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Biologie in der Augenheilkunde 1. Von Dr. Fritz Weekert, Augenarzt in Goslar am ~Iarz. Wir pflegen eine tuberkul6se Entzfindung der Netzhaut oder Ader- haut gemeinhin Ms eine bacfll~re Embolie aus der Hilusdriise aufzufassen. Der Tuberkelbacil]us brSckelt aus dem Gewebe der Drfise ab, gelangt in den Blutstrom und wird irgendwo, wie es der Zufall will, in einem Gef~B der Ader- oder Netzhaut aufgehalten. Da er ein arbfremder Bestandteil ist, strengt das umgebende Gewebe Mle Kr~fte an, es kommt zu den bekannten Bfldern, die wir gelegenthch besonders illustrativ bei der 5dematSsen Infiltration eines Gef~Bastes und seiner Umgebung beobachten k5nnen. Es wird zugegeben, dab die Reaktion des Gewebes verschieden ist, je nach der allergischen Reaktionslage, aber das Bild herrscht bei der Betrachtung vor, daft immer neue Schi~be yon Tuberkel- baciIlen aus der Dri~se immer neue Entzi~ndungen verursachen. Kann man dieser vorwiegend mechanisehen Theorie welter in vollem Umfange trauen, wenn man sieht, dab ein und dieselbe Gewebsart und keine andere immer wieder mit einer Entzfindung reagiert, dab manehmal Jahre dazwischen liegen, ja dab gar nicht selten mit der grSStmSgliehen Selektion die Entziindung mM rechts dann links dasselbe Gewebe ergrelft, wenn ferner die Zwillingsforschung eigentfimliche Parallelen in dem Ort tier tuberkulSsen Entzfindung, die sog. genotypische Bedingtheit, heraus- gebracht hat. Nach all diesen Erfahrungen kann man unmSglich an das Eindringen des Tuberkelbacillus in den Blutstrom als das erste und vor- herrsehende Moment der Augenentzfindung glauben. Das Gewebe braucht das st/~ndige AbbrSckeln aus der Hilusdrfise nicht. Es ist, sei es anlage- oder konstitutionsgem/~B, vielleicht auch in allergiseher Hinsicht in seiner vitMen Kraft gehemmt. Die Entzfindung ist nichts anderes, als der Ver- such, mit neuen, vergr51~erten Energien den ~qormalzustand wieder herzustellen. Dieser Versuch hat Veri~nderungen im Gewebe und in den Gef/s :zur Folge. Besonders die Ver/inderungen in den Gef/s und um die Gef/~Be sind so in die Augen springend, da$ sie uns f/~lschlich als prim/~r imponieren. Dabei bedeuten sie nichts anderes, als dab eben das Blut den Stoff heranbringt, der den Kampf, die Wiederherstellung des in seiner Vitalit~t geschw~chten Gewebes gestattet. Von diesen Kan/~len aus wird das Gewebe durchdrungen und mit dem Zuschu$ yon neuen Energien gespeist, die jetzt notwendig werden. Die Gef~l~e sind weir, neue werden sichtbar, und sprieBen zu dem bediirftigen Gewebe, ein 1 Vortrag, gehalten auf der Tagung tier Augen~rzte Nordwesi~deutschlands in :Braunschweig am 28. Mai 1938.

Biologie in der Augenheilkunde

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Biologie in der Augenheilkunde 1. Von

Dr. Fritz Weekert, Augenarzt in Goslar am ~Iarz.

Wir pflegen eine tuberkul6se Entzfindung der Netzhaut oder Ader- haut gemeinhin Ms eine bacfll~re Embolie aus der Hilusdriise aufzufassen. Der Tuberkelbacil]us brSckelt aus dem Gewebe der Drfise ab, gelangt in den Blutstrom und wird irgendwo, wie es der Zufall will, in einem Gef~B der Ader- oder Netzhaut aufgehalten. Da er ein arbfremder Bestandteil ist, strengt das umgebende Gewebe Mle Kr~fte an, es kommt zu den bekannten Bfldern, die wir gelegenthch besonders illustrativ bei der 5dematSsen Infiltration eines Gef~Bastes und seiner Umgebung beobachten k5nnen. Es wird zugegeben, dab die Reaktion des Gewebes verschieden ist, je nach der allergischen Reaktionslage, aber das Bild herrscht bei der Betrachtung vor, daft immer neue Schi~be yon Tuberkel- baciIlen aus der Dri~se immer neue Entzi~ndungen verursachen.

Kann man dieser vorwiegend mechanisehen Theorie welter in vollem Umfange trauen, wenn man sieht, dab ein und dieselbe Gewebsart und keine andere immer wieder mit einer Entzfindung reagiert, dab manehmal Jahre dazwischen liegen, ja dab gar nicht selten mit der grSStmSgliehen Selektion die Entziindung mM rechts dann links dasselbe Gewebe ergrelft, wenn ferner die Zwillingsforschung eigentfimliche Parallelen in dem Ort tier tuberkulSsen Entzfindung, die sog. genotypische Bedingtheit, heraus- gebracht hat. Nach all diesen Erfahrungen kann man unmSglich an das Eindringen des Tuberkelbacillus in den Blutstrom als das erste und vor- herrsehende Moment der Augenentzfindung glauben. Das Gewebe braucht das st/~ndige AbbrSckeln aus der Hilusdrfise nicht. Es ist, sei es anlage- oder konstitutionsgem/~B, vielleicht auch in allergiseher Hinsicht in seiner vitMen Kraft gehemmt. Die Entzfindung ist nichts anderes, als der Ver- such, mit neuen, vergr51~erten Energien den ~qormalzustand wieder herzustellen.

Dieser Versuch hat Veri~nderungen im Gewebe und in den Gef/s :zur Folge. Besonders die Ver/inderungen in den Gef/s und u m die Gef/~Be sind so in die Augen springend, da$ sie uns f/~lschlich als prim/~r imponieren. Dabei bedeuten sie nichts anderes, als dab eben das Blu t den Stoff heranbringt, der den Kampf, die Wiederherstellung des in seiner Vitalit~t geschw~chten Gewebes gestattet. Von diesen Kan/~len aus wird das Gewebe durchdrungen und mit dem Zuschu$ yon neuen Energien gespeist, die jetzt notwendig werden. Die Gef~l~e sind weir, neue werden sichtbar, und sprieBen zu dem bediirftigen Gewebe, ein

1 Vortrag, gehalten auf der Tagung tier Augen~rzte Nordwesi~deutschlands in :Braunschweig am 28. Mai 1938.

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Bild, wie wir es yon der luisehen Keratitis parenchymatosa zu sehen gewohnt sind. So aufgefal]t, ben6tigen wfi" die Hilusdri~se als Bacillen- herd nicht weiter. Sie ist und bleibt die erste Blockade fiir das tuberkul6se Lungenmaterial, sicherlich ~ r d sie bei der Allergielage, bei der Toxin- bfldung ein gewichtiges Wort mitzusprechen haben, aber dab sie Bak- terien in die Bluthahn und so in unser Organ gelangen ls kann man, dieser Betrachtungsweise folgend, nicht mehr annehmen.

Wit haben ~hnliche Verhaltnisse in dem Hautorgan. Karm man wirklich nur einfach einen Hflusherd annehmen, der die Bacillen in die Blutbahn streut, und so die verschiedensten Tuberkuloseformen der Haut erzeugt ? Warum kommt es bei einer solchen Streuung, einem Bfld, das uns wohl yon der Generalisation (id est yon der Miliartuberkulose) gel/~ufig ist, nur zu einer Tuberkulose der Haut, und warum ger~de in dieser Form ? Wit k6nnen und diirfen nicht nur wie festgebannt auf die Bakterien und ihre problematische Streuung blicken, wh" miissen hier wie dort auch 1. eine Gewebsdisposition postulieren, 2. das auf das Gewebe wie der Sehliissel zum SchloB passende Toxin, krankhafte Abweichungen, die beim Lupus der Ansiedlung der Bacillen Vorschub leisten, bei den anderen Hauttuberkulosen eine Gewebsveranderung erzeugen, deren Reparatur die Entz/indung bedeutet.

Eine naheliegende Par~llele ist nicht nur darin gegeben, daft Haut sowohl wie unsere Netzhaut, ferner die Pigmentepithelien, neurekto- dermalen Ursprungs ist. Gehen wir in der Tierreihe herunter, so gibt es niedere Tiere, bei denen die I~etzhaut einen Teil der K6rperoberfl/~che bedeutet. Lassen wir alles 0ptisch Bedingte, wie t tornhaut, Linse, Kammerwasser beiseite, bleibt als das Sinnesepithel, wie das Riech- epithel in der Nase, das. Geschmacksepithel in der Zunge, das Tastepithel der Papfllark6rperchen das Licht aufnehmende, es ffir die Nervenleitung transportabel umwandelnde Gewebe der Iqetzhaut. Das Netzhaut-Regen- bogenhautgewebe hat phylogenetisch gesehen, die Bestimmung, Tell des Integuments zu sein, wobei das Irisdiaphragma nichts anderes als eine Duplikatur des Sehgewebes darstcllt, wobei ferner nicht auBer acht zu lassen ist, dab auch bei den niedrigen Lebewesen die Augenanlage, die dann Teil der Haut wird, wie letztlich jeder lqerv, prim/~r eine Ausstiilpung des Gehirns ist.

Es sind viele Vergleichsmomente zwischen den Augenhi~uten und dem Organ der t taut . In der tuberkul6s entziindeten Haut haben wir genau das gleiche Bild wie wires im Auge gewohnt sind, die Gewebsver/inderung lockt den Blutstrom an, und besonders in der N/ihe der strotzend gef'dllten und such neugebildeten Gef/~Be wird aus der zuerst ver/inderten Gewebs- lage die Entziindung. Wie kommt es zu dieser ver/mderten Gewebslage ? Wenn wir eine 1Netzhaut ansehen, so meinen wh" unwillkfirlich, diese Zellen sind in Ewigkeit dieselben, im Alter zwar gibt es diese oder jene Degeneration, aber im fibrigen bleibt a]les gleich. Der st/~ndige Wechsel

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wird an der Hau t ohne weiteres in Rechnung gesetzt, in dem Licht- sinnesorgan wird er gering oder gar nieht beaehtet. Sei es nun, daB,die Energie der Nachbfldung, und des Nachsehubs neuer Zellen in einem be- s t immten Lebensalter nicht mehr ausreicht, sei es, dab irgendein Allergen lahmend auf die Ersatzbeschaffung wirkt, wobei dahingestellt bleiben mag, ob es exogen oder endogener Natur i s t . Netzhaut und Ader- haut gehSren zusammen, wie Curls und das subcutane Gewebe. Warum soll es nieht auch in dieser abgewandelten Sinneshaut ein Ekzem geben, dessen Charakteristikum die 6demat6se Durchtrankung, das Fortschreiten fiber die Randpartien, wir geradezu abbfldgetreu bei der Chorioiditis disseminata linden. Ich iiberlasse es vollkommen d e m vergleichenden Einfiihlen des pathologischen Anatomen, die Parallelen der Krankheits- bilder festzulegen, was einer Tuberculosis curls verrucosa, einer propria, was den verschiedenartigen Tuberkuliden beim Auge entspricht. Wie oft beobachten wir Entzfindungserscheinungen der Haut , gemeinsam nicht nur mit nnseren Binde- und Hornhautentziindungen, sondern auch mit denen der Ader- und Netzhaut. Sicherlich kann m a n bei vielen Krank- heitsbildern einer weitgehenden Parallelits nachspiiren, man muB sich nur einmal frei machen yon den Geleisen der Bacillamie, das formale, stets etw~s Besonderes vermutende Denken einschranken, vergleichenden Hypothesen folgen und das Besondere nur dann annehmen, wo wirklich eigentiimliche, besondere Verhaltnisse vorliegen.

Haben wir eine Keratitis vor uns, sei sie nun tuberkul6s oder luisch, so haben wir doch auch erst das Infi l trat und dann kommen die GefaBe, welche die Sehwellung, RStung, kurzum die Entziindung verursachen. Was ist denn das Ausscblaggebende, dab eine Entzfindung gerade da sich lokalisiert, wo wir sie antreffen. Es mug EiweiBgifte geben, seien sie bacillar-toxischer Natur, oder im Wege des EiweiBabbaues entstanden, die nieht omnitrop, sondern nur in dem ihnen affinen Gewebe wirken. So und nur so hat man sich im Zuge dieser Betrachtung jede unserer manchmal so verhangnisvollen Veranderungen in den Augengeweben vorzustellen. Es ist kein Zufall, dab die Infiltration der luischen Keratit is gerade fin Zentrum der Hornhaut beginnt und dort am dichtesten ist. Nicht daB dorthin die Bakterien gelangt waren, und dab es dera Blut- strom sehwer fiele, dorthin naehzukommen. Ganz fin Gegenteil! Das Toxin wirkt auf die Capillarendstellen, klemmt sie mehr weniger ab, und so mug das Gewebe am meisten leiden, das am weitesten yon dem blur- und lebenspendenden Limbus entfernt ist.

Die friihere Generation der Augenarzte hat die Tuberkulose im wei- testen Umfang, allerdings bacfllenembolisch bedingt, fiir Ver/~nderungen im Auge haftbar gemacht. Bei der ungeheuren Bedeutung dieser In- tektion und bei dem Umstand, dab wir alle in irgendeiner Weise und in irgendeinem Lebensalter uns dami t abfinden miissen, k a n n man diese Ursaehe wirkhch nicht gering veransehlagen. Nattirlich wird als erstes

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naeh einer tokalen Infektion untersucht, doeh wenn alle Ergebnisse negati~: ausgefallen sind, miissen wit an die Tuberkulose denken. Die interne Medizin kommt uns hier in eigentiimlieher Weise entgegen, indem sie neuerdings wieder einmal yon den Grundlagen und Aussiehten der Tuberkulinbehandlung der Polyarthritis berichtet (1. Heft der Therapie der Gegenwart in diesem Jahr) und so davon ausgeht, dag der Muskel- und Gelenkrheumatismus in irgendeiner Weise mit der Tuberkulose in Zusammenhang steht. Leider ist die trotz Mler Gegenrede doch wichtigste Waffe im Kampf gegen die tuberkulSse ~tiologie, das Tuber- kulin, nieht oder nur mit ~u[~erster Vorsieht bei diesen Krankheiten anzuwenden. Immerhin best/itigt aber diese enorme ~berempfindlieh- keit des retinalen und uvealen Gewebes auch auf niedrigste Dosen den innigen Zusammenhang mit der Tuberkulose.

Werdenberg, der verdienstvolle Sehweizer Augentuberkuloseforseher sagt in Basel im Juni vorigen Jahres (ich zitiere wSrtlieh den Sitzungs- bericht, wie er in den Klin. Mbl. Augenheilk. im M/~rzheft dieses Jahres enthalten ist): ,,Die h~mat0gene Aussaat in das Auge erfolgt yon den tlilusdrfisen aufsteigend dutch den groBen Lymphgang and die KSrper- venen in den kleinen Kreislauf und erst nach Passage der Lunge in den groBen, wobei die Lunge miterkranken oder freibleiben kann (fehlende immunisierende Wh'kung bei intakter Lunge, deshalb schwere Augen- tuberkulose)." Die Theorie lautet also, dab die Lungen gerade bei unseren sehwersten F~llen vollkommen intakt sind. Das vertri~gt sich schleeht mit der von den Lungen/~rzten immer wieder betonten Ansicht yon dem sog. Prim/traffekt in der Lunge. Hier bek/impft sieh zum erstenmal K6rper and Fremdk6rper, die Reaktionslage ist das Resultat dieses Kampfes. Das Toxin ist in den Sgften des Blutes, der Lymphe, in jeder Zelle, es macht in dem besonders affinen Gewebe den Spasmus der Gef/il]e, das Absterben des Gewebes und jetzt kommt darauf die folgende repara- tive Entziindung.

Nun erf/ihrt die Frage, ob die h/imatogene Streuung weiterhin als der alleinige Modus der tuberkulSsen Infektion bei Haut und Auge zu gelten hat, noch eine besondere, ich m6chte sagen entscheidende Bedeutung dutch die unter dam Begriff der Tuberkulide zusammengefagten Haut- erscheinungen. Dieses Wort begreift unter sieh alle m6glichen Ent- ziindungen der Haut, in denen der mikroskopische Sehnitt unbedingt auf Tuberkulose deutet wobei jedoeh seit mehr denn 40 Jahren keine Untersuchung, sei sie mit Anreicherungsverfahren, sei sie mit den besten N~hrb6den, sei sie mit intraperitonealer Injektion durehgefiihrt worden, je die Anwesenheit eines Tuberkelbacillus gezeitigt hat. MuB ich hier vor dem Forum yon Augen/~rzten betonen, wie oft wit bei unseren tuber- kulSsen Keratiden, Iritiden, und aueh bei der Retinitis proliferans Haut- komplikationen linden, die wirklich nicht immer nut sekund/irer Basis sein miissen. Aus der Literatur sind die F/ille bekannt. Mylius hat einen

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solchen Fall im Jahre 1928 ver6ffent]icht und neuerdings beschreibt Ft. W. Meyer aus der Freiburger Klinik dieselbe Koinzidenz, ein Boec/~- sches Sarkoid mit einer wohl einwandfreien tuberkul6sen Iritis. Beide erkennen sehr wohl die tuberkul6se Struktur des Boeckschen Sarkoids mit Epitheliod und Riesenzellen, die Herdreaktion bei subcutaner Tuber- kulinzufuhr, beide k6nnen nicht umhin, eine tuberku]6se Iritis im Gefolge des 8arkoids festzustellen, aber zu dem Schlul~strieh der Parallelit~t, serobiologisch gesprochen der Identit~t beider H~ute, gelangen sie nicht. Is t das zu verwundern, wenn wir im rein bakteriologischen Denken ver- haftet sind, wenn wir nur das als Tuberkulose anerkennen, worin wir den Tuberkelbacillus finden. Fiir einen bioserologisch denkenden Arzt besteht diese Mauer nicht mehr. Er statuiert:

1. Die biologische Gleichheit zwisehen s~mtlichen Augenhguten und unserer K6rperoberflgche, dem Hautorgan.

2. Die Ausdehnung des Tuberkulosebegriffs in seiner Totalit~t auf alle Tuberkulide, weniger uuf Grund der pathologisch-anatomischen Struktur, ale auf Grund unserer klinischen Wahrnehmungen, die uns so hgufig ein Miteinanderbestehen und Gleiehsein zeigt und lehrt. Gerade wir Augenarzte sind die berufenen Mittler, denn wer sonst noeh kann aus dem Vorhandensein einer tuberkul6sen Uveitis, Keratitis, Retinitis die Zugeh6rigkeit einer Acne, eines Lichen skrofulosorum, eines Lupus erythematodes, eines Boeclcschen Sarkoids zu dem tuberkul6sen Kom- plex besser erweisen ? Toxituberkulide hat man diese Tuberkultde auch genannt, weil sie nicht dureh Baeillen, sondern durch Toxine entstehen. Und denselben Begriff mtissen wir nicht nur in die Angenheilkunde fiber- nehmen. Wir haben ihn bereits iibernommen. Die Befunde der s~ure- festen St~behen bei den Tuberkulosen der Augenhs sind doeh auBer- ordentlieh selten. Wir kennen eine Unterscheidung zwischen einer Tuberkulosis cutis propria und dem Tuberkulid nicht. Wir geben uns ja l~ngst zufrieden, nnd sprechen eine Uveitis ale tuberkul6s an, much were1 wir keinen einzigen Bacillus finden k6nnen.

Haben wir abet die Gleichheit des Hautbegriffes, hubert wir die Aus- dehnung des Tuberkulotoxins als Ursache nicht nut der Augen, sondern auch der einschlggigen t tautkrankheiten, so ist das nur eine Stiitze der Ansicht, dab nicht das Rollen der Bakterien, sondern die allgemeine Toxikose, sei es in A]lergie oder in Anergie Ursache und Riehtung unserer Augenkrankheiten ist.

Da wundern wir uns immer, dab die Gr61~e, Gefahr eines tuberkulSsen Lungenprozesses so gar nicht ira Verhgltnis zu den Augentuberku]osen steh~. Eine sehr interessante Bemerkung findet sich hierzu in dem Auf- satz yon Keller1: t i ler steht: Eine Beobachtung ist interessant, die sehon Moro, spgter auch P]aundler nnd von Seht ver6ffentlicht hatten, dab n~mlich eine Syntropie yon echtem Ekzem und Tuberkuloseinfektion

Keller: Xlin. Mbl. Augenheilk. 100, 161 (193S).

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im allgemeinen zu den grS~ten Seltenheiten gehSrt. Fassen wir unsere Augenh~ute aueh als Haut ~uf, ihre Entziindungen als irgendwie parallel den Dermatitiden, so k5rmen ~uch wir davon sprechen, dab die Ent- zfindungen unserer Augen dem Lungenprozeft nicht parallel gehen, in Ausdehnung, Heftigkeit und Gef~hrlichkeit.

Sind uns bei der Behandlung des versenkten Oberfl~chenepithels, wie ich die Aderhaut und Netzhaut bezeichnen mSchte, die therapeuti- schen, direkt angreifenden Mittel nicht in vollem Umfang zur Verfiigung, so gibt es eine an@re Manifestation der Tuberkulose, wo wir sie in grSl3eren Dosen und ohne besondere Gefahr verwenden kSnnen, das sind die chronischen Bindehaut- und Lidentziindungen. Durchdrungen yon der Idee, dab eine chronische Lid- oder Bindehautentziindung irgendwie mit Tuberkulose zusammenhSngt, injiziere ieh jedem dieser F5lle 0,1 oder 0,2 ccm steigend intracutan Tebeprotin II, ]ege Sulbe oder Paste als t tautschutz auf, und habe das sichere Empfinden, damit viel mehr als mit den Adstringentien zu erreichen. Mit dieser Hautreaktion 5ndere ich niehts als den Allergiefaktor der Haut. Sie laBt ihren ehronischen Reizzustand fallen und ist der Heilung zug~nglich.

Was ist denn iiberhaupt der Zweck der intracutanen Injektion? Damit wird das eingespritzte Medikament in der Haut verhalten. Die Haut a]s Organ wird gezwungen, sich mit dem Medikament abzufinden, eventuell mit einer mehr oder minder heftigen Entziindung Zu reagieren. Die Haut, nicht der Organismus liefert die Entzfindung, erst wenn der Reiz zu toxisch war, zu stark, zu heftig, wenn die lymphatischen Elemente in der t t au t ihn nicht auffangen konnten, wird die Schranke, die das Organ Haut yon dem Organismus trennt, durehbrochen, dann tr i t t dessen Abwehr ein, die in Fieber, Kopfschmerzen, eben allgemeinen Er- scheinungen ihren Ausdruck finder. Aueh Werdenberg wendet bei gfinstiger Beeinflussung seiner Augentuberkulosen die intracutane Injektion an, was ich aber in all seinen Schriften nieht gefunden babe, ist die An- erkennung der Augenhaute als hautahnliche Gewebe, als abgewandeltes Ektoderm. Das Organ Haut muB man sich ganz fiir sieh hingestellt denken. Gelingt es mit einer guten Dosierung, es gegen die Toxine zu immunisieren, so ist das gesamte Organ immun mit allem, was gleichen inneren Wesen ist, und dazu gehSren die t Iaute des Auges.

Die h/~matogene Streuung als Sekundarstadinm der Einteilung na~h Ran]ce ver]iert sowohl bei den Kinderarzten, Ms aneh bei den Dermato- logen zusehends an Boden. Aueh wir Augenarzte sollten uns davon frei machen und unsere tuberkulSsen Augenkrankheiten als Toxituberkulosen betrachten. Diese Annahme wendet unseren Blick yon der Lunge und besonders yon der Hilusdrfise zu dem Organ der t taut , das sich in grS[~t- m6glicher Parallelitat zu den Hauten des Auges befindet.

Uber die Toxine mul3 noch gesprochen werden. Um ihnen gerecht zu werden, mu[3 man sie nieht einfach als Produkte der Bacfllen auffassen,

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sie entstehen vielmehr aus dem Kampf zwisehen dem K6rper und den Baeillen. Was der KSrper hergibt, h~ngt yon so unendlich vielen Faktoren ab, individuelle Konstitution im Allgemeinen, Kampfaufnahme, gegenw~rtige Verfassung, dab nicht nur kein Mensch dem anderen gleicht, sondern da~ sogar eines jeden Mensehen Beitrag zur Bildung der Toxine einem steten Wandel unterworfen ist. Fast das gleiche kann yon dem Eindringling behauptet werden. Die Virulenz des Bacillus ist, um nur das Bek~nnteste zu erw~hnen, bestimmt Schwankungen unterworfen, aber sicher gibt es auch hier Verschiedenheiten der St~mme, die d~nn ein verschiedenes Toxin zur Folge haben. Kann man sich da wundern, da~ wir mit all unseren im Handel befindliehen Tuberkulinen, abet aueh mit den Milgh-Eiweil~pr/~paraten so wenig erreichen, wenn es sich um Ver- giftungen handelt, die so heikel sind, wie unsere Netzhaut-Aderhuut- vergiftungen. In dem Streben, aueh diesen Toxikosen zu begegnen, ging ich yon folgenden Erw~gungen aus. Die Reaktionslage des Organis- mus ist unbekannt, unbekannt ist auch die Reaktion des Bacillus. Aber, das Serum z. B. aus einer Cantharidenblase enth~lt alle Abwehrkr~fte, die der Organismus gegen den Bacillus ins Gefecht fiihrt. Mit diesem Serum habe ich in allerletzter Zeit, bei MiBerfolgen nach Tebeprotein, mit subepithelialen Injektionen zu immunisieren begonnen. Erfolge sind da, aber ein absehliel~endes Urteil steht mir darfiber noch nicht zu. Sehon jetzt aber mSchte ich betonen, dal~ es sich hier nieht einfach, wie bei den intramuskul~ren Injektionen yon Blur oder Serum um eine parenterale Eiwei~einspritzung handelt. Einesteils will ich, meinen Ausfiihrungen entsprechend, dutch die Haut die artgleichen Gewebe der Augenh~ute immunisieren, zweitens ist die Einspritzung gerade da~ Gegenteil von einer paraspezifischen, ns eine ~ul~erst spezifische, gerade auf die Toxine des Erregers gerichtet.

Da~ entspreehend einer solchen Betonung der Allgemeinbehandlung auch das Argentum nitricum bei der akuten Bindehautentzfindung weg- ~l l t , braueht kaum besonders erw~hnt zu werden. Derm nicht n u t die Bindehaut des Auges ist im Entzfindungsstadium, die Erks und um diese handelt es sich hier doch immer, wenn fiberhaupt das Ad- stringens in Frage kommt, hat den ganzen Organismus ergriffen und um ihn zu heilen, stehen uns in den gew~hnlichen Schwitzprozeduren mit oder ohne Salicylderivaten die besten Mittel zur Verffigung. Aber auch das Zinksulfat, das sog. souver~ne Heilmittel gegen die Diplobaeillen- Conjunctivitis finder keine Verwendung mehr. K e i n e Sehleimhaut ist g~nzlieh frei yon Bakterien, auch auf den Bronehien, in den Alve01en, wo nur immer AuBenluft die Sehleimh~ute trifft, siedeln sich Bakterien an. Der Untersehied ist nur der, dab sie vollkommen harmlose Schleim- hautbewohner sind. Liegt der Organismus in irgendeiner Weise dar- nieder, wobei in erster Linie an Tuberkulose zu denken ist, dann befindet sich die Hunt in einem chronisehen Reizzustand, der der Wucherung

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dieser Bacillen Vorsehub leistet. Mit Zinksulfat erreichen wir, dab das Brennen der Lider aufhSrt, solange der Patient das Zink verwendet, yon einer Dauerheilung, die das Brennen, die eigentfimliche R6tung der Lider restlos und fiir immer zum Verschwinden bringt, ist dabei keine Rede.

Bei einer Uveitis lassen wit nie den Zusammenhang mit dem Organis- mus auger acht, eigentiimlicherweise aber spielt die chronische Lid- oder Bindehautentzfindung ein Sonderdasein. Fiihlen wit uns in der Tat therapeutisch so kr/iftig, dal3 wir der Uberzeugung sein dfirfen, mit unseren Tropfen, Salben und Pasten allein ans Ziel zu kommen ? Aus den vielen ungeniigenden, oder nur voriibergehenden Erfolgen kann man nur den einen SchluI3 ziehen, dag eine chronische Lid-Bindehautent- zfindung richtig nur dann angegangen wird, wenn wir die Haut selbst gesund und kr/iftig gestalten, und immer bedacht sind, dan ganzen Organismus und hie nur den Tell zu beachten, der im gegenw/~rtigen Stadium der Exponent einer akuten oder chronischen Erkrankung ist. Alle Erscheinungsformen am Auge sind nur Syrnptome, unser ist die Auf- gabe, nicht sie momentan niederzuhalten, sondern die tiefer liegenden Ursachen aus der Welt zu schaffen.