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| EDITORIAL © 2005 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim www.biuz.de 6/2005 (35) | Biol. Unserer Zeit | 359 D er Begriff Biotechnologie schien für viele Zeitgenossen ein Sammelsurium aus verschiedenen Disziplinen zu sein – vereint durch das gemeinsame Ziel, mit wissenschaftlichen Ergebnissen Geld zu verdienen. Doch nach der Euphorie der Gründerjahre sind auch die Erwartungen bescheidener ge- worden. Heute definieren wir Biotechnologie als die Nutzung von Lebewesen, besonders Bakterien und Hefen, in Verfahren und zur Herstellung von Produkten. D as Wort selbst leitet sich von den drei griechischen Wör- tern „bios“, „techne“ und „logos“ ab, übersetzt mit Leben, Kunstfertigkeit und Denkvermögen. Schöner kann man ei- gentlich einen Begriff nicht zusammensetzen. Um 1938 über- nahm das britische Magazin „Nature“ den Begriff für die tech- nisch nutzbare Biologie und machte ihn damit hoffähig. D er erste Big Bang kam für die Biotechnologie mit der Her- stellung von Antibiotika wie Penicillin aus Streptomyce- ten. Die Situation der „Technologie des Lebens“ änderte sich dann drastisch mit der Entschlüsselung der DNA-Struktur 1953 durch James Watson und Francis Crick. Als dann noch Paul Berg und vie- le andere zeigten, dass man Fremd-DNA stabil in Bakterien inserieren kann und das fremde Erbgut die Produktion seiner eigenen Proteine dirigiert, wurde die Biotechnologie um eine neue Disziplin bereichert: die Gentechnologie. Die Kontroverse über den Segen und Fluch von Bio- und Gentechnologie hält bis heute an und ist auf Grund der Vielzahl neuer ethischer Fragestel- lungen auch zu Recht noch lange nicht ausgestanden. M it dem neuen wissenschaftlich-technischen Repertoire schaffte es die Biotechnologie in den Stand eines sehr erfolgreichen Industriezweiges. Aufgrund seiner wissenschaft- lichen und technischen Fähigkeiten stellt Deutschland einen hervorragenden Standort für die Biotechnologie dar. Wir müs- sen aber zugeben, dass wir besonders in der roten Biotechno- logie – d.h. in der medizinischen Anwendung – Spätzünder sind. Wenn wir aber unser Wissen aus der Regeltechnik und der Materialwissenschaft mit der Biotechnologie zusammen nutzen und schnell die Bedürfnisse des Marktes bedienen, dann sind wir im internationalen Spitzenbereich. Ü ber die wissenschaftlichen und merkantilen Fortschritte der Biotechnologie in aller Welt wird vom Januar 2006 an auch der neue Wiley-VCH-Titel „Biotechnology Journal“ be- richten. Die monatlich erscheinende Zeitschrift soll sich be- sonders den Themen Gesundheit, Ernährung und Umwelt wid- men und eine Informationsquelle für alle an der Biotechnolo- gie Interessierte sein. Verlag und Herausgeber möchten auch Biotechnologie ist mehr als die Kommerzialisierung der Biologie Hans Günter Gassen ist emeritierter Professor für Biochemie an der Technischen Universität Darmstadt und Kurator von Biologie in unserer Zeit. besonders Biotechnologen aus Schwellenländern die Gelegen- heit geben, ihre Ergebnisse einem internationalen Publikum vorzustellen. Als Herausgeber der neuen Zeitschrift und als BIUZ-Kurator möchte ich außerdem dafür sorgen, dass über aktuelle Entwicklungen auch in BIUZ mit spannenden und in- formativen Artikeln berichtet wird. E in Beleg dafür ist der Beitrag über Biogasanlagen in diesem Heft. Spannend geht es weiter mit einer besonders kon- troversen Hypothese der Molekularbiologie: der Prionen-Theo- rie. Stanley B. Prusiner erhielt 1997 den Nobelpreis für Medi- zin und Physiologie für sein 1982 aufgestelltes Prionenkonzept, d.h. die Überlegung, dass Proteinpartikel ohne genetisches Material als infektiöse Agenzien die Auslöser tödlich verlau- fender Nervenerkrankungen sein können. 22 Jahre danach wird die kühne Theorie experimentell gestützt durch die in-vitro Synthese dieser Partikel und den Nachweis ihrer Infektiosität. F luoreszierende Proteine, die nach gentechnischen Arbeitsschritten in vielen Lebewesen exprimiert werden können, sind faszinierende Werkzeuge für alle molekular arbeitenden Biologen und Mediziner. Sie ermöglichen Ein- blicke in die Anatomie und physiologi- sche Funktion kleiner und großer Lebe- wesen. Was heute noch Grundlagenfor- schung ist, wird morgen schon als Test- system in der Toxikologie und der klinischen Prüfung einge- setzt. M it den „Experimenten rund um die Milch“ kommen wir zurück zur traditionellen Biotechnologie. Das Haltbar- machen von Milch in Form von Yoghurt und Käse ist eine der großen Errungenschaften, um in Notzeiten überleben zu können. M it Weihnachtsmärchen tut man sich in Bezug auf die Bio- technologie ein wenig schwerer. Aber wenn es gelänge, die Lebensbedingungen vieler Menschen unter dem gemein- samen Einsatz von „bios“, „techne“ und „logos“ ein wenig zu bessern, dann wäre dies für verantwortungsbewusste Wissen- schaftler und Techniker ein schönes Geschenk. Den Lesern der Dezember-Ausgabe der BIUZ wünsche ich viel Spaß beim Lesen sowie das Gefühl, nach der Lektüre mehr zu wissen und manches verstanden zu haben. HANS GÜNTER GASSEN „BIOTECHNOLOGIE IN DEUTSCHLAND: VOM SPÄT- ZÜNDER IN DEN INTERNATIO- NALEN SPITZENBEREICH.“

Biotechnologie ist mehr als die Kommerzialisierung der Biologie

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| E D I TO R I A L

© 2005 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim www.biuz.de 6/2005 (35) | Biol. Unserer Zeit | 359

Der Begriff Biotechnologie schien für viele Zeitgenossenein Sammelsurium aus verschiedenen Disziplinen zu sein

– vereint durch das gemeinsame Ziel, mit wissenschaftlichenErgebnissen Geld zu verdienen. Doch nach der Euphorie derGründerjahre sind auch die Erwartungen bescheidener ge-worden. Heute definieren wir Biotechnologie als die Nutzungvon Lebewesen, besonders Bakterien und Hefen, in Verfahrenund zur Herstellung von Produkten.

Das Wort selbst leitet sich von den drei griechischen Wör-tern „bios“, „techne“ und „logos“ ab, übersetzt mit Leben,

Kunstfertigkeit und Denkvermögen. Schöner kann man ei-gentlich einen Begriff nicht zusammensetzen. Um 1938 über-nahm das britische Magazin „Nature“ den Begriff für die tech-nisch nutzbare Biologie und machte ihn damit hoffähig.

Der erste Big Bang kam für die Biotechnologie mit der Her-stellung von Antibiotika wie Penicillin aus Streptomyce-

ten. Die Situation der „Technologie desLebens“ änderte sich dann drastisch mitder Entschlüsselung der DNA-Struktur1953 durch James Watson und FrancisCrick. Als dann noch Paul Berg und vie-le andere zeigten, dass man Fremd-DNAstabil in Bakterien inserieren kann unddas fremde Erbgut die Produktion seinereigenen Proteine dirigiert, wurde dieBiotechnologie um eine neue Disziplinbereichert: die Gentechnologie. Die Kontroverse über den Segen und Fluch von Bio- und Gentechnologie hält bis heutean und ist auf Grund der Vielzahl neuer ethischer Fragestel-lungen auch zu Recht noch lange nicht ausgestanden.

Mit dem neuen wissenschaftlich-technischen Repertoireschaffte es die Biotechnologie in den Stand eines sehr

erfolgreichen Industriezweiges. Aufgrund seiner wissenschaft-lichen und technischen Fähigkeiten stellt Deutschland einenhervorragenden Standort für die Biotechnologie dar. Wir müs-sen aber zugeben, dass wir besonders in der roten Biotechno-logie – d.h. in der medizinischen Anwendung – Spätzündersind. Wenn wir aber unser Wissen aus der Regeltechnik undder Materialwissenschaft mit der Biotechnologie zusammennutzen und schnell die Bedürfnisse des Marktes bedienen, dannsind wir im internationalen Spitzenbereich.

Über die wissenschaftlichen und merkantilen Fortschritteder Biotechnologie in aller Welt wird vom Januar 2006 an

auch der neue Wiley-VCH-Titel „Biotechnology Journal“ be-richten. Die monatlich erscheinende Zeitschrift soll sich be-sonders den Themen Gesundheit, Ernährung und Umwelt wid-men und eine Informationsquelle für alle an der Biotechnolo-gie Interessierte sein. Verlag und Herausgeber möchten auch

Biotechnologie ist mehr als die Kommerzialisierung der Biologie

Hans Günter Gassen istemeritierter Professorfür Biochemie an derTechnischen UniversitätDarmstadt und Kuratorvon Biologie in unsererZeit.

besonders Biotechnologen aus Schwellenländern die Gelegen-heit geben, ihre Ergebnisse einem internationalen Publikumvorzustellen. Als Herausgeber der neuen Zeitschrift und als BIUZ-Kurator möchte ich außerdem dafür sorgen, dass überaktuelle Entwicklungen auch in BIUZ mit spannenden und in-formativen Artikeln berichtet wird.

Ein Beleg dafür ist der Beitrag über Biogasanlagen in diesemHeft. Spannend geht es weiter mit einer besonders kon-

troversen Hypothese der Molekularbiologie: der Prionen-Theo-rie. Stanley B. Prusiner erhielt 1997 den Nobelpreis für Medi-zin und Physiologie für sein 1982 aufgestelltes Prionenkonzept,d.h. die Überlegung, dass Proteinpartikel ohne genetisches Material als infektiöse Agenzien die Auslöser tödlich verlau-fender Nervenerkrankungen sein können. 22 Jahre danach wirddie kühne Theorie experimentell gestützt durch die in-vitroSynthese dieser Partikel und den Nachweis ihrer Infektiosität.

Fluoreszierende Proteine, die nachgentechnischen Arbeitsschritten in

vielen Lebewesen exprimiert werdenkönnen, sind faszinierende Werkzeugefür alle molekular arbeitenden Biologenund Mediziner. Sie ermöglichen Ein-blicke in die Anatomie und physiologi-sche Funktion kleiner und großer Lebe-wesen. Was heute noch Grundlagenfor-schung ist, wird morgen schon als Test-

system in der Toxikologie und der klinischen Prüfung einge-setzt.

Mit den „Experimenten rund um die Milch“ kommen wirzurück zur traditionellen Biotechnologie. Das Haltbar-

machen von Milch in Form von Yoghurt und Käse ist eine der großen Errungenschaften, um in Notzeiten überleben zukönnen.

Mit Weihnachtsmärchen tut man sich in Bezug auf die Bio-technologie ein wenig schwerer. Aber wenn es gelänge,

die Lebensbedingungen vieler Menschen unter dem gemein-samen Einsatz von „bios“, „techne“ und „logos“ ein wenig zubessern, dann wäre dies für verantwortungsbewusste Wissen-schaftler und Techniker ein schönes Geschenk. Den Lesern derDezember-Ausgabe der BIUZ wünsche ich viel Spaß beim Lesen sowie das Gefühl, nach der Lektüre mehr zu wissen undmanches verstanden zu haben.

HANS GÜNTER GASSEN

„BIOTECHNOLOGIE IN

DEUTSCHLAND: VOM SPÄT-

ZÜNDER IN DEN INTERNATIO-

NALEN SPITZENBEREICH.“