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Bildung – Beruf 23 1) DPG-Berufsumfrage 1997, Phys. Bl., Juni 1998, S. 504 M it Physik hat Jörg Viernow nicht mehr viel zu tun. Dabei ist es gerade mal acht Monate her, daß er den Zenit seiner Physikerlaufbahn erreichte: die Doktorprüfung. Viernow hat ein neues Verfahren zur Nanostruktu- rierung von Halbleitern entwickelt, das ihm neben dem Doktortitel auch eine ansehnliche Veröffentli- chungsliste bescherte. „Ich hätte habilitieren können,“ erinnert er sich, „aber das universitäre Umfeld hat mich abgeschreckt.“ Keine Bewegung drin, kaum Möglichkei- ten, die eigene Kreativität zu entfal- ten und frei zu arbeiten, zu viele Sach- und Geldzwänge bei zu hohem Risiko. Heute arbeitet er als Unternehmensberater. Fünf Prozent der promovierten und vier Prozent der diplomierten Jungphysiker waren 1997 bei einer Unternehmensberatung beschäf- tigt 1) . Die einen empfinden die Hochschulkarriere als unkalkulier- bares Risiko und sehen die Mana- gementberatung als Sprungbrett für einen lukrativen Job in der Indu- strie. Denn der Arbeitseinsatz von Uni-Assistenten und Consultants ist vergleichbar, und wer aus der Bera- tung nach ein paar Jahren wieder aussteigt, dem steht, anders als an der Uni, die Welt offen – zumindest die Wirtschaftswelt. Die anderen bewerben sich aus Neugier, oder weil es gerade im Trend ist. Zum Beispiel auf eines der Schnupper- seminare, die als Segeltörns, in Klo- stern oder an der Küste abgehalten werden. Und wenn die Beratungs- firmen den Bewerber als „high po- tential“ einstufen, dann geht alles ganz schnell. Während man bei Sie- mens oder Bosch schon mal sechs Wochen auf eine schriftliche Einla- dung zum Gespräch wartet, meldet sich McKinsey schon nach zwei Ta- gen am Telefon. Denn an Naturwis- senschaftlern und Ingenieuren, die für eine Beratertätigkeit in Frage kämen, mangelt es. Das liegt zum einen an den abnehmenden Studen- tenzahlen, zum anderen am unge- bremsten Wachstum der Branche. A. T. Kearney, Boston Consulting, McKinsey und andere Top-Firmen steigern ihren Umsatz um über 20 Prozent im Jahr. Mit ständig wech- selndem Personal: Die Fluktuation beträgt zwischen 10 und 40 Prozent – in der Unternehmensberatung wird man nicht alt. Die Verweildauer bei A. T. Kear- ney, Jörg Viernows neuem Arbeitge- ber, liegt mit rund sechs Jahren weit über dem Durchschnitt. Jedes Jahr stellt A. T. Kearney etwa einhundert neue Mitarbeiter in Deutschland ein, davon jeder zehnte ein Physi- ker. Und die werden nicht nur in der Information-Technology-Bera- tung (IT) eingesetzt, wo Software- Kenntnisse gefragt sind. Auch in der „Strategie-Beratung“, die dem oberen Management eines Unter- nehmens zuarbeitet, sind Physiker begehrt, bis ganz oben in der Hie- rarchie: Jürgen Kluge, Deutschland- Chef von McKinsey, ist promovier- ter Laserphysiker. Crashkurs in BWL Mit Jörg Viernow verabredet man sich am besten am Flughafen, Montag morgen im Sheraton-Hotel, kurzer Zwischenstopp auf dem Weg „zum Kunden“ irgendwo in Nord- ostdeutschland. Natürlich trägt er keine braunen Cordhosen, sondern einen Anzug, eine modische Brille mit schmalen Gläsern und Gold- rand, und die Haare hat er kurz ge- schnitten. Als zielstrebig und moti- viert beschreibt er sich, mit einer gesunden Portion Neugier. Abitur „ganz normal“, dann zwei Jahre Re- serveoffizier, Physikstudium inner- halb von fünf Jahren – inklusive Auslandsaufenthalt –, nahtloser Übergang in die Doktorarbeit, Pro- motionsdauer unter drei Jahren, in den Ferien Praktikum in der For- schungsabteilung eines Anlagenher- stellers, nebenbei Betriebswirtschaft als zweites Nebenfach, mit Schei- nen und Prüfungen. Auf den ersten Blick verwundert es, daß Strategie-Beratungen an ei- nem Hochschulabsolventen interes- siert sind, der drei Jahre lang wie Jörg Viernow das Wachstum von Calcium-Fluorid auf Silizium unter- sucht hat. Gibt es nicht genügend Absolventen anderer Fachrichtun- gen, die ihr gesamtes Studium da- mit verbringen, über Produktzy- klen, Bilanzierung und Profitabi- lität nachzudenken? „Ohne den Be- triebswirten auf den Schlips treten zu wollen,“ sagt Viernow, „das ist mit entsprechenden Vorkenntnissen schnell zu erlernen.“ Viel gesunder Menschenverstand. Auch im BWL- Studium kann man sich nicht das ganze Fachwissen aneignen, das in den unterschiedlichen Projekten der Strategie-Beratung gefragt ist. Daher sind Flexibilität und analy- tisches Denken viel wichtiger. Was Physiker auszeichne, meint Vier- now, seien eine hohe Frustrations- schwelle, Beharrlichkeit und die Fähigkeiten, sich schnell in komple- xe Sachverhalte einzuarbeiten, kau- sale Zusammenhänge zu erkennen und strukturiert zu arbeiten. In Größenordnungen denken: eine Zehn von einer Tausend unterschei- den. Ganz wichtig, und das lernt man im Physikstudium nur bedingt, sind die „sozialen Kompetenzen“ Kommunikation und Teamfähigkeit, „daß man mit dem Kunden auch mal ein Bier trinken kann.“ Den Jargon der Betriebswirtschaft und die wichtigsten Methoden bekom- men die Einsteiger in den meisten Unternehmensberatungen durch einen zweiwöchigen Crashkurs ver- mittelt – „Exotentraining“ für Phy- siker, Philosophen und andere Nicht-Wirtschaftler. Darüber hinaus legt man viel Wert auf Weiterbil- dung und learning on the job. Christian Steinhausen, seit ei- nem Jahr als Consultant in der Big Business statt Big Bang Immer mehr Physikabsolventen arbeiten als Unternehmensberater Max Rauner Physikalische Blätter 55 (1999) Nr. 9 0031-9279/99/0909-23 $17.50+50/0 © WILEY-VCH Verlag GmbH, D-69451 Weinheim, 1999 Auch Naturwissen- schaftler fühlen sich in der Unter- nehmensberatung wohl. Aber nicht jeder kann sich auf Dauer mit dem Existenzentwurf des Beraters an- freunden. (Foto: AC)

Big Business statt Big Bang : Immer mehr Physikabsolventen arbeiten als Unternehmensberater

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Bildung – Beruf

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1) DPG-Berufsumfrage1997, Phys. Bl., Juni1998, S. 504

M it Physik hat Jörg Viernownicht mehr viel zu tun.Dabei ist es gerade mal acht

Monate her, daß er den Zenit seinerPhysikerlaufbahn erreichte: dieDoktorprüfung. Viernow hat einneues Verfahren zur Nanostruktu-rierung von Halbleitern entwickelt,das ihm neben dem Doktortitelauch eine ansehnliche Veröffentli-chungsliste bescherte. „Ich hättehabilitieren können,“ erinnert ersich, „aber das universitäre Umfeldhat mich abgeschreckt.“ KeineBewegung drin, kaum Möglichkei-ten, die eigene Kreativität zu entfal-ten und frei zu arbeiten, zu vieleSach- und Geldzwänge bei zuhohem Risiko. Heute arbeitet er alsUnternehmensberater.

Fünf Prozent der promoviertenund vier Prozent der diplomiertenJungphysiker waren 1997 bei einerUnternehmensberatung beschäf-tigt1). Die einen empfinden dieHochschulkarriere als unkalkulier-bares Risiko und sehen die Mana-gementberatung als Sprungbrett füreinen lukrativen Job in der Indu-strie. Denn der Arbeitseinsatz vonUni-Assistenten und Consultants istvergleichbar, und wer aus der Bera-tung nach ein paar Jahren wiederaussteigt, dem steht, anders als ander Uni, die Welt offen – zumindestdie Wirtschaftswelt. Die anderenbewerben sich aus Neugier, oderweil es gerade im Trend ist. ZumBeispiel auf eines der Schnupper-seminare, die als Segeltörns, in Klo-stern oder an der Küste abgehaltenwerden. Und wenn die Beratungs-firmen den Bewerber als „high po-tential“ einstufen, dann geht allesganz schnell. Während man bei Sie-mens oder Bosch schon mal sechsWochen auf eine schriftliche Einla-dung zum Gespräch wartet, meldetsich McKinsey schon nach zwei Ta-gen am Telefon. Denn an Naturwis-senschaftlern und Ingenieuren, diefür eine Beratertätigkeit in Fragekämen, mangelt es. Das liegt zumeinen an den abnehmenden Studen-tenzahlen, zum anderen am unge-bremsten Wachstum der Branche.A. T. Kearney, Boston Consulting,McKinsey und andere Top-Firmen

steigern ihren Umsatz um über 20Prozent im Jahr. Mit ständig wech-selndem Personal: Die Fluktuationbeträgt zwischen 10 und 40 Prozent– in der Unternehmensberatungwird man nicht alt.

Die Verweildauer bei A. T. Kear-ney, Jörg Viernows neuem Arbeitge-ber, liegt mit rund sechs Jahren weitüber dem Durchschnitt. Jedes Jahrstellt A. T. Kearney etwa einhundertneue Mitarbeiter in Deutschlandein, davon jeder zehnte ein Physi-ker. Und die werden nicht nur inder Information-Technology-Bera-tung (IT) eingesetzt, wo Software-Kenntnisse gefragt sind. Auch inder „Strategie-Beratung“, die demoberen Management eines Unter-nehmens zuarbeitet, sind Physikerbegehrt, bis ganz oben in der Hie-rarchie: Jürgen Kluge, Deutschland-Chef von McKinsey, ist promovier-ter Laserphysiker.

Crashkurs in BWLMit Jörg Viernow verabredet

man sich am besten am Flughafen,Montag morgen im Sheraton-Hotel,kurzer Zwischenstopp auf dem Weg„zum Kunden“ irgendwo in Nord-ostdeutschland. Natürlich trägt erkeine braunen Cordhosen, sonderneinen Anzug, eine modische Brillemit schmalen Gläsern und Gold-rand, und die Haare hat er kurz ge-schnitten. Als zielstrebig und moti-viert beschreibt er sich, mit einergesunden Portion Neugier. Abitur„ganz normal“, dann zwei Jahre Re-serveoffizier, Physikstudium inner-halb von fünf Jahren – inklusiveAuslandsaufenthalt –, nahtloserÜbergang in die Doktorarbeit, Pro-motionsdauer unter drei Jahren, inden Ferien Praktikum in der For-schungsabteilung eines Anlagenher-stellers, nebenbei Betriebswirtschaftals zweites Nebenfach, mit Schei-nen und Prüfungen.

Auf den ersten Blick verwundertes, daß Strategie-Beratungen an ei-nem Hochschulabsolventen interes-siert sind, der drei Jahre lang wieJörg Viernow das Wachstum vonCalcium-Fluorid auf Silizium unter-sucht hat. Gibt es nicht genügendAbsolventen anderer Fachrichtun-

gen, die ihr gesamtes Studium da-mit verbringen, über Produktzy-klen, Bilanzierung und Profitabi-lität nachzudenken? „Ohne den Be-triebswirten auf den Schlips tretenzu wollen,“ sagt Viernow, „das istmit entsprechenden Vorkenntnissenschnell zu erlernen.“ Viel gesunderMenschenverstand. Auch im BWL-

Studium kann man sich nicht dasganze Fachwissen aneignen, das inden unterschiedlichen Projektender Strategie-Beratung gefragt ist.Daher sind Flexibilität und analy-tisches Denken viel wichtiger. WasPhysiker auszeichne, meint Vier-now, seien eine hohe Frustrations-schwelle, Beharrlichkeit und dieFähigkeiten, sich schnell in komple-xe Sachverhalte einzuarbeiten, kau-sale Zusammenhänge zu erkennenund strukturiert zu arbeiten. InGrößenordnungen denken: eineZehn von einer Tausend unterschei-den. Ganz wichtig, und das lerntman im Physikstudium nur bedingt,sind die „sozialen Kompetenzen“Kommunikation und Teamfähigkeit,„daß man mit dem Kunden auchmal ein Bier trinken kann.“ DenJargon der Betriebswirtschaft unddie wichtigsten Methoden bekom-men die Einsteiger in den meistenUnternehmensberatungen durcheinen zweiwöchigen Crashkurs ver-mittelt – „Exotentraining“ für Phy-siker, Philosophen und andereNicht-Wirtschaftler. Darüber hinauslegt man viel Wert auf Weiterbil-dung und learning on the job.

Christian Steinhausen, seit ei-nem Jahr als Consultant in der

Big Business statt Big BangImmer mehr Physikabsolventen arbeiten als Unternehmensberater

Max Rauner

Physikalische Blätter55 (1999) Nr. 90031-9279/99/0909-23$17.50+50/0© WILEY-VCH Verlag GmbH,D-69451 Weinheim, 1999

Auch Naturwissen-schaftler fühlensich in der Unter-nehmensberatungwohl. Aber nichtjeder kann sich aufDauer mit demExistenzentwurfdes Beraters an-freunden. (Foto:AC)

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Physikalische Blätter55 (1999) Nr. 924

Bildung – Beruf

Strategie-Beratung bei AndersenConsulting, hat gerade ein Traininghinter sich, in Chicago, dem Haupt-sitz von Andersen. „Es bringtäußerst viel und macht dazu nochSpaß,“ findet Steinhausen. Für ihnist es das dritte Training, seit er voreinem Jahr als promovierter Physi-ker zu Andersen kam. Aber natür-lich war er schon längst in realenUnternehmen in Deutschland enga-giert, und zwar zunächst in derEnergiebranche und jetzt im Ge-sundheitswesen. Aussagen überkonkrete Projekte oder gar Namenvon Kunden wird man von den Be-ratern nicht erfahren, denn Diskre-tion ist eine wichtige Voraussetzungfür das Geschäft.

Was macht ein junger Consultantden ganzen Tag? Zum Beispiel ar-beitet er in einem zehnköpfigenBeratungsteam, das sich für zweiMonate bei einem Energiekonzerneinquartiert hat. Ziel des (fiktiven)Projekts sei es, für den Kundeneinen Strategieplan zu entwerfen,wie er sich auf dem liberalisiertenStrommarkt besonders günstig posi-tionieren kann. Das Beraterteamtrifft sich regelmäßig zum Brain-storming, gliedert das Projekt ineinzelne Tasks, erstellt Arbeits- undZeitpläne und dokumentiert Zwi-schenergebnisse. Die Physikerin imTeam wird beauftragt, innerhalbvon drei Tagen ein Memo über dieZukunft der Stromerzeugung in dennächsten zehn Jahren anzufertigen.Sie telefoniert mit einem ehemali-gen Kommilitonen in der Solarzel-lenforschung, fordert eine Studievom Wirtschaftsministerium an,vereinbart zwei Interviews mit denExperten der Firma und bestellteine externe Studie über das Inter-net. Aus zwei Stapeln Broschüren,Büchern und Archivmaterial extra-

hiert sie die wichtigsten Informatio-nen und diskutiert ihre Thesen mitden Kollegen. Meetings, Brainstor-ming und Kundeninterviews, Struk-turieren und Dokumentieren, alldas unter ständigem Zeitdruck: Dasist der Projektalltag von Montagmorgen bis Donnerstag oder – jenach Unternehmensberatung –Freitag abend. In dieser Zeit arbei-tet man beim Kunden und wohntim Hotel vor Ort. In manchen Be-ratungen sitzt man freitags amSchreibtisch in der Zentrale. DasWochenende ist (meistens) frei.

Berufserfahrung an der UniAls Physiker zu einer Unterneh-

mensberatung zu gehen war für

Christian Steinhausen das Natür-lichste der Welt. Schon seine Di-plomarbeit an der LMU München,Oberflächenanalyse durch elasti-sche Rückstreuung von Jod-Ionen,sieht er rückblickend als eine „Vor-form der Beratung“, weil er vieleAnalysen für Ingenieure durchge-führt und betreut hat, z. B. an Son-nenkollektoren, Solarzellen undHalbleiteroberflächen. „Ich habegemerkt, daß ich mich von meinemDenken her unterscheide von denklassisch-typischen Physikern, dienur Freude am Experimentieren ha-ben, oder nur Freude am Rechnen,“sagt Steinhausen, „bei mir standimmer schon ganz klar die Anwen-dung, die Dienstleistung im Vorder-grund.“ Außerdem habe er beiseiner Zusammenarbeit mit Inge-nieuren und – während der Doktor-arbeit – Medizinern „gemerkt, daßKommunikation irrsinnig wichtigist.“ Es reiche nicht, einen tollenWert gemessen zu haben, wennman niemanden dafür interessierenkönne – „und man bekommt auchkein Geld dafür.“

Nach der Promotion arbeiteteSteinhausen für vier Monate in ei-ner kleinen Beratungsfirma. Als„experienced hire“ wurde er vonAndersen eingestellt, unter Anrech-nung von zwei Jahren Berufserfah-rung. „Ein Lehrstuhl ist doch aucheine Firma,“ sagt Steinhausen, „mitanderen Randbedingungen und an-deren Zielen, aber mit ähnlicherStruktur.“ Auch „soft skills“ wieTeamarbeit, Kommunikations- undKonfliktfähigkeit kann man da ler-nen, und selbst vom Mobbing undIntrigenspiel bekommt man mitun-ter einen ersten Eindruck. BWL-Kurse neben dem Studium hat erindessen nicht absolviert. „Ich binein großer Freund von learning bydoing,“ es sei oft besser, ein Projektzu managen als einen Kurs überProjektmanagement zu besuchen.

Das Vorurteil, daß gerade vonUnternehmensberatungen viel Pa-pier produziert und wenig umge-setzt wird, will er nicht bestätigen.Gerade bei Andersen Consultingkümmere man sich intensiv auchum die Implementierung. Zu sehr,wie manche klassischen Manage-mentberatungen gerne behaupten.Andersen hat sich in der Vergan-genheit vor allem als System- undSoftwareberater einen Namen ge-macht. In diesem Bereich arbeitetauch ein Großteil der Physiker, diedas Unternehmen beschäftigt. SeitJahren engagiert sich Andersen al-lerdings auch in der Strategie-Bera-tung. Umgekehrt bauen klassischeManagementberatungen seit denachtziger Jahren ihre Systembera-tung aus, weil immer mehr Kundenwünschen, daß auch die Einführungeiner neuen Software oder die Im-plementierung eines Firmen-Intra-nets begleitet wird.

Aufsteigen oder AussteigenDie meisten Top-Beratungen

bemühen sich durch eine rigide Be-förderungspolitik, nur die Bestenim Unternehmen zu halten. Häufiggilt das Prinzip „up or out“ oder„grow or go“: Wer nach zwei bisdrei Jahren auf der Hierarchieleiternicht eine Sprosse höher klettert,muß seinen Hut nehmen. Als Be-wertungsgrundlage dienen Gutach-ten der Vorgesetzten. Liegen dieLeistungen unter denen der „Refe-renzgruppe“, gibt es ein Gesprächüber die Ursachen – Motivations-probleme, private Probleme, Trai-ningsdefizite – und gegebenenfallsverläßt man die Firma. Die Ehrgei-zigen unter den Beratern möchten

Roland W

engenmayr

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Physikalische Blätter55 (1999) Nr. 926

Bildung – Beruf

es nach acht bis zehn Jahren biszum „Partner“ geschafft haben:Miteigentümer der Firma, Jahres-salär wie Konzernvorstände. Dannnimmt angeblich auch der Streß ab.

Florian Michl (32) ist „out“. ImAnschluß an seine Promotion intheoretischer Festkörperphysik ginger zu Boston Consulting, nach 18Monaten kündigte er. Mit dem Exi-stenzentwurf des Unternehmensbe-raters konnte er sich nicht anfreun-den. Ein Leben im Hotel, oft 70 Ar-beitsstunden pro Woche, häufig bisspät in die Nacht, Feiertage wurdengenutzt, um Liegengebliebenes zuerledigen. „Es war wie auf demLaufband,“ sagt er, „wenn Du trai-niert bist, kommst Du mit und esgefällt Dir vielleicht. Aber wenn dasBand eine Idee zu schnell läuft,hängst Du drin und schleifst Dir dieFüße ab.“ Der persönliche Kontaktzu Freunden ging verloren, und mitder Ehe hätte das auf Dauer nichtfunktioniert. Zum Glück bekam sei-ne Ehefrau ebenfalls eine Stelle alsBeraterin, so daß auch sie nur amWochenende zu Hause war.

Jörg Viernow arbeitet von achtUhr morgens bis acht, neun abends.Mit seinen beiden Kollegen im Pro-jektteam frühstückt er gemeinsamim Hotel und geht möglichst einmalin der Woche abends ins Kino, insTheater oder in ein gutes Restau-rant. Freitag abend, im Flieger nachHause, ist Schluß, „das muß auchso sein, als Selbstschutz.“ Andersals während der Promotion könneer dann komplett abschalten, dieräumliche Distanz erleichtere das.Aber letztlich, sagt Viernow, „mußes Spaß machen, dann empfindetman die Belastung nicht so.“

Wer von der Sache begeistert ist,mag sich mit den Randbedingungenanfreunden. Florian Michl war in-dessen auch mit den Inhalten nichtimmer glücklich. Häufig ging es inseinen Projekten darum, Unterneh-men zu „reorganisieren“. Dabeisollte zwar kein Personal im großenStil entlassen werden – diese Zeitensind vielerorts vorbei. Aber auchwenn beispielsweise der Zusam-menschluß einzelner Unterneh-mensbereiche geplant ist, stößt dasbei den Betroffenen auf Wider-stand. Das spüren die Berater,wenn sie aus den Abteilungen Da-ten recherchieren. „Ich arbeite ger-ne in einem harmonischen Klima,aber in manchen Projekten ist dassehr schwierig,“ sagt Michl. Den-noch zieht er eine positive Bilanz:„Ich bin froh, daß ich draußen bin,

aber ich bin nicht nachtragend; ichhabe sehr davon profitiert.“ Undnach einer Pause: „Es war einbißchen wie Abenteuerurlaub –mehr Abenteuer als Urlaub.“ Als erseine Entscheidung zu gehen internbekanntgab, half ihm Boston Con-sulting bei der Suche nach einemneuen Arbeitgeber – „die kümmernsich unglaublich um die Leute, dieraus wollen.“ Auch im eigenen In-teresse: Die Ehemaligen sind dieAuftraggeber von morgen. Internwird wenig darüber geredet, dennden Aussteigern haftet unter Kolle-gen der Makel des Versagens an.

Heute arbeitet Michl bei Infine-on, dem ausgegründeten Halbleiter-bereich von Siemens, und zwar ineiner Stabsabteilung, zwei Ebenenunter dem Vorstand. Eine Stelle,die er ohne Berufserfahrung in derBeratung nicht bekommen hätte.„Wenn man als Quereinsteiger vonder Unternehmensberatung kommt,wird einem mehr zugetraut, vor al-lem was organisatorische Dinge an-geht.“ Man kann Meetings leitenund ist bei wichtigen Besprechun-gen dabei. Im Nachhinein würde erdie Beratertätigkeit jedem empfeh-len, der nach dem Studium einenerfolgreichen Einstieg in der Indu-strie sucht. Wer der Physik aller-dings fachlich oder wissenschaftlichtreu bleiben möchte, dem rät Michlvon dem Umweg über eine Unter-nehmensberatung ab. Daß man spä-ter zurück in die Forschung möch-te, nimmt einem nämlich keinermehr ab. Außerdem sei der von derreinen Wissenschaft fasziniertePhysiker für die Unternehmensbe-ratungen oft ungeeignet. „RichtigeVollblut-Physiker gab es da weni-ge,“ sagt Michl, „eher die Überflie-ger, denen das Physikstudium vonallen Fächern intellektuell als diegrößte Herausforderung erschien;die gewisse Karriereziele hatten.“

IT-Beratung in kleinem StilA. T. Kearney, Andersen Consul-

ting, Boston Consulting, McKinsey– es muß nicht eine der großensein. Allein in Deutschland zähltdas Managermagazin rund 11 000Unternehmensberatungen2). ZumBeispiel „Beck et al.“ in München.Die 27 Mitarbeiter passen nochbequem auf zwei Etagen einer hüb-schen Jugendstilvilla am Bava-riaring. Beck et al. ist eine IT-Bera-tung, die sich „Wissensmanage-ment“ auf die Fahnen geschriebenhat, die Konzeption und den Auf-bau von Kommunikationsnetzen,

Datenbanken und Archiven. Soentwickeln die Berater für einedeutsche Handelskette eine Soft-warelösung, die den Informations-austausch zwischen Händlern, Kun-den und Mitarbeitern regeln soll,mit email, Web und Intranet.

Silke Grosholz leitet das Projekt.Sie ist Physikerin und seit 1997 beiBeck et al. „Damals habe ich zweiMonate Stellenanzeigen gewälzt,“sagt sie, „darunter vielleicht zweifür Physiker.“ Silkes jetzige Stellewar ausdrücklich für Berufseinstei-ger ausgeschrieben. „Bei BostonConsulting oder McKinsey hätte ichvon Anfang an perfekt sein müs-sen,“ dachte sie damals. Außerdembefürchtete sie, die Arbeit dort kön-ne zu theorielastig sein. Davon hat-te sie erstmal genug: Die Diplomar-beit in theoretischer Physik schriebsie über CP-Verletzung und Super-symmetrie, die Promotion in theo-retischer Festkörperphysik brachsie nach fünf Monaten ab: „Ichwollte praktisch arbeiten, was um-setzen, nicht beweisen, was schonbewiesen war.“ Bei manchen Unter-nehmensberatungen wäre ihre Be-werbung schon aus formalen Grün-den gescheitert, aussortiert vomPraktikanten in der Recruiting-Ab-teilung: Eine abgebrochene Promo-tion paßt nicht ins Wunschprofil.Bei Beck et al. sieht man das an-ders. Sigfried Lautenbacher, einerder beiden Geschäftsführer: „Umehrlich zu sein, wir sind uns beiden Doktoren eher unsicher als beijenen, die sagen: ‚Ich hab’s ver-sucht, aber ich will was Praktischesmachen.’“ Was er an den Physikernschätzt? „In der Lage sein zu den-ken. Nicht wurschteln.“

Als Physiker in die Unterneh-mensberatung? Keine einfache Ent-scheidung. Die Eltern wünschensich lieber „was richtiges“, demDoktorvater ist es zu unwissen-schaftlich, die Freundin oder derFreund winkt ohnehin ab, und dieKommilitonen warnen vor den ver-meintlichen Job-Killern. Und dasganze Fachwissen, Festkörperphy-sik, Quantenmechanik, Relativitäts-theorie, alles für die Katz’? „Ichhabe knapp sieben Jahre damit ver-bracht,“ sagt Jörg Viernow noch,bevor er durch die Sicherheits-schleuse verschwindet, „aber ichbin zu dem Schluß gekommen: ichschmeiße es ja nicht weg. Ich binimmer noch Physiker. Und ich ar-beite halt bei einer Unternehmens-beratung.“

2) Managermagazin, Oktober 1998, S. 274

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Physikalische Blätter55 (1999) Nr. 9

Bildung – Beruf

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Interview mit Birgit Ariane Klein-hans, Recruiting Marketing Mana-ger bei Andersen Consulting

Rund zehn Prozent der Berater beiAndersen Consulting sind Natur-wissenschaftler. Was schätzen Siean diesen Absolventen?

Kleinhans: Eine Unternehmens-beratung benötigt die unterschied-lichsten Wissensrichtungen, um denKunden optimal zu beraten. Physi-ker und Naturwissenschaftler kön-nen z. B. unseren Kunden in derTelekommunikations- und Energie-branche hervorragende Anregungengeben, da sie die Zusammenhängekennen und über das notwendigeWissen verfügen.

Fehlt es nicht an Know-How inBetriebswirtschaft?

Sicherlich ist das betriebswirt-schaftliche Know-How von Natur-wissenschaftlern nicht so ausge-prägt wie bei Betriebs- oder Volks-wirtschaftlern. Dies ist jedoch keinHindernis, denn wir arbeiten beimKunden in interdisziplinärenTeams, so daß das Wissen kontinu-ierlich untereinander ausgetauschtwird und dem Kunden zu Gutekommt. Die Vielfalt des Wissens istder Faktor, der über den Erfolg ent-scheidet.

Und der Sinn für die Praxis?Physiker gelten als Perfektionisten.

Praxis lernt man in der Praxis.Also einsteigen und loslegen kannich hier nur raten. Und Perfektioni-sten sind immer willkommen, dennder Kunde erwartet von uns erfolg-reiche Lösungen.

Wie läuft der Einstieg konkret? Als Hochschulabsolvent starten

Sie Ihre Karriere als Analyst in ei-ner unserer vier Competence-Berei-che: Strategy, Process, ChangeManagement oder Technology. Derjeweilige Einsatzbereich unsererMitarbeiter hängt vom Studiengangab. Analog zu dem Competence-Be-reich erhalten Sie dann zahlreicheSchulungen, die Ihr Wissen vertie-fen. Darüber hinaus generieren un-sere Mitarbeiter wichtige Erfahrun-gen über Industriebranchen auf un-seren Projekten. Jedem Mitarbeitersteht ein Counselor zur Verfügung,der als Karriereansprechpartnerdient. Er unterstützt Ihre Entwick-lung und berät bei wichtigen Ent-scheidungen. Als Analyst arbeitenSie typischerweise in Kundenpro-jekten, erstellen Soll/Ist-Analysen,

programmieren, erarbeiten System-dokumentationen, konzipierenKundentrainings, um nur einigeBeispiele zu benennen. Die nächsteKarrierestufe ist der Consultant.Hier übernehmen Sie erste Perso-nalaufgaben, sie leiten Arbeits-teams, übernehmen Moderationenvon Team-Meetings, Systemdesignund erstellen Arbeitspläne. Als Ma-nager sind Sie für die Führung undEntwicklung von Projektteams ver-antwortlich, koordinieren Budgetsund Administration; sind Ansprech-partner für den Kunden.

Setzt AC dabei bevorzugt aufdiplomierte oder auf promoviertePhysiker?

Hier gibt es keine starren Vorga-ben.

Welche Voraussetzungen sollteman mitbringen?

Wissen ist das eine und das isterlernbar. Darüber hinaus zähltTeamwork, Teamwork und noch-mals Teamwork. Wir suchen Kolle-gen, die im Team arbeiten, die et-was bewegen möchten und die soflexibel sind, daß sie sich jeden Tagauf neue Herausforderungen ein-stellen möchten.

Was bieten Sie dafür?Interessante Aufgaben, schnelle

Karrieremöglichkeiten, kontinuier-liche Trainings, internationale Kol-legen und natürlich eine leistungs-orientierte Bezahlung. Die Mitar-beiter sind unser Erfolg. Deshalbsind Trainings und persönliche Ent-wicklungsmöglichkeiten sowie einangenehmes Arbeitsumfeld für unsVoraussetzung.

Die Arbeitsbelastung in der Be-raterbranche gilt als extrem hoch,mit 70-Stunden-Wochen und mehr.Viele schreckt das ab.

Sicherlich ist eine geregelte 40-Stunden-Woche nicht das Haupt-charakteristikum eines Berater-All-tages. Wie in jedem Beruf gibt esSchwankungen: In Endphasen vonProjekten können auch mal deut-lich mehr Stunden anfallen. Diesverlangt Motivation und Flexibilität– Persönlichkeitsmerkmale, die un-sere Berater mitbringen.

Warum ist die Personalfluktua-tion dennoch so hoch?

Ein Grund sind sicherlich dieAnforderungen, die gestellt werden.Flexibilität, Dynamik und Ge-schwindigkeit, die den Beruf desBeraters kennzeichnen. Den Men-schen, die etwas bewegen möchten,die Erfolg haben und sich weiter-entwickeln wollen, bieten wir einegroße Chance.

�Perfektionisten willkommen