellschaft

Bielefelder Arbeitsgruppe 8 (Hrsg.) Soziale Arbeit in Gesellschaftdownload.e-bookshelf.de/download/0000/0168/06/L-G... · 2013. 7. 23. · Bernd Dewe ausformulierten Modells eines

  • Upload
    others

  • View
    1

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Bielefelder Arbeitsgruppe 8 (Hrsg.) Soziale Arbeit in Gesellschaftdownload.e-bookshelf.de/download/0000/0168/06/L-G... · 2013. 7. 23. · Bernd Dewe ausformulierten Modells eines

Bielefelder Arbeitsgruppe 8 (Hrsg.)

Soziale Arbeit in Gesellschaft

Page 2: Bielefelder Arbeitsgruppe 8 (Hrsg.) Soziale Arbeit in Gesellschaftdownload.e-bookshelf.de/download/0000/0168/06/L-G... · 2013. 7. 23. · Bernd Dewe ausformulierten Modells eines

Bielefelder Arbeitsgruppe 8 (Hrsg.)

Soziale Arbeitin Gesellschaft

Page 3: Bielefelder Arbeitsgruppe 8 (Hrsg.) Soziale Arbeit in Gesellschaftdownload.e-bookshelf.de/download/0000/0168/06/L-G... · 2013. 7. 23. · Bernd Dewe ausformulierten Modells eines

.

1. Auflage 2008

Alle Rechte vorbehalten© VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2008

Lektorat: Stefanie Laux

Der VS Verlag für Sozialwissenschaften ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media.www.vs-verlag.de

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. JedeVerwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes istohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesonderefür Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspei-cherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesemWerk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solcheNamen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachtenwären und daher von jedermann benutzt werden dürften.

Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, HeidelbergUmschlagfoto: Tacheles, 2007. Walburga Freitag, BielefeldSatz: Anne Fuchs, Pfofeld-LanglauDruck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v., MeppelGedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem PapierPrinted in the Netherlands

ISBN 978-3-531-15655-2

Bibliografische Information Der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über<http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

Page 4: Bielefelder Arbeitsgruppe 8 (Hrsg.) Soziale Arbeit in Gesellschaftdownload.e-bookshelf.de/download/0000/0168/06/L-G... · 2013. 7. 23. · Bernd Dewe ausformulierten Modells eines

Inhalt

Petra Bollweg/Fabian Kessl/Mathias Schmidt-FlösserVorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

Bielefelder Arbeitsgruppe 8Soziale Arbeit in Gesellschaft. Eine Einleitung zur Werkschau . . . . . . . . 11

1. Gesellschaftliche Perspektiven

Siegfried Müller/Hilmar PeterGesellschaftliche Perspektiven – ein Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25

Micha Brumlik/Hauke BrunkhorstGerechtigkeit, globale Sozial- und Sozialisationsstaatlichkeit . . . . . . . . . 38

Nina Oelkers/Mark SchrödterSoziale Arbeit im Dienste der Befähigungsgerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . 44

Mark J. SternCommunity culture and social welfare . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50

Günter AlbrechtSoziale Prävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55

2. Disziplin und Disziplinpolitik

Karin BöllertDisziplin und Disziplinpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65

Georg Cleppien/Franz HamburgerAnwendungsbezogene Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72

Norbert Meder/Peter VogelHilfe oder Dienstleistung? Ein allgemeinpädagogischer Blickauf die Sozialpädagogik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78

Hans MerkensWissenschaftlicher Nachwuchs und Soziale Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . 84

Heinz-Hermann KrügerSozialpädagogische Forschung und Forschungspolitik . . . . . . . . . . . . . . 90

Günter J. Friesenhahn/Walter Lorenz/Friedrich W. SeibelAusbildung für eine europäische Soziale Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96

Page 5: Bielefelder Arbeitsgruppe 8 (Hrsg.) Soziale Arbeit in Gesellschaftdownload.e-bookshelf.de/download/0000/0168/06/L-G... · 2013. 7. 23. · Bernd Dewe ausformulierten Modells eines

3. Wissenschaftstheorie und Empirie

Bernd DeweWissenschaftstheorie und Empire – ein Situationsbild:Reflexive Wissenschaftstheorie, kognitive Identität und Forschung(in) der Sozialpädagogik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107

Heinz-Günther MicheelEmpirische Forschung und Soziale Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121

Roland MertenSozialarbeitswissenschaft – Vom Entschwinden eines Phantoms . . . . . . 128

Cornelia FüssenhäuserReflexive Sozialpädagogik: Professions- und/oder Wissenschaftspolitik? . 136

4. Profession und Professionstheorie

Stefan SchnurrDie Durchsetzung der Profession als Selbstfindungsprojekt derDisziplin – Hans-Uwe Otto und die Professionalisierungsdebattein der Sozialen Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147

Werner HelsperUngewissheit und pädagogische Professionalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162

Helge PetersGeliebt und nicht gewollt, bemängelt und nicht zu verwirklichen.Zur Professionalisierung der Sozialarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169

Heinz MessmerProfession auf dem Prüfstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177

Werner TholeWider der Alltagsideologie der „hohen Ideale“ – zur Idee einer„realen Interessensolidarität“. Professionalität und Politikbei Hans-Uwe Otto . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186

5. Adressatinnen und Adressaten

Andreas SchaarschuchVom Adressaten zum „Nutzer“ von Dienstleistungen . . . . . . . . . . . . . . 197

Christof Beckmann/Martina RichterQualität in der Sozialen Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205

Birte Klingler/Sandra Landhäußer/Holger ZieglerDie AdressatInnen sozialräumlich orientierter Sozialer Arbeit undder Sozialraum als Adressat – eine empirische Betrachtung . . . . . . . . . . 207

6 Inhalt

Page 6: Bielefelder Arbeitsgruppe 8 (Hrsg.) Soziale Arbeit in Gesellschaftdownload.e-bookshelf.de/download/0000/0168/06/L-G... · 2013. 7. 23. · Bernd Dewe ausformulierten Modells eines

Stefan Iske/Alexandra Klein/Nadia KutscherNutzungs- und Bildungsforschung im Kontext des Internet . . . . . . . . . 217

Kirsten Hanssen/Andreas Markert/Kerstin Petersen/Sabine WagenblassUneingelöste Versprechungen: Von der bleibenden Notwendigkeit einerAdressatInnenorientierung in der Jugendhilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225

Dietmar SturzbecherBeteiligung von Kindern und Jugendlichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233

6. Soziale Dienste (Organisation und Institution)

Gaby FlösserSoziale Dienste – Ein Überblick. Institutionelle und organisatorischeHerausforderungen professionellen Handelns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243

Klaus Grunwald/Ulrich OttoSoziale Arbeit statt Sozialmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252

Stefanie Albus/Andreas PoluttaErgebnisse und Wirkungen im Feld der Sozialen Arbeit . . . . . . . . . . . . 260

Heinz-Jürgen Dahme/Achim Trube/Norbert WohlfahrtSoziale Arbeit für den aktivierenden Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268

Dieter KreftJugendamt trotz Verwaltungsmodernisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276

7. Sozialpolitik

Thomas OlkSoziale Arbeit und Sozialpolitik –Notizen zu einem ambivalenten Verhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287

Udo SeelmeyerNormalität und Normativität. Bezugspunkte Sozialer Arbeitim Strudel wohlfahrtsstaatlicher Transformation . . . . . . . . . . . . . . . . . 299

Anne FrommannSozialpädagogische und sozialpolitische Praxis – einander ergänzendeoder behindernde Lebensaufgaben? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306

Heinz-Josef KessmannJugendberichte und ihre (politische) Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313

Marie-Eleonora KarstenDie sozialpädagogische Ordnung des Sozialen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319

Inhalt 7

Page 7: Bielefelder Arbeitsgruppe 8 (Hrsg.) Soziale Arbeit in Gesellschaftdownload.e-bookshelf.de/download/0000/0168/06/L-G... · 2013. 7. 23. · Bernd Dewe ausformulierten Modells eines

Thomas Rauschenbach/Ivo ZüchnerDie andere Seite der Bildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328

8. Bildung

Heinz SünkerBildung. Zur Vermittlung von Jugendhilfe und Bildungspolitik . . . . . . . 341

Volker LenhartMenschenrechtsbildung und gesellschaftliche Bildung . . . . . . . . . . . . . 350

Richard Münchmeier/Ursula Rabe-KlebergBildung und Lebenskompetenz. Ein neuer Begriff von Bildung? . . . . . . 356

Jan-Hendrik OlbertzQualität von Bildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363

Thomas Coelen/Gertrud Oelerich/Franz PrüßJugendhilfe und Schule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373

Klaus-Jürgen TillmannKooperation von Schule und Jugendhilfe –die schulpädagogische Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380

Sabine Andresen/Karin BockDas »Netzwerk Bildung« als Ausdruck gesellschaftlicher Bildung . . . . . . 391

Jürgen OelkersZeitgemäße Bildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404

Hans ThierschEpilog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417

Schriftenverzeichnis von Hans-Uwe Ottozusammengestellt von Melanie Babenhauserheide, Lena Blomenkamp,Stephan Dahmen und Daniel Krenz-Dewe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423

Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 444

8 Inhalt

Page 8: Bielefelder Arbeitsgruppe 8 (Hrsg.) Soziale Arbeit in Gesellschaftdownload.e-bookshelf.de/download/0000/0168/06/L-G... · 2013. 7. 23. · Bernd Dewe ausformulierten Modells eines

Vorwort

Anlass für den vorliegenden Band ist die Pensionierung des Bielefelder Erzie-hungswissenschaftlers Hans-Uwe Otto. Mit seinem 68. Geburtstag scheidetHans-Uwe Otto als Professor für „Erziehungswissenschaft mit dem Schwer-punkt Sozialpädagogik/Sozialarbeit“ formal aus der Fakultät für Pädagogik aus.Für das wissenschaftliche und politische Schaffen von Hans-Uwe Otto wirddieser Zeitpunkt sicherlich nur der Beginn einer neuen Etappe sein.

Dennoch soll er uns Anlass sein für eine Vergewisserung. Mit der vorliegen-den „Werkschau“ möchten wir deshalb das fast vierzigjährige wissenschaftliche,disziplin- und professionspolitische Engagement würdigen, das Hans-Uwe Ottoseit 1980 in und aus der „Bielefelder Arbeitsgruppe 8: Sozialarbeit/Sozialpäda-gogik“ heraus realisiert hat.

Das wissenschaftliche wie (disziplin- und professions-)politische Wirken vonHans-Uwe Otto entfaltet sich seit Anfang der 1970er Jahre und damit in einerÄra, in der sich die Soziale Arbeit als Profession wie als Wissenschaft entschei-dend weiterentwickelt hat. Das zeigen die immense quantitative Expansion derBeschäftigtenzahlen wie der Trägerorganisationen im Feld Sozialer Arbeit – zu-mindest bis Mitte der 1990er Jahre – ebenso wie die nicht weniger eindrück-liche Ausdifferenzierung der sozialpädagogischen Arbeitsfelder, wie sie sich bei-spielsweise im Achten Buch des SGB VIII (KJHG) widerspiegelt. Beleg für die-se Entwicklungen ist aber auch ein beachtlicher Schub im sozialpädagogischenProfessionalisierungsprozess, wie er sich in der Etablierung der akademischenAusbildung materialisiert hat, und die weitere Fundierung einer WissenschaftSozialer Arbeit, die an einer sprunghaften Zunahme der Publikations- undZeitschriftenzahlen in den letzten drei Jahrzehnten und der allmählichen Im-plementierung einer ausgewiesenen empirischen Forschung im Feld SozialerArbeit abzulesen ist. Mit diesen Entwicklungen ist Hans-Uwe Otto in vielfälti-ger Weise verbunden. Denn Hans-Uwe Otto ist es bis heute ein Anliegen, So-ziale Arbeit als Disziplin wie als Profession zu etablieren, zu modernisieren, aberimmer auch kritisch auf ihre gesellschaftspolitische Rückbindung zu befragen.Diese Anliegen hat er in so ganz unterschiedlichen Funktionen verfolgt: alsHochschullehrer, Antragsteller und DFG-Gutachter, als Mitbegründer des„Bundeskongresses Soziale Arbeit“ und der „Theorie-“ und „Empirie-AG“, als(Mit-)Herausgeber mehrerer Zeitschriften, als Kommissarischer Rektor an derPädagogischen Hochschule Halle-Köthen, als Vorsitzender der Sachverständi-genkommission zum Neunten Jugendbericht, als Honorarprofessor an der Uni-versity of Pennsylvania oder als Präsident des Erziehungswissenschaftlichen Fa-kultätentags (EWFT) und der Internationalen Social Work & Society-SummerAcademy (TISSA), um nur eine Auswahl zu nennen. In all diesen Aktivitätenspiegelt sich sein leidenschaftliches professionelles wie disziplinäres Engagementwider, das immer zugleich explizit professions- und disziplinpolitisch ist.

Page 9: Bielefelder Arbeitsgruppe 8 (Hrsg.) Soziale Arbeit in Gesellschaftdownload.e-bookshelf.de/download/0000/0168/06/L-G... · 2013. 7. 23. · Bernd Dewe ausformulierten Modells eines

Da für Hans-Uwe Otto die gesellschaftstheoretische und -politische Kon-textualisierung Sozialer Arbeit von fundamentaler Bedeutung ist, scheint es unsnur folgerichtig, die Würdigung seiner bisherigen Tätigkeiten als „Soziale Ar-beit in Gesellschaft“ zu gestalten. Dazu haben wir die Form einer „Werkschau“gewählt (vgl. zur Konzeption der „Werkschau“ die Einleitung in diesem Band).Im Mittelpunkt dieses Bandes stehen also die „Werke“ Hans-Uwe Ottos, in de-nen er die gesellschaftstheoretische und -politische Perspektive mit Bezug aufganz unterschiedliche sozialpädagogische Forschungs- und Themenfelder bear-beitet hat. Und diese „Werke“ hat Hans-Uwe Otto fast durchgehend in sehrdichten kollegialen Zusammenhängen und in Zusammenarbeit mit vielen an-deren Fachkolleginnen und -kollegen erstellt. Der Titel dieser „Werkschau“symbolisiert daher die beiden Aspekte der konstitutiv gesellschaftstheoretischenwie -politischen Ausrichtung der Arbeiten von Hans-Uwe Otto und derenKonzipierung, Durchführung und Publikation in dichten kollegialen Zusam-menhängen und KoautorInnenschaften. Soziale Arbeit ist für Hans-Uwe Ottonur „in Gesellschaft“ zu denken, und fast alle seine Arbeiten sind „in Gesell-schaft“ entstanden.

Die vorliegende „Werkschau“ haben wir entlang der Arbeits- und For-schungsschwerpunkte, die Hans-Uwe Otto in den letzten fast vier Jahrzehntenmit und um die „Bielefelder Arbeitsgruppe 8“ entwickelt, etabliert und bearbei-tet hat, in acht Sektionen gegliedert (vgl. auch zur Logik der Gliederung dieEinleitung in diesem Band). Um die Vielzahl von fast 50 Beiträgen für die Le-serinnen und Leser zugänglicher zu machen, wird jede Sektion von einem ein-leitenden Überblicksbeitrag zum Sektionsschwerpunkt eröffnet. Dafür konntenwir glücklicherweise jeweils Kolleginnen und Kollegen gewinnen, die lange Jah-re mit Hans-Uwe Otto intensiv zusammengearbeitet haben. Dadurch entstehtbereits bei der Lektüre der einleitenden Überblicksbeiträge ein dichter Blick aufdas „Werk“ Hans-Uwe Ottos, der „Bielefelder Arbeitsgruppe 8“ und des sichdarum aufspannenden Netzwerks von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaft-lern im Feld der Sozialen Arbeit.

Die einzelnen Beiträge in den Sektionen nehmen jeweils einen Aspekt inner-halb dieser Forschungsschwerpunkte in Auseinandersetzung und in Rückbin-dung an die „Werke“ von Hans-Uwe Otto auf. Damit entsteht ein oftmalsüberraschender, immer wieder erinnernder und manches Mal auch höchst anre-gend-irritierender Blick auf das wissenschaftliche und (professions- wie diszi-plin-)politische Wirken Hans-Uwe Ottos. Zugleich kann die entstandene„Werkschau“ damit sehr viel mehr als nur eine Rückschau oder eine Vergewis-serung anbieten, denn in der Zusammenschau aller Beiträge bilden sich dieGrundlinien zumindest einer Variante zur Systematisierung der Sozialen Arbeitaus.

Bielefeld im November 2007Petra Bollweg, Fabian Kessl, Mathias Schmidt-Flösser

(Koordinationsgruppe für die Bielefelder Arbeitsgruppe 8„Soziale Arbeit in Gesellschaft – eine Werkschau“)

10

Page 10: Bielefelder Arbeitsgruppe 8 (Hrsg.) Soziale Arbeit in Gesellschaftdownload.e-bookshelf.de/download/0000/0168/06/L-G... · 2013. 7. 23. · Bernd Dewe ausformulierten Modells eines

Soziale Arbeit in Gesellschaft.Eine Einleitung zur Werkschau

Bielefelder Arbeitsgruppe 8

1. Einstieg: Gute Praxis erfordert eine gute Theorie

Soziale Arbeit in Gesellschaft. Eine Einleitung zur Werkschau„Es bleibt dabei: Eine gute Praxis verlangt nach einer guten Theorie“. In diesemprägnanten Satz fasst Hans-Uwe Otto in einem Gespräch mit der RedaktionWidersprüche (Kessl/Ziegler/Otto 2006) das Strukturprinzip des von ihm mitBernd Dewe ausformulierten Modells eines „reflexiven Professionellen“ bzw. ei-ner „reflexiven Professionalität Sozialer Arbeit“ zusammen (vgl. Dewe/Otto2001; 2002). Denn eine reflexive sozialpädagogische Fachlichkeit umfasst indiesem Modell zwei unterschiedliche Wissensformen: Handlungswissen, also imsozialpädagogischen Handlungsvollzug der (sozial-)pädagogischen Praxis erwor-benes Wissen, und wissenschaftliches Wissen, also in der akademischen Aus- undWeiterbildung erworbenes Wissen. Doch eine reflexive Professionalität ist nochdurch eine weitere Dimension charakterisiert: Neben der reflexiv-analytischenGrundhaltung im Sinne einer jeweils neu zu realisierenden Fallanalyse und de-ren Kontextualisierung ist der reflexiv agierende Professionelle in der Konzep-tion von Dewe und Otto immer ein gesellschaftspolitischer Akteur. Soziale Ar-beit ist in diesem Sinne immer „Soziale Arbeit in Gesellschaft“.

Diese konstitutive Verkopplung von analytischer und (gesellschafts-)politi-scher Haltung in der Figur des reflexiv Professionellen hat Micha Brumlik aufHans-Uwe Otto selbst bezogen und ihm zu dessen 60. Geburtstag den Titel ei-nes „Professionsintellektuellen“ (Brumlik 2000, S. 71) verliehen. Damit lässtsich gleichsam der Bogen zu den allerersten wissenschaftlichen Arbeiten vonHans-Uwe Otto selbst schlagen. Denn in seiner Dissertation, die er als wissen-schaftlicher Mitarbeiter an der Bielefelder Fakultät für Soziologie erstellte, ginges Hans-Uwe Otto 1973 „darum, den Zusammenhang zwischen der Sozial-struktur und den Subjekten als Frage nach den intervenierenden sozialen Fak-toren im Verhalten bestimmter Gruppen in den Mittelpunkt zu stellen“ (Otto1973, S. 21). Seine damalige empirische Untersuchung bezog sich auf die Rolleder Intellektuellen im sozialen Wandel – am Beispiel des indischen Kalkutta.Bereits in dieser Bestimmung des Intellektuellen schimmert die spätere Bestim-mung des reflexiven Professionellen durch.

Reflexiv professionell zu agieren ist in zweifacher Weise keine „normale Be-rufsausübung“ (Otto 2006, S. 116). Dies gilt – so könnte man nun in Erweite-rung von Dewe/Ottos Bestimmung und in Rückbezug auf weitere frühe Arbei-

Page 11: Bielefelder Arbeitsgruppe 8 (Hrsg.) Soziale Arbeit in Gesellschaftdownload.e-bookshelf.de/download/0000/0168/06/L-G... · 2013. 7. 23. · Bernd Dewe ausformulierten Modells eines

ten von Hans-Uwe Otto (1971, S. 95) sowohl in Bezug auf den reflexiv-profes-sionellen Sozialpädagogen als auch die reflexiv-professionelle WissenschaftlerinSozialer Arbeit formulieren – hinsichtlich der oben bereits skizzierten notwen-digen „analytischen Kapazitäten“, aber eben auch hinsichtlich ihrer „gesell-schaftlichen Orientierung“ (ebd.). Denn Professionen – pädagogischen wie wis-senschaftlichen – soll nichts weniger gelingen als die „Relationierung von Theo-rie und Praxis“ (Dewe/Otto 2001, S. 1400). Der Anspruch der Vermittlungbeider Sphären wendet sich zum einen gegen Bestrebungen, ohne theoretischeErkenntnisse auskommen zu wollen und theoretische Einsichten als praktischirrelevant abzuwerten. Idealtypisch gesprochen ist die Tätigkeit des reflexiv Pro-fessionellen als Arbeit im Bewusstsein einer unüberwindbaren Spannung vonTheorie und Praxis zu kennzeichnen. Zum anderen ist das reflexiv-professio-nelle Tun immer ein gesellschaftspolitisches Tun, die Relationierung von Theo-rie und Praxis also immer auf den „sozialen Geltungsanspruch bzw. die unter-stellte gesellschaftliche Nützlichkeit“ Sozialer Arbeit bezogen. Sozialpädagogi-scher Handlungsvollzug wird im Modell der reflexiven Professionalität folglichals Handeln einer „gesellschaftlich verantwortungsvolle(n) Sozialarbeit/Sozial-pädagogik“ (Dewe/Otto 1984, S. 807), einer „Sozialen Arbeit in Gesellschaft“eben verstanden.

Die Bestimmung von Sozialer Arbeit „in Gesellschaft“ weist aber mit Blickauf die „Bielefelder Arbeitsgruppe 8“ noch auf ein weiteres Charakteristikumhin. Denn der von Hans-Uwe Otto etablierte kollegiale Zusammenhang arbei-tet seit fast vier Jahrzehnten nicht nur als ein Netzwerk ganz unterschiedlicherWissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Dieser Zusammenhang ist auch ineine ganze Reihe weiterer Netzwerke aus dem In- und Ausland eingebunden,die zu einem nicht unbeträchtlichen Anteil von Hans-Uwe Otto selbst (mit)angestoßen wurden. Auch in diesem Sinne ist das wissenschaftlich-systema-tische und damit zugleich gesellschaftspolitische Arbeiten der „Bielefelder Ar-beitsgruppe 8“ immer ein Arbeiten in Gesellschaft. Dieses Phänomen spiegeltsich in der vorliegenden „Werkschau“ wider. Aus Anlass der Pensionierung vonHans-Uwe Otto hat sich die Mehrzahl der Koautorinnen und Koautoren vonHans-Uwe Otto versammelt, um exemplarisch einzelne Aspekte des gemeinsa-men Werkes wieder in den Blick zu nehmen, neu zu sortieren oder auf aktuelleAnknüpfungspunkte hin zu befragen. Die vorliegende „Werkschau“ erscheintzwar unter der Herausgeberschaft der „Bielefelder Arbeitsgruppe 8“, die ver-sammelten Koautorinnen und Koautoren von Hans-Uwe Otto sind aber kei-neswegs auf diesen kollegialen Zusammenhang beschränkt. Die Autorinnenund Autoren dieser „Werkschau“ sind erziehungs- und sozialwissenschaftlicharbeitende Kolleginnen und Kollegen, die in den letzten knapp vier Jahrzehn-ten entscheidende Stützen in das „Werk“ von Hans-Uwe Otto mit eingezogenhaben.

12 Bielefelder Arbeitsgruppe 8

Page 12: Bielefelder Arbeitsgruppe 8 (Hrsg.) Soziale Arbeit in Gesellschaftdownload.e-bookshelf.de/download/0000/0168/06/L-G... · 2013. 7. 23. · Bernd Dewe ausformulierten Modells eines

2. Die „Bielefelder Arbeitsgruppe 8“: Der kollegiale Zusammenhangin und über Bielefeld hinaus

Seit 1980 ist ein Zusammenhang von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaft-lern innerhalb der deutschsprachigen Wissenschaft Sozialer Arbeit entstanden,der als „Bielefelder Arbeitsgruppe 8“ identifiziert werden kann. Diese Wissen-schaftlerinnen und Wissenschaftler eint zuerst einmal nur die strukturelle Tat-sache, dass sie in den letzten vier Jahrzehnten über einen bestimmten Zeitraumals Mitglied der „AG 8: Sozialarbeit/Sozialpädagogik“ an der Bielefelder Fakul-tät für Pädagogik tätig waren.

Im Jahr 1980 entsteht an der gerade erst 11 Jahre alten Universität Bielefeldim Rahmen einer Umstrukturierung aus der bisherigen „Fakultät für Pädago-gik, Philosophie, Psychologie (PPP)“ unter anderem die Bielefelder „Fakultätfür Pädagogik“. Als eine der zehn thematisch differenzierten Arbeitsgruppen andieser neuen erziehungswissenschaftlichen Fakultät wird die „Arbeitsgruppe 8:Sozialarbeit/Sozialpädagogik“ gegründet. Die AG 8 setzt sich seither aus – an-fangs fünf (eine Professur, drei wissenschaftliche Mitarbeiter/innen und eineVerwaltungskraft) und inzwischen vier (eine Professur, zwei wissenschaftlicheMitarbeiter/innen und eine Verwaltungskraft) – Planstellen, einer Vielzahl vonDrittmittelstellen, studentischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und seit1999 den Kollegiatinnen und Kollegiaten des DFG-Graduiertenkollegs „Ju-gendhilfe im Wandel“ (Standort Bielefeld) zusammen. Das aus Hans-Uwe Ot-tos ehemaliger Fakultät für Soziologie übernommene Arbeitsgruppenmodellsollte, so der erste Dekan der neu gegründeten Fakultät für Pädagogik, KlausHurrelmann, den konfliktreichen Integrationsprozess der vormaligen Pädagogi-schen Hochschule Bielefeld beenden und stattdessen freiwillig gewählte kolle-giale Zusammenhänge mit Fokus auf ein erziehungswissenschaftliches For-schungsfeld installieren. Die erste Generation der AG 8 umfasste Siegfried Mül-ler, Hans-Uwe Otto, Hilmar Peter und Heinz Sünker. Bis Anfang 2008 warenmehr als 70 wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Bielefel-der AG 8 beschäftigt.

Diese Personen lassen sich also als der kollegiale Zusammenhang verstehen,der sich mit der Herausgabe dieser Werkschau als „Bielefelder Arbeitsgruppe 8“erstmalig öffentlich markiert.

Mit dieser erstmaligen Markierung der „Bielefelder Arbeitsgruppe 8“ stelltsich nun auch die Frage, ob die damit zusammengefassten Wissenschaftlerinnenund Wissenschaftler mehr eint als ihre zeitweise institutionelle Zugehörigkeitzu einer erziehungswissenschaftlichen Arbeitsgruppe. Lässt sich also über dieverschiedenen „Bielefelder Forschergenerationen“ hinweg auch ein gemeinsa-mer inhaltlicher Fokus ausmachen, wie die Fremdzuschreibung von einer „Bie-lefelder Schule“ (Brumlik 2005, S. 38) nahelegt? Müssten Wissenschaftshistori-ker neben der „Bielefelder Schule der Sozialgeschichte“, „der Entwicklungsso-ziologie“ und „der Systemtheorie“ somit auch eine „Bielefelder Schule der So-zialen Arbeit“ notieren? Und ist es überhaupt legitim, dass die „Betroffenen“

Soziale Arbeit in Gesellschaft. Eine Einleitung zur Werkschau 13

Page 13: Bielefelder Arbeitsgruppe 8 (Hrsg.) Soziale Arbeit in Gesellschaftdownload.e-bookshelf.de/download/0000/0168/06/L-G... · 2013. 7. 23. · Bernd Dewe ausformulierten Modells eines

selbst, die Mitglieder des kollegialen Zusammenhangs, den man als „BielefelderArbeitsgruppe 8“ beschreiben kann, diese Frage stellen?

Um uns einer Beantwortung dieser Fragen wenigstens anzunähern, stellenwir uns die allgemeinere Frage, was überhaupt eine „wissenschaftliche Schule“,wie sie hier mit der Beschreibung einer „Bielefelder Schule der Sozialen Arbeit“unterstellt werden könnte, kennzeichnet. Welche Kriterien müss(t)en erfülltsein, um von einer Evidenz hinsichtlich solch einer Schule sprechen zu können?

Nach Thomas Kuhn lässt sich eine wissenschaftliche Schulenbildung entlangder Etablierung eines „Paradigmas“ bestimmen. Im Gegensatz zu seiner frühenDefinition des Paradigmas als konkrete Problemlösung wird seine erst in spätenArbeiten eingeführte Konzeption des Paradigmas als wissenschaftlicher Konsenssehr einflussreich. Damit schlägt Kuhn ein Modell der Diskontinuität oder desBruchs wissenschaftlicher Erkenntnisproduktion vor – Brüche, an denen auchdas Entstehen wissenschaftlicher Schulen festzumachen ist. Das Paradigmazeichne sich dadurch aus, so Kuhn, dass für die „nachfolgende Generationenvon Fachleuten die anerkannten Probleme und Methoden eines Forschungsge-bietes“ bestimmt sind (Kuhn 1973, S. 28). Die Mitglieder einer wissenschaftli-chen Schule lassen sich also dadurch identifizieren, dass sie die „Grundlagen ih-res Gebietes anhand derselben konkreten Modelle“ bearbeiten (ebd., S. 29).

Lässt sich also im Anschluss an eine solche Bestimmung in den wissenschaft-lichen Diskussionen um Soziale Arbeit mit Blick auf den kollegialen Zusam-menhang, den wir als „Bielefelder Arbeitsgruppe 8“ identifiziert haben, ein wis-senschaftlicher Konsens ausmachen, ein gemeinsamer Bezug auf bestimmte sys-tematische Grundlagen und die Verwendung ähnlicher Methoden?

Stellt man sich diese Frage, so wird bereits bei einer ersten Recherche in denQualifikationsarbeiten dieser Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sehrschnell deutlich, dass davon keine Rede sein kann. Im Kuhnschen Sinne lässtsich entgegen externen Zuschreibungen nicht von einer „Bielefelder Schule derSozialen Arbeit“ sprechen. Trotz aller thematischen Kontinuitäten, auf die vorallem die einleitenden Überblicksbeiträge in dieser Werkschau am Beispiel deracht zentralen Forschungsthemen von Hans-Uwe Otto und der „Bielefelder Ar-beitsgruppe 8“ beispielhaft hinweisen, bleibt die Rede von einem Paradigma,entlang dessen die „Bielefelder Arbeitsgruppe 8“ als eine wissenschaftlicheSchule bestimmbar wäre, mehr als fragwürdig. Denn allein die unterschiedli-chen theoretischen Bezüge – strukturalistische, handlungstheoretische, system-theoretische, kritisch-theoretische, modernisierungstheoretische, machttheoreti-sche, interaktions- und praxistheoretische oder moraltheoretische – symbolisie-ren bereits die Heterogenität der Arbeiten, die die Wissenschaftlerinnen undWissenschaftler der „Bielefelder Arbeitsgruppe 8“ bearbeitet haben oder aktuellbearbeiten. Ähnliches zeigt sich in den methodologischen und methodischenBezügen. Wenn man sich außerdem die Forschungsfelder und die fachpoliti-schen Positionierungen vor Augen führt, die von diesen Personen vertretenwerden, dann erscheint jede Überlegung zur Rekonstruktion einer „BielefelderSchule“ als hinfällig. Dennoch verweist Micha Brumlik mit seiner Typisierung

14 Bielefelder Arbeitsgruppe 8

Page 14: Bielefelder Arbeitsgruppe 8 (Hrsg.) Soziale Arbeit in Gesellschaftdownload.e-bookshelf.de/download/0000/0168/06/L-G... · 2013. 7. 23. · Bernd Dewe ausformulierten Modells eines

auf ein entscheidendes Charakteristikum, das auch einen Erklärungshinweis lie-fert, warum die „Bielefelder Arbeitsgruppe 8“ als Kollektivherausgeberin dieserWerkschau auftritt – eine Positionierung – auch das ist typisch für die „Bielefel-der Arbeitsgruppe 8“, die nicht einmal mit allen damit eingemeindeten Kolle-ginnen und Kollegen vorab abgestimmt werden konnte.

Denn trotz aller inhaltlichen Heterogenität besteht ein kollegialer Zusam-menhang, der viele dieser Personen stärker verbindet als dies angesichts der ein-zigen Gemeinsamkeit einer temporären Zugehörigkeit zu einer erziehungswis-senschaftlichen Arbeitsgruppe und mit Blick auf die teilweise immensen theo-rie-systematischen, methodologischen und methodischen Differenzen anzuneh-men wäre. Diesem Phänomen scheint der Begriff „Bielefeld Gang“ eher zu ent-sprechen, wie John Harris (2003, S. XIII) den kollegialen Zusammenhang der„Bielefelder Arbeitsgruppe 8“ einmal – sicherlich auch mit einem zwinkerndenAuge – bezeichnet hat. Ob Harris dabei an die berühmte Studie von FredericTrasher The Gang (1927) dachte, ist nicht überliefert. Trasher war am Anfangdes 20. Jahrhunderts jedenfalls sieben Jahre lang dem Phänomen dieser „inti-mate face-to-face relations“ (ebd., S. 40) in Chicago nachgegangen. Gangs be-trachtet Trasher vor dem Hintergrund seiner Untersuchung als soziale Zusam-menschlüsse, die nicht durch formalistische und institutionell-administrativeVorgaben konstruiert und konstituiert werden, sondern durch eine gemeinsame„natural history“ (ebd., S. 36) bzw. im Prozess einer „natural evolution“ (ebd.,S. 47). Im Unterschied zu formal verfassten Organisationen realisiert sich dieBindung der Gangmitglieder zumindest in frühen Phasen auch nicht über eineformalisierte Mitgliedschaft, so Trasher weiter, sondern über das Erinnern einergemeinsamen Geschichte. Am Anfang jeder Gang steht „the natural outgrowthof a crowd of boys meeting on a street corner“ (ebd., S. 40). Lässt sich die „Bie-lefelder Arbeitsgruppe 8“ entlang dieser Charakteristika also als eine Gang kate-gorisieren? Ein Schelm, wer bei der Lektüre der Beschreibungen Trashers überdie am Straßeneck herumhängenden Jungs an den Bielefelder Flur der AG 8denkt, auf dem bei so manchem Flurgespräch Mitglieder der Arbeitsgruppe 8Projektideen entwickeln, hochschulpolitische Entscheidungen diskutieren oderinternationale Tagungen konzipieren?

Frederic Trasher unterscheidet in seiner Arbeit vier Typen von Gangs (vgl.ebd., S. 48ff.): einen diffusen, einen verfestigten, einen konventionalisierten undeinen kriminellen Typus. Während beim diffusen Typus die Gang nur auf ei-nem rudimentären Level bleibt, das heißt weder die Loyalitätsstrukturen nochdie Führungshierarchie zwischen den Mitgliedern stabilisiert sind, kennzeichnetgenau das den verfestigten Typus. Denn nun wird von den Gangmitgliederneine deutliche Abgrenzung gegenüber den Feinden, vor allem anderen Gangsvorgenommen. In der Weiterentwicklung dieses Entwicklungsstadiums derVerfestigung entwickeln sich nach Trasher dann häufig noch zwei weitere Ty-pen: ein konventionalisierter Typ, der vor allem durch einen Grad der Institu-tionalisierung gekennzeichnet sei, wie sie Trasher am Beispiel eines Sportvereinsbeschreibt und ein krimineller Typus, der durch das Fehlen einer solchen ge-

Soziale Arbeit in Gesellschaft. Eine Einleitung zur Werkschau 15

Page 15: Bielefelder Arbeitsgruppe 8 (Hrsg.) Soziale Arbeit in Gesellschaftdownload.e-bookshelf.de/download/0000/0168/06/L-G... · 2013. 7. 23. · Bernd Dewe ausformulierten Modells eines

lungenen Integration in die Gemeindestrukturen entsteht. Eine, wenn auchvielleicht spezifische Verfestigung der „Bielefeld Gang“ ist wohl nach knappvier Jahrzehnten stabil und die Konventionalisierung vollzogen. Und dass die„Bielefeld Gang“ für viele ihrer Mitglieder eine wichtige „interstitial period“war, und sie ihre „new needs for expression“ nun „in other ways“ erfüllen,scheint ebenso unstrittig (ebd., S. 66). Wie die „Bielefeld Gang“ sich weiterent-wickeln wird, bleibt abzuwarten, denn „the character of the gang is to some ex-tent determined by the habits, attitudes, and interests which its members havepreviously acquired“ (ebd., S. 252).

3. Soziale Arbeit in Gesellschaft – eine Werkschau

Eine „Werkschau“ oder im Synonym: „eine Retrospektive“ bezieht sich tradi-tioneller Weise auf das Œuvre einer Künstlerin oder eines Autors. Mit ihr solleine Gesamtschau realisiert werden, die bei den Rezipienten Assoziationen inKategorien, wie „Konstellation des Ganzen“ oder „Überblick über das Schaf-fen“ auslösen. Das Werk eines Kreativen oder auch einer Gruppe von Kreativensoll daher in einer Werkschau umfassend zugänglich werden. Wenn eine solcheSchau aus pragmatischen Gründen scheitert oder zu scheitern droht – beispiels-weise aufgrund einer zu großen Zahl vorhandener Werke, also als Gesamtschaunicht möglich ist, wird die Werkschau häufig so konzipiert, dass das Dargestell-te wenigstens alle Schaffensperioden exemplarisch umfassen und dadurch dieBandbreite des Schaffens dieses Autors oder dieser Künstlergruppe repräsentie-ren soll. Die fehlende Gesamtübersicht kann dann ein schriftliches Werkver-zeichnis leisten.

Einer Werkschau unterliegt also der Anspruch einer Komplettierung und ei-ner Klassifizierung. Das ausgestellte Werk soll sich dem Betrachter zum einenals Ganzes zeigen, wozu unter Umständen auch bisher unsichtbare, unbekannteoder unzugängliche Teile sichtbar, bekannt und zugänglich gemacht werden.Und zum anderen werden die Werkbestandteile erst durch ihre Zusammen-schau zu einer Klasse zusammengeführt. Werke erscheinen am Ende einerWerkschau leichter fassbar, beschreibbar und fixierbar. Dieser totalisierende,komplettierende und klassifizierende Blick einer Werkschau ist somit immerauch in der Gefahr, abschließen zu wollen – im Falle eines Autors also dieBuchdeckel zu schließen. Das Werk, so könnte man in diesem Falle sagen, er-scheint dann gebunden zwischen zwei Buchklappen oder im die „GesammeltenWerke“ umfassenden Schuber. Damit präsentiert es sich als komplettiert undals klassifizierbar.

Das „Werk“ von Hans-Uwe Otto komplettieren, klassifizieren und abschlie-ßen zu wollen, erscheint dagegen nicht nur aus dem ganz basalen Grundschwierig, weil dieses – wie bereits das ausfransende Ende der Bibliografie (indiesem Band) verdeutlicht – noch mitten in der Produktion ist. Aber nicht nurdie Anzahl und der Umfang der jüngst begonnenen und anvisierten Vorhaben,

16 Bielefelder Arbeitsgruppe 8

Page 16: Bielefelder Arbeitsgruppe 8 (Hrsg.) Soziale Arbeit in Gesellschaftdownload.e-bookshelf.de/download/0000/0168/06/L-G... · 2013. 7. 23. · Bernd Dewe ausformulierten Modells eines

sondern auch deren inhaltlich-thematische Ausrichtung spricht gegen die Kom-plettierung und Klassifizierung dieses „Werkes“. Dennoch haben wir sowohldie Einleitung dieses Bandes mit „Eine Werkschau“ überschrieben, als auch diebeteiligten Autorinnen und Autoren eingeladen, ihren Beitrag als einen Beitragzu einer „Werkschau“ zu konzipieren. Ist die entstandene „Werkschau“ damitalso „nur“ ein Zwischenfazit an einem weiteren Höhepunkt des SchaffensHans-Uwe Ottos und „seiner“ Bielefelder Arbeitsgruppe 8? Denn was noch al-les kommt, ist selbstverständlich nicht zu prognostizieren und wir wünschen„unserem Hans-Uwe“ auch von ganzem Herzen, dass er die Energie, aber auchdie Muße hat für all das, was er sich noch (so alles) vornimmt. Die Kon-zipierung dieses Bandes als „Werkschau“ war dennoch bewusst angelegt: DennWerkschauen können auch anders und nicht nur abschließen, klassifizieren undkomplettieren. Werkschauen können auch Raum schaffen, um Werke in eineneue Konstellation zu bringen, neu zueinander zu ordnen oder sie auch mitein-ander zu konfrontieren.

Ein solches dynamisches und öffnendes Verständnis einer Werkschau ist mitBlick auf das „Werk“ von Hans-Uwe Otto angebracht. Denn die „Werke“, dieHans-Uwe initiiert, mit verfasst und verantwortet hat, sind zum allergrößtenTeil Werke, die in Koproduktion und KoautorInnenschaft entstanden sind.Nicht weniger als 73 Koautorinnen und Koautoren finden sich in der diesenBand schließenden Bibliografie. Das „Werk“ von Hans-Uwe Otto ist insoferndas Werk eines ganzen Netzwerks von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaft-lern. Daher erschien es der „Bielefelder Arbeitsgruppe 8“ als Herausgeberinnahe liegend, die Pensionierung von Hans-Uwe Otto zum Anlass zu nehmen,möglichst viele dieser (Ko)Autorinnen und (Ko)Autoren zu Wort kommen zulassen. Die Ausgestaltung der vorliegenden „Werkschau“ haben also all die Mit-konstrukteure/-innen des „Werks“ von Hans-Uwe Otto selbst übernommen.

4. Das analytische Dreieck mit (mindestens) fünf Ecken –zur Gliederung der „Werkschau“

Hans Thiersch und Thomas Rauschenbach (1984) formulieren in ihrem Bei-trag zur Theorie und Entwicklung der Sozialen Arbeit in der ersten Auflage desHandbuchs Sozialarbeit/Sozialpädagogik (vgl. Eyferth/Otto/Thiersch 1984)drei analytische Ebenen, auf der eine theorie-systematische Betrachtung Sozia-ler Arbeit angesiedelt werden sollte. Eine solche müsse die Lebenslagen derAdressaten rekonstruieren, die Strukturlogik professionellen Handelns und derprofessionellen Wissensstruktur verdeutlichen und schließlich die gesellschaftlicheFunktion der Sozialen Arbeit bzw. das ihr zugewiesene gesellschaftlich bedeutsameProblem bestimmen. Dieser Vorschlag eines dreidimensionalen analytischenZugangs für eine Wissenschaft Sozialer Arbeit ist in den deutschsprachigen Dis-kussionen in den letzten zweieinhalb Jahrzehnten sehr einflussreich geworden(vgl. Füssenhäuser/Thiersch 2001). Zugleich ist die ursprüngliche Dreidimen-

Soziale Arbeit in Gesellschaft. Eine Einleitung zur Werkschau 17

Page 17: Bielefelder Arbeitsgruppe 8 (Hrsg.) Soziale Arbeit in Gesellschaftdownload.e-bookshelf.de/download/0000/0168/06/L-G... · 2013. 7. 23. · Bernd Dewe ausformulierten Modells eines

sionalität um mindestens zwei Ebenen erweitert worden: Die Ebene der organi-satorischen Realisierung sozialpädagogischer Angebote und der disziplinären Be-trachtung (vgl. Flösser/Otto/Rauschenbach/Thole1998). Dennoch werden wei-terhin häufig die Ebenen der AdressatInnen bzw. deren Lebenslagen, die orga-nisatorische Formung und die Ebene der professionellen Intervention als diezentralen vorausgesetzt und gesellschaftstheoretische wie disziplin- und profes-sionspolitische Aspekte bleiben entweder unterbelichtet oder werden – auf einerdritten Dimension oder als Querdimension(en) – zu den ersten drei Ebenen re-lationiert. Eine solche Heuristik zeigt sich beispielsweise in der thematischenEinteilung der Forschungsfelder im DFG-Graduiertenkolleg „Jugendhilfe imWandel“: Zwar wurde auch hier die disziplinäre Jugendhilfeforschung nebender organisationsbezogenen, der professions- und personalbezogenen und deradressatInnenorientierten Jugendhilfeforschung eigenständig positioniert. Inder Ausprägung der konkreten Forschungsvorhaben bleibt diese Dimensionaber doch wieder nur immanent oder randständig. Zugleich ist das DFG-Gra-duiertenkolleg ein Beispiel dafür, dass das um mindestens zwei Ecken erweiterteanalytische Dreieck in der Wissenschaft Sozialer Arbeit immer wieder als Syste-matisierung genutzt wird und dabei vor allem im Bereich der deutschsprachi-gen Kinder- und Jugendhilfeforschung etabliert wurde – und hier nicht zuletztin den Arbeiten in und um die „Bielefelder Arbeitsgruppe 8“.

Dementsprechend wurde auch die Gliederung der vorliegenden „Werkschau“entlang dieses erweiterten analytischen Dreiecks aufgebaut. Das Dreieck selbstbildet sich in den mittleren drei Sektionen von Profession und Professionstheorie(Sektion IV), Adressatinnen und Adressaten (Sektion V) und sozialen Diensten(Organisation und Institution) ab (Sektion VI) ab. Die zusätzlichen beidenEcken des analytischen Dreiecks werden in einer „Bielefelder Lesart“ unter-schieden: die gesellschaftstheoretische Ebene als umfassende Analysedimensionund die disziplintheoretische als zusätzliche, ergänzende Dimension. Da in denjüngeren Arbeiten von Hans-Uwe Otto und der „Bielefelder Arbeitsgruppe 8“die gesellschaftstheoretische Perspektive (wieder) verstärkt bildungstheoretischausformuliert wurde (vgl. Otto/Coelen 2004, Otto/Rauschenbach 2004, Otto/Oelkers 2006, Andresen/Bock/Bollweg/Otto 2005), rahmen diese beiden Di-mensionen der gesellschaftlichen Perspektiven (Sektion I) und der Bildung (Sekti-on VIII) die anderen sechs Sektionen der „Werkschau“ ein. Zwischen dem ana-lytischen Dreieck und dieser Rahmung spannen sich schließlich die anderen Er-weiterungen des analytischen Dreiecks auf, die entsprechend der Arbeitsschwer-punkte von Hans-Uwe Otto und der „Bielefelder Arbeitsgruppe 8“ nochmals inDisziplin und Disziplinpolitik (Sektion II), Wissenschaftstheorie und Empirie(Sektion III) und Sozialpolitik (Sektion VII) differenziert werden.

Mit dieser Gliederungslogik ergeben sich zugleich korrespondierende Sek-tionspaare, die charakteristische Deutungsmuster und Standpunkte „desWerks“ von Hans-Uwe Otto symbolisieren. Die Nachbarschaft der beiden Ein-gangssektionen, den gesellschaftlichen Perspektiven und der Disziplin und Diszi-plinpolitik, lässt sich als Hinweis auf ein disziplinäres Verständnis lesen, das Er-

18 Bielefelder Arbeitsgruppe 8

Page 18: Bielefelder Arbeitsgruppe 8 (Hrsg.) Soziale Arbeit in Gesellschaftdownload.e-bookshelf.de/download/0000/0168/06/L-G... · 2013. 7. 23. · Bernd Dewe ausformulierten Modells eines

ziehungswissenschaft wie die Wissenschaft Sozialer Arbeit immer nur als gesell-schaftsbezogene Instanzen denken kann und daher die Forderung formuliert,die gesellschaftspolitische Dimension im disziplinären Handeln immer mit zuberücksichtigen. Die konstitutive Kopplung von Handlungswissen und wissen-schaftlichem Wissen als eines Kerngedankens des Modells einer reflexiven Pro-fessionalität wird durch die dann folgenden beiden Sektionen zur Wissenschafts-theorie und Empirie und Profession symbolisiert. Die benachbarten Sektionenvon Profession und Adressatinnen und Adressaten stehen als Verweis auf die zen-trale Akteurskonstellation im sozialpädagogischen Handlungsvollzug. Sie lassensich sozusagen als Nukleus sozialpädagogischer Erbringungssituationen lesen imSinne der Notwendigkeit einer – systematischen und situativen – Inblicknahmeder Interaktionssituation und des konzeptionellen Ankerpunkts sozialpädagogi-scher Angebote in der Adressaten/innen-Figur. Die dann folgende Nachbar-schaft der Sektionen Adressatinnen und Adressaten und soziale Dienste (Organisa-tion und Institution) markiert die Spannungslinie, in der sich Professionelle wieOrganisationen in bzw. in Bezug auf die konkreten Erbringungssituationen im-mer wieder finden und zwischen denen auch professions- und organisations-theoretische Debatten trotz der Forderung nach einer Verankerung der Wissen-schaft Sozialer Arbeit in den Praktiken und/oder Interaktionen hin- und her-schwankt. Abschließend stehen dann die beiden Sektionen von Sozialpolitikund Bildung im Sinne des jüngsten Plädoyers von Hans-Uwe Otto für die poli-tische Implementierung einer „gesellschaftlichen Bildung“ – von Bildungsange-boten also, die immer auch als sozialpolitische Angebote zu konzipieren sindund umgekehrt darauf aufmerksam machen, dass die Bildungsdimension alsvielleicht relevanteste sozialpolitische Teilhabedimension in der Sozialen Arbeitzu implementieren und zu realisieren ist.

5. Danksagung

Diese Werkschau ist nur dadurch zustande gekommen, dass alle beteiligten Au-torinnen und Autoren zugestimmt haben, in einer fast unverschämt knappenProduktionszeit ihre Beiträge zu verfassen. Die wenigen Kolleginnen und Kolle-gen, die unserer Einladung zur Mitarbeit aus sehr verständlichen – persönlichenoder beruflichen – Gründen und dazu hin zumeist schweren Herzens ablehnenmussten, seien an dieser Stelle ausdrücklich erwähnt.

Ohne die Unterstützung von Melanie Babenhauserheide, Lena Blomenkamp,Stephan Dahmen und Daniel Krenz-Dewe wäre die Organisation dieser„Werkschau“ nicht möglich gewesen. Ob es nun um die Erstellung des Inhalts-verzeichnisses, des Autoren/innen-Verzeichnisses oder der Bibliografie ging:Euer Engagement war beeindruckend, wofür wir Euch herzlich danken möch-ten.

Ein ganz besonders herzlicher Dank gilt aber „unserer“ Veronica Horbach fürall die organisatorischen, koordinierenden und redaktionellen Arbeiten, die sie

Soziale Arbeit in Gesellschaft. Eine Einleitung zur Werkschau 19

Page 19: Bielefelder Arbeitsgruppe 8 (Hrsg.) Soziale Arbeit in Gesellschaftdownload.e-bookshelf.de/download/0000/0168/06/L-G... · 2013. 7. 23. · Bernd Dewe ausformulierten Modells eines

während der ganzen Produktionsphase der „Werkschau“ wie selbstverständlich„neben“ dem Alltagsgeschäft übernommen hat – und das immer unter Geheim-haltung dem omnipräsenten „Chef“ gegenüber. Veronica Horbach ist nicht nurein Teil, sondern – wie sich wieder einmal bewahrheitet hat – das kräftigendeHerz und die starke Seele der AG 8.

Stefanie Laux vom VS Verlag, die wir aus vielen Buchproduktionen alshöchst kooperative und sehr angenehme Lektorin kennen, hat trotz der zusätz-lichen Anforderungen, die diese besondere Buchproduktion mit sich gebrachthat, keine Sekunde gezögert, die „Werkschau“ für einen „ihrer VS-Autoren“ zuverlegen – dafür gilt Ihr unser besonderer Dank.

Nicht zuletzt wäre diese „Werkschau“ aber nie entstanden, wenn nicht Hans-Uwe Otto die „Bielefelder Arbeitsgruppe 8“ in den letzten vier Jahrzehnten zudem gemacht hätte, was sie ist: „Ein Mensch hinterlässt seine Spuren dort, woer sich am wohlsten fühlt“ (Haruki Murakami, Tanz mit dem Schafsmann,2003).

Hans-Uwe, Dir ist sie gewidmet, diese „Werkschau“!

Bielefeld im November 2007,die „Bielefelder Arbeitsgruppe 8“

Literatur

Andresen, Sabine/Bock, Karin/Bollweg, Petra/Otto, Hans-Uwe (2005): Netzwerk Bildung. Trans-ferleistungen in der Kinder- und Jugendhilfe im Kontext von formellen und informellen Bil-dungsprozessen. Expertise zum 8. Kinder- und Jugendbericht der Landesregierung NRW. Er-stellt im Auftrag des Ministeriums für Schule, Jugend und Kinder Nordrhein-Westfalen.

Brumlik, Micha (2000): Soziale Arbeit als politische Verantwortung – Hans-Uwe Otto wird sech-zig. In: neue praxis, 30. Jg., Heft 1, S. 70-73.

Brumlik, Micha (2005): Gouvernementalität und Soziale Arbeit. In: Sozialwissenschaftliche Lite-raturrundschau, 28. Jg, Heft 2, S. 34-40.

Dewe, Bernd/Otto, Hans-Uwe (1984): Professionalisierung. In: Eyferth, Hann (1984)s/Otto,Hans-Uwe/Thiersch, Hans-Uwe (Hg.): Handbuch zur Sozialarbeit/Sozialpädagogik. Neuwied/Darmstadt, S. 775-811.

Dewe, Bernd/Otto, Hans-Uwe (2001): Profession. In: Otto, Hans-Uwe/Thiersch, Hans (Hg.) un-ter Mitarbeit von Böllert, Karin/Flösser, Gaby/Füssenhäuser, Cornelia/Grunwald, Klaus: Hand-buch Sozialarbeit/Sozialpädagogik. Neuwied/Kriftel, S.1399-1423.

Dewe, Bernd/Otto, Hans-Uwe (2002): Reflexive Sozialpädagogik. Grundstrukturen eines neuenTyps dienstleistungsorientierten Professionshandelns. In: Thole, Werner (Hg.): Grundriss So-ziale Arbeit. Opladen, S.179-198.

Eyferth, Hanns/Otto, Hans-Uwe/Thiersch, Hans (Hg.) (1984): Handbuch zur Sozialarbeit/Sozial-pädagogik. Neuwied/Darmstadt.

Flösser, Gaby/Otto, Hans-Uwe/Rauschenbach, Thomas/Thole, Werner (1998): Jugendhilfefor-schung. Beobachtungen zu einer wenig beachteten Forschungslandschaft. In: Rauschenbach,Thomas/Thole, Werner (Hg.): Sozialpädagogische Forschung. Gegenstand und Funktionen,Bereiche und Methoden. Weinheim, S. 225–261.

Füssenhäuser, Cornelia/Thiersch, Hans (2001): Theorien der Sozialen Arbeit. In: Otto, Hans-Uwe/Thiersch, Hans (Hg.): Handbuch Sozialarbeit/Sozialpädagogik, Neuwied/Kriftel,S. 1876-1900.

Harris, John (2003): The Social Work Business. London/New York.

20 Bielefelder Arbeitsgruppe 8

Page 20: Bielefelder Arbeitsgruppe 8 (Hrsg.) Soziale Arbeit in Gesellschaftdownload.e-bookshelf.de/download/0000/0168/06/L-G... · 2013. 7. 23. · Bernd Dewe ausformulierten Modells eines

Kessl, Fabian/Ziegler, Holger/Otto, Hans-Uwe (2006): Auf Basis systematischer Vergewisserungenaus dem Mainstream heraus. Ein Gespräch mit Hans-Uwe Otto. In: Widersprüche, 26. Jg.,Heft 100, S.111-118.

Kuhn, Thomas S. (1973): Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen. Frankfurt a.M.Otto, Hans-Uwe (1971): Zum Verhältnis von systematisiertem Wissen und praktischem Handeln

in der Sozialarabeit. In: Otto, Hans-Uwe/Utermann Kurt (Hg.): Sozialarbeit als Beruf. Auf demWeg zur Professionalisierung. München, S. 87-98.

Otto, Hans-Uwe (1973): Intellektuelle im Prozess des sozialen Wandels. Zur gesellschaftlichenVermittlung von Erkenntnis und Handlungsorientierung. Eine empirische Untersuchung inCalcutta. Universität Bielefeld (Dissertationsschrift).

Otto, Hans-Uwe/Coelen, Thomas (Hg.) (2004): Grundbegriffe der Ganztagsbildung. Wiesbaden.Otto, Hans-Uwe/Rauschenbach, Thomas (Hg.) (2004): Die andere Seite der Bildung. Wiesbaden.Otto, Hans-Uwe/Oelkers, Jürgen (Hg.) (2006): Zeitgemäße Bildung. Herausforderung für Erzie-

hungswissenschaft und Bildungspolitik. München.Thiersch, Hans/Rauschenbach, Thomas (1984): Sozialpädagogik/Sozialarbeit: Theorie und Ent-

wicklung. In: Eyferth, Hanns/Otto, Hans-Uwe/Thiersch, Hans (Hg.): Handbuch zur Sozialar-beit/Sozialpädagogik. Neuwied/Darmstadt, S. 984-1016.

Trasher, Frederic M. (1927): The Gang: a Study of 1313 Gangs in Chicago. Chicago/London.

Soziale Arbeit in Gesellschaft. Eine Einleitung zur Werkschau 21

Page 21: Bielefelder Arbeitsgruppe 8 (Hrsg.) Soziale Arbeit in Gesellschaftdownload.e-bookshelf.de/download/0000/0168/06/L-G... · 2013. 7. 23. · Bernd Dewe ausformulierten Modells eines

1.

Gesellschaftliche Perspektiven

Page 22: Bielefelder Arbeitsgruppe 8 (Hrsg.) Soziale Arbeit in Gesellschaftdownload.e-bookshelf.de/download/0000/0168/06/L-G... · 2013. 7. 23. · Bernd Dewe ausformulierten Modells eines

Gesellschaftliche Perspektiven – ein Überblick

Siegfried Müller/Hilmar Peter

I

Gesellschaftliche Perspektiven – ein ÜberblickHans-Uwe Otto schreibt und ediert selten allein. So ist sein beeindruckendeswissenschaftliches Werk gekennzeichnet durch eine Vielfalt von Themen undeine Vielzahl von Co-AutorInnen und MitherausgeberInnen, mit nicht seltenrecht unterschiedlichen erkenntnistheoretischen Prämissen und professionspoli-tischen Akzentuierungen. Was sie dennoch eint und mit Hans-Uwe Otto ver-bindet, ist – neben der Bielefelder Weggefährtenschaft – ihr dezidiertes Interes-se an einer gesellschaftstheoretischen Analyse der Sozialen Arbeit und einer so-zialwissenschaftlich fundierten Theorie der Sozialen Arbeit im Kontext gesell-schaftlicher Modernisierungsprozesse. Dieses „zentrale Grundmotiv“ von Hans-Uwe Otto kennzeichnet die Co-Produktionen des „Bielefelder Arbeitszusam-menhanges“ (Füssenhäuser 2003, S. 247) durchgängig und lässt seine Hand-schrift erkennen.1

Die Gesellschaftlichkeit bzw. Politikimmanenz der Sozialen Arbeit zieht sichwie ein roter Faden vor allem (aber nicht nur) durch die frühen Arbeiten vonHans-Uwe Otto. Sie ist – programmatisch formuliert und wegweisend für einesozialwissenschaftliche Umorientierung der Sozialen Arbeit als Disziplin undProfession – zuerst in den beiden (gemeinsam mit Schneider herausgegebenen)Halbbänden „Gesellschaftliche Perspektiven der Sozialarbeit“ (Otto/Schneider1973a, b) skizziert. Sie wird fortgeführt und facettenreich ausdifferenziert auchin den nachfolgenden Veröffentlichungen zur kommunalen Sozialarbeitspolitik(Olk/Müller/Otto 1981, Olk/Otto 1981), zum Wandel familialer Lebenswei-sen und sozialpädagogischer Interventionen (Otto/Karsten 1987), zur Zukunftder Sozialen Arbeit als gesellschaftliche Normalisierungsarbeit (Böllert/ Otto1989), zur Sozialberichterstattung (Otto/Karsten 1990) und zur rechtsradikalenGewalt Jugendlicher im vereinten Deutschland (Otto/Merten 1993). Die bei-den Halbbände „Gesellschaftliche Perspektiven der Sozialarbeit“ markieren – soSünker (2000, S. 6) zutreffend – mit ihrem Blick auf die Gesellschaftlichkeitbzw. Politikimmanenz der Sozialen Arbeit einen Einschnitt in die Theoriede-batte der Sozialen Arbeit, der zugleich auch eine (partielle) Verabschiedung der

1 Im Folgenden ist unter Vernachlässigung der jeweiligen Co-AutorInnen nur von Otto die Rede.Das erleichtert nicht nur die Lesbarkeit des Textes. Es ist auch – wie Füssenhäuser (2003) tref-fend anmerkt – sachlich gerechtfertigt.

Page 23: Bielefelder Arbeitsgruppe 8 (Hrsg.) Soziale Arbeit in Gesellschaftdownload.e-bookshelf.de/download/0000/0168/06/L-G... · 2013. 7. 23. · Bernd Dewe ausformulierten Modells eines

von Klumker, Achinger und Scherpner begründeten Fürsorgewissenschaft ist(vgl. dazu Flösser/Otto 1992).

Die Verabschiedung der Fürsorgewissenschaft und das damit verbundenePlädoyer für eine gesellschaftskritische und sozialwissenschaftlich fundierte So-ziale Arbeit (als Disziplin und Profession) wird dabei in einer doppelten Weisebegründet. Zum einen weisen Otto/Schneider (1973a) unter Bezugnahme aufeinen Artikel von Matthes über „Soziale Stereotype in der Theorie der Fürsor-ge“ darauf hin, dass der in der „Theorie der Fürsorge“ von Scherpner (1962)zentrale Begriff der Hilfe als „Urkategorie des menschlichen Handelns“ letztlichnicht theoriefähig sei, da er der Handlungsebene verhaftet bleibe. Die Gesell-schaftlichkeit der Sozialen Arbeit werde dabei systematisch ausgeblendet. Ottoplädiert daher für eine Theorie der Sozialen Arbeit, die sich in „ihren analyti-schen Kategorien eindeutiger der gesellschaftlichen Makroebene zuzuwendenhat“ (Otto/Schneider 1973c, S. 14). Er knüpft damit – ohne darauf zu verwei-sen – an Positionen an, die in der Fürsorgewissenschaft (zumindest programma-tisch) von Klumker und Achinger durchaus vertreten worden sind. Der Ab-schied von der Fürsorgewissenschaft bezieht sich also im Wesentlichen auf denanthropologisch-ethisch begründeten Hilfebegriff von Scherpner. Im Kontexteiner Theorie der Institutionalisierung sozialer Hilfen – und nur dort – lassesich, so Otto später, der fürsorgewissenschaftliche Ansatz noch in einer tragfähi-gen Weise weiterentwickeln (Flösser/Otto 1992).

Zum anderen problematisiert Otto die einzelfallorientierte Sozialarbeit unddie sie legitimierende Methodenliteratur. Er bezieht sich dabei auf eine Kritikder Case-Work-Literatur von Peters (1973), die mit ihrer defizitorientierten In-dividuumfixierung zur „Pathologisierung“ der Adressaten der Sozialen Arbeitund damit zur politischen Funktionslosigkeit der Sozialarbeit beitrage.2 Auf

26 Siegfried Müller/Hilmar Peter

2 Die Casework-Literatur (der 1960er Jahre) ist – so Peters zutreffend – gekennzeichnet durcheine „pathologische“ Definition der Adressaten der Sozialarbeit. Pathologische Definitionensind dadurch charakterisiert, dass die als problematisch typisierten Verhaltensweisen der Adres-saten der Sozialarbeit als individuelle Probleme angesehen werden. Die Funktionen pathologi-scher Definitionen sind ambivalent: Auf der einen Seite garantieren sie einen vom moralischenVorwurf der Verantwortlichkeit für das eigene (abweichende) Verhalten entlasteten Umgang derProfessionellen mit ihrer Klientel. Im Gegensatz zu der kriminellen Definition geht es hiernicht um Schuld und Strafe, sondern um Hilfe, Unterstützung und Therapie. Die Amoralitätpathologischer Definitionen korrespondiert jedoch mit ihrer Strukturenthobenheit. Die alsproblematisch typisierten Verhaltensweisen werden als „im Individuum liegend“ unterstellt.Ihre „soziale Bedingtheit“ gerät dabei nicht mehr in den Blick. Mit diesem Professionsverständ-nis sichert sich – so Peters – die Sozialarbeit zwar eine hilfs- und behandlungsbedürftige Klien-tel, allerdings auf Kosten des Verlustes ihrer (ursprünglichen) politischen Funktion. Die (Re-)Politisierung der Sozialen Arbeit ist für Otto daher stets verbunden mit einer gesellschaftlichenVerortung des (Einzel-)Falles und mit der Kritik der Pädagogisierung sozialer Probleme. AmBeispiel der rechtsradikalen Gewalt Jugendlicher im vereinigten Deutschland weist er exempla-risch darauf hin, dass „Gewalt und politisch motiviertes Gewalthandeln ... als gesellschaftlichesPhänomen diskutiert“ werden muss und nicht lediglich als ein „individuelles Fehlverhalten“(Otto/Merten 1993, S. 13). Eine Erfolg versprechende professionelle Intervention in diesemBereich zielt für Otto nicht primär auf die Kompensation vermeintlicher Defizite der Jugendli-chen, sondern auf eine „Ressourcenverbesserung und damit auf eine Optimierung der Chancen-

Page 24: Bielefelder Arbeitsgruppe 8 (Hrsg.) Soziale Arbeit in Gesellschaftdownload.e-bookshelf.de/download/0000/0168/06/L-G... · 2013. 7. 23. · Bernd Dewe ausformulierten Modells eines

diese Weise werden – methodisch legitimiert – Macht- und Abhängigkeitsver-hältnisse völlig vernachlässigt, geraten nicht in den Blick. „Wichtige Dimensio-nen, die als konkrete Ausgangspunkte für ein theoretisches Vorgehen dienenkönnten, ... werden durch die beliebige Verfügbarkeit eines präskriptiven Be-griffssystems“ (wie es sich beispielsweise in der Konzeptualisierung von Hilfewiderspiegelt) „besetzt, das analytische Differenzierungen nicht mehr zulässt. ...Die Sozialarbeit muss sich daher von einer am Einzelfall begründeten Orientie-rung stärker absetzen, um sich überhaupt in einer gesellschaftlichen Perspektiveartikulieren zu können“ (Otto/Schneider 1973c, S. 12). Mit anderen Worten:Konstitutiv für eine Neubestimmung der Sozialen Arbeit ist für Otto eine kriti-sche Reflexion der vorfindlichen „Sozialmodelle und Gesellschaftsbilder“. „Dasbedeutet, erstens die historisch-systematische Analyse der gesellschaftlichenStrukturen und Bedingungen“ der Sozialen Arbeit, zweitens die Beantwortungder „Frage nach den daraus resultierenden Perspektiven … und drittens eineKritik der Institutionen der Sozialen Arbeit als den zentralen Vermittlungsin-stanzen zwischen Individuum und Gesellschaft einzuschließen“ (Füssenhäuser2003, S. 281).

Die Vermittlung von Individuum und Gesellschaft, d.h. die Klärung des(Vermittlungs-)Zusammenhangs von gesellschaftlichen Strukturen und indivi-duellem/institutionellem (kompetentem problemadäquatem) Handeln lässt sichjedoch nicht dadurch lösen, dass man sich bei einer Theorie der Sozialen Arbeitauf analytische Kategorien beschränkt, die primär an der gesellschaftlichen Ma-kroebene orientiert sind. Damit lassen sich die Bedingungen und Problemeprofessionellen Handelns nicht hinreichend analysieren. Hier ist – und dieszeigt sich spätestens bei den Veröffentlichungen zur Handlungskompetenz(Müller et al. 1982, 1984) und zur Professionalisierung (Dewe/Otto 1984) –ein Perspektivenwechsel bis hin zur Mikroebene notwendig und angesagt.

Angesagt ist auch bereits in den „Gesellschaftlichen Perspektiven der Sozialar-beit“ (Otto/Schneider 1973a) eine kritische Bestandsaufnahme der gesellschaft-lichen Bedingungen des administrativen Handelns und der Entwicklung einesKonzeptes der Sozialarbeitspolitik in der Kommune. Die These vom unaufheb-baren Widerspruch einer konditional programmierten Sozialbürokratie undden emanzipatorischen Ansprüchen einer adressatenorientierten Sozialen Arbeitwird zunächst entfaltet in dem Beitrag zu den gesellschaftlichen Bedingungenund Funktionsproblemen der Organisation Sozialer Arbeit im Kontext staatli-chen Handelns (Müller/Otto 1980). Hier weist Otto im Kontext der Neuorga-nisation der sozialen Dienste darauf hin, dass dieser Widerspruch sich allenfallsabmildern lässt. Er ist – wie die widersprüchliche Einheit von Hilfe und Kon-trolle – konstitutiv für die Soziale Arbeit, dies auch dann, wenn er (wie in denArbeiten von Otto zur Sozialen Arbeit als Dienstleistung) nur noch am Randethematisiert wird. Es spiegelt sich ohnehin in den diversen Neuorganisationsbe-mühungen der sozialen Dienste bis in die Gegenwart hinein der jeweilige vor-

Gesellschaftliche Perspektiven – ein Überblick 27

struktur“ (ebd., S. 30) Eine Jugendhilfe, die nicht gesellschaftspolitisch gerahmt ist, ist für Ottounterkomplex und verfehlt damit systematisch ihr Ziel.

Page 25: Bielefelder Arbeitsgruppe 8 (Hrsg.) Soziale Arbeit in Gesellschaftdownload.e-bookshelf.de/download/0000/0168/06/L-G... · 2013. 7. 23. · Bernd Dewe ausformulierten Modells eines

herrschende gesellschaftliche „Mainstream“ wider. So hat die zurzeit viel geprie-sene „Kundenorientierung“ ihre Grenzen in der vorherrschenden Logik derMarktorientierung und des Managerialimus’ in der Sozialen Arbeit. Hier be-steht die Gefahr, dass sich Professionalität den Mechanismen der Ökonomisie-rung des Sozialen unterwirft und es schon ausgesuchter Beispiele bedarf, eine„Jugendhilfe trotz Verwaltungsmodernisierung“ noch sinnvoll zu praktizieren(Otto/Peter 2002). Die meisten Reformversuche stehen seit Beginn der 1990erJahre mit der Propagierung der sog. „Neuen Steuerung“ unter einer manageriel-len Dominanz: Effizienz und Effektivitätsdenken in einem fiskalisch-betriebs-wirtschaftlichem Sinne drohen fachliche Qualitätsstandards zu verdrängen und– was noch bedrohlicher zu sein scheint – die in der Sozialen Arbeit Tätigentauschen eine fachlich begründete, am Problem, an Strukturen und am Subjektorientierte Professionalität gegen eine scheinbar moderne an Verwaltungserfor-dernissen orientierte aus. „Es ist die Frage, ob und wie es der Jugendhilfe alsDienstleistungsprofession gelingt, neben der verwaltungsorientierten auch einereflexive Steuerung für die Weiterentwicklung von Fachlichkeit zu etablieren“(ebd., S. 9).

Gesellschaftlichkeit und Politikimmanenz der Sozialen Arbeit sind für Ottozwei Seiten einer Medaille. Sie sind – nicht ganz unabhängig von den jeweiligenCo-AutorInnen – der rote Faden (fast) aller seiner Veröffentlichungen. Sie sindauch geprägt von einem biografisch wie berufspraktisch motiviertem Interesse,durch eine sozialwissenschaftliche Aufschlüsselung „erlebter Tatbestände“ inder Zeit der verstärkten gesellschaftlichen Auseinandersetzungen der späten1960er Jahre, mehr über gesellschaftliche Strukturen und ihre Wirkweisen inErfahrung zu bringen und dafür (im Studium der Soziologie) Möglichkeitentheoretischer Analysen, sozialpolitischer Entwürfe und neuer sozialkritischerAnsätze kennen zu lernen (Otto 1999, S. 33). Es ist dieser dezidiert sozialwis-senschaftliche Blick, der die Publikationen von Otto zur Sozialen Arbeit prägtund der den „Bielefelder Arbeitszusammenhang“ auszeichnet: als „eine Soziolo-gie des Sozialen“ (Füssenhäuser 2003, S. 237). Die Thematisierung der Politik-immanenz der Sozialen Arbeit wird von Otto daher modernisierungstheore-tisch, also gesellschaftlich begründet und in mehreren Veröffentlichungen zurkommunalen Sozialarbeitspolitik bzw. einer „Sozialarbeitspolitik in der Kom-mune“ (Olk/Müller/Otto 1981, Olk/Otto 1981, 1989a), zur Sozialberichter-stattung (Otto/Karsten 1990) konzeptualisiert und im Kontext der aktuellenDiskussion zum aktivierenden Staat erneut punktuell aufgegriffen (Kessl/Otto2003).

II

Mit dem Konzept der kommunalen Sozialarbeitspolitik grenzt sich Otto zu-nächst einmal von den Konzepten der Therapeutisierung und Pädagogisierungder Sozialen Arbeit ab, da in ihnen von „Politik oder gar von Politisierung“

28 Siegfried Müller/Hilmar Peter

Page 26: Bielefelder Arbeitsgruppe 8 (Hrsg.) Soziale Arbeit in Gesellschaftdownload.e-bookshelf.de/download/0000/0168/06/L-G... · 2013. 7. 23. · Bernd Dewe ausformulierten Modells eines

kaum die Rede ist (Olk/Müller/Otto 1981, S. 6). In diesem Zusammenhang istauch auf das Sonderheft der „Neue(n) Praxis“ „Sozialarbeit und Therapie“(1978) zu verweisen. Hierin wurde u.W. nach diese entpolitisierende Proble-matik zum ersten Mal fachöffentlich diskutiert. Zumal in dieser Zeit eine(schleichende) Therapeutisierung der Sozialen Arbeit durch das Eindringen the-rapeutischer Konzepte in die praktische Soziale Arbeit drohte. Es ging nichtgrundsätzlich gegen Therapie als eine Handlungsmodalität in der Sozialen Ar-beit. Es ging im Kontext eines „Psychobooms“ der 1970er Jahre gegen eine aufindividuelle Problemlagen ohne Gesellschaftsbezug beschränkte Form der The-rapie. Hier zeigt sich ein weiteres Mal die professionelle Schwäche der SozialenArbeit, der es bis heute nur unzureichend gelungen ist, in ihrer Praxis das Span-nungsverhältnis zwischen individueller Problemlage und gesellschaftlicher Rah-mung methodisch handlungsrelevant einzulösen.

Die Erfolgsaussichten der Strategie der Entpolitisierung qua Pädagogisierungund Therapeutisierung sind für Otto zwar gering, die Wirkungen aber wärenfatal. Denn weder der „politische Gehalt sozialarbeiterischen Handelns nochdie gesellschaftliche Zuweisung der Befriedung und Kontrolle“ verschwindendurch den Versuch, sie zu leugnen oder zu pädagogisieren. Im Gegenteil: Siesetzen sich „nun allerdings hinter dem Rücken der wohlmeinenden Akteureumso hartnäckiger und unkontrollierter durch und wirken“ (Olk/Müller/Otto1981, S. 6). Eine solche einseitige Strategie wäre – sollte sie weiter verfolgt wer-den – deshalb so fatal, weil der gesellschaftspolitische Stellenwert der SozialenArbeit angesichts der Krisenerscheinungen der Arbeitswelt und des Wohlfahrts-staates wieder neu zur Disposition steht. Die Soziale Arbeit ist und bleibt Kal-kül (sozial-)politischer Interessen-Auseinandersetzungen und Machtstrategienvor allem auf lokaler (sprich kommunaler) Ebene. Die Soziale Arbeit ist fürOtto eine intermediäre Instanz der kompensatorischen Beeinflussung von Le-benschancen und damit eine in die kommunale Sozialpolitik eingebundeneStrategie der Bearbeitung sozialer Probleme.

Die kommunale Fokussierung einer auf die kompensatorische Beeinflussungvon Lebenschancen abzielenden Sozialarbeitspolitik ist angesichts der regiona-len Disparitäten sinnvoll, aber mit Bezug auf die unterschiedlichen professio-nellen wie nicht-professionellen Lösungskapazitäten und der regionalen Struk-turbesonderheiten nicht unproblematisch (vgl. Olk/Otto 1989b, S. 16f.). Den-noch: Mit der zunehmenden Bedeutung der Daseinsvorsorge vor Ort eröffnensich neue Optionen einer „qualitativen Beeinflussung sozialer Lebenslagen“(ebd., S. 9), für die die kommunale Sozialpolitik als ein „sensibles und daherdezentrales Steuerungsinstrument“ (Olk/Otto 1981, S. 117) unabdingbar ist.

Bei den Strategien einer kommunalen Sozialarbeitspolitik unterscheidet Ottozwischen einer externen und einer internen Politikstrategie (Olk/Müller/Otto1981, S. 19-21). Der Ansatzpunkt für die externe Strategie ergibt sich aus demSachverhalt, dass die Soziale Arbeit einen privilegierten Zugang zu den konkre-ten Ausformungen sozialer Probleme und defizitärer Lebenslagen hat. Ihrkommt daher die Aufgabe zu, „diese Problemlagen zu erfassen, aufzugreifen

Gesellschaftliche Perspektiven – ein Überblick 29

Page 27: Bielefelder Arbeitsgruppe 8 (Hrsg.) Soziale Arbeit in Gesellschaftdownload.e-bookshelf.de/download/0000/0168/06/L-G... · 2013. 7. 23. · Bernd Dewe ausformulierten Modells eines

und an den kommunal-politischen Aushandlungs- und Umsetzungsprozess vonProgrammen und Maßnahmen weiterzuleiten“ (ebd., S. 19). Eine auf die kom-pensatorische Beeinflussung von Lebenschancen abzielende kommunale Sozial-arbeitspolitik kann sich nicht darauf beschränken, schon ausgehandelte Pro-gramme und beschlossene Maßnahmen lediglich zu kommentieren. Sie „musssich vorher äußern und sich intensiv an der Diskussion beteiligen“, sich einmi-schen, denn schließlich definiert sich Politik nicht erst im eigentlichen Vollzugihrer Umsetzung (Dahme et al. 2003, S. 11). Mit der Strategie der „stellvertre-tenden Einmischung“ zielt die kommunale Sozialarbeitspolitik darauf ab, aufindirektem Wege die kommunalpolitische Prioritätensetzungen in Richtung ei-ner Angleichung von Lebenschancen zu beeinflussen (Olk/Müller/ Otto 1981,S. 19) – zum Beispiel durch eine systematische Erfassung von defizitären Le-benslagen und den spezifischen Bedürfnissen potenzieller Zielgruppen.

Die mit der „stellvertretenden Einmischung“ verbundenen Probleme werdenvon Otto nicht verkannt, aber hier nur angedeutet. Es ist nämlich nicht auszu-schließen, dass professionelle und institutionelle Eigeninteressen und Perspekti-vendifferenzen zu den Betroffenen zu ‚Verzerrungen’ der gesammelten Informa-tionen führen, so dass die spezifischen Interessenlagen und Sichtweisen der Pro-blembetroffenen verfehlt werden (ebd., S. 19). Außerdem ist nicht gesichert,dass durch diese quasi selbstmandatisierte Form einer stellvertretenden Interes-senwahrnehmung die Selbsthilfefähigkeiten und das politische Aktivitätspoten-zial der Betroffenen gestärkt wird. Dennoch ist diese Strategie der „Stellvertre-tenden Einmischung“, die sich nicht allein auf den Sozialsektor beschränkendarf, mit ihrer Strukturorientierung mehr als nur ein seismografisches Instru-ment in der Orchestrierung einer reaktiven kommunalen Risikoabsorption.

Die internen Strategien einer kommunalen Sozialarbeitspolitik verweisen da-gegen auf die Regulierung von Lebensbedingungen durch Bereitstellung sozia-ler Infrastruktureinrichtungen vor Ort (ebd., S. 20). Dazu gehört zunächst ein-mal eine problem- und bedürfnisadäquate Ausgestaltung der Institutionen derSozialen Arbeit innerhalb des Jugend- und Sozialbereichs. Ihre NutzerInnen-freundlichkeit ist eine zentrale Vorbedingung für die Angleichung von Lebens-chancen durch die Inanspruchnahme sozialstaatlicher Dienstleistungen. Derwichtigste Bestandteil einer strukturbezogenen kommunalen Sozialarbeitspoli-tik besteht für Otto jedoch in der „direkten Optimierung der Kontrollchancenunterprivilegierter Bevölkerungsgruppen über politische Maßnahmen zur Regu-lierung ihrer Lebensbedingungen“ (ebd., S. 20). Die Maxime der Demokratisie-rung „rahmt“ die externen und internen Strategien der Sozialarbeitspolitik inder Kommune. Die (erhöhte) Beteiligung und Partizipation der AdressatInnender Sozialen Arbeit ist programmatischer Bestandteil des Konzepts der kommu-nalen Sozialarbeitspolitik und (für Otto) zugleich Anlass darüber nachzuden-ken, ob die etablierten Verfahrensweisen und Verhandlungssysteme, in denenkommunale Politik im Sozialsektor ausgehandelt und eingesetzt wird, über-haupt geeignet sind, eine an der Angleichung von Lebenschancen orientiertePolitik zu entwickeln und durchzusetzen (ebd., S. 20). Die Partizipation der

30 Siegfried Müller/Hilmar Peter

Page 28: Bielefelder Arbeitsgruppe 8 (Hrsg.) Soziale Arbeit in Gesellschaftdownload.e-bookshelf.de/download/0000/0168/06/L-G... · 2013. 7. 23. · Bernd Dewe ausformulierten Modells eines

Programmadressaten ist in dieser Konzeption ausdrücklich nicht auf eine out-put-Demokratisierung beschränkt. Welche Partizipationschancen die Pro-grammadressaten (die nur partiell in Selbsthilfeorganisationen eingebundensind) im Kontext neokorporalistischer Verhandlungskartelle haben, wird vonOtto hier nur ansatzweise thematisiert. Die von ihm exemplarisch diskutiertenStrategien einer gebrauchswertorientierten Sozialarbeit auf kommunaler Ebenekonzentrieren sich auf die Herstellung von Gegenöffentlichkeiten, die stellver-tretende Einmischung und die Stärkung der Konsumentensouveränität: alsoum die „professionelle Seite der Medaille des Kampfes für bessere Lebensbedin-gungen und für Selbstbestimmung der Adressaten“ der Sozialen Arbeit (ebd.,S. 22).

Die Arbeiten zur kommunalen Sozialarbeitspolitik zeichnen sich – so Füssen-häuser (2003, S. 283f.) – erstens durch einen „institutionelle(n) Perspektiven-wechsel“ aus, d.h. durch einen „Wechsel von der Fall- zu einer Problemorien-tierung“ und einer damit verbundenen Analyse der Handlungs- und Entschei-dungsspielräume der Sozialen Arbeit auf regionaler Ebene. In diesem Zusam-menhang plädiert Otto zweitens konsequenter Weise für eine „,strukturorien-tierte Professionalität‘“ und drittens für eine „,Repolitisierung‘ der Problemana-lysen und Handlungsstrategien der Sozialen Arbeit“.

So gesehen ist für Otto die kommunale Sozialarbeitspolitik integrativer Be-stand der „,örtlichen Gesellschaftspolitik‘“. Die Kommune als lokale Steue-rungsebene der Sozialpolitik ist für Otto denn auch der Bezugspunkt einerfunktionalen (Neu-)Bestimmung der Sozialen Arbeit und der Thematisierungder Strategien ihrer (Re-)Politisierung.

Die Bürgernähe des Leviathans konkretisiert sich auf kommunaler Ebene imKontext einer lokalen Sozialpolitik (vgl. Olk/Otto 1985). In Erweiterung desKonzeptes der Sozialarbeitspolitik geht Otto hier auf die Kommune als eine lo-kale Steuerungsebene der Sozialpolitik und als eine zentrale Problemlösungsres-source ein. Er verweist damit auf zwei unterschiedliche Interpretationen vonKommunalität und den damit verbundenen spezifischen Diskursen. Zum einenmeint Kommunalisierung die Verlagerung sozialpolitischer Zuständigkeiten„nach unten“ und die „Ergänzung (der) staatlichen Sozialpolitik durch dezen-trale Einrichtungen und Maßnahmen“ (ebd., S. 4). Zum anderen wird dieKommune – präziser die Gemeinde – als ein Ort thematisiert, der besondereProblemlösungspotenziale birgt, die auf überörtlicher Ebene (also dem Zentral-staat) nicht zur Verfügung stehen. „Gemeint ist (hier) die Problemlösungsres-source Solidarität, die als bürgerschaftliches Engagement, ehrenamtliche Arbeit,gegenseitige freiwillige Hilfeleistungen in selbstorganisierten Initiativen undSelbsthilfegruppen sowie in Unterstützungsleistungen, ‚natürlicher‘ sozialerNetzwerke wie Familien, Nachbarschaften, Freundschaften etc. praktisch zumAusdruck kommt“ (ebd., S. 5). Die Diskussion über einen möglichen Bedeu-tungszuwachs der kommunalen Ebene darf sich daher nicht auf reformpoliti-sche Bestrebungen zur Effektivierung der institutionell verfassten Sozialpolitikbeschränken, denn die „Propagierung von ‚Kommunalität’ meint mehr: Lokale

Gesellschaftliche Perspektiven – ein Überblick 31

Page 29: Bielefelder Arbeitsgruppe 8 (Hrsg.) Soziale Arbeit in Gesellschaftdownload.e-bookshelf.de/download/0000/0168/06/L-G... · 2013. 7. 23. · Bernd Dewe ausformulierten Modells eines

Lebens- und Arbeitszusammenhänge werden hier zum Modell für einen ande-ren Gesellschaftsaufbau“ (ebd., S. 12). Kommunalisierung der Sozialpolitik be-deutet für Otto auch ein Umschalten von der Einkommens- zur Dienstleis-tungsstrategie und damit einen Bedeutungsgewinn der Sozialen Arbeit als per-sonenbezogene Soziale Dienstleistung.3

Die kommunale Sozialpolitik ist, wie die kommunale Sozialarbeitspolitik, fürOtto – bildlich gesprochen – bodenlos ohne eine entsprechende kommunale So-zialberichterstattung (vgl. Otto/Karsten 1990). Mit seinem Plädoyer für einekommunale Sozialberichterstattung verbindet Otto unterschiedliche Ziele (vgl.Karsten/Otto 1990). Sie ermöglicht erstens eine „selbstkritische Evaluierung(und) Profilierung der Sozialpolitik“ und ist zweitens als „politisch-strategischesInstrument“ ein wichtiger Beitrag im „Perspektivenwechsel von der individuell-prekären Lebenslage“ zu den Verursachungszusammenhängen „und damit zuden sozialpolitischen Investitionen, Leistungen, Programmen und Maßnahmen...“ (ebd., S. 14).

Otto verbindet mit einer kontinuierlichen kommunalen Sozialberichterstat-tung die Erwartung, dass mit ihrer Etablierung „ein Entwicklungs-, Wirkungs-und Reflexionszusammenhang sozialer Politik und sozialer Arbeit neu aufge-baut“ wird (ebd., S. 16). Sozialberichte sind für ihn „keine wissenschaftlichenTexte, sondern Problemexplikationen ggf. Problemillustrationen, die kommu-nales Handeln anregen können und in Foren diskussionsfähig sind“ (ebd.,S. 18). Diese regionalen und historisch spezifischen Problemexplikationen sinddas Fundament der lokalen Sozialpolitik und der in sie integrierten kommuna-len Sozialarbeitspolitik. Die Sozialberichterstattung ist eine „Reflexions- undDefinitionsinstanz“ in der kommunalen Sozialpolitik. Erst durch sie ist es mög-lich, im „Lebensraum Kommune“ eine „neue Sicht auf zentrale Personen undInstanzen, die die Konstitution der Lebensverhältnisse durch Sozialpolitik tra-gen“ zu gewinnen (ebd., S. 35). Sozialberichte sind für Otto ein entscheidendesInstrument der Dokumentation und Evaluation der lokalen Sozialpolitik undBasis politisch-administrativer Entscheidungen. Sie sind – mit anderen Worten– die regionale Kartographie des „Lebensraumes Kommune“, ohne die eine aufdie Gestaltung von Lebensräumen und der kompensatorischen Beeinflussungvon Lebenschancen abzielende Sozialarbeitspolitik einem navigationslosenBlindflug gleicht.

32 Siegfried Müller/Hilmar Peter

3 In einem Kommentar zum 9. Jugendbericht der Bundesregierung (BMFSF 1994) moniert May(1994), dass dort – im Gegensatz zum Konzept der Kommunalen Sozialarbeitspolitik – von„Politik oder gar von Politisierung kaum mehr die Rede ist“. Dies ist auf den ersten Blick nichtganz von der Hand zu weisen, wird aber Ottos Überlegungen zu einem dienstleistungstheoreti-schen und demokratietheoretisch verankerten Entwurf der Sozialen Arbeit letztlich nicht ge-recht.

Page 30: Bielefelder Arbeitsgruppe 8 (Hrsg.) Soziale Arbeit in Gesellschaftdownload.e-bookshelf.de/download/0000/0168/06/L-G... · 2013. 7. 23. · Bernd Dewe ausformulierten Modells eines

III

Gesellschaftlichkeit und Politikimmanenz der Sozialen Arbeit im Kontext derreflexiven Modernisierung der Gesellschaft kennzeichnen vor allem (aber nichtnur) die frühen Arbeiten von Hans-Uwe Otto.4 Seine diesbezüglichen „Arbei-ten sind durchzogen von vielfältigen gesellschaftstheoretischen Analysen undRückbindungen“ (Füssenhäuser 2003, S. 238). Zentrale Bezugspunkte sind da-bei zum einen die kritische Gesellschaftstheorie bzw. die Theorie reflexiver Mo-dernisierung (Habermas, Beck, Giddens) und zum anderen sozialpolitische Dis-kurse (Offe, Kaufmann). Es ist dieser dezidiert sozialwissenschaftlich-soziolo-gische „Blick“, der die Arbeiten von Hans-Uwe Otto – auch in wechselnderCo-Autorenschaft – auszeichnet und den „Bielefelder Arbeitszusammenhang“kennzeichnet und sich damit von einem eher erziehungswissenschaftlichen„Blick“ in einer produktiven Weise unterscheidet. Die Erziehungswissenschaftist für ihn allenfalls ein Dach für wissenschaftliche und professionspolitischeDiskurse, aber keine Leitdisziplin. Seine disziplinären Bezugspunkte sind dieSoziologie und die Sozialpolitik. Sein Interesse konzentriert sich auf eine gesell-schaftstheoretisch fundierte Theorie der Sozialen Arbeit, die auch „normativanspruchsvoll“ sein muss. Sie kann es sich nicht leisten, zum Beispiel Fragender Gerechtigkeit auszublenden. Sie muss die „gelegentlich soziologisch verges-sene, normative Dimension zurückgewinnen“ (Brunkhorst/Otto 1989, S. 273).Der gesellschaftliche Blick von Otto auf die Soziale Arbeit als Disziplin undProfession ist dabei stets mit der Frage nach ihrer Zukunft verbunden. Die „So-ziale Arbeit auf der Suche nach Zukunft“ (Böllert/Otto 1989): Das ist für Otto„zum einen die Frage nach reaktionären oder visionären gesellschaftlichen undsozialen Veränderungen und zum anderen die Frage nach deren möglichenWirkungen auf sie selbst“. Dies „verlangt zunächst einmal die Klärung des wo-her und wohin“ (ebd., S. 9). Dabei konzentriert sich Otto jedoch vorrangig aufdas Hier-und-Jetzt der Sozialen Arbeit und die Perspektiven ihrer Entwicklungim Kontext wohlfahrtsstaatlicher Modernisierungsprozesse.5

Seine „Überlegungen einer sozialpolitisch-reflexiv rückgebundenen SozialenArbeit als soziale Dienstleistung im Kontext des Wohlfahrtsstaats fügen sich zu-nächst ein in gesellschaftliche Analysen, die den Wandel von der Arbeits- zurDienstleistungsgesellschaft konstatieren. Gerade darin liegt aber auch eineSchwäche seiner Überlegungen. Sind sie doch anfällig für eine sozialtechnolo-gisch und ausschließlich ökonomisch gedachte Dienstleistungskonzeption, die

Gesellschaftliche Perspektiven – ein Überblick 33

4 Wie wichtig Otto die (Re-)Politisierung der Sozialen Arbeit ist, zeigt sich besonders in seinenvielfältigen (sozial-)politischen Kommentaren in der „neuen praxis“ (vgl. Böhnisch 2000).Brumlik (2000, S. 71) charakterisiert ihn daher zutreffend als einen „Professionsintellektuellen,dem es gelingt, aktuelle Entwicklungen und Probleme der Sozialen Arbeit gesellschaftspolitischzu verorten und kritisch zu kommentieren.

5 Das heißt nun nicht, dass Otto an einer historischen Rekonstruktion der Sozialen Arbeit desin-teressiert ist. Sie ist lediglich auf wenige Publikationen beschränkt – zum Beispiel zur Volkspfle-ge und Pädagogik im Nationalsozialismus (Otto/Sünker 1986, 1989).