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178 | Biol. Unserer Zeit | 35. Jahrgang 2005 | Nr. 3 DOI:10.1002/biuz.200410279 © 2005 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim S eit den 1970er Jahren werden bei Rifforganismen vor al- lem Schäden auf Grund von anthropogenen Verände- rungen der Wasserqualität festgestellt. Von Menschen ver- ursachte Belastungen betreffen dabei insbesondere ver- stärkte Sedimentation, Eutrophierung, Pestizide und andere Toxine, industrielle Verschmutzungen, Abwässer und petrochemische Rückstände. Solcherart gestresste Or- ganismen haben eine verringerte Widerstandskraft bei der (ständigen) Interaktion mit Mikroorganismen, sie erkran- ken und sterben ab. Krankheiten können einen sehr star- ken Einfluss auf den Zustand einer Population oder eines ganzen Ökosystems ausüben, indem sie metabolische Leistungsfähigkeit, Nährstoffbedarf, Wachstum, Vermeh- rung, Konkurrenzfähigkeit, Stresstole- ranz und andere ökologische Kenn- größen verändern. Die rapide Zu- nahme kranker Korallen einschließ- lich neuer Krankheitsbilder insbeson- dere in westatlantischen Riffen (siehe auch Kasten „Großes Barriere Riff und Indo-Pazifik vs. ,Hot Spot‘ Karibik“ auf Seite 180) ist mittlerweile Anlass zur Besorgnis [12]. Arnfried Antonius hatte 1973 zum ersten Mal auf krankhafte Gewebsverluste aufmerksam gemacht [1]; inzwischen werden 18 verschiedene Korallenkrankhei- ten unterschieden (Tabelle 1). Die wichtigsten werden im Folgenden dargestellt. Black Band, White Band und White Plague Disease Zu Beginn der 1970er Jahre wurde die erste Krankheit bei Korallen, die so genannte Black Band Disease (BBD, Abbil- dung 1) durch Antonius [1] in Belize beschrieben. BBD er- scheint als bis zu einen Zentimeter breites, lila bis schwar- zes Band aus weichem, schleimigem Material (Abbildung 2), das sich mit circa einem Zentimeter pro Tag über die Gewebeoberfläche schiebt, dabei das lebende Korallen- gewebe zersetzt und ein nacktes, weißes Korallenskelett zurücklässt. Das entblößte Kalkskelett wird meist schnell von Algen besiedelt. Unbeschädigtes Korallengewebe ist in der Lage, nacktes Skelett erneut zu besiedeln; eine voll- ständige Erholung ist daher möglich. Mindestens 42 Stein- korallenarten sind weltweit betroffen, außerdem Hornko- rallen der Ordnung Gorgonaria und Hydrokorallen aus der Familie der Milleporidae. In indopazifischen Riffen wurde ihr Auftreten jedoch erst in den vergangenen Jahren (und nur vereinzelt) beobachtet (Abbildung 3). Die Verbreitung in Strömungsrichtung konnte ebenso nachgewiesen werden wie Krankheitsreservoire im Sedi- ment und auf gesunden Kolonien, verletzte Kolonien sind grundsätzlich besonders gefährdet. Häufigkeit und Dauer von BBD-Infektionen stehen mit verstärkter Sedimentation, einer Zunahme von Nitrit-Konzentration und toxischen Chemikalien sowie erhöhten Wassertemperaturen in Zu- sammenhang. Mit zunehmender Tiefe, Korallendiversität und Orthophosphat-Konzentrationenen nimmt das Krank- heitsrisiko jedoch ab. Im Winter kommt es häufig zur Ver- langsamung beziehungsweise sogar zum Verschwinden des Korallenriffe stehen weltweit unter natürlichen und anthropo- genen Belastungen, die zeitlich, räumlich und qualitativ inner- halb der vergangenen Jahrzehnte ständig zugenommen haben. Die Kombination aus chronischem Stress, häufigen Störungen und fehlenden Erholungsphasen birgt die Gefahr einer gravierenden Degradation in bisher unbekannter Inten- sität und Geschwindigkeit: Mehr als ein Viertel der Riffe gelten bereits als verloren. Neben Belastungen durch Sedimentation, Eutrophierung und destruktive Fischerei werden Korallen- krankheiten als eine Hauptursache dafür angesehen. Pathogene häufig unbekannt, Folgen verheerend, Therapien gesucht: Biotische Korallen- krankheiten DAVID COMBOSCH | HELMUT S CHUHMACHER Die mit einem grünen Pfeil markierten Begriffe werden im Glossar erklärt. ABB. 1 Black Band Disease hat eine Diploria strigosa-Kolo- nie bei Panama befallen. Im hellen Bereich ist das Korallen- gewebe abgestorben, das Skelett liegt frei und wird in Kürze von Algen besiedelt werden. Bild: H. Schuhmacher ABB. 2 Black Band Disease, violette Variante, auf Montastrea cavernosa in der Karibik. Bild: A. W. Bruckner

Biotische Korallenkrankheiten: Pathogene häufig unbekannt, Folgen verheerend, Therapien gesucht

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178 | Biol. Unserer Zeit | 35. Jahrgang 2005 |Nr. 3 DOI:10.1002/biuz.200410279 © 2005 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim

Seit den 1970er Jahren werden bei Rifforganismen vor al-lem Schäden auf Grund von anthropogenen Verände-

rungen der Wasserqualität festgestellt. Von Menschen ver-ursachte Belastungen betreffen dabei insbesondere ver-stärkte Sedimentation, Eutrophierung, Pestizide undandere Toxine, industrielle Verschmutzungen, Abwässerund petrochemische Rückstände. Solcherart gestresste Or-ganismen haben eine verringerte Widerstandskraft bei der(ständigen) Interaktion mit Mikroorganismen, sie erkran-ken und sterben ab. � Krankheiten können einen sehr star-ken Einfluss auf den Zustand einer Population oder eines

ganzen Ökosystems ausüben, indemsie metabolische Leistungsfähigkeit,Nährstoffbedarf, Wachstum, Vermeh-rung, Konkurrenzfähigkeit, Stresstole-ranz und andere ökologische Kenn-größen verändern. Die rapide Zu-nahme kranker Korallen einschließ-lich neuer Krankheitsbilder insbeson-dere in westatlantischen Riffen (sieheauch Kasten „Großes Barriere Riff undIndo-Pazifik vs. ,Hot Spot‘ Karibik“ aufSeite 180) ist mittlerweile Anlass zur

Besorgnis [12]. Arnfried Antonius hatte 1973 zum erstenMal auf krankhafte Gewebsverluste aufmerksam gemacht[1]; inzwischen werden 18 verschiedene Korallenkrankhei-ten unterschieden (Tabelle 1). Die wichtigsten werden imFolgenden dargestellt.

Black Band, White Band undWhite Plague Disease

Zu Beginn der 1970er Jahre wurde die erste Krankheit beiKorallen, die so genannte Black Band Disease (BBD, Abbil-dung 1) durch Antonius [1] in Belize beschrieben. BBD er-scheint als bis zu einen Zentimeter breites, lila bis schwar-zes Band aus weichem, schleimigem Material (Abbildung2), das sich mit circa einem Zentimeter pro Tag über die Gewebeoberfläche schiebt, dabei das lebende Korallen-gewebe zersetzt und ein nacktes, weißes Korallenskelettzurücklässt. Das entblößte Kalkskelett wird meist schnellvon Algen besiedelt. Unbeschädigtes Korallengewebe ist inder Lage, nacktes Skelett erneut zu besiedeln; eine voll-ständige Erholung ist daher möglich. Mindestens 42 Stein-korallenarten sind weltweit betroffen, außerdem Hornko-rallen der Ordnung Gorgonaria und Hydrokorallen aus derFamilie der Milleporidae. In indopazifischen Riffen wurdeihr Auftreten jedoch erst in den vergangenen Jahren (undnur vereinzelt) beobachtet (Abbildung 3).

Die Verbreitung in Strömungsrichtung konnte ebensonachgewiesen werden wie Krankheitsreservoire im Sedi-ment und auf gesunden Kolonien, verletzte Kolonien sindgrundsätzlich besonders gefährdet. Häufigkeit und Dauervon BBD-Infektionen stehen mit verstärkter Sedimentation,einer Zunahme von Nitrit-Konzentration und toxischenChemikalien sowie erhöhten Wassertemperaturen in Zu-sammenhang. Mit zunehmender Tiefe, Korallendiversitätund � Orthophosphat-Konzentrationenen nimmt das Krank-heitsrisiko jedoch ab. Im Winter kommt es häufig zur Ver-langsamung beziehungsweise sogar zum Verschwinden des

Korallenriffe stehen weltweit unter natürlichen und anthropo-genen Belastungen, die zeitlich, räumlich und qualitativ inner-halb der vergangenen Jahrzehnte ständig zugenommen haben. Die Kombination aus chronischem Stress, häufigenStörungen und fehlenden Erholungsphasen birgt die Gefahreiner gravierenden Degradation in bisher unbekannter Inten-sität und Geschwindigkeit: Mehr als ein Viertel der Riffe geltenbereits als verloren. Neben Belastungen durch Sedimentation,Eutrophierung und destruktive Fischerei werden Korallen-krankheiten als eine Hauptursache dafür angesehen.

Pathogene häufig unbekannt, Folgen verheerend, Therapiengesucht:

Biotische Korallen-krankheiten DAVID COMBOSCH | HELMUT SCHUHMACHER

Die mit einem grünen Pfeil markierten Begriffewerden im Glossarerklärt.

A B B . 1 Black Band Disease hat eine Diploria strigosa-Kolo-nie bei Panama befallen. Im hellen Bereich ist das Korallen-gewebe abgestorben, das Skelett liegt frei und wird in Kürzevon Algen besiedelt werden. Bild: H. Schuhmacher

A B B . 2 Black Band Disease, violetteVariante, auf Montastrea cavernosa inder Karibik. Bild: A. W. Bruckner

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schwarzen Bandes; in Versuchen konnten Kolonien inner-halb von acht Tagen durch Beschattung geheilt werden.

In dem Band wurde ein Konsortium verschiedener Mikroorganismen nachgewiesen [6]: Cyanobakterien,Schwefel oxidierende, Sulfat reduzierende und heterotro-phe gramnegative Bakterien, marine Pilze und andere Mikroorganismen. Das photosynthetisierende Cyanobakte-rium Phormidium corallyticum, die Schwefel-OxidiererBeggiatoa spp. und die Sulfat-Reduzierer Desulfovibriospp. wurden als funktionelle und physische Hauptkompo-nenten identifiziert. Ein steiler Sauerstoff-Gradient mit an-oxischen Bedingungen an der Gewebeoberfläche wirddort von Desulfovibrio spp. genutzt, um Sulfat zu H2S zu re-duzieren. Das dadurch entstehende extreme Mikromilieumit hohen H2S–Konzentrationen und anoxische Bedingun-gen führt schließlich zum Absterben des Gewebes, dessenorganische Bestandteile wiederum von den Mikroorganis-men als Quelle für organischen Kohlenstoff und Nährstoffegenutzt werden.

Lange Zeit glaubte man, P. corallyticum, Hauptkompo-nente und Farbgeber des schwarz-violetten Bandes, sei dasallein verantwortliche Pathogen. Jüngste Untersuchungenzeigen jedoch, dass mindestens drei verschiedene Cyano-bakterien für BBD verantwortlich sein können, und inzwi-schen werden weitere Pathogene diskutiert. Nach 30 Jah-ren Forschung und über 20 Jahre nach der Identifikationvon P. corallyticum ist dies ein überraschend neuer Aspekt,der die Notwendigkeit und das große Potenzial molekular-biologischer Techniken bei der Erforschung von Krankhei-ten im marinen Milieu deutlich macht.

1982 beobachtete Gladfelter bei beiden Acropora-Ar-ten des Atlantiks, Acropora palmata und A. cervicornis,dass sich Gewebepartien von den Ästen dieser verzweigtwachsenden Korallen ablösen [7].Durch den fortschreitenden Gewebe-verlust von der Basis zu den Spitzenkommt es zu einem charakteristischenweißen Band entblößten Kalkskeletts,das nachfolgend von Algen besiedeltwird; die Krankheit wurde deshalbWhite Band Disease (WBD, Abbildung4) genannt. 1998 wurde eine neue Va-riation von WBD, die so genannteWBD II, bei Acropora spp. beschrie-ben, die sich von WBD I durch einzwei bis 20 Zentimeter breites Bandaus gebleichtem Gewebe zwischen in-taktem Gewebe und totem Kalkske-lett unterscheidet. WBD II wurdeaußerdem nur auf den Bahamas ge-funden, WBD I hingegen in der ge-samten Karibik und WBD-ähnlicheSymptome weltweit. Da bisher keinPathogen eindeutig nachgewiesenwerden konnte, sind die Beziehungenzwischen den verschiedenen Variatio-

nen unklar. WBD I konnte bisher nichtmit anthropogener Eutrophierungkorreliert werden. Versuche, dieKrankheit mit Antibiotika zu stoppen,waren erfolglos. Aus der Schleim-schicht WBD II-infizierter Kolonienkonnten jedoch immer Vibrio char-charia–ähnliche Bakterien isoliertwerden (siehe auch „Korallenkrank-heiten des Indo-Pazifik“ weiter un-ten), ein zweifelsfreier Pathogenitäts-nachweis fehlt jedoch bisher.

Ebenfalls 1977 berichtete Dustan[5] auch bei massiven und � inkrustie-renden Korallen in den Florida Keysvon Gewebeverlusten und nannte dieses Phänomen auf-grund der freigelegten, weißen Skelettpartien White PlagueDisease (WPD). Inzwischen werden zwei weitere Variatio-nen von WPD unterschieden, WPD II und WPD III, die sichin Art und Geschwindigkeit des Krankheitsverlaufs, Viru-lenz und in den betroffenen Arten unterscheiden. WPD I-Infektionen beginnen immer an der Seite einer in-fizierten Kolonie, der Krankheitsfortschritt beträgt nur ma-ximal drei Millimeter pro Tag und betroffen sind insgesamt15 Arten, die alle auch WPD II-sensibel sind. Stäbchenför-mige, gramnegative � Flexibakterien konnten isoliert, je-doch nie als Pathogene bestätigt werden. WPD I war in den1970er und 1980er Jahren in den Florida Keys verbreitet,verursachte jedoch keine signifikante Korallenmortalität.Die Krankheit konnte seither nicht mehr nachgewiesenwerden.

WPD II wurde 1995 in den Florida Keys zuerst doku-mentiert und war lange die schnellste (ein bis drei Zenti-

A B B . 3 Noch tritt Black Band Diseaseim Indo-Pazifik nur vereinzelt auf; hier auf Montipora sp. im Hafen vonAkajima (Riukiu-Inseln, Japan). Bild: H. Schuhmacher

Skeletal Anomalies SKA 1965 Squires (1965)Black Band BBD 1973 Antonius (1973)White Plague Type I WPL I 1977 Dustan (1977)Shut-down Reaction SDR 1977 Antonius (1977)White Band Type I WBD I 1982 Gladfelter (1982)Aspergillosis ASP 1996 Smith et al. (1996)White Pox WPD 1996 Holden (1996)Vibrio shiloi-induced Bleaching VSB 1996 Kushmaro et al. (1996)Yellow Blotch/Band YBL 1997 Santavy & Peters (1997)White Plague Type II WPL II 1998 Richardson et al. (1998a)White Band Type II WBD II 1998 Ritchie & Smith (1998)Yellow Band YBD 1998 Korrûbel & Riegl (1998)Dark Spots DSD 1998 Goreau et al. (1998)Skeleton Eroding Band SEB 2000 Antonius & Lipscomb (2000)Fungal-protozoan Syndrome FPS 2000 Cerrano et al. (2000)White Plague Type III WPL III 2001 Richardson et al. (2001)Pink-line Syndrome PLS 2001 Ravindran et al. (2001)Vibrio coralliilyticus-induced VCB 2002 Ben-Haim & Rosenberg (2002)Bleaching and DiseaseAus [19]

Krankheit Abkürzung Jahr Quelle

TA B . 1 E R S T E S AU F T R E T E N D E R W I C H T I G S T E N KO R A L L E N K R A N K H E I T E N

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meter pro Tag beziehungsweise 200 Kilometer in vier Mo-naten) und � virulenteste (inzwischen 27 Steinkorallen-Arten + Millepora alcicornis) bekannte Korallenkrankheit.Im Unterschied zu WPD I liegt ein schmales Band ge-bleichten Gewebes vor dem gesunden Gewebe und geht inentblößtes Korallenskelett über. Richardson und Mitarbei-tende identifizierten das verantwortliche Pathogen mitHilfe eines 16S rRNA Sequenzvergleichs als neue Speziesder Gattung Sphingomonas, ein gramnegatives, obligat aerobes, heterotrophes Bakterium [14]. Inzwischen wurdeeine neue Gattung begründet und der vorgeschlagene,neue Name lautet Aurantimonas coralicida. WPD II istheute in der gesamten Karibik verbreitet.

Zu den jüngsten Korallenkrankheiten überhaupt zähltdie dritte Form, WPD III, die 1999 ebenfalls in Florida do-kumentiert wurde. Sie scheint noch virulenter zu sein,enorme Fortschrittsraten im Dezimeterbereich pro Tagwerden berichtet. Bisher wurden nur große (drei bis vierMeter Durchmesser) Montastrea annularis- und Colpo-phyllia natans-Kolonien infiziert, mögliche Pathogene sindnicht bekannt.

Weitere karibische KorallenkrankheitenUnter den Begriffen „Yellow Band“ und „Blotch Disease“sind zwei ähnliche Krankheiten aus der Karibik (YBD) be-ziehungsweise dem Roten Meer (YBL) bekannt, die vor Absterben des betroffenen Gewebes zu einer charakteristi-schen Gelbfärbung führen. YBD ist in der gesamten Karibikverbreitet und befällt vor allem Montastrea-Arten, die hierzu den wichtigsten � hermatypischen Vertretern gehören.Da sie zu einer dramatischen Reduktion der Zooxanthellen(40 bis 95 Prozent; zu Symbiose mit diesen Algen sieheauch Seite 191) und deren mitotischer Aktivität führt, schä-digt sie vermutlich primär Zooxanthellen und sekundärden Korallenwirt. Bei Red Band Disease (RBD) handelt essich möglicherweise um eine seltene Varietät von BBD mitähnlichen Bandkomponenten und Auswirkungen – im Ge-gensatz zu BBD zeigt die RBD jedoch ein hellrotes bis rot-braunes Band und einen ausgeprägten Tag-/Nacht-Rhyth-mus. Acropora palmata-spezifisch ist die so genannteWhite Pox Disease (WPX), die von Florida aus inzwischenin der gesamten Karibik verbreitet ist und bei der sichscheinbar intaktes Korallengewebe vom Skelett abschält(Abbildung 5).

Patterson und Mitarbeitern [11] gelang es, Serratiamarcescens, ein beim Menschen häufiges Darmbakterium,inklusive Nachweis der Koch‘schen Postulate (siehe Kastenauf Seite 181), als Pathogen zu identifizieren. Dieser Ent-deckung kommt große Bedeutung zu, da zum ersten Malein humanes Darmbakterium als marines Pathogen nachge-wiesen wurde.

Dunkle lila, graue oder braune, ein bis vier Zentimetertiefe Markierungen infizierten Korallengewebes mit teil-weise nekrotischen Folgen wurden 1998 in Kolumbien alsDark Spot Disease (DSD, Abbildung 6) beschrieben. Diesein der Karibik weit verbreitete Krankheit führt ebenfalls zueiner Reduktion der Zooxanthellen und deren mitotischerAktivität. Da die Zooxanthellen außerdem anschwellen

G ROSS E S BA R R I E R E R I F F U N D I N D O - PA Z I F I K V S . „ H OT S P OT “ K A R I B I K |Im Gegensatz zur Karibik spielen biotische Koral-lenkrankheiten im Großen Barriere Riff (GBR) nochkeine große Rolle. In der Literatur gibt es bisher nurwenige Berichte (ausschließlich neueren Datums),die alle nur geringe Auswirkungen dokumentieren.Gegenüber 17 von insgesamt 26 Krankheitsfor-men in der Karibik (zwölf Steinkorallen und fünfHornkorallen) kommen im Indo-Pazifik einschließ-lich Mittelmeer nur elf Formen vor (9 + 2). Im ge-samten Indo-Pazifik wird oft nur zwischen BBDund so genannten White Syndromes unterschieden.BBD ist dort zwar weit verbreitet, die Infektions-rate ist jedoch relativ gering und steigt beispiels-weise im gut untersuchten GBR seit Beginn derÜberwachungen im Jahr 1999 nicht signifikant an.Die Verbreitung von White Syndromes hat im GBRjedoch seit 1999 um 470 Prozent zugenommen.

Die Erforschung von Korallenkrankheiten im GBRhat jedoch erst begonnen und es ist damit zu rech-nen, dass bald mehr Informationen vorliegen.Über den weiteren indopazifischen Raum liegenkaum Untersuchungen vor.

Die hohe Zahl an Korallenkrankheiten und diemassiven Auswirkungen in der Karibik lassen sichaber auch durch grundsätzliche geographischeUnterschiede zwischen diesen beiden Riffregionenerklären: Die Karibik ist sehr dicht besiedelt undvor allem an den Küsten haben sich viele Ballungs-zentren gebildet, die zu starker anthropogener Be-lastung der relativ landnahen karibischen Riffeführen. Die längere Aufenthaltszeit des Meerwas-sers im relativ abgeschlossenen karibischen Beckenverlängert die Aufenthalts- beziehungsweise Wirk-

zeit abiotischer und biotischer Belastungen. Diegenetische Variabilität könnte im karibischenBecken geringer sein als im Indo-Pazifik.

Der Panamakanal ist außerdem eine unnatürlicheVerbindung zum Pazifik, durch den fremde Patho-gene in die Karibik eindringen können. Das Mas-sensterben (95 Prozent) des Seeigels Diadema antillarum in den frühen 1980er Jahren konntebeispielsweise darauf zurückgeführt werden undhatte dramatische Folgen für viele karibischenRiffe. Es ist allerdings nicht ausgeschlossen, dassauch der vergleichsweise hohe Forschungsauf-wand in der Karibik mitverantwortlich ist für die hohe Zahl an Korallenkrankheiten, die hier beschrieben werden.

A B B . 4 White Band Disease an Acropora palmata in der Karibik. Bild: A. W. Bruckner

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und dunkler pigmentiert sind, wird auch hier vermutet,dass primär Zooxanthellen betroffen sind. Aufgrund mor-phologischer Unterschiede zwischen erkrankten Artenwird zwischen DSD I und DSD II unterschieden; Pathogenekonnten bisher jedoch nicht identifiziert werden.

Korallenkrankheiten des Indo-PazifikBBD und WBD sind auch in indo-pazifischen Riffen gefun-den worden. Hier ist allerdings Coral bleaching die be-kannteste und am besten untersuchte Krankheit. Damit be-zeichnet man allgemein Farbverlust unter stressigen Um-weltbedingungen – in der Regel durch den Verlust derZooxanthellen. Nach ihrer Ursache werden zur Zeit zweiPhänomene unterschieden: Das abiotisch induzierte Coralbleaching (siehe Seite 186 ff.) und das von Bakterien indu-zierte Korallenbleichen, letzteres auch nach den verant-wortlichen Bakterien Vibrio shiloi-induced Bleaching(VSB) und Vibrio coralliilyticus-induced Bleaching (VCB)genannt. Ersteres wird durch ungünstige abiotische Um-weltbedingungen ausgelöst, meist als Folge ungewöhnlichhoher Wassertemperaturen, aber auch durch extreme Sali-nität, Sonneneinstrahlung, Sedimentation und Verschmut-

A B B . 5 White Pox Disease an Acropora palmata. a) Anfangsstadium, b) fortgeschrittenes Stadium mit abgestorbenen Stellen.Bilder: H. Schuhmacher, A. W. Bruckner

a) b)

A B B . 6 Dark Spot Disease an Montastrea annularis in derKaribik. Bild: A. W. Bruckner

A B B . 7 Krebsartige Skelettwucherung bei Acropora sp. imRoten Meer. Bild: H. Schuhmacher

KO C H S P OS T U L AT E |Robert Koch formulierte in den 1880er Jahren „Kochs Postulate“, die zum Nachweiskri-terium für potenzielle Pathogene wurden:

1. Der Organismus sollte in Tieren, die an der Krankheit leiden, stets vorhanden sein, in gesunden Tieren aber fehlen.

2. Der Organismus muss in Reinkultur außerhalb des Tieres kultiviert werden.

3. Eine solche Kultur sollte, wenn sie anfälligen Tieren injiziert wird, die charakteristi-sche Krankheit auslösen.

4. Der Organismus sollte aus diesen Versuchstieren isoliert und erneut im Labor kulti-viert werden; anschließend sollte es immer noch der gleiche Organismus sein.

Koch selbst bemerkte jedoch bereits ein grundlegendes Problem seiner Postulate: VieleMikroorganismen erfüllen seine Kriterien nicht. Mikrobiologen vermuten, dass wenigerals ein Prozent aller molekularbiologisch differenzierbaren Mikroorganismen kultivier-bar sind. Bei Korallen ist ihr Nachweis auf Grund fehlender Kenntnisse (Infektionswege,Pathogenkonzentrationen...), und der Problematik, Mikroorganismen aus kontaminier-tem Wasser zu isolieren, besonders schwierig. Kochs Postulate konnten bisher nur fürsechs Korallenkrankheiten erfüllt werden, für WPD II, WPX, VSB, VCB, PLS und ASP. Da neu beschriebene Krankheiten jedoch eine rasche Charakterisierung erfordern, sindmolekularbiologische Methoden heute unentbehrlich. Nach [19].

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zungen. Da erhöhte Wassertemperaturen auch der wich-tigste Virulenzfaktor für biotische Bleaching-Formen sind,wird eine mögliche Verbindung des biotisch beziehungs-weise abiotisch induzierten Bleachings bisher sehr kontro-vers diskutiert (siehe nachfolgender Artikel). Die bioti-schen � Epizootiologien sind relativ gut untersucht und ver-standen [3].

Krebsartige Skelettwucherungen (Abbildung 7) sindebenfalls krankhafte Erscheinungen, die allerdings nichtzum Tod der Kolonie führen, sondern eher die abgeschie-dene Kalkmenge vergrößern. Seit 1996 ist jedoch eine spe-zifische Porites Ulcerative White Spot Disease (PUWSD)von den Philippinen bekannt, die bis zu 22 Prozent (± sie-ben Prozent) dieser wichtigen Riffbildner infiziert hat undzu teilweiser oder kompletter Mortalität der Kolonienführt. Ein Bakterium der bereits erwähnten Gattung Vibriowird als Pathogen verdächtigt, konnte bisher jedoch nichtzweifelsfrei „überführt“ werden. Ein Ciliat, Halofolliculinacorallasia, ist Auslöser einer weiteren Korallenkrankheitnamens Skeleton Eroding Band (SEB) die, wie der Nameschon sagt, durch Ätzen des Karbonatskelettes Markierun-gen zurücklässt, die bei der Untersuchung von Korallen-krankheiten in geologischen Zeitdimensionen eine wich-tige Rolle spielen könnten. Ein weiterer interessanter Fall

ist das Pink Line Syndrome (PLS), das in der Literatur bishererst einmal aus Indien erwähnt ist, für das jedoch bereitsdas verantwortliche Pathogen, das Cyanobakterium Phor-midium valderianum, identifiziert wurde.

Krankheiten bei HornkorallenHornkorallen kommen weltweit vor und obwohl einige derbisher beschriebenen, hauptsächlich Steinkorallen betref-fenden Krankheiten auch an ihnen beobachtet wurden, leiden sie vor allem an spezifischen Erkrankungen. Die be-kannteste und am besten untersuchte Krankheit bei Gor-gonarien (Hornkorallen) wird durch den terrestrischen PilzAspergillus sydowii ausgelöst, die so genannte Aspergillo-sis (ASP, Abbildung 8). Abgesehen von der vermutlich ein-zigartigen Tatsache, dass ein terrestrischer Pilz eine marineKrankheit auslöst, ist hervorzuheben, dass atmosphäri-scher Staub aus der Sahara als mögliches Erregerreservoirangesehen wird [17]. ASP trat bisher nur in der Karibik auf,dies könnte jedoch auch an der dort höheren Gorgonarien-Dichte liegen. Die Krankheit führte teilweise zu einem Mas-sensterben der betroffenen elf häufigen und weit verbrei-teten Arten. Eine Mikroalge, Entocladia endozoica, wirdebenfalls als Krankheitserreger bei karibischen Hornkoral-len beschrieben. Die Krankheit wird aufgrund ihrer cha-rakteristischen Symptome als Algal tumor oder Algal gallsbezeichnet. Cyanobakterien stellen eine weitere Gruppevon Krankheitserregern für Hornkorallen dar. Scytonemasp. wird mit einer Krankheit in Florida in Verbindung ge-bracht, die bereits besprochenen cyanobakteriellen Stein-korallenkrankheiten BBD und RBD sind ebenfalls an Horn-korallen beobachtet worden, und eine ähnliche BrownBand Disease ist im Großen Barriereriff beschrieben wor-den. Im Mittelmeer kam es 1999 zu einer Epidemie unterGorgonarien, die offensichtlich durch sehr hohe Wasser-temperaturen ausgelöst wurde und bei der Protozoen undPilze als opportunistische Pathogene (deshalb Fungal-pro-tozoan Syndrome – FPS), zu einem Massensterben führten.

Auswirkungen von KorallenkrankheitenFolgen und Auswirkungen der genannten Korallenkrank-heiten werden nachfolgend exemplarisch an den drei wich-tigsten Korallenkrankheiten Black Band Disease (BBD),White Band Disease (WBD) und White Plague Disease(WPD) dargestellt.

BBD kommt meist nur unregelmäßig in Riffen vor, ob-wohl auch einige Epidemien dokumentiert wurden, bei-spielsweise in Jamaika und Florida. Kolonien können sichnach einer Infektion zwar wieder vollständig erholen, weithäufiger geht der Gewebeverlust der einmal erkrankten Ko-lonie jedoch auch nach dem Verschwinden des schwarzenBandes weiter.

Bezüglich ihrer Folgen ist WBD eine der am besten do-kumentierten Korallenkrankheiten. Im Belize-Barriereriffkam es durch WBD I zu einer Artenverschiebung von Acro-pora cervicornis (von über 70 Prozent Bodenbedeckungauf 0 Prozent) zu Agaricia spp. (von zehn Prozent auf über

A B B . 8 Gorgonia ventalina mit Aspergillosis in der Karibik.Der vormals geschlossene Fächer ist weitgehend aufgelöst.Bild: A. W. Bruckner

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50 Prozent). In Tague Bay, US Virgin Islands, starben inner-halb von fünf Jahren 50 Prozent der A. palmata-Beständeim Flachwasser, weitere fünf Jahre später waren 95 Prozentder ursprünglichen Bestände verschwunden [7]. Zwischen1980 und 1982 starben in Aruba 90 Prozent aller A. cervi-cornis und in Florida nahm die Acropora-Bedeckung umüber 90 Prozent ab, stellenweise um über 99 Prozent.

Die extrem hohen Verlustraten der früher im Flachwas-ser vorherrschenden Acropora-Arten sind besonders prob-lematisch, da diese Arten eine ökologische Schlüsselfunk-tion in karibischen Riffen wegen ihrer hohen Wachstums-raten und strukturellen Komplexität innehaben. Diebesondere Bedeutung von WBD liegt also nicht nur in derAbnahme lebender Korallenbedeckung, sondern auch inder substanziellen Reduktion des Riffwachstums und derKomplexität und Diversität dieses Lebensraumes.

WPD gilt als schnellste und virulenteste Korallenkrank-heite überhaupt. 40 Korallenarten sind in der Karibik durchmindestens eine der drei Varianten bedroht. WPD I befielin den 1970er Jahren zwischen sieben und 73 Prozent allersensiblen Korallen in den Florida Keys. WPD II betrifft un-gewöhnlich viele Arten (27), beispielsweise auch die sel-tene Dendrogyra cylindrus und besonders Dichocoeniastokesii, die bis dahin zu den widerstandsfähigsten Koral-lenarten überhaupt gezählt wurde. In Puerto Rico waren1996 47 Prozent aller Diploria labyrinthiformis an WPD IIerkrankt. Zu WPD III sind bisher noch keine quantitativenDaten veröffentlicht.

In den Korallenschutzgebieten der Florida Keys wurdein den 1980er Jahren ein Artenverlust um 13 bis 29 Prozentje Untersuchungsstelle festgestellt, die Korallenbedeckungnahm dabei um sieben bis 44 Prozent ab. In der anschlie-ßenden Untersuchung von 1996 bis 2000 nahm die Ko-rallenbedeckung nochmals um durchschnittlich 60 Prozentab. A. cervicornis, Mycetophyllia aliciae, M. danaana undM. ferox konnten in vielen Riffen nicht mehr nachgewiesenwerden. Bei der Isla San Andres und drei unbewohnten In-seln des San Andres y Providencia Archipíelago, Kolum-bien, wurde ein Rückgang der Korallenbedeckung um 43bis 56 Prozent dokumentiert.

Ein wichtiger Aspekt bei dem Rückgang der Korallen-bedeckung ist das freiwerdende Kalkskelett: Es sollte einbegehrtes Substrat im flächenlimitierten Riff darstellen, dasrasch wiederbesiedelt wird. Bei allen bisherigen Untersu-chungen wurden jedoch kaum Korallenansiedlungen auffreigelegtem Kalkskelett gefunden (zur „Wiederauffors-tung“ degradierter Riffe siehe Seite 192 ff.). Ein Problem füreine erfolgreiche Wiederbesiedlung ist sicherlich der Ver-lust großer (alter) Kolonien, die hauptsächlich für die se-xuelle Reproduktion (und Verbreitung durch Larven) ver-antwortlich sind. Im Fall von Acropora cervicornis ist eineFernverbreitung ohnehin erschwert, da sich Kolonien ve-getativ durch Fragmentation (lokal) vermehren, aber seltenGameten produzieren.

Die globalen anthropogenen Klimaveränderungen stel-len einen weiteren, wichtigen Einflussfaktor auf Krank-

heiten im Allgemeinen und Korallenkrankheiten im Beson-deren dar. Bei fünf der (wenigen) bislang identifizierten Korallen-Pathogene ist bekannt, dass sie sehr gut bei Tem-peraturen über dem Optimum ihres Korallenwirtes wach-sen; der globale Klimawandel wird folglich die Korallenweiter schwächen und viele Pathogene stärken. Verände-rungen der globalen Stoffkreisläufe führen ebenfalls zu weitreichenden Konsequenzen für Korallen. Aspergillosis (ASP)könnte ein Vorgeschmack dafür sein: Der verantwortlichePilz wurde aus atmosphärischem Sahara-Staub kultiviert,der vermehrt in die Karibik eingetragen wird. Eine ver-stärkte Nährstoffzufuhr (beispielsweise Eisen) in oligotro-phe Riffgewässer könnte das empfindliche ökologischeGleichgewicht in Riffen auch dergestalt ändern, dassschnellwachsende Algen die hochspezialisierten Korallenverdrängen.

AusblickMehr als 150 Arten der in Riffen lebenden Steinkorallen,Hornkorallen und Hydrokorallen sind bis heute weltweitvon Krankheiten betroffen. Korallenkrankheiten wirken imRiff synergistisch mit direkten anthropogenen Einflüssen(Küstenverbauung und Wasserverschmutzung) und indi-rekten Folgen des globalen Klimawandels (steigende Was-sertemperaturen und steigender Meeresspiegel bei sinken-den Carbonatgehalten) und summieren sich so zu einemStresspotenzial, das inzwischen eine kritische Stufe er-reicht hat. 27 Prozent der weltweiten Korallenriffe gelten

G LOSSA R |abiotische Krankheiten: entstehen durch natürliche oder anthropogene Umweltver-änderungen, beispielsweise durch Klimaveränderung oder Umweltverschmutzung. Siewerden oft durch opportunistische, biotische Pathogene verstärkt.

biotische Krankheiten: werden von pathogenen Mikroorganismen wie Viren, Bakte-rien, Pilzen oder Protisten ausgelöst, sind oft artspezifisch und infektiös. Bei infektiösenKrankheiten kann das Pathogen von einem Wirt zum nächsten übertragen werden.

Epizootiologie: bezeichnet die Untersuchung der Häufigkeit, Verteilung und Dynamikvon Krankheiten bei Tieren, äquivalent zur Epidemiologie bei Menschen.

Flexibakterien: Bakterien aus der Gruppe der Myxobakterien („Schleimbakterien“), die bisher vor allem als Krankheitserreger bei Fischen bekannt sind.

hermatypisch: riffbildend, riffbauend.

inkrustierende Korallen: überkrustende Korallen; die Koralle überwächst ein bio-tisches oder abiotisches Substrat.

Krankheiten: alle Ungleichgewichte vitaler Funktionen oder Systeme eines Organis-mus, einschließlich Unterbrechungen, Überfunktionen und anderer Störungen. Man unterscheidet zwischen abiotischen und biotischen Krankheiten.

Orthophosphat: Pflanzennährstoff, dessen Zunahme die Konkurrenz zwischen Koral-len und Algen/Cyanobakterien zu Ungunsten der an niedrige Nährstoffkonzentrationenangepassten Korallen verschiebt.

Virulenz: die Fähigkeit eines Pathogens, eine Krankheit auszulösen. Sie kann durch Virulenzfaktoren, beispielsweise erhöhte Wassertemperatur, verstärkt werden.

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als zerstört, weiteren 16 Prozent droht die unmittelbareZerstörung [20].

Die Identifizierung vieler verantwortlicher Pathogenewäre sicherlich der erste, wichtige Schritt zur einheitlichenErfassung und Benennung, Charakterisierung und Bekämp-fung der vorhandenen Korallenkrankheiten. Dabei spieltdie Molekularbiologie eine essenzielle Rolle, beispielsweisezur Identifikation der bisher noch unbekannten Infektions-wege, die ein entscheidender Ansatzpunkt für denkbareSchutz- beziehungsweise Management-Maßnahmen sind.

Dass diese Schutzmaßnahmen dringend nötig sind,zeigt der extrem erhöhte Anteil kranker Korallen in Riffen,die stark von Menschen beeinflusst werden. Ein Fernhaltenbeispielsweise von Abwässern nützt aber nicht nur den Ko-rallen, sondern auch dem Menschen: Vibrio cholerae undandere Erreger von Darmerkrankungen halten sich perma-nent in Küstengewässern auf. Sie entwickeln sich in eutro-phierten Habitaten besonders gut [4] und können von hieraus Epidemien auslösen.

ZusammenfassungKorallenkrankheiten stellen, nach Eutrophierung und Sedi-mentation, eine der Hauptursachen für den weltweiten, dra-matischen Niedergang von Korallenriffen dar. Die massivenAuswirkungen zeigen sich dabei besonders deutlich, wenn diebetroffene Region stark von menschlichen Aktivitäten beein-flusst wird, wie beispielsweise in der Karibik. Dort stehenfrüher dominante ökologische Schlüsselarten inzwischen aufder Roten Liste gefährdeter Arten und es kommt zu regel-rechten Epidemien. Bei vielen Krankheiten ist der verantwort-liche Krankheitserreger noch vollkommen unbekannt, Thera-pien gibt es deshalb nicht. Ohne eine umfassende Verbesse-rung der globalen Meerwasser-Qualität und einschneidendenMaßnahmen gegen den globalen Klimawandel wird deshalbauch der beste, lokale Küstenschutz den weiteren Verlustwertvoller Korallenriffe nicht aufhalten können.

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B I O T I S C H E K O R A L L E N K R A N K H E I T E N | S C H W E R P U N K T KO R A L L E N R I F F E

Die AutorenDavid Combosch, geb. 1977 in Ulm, studiert Ökolo-gie an der Universität Duisburg-Essen. 2001 hat erzur Vertiefung seines Studienschwerpunktes „Ökolo-gie und Biologie von Korallenriffen“ für ein Jahr unterAnleitung von A. Croquer an der Universidád SimónBolívar, Caracas, Venezuela gearbeitet. Dort erstellteer die Feld- und Literaturarbeit „Coral Diseases in theCaribbean“. Seit Januar 2005 arbeitet er für seine Diplomarbeit am Smithsonian Tropical Research Institute in Balboa, Panamá.

Helmut Schuhmacher, Jahrgang 1941, Studium derBiologie, Chemie und Mathematik in Heidelberg undKiel, Arbeiten zur Blütenökologie, 1966 Staatsexa-men, 1969 Promotion mit einem Beitrag zur Ökolo-gie von Köcherfliegen, danach Hinwendung zur Riff-ökologie (1969-1971 Postdoc am Marine Labora-tory, Eilat, Rotes Meer). Wiederholte längereForschungsaufenthalte in Jordanien, Sudan undÄgypten. 1978 Habilitation an der Ruhr-UniversitätBochum über die Anfangsstadien der Riffentwick-lung. Seit 1982 Professor an der Universität Essen,Aufbau der Arbeitsgruppe Hydrobiologie im Studien-gang Ökologie mit Schwerpunkten Fließgewässer-ökologie und urbane Gewässer im limnologischenBereich und Riffökologie im marinen Bereich. Grün-dungsmitglied der „International Society for ReefStudies“, in deren Vorstand seit 2002; Mitarbeit imDFG-Schwerpunkt „Biogene Sedimentation – Riff-entwicklung“ (1990-1996). Forschungsarbeiten zumEinsatz elektrochemisch erzeugter Kalksubstrate in der Marikultur und zur Rehabilitation degradierterKorallenriffe.

Korrespondenz: Prof. Dr. Helmut SchuhmacherUniversität Essen Institut für ÖkologieAbt. HydrobiologieUniversitätsstraße 5 D-45117 EssenEmail: [email protected]

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