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Essay Biobasiertes Glycerin – ein neuer Rohstoff für die chemische Industrie? Guido Andreas Reinhardt*, Detlev Paulsch und Heiko Keller DOI: 10.1002/cite.201200049 Als Nebenprodukt der Biodieselherstellung anfallendes Glycerin ist ein Rohstoff biologischen Ursprungs, der nicht die Nachteile fossiler Ressourcen hat und auch nicht als Nahrungsmittel verwendet werden kann. Ob eine Verwendung in der chemischen Industrie Umweltvorteile mit sich bringt, wurde in einer Ökobilanz untersucht. Die Ökobilanz von Nutzungs- optionen für Glycerin aus der Biodieselproduktion zeigt die konventionelle stoffliche Nutzung ohne Umsetzung als ökolo- gisch günstigste Variante. Allerdings ist absehbar, dass bei steigender Biodieselproduktion nicht alles Glycerin derart genutzt werden kann. Innovative biotechnologische Umsetzungen von Glycerin zu n-Butanol oder 1,3-Propandiol wie auch energetische Nutzungen können in diesem Fall ökologische Vorteile aufweisen, wenn insbesondere die Energie- und Ressourceneffizienz weiter optimiert werden. Schlagwörter: Biodiesel, Biomasse, Biotechnologie, Glycerin, Ökobilanzen Eingegangen: 18. April 2012; revidiert: 18. Oktober 2012; akzeptiert: 06. November 2012 Biobased Glycerol – a New Feedstock for Chemical Industry? Glycerol that originates as a by-product from the production of biodiesel is a bio-based feedstock, which neither has the dis- advantages of fossil resources nor can be used as food. It was studied in a life cycle assessment whether a use in the chemi- cal industry leads to environmental advantages. The life cycle assessment of options of use of glycerol from the biodiesel production shows that a conventional material use without conversion is the environmentally most advantageous option. However, it is to be expected that not all glycerol can be used this way if the biodiesel production increases. In this case, innovative biotechnological conversions of glycerol to n-butanol or 1,3-propanediol as well as the use for energy production can be environmentally advantageous if especially the energy and resource efficiencies are further optimized. Keywords: Biodiesel, Biomass, Biotechnology, Eco-balance, Glycerol 1 Problemstellung Erdöl und Erdgas stellen die bei weitem wichtigsten Kohlen- stoffquellen der chemischen Industrie dar. Dies verursacht neben wirtschaftlichen und politischen Abhängigkeiten von zunehmend knapperen fossilen Ressourcen auch Umwelt- probleme. Eine besondere Bedeutung in Bezug auf fossile Kohlenstoffquellen haben die Emissionen von Kohlendioxid während des gesamten Lebensweges eines Chemieproduk- tes von der Erdöl- oder Erdgasförderung über die Herstel- lung und Nutzung des Produktes bis zu seiner Entsorgung, da diese Emissionen zur Klimaerwärmung beitragen. Doch auch die Nutzung von Biomasse als regenerative Kohlen- stoffquelle hat Auswirkungen auf die Umwelt und kann sozioökonomische Probleme verursachen. Diese sind in letzter Zeit verstärkt unter dem Stichwort „Tank oder Teller“ für Biokraftstoffe diskutiert worden, deren Rohstoffe auch als Nahrungsmittel eingesetzt werden können (Biokraftstof- fe erster Generation). Daher muss die Herkunft der Bio- masse genau betrachtet werden, wenn sie in großem Maß- stab als Rohstoff in der chemischen Industrie eingesetzt werden soll, damit ökologische, ökonomische und soziale Vorteile erzielt werden können. Alternativ können auch Reststoffe biologischen Ursprungs als Rohstoff eingesetzt werden. So entsteht in der Biodiesel- herstellung aus Pflanzenölen als Nebenprodukt der Chemie Ingenieur Technik Chemie Ingenieur Technik 2013, 85, No. 3, 313–317 © 2013 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim www.cit-journal.com Dr. Guido Andreas Reinhardt ([email protected]), Dr. Detlev Paulsch, Dr. Heiko Keller, IFEU Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg GmbH, Wilckensstraße 3, 69120 Heidelberg, Deutschland. Glycerin 313

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Page 1: Biobasiertes Glycerin - ein neuer Rohstoff für die chemische Industrie?

Essay

Biobasiertes Glycerin – ein neuer Rohstoff für diechemische Industrie?Guido Andreas Reinhardt*, Detlev Paulsch und Heiko Keller

DOI: 10.1002/cite.201200049

Als Nebenprodukt der Biodieselherstellung anfallendes Glycerin ist ein Rohstoff biologischen Ursprungs, der nicht die

Nachteile fossiler Ressourcen hat und auch nicht als Nahrungsmittel verwendet werden kann. Ob eine Verwendung in der

chemischen Industrie Umweltvorteile mit sich bringt, wurde in einer Ökobilanz untersucht. Die Ökobilanz von Nutzungs-

optionen für Glycerin aus der Biodieselproduktion zeigt die konventionelle stoffliche Nutzung ohne Umsetzung als ökolo-

gisch günstigste Variante. Allerdings ist absehbar, dass bei steigender Biodieselproduktion nicht alles Glycerin derart

genutzt werden kann. Innovative biotechnologische Umsetzungen von Glycerin zu n-Butanol oder 1,3-Propandiol wie

auch energetische Nutzungen können in diesem Fall ökologische Vorteile aufweisen, wenn insbesondere die Energie- und

Ressourceneffizienz weiter optimiert werden.

Schlagwörter: Biodiesel, Biomasse, Biotechnologie, Glycerin, Ökobilanzen

Eingegangen: 18. April 2012; revidiert: 18. Oktober 2012; akzeptiert: 06. November 2012

Biobased Glycerol – a New Feedstock for Chemical Industry?

Glycerol that originates as a by-product from the production of biodiesel is a bio-based feedstock, which neither has the dis-

advantages of fossil resources nor can be used as food. It was studied in a life cycle assessment whether a use in the chemi-

cal industry leads to environmental advantages. The life cycle assessment of options of use of glycerol from the biodiesel

production shows that a conventional material use without conversion is the environmentally most advantageous option.

However, it is to be expected that not all glycerol can be used this way if the biodiesel production increases. In this case,

innovative biotechnological conversions of glycerol to n-butanol or 1,3-propanediol as well as the use for energy production

can be environmentally advantageous if especially the energy and resource efficiencies are further optimized.

Keywords: Biodiesel, Biomass, Biotechnology, Eco-balance, Glycerol

1 Problemstellung

Erdöl und Erdgas stellen die bei weitem wichtigsten Kohlen-stoffquellen der chemischen Industrie dar. Dies verursachtneben wirtschaftlichen und politischen Abhängigkeiten vonzunehmend knapperen fossilen Ressourcen auch Umwelt-probleme. Eine besondere Bedeutung in Bezug auf fossileKohlenstoffquellen haben die Emissionen von Kohlendioxidwährend des gesamten Lebensweges eines Chemieproduk-tes von der Erdöl- oder Erdgasförderung über die Herstel-

lung und Nutzung des Produktes bis zu seiner Entsorgung,da diese Emissionen zur Klimaerwärmung beitragen. Dochauch die Nutzung von Biomasse als regenerative Kohlen-stoffquelle hat Auswirkungen auf die Umwelt und kannsozioökonomische Probleme verursachen. Diese sind inletzter Zeit verstärkt unter dem Stichwort „Tank oder Teller“für Biokraftstoffe diskutiert worden, deren Rohstoffe auchals Nahrungsmittel eingesetzt werden können (Biokraftstof-fe erster Generation). Daher muss die Herkunft der Bio-masse genau betrachtet werden, wenn sie in großem Maß-stab als Rohstoff in der chemischen Industrie eingesetztwerden soll, damit ökologische, ökonomische und sozialeVorteile erzielt werden können.

Alternativ können auch Reststoffe biologischen Ursprungsals Rohstoff eingesetzt werden. So entsteht in der Biodiesel-herstellung aus Pflanzenölen als Nebenprodukt der

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Chemie Ingenieur Technik 2013, 85, No. 3, 313–317 © 2013 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim www.cit-journal.com

–Dr. Guido Andreas Reinhardt ([email protected]), Dr. DetlevPaulsch, Dr. Heiko Keller, IFEU – Institut für Energie- undUmweltforschung Heidelberg GmbH, Wilckensstraße 3, 69120Heidelberg, Deutschland.

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Umesterung zu Fettsäuremethylestern (dem Biodiesel) Gly-cerin. Bei einer Produktionsmenge von knapp 10 Mio. t Bio-diesel im Jahr 2010 in der EU war dies ungefähr 1 Mio. tGlycerin [1]. Je nach der weiteren Entwicklung dieses Mark-tes kann diese Menge auch noch erheblich steigen. Einezunehmende Sättigung des Bedarfes an Glycerin als In-haltsstoff chemischer, pharmazeutischer oder kosmetischerProdukte führte zu der Erkundung alternativer Nutzungs-möglichkeiten. So wurde z. B. in Thailand kürzlich eineAnlage zur Produktion von Epichlorhydrin aus Glycerin inBetrieb genommen, die quasi den umgekehrten Prozess derbisherigen chemischen Glycerinsynthese nutzt, um ein Vor-läufermolekül für Epoxidharze herzustellen [2, 3]. WeitereMöglichkeiten bietet die biotechnologische Umsetzung vonGlycerin zu Ethanol, n-Butanol und 1,3-Propandiol (PDO)(s. Gln. (1) – (3)) sowie die Fermentation von Glycerin zuBiogas. Diese Nutzungsoptionen wurden im Rahmen desmultinationalen EU-geförderten Projektes „Sustainable andintegrated production of liquid biofuels, bioenergy andgreen chemicals from glycerol in biorefineries (Glyfinery)“untersucht. Aufbauend auf experimentellen Daten imLabor- oder Technikumsmaßstab wurden die zu erwarten-den Auswirkungen einer möglichen Produktion im indus-triellen Maßstab auf die Umwelt mithilfe einer umfassen-den Ökobilanz betrachtet. Die Hauptfragestellung dieserÖkobilanzstudie war, wie Glycerin aus der Biodieselproduk-tion unter Umweltgesichtspunkten am besten eingesetztwerden kann. Darüber hinaus wurden wichtige Optimie-rungsparameter identifiziert und deren Einfluss auf dieErgebnisse untersucht.

Biotechnologische Umsetzungen von Glycerinzu Ethanol:

2 CH2OH-CHOH-CH2OH→ 2 CH3-CH2OH + 2 CO2 + 4 [H] (1)

zu n-Butanol:

2 CH2OH-CHOH-CH2OH→ CH3-CH2-CH2-CH2OH + 2 CO2 + H2O + 4 [H] (2)

zu 1,3-Propandiol:

CH2OH-CHOH-CH2OH + 2 [H]→ CH2OH-CH2-CH2OH + H2O (3)

[H]: in Form biochemischer Reduktionsäquivalente überCoenzyme.

2 Methodik

2.1 Vorgehensweise

Die Untersuchung der ökologischen Auswirkungen bio-basierter Produkte mittels Lebenszyklusanalysen wurde inAnlehnung an die Vorgehensweise bei Produkt-Ökobilan-

zen nach ISO 14040 und 14044 [4] durchgeführt. Aufgrundder Art des Erkenntnisinteresses wurden übersichtsartigeBilanzen angefertigt, die sich sehr eng an die Vorgehens-weise zur Erstellung von Produkt-Ökobilanzen nach deninternationalen Normen anlehnen, im strengen Sinn aberkeine solche darstellen. Sie wurden beispielsweise keiner inden Normen vorgeschriebenen externen Begutachtungunterzogen, sind aber dennoch aufgrund der engen Orien-tierung an den Normen belastbar. Die von den beiden o. g.internationalen Normen beschriebenen Grundsätze undRahmenbedingungen für die Durchführung von Ökobilanz-studien umfassen vier Phasen: (1) die Festlegung des Zielsund Untersuchungsrahmens, (2) die Sachbilanz, (3) dieWirkungsabschätzung und (4) die Auswertung.

Für die Erstellung einer Sachbilanz werden sämtlicheInput- und Output-Stoffströme (Roh- und Werkstoffe, Ener-gie sowie Abfälle, Emissionen etc.) des betrachteten Pro-duktsystems entlang des gesamten Lebensweges („Wiegebis zur Bahre“, von der Rohstoffförderung bis zur Entsor-gung) betrachtet. Da die Entsorgung mitbetrachtet wird,stellt nicht das Produkt den Output dar, sondern die Emis-sionen, die bei seiner Entsorgung, zumeist durch Verbren-nung, entstehen. Der komplette Lebensweg umfasst einReferenzsystem, das die betrachteten oder äquivalente Pro-dukte derzeit bereitstellt und durch den neuen Produktions-weg ersetzt werden wird. In diesem Beispiel wird ein petro-chemisches Produkt durch eine biobasierte Chemikalieersetzt. Die dadurch vermiedenen Umweltwirkungen wer-den dem biobasierten Produkt gutgeschrieben. Aus denEmissionen und dem Ressourcenverbrauch werden diedamit verbundenen Umweltwirkungen, z. B. Treibhaus-effekt, Verknappung von fossilen Energieträgern oder Ver-sauerung, abgeleitet.

Somit liefern Übersichtsökobilanzen umfassende Infor-mationen über die ökologischen Wirkungen einzelner Pro-duktionsschritte wie auch des gesamten Lebenswegs. Diewesentlichen ökologischen Zusammenhänge der innova-tiven stofflichen Nutzung von Glycerin können aufgezeigtund bewertet sowie Optimierungspotenziale identifiziertwerden.

2.2 Festlegungen

Das betrachtete System ist die Glycerinverarbeitung inihren verschiedenen Varianten (Abb. 1). Da die Frage-stellung sich auf die beste Verwendung des biobasiertenGlycerins konzentriert, wird die für alle verglichenen Ver-wendungsarten identische Biodieselherstellung hier nichtaufgeführt. Die hier untersuchten Lebenswege beginnenmit dem 80 %igen Rohglycerin, wie es die Biodieselanlageverlässt, und schließen nach obigen Definitionen sämtlicheNebenprodukte und Referenzsysteme ein. Den geogra-fischen Rahmen stellt die EU 27 dar. Sämtliche Prozessewerden bezogen auf die funktionelle Einheit von einerTonne reinem Glycerin bilanziert. Alle Nebenprodukte wer-

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den derart berücksichtigt, dass ihr gesamter Lebensweg biszur Entsorgung inklusive ersetzter Referenzprodukte mit indie Untersuchung einbezogen wird. Die Infrastruktur wieGebäude oder Produktionsanlagen, die zur Verarbeitungvon Glycerin nötig sind, werden nicht ausgewiesen, da frü-here Untersuchungen gezeigt haben, dass sich über denAbschreibungszeitraum verteilt vernachlässigbar geringeUmweltwirkungen ergeben.

In der Lebenszyklusanalyse werden die ökologischenAuswirkungen der unterschiedlichen Nutzungswege vonGlycerin in verschiedenen Umweltwir-kungskategorien untersucht. Dies sindEnergieverbrauch, Klimawandel, Ver-sauerung, Eutrophierung, Sommersmogund Ozonabbau. Daten zu den auf Glyce-rin basierenden Produktionsprozessenvon Chemikalien, Biotreibstoffen undBioenergie wurden auf einen ausgereif-ten Stand der Technologie im Jahr 2020extrapoliert. Daten von Prozessen, diesich noch im Labormaßstab befinden,wurden aus der IFEU-internen Daten-bank [5] oder nach Literaturrecherche ge-schätzt. Daten über Äquivalenzprodukteund deren Produktionsketten wurdenaus Datenbanken abgeleitet [5 – 7].

3 Ergebnisse

Die Herstellung von Chemikalien ausGlycerin benötigt verschiedene Aufwen-dungen. Außerdem ersetzen die Produkte

und Nebenprodukte des Herstellungspro-zesses verschiedene konventionelle Gü-ter, deren vermiedene Produktion derbilanzierten Prozesskette gutgeschriebenwird. In Abb. 2 sind die Auswirkungendieser Aufwendungen und Gutschriftenauf den Klimawandel in Form von Kli-magasbilanzen dargestellt. Die größtenAufwendungen werden mit 0,2 – 0,7 tCO2-Äquivalenten pro t Glycerin durchden Energieverbrauch bei der Aufreini-gung der Produkte verursacht, aber auchdie anderen Prozessschritte spielen inder Summe eine wichtige Rolle. Ledig-lich die Transporte des gesamten Glyce-rins und aller Produkte – selbst übereinige hundert Kilometer – fallen kaumins Gewicht. Die dominierenden Gut-schriften entstehen dadurch, dass dieHauptprodukte Ethanol, n-Butanol undPDO gleiche Chemikalien aus konventio-neller Produktion ersetzen. Diese Gut-schriften sind dann am größten (bis zu

1,4 t CO2-Äquivalente pro t Glycerin), wenn Chemikalienpetrochemischen Ursprungs ersetzt werden. Wird PDO ausMaisstärke ersetzt oder wird Ethanol als Kraftstoff anstellevon Benzin eingesetzt, dann folgen daraus geringere Um-weltentlastungen.

Die dargestellten Ergebnisse beschränken sich auf dieUmweltwirkungskategorie Klimawandel, da die Betrach-tung einer Verknappung fossiler Energieträger sehr ähn-liche Ergebnisse zeigt. Weitere, durch Emissionen von an-deren Schadstoffen verursachte Umweltwirkungen, werden

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Chemie Ingenieur Technik 2013, 85, No. 3, 313–317 © 2013 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim www.cit-journal.com

Abbildung 1. Lebensweg der Glycerinverarbeitung mit alternativen Nutzungsoptionen.

Abbildung 2. Gutschriften und Aufwendungen der Glycerinverarbeitung zu PDO, Butanolund Ethanol. Umweltwirkungskategorie Klimawandel, typisches Szenario.

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durch die verschiedenen Verwendungsmöglichkeiten vonGlycerin im allgemeinen weniger stark beeinflusst, wennman sie zu den in der EU erfolgenden Gesamtemissionenins Verhältnis setzt. Daher wird hier auf ihre Darstellungverzichtet. Die vollständigen Ergebnisse finden sich im End-bericht des oben genannten Projektes [8].

Die resultierenden Einsparungen oder zusätzlichen Emis-sionen von Treibhausgasen sind in Abb. 3 dargestellt. Hierwird die Produktion von Chemikalien aus biobasiertem Gly-cerin mit konventionellen Nutzungsoptionen und mit derenergetischen Nutzung über die Produktion von Biogas ver-glichen. Zunächst ist festzustellen, dass sämtliche Ergeb-nisse der innovativen Nutzungsmöglichkeiten mit relativhohen Unsicherheiten behaftet sind. Die angegebenenBandbreiten stellen Abschätzungen der besten und schlech-testen Implementierungen im Jahr 2020 dar. Trotzdem istschon jetzt absehbar, dass die konventionelle direkte stoff-liche Nutzung von Glycerin ohne Umsetzung weiterhin diegeringsten Treibhausgasemissionen verursachen wird.

Je weiter die Biodieselproduktion und somit das Glycerin-angebot wächst, desto niederwertigere und einfachere Che-mikalien werden durch das Glycerin im Szenario direktestoffliche Nutzung funktionell ersetzt. Damit sinken dieGutschriften und abhängig vom Angebot könnte dieserMarkt weitgehend gesättigt werden. In diesem Fall stellendie Produktion von PDO oder Butanol mit NebenproduktPDO sowie die energetischen Nutzungsformen über Direkt-verbrennung oder Biogasfermentation aus Klimasicht an-nähernd gleichwertige Nutzungsoptionen dar. Gegenüberder direkten stofflichen Nutzung entstehen dabei im typi-schen Fall zusätzliche Klimagase in Höhe von 1,2 – 1,5 tCO2-Äquivalenten pro t Glycerin. Die optimale Implemen-tierung der Technologien ist bei diesen Verfahren daherstärker ergebnisbestimmend als die Wahl der Nutzungs-variante. Lediglich für die Produktion von PDO sind unteroptimalen Bedingungen klare Vorteile zu erwarten, die Her-stellung von Ethanol zeigt sich dagegen als unvorteilhaft.

Durch Biogasproduktion lassen sich gegenüber der direktenstofflichen Nutzung nur dann Vorteile erzielen, wennSynergien über die Cofermentation, also eine Vergärungeines Gemisches von Glycerin und anderen Substraten, rea-lisiert werden können.

Eine weitergehende Analyse der Optimierungspotenzialeergab, dass je nach Szenario und Erfolg der Prozessskalie-rung zum Industriemaßstab vor allem drei vielversprechen-de Möglichkeiten zur Verbesserung der Umweltwirkungenbestehen: Die Verbesserung der Prozessausbeuten, eineReduzierung des Energieaufwandes zur Aufreinigung derProdukte und eine optimierte Energiebereitstellung. Letzte-res Optimierungsszenario beinhaltet die Ersetzung von her-kömmlichen Anlagen zur Wärmebereitstellung und desBezugs von Strom aus öffentlichen Netzen durch Erdgas-befeuerte Anlagen mit Kraft-Wärme-Kopplung. Da der Wär-mebedarf der analysierten Prozesse im Verhältnis zumStrombedarf sehr groß ist, kann überschüssiger Strom indas Netz eingespeist werden.

4 Bedeutung der Ergebnisse für die Praxis

Es ist aus ökologischer Sicht im Großen und Ganzen ambesten, Glycerin aus der Biodieselproduktion nach einerAufreinigung aber ohne Umsetzung als Inhaltsstoff in che-mischen, pharmazeutischen oder kosmetischen Produkteneinzusetzen. Gegenüber dieser konventionellen direktenstofflichen Nutzung von Glycerin zeigen die hier untersuch-ten innovativen Nutzungsmöglichkeiten durch biotechno-logische Umsetzung überwiegend ökologische Nachteile.Die Alternativen einer direkten energetischen Nutzung wiedie Direktverbrennung von Glycerin oder eine Biogaspro-duktion aus Glycerin sind ebenfalls ökologisch ungünstiger.Neben der Weiterentwicklung der biotechnologischen Ver-fahren sollte auch nach weiteren Möglichkeiten für den di-rekten Einsatz von biobasiertem Glycerin gesucht werden,

da die Umweltbilanz bei einer direk-ten Verwendung tendenziell günsti-ger ausfällt als bei der Umsetzungvon Glycerin in andere Verbindun-gen, welche zum Teil mit beträchtli-chen Substanzverlusten und Energie-aufwendungen einhergeht. In demMaße wie aber eine direkte stofflicheNutzung aufgrund beschränkter Po-tenziale nicht mehr realisiert werdenkann, können einige der innovativenNutzungsmöglichkeiten wie aucheine direkte energetische Nutzungeine größere Rolle spielen. Aus Um-weltsicht gibt es hierbei aber keineneindeutigen Gewinner. Beispielswei-se ist eine Umwandlung von Glyce-rin in 1,3-Propandiol oder n-Butanolvielversprechend. Es ist allerdings ab-

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Abbildung 3. Gesamtvergleich der Umweltwirkungen konventioneller Szenarien und dembesten Szenario jedes innovativen Glycerinverarbeitungspfades. Balken zeigen Ergebnisse destypischen Szenarios. Dünne Linien stellen Ergebnisse für worst case und best case Unter-szenarien (d. h. Bandbreite) dar. Konv.: Konventionelle Nutzungsmöglichkeiten, KWK: Kraft-Wärme-Kopplung, PDO: 1,3-Propandiol.

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sehbar, dass die Herstellung von Ethanol unvorteilhaft ist.Alle Verfahren haben jeweils unterschiedliche ökologischePotenziale. Diese gilt es im Einzelnen durch eine gezielteOptimierung zu erschließen. Dabei ist vor allem die Ener-gie- und Ressourceneffizienz der Prozesse ergebnisbestim-mend.

Abkürzungen

CO2-Äquiv. CO2-Äquivalente. Standardeinheit, um Treib-hausgasemissionen zusammen zu fassen.

KWK Kraft-Wärme-KopplungPDO 1,3-Propandiol

Literatur

[1] Statistics – The EU biodiesel industry, European Biodiesel Board,Brüssel 2012. www.ebb-eu.org/stats.php (23.02.2012)

[2] E. Voegele, Thai biochemical plant converts glycerin into epichloro-hydrin, Biodiesel Magazine, 2012. www.biodieselmagazine.com/articles/8391/thai-biochemical-plant-converts-glycerin-into-epichlorohydrin (20.03.2012)

[3] B. M. Bell et al., Clean Soil Air Water 2008, 36 (8), 657 – 661.DOI: 10.1002/clen.200800067

[4] a) ISO 14040:2006, Environmental management – Life cycleassessment – Principles and framework, Beuth Verlag, Berlin2006; b) ISO 14044:2006, Environmental management – Lifecycle assessment – Requirements and guidelines, Beuth Verlag,Berlin 2006.

[5] Internal IFEU Database, Institut für Energie- und Umweltfor-schung Heidelberg, Heidelberg 2011.

[6] R. Frischknecht et al., ecoinvent Data v2.2, Ökoinventare fürEnergiesysteme, ESU-services, Uster 2010.

[7] U. Fritsche et al., Global Emission Model for Integrated Systems(GEMIS), Version 4.6, Öko-Institut e.V., Darmstadt 2010.

[8] G. Reinhardt et al., Environmental Assessment – Final Report,GLYFINERY project, IFEU Heidelberg 2012.

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... Fortbildung Ausbildung zum Brandschutzbeauftragten (AB200)10.-19.9.2013Lagerung gefährlicher Stoffe und Güter (AL455) 16.-17.4.2013, 13.-14.11.2013Aktuelles für Sicherheitsbeauftragte (AS102) 15.11.2013 Aktuelle Entwicklungen im Arbeitsschutz (AS560) 11.-12.11.2013, 4.-5.12.2013Fachkunde für die Erstellung von EG-Sicherheitsdaten- blättern (AU454) 2.-4.7.2013, 3.-5.12.2013 Übungen zur Erstellung von EG-Sicherheitsdaten- blättern (AU455) 5.7.2013, 6.12.2013 Qualitätssicherung im analytischen Labor (QL333) 23.4.2013, 17.9.2013 Akkreditierung und Qualitätsmanagement von Prüf- und Kalibrierlaboratorien nach DIN EN ISO/IEC 17025 (QZ330) 13.-14.3.2013, 18.-19.9.2013

ICP-Emissionsspektrometrie in Theorie und Praxis (UC351) 21.-22.11.2013 Aufschlusstechniken für die anorganische Element- analytik (UC352) 9.-10.7.2013 ICP-Massenspektrometrie in Theorie und Praxis (UC353)11.-12.7.2013

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