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KatHO NRW Aachen Köln Paderborn Prof. Dr. Albert Lenz Münster Bindung und kindliche Entwicklung Die Bedeutung der Förderung elterlicher Beziehungskompetenz Vortrag auf der Jubiläumsveranstaltung KIM – Soziale Arbeit e.V. Mutter-Kind-Haus

Bindung und kindliche Entwicklung - kim-paderborn.de · • Unsichere Bindungen (unsicher-vermeidend, unsicher ambivalent) Risikofaktor für kindliche Fehlentwicklungen und Entwicklungsgefährdung

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Bindung und kindliche Entwicklung

Die Bedeutung der Förderung elterlicher Beziehungskompetenz

Vortrag auf der Jubiläumsveranstaltung

KIM – Soziale Arbeit e.V.

Mutter-Kind-Haus

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Ergebnisse aus der psychologischen und neuropsychologischen Forschung sowie der modernen

Hirnforschung

Die Qualität der frühkindlichen emotionalen Bindung bestimmt wesentlich

• die kognitive Entwicklung des Kindes („Gipfelstürmer brauchen ein sicheres Basislager“)

sowie

• die Entwicklung der emotionalen Widerstandsfähigkeit des Kindes gegenüber alle Formen von Belastungen und Problemen (Stressverarbeitungssystem bildet sich in den ersten drei Lebensjahren aus)

Positive Bindungserfahrungen entscheidende Faktoren für

• Lernerfolg/Schulerfolg

• Resilienz

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Resilienz = psychische Widerstandsfähigkeit / Robustheit

Fähigkeit in belastenden Lebensumständen, Risiken, und Gefährdungen durch den Einsatz von

• personalen Schutzfaktoren

• familiären Schutzfaktoren

• sozialen Schutzfaktoren

abpuffern oder abmildern zu können. (Masten & Powell, 2003; Bender & Lösel, 1998)).

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Familiäre Schutzfaktoren

• stabile emotionale Beziehung zu einer Bezugsperson = Bindung • offenes, unterstützendes Erziehungsklima

• familiärer Zusammenhalt (emotionale Verbundenheit)

• familiäre Flexibilität

• Modelle positiven Bewältigungsverhaltens

• Übernahme von Aufgaben im Haushalt und Förderung eigenverantwortlichen Handelns

Ergebnisse der Bella-Studie• Familiäre Schutzfaktoren wirken sich hinsichtlich psychischer Auffälligkeit

deutlich protektiv aus, das heißt sie verringern stark die Wahrscheinlichkeit für psychische Störungen

(Ravens- Sieberer et al., 2007).

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Befunde der Resilienzforschung

Kauai- Studie (Emmy Werner 1995)

• vollständige Geburtsjahrgangskohorte bestehend aus 698 Kindern,

• Ca. ein Drittel der Gesamtkohorte (n= 201) musste einer Hochrisiko-Gruppe zugerechnet werden (mindestens vier Risikofaktoren),

• zwei Drittel der Hochrisiko-Gruppe nahm eine ungünstige Entwicklung,

• ein Drittel der Hochrisiko-Gruppe (ca. 10% der Gesamtkohorte) entwickelte sich zu relativ psychisch gesunden und kompetenten Erwachsenen.

Laufzeit: 40 Jahre

Untersuchungszeitpunkte: 1, 2, 10, 18, 32, 40 Jahre

Untersuchungsinstrumente: Interview, Verhaltensbeobachtung, psychologische Testverfahren, Informationen von Schulen und Behörden

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Risikofaktoren in der Kauai-Studie• Psychopathologische Auffälligkeiten der Eltern

• Erkrankungen der Eltern

• Schlechte Erziehung und Ausbildung der Eltern

• Scheidung, Trennung, Tod der Eltern

• Chronische Familienkonflikte

• Abwesenheit des Vaters

• Arbeitslosigkeit des Vaters

• Wechsel des Wohnortes

• Chronische Armut

• Perinatale Komplikationen

• Verlängerte Trennungen von der primären Pflegeperson

• Ernsthafte und wiederholte Kinderkrankheiten

• Rasch nachfolgende Geburten jüngerer Geschwister

• Entwicklungsprobleme der Geschwister

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Schutzfaktoren in der Kauai-Studie

Umgebung

• emotionale Zuwendung Bindung

• positive Eltern-Kind-Beziehung Bindung

• Weitere Beziehungsperson (neben der Mutter)

• Freunde und Kameraden

• Geregelter, strukturierter Haushalt

• Zusammenhalt der Familie

• Hilfe und Rat bei Bedarf (Eltern, Lehrer)

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Was heißt Bindung?

Bindung bezeichnet das spezifische emotionale Band, das sich zwischen dem Kind und seinen Bindungsfiguren, insbesondere zwischen Kleinkindern und ihren primären Fürsorgepersonen entwickelt.

Dieses Gefühlsband zwischen Mutter und Kind / Vater und Kind ist jeweils einzigartig und von besonderer Qualität, es wird durch die Eltern-Kind-

Beziehung organisiert (John Bowlby, Mary Ainsworth)

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Was heißt Bindung?

Bindungsverhalten ist das angeborene Verhaltenssystem, dessen Aufgabe darin besteht, Nähe zur schützenden Bezugsperson zu erhalten (John Bowlby).

Dieser primäre Mechanismus ist verantwortlich für die Regulation von Sicherheit und dem Überleben des menschlichen Säuglings.

Das Bedürfnis nach Nähe zur schützenden Bezugsperson entsteht bei Gefahren, die entweder

• von außen kommen in Form von bedrohlichen Reizen der Umwelt oder Trennung von der Bindungsperson zeigen

oder kann

• sich in inneren unangenehmen Befindlichkeiten − wie Ängste, Krankheit oder Müdigkeit − äußern.

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Was heißt Bindung?

Das Bedürfnis nach Nähe bei Gefahren setzt gleich nach der Geburt ein und bleibt während des ganzen Lebens bestehen.

Die Bindung zeigt sich insbesondere im Suchen der Bezugsperson, im Weinen, Nachlaufen, Festklammern an derselben und durch Protest, Ärger, Verzweiflung

und Trauer sowie Enttäuschung und Resignation beim Verlassen werden.

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Was heißt Exploration?

Das Bindungsverhaltenssystem steht in Abhängigkeit zu anderen Verhaltenssystemen. John Bowlby (2008) benennt hierbei vor allem das

Explorationssystem.

Das Explorationssystem arbeitet komplementär zu dem Bindungsverhaltenssystem, das heißt, dass es nur aktiviert werden kann,

wenn das Bindungsverhalten deaktiviert ist.

Die Bindungsbedürfnisse des Kindes müssen also befriedigt sein, um das Neugierverhalten des Kindes zu aktivieren.

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Was heißt Exploration?

Das Neugier- bzw. Explorationsverhalten nimmt im Alter von ca. zwei Jahren deutlich zu, wobei sich das Kind wiederholt bei der Mutter durch

Blicke oder auch Körperkontakt rückversichert.

Das Explorationsverhalten des Kindes ist in Belastungssituationen gering und in Situationen, in denen sich das Kind sicher und wohl fühlt, ist es

hingegen erhöht.

Bindungsperson stellt die „sichere Basis“ für die Erkundungen dar (Ainsworth et al., 1978).

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Entwicklung der Bindung

Die Bindung an Bezugspersonen ist nicht von vornherein gegeben, sondern entwickelt sich über die alltäglichen Interaktionen im Laufe des

ersten Lebensjahres eines Kindes Schritt für Schritt.

Bis etwa zum 3. Lebensjahr entsteht eine stabile belastbare Bindung.

Wie entsteht eine sichere Bindung?(Lenz & Brockmann, 2013)

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Elterliches Fürsorgesystem

Komplementär zum Bindungsverhaltenssystem beim Kind sorgt ein Fürsorgesystem bei der Bindungsperson dafür, dass angemessen auf

die Bedürfnisse des Kindes eingegangen wird (Bretherton, 1992).

Der emotionale Austausch zwischen Kind und den Bindungsfiguren hat die Funktion, dem Kind ein Gefühl von Sicherheit und Vertrauen zu

vermitteln, wenn es unter emotionaler Belastung und Erschöpfung eigener Ressourcen auf die Unterstützung einer Bindungsperson

angewiesen ist (Grossmann et al., 1997).

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Innere Arbeitsmodelle („internal working models“)

Das Kind entwickelt über das Bindungsverhalten und die Reaktion der Bindungsfigur eine innere Repräsentation von Bindung.

Es baut innere Arbeitsmodelle, sog. „internal working models“ von sich selbst, ihren Bindungsfiguren und den Erwartungen ihnen gegenüber auf

(Bowlby, 2008).

Die wichtigste Funktion dieser „verinnerlichten mentalen Arbeitsmodelle“ ist die vorwegnehmende Simulation der Ereignisse aus der Umwelt.

Dieses Arbeitsmodell beeinflusst das eigene Interaktionsverhalten des Kindes = transgenerationale Weitergabe von Bindung

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Elterliches Fürsorgesystem

Welche Faktoren beeinflussen die Qualität der Interaktion zwischen Bindungsperson und Kind?

Worin besteht die Qualität des elterlichen Fürsorgesystems?

Komponenten des elterlichen Fürsorgesystems

• Feinfühligkeit

• Intuitive Elternkompetenz

• Mentalisierungsfähigkeit

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Merkmale von Feinfühligkeit

• Die Bindungsfigur bemerkt die Signale des Kindes, d. h. sie richtet ihre Aufmerksamkeit auf ihr Kind.

• Die Bindungsfigur interpretiert die Signale des Kindes richtig. Die Interpretation ist nicht von ihren eigenen Bedürfnissen, sondern von den Signalen des Kindes geleitet

• Die Bindungsfigur reagiert angemessen auf die Signale des Kindes. Das Kind erhält nicht mehr, aber auch nicht weniger Stimulation.

• Die Bindungsfigur reagiert prompt, d. h. zwischen dem Signal des Kindes und der Reaktion der Mutter vergeht nicht viel Zeit.

Weitere Merkmale

• die Akzeptanz des Kindes als eigenständige Person sowie

• die Fähigkeit, ihre Pläne auf die Bedürfnisse des Kindes abzustimmen (Grossmann et al., 2008).

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Intuitive Elternkompetenz

Damit sind die intuitiven kommunikativen Kompetenzen gemeint, sich in Mimik, Gestik und im Tonfall der Stimme auf das Kind einstellen (Papoušek

& Papoušek, 1994, 2001, 2008)

• Mimik (Augenbrauengruß, Bemühungen um Blickkontakt, Überraschung und Erstaunen, rhythmische Wiederholungen des mimischen Ausdrucks);

• Stimme (höhere Stimmlage, melodischer Singsang, anregende Stimmführung, um Aufmerksamkeit zu erlangen, abfallende Stimmführung, um zu beruhigen, Variation der Lautstärke abhängig vom kindlichen Verhaltenszustand);

• Gestik (Regulation von Nähe und Distanz, Zeigegesten auf einen Gegenstand um Aufmerksamkeit zu erlangen);

• Sprache (Verwendung von Baby- oder Ammensprache, Nachahmung von kindlicher Vokalisation, Verwendung von kurzen Sätzen, häufige Wiederholungen und Verniedlichungen).

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Mentalisierungsfähigkeit

Mentalisierungsfähigkeit : grundlegende Voraussetzung für Feinfühligkeit und intuitive kommunikative Kompetenzen der Eltern dar (Fonagy, 2008).

Mentalisierung = eine metakognitive und reflexive Fähigkeit

Die Mentalisierungsfähigkeit ermöglicht der Bindungsfigur, an die inneren affektiven Erfahrungen ihres Kindes zu denken, das Verhalten des Kindes

auf dessen Hintergrund nachzuvollziehen und zu verstehen

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Bindungsqualität

Bereits nach dem ersten Lebensjahr ist bei Kleinkindern schon eine große Variationsbreite unterschiedlicher Bindungsverhaltensweisen vorhanden.

Analyse der Bindungsqualität

• „Fremde-Situation-Test“ für Kleinkinder (Ainsworth et al., 1978)

• ab dem zweiten bis dritten Lebensjahr kann durch Geschichten-Ergänzungs-Verfahren die Bindungsrepräsentationen erhoben (Gloger-Tippelt & König, 2009)

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Bindung - Schutz und Risiko

• Sichere Bindungzentraler Schutzfaktor für die spätere Entwicklung dar. Ein sicherer „Hafen“ vermittelt Kinder Widerstandsfähigkeit gegenüber Belastungen und stärkt Selbstwirksamkeit und Selbstbewusstsein, schafft Voraussetzung für gute kognitive Entwicklung („Gipfelstürmer brauchen sicheres Basislager“)

• Unsichere Bindungen (unsicher-vermeidend, unsicher ambivalent)

Risikofaktor für kindliche Fehlentwicklungen und Entwicklungsgefährdung

• Unsicher-desorganisierte Bindung bedeutsamer Risikofaktor für die Entwicklung psychischer Störungen im Kindesalter. Empirische Befunde belegen, dass desorganisiert gebundene Kleinkinder, später signifikant häufiger klinisch relevante psychische Störungen zeigen als andere Kinder (Sroufe et al., 2005).

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Sicher gebunden - Schutzfaktor1. Bindungsperson ist sichere Basis für Erkundungen

– Kind ist nicht sonderlich gestresst, wenn BP geht

– Kind ist freundlich zu Fremden in Gegenwart der BP

– Kind lässt sich leicht trösten und kann dann wieder spielen

2. Bei Rückkehr der Bindungsperson aktive Kontaktsuche oder initiativ in der Interaktion

– Wenn Kind verzweifelt war

• Sofortige Kontaktaufnahme vom Kind, den Kontakt zu halten

• Körperkontakt beruhigt das Kind nachhaltig

− Wenn Kind nicht besonders beunruhigt war

• Aktives, zugewandtes Grüßen

• Freut sich , BP wiederzusehen

• Starke Initiative, eine Interaktion in Gang zu setzen

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Unsicher vermeidend - Risikofaktor

1. Unabhängiges Erkunden− Kind trennt sich leicht, um Spiel zu erkunden

− Kind zeigt wenig gefühlsgetragene Kommunikation in Gegenwart der BP

− Kind freundlich zu Fremden, auch in Anwesenheit der BP, oft sogar freundlicher

2. Bei Rückkehr der Bindungsperson aktive Vermeidung von Kontakt und Kommunikation

− Wegdrehen, wegschauen, wegbewegen, ignorieren

− Evt. vermischt mit Annäherung an BP und dann vorbei gehen

− Vermeidung ist stärker nach längerer Trennung

− Fremde werden nicht vermieden, oft sogar freundlicher im Spiel behandelt

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Unsicher ambivalent - Risikofaktor1. Geringe Neigung zu Erkunden

− Kind hat Schwierigkeit sich zu trennen

− Ängstlich zurückhaltend gegenüber neuen Sachen / Fremden

− Starke Verzweiflung bei der Trennung

2. Bei Rückkehr der Bindungsperson nur sehr langsam und schwer zu beruhigen

− Oft Vermischung von Kontakt wollen und sich gegen den Kontakt sträuben (strampeln, wegdrücken, wegwinden….)

− Weint weiter oder quengelt trotz Zuwendung durch BP

− Manchmal extrem passiv, hilflos verzweifelt

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Unsicher-desorganisierte Bindung

Unsicher-desorganisiert gebundene Kinder erfahren mit der Bindungsperson ängstigende Interaktionen.

Das Kind übernimmt Fürsorge und Verantwortung für die Bindungsperson oder verhält sich aggressiv, indem es z.B. Vater oder Mutter schlägt oder wie ein erwachsener Partner reagiert.

Im „Fremde Situation Test“ zeigt das Kind in Gegenwart der Eltern ein bizarres Verhalten: Das Kind ist durch die Trennung sichtlich desorientiert (Main & Solomon, 1990)

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Unsicher-desorganisierte Bindung

Hochunsicherer Bindung sind Warnzeichen von Entwicklungsgefährdung

• Belastungs- und Stressverhaltensweisen („Dünnhäutigkeit“)

• stark angespannt, körperlich inhibiert und/oder erstarrt, „eingefroren“

• ausdrucklos, leeren Gesichtsausdruck

• übermäßig wachsam (vigilant)

• passiv (wenig initiativ, apathisch, teilnahmslos)

• Auffällig wenig Signale von Missbehagen, Weinen (Verhalten wirkt entwicklungsinadäquat)

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Unsicher-desorganisierte Bindung

Familiärer und sozialer Hintergrund

• Vernachlässigung, Misshandlung, Missbrauch

• Beziehungsinkonstanz und/oder häufiger Wechsel in der Betreuung,

• Soziale Belastungen durch Armut, Arbeitslosigkeit und ungünstige Wohnsituation

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Unsicher-desorganisierte Bindung

Innerfamiliär• Wiederholte / langanhaltende Abwesenheit eines Elternteils (oder beider)

ohne ausreichende gute Ersatzbeziehungen

• Chronische familiäre Disharmonien, Tod eines Elternteils

• Nicht ausreichende emotionale Zuwendung

• Aufgrund psychischer Erkrankungen (Depressionen, Psychosen, Persönlichkeitsstörungen)

• Aufgrund Abhängigkeitserkrankungen (Alkohol, Drogen)

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Unsicher-desorganisierte Bindung

Einschränkungen in der Eltern-Kind-Interaktion bei psychisch erkrankten Müttern:

• Unter- oder Überstimulation des Kindes

• Unberechenbarkeit durch stark wechselndes Interaktionsverhalten(Deneke, 2008; Lenz, 2014)

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Interaktionsmodus Unterstimulation

Eltern-Kind-Interaktion

• Empathie und emotionale Verfügbarkeit sind reduziert

• Feinfühligkeit ist eingeschränkt, d.h. die Fähigkeit kindliche Signale wahrzunehmen, sie richtig zu interpretieren sowie prompt und angemessen darauf zu reagieren

• Blickkontakt, Lächeln, Sprechen, Imitieren, Streicheln und Interaktionsspiele sind reduziert

• Kinder werden als schwierig wahrgenommen

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InteraktionsmodusÜberstimulation

Die Eltern reagieren hierbei nicht auf die kindlichen Signale, ihr Verhalten wird vielmehr durch ihre eigenen Bedürfnisse gesteuert, und sie äußern sich den

Kindern gegenüber vermehrt negativ.

InteraktionsmodusUnberechenbarkeit

Stark wechselndes Interaktionsverhalten: Unterstimulation und Überstimulation

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Parentifizierung

Hochunsichere/desorganisierte Bindungsmuster gehen oftmals einher mit früher emotionaler Parentifizierung (Main, Kaplan und Cassidy ,1985).

= Einforderung von Liebe und Zuneigung des Kind durch die Eltern in unangemessener Weise.

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Parentifizierung

Parentifizierung = „subjektive Verzerrung der Beziehung“

Kinder werden zur primären Quelle von Unterstützung und Trost, werden

zu Vertrauten und Ratgebern ihrer Eltern (Boszormenyi-Nagy & Spark, 1981) .

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Parentifizierung

Umkehr der traditionellen Eltern-Kind-Rollen• Kinder werden dadurch zu Vertrauten und Ratgebern ihrer Eltern,

• zur primären Quelle von Unterstützung und Trost.

Für Kinder ist es jedoch unmöglich, einer solchen Rolle gerecht zu werden.

Sie alle opfern ihre persönlichen Bedürfnisse denen der Eltern, und zwar auf Kosten ihrer eigenen Entwicklung

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Parentifizierung

Spätere mögliche Ausformungen:• Kinder als Friedensstifter und Schiedsrichter in konfliktreichen

Partnerschaften

• Kinder, die die Verantwortung für die gesamte Haushaltsführung tragen

• Kinder, die alleine für die Versorgung und Pflege der jüngeren Geschwister zuständig sind

• Kinder, die nach der Trennung der Eltern gezwungen sind, schneller erwachsen zu werden und mit einem Elternteil, die Bitterkeit des Verlustes zu teilen

• Kinder, die als „Mamas Kavalier“ oder Papas Süße“, einen nicht verfügbaren Partner ersetzen sollen

• Kinder, die den Lebenstraum der Eltern realisieren sollen.

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Parentifizierung

Möglicherweise kann das betroffene Kind durch die mehr oder weniger bewusste Akzeptanz der Parentifizierung die notwendige körperliche und emotionale

Nähe und Verfügbarkeit zu den Eltern herstellen oder aufrechterhalten, die es sonst aufgrund der hohen eigenen Bedürftigkeit und Bindungsbesonderheiten

der Eltern nicht erhalten würde (Lieberman, Doyle & Markiewicz, 1999).

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Adaptive Formen der Parentifizierung

• solange die Parentifizierung die Entwicklungsmöglichkeiten des Kindes nicht einschränkt und

• Z.B. auf die Übernahme von Aufgaben durch das Kind eine Anerkennung durch die Eltern oder andere Familienangehörige folgt,

kann das parentifizierte Kind sogar gestärkt aus der Situation hervorgehen.

Adaptive Parentifizierung ist nach Graf und Frank (2001) gekennzeichnet durch die Berücksichtigung der kindlichen Bedürfnisse durch die Eltern, Unterstützung des Kindes in der Verrichtung seiner Aufgaben und die Anerkennung der kindlichen

Bemühungen.

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Destruktive Formen der Parentifizierung

• Bei entwicklungsunangemessener und übermäßiger Übernahme von Verantwortung und Fürsorge, sowohl in instrumenteller als auch in emotionaler Hinsicht (Jurkovic, 1997).

• wenn die Reziprozität und die Fairness des Gebens und Nehmens gestört ist und das Kind beginnt, seine Bedürfnisse denen der Eltern unterzuordnen und kindliche Bedürfnisse wie Spielen oder Kontakt zu Gleichaltrigen zu ignorieren (Boszormenyi-Nagy & Spark, 1981).

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Kontinuität und Veränderung von Bindungsqualität

• John Bowlby geht von einer relativen Stabilität der Bindung in der Kindheit aus. Danach beeinflusst das in der Eltern-Kind-Interaktion entstehende innere Arbeitsmodell der Bindung lebenslang alle weiteren zwischenmenschlichen Beziehungen und stellt eine Art Prototyp dar.

• Bindung hat einen dynamischen und flexiblen Entwicklungsverlauf: kritische Lebensereignisse oder die normativen Übergänge können die Beziehung zwischen Kind und Bindungsperson grundlegend ändern (Sroufe, 2005).

• John Bowlby und andere Bindungsforscher betonen: frühe, in den ersten zwei bis drei Lebensjahren geprägte Bindungsmuster können sich durch die gezielte Förderung der elterlichen Beziehungs- und Erziehungskompetenz wandeln.

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Maßnahmen und Angebote zur Förderung der Beziehungskompetenz

• Frühe Hilfen als niedrigschwelliges Angebot (z.B. Elternkurse und Informationen zur Entwicklung von Säuglingen und Kleinkindern für alle Eltern, die Betreuung durch Familienhebammen oder Willkommensbesuche anlässlich der Geburt eines Kindes)

• Gezielte bindungsbezogene Interventionen zur Förderung des elterlichen Fürsorgesystems (gezielte Frühinterventionsprogramme, Frühberatung)

• Stationäre Mutter-Kind-Einrichtungen

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Bindungsbezogene Interventionen

Elternkurs „Das Baby verstehen“

In dem Heidelberger Elternkurs „Das Baby verstehen“ (Gregor & Cierpka, 2005) begleiten z.B. speziell geschulte Hebammen und andere Experten Paare, die ein Kind erwarten, in diesem Zeitraum im Rahmen von Abendsitzungen bzw. in Wochenendblöcken.

In fünf Sitzungen geht es um die Themen:

• Ich sorge auch für mich selbst

• Wie können Partner zusammenarbeiten?

• Das Baby sendet Signale aus

• Warum weint unser Baby?

• Vertrauen in die eigenen Kompetenzen

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Bindungsbezogene Intervention

Elternkurs „Das Baby verstehen“

• In den Sitzungen 3 bis 5, zu denen die Babys mitgebracht werden, stehen Kommunikationssignale des Säuglings sowie einige exemplarische intuitive Verhaltensweisen von Eltern im Mittelpunkt.

Die Videoanalysen werden durch folgende Fragen geleitet:• Wie geht es wohl dem Baby gerade?

• Durch welche Signale äußert es seinen Zustand?

• Was will es uns mit seinem Verhalten mitteilen?

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Bindungsbezogene Intervention

Weitere Interventionsprogramme• SAFE „Sichere Ausbildung für Eltern“ (Brisch, 2010)

• STEEP (Steps toward effective and enjoyable parenting") (Erickson & Egeland, 2009)

• Entwicklungspsychologische Beratung EPB (Ziegenhain et al., 2006)

• Marte Meo – Methode zum Bindungsaufbau (Maria Aarts, o.J.)

• „Circle of Security“ – „Kreis der Sicherheit“ (Ramsauer, 2011)

Motto: Sehen – Verstehen – Handeln

Videosequenzen von Eltern-Kind-Interaktionen werden hinsichtlich positiver und negativer Sequenzen gemeinsam untersucht und daraus Ansätze zur Veränderung dysfunktionaler Interaktionsmuster erarbeitet

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Bindungsbezogene Intervention

Marte Meo (= „etwas aus eigener Kraft“ erreichen) (Maria Aarts)

Unterscheidet zwei Entwicklungsbereiche

• Freie Momente

• Leitungsmomente

Diese erfordern unterschiedliche Elternfähigkeiten

• Folgen der Initiative des Kindes

• Positiv Leiten

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Bindungsbezogene InterventionMarte Meo

für eine gelungene Entwicklung braucht das Kind

• Menschendie den Handlungen, Ideen des Kindes folgen, sie wahrnehmen und Worte dazu geben; Menschen, die dem Kind das Gefühl vermitteln verstanden zu werden

• Menschendie dem Kind ihre Handlungen und Verhaltensweisen erklären und ihm Anleitung geben, damit es weiß, was es in sozialen Situationen tun kann;

Menschen, die ihm helfen, die Welt zu verstehen

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Bindungsbezogene Intervention

Was brauchen Kinder, um eine sichere Bindung aufbauen zu können?

• Kinder brauchen Nähe, Zuwendung und Körperkontakt.

• Kinder brauchen Blickkontakt (schon ab 8 bis 12 Wochen sind Kinder Lage, ein Lächeln zu erwidern).

• Kinder brauchen Erfahrung, dass sie etwas bewirken können, dass sie eine aufmerksame Reaktion bei Mutter und Vater hervorrufen können (den

Signalen des Kindes ein Echo geben).

• Kinder brauchen altersangemessene und farbig ansprechende Spielmaterialien (um sich beschäftigen und erproben zu können)

• Wichtig ist es, dass Eltern mit dem Kind von Geburt an zu sprechen

• Kinder brauchen die Erfahrung, dass Eltern das Ziel vorgeben sowie die Erfahrung, dass sie vorgeben und die Eltern folgen (Führen und Folgen)

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Bindungsbezogene Intervention

Kinder brauchen Sicherheit und Rückhalt durch Lob und Anerkennung

• Positives und uneingeschränktes Lob (kein ja….aber).

• Richtiges Zuhören (Hinter den Worten des Kindes verbergen sich oft Gefühle,

Wünsche und Empfindungen, die unausgesprochen bleiben).

• Einfühlsame Sätze der Eltern bewirken oftmals richtiggehende Wunder (ich

hab dich lieb…ich stolz auf dich….)

Durch Lob, Anerkennung und Wertschätzung wird das seelische Wachstum und das Selbstbewusstsein des Kindes gefördert.

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Beeinflussende Faktoren für Bindungssicherheit

• Qualität der elterlichen Fürsorge (Feinfühligkeit, intuitive Kommunikationskompetenzen, Mentalisierungsfähigkeit; bei hochunsicher/desorganisierter Bindung: ein Mangel)

• Biografie und Persönlichkeit der Eltern (bei hochunsicher/desorganisierter Bindung:psychische Erkrankung, Sucht, chronische Erkrankung, traumatische Erfahrungen, eigene hochunsichere Bindungserfahrungen)

• Persönlichkeit des Kindes (Irritierbarkeit, Ängstlichkeit, schwieriges Temperament, Regulationsstörungen, Entwicklungsverzögerung)

• Familiärer Kontext (bei hochunsicher/desorganisierter Bindung: partnerschaftliche Disharmonien, Gewalt, Misshandlung, Missbrauch, Vernachlässigung, finanzielle Schwierigkeiten, Armut)

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Komplexität der Problemlagen

Um diesen komplexen Problemlagen effektiv begegnen zu können, müssen

Hilfen • sowohl auf der Ebene des Kindes

• als auch auf der Ebene der Eltern

• und auf der Ebene der familiären Interaktionen

ansetzen.

Dazu bedarf einer koordinierten und kooperierenden Zusammenarbeit unterschiedlicher Professionen und Institutionen aus dem Bereich der

Jugendhilfe und des Gesundheitswesens

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Kooperation - eine Voraussetzung für wirksame Hilfeleistungen

Kooperation ist eine voraussetzungsvolle Handlungsstrategie (van Santen & Seckinger, 2005).

Erfordert Kenntnisse • über Aufgaben und Aufträge, über Angebotsprofil, Zuständigkeiten,

Handlungsmöglichkeiten

• über interne Organisations- und Ablaufstrukturen

• über die Handlungslogiken, Denkmustern und beruflichen Sozialisationen der Akteure

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Was ist Kooperation?

Kooperation ist ein kommunikativer Verständigungs- und Abstimmungsprozess zwischen mindestens zwei Parteien in einen

Kontext professioneller Dienstleistung(Schweitzer, 1998)

Kooperation ein Wirkfaktor für erfolgreiche psychosoziale Arbeit

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Voraussetzungen für den Aufbau einer funktionalen interinstitutionellen Kooperation

Zentrale Grundbedingung für gelingende Kooperation:

den Anderen/dem Anderen eine gute Absicht unterstellen (Niklas Luhmann)

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Albert Lenz & Eva Brockmann (2013)

Kinder psychisch kranker

Eltern stärken

Informationen für Eltern, Erzieher

und Lehrer

Göttingen: Hogrefe Verlag

Literaturhinweis

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Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!