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Eines Abends gehe ich noch mal in mein Hongkonger Labor. Es raschelt in der Ecke. Ich schaue genauer hin: Meine chinesischen Labormäuse haben in ihrem Käfig ein Bild aufgehängt! Das Porträt eines unrasierten Mannes mit wu- scheligem Haar und breitem Grinsen: Das ist doch Prof. Stefan Dübel, der kürzlich bei uns einen Vortrag gehalten hat! Treue Biolumnen-Leser kennen ihn bereits. Er ist derzeit Leiter der Biotechnologie an der TU Braunschweig. Wieso diese Mäuse-Verehrung für Stefan – und nicht für mich?! Nun, die Forschungen von Dübel versprechen, un- zähligen Labormäusen das Leben zu retten! Beim Besuch in Hongkong erzählte er mir: »Seit ich Stu- dent war, habe ich versucht, auf Tierversuche zu verzichten, aber in der biomedizinischen Forschung ist das nicht leicht. In einem Kurs während des Studiums zeigte man uns die Herstellung von Ascites. Es wurden den Mäusen Antikörper produzierende Hybridom-(=Krebs)-Zellen in die Bauchhöhle gespritzt, damals das Standardverfahren zur Produktion gro- ßer Mengen monoklonaler Antikörper. Die Mäuse entwickeln danach stark aufgeblähte Bäuche voller Tumormasse. Zum Glück ist das jetzt in den meisten Ländern verboten. Trotzdem impft man noch immer unzäh- lige Mäuse, um später ihre Milz zu gewinnen – zur Herstel- lung monoklonaler Antikörper. Dabei ist das gar nicht nötig!« Bis zu 100000 Tiere werden pro Jahr weltweit für die Er- zeugung von Antikörpern geopfert! Das Antikörper-Phagen-Display, an dessen Entwicklung Dübel und sein Heidelberger Kollege Frank Breitling maßgeb- lichen Anteil hatten, kommt dagegen ganz ohne Tiere aus. In einem kürzlichen Wettbewerb um die effektivste Herstellung Der Labormaus- Retter 76 19.03.11 R. Renneberg, V. Berkling, Biotechnologische Leckerbissen, DOI 10.1007/978-3-642-37111-0_23, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

Biotechnologische Leckerbissen || Der Labormaus- Retter

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Eines Abends gehe ichnoch mal in meinHongkonger Labor. Esraschelt in der Ecke.Ich schaue genauer hin:

Meine chinesischen Labormäuse haben in ihrem Käfig ein Bildaufgehängt! Das Porträt eines unrasierten Mannes mit wu-scheligem Haar und breitem Grinsen: Das ist doch Prof. StefanDübel, der kürzlich bei uns einen Vortrag gehalten hat! TreueBiolumnen-Leser kennen ihn bereits. Er ist derzeit Leiter derBiotechnologie an der TU Braunschweig.

Wieso diese Mäuse-Verehrung für Stefan – und nicht fürmich?! Nun, die Forschungen von Dübel versprechen, un-zähligen Labormäusen das Leben zu retten!

Beim Besuch in Hongkong erzählte er mir: »Seit ich Stu-dent war, habe ich versucht, auf Tierversuche zu verzichten,aber in der biomedizinischen Forschung ist das nicht leicht.

In einem Kurs während des Studiums zeigte man uns dieHerstellung von Ascites. Es wurden den Mäusen Antikörperproduzierende Hybridom-(=Krebs)-Zellen in die Bauchhöhlegespritzt, damals das Standardverfahren zur Produktion gro-ßer Mengen monoklonaler Antikörper.

Die Mäuse entwickeln danach stark aufgeblähte Bäuchevoller Tumormasse. Zum Glück ist das jetzt in den meistenLändern verboten. Trotzdem impft man noch immer unzäh-lige Mäuse, um später ihre Milz zu gewinnen – zur Herstel-lung monoklonaler Antikörper. Dabei ist das gar nicht nötig!«

Bis zu 100 000 Tiere werden pro Jahr weltweit für die Er-zeugung von Antikörpern geopfert!

Das Antikörper-Phagen-Display, an dessen EntwicklungDübel und sein Heidelberger Kollege Frank Breitling maßgeb-lichen Anteil hatten, kommt dagegen ganz ohne Tiere aus. Ineinem kürzlichen Wettbewerb um die effektivste Herstellung

Der Labormaus-Retter

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R. Renneberg, V. Berkling, Biotechnologische Leckerbissen,DOI 10.1007/978-3-642-37111-0_23, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

von Forschungsantikörpern zeigte sich das deutlich: Von denfünf erfolgreichen Labors, die Antikörper gegen die 20 vorge-gebenen Antigene erzeugen konnten, arbeiteten bereits viermit Phagendisplay! Kurze Wiederholung: Erbsubstanz-Stückefür sehr viele unterschiedliche Antikörper werden in Bakte-

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rien befallende Viren (Phagen) gepackt. Die Phagen produzie-ren dann jeweils einen Antikörper auf ihrer Oberfläche, jederbindet an ein anderes Eiweiß (Antigen). Man kann nun dieErbsubstanz für den »richtigen« Antikörper herausfischen, daer am Antigen hängen bleibt. Die gefundene Antikörper-Erb-substanz schleust man in kultivierte Zellen ein. Diese produ-zieren die Antikörper in Riesenmengen... ganz unblutig. Keineinziges Tier muss geopfert werden!

Die meisten Kollegen verwendeten dieses Phagendisplayschon länger zur finanziell lukrativen Herstellung von thera-peutischen menschlichen Antikörpern. Dübel startete bereits2003 ein Projekt zur Herstellung von Forschungsantikörpernmit dieser Methode. Heute benutzen sogar die US-amerikani-schen National Institutes of Health (NIH) das Verfahren fürihr Großprogramm zur Herstellung von Antikörpern für sämt-liche 30 000 menschlichen Proteine. Bei der klassischen Me-thode würde dieses NIH-Projekt über 100 000 Mäuse dasLeben kosten.

Prof. Dübel verwies in seinem Vortrag in Hongkong aufeinen weiteren Vorzug: »Die Technologie ist heute sogarschneller und preiswerter als die Maus-basierte Antikörper-herstellung.«

Zurück ins Labor! Bei den Mäusen knallen die Sektkorkenmit dem typisch chinesischen Trinkspruch: »Prof. Dübel, er lebe 100 Jahre und mehr!«

Doch das war wohl nur mein seltsamer Traum. Die Pha-gendisplay-Technik aber ist Realität...

Eigentlich ist Stefan Dübel ein Top-Kandidat für den Felix-Wankel-Tierschutz-Forschungspreis. Der wird alle zweiJahre in München vergeben.