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Biografie Michael EMIG - Magdeburg Seite 1 von 16 Seiten 1. Gespräch Beteiligte: 2. Gespräch Beteiligte: 3. Gespräch Beteiligte: 4. Gespräch Beteiligte: 5. Gespräch Beteiligte: 6. Gespräch Beteiligte Biografische Daten von / über Michael Emig Gesprächsprotokolle am 24.01.2008 in Magdeburg Michael Emig, Gundolf Algermissen am 25.02.2008 in Magdeburg, Michael Emig, Gundolf Algermissen am 05.03.2008 in Magdeburg Michael Emig, Gundolf Algermissen am 15.04.1008 in Magdeburg Michael Emig, Gundolf Algermissen am 23.04.2008 in Magdeburg Michael Emig, Gundolf Algermissen am 22.05.2008 in Magdeburg Michael Emig, Gundolf Algermissen

Biografische Daten von / über Michael Emig · Biografie Michael EMIG - Magdeburg Seite 3 von 16 Seiten Das Studium Erinnerung Abschluss mit Diplom 1969 habe ich geheiratet, wir haben

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Biografie Michael EMIG - Magdeburg Seite 1 von 16 Seiten

1. Gespräch Beteiligte:

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6. Gespräch

Beteiligte

Biografische Daten von / über Michael Emig Gesprächsprotokolle

am 24.01.2008 in Magdeburg Michael Emig, Gundolf Algermissen am 25.02.2008 in Magdeburg, Michael Emig, Gundolf Algermissen am 05.03.2008 in Magdeburg Michael Emig, Gundolf Algermissen am 15.04.1008 in Magdeburg Michael Emig, Gundolf Algermissen am 23.04.2008 in Magdeburg Michael Emig, Gundolf Algermissen am 22.05.2008 in Magdeburg Michael Emig, Gundolf Algermissen

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Persönliches

Erinnerung

Militärdienst Erinnerung

Ausbildung

Lithograph in Leipzig

Geboren wurde ich am 23. September 1948 in Leipzig. Mein Vater war als Monteur viel auf Reisen, meine Mutter hatte Einzelhandelskauffrau gelernt, später war sie bei der Post, sie starb bereits 1989 mit 66 Jahren. Ich habe noch einen Bruder. Er ist Regisseur und Schauspieler und leitet eine anerkannte Schauspielschule in Berlin. Ab 1955 ging ich zur Schule, 1967 Abschluss mit dem Abitur. 1967 fand ich für etwa drei Monate eine Beschäftigung als Hilfskraft im Malsaal eines Theaters. Im Rahmen meines Abiturs wurde ich im Fach Staatsbürger-kunde mündlich geprüft, das Thema lautete „Freiheit ist die Einsicht der Notwendigkeit“. Das passte, denn zur gleichen Zeit hatte ich eine Freundin aus dem Westen kennengelernt, es war die Cousine eines Schulfreunds. Das war natürlich alles zum Scheitern verurteilt. Im November 1967 wurde ich zur Nationalen Volksarmee in eine Einheit der „Mot-Schützen“ eingezogen. Anfang 1968 suchten sie in der Propaganda-Abteilung jemanden, der gut zeichnen konnte, ich meldete mich. Ich musste sehr viele Worttransparente malen. Das Wort „Ewig“ ist mir noch gut in Erinnerung geblieben, auf jedem zweiten Plakat musste es irgendwie im Text berücksichtigt werden. Für mich war diese „Tätigkeit für das Vaterland“ sehr lohnend, ich bekam wegen der zahlreichen sogenannten Kampagnen immer wieder Sonderurlaub. Ein Major war der Chef dieser NVA-Einheit. Ich begegnete ihm einmal auf dem Bahnhof meines Standortes und grüßte – er war in Zivil. Einige Tage später sagte er mir, in Zukunft soll ich ihn außerhalb der Kaserne „nicht mehr wahrnehmen“. Mein großer Wunsch war, eine Trickfilmausbildung an der Hochschule in Dresden zu absolvieren – ich bekam eine Absage. Deshalb bewarb ich mich an der Hochschule in Berlin-Weißensee, von dort bekam ich den Hinweis, ich sollte erst einmal was Bodenständiges im grafischen Gewerbe lernen. Ich bekam eine Stelle als Hilfskraft in der Lithografie einer kleinen Druckerei in Leipzig. Der Besuch der Berufsschule war auch obligatorisch. Nach bereits einem Jahr bestand ich die Abschlussprüfung und arbeitete noch ein Jahr als Lithograph in der Druckerei in Leipzig.

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Das Studium Erinnerung Abschluss mit Diplom

1969 habe ich geheiratet, wir haben zwei Söhne. Ab 1970 besuchte ich auch die Abendschule an der Hochschule für Grafik und Buchkunst (HGB) mit den Schwerpunkten freie Grafik und Illustration. Der Übergang zu meinem direkten Studium war mehr oder weniger nahtlos. Unsere Dozenten waren Werner Tübke*) und Rolf Kurt; sie waren beide sehr wichtig für mich am Anfang und im Laufe meiner professionellen künstlerischen Ausbildung. Werner Tübke war Rektor der HGB und hatte aufgrund dieser Funktion einen persönlichen Assistenten. Trotzdem nahm er sich noch die Zeit, den Kontakt zu den Studenten zu halten. Nachdem wir also wussten, was die Aufgabe für einen Vormittag war, kam sein Referent immer wieder und fragte, wie weit wir denn schon seien, unsere Antwort war „wir brauchen noch etwas Zeit“. Später kam Rektor Tübke dann doch noch selbst und brachte uns gehörig ins schwitzen. Wir haben viel gelernt. Tübke vermittelte uns auch verschiedene Maltechniken, obwohl das nicht zum Ausbildungsprogramm gehörte. Nach einem Besuch der Hochschule in Dresden haben wir erst erkannt, wie gut wir es an der Leipziger Hochschule und speziell im Lehrbereich freie Grafik hatten. So war u.a. in den Grafikwerkstätten immer ein Dozent in der Werkstatt, an den man sich wenden konnte, wenn man ein Problem hatte – die Arbeitssituationen waren für uns Studierende optimal. An der Hochschule war ich insgesamt fünf Jahre, davon waren vier Jahre gründliche Ausbildung in Theorie und Praxis und ein Jahr hatte ich Zeit für meine Diplomarbeit. Die Arbeit bestand aus zwei Teilen - der theoretischen Arbeit und dem Praxisteil. Im praktischen Teil sind sieben große Radierungen - zum Teil als Aquatinta – zum Themenkreis „Bauernkrieg 1525“ entstanden; nicht zuletzt auch deshalb, weil ich mich schon vorher mit diesem Thema beschäftigt hatte. _____________

*) Geboren 1929, gestorben 2004. Nach einer Malerlehre in Schönebeck (Elbe), dem Besuch der Handwerksmeisterschule in Magdeburg sowie der Nachholung des Abiturs 1946/47 studierte Werner Tübke von 1948-1950 an Hochschule für Grafik und Buchkunst (HGB) in Leipzig.. Von 1956-1957 arbeitete er zwischenzeitlich als wissenschaftlicher Oberassistent an der HGB, bevor er ab 1963 als Dozent an dieser Hochschule tätig wurde. 1972 wurde er zum Professor ernannt und war dann von 1973 bis 1976 Rektor der Leipziger Hochschule für Graphik und Buchkunst. Ab 1976 war er dann wieder freiberuflich tätig. Seit 1983 war er Mitglied der Akademie der Künste der DDR und ab 1989 Vizepräsident des Verbandes der Bildenden Künstler und freischaffenden Künstler der DDR. Tübke wurde auf dem Leipziger Südfriedhof beigesetzt.

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Das Blatt VI aus dem Themenzyklus „Bauernkrieg 1525“ - das Blatt VI steht am Schluss der Darstellung - Erinnerung

Für den theoretischen Teil hatte ich mir das Thema „Mensch und Technik in der bildenden Kunst des 20. Jahrhunderts“ vorgenommen. Mir war ein Bild in einem Katalog aus der NS-Zeit aufgefallen, dazu stellte ich Darstellungen zur aktuellen Zeit der 70er Jahre auch von Bernhard Heisig dagegen und behauptete die Existenz einer gewissen Parallelität zwischen beiden Denk- und Darstellungsweisen. Der Kollege Heisig fühlte sich absolut brüskiert und brachte das auch mit harschen Worten zum Ausdruck. Ich wurde dann später aufgefordert, die Seite mit dieser Gegenüberstellung aus meiner Arbeit herauszunehmen. Ich habe mich breitschlagen lassen und die entsprechende Seite entfernt. Mitte der 70er Jahre gab es In Leipzig etwa 400 freiberufliche professionelle Künstler aller bildkünstlerischen Bereiche, ich habe keine Ahnung, wovon die Mehrheit gelebt hat. Ich hörte einmal, dass nicht wenige sich von Messeaufträgen über Wasser hielten, mit Schriftzeichnen oder gebrauchsgrafischen Arbeiten für die Leipziger Messe im Frühjahr und im Herbst.

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Portrait Michael Emig mit dem Titel „Am Ende der Welt“

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Erinnerung MAW-Magdeburg wird

mein Patenbetrieb

Ende der Kandidatenzeit

Im Frühjahr 1976 „schwärmten die Kulturverantwortlichen aller Bezirke der DDR - auch die des Bezirks Magdeburg - aus, um Künstler verschiedener Kunstrichtungen in den Bezirk Magdeburg zu holen. Ich bekam die Wohnung, in der ich heute noch lebe, zugewiesen, mein Sohn einen Kindergartenplatz und meine Frau eine Arbeitsstelle. Bei der ersten Wohnungsbesichtigung hatten wir kein gutes Gefühl, da waren u.a. noch alle elektrische Leitung auf dem Putz liegend, die Elektroinstallationen insgesamt waren noch aus der Zeit der Jahrhundertwende (19./20. Jahrhundert). Der Leiter des Bauhofs der Kommunalen Wohnungsverwaltung war Elektriker; er und der Leiter der Elektroabteilung machten die Wohnung optimal bewohnbar – mir war das ein wenig unheimlich, besonders im Hinblick auf diejenigen, die gelegentlich mithörten beim telefonieren. Jeder Absolvent der Hochschule bekam für drei Jahre einen Patenbetrieb zugewiesen, die Kandidatenzeit für den Verband bildender Künstler betrug ebenfalls drei Jahre. In diesem Zeitraum erhielt ich monatlich 400 Mark vom Kombinat des MAW. Der Geldbetrag kam meines Wissens aus dem Kultur- und Sozialfonds. In dieser „Patenzeit“ habe ich für zwei Brigaden im MAW je ein Auftragsbild gefertigt. Das erste Bild war dreigeteilt und zeigte im Mittelteil eine Diskussionsrunde der Brigade. In mehreren gemeinsamen Sitzungen haben wir wesentliche Details diskutiert und gemeinsam festgelegt. Das zweite Bild war ein Bild im Bild und stellte die Brigade auf einer Wiese dar und in der Mitte saß Karl Marx. Eine absolut heile Welt auf einem Bild, das aber durch ein zweites auf dem gleichen Format ad absurdum geführt wurde. Das zweite Bild hat mir mehr Spaß gemacht, u.a. weil ich schon eine gewisse Routine im Umgang mit den Arbeitern des MAW hatte – leider waren diese Kollegen gleichgültiger als die erste Brigade. Mit einer Vorstellungsausstellung im so genannten Magdeburger Klub der Intelligenz schloss ich meine Kandidatenzeit im VBK ab. Druckgraphik - vorwiegend Radierungen -, Handzeichnungen und Gemälde waren zu sehen, darunter auch solche, die aus den beiden Aufträgen heraus entstanden waren.

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Das Bild hat den Titel „JA-Sager“ – das Bild der „Nein-Sager“ auf der nächsten Seite Erinnerung

Zu diesem Bild gibt es eine zweite Darstellung mit dem Titel der „Nein-Sager. Beide Bilder waren Auftragswerke für den FDGB-Bezirk Magdeburg im Rahmen einer Kunstmappe aus Anlass der Arbeiterfestspiele 1986. Ich wurde zu einem Gespräch mit den Verantwortlichen eingeladen. Zu Beginn der Zusammenkunft wurde mir von Mitgliedern der Auswahl-kommission mitgeteilt, dass die Bilder aus der Gesamt-darstellung aller Werke herausgenommen würden, wenn ich die Bedeutung der Darstellung nicht erklären könnte. Meine Begründung war sinngemäß, dass es in jeder Gesellschafts-form Menschen gibt, die zu allem Ja oder Nein sagen, ein Sozialist aber immer aufrecht und ehrlich ist. Diese Erläuterung wurde akzeptiert – und die Bilder blieben in der Kunstmappe.

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Der „Nein-Sager“

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Versuch einer Reise in das „nichtsozia-listische Ausland“

Erinnerung

Die Parteikader öffnen sich

1979 war ich im Verbandsleben eingebunden. Es gab viel zu tun u.a. Auftragswerke für den DTSB, den DFD. Alle Organisationen waren durch Bestimmungen verpflichtet einen bestimmten Betrag aus dem Jahresbudget für künstlerische Arbeiten zur Verfügung zu stellen. Anfang der 80er Jahre wurde in Hamburg eine Ausstellung von einem meiner Lieblingsmaler - Francisco Goya - gezeigt. Der damalige Sektionschef und ich stellten einen Antrag, um diese Ausstellung im „nichtsozialistischen Ausland“ besuchen zu können – mein Antrag wurde abgelehnt, der Sektionschef konnte fahren. Ich habe mir irgendwie 50 Mark West besorgt, so konnte er mir wenigstens den Ausstellungskatalog mitbringen. 1982 war ich mit einem Kollegen beauftragt, die 11 x 14 m große Fassade einer Schule in Staßfurt mit einem Wandbild zu bemalen. In die Schule gingen Kinder aus Afrika –vorwiegend aus Mozambique. Wir wählten ein Motiv, das eine „internationale Familie“ darstellte. Kurz vor Fertigstellung kam der Vertreter der Ministerin Margot Honecker. Er stellte fest, das Bild sei „politisch zu indifferent“, da müsse noch was geändert werden, es fehlte auch nicht der Hinweis, die Genossin Ministerin wolle die Änderung auch. Nach einigem Überlegen machte ich den Vorschlag, die Handinnenfläche einer der dargestellten Personen in Verbindung mit den Gesamtstrukturlinien in Form eines Sternes rot auszumalen – alle waren zufrieden und wir hatten uns nichts vergeben. Ab 1988 zeichnete sich ab, das etwas passieren würde/ müsste. In Veranstaltungen mit Philosophen und Partei-funktionären wurde immer häufiger die Floskel „unter uns gesagt“ benutzt. Bei diesen Gelegenheiten stellten wir fest, dass die selbstentdeckten Ursachen negativer Entwicklungen bestätigt wurden. Bei einer Veranstaltung lief das Fernsehgerät, es zeigte Gorbatschow bei einer Rede in Moskau vor dem Obersten Sowjet. Die Deutlichkeit, mit der Probleme der SU auf allen Gebieten – politisch, wirtschaftlich, gesellschaftlich – benannt wurden, hat uns überrascht und die anwesenden Funktionäre nicht weniger. Im Frühjahr 1989 wurde ich informiert, dass in Donezk in der Ukraine eine Ausstellung gezeigt werden sollte und dass ich mich mit einigen Bildern beteiligen sollte – wir waren zur Vorbereitung mehrere Tage in der Sowjetunion und erlebten die neue Situation aus erster Hand.

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„Alma“ - Kinderportrait farbig in Öl „Mitten in Spanien“ - farbiges Aquarell – Michael Emig in einem Portrait

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Erinnerung Erinnerung

„Lustiges auf dem Domplatz“

Als Redner auf der Kirchenkanzel

Im Herbst 1989 wurden die Ausstellungskisten verpackt. Und draußen ging es los. Menschen riefen „wir wollen raus“, dann hörten wir Stiefelgetrappele. Wir waren neugierig geworden und gingen auf die Straße, ein Offizier herrschte uns an, „wir sollen uns wieder reinmachen“. So begann in meiner Erinnerung der Umbruch in Magdeburg. Der 14-tägige Aufenthalt in Donezk war in mehrerlei Hinsicht sehr interessant. Mir fiel zum Beispiel auf, dass die begleitenden Parteifunktionäre von Tag zu Tag blasser wurden – einen genauen Grund konnte ich nicht feststellen. Im Nachhinein meine ich, dass sie besser informiert waren als wir, wir erfuhren praktisch nichts über die politische Situation in der DDR und in Magdeburg. Ich fuhr einen Tag eher zurück als die Delegation. Als einzelreisender Ausländer in der Sowjetunion, eigentlich ein Unding. Meine Frau holte mich am Bahnhof in Magdeburg ab und sagte, „wir gehen jetzt zur Demo“ – ich war in eine andere Republik zurückgekehrt. Auf der Demonstration auf dem Domplatz habe ich Leute gesehen, die ich wegen ihrer Treue zur Parteilinie kannte. Stellenweise fühlte ich mich durch den heraufziehenden Abendnebel wie in einem DDR-Agitationsfilm. Auf einem Lkw, der zur Rednerbühne umgestaltet war sprach Willy Brandt. Ich habe wegen der schlechten Übertragungs-qualität und des allgemeinen Lärms so gut wie nichts von der Brandt-Rede gehört. Es gab nicht nur an diesem Abend etwas „besonders Belustigendes“. Am Domplatz war in einem Gebäude das Wehrbezirkskommando untergebracht und in „brüderlicher Waffenhilfe“ wurden die Räume und besonders die Fensterbereiche Stasi-Leuten zur Verfügung gestellt. An diesem Abend stand beinahe an jedem Fenster ein Stasimann und fotografierte in die Menge. Für mich war diese Entwicklung nichts anderes als „eine gewaltlose Anarchie“. Drei Tage nach der Grenzöffnung haben wir meine Schwiegermutter in Schladen (bei Wolfenbüttel) besucht. Über verschiedene Kontakte wurde ich angesprochen, ob ich eine Rede halten könnte zur Situation in der DDR und deren Entwicklung. Ich sagte zu und so war ich am 1. Januar 1990 in Wettbergen (bei Hannover) und stand auf einer Kirchenkanzel und sprach zu den Gemeindemitgliedern über die Herbst-ereignisse 1989 in Magdeburg.

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14 IMs haben mich

bespitzelt Erinnerung „Helena im Exil“ – Öl in Farbe

1996/1997 stellte ich den Antrag auf Akteneinsicht bei der „Gauck-Behörde“. Ich war in zweierlei Hinsicht überrascht, zum einen hatten immerhin 14 IMs ihre Berichte abgegeben, die Berichterstatter waren u.a. Kollegen, von denen ich das niemals gedacht hätte, Leute aus meiner Straße, einer vom Bezirk Magdeburg, zwei kann ich bis heute nicht einordnen. Zum anderen standen in den Berichten ausnahmslos Belanglosigkeiten wie, „er kümmert sich rührend um seine Familie“ oder dass ich „mit den Nachbarn gut auskomme“. Dass meine Schwiegermutter aber sehr oft im Rahmen des Kleinen Grenzverkehrs über Wolmirstedt illegal nach Magdeburg kam, hatte keiner der IMs festgestellt. Zu Thema Bespitzelung kann ich mich an folgendes Ereignis erinnern: Ein Rentner von der gegenüberliegenden Straßenseite hatte mich bei der Polizei wegen asozialem Verhalten angezeigt, er hatte im Laufe der Zeit festgestellt, dass ich oft den ganzen Tag zu Hause war. Der ABV (Abschnittsbevollmächtigte) klingelte an der Tür und informierte mich über den Sachverhalt, ich lud ihn daraufhin in mein Atelier ein und es begann ein entspanntes Gespräch darüber, warum ich zu Hause arbeite, was ich mache und für wen.

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Innenrestaurator „Der Ikarus“ - eine Grafik aus dem Jahr 1980

Die „wenigen Kontakte“ mit der Bundesrepublik liefen über die Werbung im Fernsehen, als der erste Rausch vorbei war gab es für nicht wenige ehemalige DDR-Bürger nicht nur Freude über neue Freiheiten und die D-Mark, sondern gelegentlich auch Katzenjammer. Durch unkontrollierte Ausgaben haben sich einige in dauerhafte Existenznöte gebracht. Einige Kunstkollegen, die in der DDR streng gegenständlich gearbeitet haben, stiegen nach der Wende in abstrakte und gegenstandslose Darstellungen um. Für mich ist das „finsterster Opportunismus“, dafür habe ich kein Verständnis. Es gab in den 90er Jahren keine Kunstsammler in der ehemaligen DDR mehr, der staatliche Kunsthandel war ersatzlos ausgefallen. Autos, Waschmaschinen und Kühlschränke waren offensichtlich wichtiger als Bilder, Von 1991 bis etwa 1998 habe ich verstärkt als Innen-restaurator gearbeitet. Viele alte Häuser im Magdeburger Stadtgebiet wurden nach dem originalen Befund und Vorlagen aus der jeweiligen Bauzeit - meistens gründerzeitlicher Eklektizismus und Jugendstil – rekonstruiert. In dem Zusammenhang auch die üppigen figürlichen und dekorativen Malereien. Diese Arbeiten waren durch die Verwendung anderer, für mich neuer Materialien - (Bau)Stoffe - hochinteressant. Seit etwa fünf bis sechs Jahren bessert sich die soziale Situation der Künstler in den neuen Bundesländern unwesentlich. Der Kunstmarkt ist auf dem langen Weg der Festigung, auch hier in den Neuen Bundesländern entwickelt sich ein mehr oder weniger solider Kunsthandel.

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Ein Bilderzyklus für eine Brigade im MAW... Die Erläuterungen siehe Seite 6 mit der Überschrift „MAW-Magdeburg wird mein Patenbetrieb“

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Nachtrag Grafik „Bauernkrieg VI“ aus dem Jahr 1976 (Proportional leicht verkleinert)

Unter der Internet-Adresse www.michaelemig.com beschreibt M. Emig seine künstlerischen Überlegungen und Empfindungen. „Die schöne schreckliche Welt ist permanente Realität für mich und als solche auch Ausgangspunkt für meine Bilderfindungen. Optische Alltäglichkeiten werden in neue Zusammenhänge gedrängt und entwickeln so ihre eigenen magischen Kräfte. Ich teile Nachrichten mit, auch wenn sie sich auf den ersten Blick nicht erschließen wollen, weil sie durch phantastische Aus-druckträger als bildnerisches Kryptogramm unter der realen Oberfläche vibrieren. Aus gutem Grund greife ich auf Prinzipien realistischer Zeichnung und Malerei zurück, deren Traditionslinien bis zu Dürer, Cranach und Holbein verfolgt werden können und die ihre Entsprechung in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts bei Dix, Scholz, Radziwill und bei Tübke, Mattheur, Prechtl, Grützke u.a. in jüngster Vergangenheit finden. Aus dem „Handwerk“ kommend setzen sie für mich verbindliche Maßstäbe. Nicht das bedienen kurzlebiger Moden des Kunstmarktes, sondern solide künstlerisch handwerkliche Arbeit ist mein Anliegen. Meine Arbeit der vergangenen dreißig Jahre ist auch gekenn-zeichnet durch Nähe zur Literatur, wobei ich die engen Grenzen der bloßen Illustration eines Textes überwinden und zu einem freien künstlerischen Ergebnis kommen will. Die Darstellung archetypischer Situationen, Verhaltensweisen, Figuren und deren allgemeiner Charakter ist für mich von enormer Aktualität und provoziert zur weiteren Auseinander-setzung mit ihnen. Aber auch deren Umsetzung in Malerei und Druckgrafik ist Herausforderung.

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Protokollführung: Gundolf Algermissen, Abteilungsleiter im DGB-Bezirk NBS Technische Umsetzung und Bildbearbeitung: Gunda Jortzig, PCA beim DGB-Bezirk NBS