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Glückliche Mäuse be- kämpfen Krankheiten besser! Das ist die pro- vokative Aussage einer unlängst in der renom- mierten Zeitschrift Cell erschienenen Studie. Dies könnte auch Auswirkungen auf die Wissenschaft insgesamt, insbe- sondere aber auf die Krebsforschung haben. Und auf die La- bortier-Haltung. Zwar gibt es für Tierexperimente neue Richtlinien aus Brüssel, aber die Tierschützer sind damit noch nicht zufrieden. Eine »Verschönerung« oder Bereicherung (engl.: enrich- ment) der Umgebung der Labortiere kann also bedeuten, dass die Wirkung von Arzneimitteln anders ausfällt als in eher kar- gem Ambiente. Neurologische Veränderungen waren bei Na- gern schon früher nachgewiesen worden, aber die Auswirkungen, z.B. auf eine Krebsbehandlung, wurden noch nicht erforscht. Matthew During von der Ohio State University ging der Frage experimentell nach. Den Versuchsmäusen wurden Me- lanomzellen injiziert, um die Tumorentstehung zu untersu- chen. Dann wurden die Probanden geteilt: Die einen wohnten in Standardkäfigen mit nur vier Kameraden, die anderen deut- lich besser auf einer 40 Mal größeren Fläche mit 15 bis 20 Ka- meraden, mehr Verstecken und noch mehr Spielmaterial. Erstaunlicherweise waren die entstandenen Tumore nach drei Wochen bei den »reichen« Mäusen 43 Prozent kleiner als bei ihren Kollegen in Standardkäfigen. Nach sechs Wochen zeigte sich der gesundheitliche »Vorsprung« der »Reichen« in 77 Prozent kleineren Tumoren gegenüber den Normalmäu- sen. Manche von ihnen hatten überhaupt keine sichtbaren Tu- more mehr. Die Kontrollgruppe dagegen war durchgängig massiv erkrankt. 40 Glückliche Labormäuse? 25.09.10 R. Renneberg, V. Berkling, Biotechnologische Leckerbissen, DOI 10.1007/978-3-642-37111-0_11, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

Biotechnologische Leckerbissen || Glückliche Labormäuse?

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Page 1: Biotechnologische Leckerbissen || Glückliche Labormäuse?

Glückliche Mäuse be-kämpfen Krankheitenbesser! Das ist die pro-vokative Aussage einerunlängst in der renom-

mierten Zeitschrift Cell erschienenen Studie. Dies könnteauch Auswirkungen auf die Wissenschaft insgesamt, insbe-sondere aber auf die Krebsforschung haben. Und auf die La-bortier-Haltung. Zwar gibt es für Tierexperimente neueRichtlinien aus Brüssel, aber die Tierschützer sind damit nochnicht zufrieden.

Eine »Verschönerung« oder Bereicherung (engl.: enrich-ment) der Umgebung der Labortiere kann also bedeuten, dassdie Wirkung von Arzneimitteln anders ausfällt als in eher kar-gem Ambiente. Neurologische Veränderungen waren bei Na-gern schon früher nachgewiesen worden, aber dieAuswirkungen, z.B. auf eine Krebsbehandlung, wurden nochnicht erforscht.

Matthew During von der Ohio State University ging derFrage experimentell nach. Den Versuchsmäusen wurden Me-lanomzellen injiziert, um die Tumorentstehung zu untersu-chen. Dann wurden die Probanden geteilt: Die einen wohntenin Standardkäfigen mit nur vier Kameraden, die anderen deut-lich besser auf einer 40 Mal größeren Fläche mit 15 bis 20 Ka-meraden, mehr Verstecken und noch mehr Spielmaterial.

Erstaunlicherweise waren die entstandenen Tumore nachdrei Wochen bei den »reichen« Mäusen 43 Prozent kleiner alsbei ihren Kollegen in Standardkäfigen. Nach sechs Wochenzeigte sich der gesundheitliche »Vorsprung« der »Reichen« in77 Prozent kleineren Tumoren gegenüber den Normalmäu-sen. Manche von ihnen hatten überhaupt keine sichtbaren Tu-more mehr. Die Kontrollgruppe dagegen war durchgängigmassiv erkrankt.

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R. Renneberg, V. Berkling, Biotechnologische Leckerbissen,DOI 10.1007/978-3-642-37111-0_11, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

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During berichtet: »Das Ergebnis war sehr robust und auf-regender, als wir vorhergesehen hatten.« Die Forscher fandenes so schockierend, dass sie den Versuch fünf Jahre lang mitinsgesamt 1500 Tieren wiederholten. Dabei wiesen sie den Effekt mit einer anderen Gruppe auch für Darmkrebs nach.

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»Sensorische, kognitive und motorische Stimulation kann vorvielen Krankheiten schützen«, schreibt During. »Aber welcheUmweltaspekte lassen den Tumor schrumpfen?«

Die Forscher identifizierten verschiedene Faktoren, zumBeispiel den Brain-Derived Neurotrophic Factor (BDNF, über-setzt: hirnabgeleiteter neurotrophischer Faktor).

BDNF gehört zu den Stoffen, die die Verbindung zwischenNervenzellen befördern.

Und auch das Protein-Hormon Leptin (es regelt den Appe-tit) ist offenbar wichtig. Als die Erzeugung oder Wirkung dergenannten Stoffe blockiert wurden, gingen auch die positivenEffekte der »reichen« Umgebung verloren.

Doch scheint dies noch nicht schlüssig zu sein: Die Leptin-Produktion wurde z.B. mit dem Betablocker Propranololunterbunden, der schon lange bei der Bekämpfung von Blut-hochdruck im Einsatz ist. Eine Wechselwirkung bei der Krebs-therapie hätte längst auffallen müssen.

Die Autoren des Berichts fordern jedenfalls alle Wissen-schaftler (und nicht nur die in der Hirnforschung) auf, den Ein-fluss der Laborbedingungen auf ihre Versuchstiere zuuntersuchen.

Und was ist mit uns Menschen? »Lieber arm und gesundals reich und krank«, wie meine Großmutter meinte? Offenbar nicht!

»Man kann einen Menschen mit einer Wohnung erschlagen wie mit einer Axt!« So sah es aufgrund seiner Erfahrungen der Berliner Maler Heinrich Zille.

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